Nur die allergrössten Kälber wählen ihren Metzger selber - Christian Schmid - E-Book

Nur die allergrössten Kälber wählen ihren Metzger selber E-Book

Christian Schmid

0,0

Beschreibung

Seine beiden Bestseller "Blas mer i d Schue" und "Mir stinkts" sind längst zu Longsellern geworden. Jetzt taucht Christian Schmid erneut tief in den Wörtersee. Um unsere Tiere in der Sprache geht es dieses Mal. Bunter Hund. Hornochs. Alpenkalb. Ich glaub, mich tritt ein Pferd. Da mues ja nes Ross lache. Ist die Katze aus dem Haus, tanzen die Mäuse auf dem Tisch. Es Gsicht mache wi ne Chatz, wes donneret. Christian Schmid beschäftigt sich in diesem Buch mit Wörtern und Redensarten, erzählt, wie und seit wann man sie in übertragener Bedeutung braucht und woher sie kommen. Zum Beispiel die Redensart "Nur die allergrössten Kälber wählen ihren Metzger selber". Die stammt, wie Christian Schmid belegt, ursprünglich nicht von Bertolt Brecht (wie oft behauptet wird), sondern von Christian Wiedmer, im Jahr 1850 Redaktor des "Emmenthaler Wochenblatts". Weshalb der Mann für diesen Satz vier Tage ins Gefängnis musste, steht auch in diesem Buch.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 446

Veröffentlichungsjahr: 2021

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Christian Schmid

Nur die allergrössten Kälber wählen ihren Metzger selber

Unsere Tiere in der SpracheCosmos Verlag

Alle Rechte vorbehalten

© 2021 by Cosmos Verlag AG, Muri bei Bern

Lektorat: Roland Schärer

Umschlag: Stephan Bundi, Boll

Satz und Druck: Merkur Druck AG, Langenthal

Einband: Schumacher AG, Schmitten

ISBN 978-3-305-00500-0

eISBN 978-3-305-00501-7

Das Bundesamt für Kultur unterstütztden Cosmos Verlag mit einem Förderbeitragfür die Jahre 2021–2024

www.cosmosverlag.ch

Inhalt

Vorwort

Huhn und Hahn

Herkunft und Benennung

Die fürsorgliche Henne

Das dumme Huhn

Mit den Hühnern zu Bett

Der stolze Hahn

Hühnerhaut und Hühnerauge

Hühnerhof und Hühnermist

Ei oder Huhn

Das Huhn als Fleischlieferant

Kuh, Stier und Ochse

Herkunft und Benennung

Dumme Kuh und Hornochse

Die Kuh in Wörtern und Redensarten

Stier und Ochse in Wörtern und Redensarten

Die Schweizer und die Kuh

Stall und Weide

Milch, Rahm, Butter, Käse

Pferd und Esel

Herkunft und Benennung

Ross und andere Freundlichkeiten

Das Pferd in Wörtern und Redensarten

Das Reitpferd

Das Zugpferd

Das Lastpferd

Der Pferdehandel

Der Hausesel

Schwein, Sau und Ferkel

Herkunft und Benennung

Sau und Schwein in derber Sprache

Sau und Schwein in Schimpfwörtern

Sau und Schwein in Redensarten

Das Schwein und sein Fleisch

Der Hund

Herkunft und Benennung

Hunde der Herren, Hunde der Untertanen

Der Hund in derber Sprache

Der Hund in Wörtern und Redensarten

Die Katze

Herkunft und Benennung

Vom Katzenkopf zum Katzelmacher

Die Katze in Redensarten

Vorwort

Seit Jahrtausenden brauchen wir unsere Nutz- und Haustiere. Sie arbeiten für uns, wenn wir auf ihnen reiten, wenn sie für uns Lasten tragen oder ziehen, wenn sie für uns Maschinen antreiben, wenn wir mit ihnen jagen, wenn sie uns mit ihren Kämpfen unterhalten. Sie sind für uns da, wenn sie uns warm geben und wir uns in ihrer Nähe weniger einsam oder sicherer fühlen. Sie liefern uns als lebende Tiere Produkte, die wir essen können: Eier und Milch. Mit ihrem Mist düngen wir unsere Felder. Wir schlachten sie, essen ihr Fleisch, verarbeiten ihre Häute zu Leder, benützen ihre Federn und Haare als Isoliermaterial oder Schmuck und verkochen ihre Knochen zu Leim. Dennoch ist unser Umgang mit ihnen fragwürdig: es fällt uns schwer, ihnen Rechte zuzugestehen. In der modernen industrialisierten Landwirtschaft, die so billig wie möglich produzieren will, behandeln wir viele von ihnen sehr schlecht und gönnen ihnen als hochgezüchtete Massenware nur eine kurze Lebenszeit. Für Nutztiere ist das Leben mit dem Menschen schwierig und oft schrecklich. Kuscheltiere werden hingegen nicht selten so verwöhnt und gehätschelt, dass sie abnorme Verhaltensweisen entwickeln. Einige von ihnen erben Vermögen und werden in Ehren bestattet.

Wir sind unseren Tieren sowohl zu- als auch abgeneigt. Das zeigt sich sehr deutlich in unserer Sprache. Selbstverständlich gibt es zahllose rührselige und sentimentale Pferde-, Hunde- und Katzengeschichten für Kinder und Erwachsene. Aber viel gängiger sind in der Alltagssprache jene sich auf Tiere beziehenden Wörter, Ausdrücke und Redensarten, mit denen wir spotten, schimpfen und beleidigen. Du Hornochse, Rindvieh, Esel, blöde Kuh und fauler Hund sagen wir, ohne auch nur im Ansatz zu überlegen, wen wir da beiziehen, um zu sagen, er oder sie sei dumm, blöd, faul oder störrisch. Wenn wir nicht mehr weiterwissen, können wir dastehen wie der Ochs vorm Berg oder die Kuh vor dem Scheunentor. Wer ausnahmsweise Erfolg hat, kriegt zu hören, dass auch ein blindes Huhn mal ein Korn findet. Wer in soziale Not gerät, kommt auf den Hund. Wer sich rüpelhaft benimmt, lässt die Sau raus.

Der Mensch achtet das Tier weniger als sich selbst, weil er als Homo sapiens die intellektuelle Fähigkeit erworben und Waffen entwickelt hat, jedes Tier, auch das grösste, zu jagen. Einige Tiere macht er sich dienstbar, indem er sie zähmt und züchtet. Der intellektuelle Vorteil, den er dem Tier gegenüber erworben hat, führt dazu, dass er sich als Krone der Schöpfung begreift und daraus das Recht ableitet, die Welt, auch die Tierwelt, zu beherrschen. Dieses Recht wird in der Bibel deutlich sanktioniert. Gott sagt Adam und Eva nach Genesis 1, 28:

«Seid fruchtbar, und vermehrt euch, bevölkert die Erde, unterwerft sie euch, und herrscht über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf dem Land regen.»

Noah gegenüber bestätigt Gott laut Genesis 9, 2–4 die Vormacht des Menschen in der Schöpfung; er bekräftigt damit das Ende des paradiesischen Friedens unter den Geschöpfen:

«Furcht und Schrecken vor euch soll sich auf alle Tiere der Erde legen, auf die Vögel des Himmels, auf alles, was sich auf der Erde regt, und auf alle Fische des Meeres; euch sind sie übergeben. Alles Lebendige, das sich regt, soll euch zur Nahrung dienen. Alles übergebe ich euch, wie die grünen Pflanzen. Nur Fleisch, in dem noch Blut ist, dürft ihr nicht essen.»

Die Worte sind klar. Weder Vegetarismus noch Veganismus lassen sich aus der Bibel begründen, obwohl das oft behauptet wird. Wohl lebten einige monastische Gemeinschaften ursprünglich fleischlos, doch die Fleischverbote wurden mit der Zeit gelockert oder ganz aufgehoben. Viele Theologen der frühen Neuzeit behaupteten, die Menschen hätten sich vor der Sintflut ausschliesslich von Pflanzen und Früchten ernährt, so auch der katholische Geistliche Hubertus Lommessen in seiner «Postilla» von 1628: «Ja biss zur zeit dess Sündfluss ist das Fleischessen gar nicht im brauch gewesen.» Nach der Sintflut jedoch habe Gott Noah klargemacht, dass auch das Essen von Fleisch, ausser an Fastentagen und in der Fastenzeit, gottgefällig sei. Das lehren viele Schriften aus der frühen Neuzeit. Hieronymus Bock erklärt in seinem «Kreütterbuch» von 1577 mit Bezug auf die Genesis:

«Erstmals aber / da der allmechtig Gott den Menschen Fleisch zu essen erlaubet / ward kein underschid Fleischs halben fürgeschriben. Dann also sprach Gott zu Noha unnd seinen Sönen / alles was sich regt unnd lebt / das sey ewer Speiss / wie das grün kraut hab ichs euch alles geben.»

Während Bock schreibt, Gott habe dem Menschen erlaubt, Fleisch zu essen, behauptet das «Compendieuse und Nutzbare Hausshaltungs-Lexicon» von 1728, Gott habe das Fleischessen verordnet: «Fleisch, ist diejenige Speise, die Gott uns Menschen von denen essbaren Thieren verordnet, und giebt das Fleisch eine gesunde, starcke und nahrhaffte Speise.» Der Arzt und Philosoph Paracelsus (1493–1541) argumentiert hingegen, dass der Mensch im Schöpfungsakt als Letzter geschaffen worden sei und daraus folge, «das der Mensch die Thier haben muss zu seiner Speiss / zu seiner Notturfft (seinem notwendigen Bedarf) / zu seiner Gesundtheit / etc.» Es gebe kein Tier auf der Welt, behauptet er, das nicht für den Menschen da sei.

Dass wir uns heute ermächtigt fühlen, vielen Tieren nur einen Gebrauchswert zuzugestehen und sie massenhaft in Tierfabriken zu halten, hat auch mit der Einschätzung des Tiers seit der frühen Neuzeit zu tun. Was unterscheidet den Menschen vom Tier? Darüber wurde vom 16. bis ins 18. Jahrhundert heftig diskutiert, sowohl theologisch und wissenschaftlich als auch philosophisch, aber immer so, dass dem Menschen eine Sonderstellung zugestanden wurde. Der französische Philosoph René Descartes (1596–1650) behauptete, nur der Mensch verfüge über Geist. Tiere hatten, so seine Meinung, keine empfindende Seele, er hielt sie für eine Art komplexe Apparate. Andere, wie der Schweizer Arzt und Naturforscher Johann Jakob Scheuchzer (1672–1733), behaupteten, das Tier habe eine Seele, aber eine ganz andere als die menschliche. Diese sei denkend, die tierische «ohne alle Vernunfft». Wieder andere behaupteten, sich auf antike Autoren berufend, Pflanzen hätten eine vegetabile, Tiere eine sinnliche und Menschen eine vernünftige Seele. Verstand und Willen kennzeichne den Menschen, behauptet ein Autor 1771, das Tier sei bloss sinnlich und unvernünftig. Wenn der Mensch seinen Verstand nicht einsetzt, handelt er wie ein unvernünftiges oder eben dummes Tier, ein animal irrationale, wie es im Lateinischen seit der Antike heisst. Im 16. Jahrhundert mahnt Martin Luther in einer Tischrede, der Mensch lebe dahin «ärger als ein Vieh». Er schätze Gottes Schöpfung nicht und missbrauche sie. Das sei «gleich als wenn eine Kuhe und unvernünftig Thier die aller schönsten und besten Blumen und Lilien mit Füssen träte».

Das Attribut dumm wird auch von Wissenschaftlern bis ins 19. Jahrhundert verwendet, um Tiere zu beschreiben; es wird sogar als Gattungsbezeichnung benutzt. Johann Matthäus Bechstein schreibt in seiner «Gemeinnützigen Naturgeschichte Deutschlands» von 1791 über «Das dumme Täucherhuhn»: «Es ist ein dummer Vogel, der sich leicht hintergehen lässt.» Das «Brockhaus Conversations-Lexicon» von 1888 belehrt uns, der Elch sei «ein scheues, aber dummes Tier». Und in der «Kleinen Schul-Naturgeschichte» von 1891 erklärt Samuel Schilling: «Das Nashorn […] ist ein grosses, fast 4 m langes, plump gebautes dummes Tier.»

Wir benützen noch heute dieses Vokabular, wenn wir andere beschimpfen und mit Tierbezeichnungen titulieren. Wir schätzen Tiere auf eine Weise ein, die einer frühneuzeitlichen Denkart entspricht, wenn wir sie in Massenhaltung dahinvegetieren lassen oder wenn wir sie zu Hochleistungsapparaten mit kurzer Lebensdauer hochzüchten mit Hilfe von Kraftfutter und Hormonen. Dabei ist längst erwiesen, dass zwischen Tier und Mensch, was den Aufbau des Zentralnervensystems und die kognitiven Fähigkeiten betrifft, kein absoluter, sondern nur ein gradueller Unterschied besteht. Viele Tiere können denken, sich erinnern, sich selbst in einem Spiegel erkennen, Werkzeuge brauchen, sich in arbeitsteiligen Gemeinschaften organisieren und auf unterschiedliche Weisen miteinander kommunizieren. Einige bilden sogar Staaten. Das bestreitet heute kein Wissenschaftler mehr und keinem würde es einfallen, in einer wissenschaftlichen Beschreibung ein Tier dumm zu nennen.

Wir sind, was viele unserer alltagssprachlichen Äusserungen und unserer Alltagsreflexionen über Tiere betrifft, nicht auf der Höhe unserer Zeit. Immer noch berufen wir uns auf die längst überholte Übereinkunft, dass der Mensch die Krone der Schöpfung sei und dass vom Menschen zum Tier ein absoluter qualitativer Unterschied bestehe.

Doch es tut sich etwas! Seit knapp fünfzig Jahren wird von verschiedenen Autorinnen und Autoren wie Garry Francione, Christine Koorsgaard, Lori Marino, der Gründerin des Kimmela Center for Animal Advocacy (kimmela.org), Richard Ryder, Peter Singer und anderen ein Umdenken im Tierrecht gefordert. Tierphilosophen beschäftigen sich mit Fragen, welche die Stellung, das Wesen und das Verhalten von Tieren zum Gegenstand haben. Bioethikerinnen, im speziellen Tierethikerinnen, fragen nach dem menschlichen Umgang mit Tieren und den moralischen Problemen, die sich daraus ergeben. Bücher wie Klaus Petrus’ «Tierrechtsbewegung» von 2013 und Daniel Wawrzyniaks «Tierwohl und Tierethik» von 2019 erklären einem breiten Publikum, was sich in dieser Sache tut.

All das beeinflusst unser Sprechen über Tiere, insbesondere die Stellung des Tiers in unseren alltäglichen Sprachbräuchen, bis heute kaum. Unsere Alltagssprache schöpft aus Redeweisen und Geschichten, die während Jahrhunderten von einer Generation an die nächste überliefert worden sind. Wir sprechen in der Regel, um verstanden zu werden, und fragen uns in den wenigsten Fällen, weshalb wir sagen, was wir sagen. Dieses Buch soll zeigen, in welchen Zusammenhängen unsere Tiere, d. h. die bekanntesten Nutz- und Haustiere, und das, was wir mit ihnen tun, in unserer Alltagssprache vorkommen, was wir über sie sagen und was wir mit ihnen über uns sagen.

Ich beschäftige mich in diesem Buch mit Wörtern, Ausdrücken und Redensarten, erzähle, wie und seit wann man sie in übertragener Bedeutung braucht und woher sie kommen. Dabei ist es mir sehr wichtig, dass ich mit Beispielen belege, was ich behaupte. Oft führt mich die Suche zurück bis in die Zeit der Renaissance, ins Mittelalter oder gar in die Antike, manchmal muss ich Sprachgrenzen überschreiten. Meinen Leserinnen und Lesern mute ich damit zu, dass sie Beispiele oder kleine Geschichten in älterem Deutsch lesen. Vielleicht versteht man nicht gleich alles im ersten Anlauf, aber viele dieser Zitate sind richtige Leckerbissen, pointierte, saftige, witzige, zuweilen bissige und böse Formulierungen; und die Geschichten sind manchmal, von unserem heutigen Standpunkt aus gesehen, unglaublich. Sie in die Gegenwartssprache zu übersetzen, hätte ihnen die ganze Wucht genommen, die sie in ihrer Fremdheit haben. Bei einzelnen Wörtern, die man kaum oder nicht versteht, habe ich die Übersetzung in runden Klammern direkt dahinter gesetzt. Manchmal musste ich ganze Sätze oder Texte übersetzen, vor allem auch wenn sie in einer uns fremden Sprache aufgeschrieben wurden. Für einige brauchte ich kundige Hilfe; den Helfern und Helferinnen danke ich herzlich. Für die meisten Bücher aus der frühen Neuzeit habe ich nur Kurztitel gesetzt, weil die vollständigen Titel oft unendlich lang sind, z. B. «Fleissiges Herren-Auge» statt «Fleissiges Herren-Auge, Oder Wohl-Ab- und Angeführter Haus-Halter, Das ist: Gründlich- und kurz zusammen gefasster Unterricht, von Bestell- und Führung eines nütz- und einträglichen Land-Lebens und Wirthschaft».

In Texten, welche in älterem Deutsch geschrieben sind, kommen Vokale mit übergesetzten Zeichen vor, z. B. ā und î; sie kennzeichnen lange Vokale. Meine mittelbernische Mundart schreibe ich nach Dieth, d. h. ich schreibe sie lautnah, die kurzen Vokale einfach, z. B. Chatz, strigle, Märe, die langen doppelt, z. B. Taape, hööch, naagää. Zitierte Mundart schreibe ich so, wie ich sie der Quelle entnommen habe. Auch die zum Teil abenteuerlichen Schreibungen von Internetbeispielen habe ich nicht verändert.

Mein wichtigstes Suchwerkzeug war das Internet. Im Internet stehen uns Tausende von Texten im Original zur Verfügung. Noch nie konnte, wer sucht, ein derart umfangreiches Textkorpus durchforsten. Man muss sich nur Zeit nehmen und mit unterschiedlichen Schreibungen und Wortformen spielen, immer und immer wieder. Ich kann mich heute nicht mehr ausschliesslich auf die in die Jahre gekommenen grossen Wörterbücher stützen, denn die Autoren dieser Wörterbücher mussten in Archiven und Bibliotheken ihre Belegstellen ausgraben. Weil sie nicht immer neu graben wollten, schrieben sie einander gerne ab, auch die Fehler.

Dennoch wäre meine Arbeit nicht möglich gewesen ohne grosse und kleine Wörterbücher und Nachschlagewerke aller Art. Was unsere Mundarten betrifft, ist das «Schweizerische Idiotikon» (idiotikon.ch) eine unentbehrliche Hilfe und eine unversiegbare Quelle der Freude für diejenigen, die suchen. In dieses Werk wurden neben Wörtern mit ihren historischen Belegen auch Tausende von Ausdrücken und Redensarten aufgenommen. Neben dem «Idiotikon» leisteten mir viele kleine regionale Mundartwörterbücher ebenfalls wertvolle Dienste. Die wichtigste deutsche Wörterbuchplattform im Internet ist «woerterbuchnetz.de», über die jetzt auch das «Idiotikon» zugänglich ist. Daneben findet man online grosse, frei benutzbare historische Wörterbücher in vielen Sprachen, wie z. B. «Le Trésor de la Langue Française informatisé (atilf.atilf.fr)» und den «Online Etymology Dictionary (etymonline.com)».

Ich hoffe, dass die Leserinnen und Leser dieser Geschichten viel Neues erfahren, schmunzeln, vielleicht auch lachen, und nachdenklich werden. Wenn das Buch ihr Interesse weckt und auf Fragen Antworten gibt, habe ich das Pferd nicht am Schwanz aufgezäumt und bin nicht wie die Katze um den heissen Brei herumgegangen.

Meiner Frau Praxedis danke ich für das Mitlesen und Mitdenken, Roland Schärer vom Cosmos Verlag für die ausgezeichnet aufmerksame und freundschaftliche Zusammenarbeit. Er hat dr Märe zum Oug gluegt!

Huhn und Hahn

Herkunft und Benennung

Der Geistliche, Schriftsteller und Ökonom Christoph Fischer beginnt in seinem sehr erfolgreichen Hausväterbuch «Fleissiges Herren-Auge» von 1690 das Kapitel über das Geflügel mit folgenden Worten:

«Ich wil von der Hennen / als der rechten Eyer-Mutter / und gluckzendem Hof- und Bauren-Vogel / so nicht allein auff dem Lande / sondern auch in Städten / wegen vielfältigen Eyerlegens bekannt / und sehr angenehm / den Anfang machen.»

Weil das Huhn der weitaus häufigste Vogel auf der Welt und der wichtigste Eier- und Fleischlieferant ist, beginne ich, wie Fischer im 17. Jahrhundert, auch mit dem Huhn.

Das Huhn hat Flügel und Federn und zählt deshalb seit dem Mittelalter mit Enten und Gänsen zu den Hofvögeln oder Hausvögeln, zum Geflügel, Gefieder, Klein- oder Federvieh. Die «Teutsche Sprach und Weissheit» von 1616 zählt zum «Feder Viech»: «Schwanen / Pfawen / Gänse / Ente / Hüner / Tauben / etc.» Die «Deutsche Sprache in der Volksschule» von 1855 lehrt uns: «Hausvogel fasst in sich: Gans, Huhn, Hahn, Ente, Taube etc.» Kein anderes Nutztier kommt auf der Welt so häufig vor wie das Haushuhn. Man schätzt, dass es etwa 20 Milliarden gibt, d. h. auf jeden Menschen ungefähr drei, weil es, wie eine Naturgeschichte von 1833 behauptet, «eines der nützlichsten Thiere [ist], welche der Mensch sich zum Genossen erwählen konnte».

Unser Haushuhn stammt aus Südostasien, wo man es vor 5000 bis 6000 Jahren zu domestizieren begann, vielleicht weil der Hahn am Morgen die Sonne begrüsste, die als heilig galt. Dann züchtete man es, damit man Hahnenkämpfe veranstalten konnte; bei den Griechen war der Hahn als Motiv auf Kampfschildern und Gefässen beliebt. Erst seit den Römern hält man Hühner vor allem als geschätzte Eier- und Fleischlieferanten. Nach Europa kam das Huhn aus Persien und dem östlichen Mittelmeerraum; etwa 2300 Jahre alte Funde zeugen von der Existenz des Haushuhns in der israelischen Stadt Maresha. Bereits in der Eisenzeit wurde es von Phöniziern nach Spanien gebracht, dann, sehr wahrscheinlich aus Persien, kam es um 900 nach Griechenland; Homer erwähnt es noch nicht. Aus Europa gelangte es schliesslich im 16. Jahrhundert mit den Entdeckern und Eroberern nach Amerika.

Lange glaubte man, am Anfang seiner Zähmung stehe das wilde, von Indien bis China weit verbreitete Bankiva- oder Rote Kammhuhn. Neuere Forschungen ergaben jedoch, dass noch andere Wildhuhnrassen beteiligt gewesen sein müssen, denn seine gelben Beine hat das Haushuhn offenbar nicht vom Bankiva-, sondern vom südwestindischen Sonnerathuhn.

In Europa gibt es ungefähr 200 Haushühnerrassen, weltweit dürften es über 500 sein. Einige sind sehr alt, wie die Krüper, die von Konrad Gessner bereits im 16. Jahrhundert als Kriechhühner beschrieben werden, weil sie kurze Beine haben. Heute gelten sie in der Roten Liste der Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen e. V. in Deutschland als stark gefährdet. Auch der Bartli, das Appenzeller Barthuhn, das in der Mitte des 19. Jahrhunderts gezüchtet wurde, konnte 1985 nur dank ProSpecieRara vor dem Aussterben gerettet werden. Diese Organisation sorgte zudem dafür, dass das einst beliebte weisse Schweizerhuhn, das erst am Anfang des 20. Jahrhunderts gezüchtet wurde, aber in der industrialisierten Landwirtschaft rasch an Bedeutung verlor, noch heute existiert. Haushühner sind oft weiss; lange Zeit schätzte man weisse Hühner eher gering. Der Theologe und Geograph Anton Friedrich Büsching gibt in seinem «Nützlichen und angenehmen Lehrbuch für die Jugend» von 1772 einen Rat, den er dem römischen Autor Columella abgeschrieben hat:

«Das zahme Federvieh muss röthliche oder braune Pflaumfedern, und schwarze Flügel haben, und wann es möglich, müssen alle von dieser, oder dieser am nächsten kommenden Farbe erwählt werden: kan es aber nicht seyn, so meide man doch die weissen, welche […] leicht ins Gesicht fallen (gut sichtbar sind), und wegen ihrer sonderbaren Weisse von Habichten und Adlern oft hinweg gerissen werden.»

Neben den Haushühnern, die mit Pfau, Truthuhn, Goldfasan, Alpenschneehuhn, Auerhuhn und Birkhuhn in die Familie der Fasanenartigen gehören, gibt es vier andere Familien der Gattung Hühnervögel (Galliformes), nämlich die Grossfusshühner, die Hokkohühner, die Zahnwachteln und die Perlhühner.

Das Wort Huhn kann man seit dem Althochdeutschen des frühen Mittelalters für beide Geschlechter brauchen. Der Mönch Otfrid von Weissenburg übersetzte im 9. Jahrhundert den bibellateinischen Ausdruck antequam gallus cantet «ehe der Hahn rufen wird» mit êr thaz huan singe; selbstverständlich brauchte er daneben auch das Wort hano «Hahn». Noch heute verwenden wir Huhn als Gattungsbezeichnung, wenn wir von den Hühnervögeln oder hühnerartigen Vögeln sprechen, vom Rebhuhn und vom Zwerghuhn. Wenn wir Hühner sagen, meinen wir oft die Hähne mit. Unsere wichtigsten Bezeichnungen für das Huhn sind jedoch vom Wort Hahn abgeleitet:

Huhn ist ein Erbwort aus dem Germanischen, und zwar eine Ablautbildung zu Hahn. Das aus dem Westgermanischen entlehnte Henne ist eine alte weibliche Bildung zu Hahn mit der ursprünglichen Bedeutung «die zum Hahn Gehörige». Auch das Lateinische leitet die weibliche Bezeichnung gallina «Huhn, Henne» von gallus «Hahn» ab. Aus gallina wurde französisches geline, das jedoch durch poule ersetzt wurde, eine Bezeichnung für «junges Huhn», abgeleitet von lateinisch pullus «junges Tier, Küken». Zu gallina gibt es die lateinische Redensart gallina scripsit «das hat ein Huhn geschrieben»; Plautus (um 254–187 v. Chr.) brauchte sie, um eine unleserliche Schrift zu kritisieren. Von daher kommt vielleicht das seit dem 17. Jahrhundert belegte Wort Hühnerschrift oder Hühnerpfote, das eine unleserliche Schrift mit einem Gewirr von Hühnerspuren vergleicht; «als sey sie mit Hüner Pfoten geschrieben» (1708).

In den Mundarten der deutschsprachigen Schweiz nennen wir das Huhn meistens Huen oder Hue, Hüeli mit der Mehrzahlform Hüen(n)er, in einigen Mundarten Hoo mit der Mehrzahlform Höör. Auch die Bezeichnungen Henn, Hene, Mehrzahl Henni, kommt vor. Der Berner Oberländer Melchior Sooder erwähnt in seinen «Zelleni us em Haslital» von 1943 «d’Henni ung Gäiss (Gänse)».

Seit dem 17. Jahrhundert ist die Bezeichnung Mistkratzer für Huhn belegt. Im «Misthauffen dess ungeduldigen Jobs» von 1684 bezeichnet ein Theologe seine Widersacher als «junge Mistkratzer». Der «Nürnberger Beobachter» von 1858 fragt: «Es heisst doch, das Hühnerlaufenlassen in der Stadt ist verboten; warum sieht man aber diese Mistkratzer noch auf gewissen Plätzen in der Stadt ganz ungenirt herumsteigen?» Als Wort des Rotwelschen, d. h. der traditionellen Gaunersprache, wird Mistkratzer «Huhn» sowohl von Bischoff (1822) wie auch von Avé-Lallemant (1862) aufgeführt. In einigen landwirtschaftlichen Zeitschriften vom Ende des 19. Jahrhunderts hat Mistkratzer die Bedeutung «Huhn von geringem Wert» oder «junger Hahn». Im heutigen Schweizerdeutschen ist das Mischtchratzerli ein «Brathähnchen».

Die Bezeichnung Legehuhn oder Legehenne für ein Huhn, das Eier legt, ist alt. Bereits 1686 lesen wir in einer Kriegsschilderung von «Leg-Hennen», 1705 in einem Hausväterbuch von «Leg-Hüner» und «Leg-Hennen». Weil Legehennen nach dem Legen oft lautstark gackern, entstand die Redensart verschwiegen sein wie ein Leghuhn «alles ausplaudern». Melchior Kirchhofer führt sie 1824 in seiner Sammlung schweizerischer Sprichwörter auf: «Er ist verschwiegen wie ein Leghuhn.» Die Bezeichnung Masthuhn ist jünger, aber vom Hühnermästen berichtet bereits Girolamo Ruscelli (1518–1566). Hans Jakob Wecker, der Stadtarzt von Kolmar, übersetzte Ruscellis «Kunstbuch des Wolerfarnen herren Alexii Pedemonta» (1581) ins Deutsche, und dort lesen wir im Abschnitt «Hüner zu mesten oder feist zu machen», wie man diese Tiere quälte. Man hielt sie im Dunkeln, zwang sie zur Bewegungslosigkeit und gab ihnen Kraftfutter:

«Die hüner werden vast (sehr) feist / so man sie an dunckel unnd warmen orten mit gerstenmeel und wasser durch einander vermischt mestet / auch inen die flüg federn ausszeucht.»

Lässt man eine Legehenne Eier ausbrüten, wird sie zur Bruthenne, zum Bruthuhn oder zur Glucke, mundartlich Glugge(re). Die Bezeichnung «brut henne» kommt in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts bereits im «Sachsenspiegel», einem Rechtsbuch, vor; es legte fest, dass das Wehrgeld, d. h. die Busse, für ein getötetes Huhn einen halben Pfennig betragen soll, für eine Bruthenne während der Brutzeit jedoch drei Pfennige.

Das Wort Kluck(e) «Glucke», seit 1409 belegt, ist eine Entlehnung aus dem Niederdeutschen. Es ahmt den Laut nach, mit dem die Bruthenne ihre Küken ruft: sie gluckt. Die Bezeichnung Glucke, Gluggere lässt sich auf eine sehr fürsorgliche Mutter übertragen: Sie ist eine Glucke und lässt ihre Kinder nie aus den Augen. Der Reformator Martin Luther nennt in der Auslegung des Johannesevangeliums von 1527 Gott «eine edele henne, ein fein gluckhun» und eine «gluckhenne», weil er die Gläubigen wie eine Glucke unter seine Fittiche nimmt. Er brauchte Glucke auch, um den Sternhaufen der Plejaden bzw. das Siebengestirn zu bezeichnen, so wie Theodor May, der 1619 schreibt: «Die Glucken sein die siben kleine Gestirn.» Auch die Familiennamen Gluckhuhn, Gluckhohn, Glickhuhn, Gluckha(h)n sowie Kluckhuhn und Kluckho(h)n gehen zum Teil auf die alte Bezeichnung für die Bruthenne zurück; der erste Namensteil kann aber, wie bei Gluck, auf Glück oder dann auf klug zurückzuführen sein.

Aus den Eiern, welche die Bruthenne ausgebrütet hat, schlüpfen die Jungtiere, die wir mit dem aus dem Niederdeutschen entlehnten Wort Küken nennen. Die ältere Bezeichnung, die wohl aus dem Ostmitteldeutschen stammt und die wir heute kaum mehr hören, war Küchlein. Luther hat sie verbreitet; im Matthäusevangelium seiner Bibel von 1545 lesen wir: «Wie eine Henne versamlet ire Küchlin unter ire flügel.» Auch der evangelische Theologe Simon Pauli mahnt in seiner «Postill» von 1584, wir seien oft nicht so klug wie die «Küchlin», uns bei Gefahr unter die Fittiche «unser Gluckhennen Jhesu Christi» in Sicherheit zu bringen.

Die Bezeichnung Küken übertragen wir gern auf ein kleines Kind, so wie seit dem 17. Jahrhundert Nesthäkchen, älter Nestheckchen, Nesthecklein, das eigentlich ein im Nest ausgehecktes «ausgebrütetes» Vögelchen bezeichnet. In den Mundarten der deutschsprachigen Schweiz heisst das Küken Hüentschi, Hüeli oder Hüendli, in der Kleinkindersprache, lautmalerisch sein Piepsen nachahmend, Bibii, Bibeli bzw. Bibbeli. Bibii gilt manchmal, wie folgender Kindervers zeigt, als Lockruf für Hühner allgemein:

«Ds Marii geit i ds Hüennerhuus / u laat sini Bibii uus; / ‹Guete Taag, ir Hüendli mii, / chömet gleitig, bibibii!› / U dr Güggel chrääit im Tou: / ‹Güggerüggii, daa bin i ou.›»

Das Huhn gackert, gackst oder gackelt, in den Mundarten der deutschsprachigen Schweiz gagget, gagglet, gaggelet oder gaggeret es.

Auch Menschen, die schwatzen, durcheinanderreden oder wirres Zeug sagen, gackern. Bereits 1667 ist in einem Buch von einem «Rechtsverkehrer» und «Knäckles-Plauderer» die Rede, der «gackert und plappert». Bei Nietzsche fragt die Titelgestalt in «Also sprach Zarathustra» (1885) mit Blick auf die Menschen: «Alles gackert, aber wer will noch still auf dem Neste sitzen und Eier brüten?» Und in einem ntv-Internetartikel vom 5. November 2007 wird der Sprecher der Verkehrsgewerkschaft, Uwe Reitz, zitiert mit den Worten: «Die GDL (Gewerkschaft der Lokomotivführer) ist wie ein Hühnerhof. Jeder gackert vor sich hin.»

Das Erbwort Hahn ist verwandt mit lateinisch canere «singen» und meint demnach «der Sänger». Direkt vergleichbar, so scheint es, ist die griechische Bezeichnung ēïkanós «Morgenröte-Sänger». Der Hahn ist das Tier, das den Tagesbeginn mit seinem Gesang begrüsst; Georg Philipp Harsdörffer gibt in seinem «Poetischen Trichter» von 1647 folgende mögliche poetische Bezeichnungen für den Hahn: «dess Tages gewiesser Bott / der Sonnen Herold / der Vorsinger dess Liechtes / der Morgenröte Verkündiger.» In seiner Predigtsammlung «Gallus cantans» oder «Krähender Hauss-Hahn», 1677 geschrieben zum Aufwecken des «im Sünden-Schlaff ligenden Hauss-Gesind des Grossen Hauss-Vatters», womit die Christen und Gott gemeint sind, reimt Ignatius Trauner:

«Dich auffzuwecken kreht der Hahn / Und kündt den Tag mit Freuden an: / Wer schläffrig ist den schilt er auss / Wer gar nicht will ist ihm ein Grauss.»

Der Hahn kräht, chrääit und wird lautmalerisch nach seinem Ruf auch Gockelhahn oder Gockel, in der Mundart Gul(l)i, Gülli, Güggel, Gugel oder Gügeler genannt, denn er ruft kikeriki, in der Mundart güggerüggüü oder giggeriggii. So ruft er allerdings erst seit dem 19. Jahrhundert, neben kikeriki kikeriki bzw. kikeri-ki-ki oder kükerükü(kü), niederdeutsch kükerü. Im 18. Jahrhundert schrieb man seinen Ruf kikri und kikri-kikri-kikri-ki, im 17. Jahrhundert kekerlekyh, kikerlekih oder kükerlüküh, im 16. Jahrhundert, zum Beispiel in Georg Rollenhagens «Froschmeuseler» von 1595, guck guck currith und im 15. Jahrhundert beim Lübecker Bürgermeister Gerhard von Minden kukulûk. Ganz fremd klingt uns heute tutterhui; so lässt der Reformator Johannes Mathesius im 16. Jahrhundert den Hahn krähen. Auf Französisch ruft er cocorico, auf Italienisch chicchirichì, auf Spanisch quiquiriquí, auf Niederländisch kukeleku, auf Englisch cockadoodledoo, auf Finnisch kukko kiekuu. Was wir als lautnachahmend empfinden, vollzieht sich in der sprachlichen Realisation zwei- bis fünfsilbig in einem weiten lautlichen Spielraum.

Die fürsorgliche Henne

Wir können uns heute kaum mehr vorstellen, dass das Huhn für den Menschen einst die treusorgende Hausmutter symbolisierte. Der Schutz Gottes wird in der Bibel wiederholt mit dem Bild des Muttervogels illustriert, der seine Flügel schützend über seine Jungen hält. In Matthäus 23, 37 wird explizit die Henne genannt:

«Wie oft wollte ich deine (d. h. Jerusalems) Kinder um mich sammeln, so wie eine Henne ihre Küken unter ihre Flügel nimmt.»

In der lateinischen «Vulgata» lautet die Textstelle: gallina congregat pullos suos sub alas. Luther schreibt dazu: «Diese Gleichnis hie von der Hennen und iren Küchlin / ist dem Geist gar eine lustige / fröliche / hübsche Gleichnis.» Das positive Bild der Henne, das bereits in der frühchristlichen Literatur belegt werden kann, vermittelt die Literatur des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit weiter: die Henne ist fürsorglich und fleissig. So schreibt Konrad von Megenberg in seinem «Buch der Natur», dem ersten deutschsprachigen Tierbuch (um 1350):

«Gallina haizt ain henn. Augustinus spricht, daz diu henn die art hab, daz si gar vleizig und fürsihtig sei gegen irn kindlein, wan si sament (sammelt) si under ir flügel und füert si und beschirmt si vor dem weien oder vor dem hüenrarn (Falken).»

Auch im 17. Jahrhundert wird die Henne wortreich gelobt, z. B. vom Barockdichter Georg Philipp Harsdörffer in seinem «Poetischen Trichter» von 1648 als Sinnbild für eine gute Hausmutter:

«Die Eyer Mutter / ist stark / wild oder zahm / dess Haanen frommes Weib / die weisse / freche / bekräntzte / zarte / junge Eyrreiche Hänne die ihre Küchlein liebt / kluckt / gatzet / gackelt etc. Die Hänne hat die Deutung einer guten Hausmutter.»

Im 18. Jahrhundert hält die positive Einschätzung der Henne weiterhin an. Doch dem dummen Huhn begegnen wir auch bereits im Mittelalter. Im «Reinfried von Braunschweig», einem nur teilweise erhaltenen Versroman vom Ende des 13. Jahrhunderts, belehrt uns der Erzähler, wer es zulasse, dass er sich verliebe, obwohl er keine Aussicht auf Erfolg hat, der handle wie ein «tumbez huon daz brüetet / ein tôtez ei». Schondoch, ein Dichter des ausgehenden 14. Jahrhunderts, bezichtigt in einem seiner Gedichte jemanden, er sei tumber dan ein huon. Man konnte auch handeln wie ein toubez huon «stumpfsinniges, einfältiges Huhn»; der in Basel wirkende Dichter Konrad von Würzburg (um 1220–1287) braucht den Ausdruck wiederholt. In einigen mittelalterlichen Texten steht das Huhn für etwas Geringes oder gar Wertloses. Man gibt etwas umb ein huon «um nichts», für die Heiden sei ein Christ als ein huon, also wertlos. Jemandem konnte man drohen, ihn zu (zer)brechen als ein huon.

Zu einem sehr häufig gebrauchten, abschätzigen Ausdruck wurde dummes Huhn nicht im Zeitalter der Aufklärung, sondern im Zeitalter der bürgerlichen Überheblichkeit, im 19. Jahrhundert, weil das Bild der fürsorglichen oder gar mutigen Henne allmählich verblasste und weil viele, auch in der Gelehrtenwelt, das Huhn tatsächlich für dumm hielten, was man damals bereits in der Schule lernte:

«Das Huhn ist auch ein Thier. Es wohnt im Stall, ist scheu und dumm», doziert Friedrich Krumbachers «Lesebuch für das erste Schuljahr», das 1855 bereits in der zehnten Auflage vorliegt. In seinem «Bilderschmuck der deutschen Sprache» von 1886 will uns Herman Schrader weismachen, das redensartliche dumme Huhn sei tatsächlich dumm:

«Das Wort Huhn, in verächtlichem Sinne, dient als Schimpfwort, z. B. du bist ein dummes Huhn (in der That sind die Hühner sehr einfältig).»

Das dumme Huhn

Eine Frau oder ein Mädchen können wir, einer langen Tradition folgend, abschätzig als Huhn bezeichnen und sagen: Du Huhn, kannst du dich denn nicht konzentrieren? Eher nur herablassend ist das wohl aus dem afroamerikanischen Slang stammende Chick «junge Frau», das seit 1927 im amerikanischen Englisch belegt ist: He is going out with a real cool chick. Es ist heute im Deutschen als Lehnwort so bekannt, dass Alexandra Reinwarth und Susanne Glanzner im Buch «Der Chick-Code. Das Gesetzbuch für Chicks und den Umgang mit Bros» von 2011 Lebensregeln für Chicks formuliert haben. Auch im Französischen ist poule meist abwertend und bezeichnet eine leicht zu erobernde Frau oder eine Mätresse. Raimond Queneau erzählt in «Pierrot mon ami» von 1942 von einer «belle poule», Blaise Cendrars in «Bourlinguer» von 1948 von einer «poule de luxe».

Seit den 1990er-Jahren hat sich im Mittelbernischen henne zu einem Verstärkungswort mit der Bedeutung «sehr», verstärkt uhenne «ausserordentlich», entwickelt. Etwas kann hennegeil, henneschöön, hennegäbig oder uhenneguet, uhennekuul sein. In der «Neuen Zürcher Zeitung» vom 14. Februar 2014 schreibt Urs Bühler in der Glosse «Eins zu null für das Hähnchen»: «Das Resultat schmeckte so, wie es zwar kein Berliner, aber jeder Berner formulieren würde: ‹henne guet›.» Und Reto Stifel ist in seiner Berndeutsch geschriebenen Mundartkolumne in der «Engadiner Post» vom 21. Februar 2015 begeistert vom Wort umepäägge: «Aber das Wort umepäägge gfaut mir haut henne guet», schwärmt er. Woher henne als Verstärkungswort kommt, weiss ich nicht. Ich wage folgende Vermutung: Denjenigen, die das Wort in Umlauf gebracht haben, hat wohl das etwas grobe sou- in Wörtern wie souschöön, souguet nicht behagt, vielleicht weil sie da oder dort gemahnt wurden, das gehöre sich nicht. Also ersetzten sie sprachspielerisch sou durch henne und sagten fortan henneschöön, henneguet. Und siehe da, ihre spielerische Alternative setzte sich durch.

Besonders hartnäckig ist am Huhn das Eigenschaftswort dumm haften geblieben. Auch wenn wir heute mehr über Tiere wissen, die Frauen emanzipiert sind und den Männern deshalb der Ausruf du dummes Huhn und Bemerkungen wie die benehmen sich wie dumme Hühner weniger leicht über die Lippen gehen mögen als auch schon, sind sie unserer Alltagssprache nicht fremd. Beklopptes Huhn, blödes Huhn, doofes Huhn, einfältiges Huhn, eingebildetes Huhn, geiles Huhn bzw. geile Henne, irres Huhn, krankes Huhn, schräges Huhn, verklemmtes Huhn, aussehen wie ein gerupftes Huhn, aufgescheuchte Hühner, gackernde Hühner und verrückte Hühner sind, auf Frauen gemünzt, gang und gäbe. Sogar Frauen, die sich über sich selbst ärgern, soll manchmal der Ausdruck ich dummes Huhn entwischen. Weil wir das Huhn für dumm halten, sagen wir da lachen ja die Hühner, wenn wir meinen «das ist einfach unsinnig, lächerlich». In Sten Reens Roman «Kornblum» von 2010 heisst es von einer Frau in expliziter Sprache, «dass sie ein saudummes, hohles Huhn war, ein gefallsüchtiges Arschloch».

Dem faulen Huhn begegnen wir nicht erst in Janoschs Geschichte «Hans Hansens Trine ist ein faules Huhn», sondern bereits 1675 beim Barockdichter Michael Kongehl: «pakke dich / du faules Huhn». Das fidele Huhn kann sowohl einen Mann als auch eine Frau bezeichnen; «der Jörgele war ein fideles Huhn», schreibt Ludwig Ganghofer in «Lebenslauf eines Optimisten» von 1909–1911. In einigen Mundarten der deutschsprachigen Schweiz bezeichnet e gschupfts Huen eine «närrische Person». Der Dichter Joachim Ringelnatz schrieb Fanny von Deeters in einem Brief vom 6. April 1926: «Du bist ein geschupftes Huhn.»

Sogar den Ausdruck wilde Hühner, mit dem man eigentlich nicht domestizierte Hühnervögel wie den Fasan und das Auerhuhn bezeichnet, übertrugen wir auf Frauen, vor allem seit 1973, als die deutsche Kinder- und Jugendbuchautorin Cornelia Funke ihre sehr erfolgreiche siebenteilige Buchserie «Die wilden Hühner» begann, von denen «Die wilden Hühner» (2006), «Die wilden Hühner und die Liebe» (2007) und «Die wilden Hühner und das Leben» (2009) verfilmt wurden. Ab 2010 zog der Kinderbuchautor Thomas Schmid mit der Kinderbuchserie «Die wilden Küken» nach, die bis heute über ein Dutzend Bücher zählt.

Dem Vorurteil, das Huhn sei dumm, widersprach der Verhaltensforscher Erich Baeumer. Er forschte fünfzig Jahre lang über die Haushühner und veröffentlichte seine Erkenntnisse 1964 in einem Buch mit dem ironisch gemeinten Titel «Das dumme Huhn – Verhalten des Haushuhns». Viele Zeitungen nahmen in den vergangenen Jahren das Thema auf, z. B. die «Aargauer Zeitung» mit «Von wegen dummes Huhn! – Hühner können zählen und führen sich für Sex hinters Licht» 2016; der «Kurier» mit «Von wegen dummes Huhn», der «Standard» mit «Wie dumm Hühner wirklich sind» und die «Welt» mit «Huhn: Von wegen dumm, das Geflügel ist ziemlich schlau» 2017; der «Blick» mit «Der Ausdruck ‹dummes Huhn› stimmt so nicht» 2018. Die Zeitungsartikel häuften sich in dieser Zeit, weil 2013 das Buch «Das Huhn», herausgegeben von Joseph Barber, erschienen war und weil 2017 die Hirn- und Verhaltensforscherin Lori Marino den viel beachteten wissenschaftlichen Artikel «Thinking Chickens: a review of cognition, emotion, and behavior in the domestic chicken» veröffentlicht hatte. Auffallen muss, dass sowohl Baeumer als auch die meisten Zeitungsartikel sich auf den Ausdruck dummes Huhn bezogen; was deutlich macht, wie oft wir ihn brauchen.

Doch die Mär vom dummen Huhn wird bis heute weiterverbreitet. Der Trickfilm «Fine Feathered Friend» von 1942 aus der Tom-und-Jerry-Serie von Hanna und Barbera hiess in der deutschen Übersetzung «Tom und das dumme Huhn». Schobert & Black veröffentlichten 1973 mit Ulrich Roski das Lied «Dummes Huhn, was nun». Der Inder Idries Shah (1924–1996), der in England lebte, erzählte die Sufigeschichte «The Silly Chicken – das dumme Huhn», die von Jeff Jackson illustriert 2015 als sehr erfolgreiches Kinderbuch erschien. Darin versetzt ein Huhn eine ganze Stadt mit seinen erfundenen Geschichten in Aufruhr. Die Leute glauben ihm, ohne nach seiner Glaubwürdigkeit zu fragen.

Für noch dümmer als das Huhn hielten viele ältere Autoren die erst im 17. Jahrhundert nach Europa eingeführte Pute oder das Truthuhn, welches bis ins 19. Jahrhundert auch welsches, türkisches, indianisches oder kalekutisches Huhn genannt wurde, weil man damals den aus Nordamerika stammenden Exoten in Indien beheimatete. «Die welschen Hühner [sind] so dumm», behauptet der Autor des «Magazins des Ausserordentlichen in der Natur, der Kunst und im Menschenleben» von 1816, «dass sie oft nicht sehen, wo sie hintreten». Dem widerspricht 1863 ganz zaghaft der Autor eines landwirtschaftlichen Handbuches: «Viele halten die Truthühner für sehr dumm – nach meinen Beobachtungen sind sie es jedoch nicht so sehr», schreibt er.

Die Dummheit der Pute und des Puters könnte aus dem Französischen ins Deutsche entlehnt worden sein, denn dort heisst bête comme un dindon seit der Mitte des 18. Jahrhunderts «sehr dumm» und c’est un dindon «er ist ein Dummkopf». Auch die Bezeichnung dindonière «Putenhirtin» konnte man abwertend im Sinne von «dummer Dorftrampel» verwenden. Bereits 1790 wurde der dumme Truthahn deutsch. Im deutschsprachigen Schauspiel «Das Gallerie-Gemählde» behauptet eine Figur: «Der Mensch ist so dumm, wie ein Truthahn.» Zu Beginn des 19. Jahrhunderts finden wir dumm wie ein Puter in einem deutsch-französischen Wörterbuch und 1860 erklärt Johannes Leunis in der «Synopsis der Naturgeschichte des Tierreichs», der Puter sei sehr kampflustig, zänkisch und sehr dumm, «daher die Redensarten: dumm wie ein Puter; Puterjunker d. h. ein einfältiger, dummer Landjunker; putern, d. h. schnell und unverständlich reden». Heute sagen wir nicht mehr er ist dumm wie ein Puter, sondern sie ist eine dumme Pute bzw. dumm wie eine Pute, seltener sie ist eine dumme Trute, und verwenden damit einen Ausdruck, der seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts belegt ist. Auch von der blöden Pute liest man seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts oft. Die Bezeichnungen Pute und Trute beziehen sich übrigens lautmalend auf das Kollern der Tiere.

Auch die dumme Gans läuft dem dummen Huhn noch den Rang ab. Sie ist seit dem 18. Jahrhundert sehr verbreitet: «Lucretia war eine dumme Gans» (1746), «[sie] stellete sich nicht anders als eine dumme Gans an» (1748), «weil dieses Thier sehr dumm ist, so nennet man im gemeinen Leben einen dummen einfältigen Menschen eine dumme Gans» (1777).

Doch zurück zum Huhn. In Andreas Corvinus’ «Fons Latinitatis» von 1633 wird lateinisches Ambulatrix mit «Gassenhun» übersetzt, das in Denzlers Überarbeitung von 1715 erweitert wird zu «Gassenhun / weib so stäts auff der gassen / ein ausfrau / nicht hausfrau». Eine neugierige Frau ist nach einer Quelle von 1863 hingegen ein Gwunderhuen.

In den Mundarten der deutschsprachigen Schweiz unterstellt man mit dem Wort hüennere «unbedacht, kopflos gehen oder herumrennen» dem Huhn noch eine weitere negative Eigenschaft, die man auf den Menschen überträgt. Was hüennerisch eso uf d Straass use, kann ich ein Kind, das ohne zu schauen auf die Strasse tritt, vorwurfsvoll fragen. Ein Mensch kann desumehüennere oder umehüenere «ziellos herumgehen». Er kann Termine, Abmachungen bzw. Sachen verhüennere «durcheinanderbringen bzw. so verlegen, dass man sie nicht mehr findet». Eine Frau, die etwas verhüenneret, kann von sich behaupten, i bin es Huen oder i bin es stuurms Huen. Muss jemand mit einer neuen Situation zu Rande kommen, kann ich sagen: Er isch no chli verhüenneret «durcheinander», aber das besseret de scho. Ein Durcheinander ist ein Ghüenner oder eine Hüennerete.

Die Hühner, die auf der Suche nach Futter scheinbar ziellos durch die Gegend hüennere, lassen überall ihren Kot fallen. Diese Eigenart kommt in der Redewendung la lige wi d Hüenner dr Dräck «überall herumliegen lassen, unordentlich sein» und in der Ostschweizer Wendung all Henneschiss «immer wieder» zum Ausdruck.

Mit den Hühnern zu Bett

Wer Hühner hält, muss sie am Abend eintreiben und im Stall einschliessen, um sie vor Füchsen, Mardern und Nachtraubvögeln zu schützen; d Hüenner itue, heisst das in der Mundart. «Hüener iitue u Chüngle mischte», schreibt Stef Stauffer im Roman «Hingerhang» von 2018. Als Redensart im übertragenen Sinn gebraucht, meint öpperem d Hüenner itue, «jemanden zurechtweisen». Die Hühner suchen ihre Schlafstelle auf, sobald die Dämmerung einsetzt. Wer mit den Hühnern zu Bett geht und mit den Hühnern aufsteht, mundartlich mit de Hüenner undere geit u mit de Hüenner ufsteit, «geht früh zu Bett und steht früh auf», und zwar seit dem 16. Jahrhundert: «Wer will frühe auffstehen / der muss mit den Hünern zu beth gehen», heisst es 1602 in «Der Teutschen Weissheit». Auch im Französischen und Englischen ist se coucher avec les poules und se lever avec les poules bzw. to go to bed with the chicken seit dem 18. Jahrhundert belegt.

In den traditionellen Hühnerhäusern setzten sich die Hühner zum Schlafen auf eine erhöhte Sitzstange, welche Sedel oder Sädel genannt wurde. Sedel «Sitz, Heimstatt» ist ein mit siedeln, Siedler, Siedlung verwandtes Erbwort. Ds Huen sädlet sech, sagt man; i ga z Sädel meint im übertragenen Sinn «ich gehe ins Bett, ich lege mich zur Ruhe», wer sech sädlet «lässt sich nieder, sitzt ab».

Ein blindes Huhn findet auch einmal ein Korn oder auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn kann ich sagen, wenn ich meine «zufällig gelingt (selbst dem Unfähigsten) mal etwas». Der älteste mir bekannte Beleg stammt aus Rollenhagens «Froschmeuseler» von 1595: «Ein blind Hun findt auch wol ein Korn.» Dieselbe Form der Redensart ist auch in «Der Teutschen Weissheit» belegt und scheint die älteste zu sein. In der «Historia meteorologica» von 1651 lesen wir jedoch, wer Wetterphänomene voraussage, ohne sich an Regeln zu halten, lande nur zufällig einen Treffer «oder findet wie ein blind Huhn eine Erbeiss (Erbse)». Auch im Schauspiel «Der pedantische Irrthum» von 1673 sagt eine Figur: «Ein blind Huhn findet auch einmahl eine Erbse.» Zudem findet im «Hannoverischen Magazin» von 1779 «auch ein blindes Huhn ein Haberkorn» und in Sophiens von Karlitz «Heiratsmaximen» von 1786 erwischt ein Freier «ein Mädel, wie ein blindes Huhn ein Gerstenkorn».

Statt vom blinden Huhn ist in vielen Belegen seit dem 16. Jahrhundert vom blinden Hahn die Rede: Wir lesen, dass «ein blinder Han ein Körnle gefunden» habe (1595) und «ein blinder Han find auch ein Gersten körnlin» (1630) bzw. «ein Weizenkörndl» (1929). Philipp Balthasar Sinold von Schütz behauptet in seiner «Europäischen Fama» von 1707 von einem General, er habe «von seinen befochtenen Siegen kein grösseres Glücke, als ein blinder Hahn, der zuweilen eine Erbse findet». Sowohl Huhn als auch Hahn sind also möglich und das Korn kann auch ein Körnle sein, ein Gersten-, Weizen- oder Haferkorn bzw. eine Erbse.

Der griechische Fabeldichter Phaedrus, der in der Zeit um Christi Geburt lebte, schrieb eine Fabel, welche Gotthold Ephraim Lessing unter dem Titel «Die blinde Henne» ins Deutsche übersetzte: Eine blinde Henne scharrt fleissig, und sooft sie ein Korn ausscharrt, pickt es ihr eine sehende Henne weg. Ein Zusammenhang zwischen Fabel und Redensart ist nicht wahrscheinlich.

Der Redensart vom blinden Huhn, welches ein Korn oder eine Erbse findet, begegnen wir auch im Niederländischen, Dänischen, Schwedischen und Französischen. Sie gehört zu einer Gruppe verwandter Redensarten, in denen ein blindes Lebewesen etwas findet, z. B. eine Taube: In Joachim Manzels «Spicilegium historico-philologicum» von 1701 habe ich einen ersten Beleg gefunden für «eine blinde Taube findet auch zuweilen eine gute Erbse». «Seltner werden Cardinäle, in ihrer jetzigen Lage, einen guten Papst treffen, als blinde Tauben eine Erbse finden», behauptet Schlötzers «Stats-Anzeiger» von 1786. Diese Redensart steht sogar noch im «Protokoll des ordentlichen Gewerkschaftstages der Industriegewerkschaft Bau, Steine, Erden» von 1953: «Es gibt ja auch blinde Tauben, die ebenfalls mal eine Erbse finden.»

In vielen deutschen Mundarten belegt ist die Redensart auch eine blinde Sau findet mal eine Eichel, so z. B. im Aargauischen, es hät scho mängi blindi Suu en Eichle gfunde, und im Seealemannischen, s hot scho oft e blinde Sau e Eichel gfunde. Im Jahr 1780 predigt der legendäre Wiesenpater aus dem bayerischen Ismaning: «Wenn sich ein grosser Sünder auf’m Todtbeth bekehrt, so ist’s grad so viel, als wenn eine blinde Sau eine Eichel find’t.» In etwas anderer Form lesen wir sie in «Mahomets und Türcken Grewel (Gräuel)» von 1664: «wie eine blinde Sau ein Ruben (Rübe) erwischt». Sogar im Buch «Pennsylvania-German dialect» von 1989 finden wir «e blindi Sau find aa ebmools en Ärbs».

Die Redensart gibt es sogar mit der blinden Kuh. In seinem Buch «Die Thiere in der indogermanischen Mythologie» von 1874 legt Angelo de Gubernatis die Redensart wie eine blinde Kuh eine Erbse findet gleich mythologisch aus:

«Das deutsche Sprichwort ‹Wie eine blinde Kuh eine Erbse findet› wird jetzt zur Bezeichnung einer Unmöglichkeit angewendet; und doch findet in dem Mythus die blinde Kuh (oder die Nacht) wirklich die Erbse oder Bohne (den Mond), welche in jeder Hinsicht identisch ist.»

Das ist ein gewagter Schluss, wenn man sieht, mit wie vielen Tieren diese Redensart vorkommt. Manchmal findet die blinde Kuh auch eine Eichel oder eine Erdbeere, wie in der Rottenburger Redensart da hat einmal eine blinde Kuh eine Erdbeere gefunden, die in Wanders «Sprichwörter-Lexikon» von 1870 aufgeführt ist.

Ebenfalls verbreitet ist die Redensart vom Blinden, der ein Hufeisen findet. Belegt ist sie bereits 1541 in Sebastian Francks Sprichwörtersammlung in der Form «es findt auch ye ein blinder ein hufeisen» und in einem Faust-Buch von 1681: «Es findet bisweilen auch der Blinde ein Hufeisen / und eine blinde Henne ein Körnlein.»

Ich habe mit dir noch ein Hühnchen zu rupfen, mit diir han i non es Hüendli z rupfe meint seit der Mitte des 19. Jahrhunderts «ich habe mit dir noch etwas zu bereinigen». Älter und seit der Mitte des 18. Jahrhunderts belegt ist mit jemandem ein Hühnchen zu pflücken haben. Der Schriftsteller und Sprachforscher Johann Christoph Gottsched führt in seiner «Deutschen Sprachkunst» von 1752 «mit einem ein Hühnchen pflücken» auf. In dieser Form nimmt Adelung die Redensart 1798 in sein Wörterbuch auf: «Wir haben noch ein Hühnchen mit einander zu pflücken, figürlich, wir haben noch eine unangenehme Sache mit einander auszumachen.» Diese Form ist bis heute vor allem im Norden Deutschlands gebräuchlich.

Jean de la Fontaine (1621–1695) erzählt uns die Fabel «La poule aux œufs d’or – Das Huhn mit den goldenen Eiern», die auf den Griechen Phaedrus zurückgeht. Sie handelt von einem Geizhals, der eine Henne besitzt, welche ihm goldene Eier legt. Weil er in ihrem Innern einen grossen Schatz vermutet, tötet er sie und beraubt sich so der Quelle seines Reichtums. Aufgrund dieser Geschichte entstand die Redensart das Huhn, das goldene Eier legt, schlachten «sich seiner Lebensgrundlage berauben». Die deutsche Übersetzung des Berichts «Reise durch Auvergne» von 1791 erzählt, wie vulkanische Grasböden unter den Pflug genommen werden und nach einmaliger Ernte zerstört zurückbleiben: «So betrügt sich die gierige Unwissenheit. Sie öfnet das Huhn um goldene Eier und tödtet es», klagt der Erzähler. Auf «focus online» lesen wir in einem Artikel vom 7. Oktober 2017 über den Autohersteller Skoda: «Niemand schlachtet das Huhn, das goldene Eier legt.» Seit dem 20. Jahrhundert begegnet man auch der Form die Gans, die goldene Eier legt, töten oder schlachten.

Der stolze Hahn

Der Hahn erscheint als Wappentier, den kämpfenden Krieger symbolisierend, bereits in der griechischen Antike. Wegen seines feuerroten Kammes und weil er den Morgen verkündet, symbolisiert er zudem das Licht und als roter Hahn den flackernden Brand. Deshalb steht seine Nachbildung als Feuerwächter auf Hausdächern. Auf Kirchturmspitzen stellt der Hahn seit dem 9. Jahrhundert die Wachsamkeit dar. Im Mittelalter verkörperte er den Sieg Christi als lumen mundi «Weltlicht» über das Dunkel der Nacht und er mahnte die Gläubigen an das Morgengebet.

Der berühmteste Hahn der christlichen Welt ist wohl derjenige im Matthäusevangelium, von dem Jesus zu Petrus sagt: «In dieser Nacht, ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen.»

Einer der bekanntesten Hähne der weltlichen Literaturgeschichte ist Chanteclair. Er ist der Gegner des Fuchses im altfranzösischen «Roman de Renart», dessen älteste überlieferte Fragmente aus dem 12. Jahrhundert stammen. Ab Ende des 12. Jahrhunderts entstehen deutsche, niederländische, niederdeutsche und englische Versionen der Geschichte um Reineke Fuchs. In den ältesten deutschen Fassungen hat der Hahn den noch ganz dem französischen Vorbild nachgebildeten Namen Scantekler. Später erhält er den zu Hahn stabreimenden Namen Henning. Er klagt Reineke an und trägt als Corpus Delicti die von ihm totgebissene Henne Kratzfuss vor König Nobel. Zwei weitere Hähne treten in der niederdeutschen Fassung «Reinke de vos» von 1498 als Zeugen auf. Der eine heisst Kreiant «Kräher» und ist «de beste hane, den men vant / twischen Hollant unde Frankrîk». Der andere heisst Cantart «Sänger (aus lateinisch cantare ‹singen› gebildet)» und ist «sêr kone unde upricht – sehr kühn und rechtschaffen». Noch in Goethes «Reineke Fuchs» von 1794 heissen die drei Hähne Henning, Kreiant und Kantart. Bis ins 20. Jahrhundert bleibt der Name des Hahns im Französischen literarisch lebendig, denn 1910 veröffentlicht der Theaterautor Edmond Rostand das Stück Chantecler. Im Märchen kennen wir den Hahn in den «Bremer Stadtmusikanten» und in «Hans mein Igel», in dem der mit einer Igelhaut geborene Hans einen Hahn, der Mut und Kampfwille symbolisiert, als Reittier benutzt.

Clemens von Brentanos «Märchen von Gockel, Hinkel und Gakeleia» klingt zwar der Namen wegen nach einer Hühnerhofgeschichte, aber es spielt ganz in der Menschenwelt und erzählt vom Raugrafen Gockel von Hanau, seiner Frau Hinkel und seiner Tochter Gakeleia.

Der stolze und kämpferische Hahn wurde bereits in der Antike sprichwörtlich. Das bei Seneca belegte lateinische Sprichwort gallus in suo sterquilino plurimum potest bzw. multium potest hat in den europäischen Sprachen eine starke Wirkung entfaltet. Es ist im Deutschen vom 16. Jahrhundert bis heute ganz unterschiedlich übersetzt worden. In Sebastian Francks Sprichwörtersammlung von 1545 lesen wir «ein yeder […] han ist freidig (kühn, furchtlos) uff sinem mist». Ein lateinisch-deutsches Wörterbuch von 1734 übersetzt «der Hahn gilt auf seinem Mist das meiste». Und in einem Wörterbuch der lateinischen Sprache von 1844 lautet die Übersetzung «jeder ist Herr in seinem Hause».

Dabei muss man wissen, dass der seit dem späten Mittelalter gebrauchte Ausdruck auf seinem Mist die Bedeutung «auf seinem Hof» hat, wenn von Bauern die Rede ist. Einen Tagelöhner soll man nur so lange beschäftigen, sagt eine Rechtsquelle, «das er allwegend (immer) ze naht da heime mit dem vihe uf sinem mist si». Und Heinrich Wittenwiler wundert sich in seinem «Ring» (um 1400) über einen Tölpel, der «da haim uf sinem mist / ist worden ein so guot jurist». Wir sagen heute noch das ist auf meinem Mist gewachsen für «das kommt von mir, das habe ich gemacht, das ist meine Idee, mein Plan».

Im Deutschen ist seit dem 18. Jahrhundert auch Hahn auf seinem Mist sein «Herr sein auf seinem, wenn auch noch so kleinen Besitz» belegt. Diese Redensart hängt vielleicht zusammen mit französisch fier comme un coq sur son pailler «stolz wie ein Hahn auf seinem Mist», neuer einfach fier comme un coq «stolz wie ein Hahn», belegt seit dem 17. Jahrhundert. Sie gelangte ins Englische as proud as a cock (on his dunghill) und ins Deutsche stolz wie ein Hahn (auf dem Mist). In der Mundart der deutschsprachigen Schweiz kann man für «er ist stolz» auch sagen er spreizt si wie ne Güggel oder er stellt dr Chopf wie ne Güggel. Im «Affenmährchen» von 1845 lesen wir: «Der Herr Vice-Ungerechte-Steuer-Erheber spreizt sich wie ein Hahn auf der Schwelle des Ausgepfändeten.» Einer, der sich grossartig und wichtig vorkommt, stellt dr Chamme (wi dr Güggel uf em Mischt), der Jähzornige springt uuf wie ne Güggel.

Kampfhähne werden für Hahnenkämpfe abgerichtet. Im übertragenen Sinn ist ein Kampfhahn ein «streitlustiger, leicht erregbarer Mann» und ein Hahnenkampf eine «Auseinandersetzung von eitlen Männern (um eine Frau)». Der Hahnenkampf ist auch ein Spiel, bei dem zwei Kontrahenten mit vor der Brust verschränkten Armen auf einem Bein gegeneinander anhüpfen, bis einer das Gleichgewicht verliert. Mit «Hahnenkampf am Penaltypunkt» überschreibt der «Bund» vom 18. September 2017 einen Artikel, der von einer Auseinandersetzung zwischen den Fussballstars Neymar und Cavani berichtet.

Der Hahn kräht nach der verlorenen Henne, weil er sie vermisst. Ein Mensch oder eine Sache kann so unbedeutend sein, dass ihnen, redensartlich gesprochen, kein Hahn mehr nachkräht. Einer der frühesten Belege findet sich 1524 in einem Brief, in dem der Steuereinnehmer Hans Zeiss behauptet, dass in seinem Ort Allstedt viele Leute erstochen und erschossen worden seien, und ergänzt: «Da kräht kein Hahn noch Henne nach.» Auch Luther braucht die Redensart, und der Dramatiker Hans Sachs schreibt 1561: «Wo aber ich armer nem schaden, / so kreet doch kein han nach mir.» Moses Pflacher predigt 1588:

«Der Mensch ist von Natur also geartet / wann er jemand beleidiget hat / so acht ers ring / schlägts bald in wind / meinet es sey gleich vergessen / kein Hane werde mehr darnach kräen.»

Die Redensart ist also bereits im 16. Jahrhundert gut bezeugt und wird noch heute gern gebraucht. Der Autor Harald Grill veröffentlichte 1990 sein erfolgreiches Jugendbuch «Da kräht kein Hahn nach dir», und die «Berner Zeitung» gab am 8. Februar 2017 einem Interview mit Martin Rufener, einst Cheftrainer der Schweizer Männer im Skisport, den Titel «Es kräht kein Hahn nach dir».

Doch seit dem 16. Jahrhundert kräht manchmal auch keine Henne einem toten Hahn nach. In Johann Fischarts «Geschichtklitterung» von 1575 lesen wir: «Wann der Han todt ist krähet kein Henne nach ihm, niemand truckt ihm mit tieffgesuchten Turteltaubenseufftzen die augen zu, niemand nimpt Leydkleyder auff ihn auss.» Und Christoph Lehmann behauptet in seinem «Politischen Blumengarten» von 1662 sogar, «wann der Hund tod ist / so krähet keine Henne mehr nach». Der «Hund» war in der Vorlage sehr wahrscheinlich ein Hahn; der Schreiber hat sich verschrieben.

Wer in einem Kreis der Mittelpunkt ist und bevorzugt wird, ist Hahn im Korb. Das «Oltner Tagblatt» titelt am 9. September 2014: «Der Auszubildende ist der ‹Hahn im Korb›.» Die Redensart finden wir in der älteren Form der beste Hahn im Korb sein seit dem 16. Jahrhundert, und zwar in Eberhard Trapps «Germanicorum adagiorum» von 1539 und in Sebastian Francks Sprichwörtersammlung von 1541 in derselben Form: «er duncket ime der beste hane im korbe sein – er hält sich für den besten Hahn im Korb.» Ein Lexikon der Künste und Wissenschaften von 1767 erklärt: «Der beste Hahn im Korbe seyn, heisst an einem Orte beliebt und vor andern angesehen und wohl gelitten seyn.» Dazu erklärt das «Deutsche Wörterbuch»: «Unter dem jungen hühnervolke, das im hühnerkorbe bewahrt wird, ist der hahn das beste und geschätzteste stück.»

Seit dem 16. Jahrhundert ist auch die beste Henne im Korb sein belegt. Daniel Cramer schreibt 1596 in seinem «Antiquarius», dass beim fröhlichen Treiben junger Gesellen der ausgelassenste «die beste Henne im Korb» sei.

Im Französischen kennt man être bzw. vivre comme un coq en pâte. Ein Beleg aus dem Jahr 1694 lautet: «On dit prov. d’un homme qui est fort mollement à son aise, qu’il est là comme un coq en paste – man sagt redensartlich von einem Mann, der es sehr behaglich hat, er sei wie ein Hahn im Teig.» Meines Wissens hat Peter Rosegger diese Redensart zuerst auf Deutsch gebraucht in «Heidepeters Gabriel» von 1882. Darin sagt eine Wirtin von einem Arzt, er sei ihr lästig, weil er «auf hohem Ross herumhopse und stolziere wie der Hahn im Teig».