Nr. 1444 - Michelle Zerwas - E-Book

Nr. 1444 E-Book

Michelle Zerwas

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Beschreibung

Der kleine Mischlingshund Nr. 1444 sitzt in einer Tötungsstation im Ausland. Er ist sehr krank und hat kaum eine Chance zu überleben. Doch er hat Glück im Unglück. Tierschützer kommen in die Tötungsstation, um einige Hunde zu retten. Eine von ihnen ist Elise. Sie verliebt sich in Nr. 1444 und setzt alles daran ihn nach Deutschland zu holen, um ihm ein sicheres Zuhause zu schenken. Zum ersten Mal in seinem Leben darf er Liebe und Geborgenheit spüren und erhält einen richtigen Namen statt einer Nummer. Mit der Hündin Moon, die bereits bei Elise lebt, verbindet ihn schon bald eine enge Freundschaft und die beiden erleben viele Abenteuer zusammen.

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Michelle Zerwas

Nr. 1444

Ein Hund aus dem Nirgendwo

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

1

Vergessener Ort, vergessene Seelen

 

An einem Ort, irgendwo im Nirgendwo, rieseln Schneeflocken sanft zur Erde, verwandeln den tristen Ort in eine romantische Winterlandschaft. Sie bedecken die Erde, lassen die Tristesse verschwinden, eine unberührte Landschaft, mitten im Nirgendwo.

Nur wenige besuchen diesen verlassenen Ort, zufällig verirrt sich niemand dorthin und die wenigen, die kommen, wollen schnell wieder weg, weil sich die Geschehnisse an diesem Ort tief ins Herz und in die Seele einbrennen. Der Ort wirkt friedlich, aber der Eindruck täuscht. Die Stille, die man an einem verlassenen Ort wie diesem erwartet, sucht man vergeblich, denn sie wird zerrissen von andauerndem Hundegebell, Jaulen, Winseln… Oft sind es stille Schreie, die nicht nach außen dringen und die nur von besonders feinfühligen Wesen wahrgenommen werden können. Die stillen Schreie sind die schlimmsten, denn sie sind da, obwohl sie nicht da sind. Angst und Tränen hängen wie schwere Wolken in der Luft, umkreisen diesen Ort und hüllen ihn in einen undurchdringlichen Nebel. Die seltenen freudigen Ereignisse vermögen nichts dagegen auszurichten, denn sie sind nicht stark genug. Mit einem einzigen Sonnenstrahl kann man nicht die ganze Welt erleuchten, genauso wenig kann man mit einem einzigen guten Ereignis all das Leid, die Trauer und die Ängste vertreiben.

Zwischen Feldwegen, Schotterstraßen, Wiesen, Feldern und undurchdringlichen Wäldern, gibt es diesen Ort, gebaut aus Beton und Holz, Fliesen, Gittern und Zäunen, Stacheldraht, all jenen Resten, die sonst niemand mehr braucht, die an diesem Ort jedoch einen großen Wert haben. Hunderte verlassene Seelen warten dort auf ein wenig Glück. Sie hoffen auf Rettung, die nur für wenige kommt. Das Warten ist oft vergeblich, denn die meisten schaffen es nicht. Viele verlassen diesen Ort erst, wenn sie zu einem anderen Ort gerufen werden, zu einem Ort, der jenseits der Erde liegt, den niemand sehen kann und an dem das Paradies auf einen wartet, fernab von allem Leid und Schmerz.

An diesem Ort im Nirgendwo sind die Tage alle gleich, jahrein, jahraus. Nichts geschieht, die Langeweile ist erdrückend und nicht wenige geben sich völlig auf, verlieren den Glauben an ein wenig Glück, ein bisschen Freude.

 

An einem kalten Wintermorgen, an einem beliebigen Tag, tauchten wie an jedem Morgen Menschen auf im Nirgendwo. Sie eilten durch die Gänge, rechts und links bellende Hunde, die um ein wenig Liebe und Zuneigung betteln, eine sanfte Berührung, Futter und Wärme. Die wenigen Menschen, die sich an diesen Ort wagen, kämpfen sich durch Kälte, Gestank und Dreck. Sie wirken abgestumpft, als ob sie nichts empfinden. Auf einige mag es zutreffen, aber sie sind nicht alle gleich. Einige verschließen sich mit aller Macht, versuchen, das Elend nicht zu tief in sich eindringen zu lassen. Die Bilder dürfen sich nicht in ihr Gedächtnis eingraben, um auch am nächsten Tag zurückkehren zu können, nicht daran zu zerbrechen, an all dem Leid. Genau wie die Tiere, haben viele dieser Menschen keinen Namen, scheinbar keine Identität. Sie kämpfen tagtäglich und schaffen es nicht zu gewinnen. Vielleicht liegt es an dem Ort im Nirgendwo. Jeder, der dorthin kommt, verwandelt sich automatisch in einen Niemand, ein Wesen ohne Namen, ein vergessenes Wesen. Seelen, die leben, atmen, fühlen und dennoch vergessen werden.

In einem der Verschläge, inmitten so vieler Hunde, liegt an diesem Morgen Nr. 1444 auf dem eisigen Betonboden, inmitten all der anderen bellenden Hunde, unbeachtet von allen. Immer wieder laufen Pfoten über Nr. 1444 hinweg, kleine Pfoten, große Pfoten, Pfoten mit viel oder wenig Fell, mit langen Krallen, die piksen. Doch Nr. 1444 merkt es kaum noch, hat kaum noch die Kraft aufzustehen, sein Bellen ist schon lange verstummt. Die Aufregung lohnt nicht, das hat er gelernt. Er weiß, dass Essenszeit ist, die Aufregung der anderen Hunde sagt es ihm. Nr. 1444 hat keinen Appetit, nicht mehr.

Am Gitter taucht ein menschliches Wesen auf. Die Hunde springen am Gitter hoch, bellen aufgeregt, kriegen sich kaum noch ein. Nr. 1444 sieht nur noch zu. Schon seit Tagen sickert das Leben immer mehr aus ihm heraus. Die Schmerzen in seinem kleinen Körper werden jeden Tag stärker. Er wird den Winter nicht überleben. Er spürt es und er hofft, dass es schnell geht und ihm ein langes Leiden erspart bleibt.

Das Gitter des Verschlags öffnet sich, die aufgeregten Hunde werden von einem Menschen zurück gedrängt. Futter wird verteilt, einfach so, unkontrolliert rieseln Futterstücke zu Boden. Die Hunde stürzen sich gierig darauf, auf das Wenige, das nicht ausreicht, um richtig satt zu werden. Es wird geknurrt und um jeden Bissen entbrennt ein Kampf auf Leben und Tod. Der Mensch hockt sich kurz neben Nr. 1444, streicht mit seiner behandschuhten Hand behutsam über den Hundekopf und verliert wie zufällig etwas Futter, genau vor der Nase von Nr. 1444. Der Mensch bleibt einen Moment länger als sonst, bringt ein winziges bisschen Wärme mit und vertreibt damit die eisige Kälte, die nicht nur von der kalten Winterluft herrührt. Er wartet darauf, dass Nr. 1444 frisst, doch das Futter bleibt unangetastet. Der Mensch seufzt leise, unterdrückt die aufsteigenden Tränen, dann geht er, verlässt den Zwinger und nimmt die Wärme mit sich, das Gefühl von ein wenig Liebe und Zuneigung. Als er die Tür hinter sich schließt, wirft er einen letzten Blick zurück. Nr. 1444 liegt noch immer regungslos da, sein Futter ist verschwunden, verschlungen von den anderen Hunden. Dann geht er weiter, verrichtet weiter seine Arbeit, verteilt Futter, bis die Schubkarre leer ist und schickt immer wieder Gebete gen Himmel, bittet um ein wenig Glück für jeden einzelnen dieser vergessenen Hunde, aber ganz besonders für Nr. 1444.

2

Der Engel der Wünsche

 

Im Universum schwirren Abermillionen Wünsche herum, überwinden Raum und Zeit, wie kleine Lichtblitze, die einen hellen, leuchtenden Schweif hinter sich herziehen. Kein Wunsch wird jemals vergessen. Manche erfüllen sich rasch, andere brauchen etwas Zeit, aber keiner bleibt unbeachtet. Die Wünsche landen früher oder später alle im Reich der Engel. Sie werden dort vernommen und geordnet, jeder einzelne Wunsch wird notiert, damit er eines Tages Erfüllung findet.

Stille hat sich am Ort im Nirgendwo ausgebreitet. Mit der Dunkelheit der Nacht kehrt die Stille zurück. Die Hunde haben gelernt, dass nachts nichts passiert und es keinen Sinn macht zu bellen, nur hin und wieder erklingt ein Seufzen oder leises Winseln in der Stille der Nacht. Kräfte werden gespart für den nächsten Tag. Nicht alle überleben die Nächte, vor allem im Winter. Sie verlassen heimlich und leise diese Welt, niemand bemerkt ihr Verschwinden, bis das Tageslicht zurückkehrt.

In dieser Nacht geschieht jedoch etwas Ungewöhnliches, etwas Magisches, Unglaubliches.

Der Zwinger, in dem Nr. 1444 untergebracht ist, wird in ein helles Licht getaucht, das eine Wärme mitbringt, die die eisige Kälte der Nacht vertreibt.

Nr. 1444 spürt eine liebevolle Berührung auf seinem Rücken und ein warmes Gefühl, das sich in seinem ganzen Körper ausbreitet, von den steif gefrorenen Pfoten, bis in die vor Kälte taube Schwanzspitze. Sogar die Schmerzen in seinem kleinen Körper wüten nicht mehr so stark wie zuvor, sind nur noch eine dumpfe Erinnerung.

Die Wärme geht von einem menschenähnlichen Wesen aus, das von gleißendem, hellem Licht umgeben ist. Die Erscheinung ist so ungewöhnlich, dass kein einziger Laut aus den anwesenden Hundekehlen dringt. Staunend betrachten sie das Schauspiel, das sich ihnen bietet, können nicht glauben, was sie sehen.

Nr. 1444 schlägt die Augen auf und die Wärme in seinem Körper gibt ihm die nötige Kraft den Kopf ein wenig zu heben. Er betrachtet das Wesen, das vor ihm kniet, dessen Hand noch immer auf seinem Rücken ruht, ihm dadurch Kraft, Energie und Wärme schenkt. Auf den ersten Blick erinnerte das Wesen an einen Menschen, seine Augen strahlten viel Liebe aus und ein herzliches Lachen umspielte seine Lippen. Nr. 1444 fasste sofort Vertrauen.

„Wer bist du?“, fragt Nr. 1444 mit schwacher Stimme.

„Ich grüße dich, geliebtes Wesen. Ich bin der Engel der Wünsche und bin gekommen, um dir einen Wunsch zu erfüllen.“

Nr. 1444 wusste, was Wünsche waren, aber mit der Zeit hatte er den Glauben daran verloren. Seine Wünsche gingen nie in Erfüllung, deshalb konnte er sein Glück nicht fassen.

„Warum ausgerechnet mir?“, fragte Nr. 1444.

Der Engel nahm seine Hand vom Pelz des Hundes und richtete sich zu seiner vollen Größe auf. „Weil du es verdient hast“, sprach er.

„Ich habe es nicht weniger verdient, als alle anderen hier. Warum hast du mich ausgewählt?“

„Weil du an der Reihe bist und den anderen noch mehr Zeit bleibt wie dir?“

Nr. 1444 wagte es noch nicht, sich über das unerwartete Glück zu freuen. Wahrscheinlich träumte er nur oder er war im Himmel, hatte lautlos die Welt der Lebenden verlassen, ohne dass er es gemerkt hatte.

„Du wirkst ungläubig, geliebtes Wesen. Ich weiß, dass du den Glauben an dein Glück verloren hast. Ich bin gekommen, um dir den Glauben zurückzubringen. Wie lautet dein Wunsch?“

Nr. 1444 musste nicht lange darüber nachdenken. „Wir alle hier wünschen uns dasselbe“, sagte er leise. „Wir sehnen uns nach Wärme und Liebe, genug Futter für unsere knurrenden Mägen.

Der Engel nickte wissend. Er hatte mit dieser Antwort gerechnet. „Deine Wünsche werden sich bald erfüllen“, sagte er.

„Wie?“, fragte Nr. 1444, der es noch immer nicht glauben konnte.

„Vertraue.“

„Und was ist mit meinen Artgenossen?“

„Heute ist dein Tag und für alle anderen wird der Tag eines Tages auch kommen.“

„Versprichst du es?“, fragte Nr. 1444.

„Ich verspreche es dir und nun werde ich dich verlassen. Glaube an Wunder und vertraue, dann ist alles möglich.“ Nach diesen Worten verschwand der Engel so lautlos in der Dunkelheit, wie er erschienen war.

„Was war das?“, sprach einer der Hunde, der mit Nr. 1444 den Zwinger teilte.

„Ich weiß es nicht“, antwortete Nr. 1444. „Bestimmt haben wir alle nur geträumt.“

„Nein. Es war kein Traum“, sagte Nr. 311 mit Nachdruck. „Wir haben es alle gesehen.“

Die anderen Hunde stimmten Nr. 311 zu. Die Aufregung wurde immer größer, waberte durch den Zwinger und von dort in den nächsten Zwinger und den nächsten… Immer weiter verbreitete sich das wundersame Erlebnis dieser dunklen Winternacht, bis auch der Hund im letzten Winkel davon gehört hatte. Hoffnung verbreitete sich. Ihre Wünsche waren vom Universum erhört worden. Das Unglaubliche war Wirklichkeit geworden, hatte Einzug gehalten in ihrer aller Leben. Der Engel der Wünsche hatte ihnen den Glauben zurückgebracht und das Leben an diesem Ort für jeden einzelnen ein klein wenig heller gemacht. Einige Hunde stimmten ein Jaulen an, in das immer mehr Hunde einstimmten. Sie schickten ihre Wünsche gen Himmel, in die Dunkelheit der Nacht und hofften, dass sie erhört wurden. In dem Moment fielen erneut Schneeflocken vom Himmel. Waren sie eine Antwort der Engel? Die Hunde glaubten fest daran.

 

3

An einem anderen Ort

 

An einem Ort, weit entfernt vom Ort im Nirgendwo, starteten gerade viele Menschen in einen neuen Arbeitstag. Auch an diesem Ort lebten Tiere, die von ihren Menschen verlassen wurden oder noch nie ein Zuhause hatten. Doch anders als im Nirgendwo erfuhren sie Liebe und Zuneigung, bekamen genug Futter, Wärme und Medizin, wenn es ihnen schlecht ging. Einzig ein neues Zuhause fehlte ihnen, doch der Weg bis dahin war für sie nicht von Leid, Angst und Schmerz gekennzeichnet. Im  Büro des Tierheims versammelten sich gerade die Mitarbeiter, um den Tag zu besprechen.

Die Tierheimleiterin Manuela behielt stets den Überblick und verteilte die Aufgaben des Tages gerecht. Es dauerte nicht lange und schon bald verließen die Mitarbeiter das Büro und verteilten sich auf dem weitläufigen Gelände.

Elise, Luca und Kim blieben, denn es gab eine wichtige Angelegenheit zu besprechen. Es ging um Auslandstierschutz. Aus einem Tierheim im Ausland sollten Hunde nach Deutschland gebracht werden. Elise, Luca und Kim waren diesmal mit der Aufgabe betraut worden und sollten noch am selben Tag los fahren. Kim war sehr aufgeregt. Sie befand sich im zweiten Lehrjahr zur Tierpflegerin und würde zum ersten Mal dabei sein. Für Luca war es ebenfalls das erste Mal. Er war kein ausgebildeter Tierpfleger, arbeitete aber schon lange im Tierheim und liebte seine Schützlinge heiß und innig. Elise, seit über 20 Jahren Tierpflegerin mit Leib und Seele, nahm die beiden ein wenig unter ihre Fittiche. Sie hatte bereits viel Leid gesehen und wusste, was sie im Ausland erwartete.

„Ich wollte mit euch nochmal die Details besprechen, bevor es los geht“, begann Manuela. „15 Hunde erwarten euch. Sie sind reisefertig. Juliane erwartet euch schon.“

„Und was ist mit den weiteren Hunden?“, fragte Luca. „Die nächste Fuhre sozusagen?“

„Ihr könnt 20 weitere kleine bis mittelgroße Hunde aus der Tötungsstation in Ungarn auswählen“, erklärte Manuela. „Sobald wir wieder Kapazitäten frei haben, holen wir sie nach Deutschland.“

„Wie viele Hunde erwarten uns in der Tötung?“, wollte Luca wissen.

„Genaue Zahlen sind schwierig, aber die Rede ist von über 2000 Hunden.“

„Das sind viele“, stellte Kim fest. „Wie soll man sich da entscheiden?“ Es fiel ihr schwer sich so viele Hunde auf einmal vorzustellen und selbst ihr, als Neuling im Tierschutz, war klar, dass diese riesige Menge von Hunden unmöglich artgerecht versorgt werden konnte und niemals vor Ablauf der „Aufbewahrungsfrist“ ein neues Zuhause finden konnte. Die meisten von ihnen waren zum Tode verurteilt.

„Du darfst nicht so viel an die denken, die zurückbleiben, sondern an die, die gerettet werden“, erklärte Elise. „Ich weiß, wie schwer es ist, aber wir können nicht alle retten.“

Ihre Aussage wirkte nüchtern und kühl, doch in Wahrheit sprach aus ihr die jahrelange Erfahrung. Es kostete viel Kraft das Leid der Hunde nicht zu sehr an sich heran zu lassen, war aber eine wichtige Voraussetzung, um die Arbeit zu machen, ohne eines Tages daran zu zerbrechen. Es waren die Schattenseiten ihrer Arbeit und nicht jeder schaffte es damit umzugehen.

„Ich habe die Reise für euch genau durchgeplant“, sprach Manuela weiter und reichte Elise einige Unterlagen. „Ihr werdet circa zwei Tage unterwegs sein. Ich habe euch eine Unterkunft gebucht für die Nacht.“

Sie reichte Luca einige Unterlagen.

„Auf dich ist eben immer Verlass“, sagte er anerkennend.

„Auf euch auch“, lobte Manuela. „Wir sind ein sehr gutes Team. Alle miteinander.“

„Genug jetzt mit dem Geschleime“, sagte Elise scherzhaft. „An die Arbeit! Es gibt viel zu tun.“

Gemeinsam verließen sie das Büro. Ihr Weg führte sie zum Transporter, mit dem die Reise stattfinden sollte. Ein letztes Mal wurde die Ausrüstung überprüft. Nichts durfte vergessen werden, denn die Reise war lang und mal eben zurückkehren war unmöglich, wenn sie erst unterwegs waren.

Dann wurde es auch schon Zeit aufzubrechen. Die Drei stiegen ins Auto.

„Gebt gut auf euch acht und kommt mir gesund wieder“, gab Manuela ihnen noch mit auf den Weg.

„Ich pass schon auf die Mädels auf“, scherzte Luca. „Mach dir keine Sorgen.“

Alle lachten, denn es war vielmehr so, dass die Mädels auf Luca aufpassten. Er war im ganzen Tierheim bekannt für seine Tollpatschigkeit, aber er war immer bereit zu helfen und ging für seine Kollegen und die Tiere durchs Feuer, weshalb er von allen geliebt wurde. Manuela winkte dem Transporter noch nach, als er vom Gelände rumpelte, um die lange Reise anzutreten.

 

4

Im Hotel

 

Nach einer langen, anstrengenden Autofahrt erreichten sie ihren Zwischenstopp. Ein kleines Hotel, in dem sie die Nacht verbringen sollten. Elise, Luca und Kim kletterten müde und mit steifen Gliedern aus dem Auto. Sie hatten sich mit dem Fahren abgewechselt.

„Ich bin total kaputt“, sagte Kim.

Luca und Elise sahen sich an und brachen in Lachen aus. „Was sollen wir denn sagen? Wir sind noch etwas älter als du.“

Kim fiel ins Lachen ein.

„So, dann schauen wir mal, was uns erwartet“, meinte Elise und trat resolut auf den Eingang des Hotels zu.

Am Empfang wurden sie freundlich empfangen. Kim und Luca ließen Elise den Vortritt, schließlich war sie die Älteste und hatte die Sache am ehesten im Griff. Der Papierkram war rasch erledigt und die Drei konnten ihr Domizil beziehen. Elise hatte die Schlüsselgewalt übernommen, öffnete die Zimmertür und schaltete das Licht ein. Durch einen winzigen Flur gelangten sie ins Zimmer, das recht karg eingerichtet war. Neben drei Betten gab es nur noch einen kleinen Tisch, auf dem ein uralter Fernseher sein Dasein fristete und einen Kleiderschrank, an dem die Türen schief in den Angeln hingen.

„Zum Schlafen reicht´s“, stellte Luca fest und ließ sich prüfend auf dem Bett nieder. „Und was anderes wollte ich heute sowieso nicht mehr machen“, fügte er hinzu.

„So kenn ich dich ja gar nicht“, erwiderte Kim. „Wirst du etwa alt?“, foppte sie ihn und setzte sich zu ihm aufs Bett. Eine andere Sitzgelegenheit gab es in dem kleinen Raum nicht.

„Unser Küken wird frech“, wandte Luca sich an Elise.

Die rollte nur mit den Augen. „Macht das unter euch aus. Ich werde jetzt mal die Dusche testen. Ihr wisst ja, wenn zwei sich streiten…“ Sie vollendete den Satz nicht und zog sich schnell in das winzige Badezimmer zurück, damit ihr niemand den Platz streitig machte.

„Nun zu dir“, drohte Luca Kim spielerisch. „Die einzige Zeugin hat gerade den Raum verlassen. Wie kommst du darauf, dass ich alt werde?“

„Der Luca, den ich kenne, wäre schon längst unterwegs, mitten im Nachtleben, auf der Suche nach einem süßen Typen.“

„Ich bin im Moment nicht interessiert“, sagte Luca.

„Hast du jemanden kennengelernt?“, wollte Kim wissen.

„Nein. Es braucht nicht immer einen Partner, um glücklich zu sein und das Leben zu genießen.“

„Das sind ja ganz neue Töne. Ich glaube, ich rufe Manuela an und frage sie, ob sie uns den falschen Luca mitgeschickt hat.“

Für ihre Worte kassierte sie einen Rippenstoß von Luca. „Und ich glaube, wir haben die falsche Kim dabei. Seit wann bist du so frech?“

„Wahrscheinlich bekommt mir die Freiheit nicht“, scherzte sie.

„Ich glaube auch. Beim nächsten Mal bleibst du besser zu Hause.“

„Das wollen wir doch erstmal sehen.“

„Ich bin so müde, dass ich bestimmt unter der Dusche einschlafen werde“, seufzte Luca.

„Soll ich mitgehen und auf dich aufpassen?“

„Das würdest du tun?“

„Seh ich aus wie deine Mutter?“, erwiderte Kim.

„Streitet ihr immer noch?“, unterbrach Elise das Gespräch der beiden. Sie hatte sich ein Badetuch um den Körper geschlungen und ließ sich auf einem der Betten nieder.

„Wir streiten nicht“, bekräftigte Luca.

„Na dann, ist ja gut“, sagte Elise, sah die beiden jedoch forschend an, da sie ihnen kein Wort glaubte.

„Wir machen nur ein bisschen Spaß“, versicherte Kim Elise.

„Es ist ganz schön eng da drin“, sagte Elise und deutete Richtung Bad.

„Ich werde mich mal selbst davon überzeugen“, meinte Luca und sprang auf, bevor Kim ihm zuvor kommen konnte.

Elise kramte kurz in ihrem Koffer herum, bis sie ihre Haarbürste gefunden hatte und bearbeitete danach mit kräftigen Strichen ihre Haarmähne, während Kim gedankenversunken da saß. Den ganzen Tag hatte sie es geschafft ihre Sorgen und Gedanken zu unterdrücken, weil die Fahrt aufregend gewesen war und die kurze Kabbelei mit Luca hatte sie ebenfalls davon abgehalten zu viel nachzudenken.

Nach einer Weile bemerkte Elise Kims nachdenkliches Gesicht und fühlte sich sogleich verantwortlich.

„Was ist los, Kim? Hast du Heimweh?“

Kim brauchte einen Moment, um aus ihrer Versunkenheit wieder in die Realität zurückzukehren.

„Was hast du gesagt, Elise?“

„Du siehst so nachdenklich aus. Was ist los?“

Kim seufzte. „Ich weiß nicht, ob ich das kann.“

„Ob du was kannst?“ Elise wusste nicht, worauf Kim hinaus wollte.

„Zwischen all den Hunden die richtige Wahl treffen.“

„Ich verstehe deine Sorge. Ich mache es nun schon so viele Jahre und dennoch ist es immer wieder aufs Neue unglaublich schwer.“

„Und nach welchen Kriterien wählst du aus?“

„Im jetzigen Fall haben wir ja die Vorgabe nur kleine und mittelgroße Hunde auszuwählen. Das wäre schon mal das erste Kriterium. Danach schaue ich, für welche Tiere die Zeit in der Tötung abläuft, wer also dringend raus muss. Am Ende trifft dein Herz die Entscheidung.“

„Aber wie kann ich mich für einen Hund entscheiden und gleichzeitig mit dem Wissen leben, dass ich damit viele andere Hunde zum Tode verurteile, weil ich mich gegen sie entschieden habe? Verstehst du, was ich meine? Ich entscheide über Leben und Tod.“