Nur noch einmal - bis zuletzt - Maxi Hill - E-Book

Nur noch einmal - bis zuletzt E-Book

Maxi Hill

0,0

Beschreibung

Als Peter Simon seiner Frau Dana gesteht, dass er sie für eine viel jüngere, attraktive Frau verlässt, bedrängt sie ihn nicht. Sie tobt nicht, sie bittet ihn nur, er möge solange warten, bis ihr gemeinsamer Sohn Lasse sein Abitur in der Tasche hat. In dieser Zeit soll er ein völlig intaktes Leben mit ihnen führen, so wie sie es immer gelebt haben mit allen guten Gewohnheiten. Diese vier Wochen sind für beide Himmel und Hölle zugleich. Danach ist nichts mehr, wie es war…

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 227

Veröffentlichungsjahr: 2017

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Maxi Hill

Nur noch einmal - bis zuletzt

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Späte Reue

Kapitel I — Dana Simons Tagebuch

Nur vier Wochen wie früher

Leben wie einst im Mai?

Der ganz profane Alltag

Mein geliebter Sohn Lasse

Dein Wille geschehe

Krieg und Frieden

Waffenstillstand ist kein Sieg

Kapitel II — Meine Freundin Dana Simon

Kapitel III — Lasse Simon

Kapitel IV — Jodie Hawn

Mona Fischer; Ich wollte nicht lockerlassen

Kapitel V — Peter Simon: Anfang und Ende

Jodie und die Verführung

Das Unerwartete

Warum sollte ich sie auf Händen tragen?

Ja, ich trage dich auf meinen Händen

Ich werde sterben

Der Brief

Der bittere Preis einer späten Reue

Maxi Hill

Bibliografischer Überblick über die jüngsten Maxi-Hill-Bücher

Impressum neobooks

Späte Reue

»Wenn meine brachiale Ouvertüre dich erschreckt, dann leg das Buch zur Seite. Nur wenn du den elementaren Hintergrund meiner Lage erfahren willst, wirst du mich erkennen – wirst du sie erkennen: Dana — meine Frau. Von ihr erzählt das Buch. Sie war der Reichtum, sie war das Glück meines Lebens – zwanzig Jahre lang. Alles, was gut an mir ist, hat sie in mir erweckt. Ich hatte es nur nicht mehr gesehen, dabei war ein Leben ohne sie über Jahre nicht vorstellbar, bis geschah, was nie hätte geschehen dürfen…

Die Lust an Jodies Verrücktheiten hatte meine Augen getrübt, hatte meine Sinne verwirrt. Natürlich – wenn es um Eigenbetrachtung geht, schließt man vieles aus, zugleich lässt man noch mehr zu.

Ich versuche, schonungslos zu sein, die Anatomie meines Lebens zu beschreiben, wie ich es sehe – jetzt, und wie sie es sah – damals.

Ich bin nicht besser als diejenigen, die ich in guten Jahren verurteilt habe. Ich sah nur mich, meine Lust, meine Freude, meinen Erfolg — und Erfolg gibt uns Recht. So sagt man schließlich.

Selten habe ich mich so schlecht gefühlt, zugleich so ungerecht bestraft. Ich kenne keine Situation in meinem Leben, die schwerer zu ertragen war, als die Erkenntnis: Du bist nicht der, der du immer sein wolltest. Noch nie in meinem Leben spürte ich eine so wachsende Abneigung gegen mich, gegen alles, was ich sein wollte und noch mehr gegen das, was ich bin. Ich verfluche den Tag, an dem ich ihr sagte: Ich will die Scheidung.

Ich habe nichts begriffen. Gar nichts. Unheimlich, wenn die Erkenntnis wie in Stein gemeißelt vor einem steht: Wäre ich ihr nie begegnet, es wäre mir, es wäre ihr besser ergangen…

Ich habe den Gipfel des Erfolgs in mir selbst gesehen, die männliche Erfüllung im Sport, die sexuelle Befriedigung mehr und mehr in Jodie. In deren Augen war ich die Verkörperung des Erfolges. Was wundert es, wenn Jodie mich himmelhochjauchzend bewunderte und ich ihr nur deshalb völlig verfallen war. Danas Bewunderung hielt sich längst in Grenzen - mit Recht.

In diesem Augenblick, wo ich gerechterweise auf die Scherben meines Lebens blicke, verstehe ich, was es wert war, mein «ausgefülltes Leben». Von Erfüllung will ich nicht reden, weil nichts geblieben ist.

Mein Leben mit Dana war zwanzig Jahre lang auf Liebe gegründet, auf Achtung, auf Geben und Nehmen.

Was war mein Trugschluss? Die Liebe kann reisen, wohin sie will? Nein, sie kennt klare Grenzen und ist endlich wie das Leben. Wer sie verliert, findet sie nicht wieder – nicht dieselbe jedenfalls. Auf einmal gibt es noch so viel zu sagen, so viel zu tun, so viel zu verändern. Wer gibt mir diese Chance? Nicht einmal mein Sohn. Auch er wird eines Tages in dieselbe Lage kommen, weil wir Männer so gestrickt sind.

Wer mir jetzt seine Aufmerksamkeit schenkt, wird alles über Dana erfahren. Ob er mich versteht, ist fraglich…«

Kapitel I — Dana Simons Tagebuch

Nach einer der vielen schlaflosen Nächte fasse ich den Entschluss, aus dem gemeinsamen Schlafzimmer auszuziehen. Das Leben ist mir seit einer gewissen Zeit unerträglich geworden. Nun ist zu meinem Dilemma, für das ich nicht kann, für das vermutlich niemand kann, etwas hinzugekommen, das ich selbst zu verantworten habe. Man kann sich das Leben schön denken, zumal man ein schönes hatte und genau weiß, wie es ist. Man kann jedoch seine Augen öffnen und genau hinschauen…

Was wäre jetzt, hätte ich nicht genau hingeschaut?

Seit langem kann ich nicht verstehen, weshalb mein zwanzigjähriges Leben mit Peter in großer Liebe und Wärme in kurzer Zeit abgekühlt ist. Freilich gebe ich mir die Schuld. Wenn ich etwas verabscheue, dann ist es Mitleid. Ich würde mich dafür hassen, wenn all die Zuneigung, all die Liebe und Wärme, die in Peter liegt, nur noch aus Mitleid oder Gewohnheit zu mir kämen. Auch andere Paare fallen mit den Jahren nicht mehr täglich übereinander her. Auch andere Männer sind beruflich hart gefordert, haben kaum Zeit für die Sorgen und Nöte ihrer Frauen und Kinder. Warum sollte es in meiner Ehe anders sein? Mir liegt nichts an Misstrauen, obwohl ich mir etwas mehr Verständnis wünsche. Mir liegt ebenso wenig an egoistischem Recht, obwohl mich die letzte Zeit gebeutelt hat. Überdies weiß ich nur zu gut, wie sehr gerade ich mich verändert habe.

Wäre dieser besondere Abend nicht gewesen, ich hätte bis heute an nichts Entscheidenderes gedacht, als an Peters Ehrgeiz für seinen Job bei der Stadtentwicklung, gleichermaßen an seine Liebe zum Sport. Selbstbetrug ist leichter zu ertragen als jede Gewissheit.

An diesem Abend kam er früher als erwartet nachhause. In meinem Herzen hüpfte die Erregung, glaubte ich doch, er hätte sich wegen unseres bevorstehenden Hochzeitstages für Mitternacht etwas Besonderes ausgedacht, wie es bisweilen üblich war in unserer guten Zeit. Wir feierten oft bei Nacht, weil die Tage ausgefüllt waren von Pflichten.

Schon von der Tür her rief er mir zu: »Schatz, ich muss gleich wieder weg… warte nicht auf mich.«

Er huschte ins Badezimmer, pfiff beim Duschen, rasierte sich sogar noch einmal und zog das neue Hemd unter den neuen roten Pullover. Beides hatte ich ihm unlängst aus der Boutique mitgebracht, weil er aus Bequemlichkeit nur noch per online einkauft, jedoch selten etwas umtauscht. Rot steht ihm besonders gut, macht ihn sexy. Zudem hebt es meine Stimmung, wenn ich ihn darin sehe. Um ehrlich zu sein, wenn ich ihn sehe, hebt sich meine Stimmung schon seit fünfundzwanzig Jahren. Das hätte sich vermutlich nicht geändert, wäre dieser Tag, wäre mein spontaner Entschluss nicht geboren.

So spontan war der Entschluss gar nicht, er wäre aber niemals geboren worden, hätte es zwei oder drei Tage zuvor nicht eine Episode geben, die mich das erste Mal an meinem Mann hat zweifeln lassen.

Ich hatte gekocht. Der Duft zog bereits durch das ganze Haus. Meine Männer scharwenzelten auffallend oft vor der Küche herum – ich bevorzuge die offene Küche, um nicht ständig das Gefühl zu haben, ausgesperrt zu sein.

Die beiden machten ihre Witze von der Überproduktion ihrer Verdauungssäfte und ob ich mit ihnen noch lange Waterboarding betreiben wolle. Ob ich nicht wüsste, dass es zu den geächteten Foltermethoden auf Guantanamo gehöre.

Ich war bei den letzten Handgriffen für ein luftiges Obst-Sahne-Dessert, das ich nur ihnen zuliebe bereitete. Ich selbst lehnte derart Kalorienzufuhr rundweg ab.

Lasse war plötzlich etwas eingefallen. Also zog er seinen Vater mit sich fort. Sie hatten nicht selten miteinander ein Problem zu lösen – wie Lasse es nannte.

Peters Smartphone ertönte. Er hatte es auf dem kleinen Bord liegenlassen, nachdem er zuvor mehrfach versucht hatte, jemanden zu erreichen. Ich konnte in diesem Moment den Schlagmixer nicht ausschalten, schaute nur mit einem Auge auf das Display. Neben einem Smily mit Kussmund stand »Jodie ruft an«.

Peters raschen Schritte auf der Treppe, zurück von Lasses Reich, waren nicht ungewöhnlich. Er war ein zuverlässiger Mann. Er ließ nie jemanden lange warten. Vermutlich hatte er genau diesen Jemand bereits zu erreichen versucht. Hastig schnappte er sich das Handy und verließ den Raum. Erst im Flur meldete er sich, schloss sofort die Tür vom Arbeitszimmer hinter sich und blieb nur kurze Zeit weg. Dann stand er vor dem Küchentresen und druckste ein paar nichtssagende Worte heraus, die eher an eine Störung erinnerten, als daran, was dann geschah. Ich fragte ihn: »Wer ist das Mädchen?«

»Unser Zugpferd«, erwiderte er. »Ich hab dir von ihr erzählt.«

Ich wusste nicht einmal, wo Peter mit einem Zugpferd zu tun haben könnte – in der Firma oder im Club. Also sagte ich ehrlich: »Kann mich gar nicht erinnern.«

Ich füllte das fertige Dessert in die Schalen, setzte je eine frische Erdbeere obenauf, ehe ich begann, die Teller zu füllen. Lasse, der es nicht lassen konnte, dauernd mit seinen Fingern an etwas zu schlecken, wies ich an, die Servietten zu platzieren.

»Tut mir leid, ich muss nochmal…«

Mein wütender Blick auf Peter sprach offenbar Bände, jedoch auch Lasse blickte verdutzt – mehr allerdings auf mich.

»Hat das nicht Zeit bis nach dem Essen?«

»Tut mir echt leid, Dana…«

Dann klappte schon die Haustür.

»Das war definitiv keine gute Idee«, maulte Lasse

Ich war ebenso irritiert, dennoch ließ ich mir Zeit mit einer Antwort. Ich löste die Bänder meiner kleinen Schürze und setzte mich zu Lasse. Appetit hatten wir beide nicht mehr in dem Maße, die das gute Essen verdient hätte.

Kurz vor meinem geplanten Auszug aus dem Schafzimmer aber drei Tage später wiederholt sich etwas, was es früher in meiner Familie niemals gegeben hätte. Ich war nie ein Freund von grundlosem Misstrauen. Davon hatte ich einmal ein Quäntchen zu viel, was mich fast umgebracht hätte. Seither hüte ich mich vor voreiligen Schlüssen, wenngleich Schlussfolgerungen dazu da sind, um gezogen zu werden. An diesem Tag konnte ich nicht anders, als zu schlussfolgern. Zudem war Lasse nicht zuhause.

»Das trifft sich gut«, rief ich nach enttäuschtem Grübeln durch die geschlossene Badezimmertür. »Dann kann ich nochmal zur Agentur, wir haben da ein Computerproblem!«

Noch vor ihm verließ ich das Haus. Ich fuhr bis zur kleinen Einfahrt zu den Villen, die beidseitig von einer Hecke geschützt wurde. Er konnte nur in diese Richtung fahren, wenn er zu seiner Firma oder in seinen Club wollte. Inständig hoffte ich, Lasse käme nicht vorzeitig nachhause. Er würde sich wundern, warum seine Mutter im Auto hinter der Hecke versteckt auf etwas wartete. Jungen in diesem Alter haben feine Antennen für Veränderungen im Elternhaus. Bei Lasse müssten sie längst auf Empfang gestellt sein.

Ich empfand es als kränkend, dass Peter womöglich unseren Hochzeitstag total vergessen hatte. Andererseits kannte ich seine Abneigung, irgendwelche Daten in seinen Kopf hämmern zu müssen, die nur einmal im Jahr eine Bedeutung haben. »Dafür habe ich meine Frau«, sagte er bisweilen spöttisch. Dabei strich er mir liebevoll über das Haar oder gab mir dankbar einen Kuss. Es gab so viele kleine Marotten, die ich mit all meiner Liebe – mit den Jahren wuchs mein Großmut – als nebensächlich abtun konnte. Viel wichtiger waren mir von jeher seine menschliche Wärme, die übergroße Hingabe und die väterliche Herzlichkeit, die er Lasse schenkte, seit unser Sohn vor achtzehn Jahren geboren wurde und unser Leben, unsere Liebe, unsere Zweisamkeit auf den Kopf stellte.

Die Erinnerungen an unser Glück bremste für einen Moment das Rad in meinem Kopf: Womöglich sollte ich Peters Verhalten nicht als Kränkung verstehen. Womöglich war es nichts als eine kleine Oberflächlichkeit. Doch dann kam der Moment, wo ich wusste, ich würde für Wochen in einem Hamsterrad verbringen oder ich müsste entgegen meinem festen Willen die Schmach meiner bevorstehenden Hilflosigkeit ertragen. In den letzten Wochen war es mir mit einiger Mühe so leidlich gelungen, immer dann voll da zu sein, wenn ich es für erforderlich hielt. Heute verpasste ich beinahe den Moment dieser fast unmenschlichen Beherrschung.

Peter fuhr in eben diese Richtung, die ich vermutet hatte. Ich fuhr in angemessenem Abstand hinterher und stellte meinen Wagen in die Nebenstraße, die seinem Club gegenüberliegt. Er stieg nicht aus, wartete im Wagen. Womöglich hatte er mich längst bemerkt.

Ich schämte mich so sehr dafür, was ich zum ersten Mal in meinem zwei Jahrzehnte währenden Leben mit Peter an diesem Abend tat, dass Tränen meinen Blick trübten. Gerade wollte ich den Rückwärtsgang einlegen und umkehren, da sah ich diese blutjunge, sportliche Frau die Stufen herunter hüpfen. Mit erhobenen Armen lief sie auf Peter zu. Ein unbekannter Schmerz, der mich bisweilen quält, der mich jedoch vor Aufregung seit einer Stunde in Ruhe gelassen hatte, stach jetzt wie wild. Die beiden umarmten sich, küssten einander sogar und es schien, als habe das quirlige Ding meinen eher besonnenen Mann rundweg aufgedreht. Es gelang mir nicht sofort, die Frau genau zu betrachten. Ich starrte fassungslos nur auf ihn, auf jeden Muskel seines Körpers, auf jeden Zug in seinem wundervollen Gesicht. Die letzten Sonnenstrahlen ließen Peters Haar glänzen, der Pullover leuchtete wie ein Strauß roter Rosen. Es umgab meinen geliebten Mann eine Ausstrahlung, wie ich sie seit Jahren nicht mehr entdeckt hatte. Besonders weh tat mir seine männliche Ruhe, seine Gelassenheit, die er wie ein Schutzschild um die junge Frau legte, wie er es früher um mich und später um Lasse gelegt hatte.

Die Frau, die seine Arme umfingen, trug einen hautengen, schneeweißen Dress, knallig pinkfarbene Kniehosen, superweiche weiße Turnschuhe und eine pinkfarbene Sonnenbrille, die sie mit einer sinnlichen Geste aus dem Gesicht auf ihr blondes Haar geschoben hatte, bevor sie ihn stürmisch umarmte. Ihr Körper schien makellos, fest und sexy. Die sonnengebräunte Haut schimmerte im Abendlicht. Peter nahm ihre Sporttasche, ehe er ihr galant die Autotür aufhielt. Wann hat er das für mich zuletzt getan? Muss er das? Sagst du nicht immer, du bist eine emanzipierte Frau…?

Ich fühlte mich von einem Moment auf den anderen so klein, so unbedeutend wie eine graue Maus und so abstoßend in meinem Dilemma, dass ich nicht anders konnte, als ihn für diesen Anblick, der sich mir bot, zu hassen.

Die ganze Fahrt zurück sah ich diese Bilder vor mir. Bilder, vor denen ich besser die Augen verschlossen hätte. Das gelang mir nicht mehr. Geschlossene Augenlider drücken Tränen heraus, die keiner sehen sollte. Lasse am wenigsten. Ich musste dem Leben ins Gesicht blicken mit sehr offenen Augen…

Erst zuhause — besonders als Lasse mich mit tausend jugendlichen Problemen belegte, die ich fast mürrisch ertrug — erkannte ich, wer mich in diese Situation gebracht hatte. Ich allein, niemand sonst.

Nach Lasses Kopfschütteln verstand ich schließlich, wo meine Schuld lag. Kein Wunder, dass Peter nicht allabendlich bei mir hockte, gar Händchen hielt und mir jeden Wunsch von den Augen ablas. Andererseits - woher sollte ich die Kraft nehmen, noch die zu sein, die er einst für sich, für sein Leben, für seine Liebe auserwählt hatte. Ich war mürrisch und vermutlich ungerecht geworden. Dafür konnte ich Peter nicht verantwortlich machen.

In der folgenden Nacht konnte ich kein Auge zumachen. Ich redete mir ständig ein: Ich glaube nicht, dass er mit ihr schläft. Ich glaube nicht, dass sie ihm sein kann, was ich für ihn bin – was ich für ihn war. Diese Relativierung schnürte meine Kehle zu. Etwas drückte auf die Tränendrüsen, aber ich brauchte einen kleinen Strohhalm Hoffnung.

Am Morgen rief ich in meiner Agentur an, man möge die allgemeinen Arbeiten erledigen, das neue Projekt würden wir am Nachmittag besprechen. Ich hätte eine dringende Familienangelegenheit, was ja nicht völlig gelogen war.

So hat es also angefangen —mein Dilemma.

Jetzt, Monate später, der alles entscheidende Tag.

Peter kommt vom Dienst, spät, aber er kommt. Er ist nicht bei ihr geblieben, wie vermutlich in einigen Nächten zuvor. Ein Sonderauftrag werde eine Nachtschicht erfordern. So oder ähnlich sagte er in diesen Fällen. Wenn er dann heim kam, verschwand er sofort im Bett.

Heute glänzte sein Gesicht vor Anstrengung, seine Augen spiegeln Verwunderung. Ich merke ihm an, wie irritiert er ist, dass ich ihm nicht mehr wie früher entgegenlaufe, ihn nicht umarme und mich freue, dass er endlich da ist. Das ist mir seit meiner Entdeckung nicht mehr gelungen. Es wird mir in Zukunft nie wieder gelingen. Inzwischen weiß ich mehr, als einer Ehefrau lieb sein kann

»Du warst bei Jodie«, fragt er ohne Umschweife.

»Nein«, sage ich ganz ruhig. Diesmal bin ich sogar im Recht.

»Lüg mich nicht an, Dana. Ich weiß…«

»Du weißt also? Du weißt? Wie du immer alles weißt. Wenn das eine von deinen korrekten Fragen war, dann habe ich zumindest korrekt geantwortet. Ich warnichtbei …Jodie!« Kaum bekomme ich diesen Namen über meine Lippen. Meine Stimme hat Mühe, nicht zu krächzen, aber die Kraft in mir reicht gottlob nicht aus, dass ich ihn anschreien könnte. »Ich habe sie im Café getroffen. Es ist mein gutes Recht zu wissen, woran ich bin. Du sagst mir ja nichts.«

Peter kommt einen Schritt auf mich zu. Ich rieche sein Aftershave, das mich noch immer betört, nicht weil es der geilste Duft ist, sondern weil es sein Duft ist. Nur in Gedanken sehe ich seine dunklen Augen, die früher mit großer Milde auf mich blickten. Heute werden sie vermutlich boshaft funkeln.

»Ich will die Scheidung, Dana«, sagt er ganz leise, als sei er sich selbst nicht so sicher, oder als müsste er es schnell und ohne Aufsehen hinter sich bringen.

Ich habe für einen Moment nicht den Eindruck, dass Peter zu mir spricht, eher, dass ich den Boden unter den Füßen verliere. Mein Herz geht wie rasend. Ich weiß, ich muss alles auf eine Karte setzen. Jetzt. Keinen Moment später.

»Verstehe«, sage ich wie ferngesteuert, trete ans Fenster und wende ihm den Rücken zu. Als ich die Fassung wiedererlange, wische ich mit dem Handrücken meinen kleinen Ärger aus dem Gesicht. Peter schaut mich an. Er kann nicht verstehen, warum ich seiner offenkundigen Absurdität keinerlei Beachtung schenke. Warum ich nicht tobe, wie sein scharfzüngelndes Flämmchen Jodie vermutlich toben würde. Nun, wo ich sie miteinander gesehen habe, wo ich sogar Jodies schamlose Schwärmerei über ihre wunderbare Zeit mit Peter kenne, kann ich ihn sogar verstehen…

Ihre Stimme war nicht bemerkenswert, lediglich der feine englische Akzent, ihre langen blonden Haare und ihr Sexappeal hatten mich stumm werden lassen. Im letzten Augenblick hatte ich mich zurückgezogen aus ihrer jugendlichen Aura, die mich mit Neid erfüllte.

Wie ein in die Enge getriebenes Tier verharre ich stumm. Ich habe mich auf einiges gefasst gemacht. Auf eine so klare Ansage von Peter indes nicht. Er muss mein Verhalten als Strategie verstehen – was es in Wahrheit auch ist. Leider nicht die Strategie einer abwartenden Ehefrau, die auf die nächste Chance hofft, ihren Mann zurückzuerobern. Von meiner wahren Lage soll Peter nichts erfahren — niemals. Er soll obendrein nicht ahnen, was in den Wochen und Monaten zuvor passiert ist. Bis hierher hat meine Kraft gereicht, nun wird sie für den Rest auch noch reichen. Das bin ich Lasse schuldig…

Nur vier Wochen wie früher

Entgegen meiner Befürchtung bleibt Peter heute über Nacht bei mir – bei uns, wie ich schmerzhaft spüre, worüber ich keinesfalls traurig bin. Den halben Abend verbringt er mit Lasse. Sie lachen viel. Ich höre die typischen Geräusche, wenn Vater und Sohn etwas miteinander ausfechten. Ich lege mich in die Badewanne. Die Wärme entspannt; sie nimmt meinen Schmerz für eine halbe Stunde.

Meinen Entschluss, aus dem gemeinsamen Schlafzimmer auszuziehen, habe ich nicht umgesetzt. Das ist nicht mehr nötig, seit Peter nur noch selten neben mir schläft. Wenn er überhaupt zum Schlafen nachhause kommt, dann sehr spät. Zumeist bleibt er dann auf der Liege im Arbeitszimmer. Für Lasse hat er immerhin eine plausible Erklärung gefunden, für mich braucht er keine zu finden.

Es ist eine sternenklare Nacht. Mein Medikament macht mich müde, aber die Umstände wühlen mich auf. Ich betrachte meinen Mann, der noch immer mein Mann ist. Diesen Anspruch würde ich laut in die Welt hinaus schreien wollen. Doch ich weiß genau, wie endlich jedes Dauern ist.

Der Lichtschein fällt durch die Gardine. Er liegt ruhig, beinahe friedlich zu meiner Seite geneigt. Seine dunklen Haare sind wie stets sorgfältig geschnitten, sein Gesicht ist glatt rasiert. Die Arme, die über der Decke liegen, zeugen von männlicher Kraft und vom Zupacken, wenngleich ich sie außerordentlich sanft und liebevoll kenne, es nur mitunter vergesse.

Ich denke an Jodies Worte von «ihrer» Zeit. Ich weigere mich, mir vorzustellen, wie er mit seinen Schenkeln ihren Körper dirigiert, wie seine Arme sie umschlingen und seine Hände ihre Lust beflügeln, so, wie sie noch vor Monaten meine Lust beflügelt haben. Warum ist mir seit langem nicht mehr nach Lust, eher nach Weinen? Diese verdammten Tränen. Wie stets in meinen letzten Wochen ruinieren sie jeden Versuch, klar über den Morgen nachzudenken. Dieser Morgen wird alles entscheiden. Peter wird mich fragen, er muss mich fragen. Er war immer auf Sicherheit bedacht. Er wird genau kalkulieren, was auf ihn zukommt, sofern er noch ein Fünkchen Anstand in sich spürt, was immerhin wahrscheinlich ist.

Das Fatale an meiner Lage: Ich rede mir ein, alles, was jetzt auf mich einstürmt, ist nur eine vorübergehende Misere, die irgendwann – vielleicht mit ein paar Blessuren – überstanden ist. Ich will nicht sehen, dass der Wendepunkt in meinem Leben zwei Kurven schlägt. Die eine hat mein Körper übernommen, die andere gibt Peter vor, Peter und seine verrückte Jodie.

Ich bin ihm gleichgültig. Weil das keine Einbildung ist, kann meine Strategie nur richtig sein…

Sieben Uhr. Ich bereite das Frühstück für Lasse und Peter. Alles geschieht wie in Trance. Ich gebe in Lasses Tasse Kaffee, obwohl ich weiß, wie sehr er ihn hasst und wie wenig vorteilhaft das Getränk für Heranwachsende ist. Ich entschuldige mich, aber Lasse schiebt lächelnd die Tasse auf meinen Platz, der nicht eingedeckt ist, weil ich keinen Appetit habe.

»Du musst nicht meinetwegen aufstehen, Mam΄.«

Ich lächle zurück, stelle mich morgenverwirrt und nehme einen Schluck aus der fehlgeleiteten Tasse, obwohl ich nur noch selten Kaffee trinke. Noch gab es das nur selten, dass einer allein aß, wenn die Familie nicht vollzählig am Tisch saß.

Sie wird nie mehr vollzählig sein. Nie mehr…

Wenn ich seit dem letzten Abend eine erwähnenswerte Gemütslage habe, dann ist es müde, angewiderte, verächtliche Verbitterung.

Als ich die Badezimmertür höre, richte ich meinen Körper gerade und streiche mein Haar aus dem Gesicht. Ich lächle Lasse noch einmal zu und flüstere: »Du kannst ruhig anfangen. Dein Vater macht sich heute besonders schön.«

Das ist unbeherrscht, zudem alles andere als eine heroische Art, meinen Sohn von den elterlichen Problemen fernzuhalten.

Lasse zögert einen Moment. Es ist vermutlich weniger wegen des Familien-Rituals, als vielmehr wegen meines Vokabulars. Wenn wir bisher mit Lasse über einen von uns gesprochen haben, dann wählten wir seit Jahren seine Worte. Lasse sagt seit seiner Kindergartenzeit Paps zu Peter, nie Vater.

Mir ist es ernst mit meiner Aufforderung, weil Lasse nicht zu spät zur Schule kommen soll. Ich will, dass er noch vor seinem Vater das Haus verlässt.

Als Peter schließlich kommt, erfüllt er den Raum mit seiner Präsenz, die ich seit Jahren für bewunderungswürdig hielt. Seit diesem Tag vor dem Club kann ich es nicht mehr.

Er streicht wie jeden Morgen seinem Sohn über das Haar, stupst mit der Faust sanft gegen seine Schulter und fragt ein paar Dinge, über die ein Vater Bescheid wissen sollte. Lasse scherzt mit ihm und Peter scherzt zurück. Wie locker die beiden miteinander sein können!

Das Mindestmaß seiner Zuwendung zu mir sind schwer zu erklärende Blicke. Ich sehe meinen Mann seit dieser Nacht aus einem anderen Winkel meines Herzens. Der herausfordernde Blick seiner Augen ist kaum wahrnehmbar — hoffentlich, denn Lasse soll um Himmels willen nichts von unserem Problem bemerken. Für mich geht es nur noch darum, den besten Moment zu finden, der es mir möglich macht, meine Selbstachtung nicht zu verlieren, dennoch das Vernünftigste aus der Sache zu machen. Peter an unseren Treueschwur zu erinnern, bis dass der Tod uns scheidet, ist nicht vernünftig. Von Treue ist schließlich nichts mehr da.

Als Lasse geht, ruft er noch einen Scherz zurück: »Und Paps, denke an die Playbackstellung!« Kichernd lässt er die Tür in den Rahmen fallen.

Mein Körper zuckt bei diesem Wort …stellung. Ich sehe Bilder vor mir, die ich mir niemals hätte vorstellen können. Ich höre Worte aus Jodies Mund, die niemals tiefen Gefühlen entspringen können. Mir rauscht das Blut in den Ohren. Dabei weiß ich, was Lasse meint. Ich weiß es doch!, ruft mein Gewissen. Für mich verbindet sich dieses Wort auf schmerzliche Art seit kurzem mit Peter und Jodie.

Die Playbackstellung ist nichts anderes, als das Hochstellen einer Seite der Tischtennisplatte, wenn Peter mit sich alleine spielt. Sofern er keinen Spielpartner hat und er den Club noch nicht verlassen kann, benutzt er diese Hilfestellung auch dort. Vielleicht will er in letzter Zeit den Club nicht gerne verlassen, solange Jodie, das Zugpferd, noch trainiert — wer weiß?

Abgesehen von diesem Vater-Sohn-Geplänkel bleibt der Morgen wie jeder andere. Ich erledige meine Handgriffe routiniert, Peter hilft mir wie stets, auch wenn wir uns dabei sprichwörtlich im Wege sind, heute mehr als irgendwann. Meine Handgriffe fallen hastig aus, grantig gar. Mich stört jede Bewegung von ihm.

Ich habe den Eindruck, mein Schweigen löst eine – zumindest leise – Irritation in ihm aus. Das ist mir egal. Ich komme noch früh genug zum Zuge; er will die Veränderung, nicht ich.

Bevor er geht, ist ihm anzusehen, dass er nicht glücklich ist, noch tun zu müssen, was nicht erledigt ist. Er bittet mich, dass wir uns noch einmal setzen, was ich lustlos akzeptiere.

»Du hast mir noch nicht geantwortet, Dana«, sagt er mit einem Blick zur Tür, ob Lasse wirklich gegangen ist. Ich mache mir seit Stunden Gedanken, ob ich ihm meine Bitte – meine Bedingung – so kompromisslos zumuten kann. Die halbe Nacht habe ich mit mir gerungen, bis ich zu dem Schluss gekommen bin: Es kann nicht nur – es muss sein. Er hätte es wissen müssen. Er kennt mich lange genug, wahrscheinlich besser, als ich mich selbst kenne. Er hätte vorhersehen müssen, dass ich nicht kampflos aufgebe, auch wenn gestern meine knappen Worte vom Gegenteil zeugten.

Ich erinnere mich kurioserweise in dieser Sekunde an unsere Hochzeit. Ich im weißen Kleid mit einem kleinen Brautstrauß, er mit weißem Hemd und gestreiftem Binder unter dem dunklen Anzug. Verliererschlips – weil die Streifen von links oben nach rechts unten verliefen. Es gab kaum jemanden, der ihn nicht darauf ansprach. Er hat ihn nie wieder getragen. Ich glaube sogar, er hat ihn einmal zur Weiberfastnacht in die Aktenmappe gestopft und mit zum Dienst genommen, um ihn im Ernstfall rasch anzulegen, falls die Schlips schneidenden Närrinnen seine Abteilung nicht verschonten.

An diesem frostigen Morgen — mental frostig — scheint die warmherzige Erinnerung an den schönsten Tag meines Lebens ziemlich fern und doch wieder greifbar nah: Was damals begann, geht heute zu Ende. Einer wird der Verlierer sein.

Es gibt nur diesen kleinen Aufschub, diese kleine Bitte, die ein Mann ganz leicht erfüllen kann, wenn ihn als Lohn etwas Großes erwartet.

»Erinnerst du dich manchmal an unsere Hochzeit? « Ich lauere, er stutzt wortlos. »Wie du mich über die Schwelle getragen hast?« Nur still in Gedanken beende ich den Satz: Während der Flitterwochen und später noch jeden Abend zu Bett. Ich lächle dabei, so gut es mir gelingt.

»Ich weiß Dana. Das ändert nichts daran, dass uns das Leben mitunter Veränderungen abverlangt, auf die es uns nicht vorbereitet hat.«