Zwei merkwürdige Todesfälle - Maxi Hill - E-Book

Zwei merkwürdige Todesfälle E-Book

Maxi Hill

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Beschreibung

Die Journalistin und Buchautorin Rita Georgi macht in ihrer Wahlheimat – einem kleinen Dorf im Spreewald – kuriose, ernsthafte aber auch erschreckend beispiellose Erfahrungen. Stoff genug für eine Trilogie, deren autarke Teile so verschieden sind wie das Leben. Als die alte Wendin Lenka Kalauke in Ritas Leben tritt, ahnt sie nicht, dass sie hier bald sehr skurrile Erfahrungen machen wird. Lenka – Miss Marple vom Spreewald genannt - kann ihre Einmischung in allerlei Dinge nicht lassen. Dieses Mal kommt sie selbst zu Schaden, und niemand im Dorf weiß, warum es geschehen ist. Als unweit der Stelle, wo sie halbtot aufgefunden wird, ein Fremder sein Haus errichtet, gerät das Dorf in einen bigotten Zustand aus Verschworenheit, Misstrauen und Widerstand. Bei den Schachtarbeiten wird schließlich ein Skelett zutage gefördert – und im Museum stößt man auf zwei seltsame Briefe. Zum Glück wohnt im Dorf eine investigativ arbeitende Journalistin…

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Seitenzahl: 769

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Maxi Hill

Zwei merkwürdige Todesfälle

Doppelteiliger Roman

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Zwei merkwürdige Todesfälle

Teil I: Kapitel 1 - lediglich

Im Spreewald

Ein Jahr zuvor

In der Redaktion

Im neuen Verlag

Janina

Riana Gora

Das Dorf

Jens Jedro

Opfer für die Tradition

In ernster Mission

Ein aufmerksamer Wächter

Die Sache mit Lutz Wegener

Man kommt sich näher

Ein folgenschwerer Fehler

In der Falle

Ein merkwürdiger Todesfall

Ein Dorf in behäbiger Unruhe

Ein Fall für die Polizei

Die Miss Marple vom Spreewald

Liebe ist stärker als der Tod

Auf dem Revier

Friedhofsgeflüster

Licht am Ende des Tunnels

Die Wahrheit

Kapitel 2: Schöner Tod

Im Luch

Rita in Sorge

Das Übel nimmt seinen Lauf

Gelbe Eifersucht

Heimliche Pläne

Versöhnung

Ein erster Verdacht

Freund und Feind auf einer Scholle

Noch ein merkwürdiger Tod

Ein Vorfall und sein Umfeld

Ein freudiges Ereignis

Ein altes Nähkästchen

Die Suche beginnt

Ein dunkles Kapitel deutscher Geschichte

Einblick in grausame Abgründe

Die letzten Spuren

Impressum neobooks

Zwei merkwürdige Todesfälle

Die Journalistin und Buchautorin Rita Georgi macht in ihrer Wahlheimat – einem kleinen Dorf im Spreewald – kuriose, ernsthafte aber auch erschreckend beispiellose Erfahrungen. Stoff genug für eine Trilogie, deren autarke Teile so verschieden sind wie das Leben.

Teil I: Kapitel 1 - lediglich

Rita Georgi ist jung, ledig und beruflich unterfordert. Die Arbeit an ihrem ersten Roman und eine Affäre mit ihrem Redaktionsleiter helfen aus der Tristesse. Als ihr Liebhaber sie einzuengen beginnt, färbt sie sich ihr Haar rot, nimmt ein Pseudonym an und flüchtet auf den Hof ihrer Vorfahren in ein abgelegenes Spreewalddorf. Noch ahnt sie nicht, dass sie hier bald sehr skurrile Erfahrungen machen wird.

Im Spreewald

Es hat geregnet in der Nacht. Warmer, geradefallender Regen.Jetzt fällt die Helligkeit aus den Wolken, die sich dunkel über dem Wald hinter dem Luch zurückziehen. Das Gesicht der alten Wendin Lenka Kalauke ist nicht hell und nicht dunkel. Wie sie so durch die Fensterscheibe in das verschlafene Dorf hinaus späht, über den dunstigen Atem der Wiesen, über die Landstraße hinweg bis zum Körberhof hinüber, scheint es, als ob sich Zweifel und Weissagung hinter ihrer Stirn jagen, wo die Gedanken verstaut sind.

Es muss wohl so sein, wie diese Nimcowarka sagt, diese Deutschsprecherin, die seit einiger Zeit da drüben auf dem Körberhof wohnt. Es braucht viel Erfahrung, wenn ein Mensch, der etwas sieht, auch gleich etwas riecht.

Lenka hat einen Riecher – schon immer gehabt. In ihrem langen von ländlicher Mühsal geprägten Leben hat sie immer gewusst, wann etwas brenzlig ist; und diesmal ist es brenzlig.

Auf der Fensterbank liegt das Fernglas von Kuno, ihrem Alten. Vor einiger Zeit hat Lenka entdeckt, wie nützlich Kunos Fernglas ist. Seit die alte Frieda Körber sich nun auch vom Acker gemacht hat – Gott hab sie selig - und der Hof von einer Fremden in Beschlag genommen wird, seitdem hat Lenka keine Ruhe mehr. Ständig muss sie wissen, was da los ist auf dem Körberhof.

Schriftstellerin ist die Rothaarige. Njedra, wie viel Fremdes doch in den Menschen umgeht. So viele Dahergekommene greifen nach unserem verschlafenen Nest. Das hier ist nicht das Land der Nemcowar, es ist wendisches Land. Seit Jahrhunderten. Noch leben wir, und man greift schon nach unserem letzten Hemd.

Ausspucken möchte sie. Weil das ihrem Fenster nicht gut tut, spuckt sie nur trockene Flüche heraus: Cart nizi! und Njedra. Njedra!

Früher war das Dorf wie eine große Familie. Jetzt gibt es die einen und es gibt die anderen.

Lenkas Grauhaar sträubt sich. Und in ihr drin stäubt sich alles, weil sie nicht weiß, was da drüben gerade los sein mag.

In den letzten Jahren war es auf dem Hof der Frieda Körber beängstigend still gewesen. Daran hatte sich Lenka gewöhnt. Aber inzwischen ist das anders geworden.

Lenka kneift die Augen zu und lauscht auf ein Geräusch hinter der Tür, wo Kuno noch im Bette liegt und Stichbomboli - der Hund - auf die Auferstehung seines Herrchens lauert.

Augen zu ist nun erstrecht Unsinn, denkt sie, und nimmt ihr Fernglas wieder vors Gesicht. Einen Atemzug lang überlegt sie noch. Es passt ihr nicht, jetzt da hinüber zu gehen und vielleicht das Pech zu haben, der Dame über den Weg zu laufen. Die hat womöglich doch den feurigen Teufel im Leib!

Lenka schüttelt sich, wenn sie an die Worte vom alten Sedlazcek denkt: Der rote Teufel funkelt bei der Fremden oben aus ihrem Kopf heraus. Sedlazcek hat Recht. Den braven Jens hat sie erst verhext und dann vergrault, der kommt seit Tagen nicht mehr zum Körberhof. Aber die beiden Kerle von gestern sind der Lenka viel weniger geheuer.

Sie richtet ihren Körper gerade und kneift ein Auge zu. Die Sache da drüben zu begucken ist nicht spannender als von hier hüben, denkt sie. Durch die Mauern kann niemand nicht blicken.

Im Grunde passiert wenig in ihrem Dorf. Lenka in ihrem Alter ist beinahe ohne jede Furcht vor den Menschen, aber wenn sie Sedlazceks Gerede bedenkt, fragt sie sich genauso, ob ein Mensch mit so roten Haaren nur ein Mensch ist?

Draußen ist es noch immer still, kein Bussard pfeift sein Pi-Äh über den Wiesen, keine Amsel singt im Baum. Nichts.

Drüben im Haus sind noch keine Lichter an. Wahrscheinlich hat das Frauenzimmer – und Frauenzimmer denkt sie erst seit gestern wieder - noch einen Kerl bei sich und die beiden finden nicht aus den Federn. Sie schüttelt ihren Kopf: Gleich zwei Mannsbilder, gestern am Abend.

Man kann wirklich nicht behaupten, dass sie neugierig ist, aber irgendwie gefällt ihr die Sache nicht. Selbst wenn das Stück Malheur – sie fuchtelt kreuzweise vor ihrem Gesicht herum, weil ihr immer klarer wird, wie sie jetzt wieder denkt. So hatte sie gedacht, als diese Rothaarige ins Dorf gekommen war – selbst wenn sie früher aufgebrochen ist als üblich, man hätte hören müssen, wie Frieda Körbers schwere Haustür ins Schloss fällt, wie das Gartentor quietscht. Das hat sie früher immer gehört und nach dem Rechten geschaut. Man hätte auch hören müssen, wie die Reifen des roten Autos über den Kies knirschen und wie der Motor auf der Asphaltstraße Antrieb nimmt.

Nichts hat sie gehört. Gar nichts …Nicht einmal, dass einer der Kerle nachts aufgebrochen wäre.

Irgendein böser Gedanke schleicht sich in Lenkas Kopf, und irgendwie zieht er durch ihre Glieder. Sie kann nicht sagen, ob es ein aufregender oder ein ängstlicher Gedanke ist. Sie spürt nur, wie ihre Knie weich werden, wie ihre Hände zittern, und das Zittern will nicht aufhören …

Was hat die Flut der Fremden so nah an sie heran gespült? Keinen Engel mit blondem Haar. Einen Teufel vielleicht, mit glühender Mähne?

Sie glaubt nicht an Teufel und nicht recht an Gott, aber sie ist immer voller Andacht, wenn irgendwo die Glocken läuten. Das muss reichen, um in den Himmel zu kommen.

Lenka tippt sich zuerst an die Stirn und dann auf die Brust und sie schaut in den Himmel: Danke für mein sittsames Leben. Danke für Speis’ und Trank und ein bisschen auch für den anständigen Kuno.

Sie sagt es nicht. Sie denkt es nur, und sie denkt es wendisch.

Lenka ist selten in der Lage, ihr Gefühl in deutsche Worte zu fassen, aber alles, was sie an diesem Morgen in ihren Adern spürt, erinnert an die deutsche Gefahr, die seit Jahrhunderten über wendischem Grund herrschte, die den aufrechten Wenden zu einem an sich selbst Verzweifelnden zusammenstutzte, aus Gehorsam.

Bei dem Gedanken an den Körberhof zieht ein Schauder über Lenkas Haut: Heute scheint da drüben etwas nicht zu stimmen.

Kaum gedacht, da klappt auch schon die Tür von außen ins Schloss und Lenka wackelt mit geschürzten Röcken den Kiesweg entlang bis zur Straße. Vornüber gebeugt und in großen Schritten trabt sie quer auf die andere Seite. Wie ihre Haut sich kräuselt. Wie ein Schauer von Widerwillen in ihr aufsteigt.

Das Tor ist nicht verschlossen, nicht einmal eingeklinkt ist es, grad so, als habe der Wind es heran geweht. Das Fahrrad, mit dem einer der beiden Kerle gekommen war, ist nicht zu sehen. Nirgends.

Lenka schleicht ums Haus, in ihrem Rücken ein sonderbar nacktes Gefühl. Nebenan der Fährmann Hinze rumort auf seinem Hof herum, aber die Hecke ist zu hoch geschossen, als dass seine Augen sie erwischen könnten.

Die Rollläden der Wohnung sind ordentlich nach oben gezogen. Eng an die Hauswand gedrückt gelangt sie zum Hof zurück und hebt ihren schweren Körper auf die Zehenspitzen, um über die Fenstersimse in die Zimmer blicken zu können.

»Njedra, njedra«, schimpft sie vor sich hin und weiter in gutem Wendisch: »Nicht gescheit und keine Dummheit. Nur gescheite Menschen können eine Dummheit begehen. Die anderen leben sie.«

Sie zerrt die weiße Gartenbank aus der Ecke hinter der Giebelwand hervor und ächzt vor Anstrengung. Das Monstrum über die bröckelnden Pflastersteine vor das Küchenfenster zu bugsieren ist Knochenarbeit. Sie hebt ihre Röcke mit beiden Händen an und steht plötzlich vor der schwierigen Entscheidung: Soll sie die Hände gebrauchen, um ihren schwerfälligen Körper am Fenstersims nach oben ziehen zu können, oder um die Röcke anzuheben, damit das Aufsteigen überhaupt gelingt?

Lenka gibt jeder Hand die Hälfte der Probleme ab und stöhnt vor Anstrengung und vor Angst, jemand könnte auf der Straße vorbeikommen und seine Witze machen: DieMiss Marple von Alt Zechau geht wieder um!

Beim Blick durch die Scheibe des Küchenfensters blockieren ihre Hände zu beiden Seiten des Gesichtes das einfallende Licht. Blankes Entsetzen lässt ihren Atem gefrieren. Blut. Überall Blut. Nur im Haus ist niemand zu sehen. Nirjends nicht.

Ein Schatten huscht über ihr Gesicht, nur für einen Moment, aber doch lang genug, dass er eine Erleuchtung nach sich zieht.

Mit zitternden Knien steigt sie von der Bank, spuckt in den Kies vor der Haustür, nimmt die Schürze vor ihr Gesicht und schnäuzt ihre Abscheu hinein.

Dann läuft sie Hals über Kopf ins Dorf zu Jens Jedro.

Ein Jahr zuvor

Die Tage sind jetzt kurz, die Nächte lang, aber Rita Georgi hat es wie immer nicht eilig, nach Hause zu kommen. Es ist, als ob es die pure Zeitverschwendung wäre, zu Hause bei den Eltern das Abendbrot einzunehmen – seit Jahren stur zur selben Zeit. Schon als Kind predigte Mutter immer: Wer nicht kommt zur rechten Zeit, der muss sehen was übrig bleibt. Und in der Tat machte sie bei einer Verspätung keine Anstalten, sich um das leibliche Wohl ihrer undisziplinierten Tochter zu sorgen.

Jetzt ist Rita fünfundzwanzig Jahre alt und hat nicht die Nerven, sich mit diesem spießigen Kram abzugeben. Vor Jahren hatte ihr Vater die Mutter überreden können, das Essen wenigstens aufzuheben, damit das Kind nicht «vom Fleische kommt». Sie sei von Natur aus kein Wonneproppen und mit Schönheit sei sie auch nicht gesegnet, was bei schlechter Ernährung nur noch zu steigern ginge.

Jetzt interessiert es den Vater nicht mehr, was sie treibt, was und wo sie isst, und manchmal glaubt Rita, ein wenig Neid in seinem Blick zu erkennen. Neid auf ihre Freiheit, die sie sich ungeniert nimmt? Mutter Helga aber lässt manchmal erkennen, was Rita mit einem Wort beschreiben könnte, wäre es nicht ihre eigene Mutter: Verachtung. Zumindest spricht sie das Wort Freiheit ganz anders aus, als Vater Rainer. Bei ihr klingt es wie: Frechheit.

Vielleicht ist das der Gang der Zeit? Mutter hat sich tatsächlich einmal sehr viele Mühe gegeben, damit aus dem Kind etwas Ordentliches wird.

Aber nun, wo etwas Ordentliches aus ihr geworden ist, ist es auch nicht recht.

Vielleicht verachtet sie lediglich ihre Nestflucht, mit der Mütter selten zurechtkommen. Dabei wohnt sie ja noch zu Hause, was schließlich die trübe Seite ihres Lebens ausmacht. Was kann sie dafür, dass es abends oft sehr spät wird. Was kann sie dafür, dass niemand Anteil hat an ihrem zweiten Leben, dem heimlichen. Sehr schnell war ihr klar, dass dieses ihre Rettung bedeutet.

Nach dem Studium war kein Reinkommen in einen guten Verlag. Also ging sie als Volontärin zu einem kleinen Wurstblatt, wo ihr Selbstvertrauen nicht eben wuchs.

Inzwischen wächst es. Inzwischen hat sie ein zweites Leben, auch wenn niemand davon weiß – noch nicht. Das erste Leben ist lästig genug. Freilich würde Mutter Helga niemals zugeben, dass sie ihre Tochter verachtet. Sie kann einfach nicht anders, muss immer etwas auszusetzen haben. Ihr Vater schert sich nicht mehr um das dominante Gehabe - was bei einem so stoischen Typ wie ihm lebensrettend sein kann. Es könnte doch sein, dass sich Mutters Enttäuschung über ihren gleichgültigen Ehemann gegen die Tochter äußert. Freilich kann Rita die kleinen Stiche aus Mutters Augen lesen, die offensichtlich einmal in einem schönen Gesicht gefunkelt haben. Das muss Rita zugeben. Natürlich hat sie ihre Mutter geliebt. Natürlich ist die Mutter der wichtigste Mensch im Leben eines Kindes. Aber sie ist eben kein Kind mehr, und es wäre höchste Zeit, ein eigenes Leben zu führen – wären da nicht die vielen unliebsamen Umstände, die mit der Selbstständigkeit einhergehen.

Die Stadt ist noch nicht zur Ruhe gekommen. Über die kleine Nebenstraße, deren Kopfsteinpflaster mindestens zwei Jahrhundertwenden miterlebt hat, holpern die letzten Autos des Tages. Geschäftsleute, die in der Passage und in den umliegenden Häusern aus der Gründerzeit ihren Arbeitstag verbracht haben. Hin und wieder schweift ein Lichtschein hinauf bis zum Fenster im ersten Stock, wo Rita sitzt und auf den Bildschirm starrt. Vom Rechner fällt bläuliches Licht auf das junge Gesicht unter kurzem, sehr sportlich geschnittenem hellbraunen Haar. Dieses Licht macht sie blass und es nimmt die jugendliche Frische, derer sie sich durchaus bewusst ist, auch wenn sie morgens zuweilen ganz anderer Meinung ist. Ihr Blick in den Spiegel ist an manchen Tagen alles andere als Eitelkeit. Manchmal grenzt er direkt an Mut.

An gewissen Tagen, wenn sie sich abends zuvor nicht lösen konnte von ihrer großen Leidenschaft, dann denkt auch sie bisweilen wehmütig an die mit Make-up bespachtelten Modepüppchen, an blondierte Haare und zwölf verschiedene Töne von Lidschatten. Aber dann gibt es die netten

Momente, wo man ihre Natürlichkeit lobt, ihre Bescheidenheit und ihre Offenherzigkeit. Im Nu ist ihre ungeschminkte Welt wieder in Ordnung.

Die Leidenschaft ihres zweiten Lebens packt sie an diesem Herbstabend schon seit einiger Zeit. Der Kopf ist bereit, nur die Umstände sind es noch nicht. Ein Code schützt aus gutem Grund den wertvollen Text vor unliebsamen Konsequenzen.

Wissen darf ihr Redaktionsleiter nicht, was sie so lange im Büro treibt. Er hätte längst die Dateien ausspähen lassen und wer weiß, was schon passiert wäre.

Nils Hegau schreibt sehr gute Kolumnen. Stets hält er sich kurz und präzise, wenn auch verdammt ketzerisch, wie es seine Lebensart ist. Irgendwann einmal hat er zu Rita gesagt: Wer mehr als zehn Sätze zu einer einzigen Begebenheit formuliert, ist zwanghaft mitteilungsbedürftig und gehört nicht in diese Redaktion.

Genaugenommen ist es ja auch keine Zeitung, für die sie arbeitet. Genaugenommen ist es ein widerliches, mit schlecht gemachten Inseraten vollgestopftes Anzeigenblatt in einer Stadt, in der scheinbar gar nichts passiert. Ausnahmen bilden offenbar nur die zahlenden Werbekunden. Daran ist Nils Hegau nicht schuld. Das ist Heidenreichs Konzept. Verleger Heidenreich ist besser als Hegau. Er kann fein geschliffen austeilen, was seine Anzeigenkunden zweifelsfrei bei der Stange hält. Wer möchte schon Seitenhiebe gegen sich oder gegen seine Firma in Heidenreichs «Wochen Bote» lesen?

Die Macht hat immer der, dem es gelingt, die Kleinen auch klein zu halten. Die Großen meiden das Käseblättchen.

Warum soll sie lamentieren? Auch sie lebt von den Werbekunden, aber glücklich macht sie diese Arbeit nicht.

Ihre Themen sind profane Ereignisse rund um die Kleinunternehmen. Nichts Aufregendes: Geschäftseröffnungen, Firmenjubiläen, Tage der offenen Türen …

Rita hatte sich nach ihrem Volontariat von Heidenreichs Begeisterung anstecken lassen, und heute wechselt sie flugs das Thema, wenn der Chef verächtlich über das führende Blatt der Region redet, das nur deshalb noch am Leben sei, weil ein westdeutscher Konzern dahinterstehe. Wäre sie gleich dorthin gegangen, sähe es mit ihrem Berufsenthusiasmus ganz anders aus.

Noch hält sie still. Sie lässt Heidenreich seinen großen Feind. Jeder Mensch braucht seinen Feind, den er in seinen Träumen umbringen kann. Ohne Feindbild verliert man das heimliche Ziel, es eines Tages allen zu zeigen.

Rita ist tolerant, bleibt gelassen und wartet auf den Moment, wo ein Platz im großen Verlagshaus der «Spree-Rundschau» frei wird. Dafür sorgt gerade ihr guter Freund Mark Hellmann. Wozu hat man Freunde.

Bis dahin stutzt sie ihre Beiträge buchstabengenau auf den im Satzspiegel vorgegebenen Platz und sie ordnet sich ein im weiten Feld des Anzeigenfriedhofs.

Es macht ihr momentan auch nicht so wahnsinnig viel aus, genaugenommen könnte sie es als Glücksumstand betrachten. Nirgendwo sonst hätte sie die Gelegenheit, nebenbei an einem Roman zu schreiben. Jetzt hat sie Spaß daran, über ihre Themen so nuanciert zu schreiben, wie die Dinge wirklich sind – nicht reduziert auf eine nüchterne Kernaussage, nicht lobhudelnd auf die Steigeisenhalter der Seilschaften und noch weniger mit verklemmter Zunge.

Inzwischen, seit ihr Erstlingswerk dem Ende zustrebt, ist sie geradezu versessen auf das heimliche Schreiben, auch wenn ihre Mutter hinter ihrer nächtlichen Abwesenheit nichts als Herumtreiberei vermutet.

Der Zugangs-Code ist gesetzt, die Datei öffnet sich und auf dem kleinen Button in der Taskleiste sieht sie, wie der Stift über die Buchseiten flitzt und wie er sich Seite für Seite bis zur Nr. 341 vorarbeitet.

Noch ehe Rita einen Finger auf die erste Taste setzen kann, noch ehe sie den ersten Satz in ihrem Kopf ausformuliert hat, hört sie ein Geräusch. Rita lauscht angestrengt. Heute scheint das Haus noch nicht leer zu sein, wie gewöhnlich zu dieser Zeit. Gut ist das nicht.

In der letzten Nacht war ihr eine Formulierung eingefallen, die wie ein Hammerschlag das beschämende Geschehen in ihrem Roman in jene dunklen Farben färbt, die dem Geschehen zustehen. Sie darf diesen Satz nicht vergessen.

Jemand kommt die Holztreppe herauf gespurtet und reißt die Tür zum Redaktionszimmer auf. Nils Hegau, der Redaktionsleiter.

»Ich dachte, du bist schon weg …«, stammelt er.

Er habe noch Licht gesehen und geglaubt, sie hätte vergessen, es auszuschalten.

»Ich bin noch nicht senil, Nils Hegau«, sagt sie ebenso irritiert, wie Hegau zu sein scheint. Und weil er nichts erwidert, schiebt sie schnell noch ein paar Worte nach, nur um ihn davon abzuhalten, einen Schritt näher zu kommen. Er würde entsetzt auf ihren Bildschirm glotzen. »Warum sollte ich schon weg sein? Ich hab weder Kind noch Kegel wie du, und wenn ich Hunger habe, dann geh ich runter zu Beppo und hol mir passend zu meinem Arbeitsplatz `ne Bratwurst oder ein Käsebrot.«

Sie ist nicht die Einzige, die manchmal Wurstblatt sagt oder Käseblättchen. Es gibt auch andere Stimmen ohne böse Absicht. Eigentlich meint es niemand böse. Eigentlich sind sie alle sogar eine verschworene Gemeinschaft, die Anrainer in dieser Straße, zu der die kleine Passage gehört, wo auch Beppo sein Bistro «Oberdeck» betreibt. Freilich liegt dieser scheinbare Zusammenhalt an Heidenreich. Wer sonst könnte diesen Sog erzeugen – indirekt, aber wirkungsvoll – sich vereint zu zeigen gegen alle Kritiker.

Wie Nils Hegau so im Halbdunkel des Raumes im Türrahmen steht, fast verlegen und dennoch in lässiger Pose, muss sie ihn nicht mehr anschauen. Sie kennt jede Geste an ihm, jeden Blick und sogar den Takt seines Wimpernschlages könnte sie blind vorhersagen. Das verräterische Spiel seiner Spiegelneuronen hat sie ausgiebig studiert. Rita weiß längst, dass Nils Hegau kein Weiberheld ist, aber mit den Augen zieht er die Frauen komplett aus. Es gab durchaus schon Momente, da fand sie ihn verlockend. Doch einmal war das Wort gefallen, das sie angewidert hat: Kopulationsrückstau. Seinen zu verringern, will sie nicht mithelfen. Und heute schon gar nicht. Sie sitzt ja nicht von ungefähr noch in der Redaktion. Zu Hause ist nicht der rechte Ort für nächtliches Arbeiten. Außerdem hätte Mutter Helga keinen Grund mehr, ihre Tochter als Herumtreiberin zu bezeichnen. Rita grinst in sich hinein.

»He, bist du noch anwesend?«, hört sie Nils fragen.

Tatsächlich, sie hat ihn mental ignoriert, und sie ist ziemlich sicher, körperlich auch. Wenn sie ihn einmal nicht ignorieren sollte, dann, um seiner aufgebrezelten Madam zu beweisen, dass es bei einer Frau weder auf Make-up ankommt, noch auf Blondierungsmittel und Styling, wenn man einen Mann um den Verstand bringen will.

Warum ist sie in Anwesenheit eines solchen Mannes mental anderswo? Sie ist oft anderswo als ihr Körper. In letzter Zeit mehr als jemals zuvor.

Warum ist der Blödmann auch verheiratet? Warum sind Fred und Ralf und Lisa verheiratet. Die glauben doch nicht im Ernst, dass man heiratet, weil man sich liebt? Lieben kann man auch ohne Trauschein, aber umgekehrt ist es einfach saublöd. Ihr Herz ist viel zu empfindsam, um sich noch einmal richtig zu verlieben und irgendwann ernüchtert aus dem Traum zu erwachen: Schade … wir hätten es beide wissen müssen …nichts fürs Leben…- All diese saublöden Erklärungen gehen ihr durch den Kopf. Nie wieder will sie das hören.

Rita lächelt Nils an, schließt endlich die Datei und fährt den Rechner herunter, weil sie weiß, dieses Computer-Licht macht ihr Gesicht schrecklich fad. Sie gibt ihrer Stimme einen Hauch von Erotik und grinst ihn an:

»Was man sehen kann und anfassen - das hab ich jedenfalls in der Schule so gelernt - das ist auch anwesend.«

Warum soll sie sich nicht räkeln? Warum nicht lächeln? Er sieht gut aus, er hat Konnexion und der Abend ist für ihren ersten Roman ohnehin verdorben.

»Anfassen also …?«, sagt Nils Hegau gedehnt. Aus irgendeinem Grund hat sie sogar eine solche Reaktion erwartet. Vorsichtig und mit großer Zärtlichkeit greift er in ihren Nacken, massiert ihn für einen Moment und lässt seine Hände wie ungefähr nach vorn in ihren Ausschnitt gleiten. Rita hat keine Skrupel. Sie ist ja nicht verheiratet, wie er. Sie ist frei und ihre Libido braucht weder Schwüre noch Versprechen. Eher mal etwas Verrücktes und wenn schon, dann mit ganzem Einsatz.

Sie lässt Nils eine Weile gewähren, bis sie selbst dieses Verlangen spürt, tief in ihr. Sie reizt ihn zum Äußersten – nicht aus Hingabe, nicht aus Liebe. Sie tut es aus Angst vor der Liebe, aus Angst, sich noch einmal beinahe zerstören zu lassen. Ein beringter Vogel, wie er einer ist, fliegt wieder heim in sein Nest.

Sie lässt sich ein in sein verrücktes Spiel mit sämtlichen Teilen des Körpers, in dem gerade tierische Triebe erwachen. Es stört sie nicht. Einen allzu menschlichen Nils könnte sie nicht ertragen. Sollte sie jemals heiraten, dann müsste der Entschluss wie ein Blitz in sie fahren. Nüchtern betrachtet ist es eher amüsant als ermutigend, wenn zwei Menschen per Gesetz verpflichtet sind, miteinander Sex zu haben. Im Tierreich ist das auch nicht so. Seit sie einmal einen Artikel über das Liebesleben der Schmetterlinge schreiben musste, sieht sie sogar den Sex von einer ganz anderen Seite. Von wegen Gene vererben. Es ist nichts als männlicher Trieb, der den Hirsch auf die Kuh springen lässt. Anderenfalls würde er einem Samenschock erliegen. Wenn es immer um die Gene ginge, müsste die ganze maskuline Welt sich viel mehr an der Brutpflege beteiligen. Nicht einmal beim Menschen funktioniert das reibungslos. Bisher kennt sie keinen einzigen Menschen, der bereut hätte, einen ganz bestimmten Sexpartner nicht geheiratet zu haben. Gegenteilige Fälle gibt es wie Sand am Meer

Als sie spät in der Nacht mit wackeligen Knien aus Nils Hegaus Auto steigt und die 152 Stufen zur elterlichen Wohnung im Zentrum der Stadt zu Fuß nach oben stapft – sehr langsam und sehr nachdenklich – geht ihr nicht nur durch den Kopf, wie gut es doch war, an verbotenem Ort zu verbotener Zeit etwas Verbotenes zu tun. Es war genau das Gefühl, das sie an einer Stelle ihres unfertigen Romans nicht zufriedenstellend hatte beschreiben können. In diesem Moment gelingt es ihr und sie reiht Wort an Wort – im Takt der Stufen, die sie unter ihren Füßen spürt – und sie wiederholt Zeile für Zeile, immer wenn sie einen Treppenabsatz erreicht. Sie wird alles bewahren, bis sie den Stift zur Hand nehmen kann. Nicht ein Wort wird sie vergessen.

Wenn sie doch bloß all die Momente unbändiger Lust nicht wieder aus ihrem Kopf verbannen würde, wie es bei Rita Georgi zu erwarten ist. Und doch war es nur der Trieb.

Vom nächsten Treppenabsatz an stellt sie sich vor, wie Nils vor seiner Frau Alice eine Entschuldigung stammelt. Wie er von der unmenschlichen Schinderei in der Redaktion sprechen wird, von der Last, die auf ihm liege, und von den Erwartungen an den Redaktionsleiter, die Heidenreich immer höher schraube. Und er wird vorwarnen, in nächster Zeit könnte es an noch vielen Abenden spät werden. Wahrscheinlich wird er es tun müssen, weil sich sein Herzchen im Negligé auf der Couch räkelt, er aber keinen mehr hoch bekommt. Heute wird er keinen mehr hoch bekommen. Rita kichert bei einem ganz besonderen Gedanken in sich hinein. Diese aufgedonnerte Alice glaubt, das graue Mäuschen Rita sei für die Männerwelt völlig ungefährlich.

Wieso sagt man, man habe mit jemand geschlafen? Alles andere als das.

Der Herr Redaktionsleiter hatte unerhört wachen Sex mit einer Frau, von der noch viel zu hören sein wird!

Abrupt bleibt sie stehen. Es war verdammt gut! Aber etwas war neu an Nils, sehr neu. Wie er seine Worte flüsterte, wie er ihren Namen immer wieder in ihr Ohr raunte, und das mit ungeahnter Zärtlichkeit. Sie kann sich nicht erinnern, solche Worte je von einem Mann gehört zu haben, auch wenn er sich dabei bis zum ekstatischen Jauchzen steigerte.

Ihre Kraft versiegt, sie bleibt stehen und denkt an den nächsten Morgen im Verlag. Als ihr klar wird, dass er sie vielleicht erst jetzt wirklich wahrnehmen wird, weil sie mit ihm Sex hatte, ist ihr, als müsse sie zum Telefon greifen, ihn anrufen und ihn für die ganze verdammte Zeit, wo sie unter seinen Launen hat leiden müssen, zur Rede stellen, ganz egal, was danach passiert.

Sie tut es nicht, aber sie denkt noch die halbe Nacht darüber nach und sie weiß genau, es wird sich etwas ändern in der Redaktion. Praktisch sieht es so aus, als könne ab jetzt ein anderer Ton am Redaktionstisch herrschen. Besser wird er nicht. Keinem Vorgesetzten ist es angenehm, wenn er durch die bloße Anwesenheit eines Menschen an eine Stunde erinnert wird, wo er vor einem Mitarbeiter die Hosen heruntergelassen hat.

Rita ist immer noch nicht völlig sicher, ob sie den Zustand zwischen Nils und ihr auch wirklich so gewollt hat. Für den Moment denkt sie, beim Sex herrscht Damenwahl, auch wenn die Männer anderer Meinung sind. Wenn es nicht so ist, ist es gefährlich. Ein guter Mann glaubt ohnehin, er habe mit seinem Sexappeal die Erwartung der Frau geweckt. Irrtum, Herr Hegau. So richtig geschlafen hat die Erwartung nie.

In der Redaktion

Es ist nicht so, dass sie am Morgen des nächsten Tages Reue empfindet. Im Gegenteil. Sie hat nur etwas in Gang gesetzt, was nicht zu ihren Zielen passt, nicht zu ihrem Denken. Noch immer kann sie sich nicht erklären, warum es ausgerechnet Nils Hegau sein musste, den sie nur verdammt schlecht einschätzen kann.

Schon ihr erster Blick in den Badezimmer-Spiegel sagt ihr, dass es keine Wiederholung geben wird. Das mag an seiner Stellung im Verlag liegen, immerhin ist sie ihm unterstellt. Viel wahrscheinlicher ist, dass es an seinem Frauenbild liegt, dem sie an diesem Morgen mal wieder so gar nicht entspricht.

Sie erinnert sich nicht ungern seiner ekstatischen Stimme, als er sie wissen ließ, was ihm an ihr so gefällt, an seine zärtlichen Bisse in all die Stellen ihres Körpers, die sie ihm viel zu lange vorenthalten habe. Aber das, was ihm angeblich gefällt, entspricht wiederum nicht dem Nils-Hegau-Bild, das Rita sich im Laufe der Zeit mühevoll aufgebaut hatte. Aber war es nicht schon einmal so? In gewissen Stunden heucheln alle Männer. Das gehört zweifelsohne zu dem Testosteron-Cocktail, mit dem sie ihren Jagdinstinkt füttern, bis sie zum Schuss kommen.

Komm her mein süßes Rehlein, komm raus aus dem finsteren Busch ….

Und dann: Peng!

Sie hört den Klang seiner Stimme und erlebt die Wirkung noch einmal, die das Neue auf sie ausübte. Sie war sprachlos und zugleich hätte sie einen Schwall von tausend Worten heraussprudeln wollen, wäre damit nicht ihr kleines Geheimnis gefährdet.

In den nächsten zwei Tagen bleibt Rita bewundernswert ruhig. Einmal, als sie von einer Recherche zurück in die Redaktion kommt und schon im Hausflur seine polternde Stimme durch die geschlossene Tür hört, huscht ihr ein kleines Liedchen über die Lippen, obwohl es um ihre musische Begabung nicht halb so gut steht, wie um ihre literarische.

Am Abend steht Nils Hegau vor ihr – dieses Mal ist er auf sehr leisen Sohlen gekommen. In der Hand einen Becher Kaffee, so steht er im Türrahmen. Jemand muss sich aus irgendeinem Grund zu später Stunde noch seiner erbarmt haben. Nils Hegau bedient niemals selbstständig den Kaffeeautomaten.

Ohne ein Wort steht er da und starrt auf die Häuserfront der anderen Straßenseite. Dort ist das Leben hinter erleuchteten Fenstern bereits angekommen, während sich unten auf der dunklen Straße kaum noch Leben regt. Auch Nils scheint leblos. Irgendetwas nagt an ihm. Das spürt Rita genau und sie riecht den Braten förmlich. Es braucht viel Erfahrung, wenn ein Mensch, der etwas sieht, auch gleicht etwas riecht. Männer ahnen nicht einmal, wie viel Verstand man braucht, um sich dumm zu stellen.

Dieses Mal ahnt Rita nicht, wie sehr sie sich irrt – wie sehr sie sich generell in Nils Hegau irrt und was ihr noch bevorsteht.

Obwohl sie ihn ignoriert, merkt sie, wie anders die Situation ist, welchem Unbehagen er zu trotzen scheint, wenn er sogar an seinen Fingernägeln kaut. Sie muss sich überlegen, was sie mit ihm bereden will, wenn er zu sprechen beginnt. Auf keinen Fall will sie hören, das alles nicht so gemeint war – und diese ganze Grütze … Sie kann ihm nicht zuvorkommen, ist innerlich von einem Fieber gefangen, das sie nicht deuten kann. Schon die Absicht ist ein kleiner Selbstbetrug.

Nils zieht den Ärmel seiner Jacke hoch und schaut auf die Uhr. Rita beobachtet indessen die Sekundenanzeige in der rechten Ecke ihres Rechners. Gab es je einen Moment, wo sie das nötig hatte? Unerträglich, wie er es wortlos schafft, sie von ihrer großen Leidenschaft abzuhalten. Wie oft schon hat er früher bei Tage so dagestanden, sie auf subtile Art angeschaut, um im Handumdrehen mit seinen Schimpftiraden einen ihrer Artikel zu kritisieren. Bisweilen hat er ihn bis zur Unkenntlichkeit gekürzt und ihn wütend auf den Tisch geschleudert. Manchmal ist seine Stimme geradezu so heftig geworden, dass jeder im Haus in aller Deutlichkeit spüren konnte, was der Herr Redaktionsleiter von der Leistung seiner Mitarbeiterin hält.

Freilich hatte sie ihre Strategie. Wenn sie in ihrer unangreifbaren Art zu lächeln anfing, war der Wind aus seinen Segeln und die tagelange Flaute zog bei Rita ein inneres Hoch nach sich, das sie in allen Fassetten ausgekostet hat. Woher sollte sie die Achtung vor ihm nehmen? Woher jetzt? Sie will das Schweigen brechen, will ihm zuvorkommen, will sagen, dass sie weiß, was er sagen will.

»Ich muss für eine Zeit nach Wuppertal«, gewinnt er mit kehliger Stimme den Wettlauf gegen das Unbehagen.

»Schön für dich«, sagt sie spöttisch, aber innerlich erstaunt. Perplex geradezu.

»Und für dich «

»Für mich ändert sich nichts. Du musst mir jetzt nicht sagen, dass ich unselbstständig bin. Ich kenne deine Meinung …«

Mit ein paar Schritten ist er bei ihr und schaut sie mit einer Ratlosigkeit an, die nur ein Jammerlappen haben kann.

»Du bist nicht unselbstständig. Ich meine das mit uns Rita, das darf nicht …«

»Schon gut«, winkt sie ab. Was sollten jetzt Worte über ihr sexuelle Verfehlung, die er ihr auf subtile Art klarmachen will. Ihre Hand winkt ab…

»Das darf nicht alles gewesen sein«, stottert er, als habe ihn etwas ganz Schreckliches erfasst.

So erschrocken sie auch ist, jetzt erst fällt es ihr wie Schuppen von den Augen. Einen solchen Satz hat Nils Hegau in der Tat noch niemals über seine Lippen gelassen. Also hat sie sich nicht getäuscht. Erst jetzt, wo sie Sex miteinander hatten, nimmt er sie und ihre Fähigkeiten wahr. Für einen Moment verfällt sie in gewisse Panik. Was zum Teufel bedeutet: Es kann nicht alles gewesen sein?

»Wirst du mir treu sein, solange ich weg bin?«

Rita lacht, ein wenig hysterisch vielleicht, ein wenig aber auch als Abwehr gegen den blöden Jux, den er sich erdreistet. Ein Gefühl unendlicher Erleichterung überkommt sie und zugleich schämt sie sich dafür, dass sie auch nur einen winzigen Augenblick an die Wahrhaftigkeit seines Begehrens nach ihr geglaubt hat. Sie beißt sich auf die Lippen und ist versucht, ihn einfach wieder zu ignorieren. Doch das gelingt ihr nicht. Dafür ist Nils Hegau zu stark und ihre Gegenwehr allzu sehr überrumpelt. Er ist ein Mann mit sehr starkem Willen, der immer aufs Ganze geht. Leider scheint das Ganze an diesem Abend ausschließlich ihre untere Hälfte zu sein.

Während Nils Hegau mit Siegesgewissheit von Rita Besitz ergreift und ohne jede Zärtlichkeit mit wildem Schnaufen in sie eindringt, schaut Rita über seine Schulter vorbei zur Wand, wo ein Stillleben hängt, das sie längst durch ein anderes Bild ersetzen wollte, wozu sie aber noch keine Zeit gefunden hat.

Erst jetzt begreift sie, dass alles in diesem Zimmer anders sein muss, wenn Nils Hegau von seiner Reise aus Wuppertal zurückkehrt. Alles, einschließlich Rita Georgi.

Rita kommt nicht dazu, ihr Leben umzukrempeln. Endlich hat sie einmal genug zu tun. Mehr als genug. Ihr Roman ist vom Verlag angenommen, und in kurzen Abständen kommt ein Andruck-Kapitel nach dem anderen zur Korrekturbestätigung bei ihr an.

Und schließlich bleibt seit Wochen die ganze Redaktionsarbeit an ihr hängen...

Volker Heidenreich hüllt sich über den Grund von Nils Hegaus langer Abwesenheit in Schweigen. Die anderen wissen ohnehin selten etwas über die Radaktions-Etage des Verlages, und doch lebt Rita Georgi irgendwie auf. Seit kurzem gelingt es stets, ihre Artikel so in das Blatt zu bekommen, wie sie selbst sie geschrieben hat, auch wenn es nur um so lapidare Themen wie Trauer geht. Heidenreich hat sie gelobt für ihren Beitrag zum Totensonntag und inzwischen gibt es auch schon Lesermeinungen, die ihr mitteilten, wie sehr ihnen der Artikel aus der Seele spricht. Freilich sieht es aus ihrer Sicht ganz anders aus, weil rund um den halbseitigen Beitrag die Anzeigen und die als Textpassagen verkappte Werbung der Bestattungsinstitute den hintergründigen Kommerz erkennen lassen. Nun, denkt sie, das hat Gott sei Dank bald ein Ende. Der Vertrag über ihre freie Mitarbeit bei der regionalen Tageszeitung «Spree-Rundschau» ist so gut wie in Sack und Tüten und dann können ihr alle hier den Buckel runterrutschen. Bald kann sie ihre Zeit einteilen, wie es ihr gefällt, und sie kann ihre Beiträge formulieren, wie sie es gelernt hat.

Rita bläst heißen Atem aus ihren Lungen und kichert in sich hinein. Nein, den Buckel runterrutschen würde sie niemandem gestatten, und

Nils Hegau am allerwenigsten. Dem würde sie nicht einmal gestatten, ihr zum Abschied die Hand zu geben. Den kann man ihr inzwischen nackend auf den Bauch binden und sie würde steif bleiben wie ein Brett.

Genau genommen hat sie in der letzten Zeit gar keine Zeit gefunden, an Nils zu denken und an den verdammten Abend schon gar nicht. Das mit ihm ist Geschichte und wird keine Wiederholung erfahren.

Aber dann geschieht doch etwas, was sie nicht vermuten konnte.

Er ruft in der Redaktion an. Seine Stimme klingt, als hätte er zehn Pfund Kreide gefressen. Rita sieht keinen Anlass, ihn im Regen stehen zu lassen. Bis zu einem gewissen Moment. Sie ist in ihren Antworten kurz und bündig, geht ihm nicht um den Bart, ist aber auch nicht so abweisend, wie Nils es plötzlich versteht.

»Ich bin dir ja nicht böse, dass du keine Zeit für mich hast. Aber ich werde dich bestrafen müssen, wenn ich wieder da bin. Deine Liebe ist nicht groß genug. Nicht so groß, wie es meine Liebe verdient. «

Im ersten Moment ist sie entsetzt und donnert den Hörer wütend auf die Station. Ihre Wut hält solange an, bis sie ein gewisses Gespräch mit Heidenreich führt.

Schon oft in stillen Nächten war ihr das Bild von Nils erschienen, das Bild des wilden Teufels mit eingefrorenem Gesicht, aber mit triumphalem Schwanz. Es kann doch kein Triumph für Nils Hegau gewesen sein, über eine Frau herzufallen, die nicht so genau wusste, ob sie bereit war, mit ihm zu tun, was er beabsichtigte. Ein Triumph konnte allenfalls das erste Mal gewesen sein, damals, als sie einhellig und in Zärtlichkeit verschmolzen.

Am Morgen, nachdem sie lange grübelnd im Bett gelegen hat, ist sie sich sicher, dass sie Nils Hegau schon immer gehasst hat. Schon immer war etwas an ihm, was sie nicht durchschaute. Nur ihre verflixte Neugierde war schuld daran, was letztlich passiert ist.

Inzwischen hat sie Heidenreich über ihren Weggang informiert. Das musste sein, denn es gibt eine Klausel in ihrem Arbeitsvertrag, die eine Kündigungszeit von zwei Wochen vorsieht. Damals vermutete sie einen arglistigen Arbeitgeber-Schachzug hinter der verdammt kurzen Frist. Heute ist sie gerade darüber sehr froh.

Von dem Gespräch mit Heidenreich bleibt kaum etwas Wesentliches in ihrem Gedächtnis. Das liegt weder an ihr noch an Heidenreich, das liegt an Nils Hegau. Heidenreich hat sich gleichgültig gegeben. Er tat so, als habe er mehr gute Leute in petto, als er brauchen kann. Er hat sich gewunden, wie ein getretener Wurm, und hat dann jenen Satz gesagt, der ihre Alarmglocken hat schrillen lassen.

Ihr Weggang sei eben nur ein denkbar schlechtes Timing, weil doch der Hegau zur Therapie sei und weil man neue Leute erst einarbeiten müsse. Aber er akzeptiere ihre Entscheidung und er weine schließlich niemandem eine einzige Träne nach.

Freilich war in Heidenreichs Worten die Absicht versteckt, an ihr Einsehen zu appellieren, freiwillig abzuwarten, bis Nils Hegau wieder gesund ist. Aber dazu hätte er wenigstens ein Zeitfenster umreißen müssen. Das hat Heidenreich nicht gemacht.

Leise Wut kocht in Rita hoch, weil sie diesem Hegau in die Falle gegangen ist. Angst hat sie vor ihm nicht. Es besteht auch kein Anlass mehr, denn in zwei Wochen ist sie weg - wenn auch nicht aus der Welt. Immerhin ist die Stadt überschaubar und die Verhältnisse im Spree-Rundschau-Verlag kennt sie nicht so gut, um sich vor ihm absolut sicher zu fühlen.

Wenn sie nur wüsste, was das für eine Therapie ist und warum Nils sie grundlos angelogen hat? Er müsse nach Wuppertal. Wieso sollten ihn seine Schwiegereltern so lange brauchen? Und dann fällt es ihr ein. Sie hatte doch tatsächlich schon vor einiger Zeit Nils Hegaus Frau Alice beim Frisör gesehen. Warum sollte er in Wuppertal bei ihren Eltern sein und sie ist hier?

Rita beißt die Lippen zusammen. Warum, verdammt, bin ich nicht aufmerksamer? Eine gute Journalistin wäre längst auf schlechte Ideen gekommen.

Das sagt ihre Freundin Janina immer. Rita weiß, Jani wäre unter diesen Umständen in Rachegelüste verfallen. Aber Rita weiß auch mit unerschütterlicher Sicherheit, dass sie mit ihrer Konsequenz am Ende gewinnen wird, weil das Leben bisher gerecht mit ihr gewesen ist. Im Moment sieht alles danach aus, dass ihr Leben gerade auf die Überholspur lenkt. Sie wird einen Teufel tun, wegen eines menschlichen Fehlers den Kopf in den Sand zu stecken. Sie wird auch den Teufel tun, wegen Nils Hegaus Krankheit weiterhin beim «Wochen-Boten» so dahin zu zuckeln. Für sie bringt auch niemand ein Opfer.

Bis Rita Georgi ihren letzten Arbeitstag in Heidenreichs Verlag absolviert, ruft Nils Hegau noch dreimal an, aber Rita hat sich die Nummer notiert, vermutlich eine von der Heilanstalt. Jetzt erkennt sie sofort, als sein Anruf kommt. Sie täuscht eine Störung vor. Beim dritten Mal nimmt sie den Hörer gar nicht mehr von der Station.

Im neuen Verlag

Die Distanz von ihrer Wohnung in der City bis zum Spree-Rundschau-Verlag ist etwas größer, als ihr Dienstweg bisher war, dafür aber wird sie nicht so oft in dem großen Haus herumsitzen, wie es im kleinen Haus bisher der Fall war. Sie hat zwar ein Auto, aber sie nimmt sich vor, täglich die Strecke mit dem Fahrrad zu fahren, das hilft der Umwelt und erspart den leidigen Kampf um die Parkplätze. Noch spielt das Wetter mit, aber es ist zu erwarten, dass es bald gefährlich glatt wird.

Rita hat bei ihren Eltern in der Stadtmitte ihr eigenes Zimmer, aber morgens gibt es meistens Stress. Jeder möchte sofort nach dem Aufstehen zur Toilette gehen und ausgiebig das Bad benutzen. Es gibt auch die angenehme Seite. Sie wird noch umsorgt. Zu den verdammt unangenehmen Seiten zählt, dass sie wichtige Dinge zuweilen nicht wiederfindet, weil ihre Mutter einen Räumfimmel hat. Besonders bei solchen Dingen, die sie nicht in ihrem Zimmer aufbewahrt, wie Schuhe, Schirme, Körperpflegemittel. Das mag zum Mutterinstinkt gehören, den sie nicht – noch nicht – einschätzen kann, der sie nur nervt und von dem sie felsenfest überzeugt ist, ihn einmal selbst nicht zu bekommen.

Eigentlich beginnt ihre Dienstzeit gegen neun Uhr. Beim «Wochen-Boten» hat sie zumeist vorzeitig an ihrem Arbeitsplatz gesessen, aber jetzt traut sie sich nicht, in aller Herrgottsfrühe beim Rundschau-Verlag aufzukreuzen und womöglich als Streberseele zu gelten. Und ob sie abends länger bleiben kann, das wird sie später sehen. Es muss sich so vieles ändern in ihrem Leben, aber dafür braucht man die nötige Ruhe und einen klaren Verstand, der in letzter Zeit irgendwie aus dem Tritt gekommen ist. Das liegt beileibe nicht nur an der freudigen Aufregung darüber, dass sie mit ihrem Manuskript bei einem renommierten Verlag untergekommen ist. Beileibe nicht.

Der Herbstmorgen liegt grau über der Stadt – nur östlich ein heller Streifen am Horizont. Sonne wird es aber nicht geben an diesem Novembertag. Sie mag die Silhouette der Altstadt, die gemütlich, aber nicht außergewöhnlich imposant ist. Nur die alten Türme der mittelalterlichen Stadtmauer und die drei Kirchen erheben sich majestätisch über die roten Ziegeldächer. Dieser Anblick trägt das Gefühl von Heimat in Ritas Herz. An diesem Gefühl soll sich nichts ändern. Was genau soll sich an ihrem Leben ändern?

Zuerst müsste sie mal was für ihr Gemüt tun. Eine neue Frisur, ein schönes Kostüm. Immer nur in Jeans, das passt nicht zu jedem Anlass. In Zukunft wird sie in der ganzen Region unterwegs sein. Vielleicht sollte sie über eine eigene Wohnung nachdenken?

Energisch schiebt sie den Gurt ihrer Stofftasche über die linke Schulter. Ihr forscher Schritt verrät, wie viel neue Tatkraft in ihr steckt. Schade, sie hätte doch das Fahrrad nehmen sollen, aber heute gibt es einen Grund, aufgeräumt auszusehen, wenn sie im Verlag erscheint. Gerade fährt heftig klingelnd eine Straßenbahn an der Haltestelle Mitte ein, und Rita erinnert sich noch an die Zeit, als der Betonbogen der Fußgängerbrücke den grünen Platz überspannte.

Als sie noch Kind war, lief sie manchmal quer durch die kunstvoll angelegten Blumenrabatten, um den Weg über die Brücke abzukürzen. Wo gibt es heute noch prächtige Blumenrabatten? Kaum eine Stadt kann sich den Luxus gepflegter Innenstadtparks noch leisten. Armes Deutschland.

Sie wirft ihren Kopf in den Nacken und läuft eilig weiter. Hoch über ihr ein Krächzen. Dunkel und drohend kreisen Hunderte von Raben.

Rabenland ist abgebrannt – unser alter Kinderreim. Rabenland ist überall. Rabenland herrscht in der Gesellschaft, in der Familie, unter vermeintlichen Freunden. Auch heute. Wahrscheinlich gehört es zu dieser Welt, gestern wie heute. Nils Hegau muss im Rabenland leben.

Manchmal macht es sie wütend, wenn sie ganz unverhofft an ihn denkt. Sie ist noch jung, möchte leben, möchte lieben, im Taumel der Zeit schwelgen und aus dem Vollen schöpfen. Mit Mark Hellmann wäre ihr das Dilemma vermutlich nicht passiert. Mark ist ein toller Kumpel.

Die Raben drehen ab. Sie sind nur lästig, weil es so viele sind, denkt sie. Geh deinen Weg allein, Rita Georgi.

Sie verscheucht die lästigen Gedanken an Nils Hegau. Es darf kein Problem daraus entstehen. Klar hat sie selbst einen unverzeihlichen Fehler begangen. Sie hätte ihrem gesunden Menschenverstand folgen und seinem Scharm widerstehen sollen. Hätte er je die kleinste Andeutung gemacht, sie wäre wahrscheinlich gewarnt gewesen. Bei Mark Hellmann war sie immer gewarnt und sie hat sich mit viel Witz davor gefeit, ihren besten Freund nicht auf diese Art und Weise zu verlieren.

Klar weiß sie, dass alles, was sie jetzt denkt, Selbstbetrug ist. Nils war bis zu diesem bewussten Abend kein Thema für sie, über das man nachdenken musste. Außer seinen ätzenden Chef-Allüren, die wahrscheinlich jeder Boss einmal hat, gabt es in der Tat keinen Grund, warum sie ihm hätte aus dem Wege gehen sollen. Und der erste Abend mit ihm war echt toll.

Noch eine Runde dreht die Rabenschar über dem Hochhaus, dreht dann wie auf Kommando nach Südwesten ab. Patsch. Das hat ihr gerade noch gefehlt. Gerade heute. Warum zum Teufel steht sie immer am falschen Platz!

Ein hässlicher Klecks auf ihrer unbefleckten Weste sagt ihr auf sichtbare Art, jemand will sie beschmutzen. Zugleich weigert sich ihr wacher Verstand, solche Gedanken zuzulassen, aber ein gutes Zeichen ist ein Raben-Fleck wahrlich nicht. Grad heute nicht.

Eigentlich ist sie glücklich, eine neue Aufgabe zu haben, die sie fordert, die ihr einiges abverlangt. Die gewisse Oberflächlichkeit bisher hat ihr keinen Spaß gemacht, und wahrscheinlich darum hat sie geglaubt, sie müsse ihren eigenen Wünschen intensiver entsprechen. Und zu diesen Wünschen gehörte freilich auch Sex. Niemals in ihrem Leben waren die kleinen Träume unrealistisch und wohl deshalb überwog die Zufriedenheit an ihrem Leben. Ihr fehlt nichts. Und jetzt, wo sie endlich einmal etwas Großes geschaffen hat, wo niemand kommt und die Hälfte ihrer Kreativität wieder zunichtemacht, weiß sie, dass noch viel mehr in ihr steckt.

Über einen Satz der Lektorin des Münchner Verlages denkt sie schon längere Zeit nach:

… möchten Sie unter einem Pseudonym veröffentlichen? Da es in ihrem Roman um brisante Tatsachen geht und diese den Geschehnissen in Ihrer Stadt entlehnt wurden, ist es vielleicht ratsam …

Sie steht zu allem, was sie schreibt. Und sie hat die Fakten weder geschönt noch übertrieben. Aber reizvoll ist es allemal, nicht von jedem Unwissenden als die Urheberin eines Skandal-Buches erkannt zu werden. Dann aber kommt sie mit sich überein, ihren Namen nicht zu ändern. Dafür lebt sie schon zu viele Jahre fest an diesen Namen gekettet. Wohl deshalb war der Vorschlag der Lektorin nicht bis in ihr Inneres gedrungen. Riana Gora. Rietta Georgetti. Hochnäsig. Abgehoben. Anmaßend. Dünkelhaft.

Nach der Redaktionskonferenz, auf der sie allen anderen Mitarbeitern vorgestellt wurde, sitzt sie nun zum ersten Mal ganz allein in ihrem neuen Büro, das leider ein Durchgangsbüro ist. Nebenan der Redakteur, dessen witzige Kolumnen Rita immer besonders begeistert gelesen hat, der aber als Person gar nicht witzig rüberkommt, eher verbissen ehrgeizig, Andreas Pankwitz ist noch nicht an seinem Platz. Sein Büro ist noch duster, wahrscheinlich verdunkelt. Jedenfalls kann sie sich in der Glasscheibe der Durchgangstür wie in einem Spiegel betrachten.

Geduscht, geföhnt und sogar ein wenig geschminkt – aber mit einem hässlichen Fleck auf der Jacke - war sie überpünktlich im Büro erschienen. Tatsächlich ist sie ohne ihre gewohnt lässige Aufmachung eine recht attraktive Frau. Zuerst dachte sie, sie kann sich ohne ihre geliebten Jeans, hineingepfercht in knitternde Blusen und unbequeme Röcke, niemals wohl fühlen - nicht vor den Augen der Menschen, sondern in ihrer eigenen Haut. Sie muss ihr Haar noch einmal zurechtzupfen und streift den Kragen ihrer schneeweißen Bluse glatt, die ihr plötzlich etwas von Dame gibt. Zwar hat ihre liebgewordene Aufmachung in Jeans und Pullover ihrer Sinnlichkeit nie einen Abbruch getan, aber gewundert hatte sie dann doch, dass ausgerechnet Nils Hegau ein Auge auf sie geworfen hat, wo sie doch das pure Gegenteil von seiner aufgedonnerten Frau Alice darstellt.

Darstellte.

Die Erleichterung steht ihr ins Gesicht geschrieben. Irgendwie hat sie ihre kleine Veränderung sogar erschüttert – positiv erschüttert, weil mit der adretten Hülle auch die verkrusteten Strukturen ihres Denkens über die Weiblichkeit erheblich gelockert sind.

Was würde wohl in ihr vorgehen, wenn sie einen zweiten Namen trägt. Riana Gora. Sie müsste weder ihre Initialen ändern, noch müsste sie sich große Mühe bei der fremden Unterschrift geben.

Das Telefon läutet. Die Sekretärin der Redaktion meint, es wäre ein Anrufer dran, der nur sie sprechen wolle, keinen anderen dieser Schleimer. Genau so habe er es gesagt.

Nun, das ist durchaus üblich, dass die Zeitungsmenschen, die beileibe nicht allen Leuten ums Maul schreiben, als Schleimer bezeichnet werden, denkt sie für einen Moment, aber wer sollte ausgerechnet heute … ausgerechnet sie ...?

»Rita Georgi. Guten Tag …«

»Das hättest du nicht tun sollen, mein Engel …«, hört sie vom anderen Ende der Leitung. Rita durchfährt es eiskalt. Sie spürt, wie sich Muskelstränge verhärten, wie sich Sehnen anspannen, deren Existenzen sie bislang nur von Anatomiezeichnungen kennt. Sie muss sich sehr beherrschen, den Hörer nicht weit von sich zu schleudern und ist sich doch nicht sicher, ob sie unter diesen Umständen überhaupt einen Ton herausbringen kann. Ganz sicher wird sie sich nicht mit Nils Hegau auf ihrer neuen Dienststelle herumstreiten. Ganz sicher nicht.

»Tut mir leid, aber ich kann jetzt nicht sprechen, wir haben gerade … Redaktionskonferenz«, lügt sie nach einem kleinen Hustenanfall und weiß zugleich, dass einer wie Hegau viel zu gerissen ist, um nicht längst herausgefunden zu haben, dass es eine Ausrede ist.

»Lüg mich bloß nicht an«, krächzt er wie von Sinnen, doch dann – wie ausgewechselt - tönt es von Engelszungen: »Mein Sonnenschein. Ich weiß, dass du nicht meinetwegen von Heidenreich weg bist. Dafür lieben wir uns viel zu sehr. Aber kannst du mir mal erklären, wie es jetzt mit uns weitergehen soll?«

Mit einem Mal erkennt sie das ganze Dilemma, in dem sie seit Wochen steckt und das sich nicht ändern wird, wenn nicht etwas Ungewöhnliches passiert.

»Mit uns wird nichts weitergehen, Nils Hegau. Du bist verheiratet und hast eine schöne Frau, und ich bin …«

»Du bist eine schöne Frau, die schönste, die ich je unter mir hatte.«

Abgesehen davon, dass diese vulgäre Art keiner Erwiderung bedarf, empfindet sie die Lüge in seinen Worten empörend.

»Ich bin nicht schön, und das weißt du auch. Also, wer von uns beiden flunkert hier?«

»Oh, dann weißt du nur nicht, wie schön du bist. Du bist wunderschön, du bist nur nicht lieb genug. Aber das wirst du noch lernen. Ich werde es dir beibringen, mein Engel. Zu jedem Zuckerbrot gehört auch eine kleine Peitsche. Erinnerst du dich nicht mehr, wie es war, als wir es miteinander getrieben haben?«

Rita hält ihre Hand vor Mund und Sprechmuschel, aber sie zischt bösartig:

»Wenn hier jemand etwas treibt, dann bist du es. Du treibst das Spiel zu weit. Du bist ja verrückt …«

Rita knallt den Hörer so heftig auf die Station, dass ein technisches Malheur zu befürchten ist, das sie nicht selbst beheben kann. Ärgerlich. Sie ist erst den dritten Tag hier.

Später probiert sie es aus, das Telefon ist noch intakt. Sie ruft die Sekretärin an und gibt eine Nummer durch, die partout nicht mehr zu ihr durchgestellt werden soll und am besten zu niemand anderes im Verlag. Es handele sich um einen nicht ernstzunehmenden Anrufer aus einer Nervenheilanstalt.

Noch den ganzen Tag über ist sie unkonzentriert. Es belastet sie ungemein, nicht daran gedacht zu haben, dass Nils Hegau alles daran setzen könne, sie aufzuspüren – und schwer kann das wahrlich nicht sein.

Schwerer empfindet sie das Problem als solches, von dem ihr noch nicht einmal entfernt vorschwebt, wie sie es lösen kann. Gerade jetzt kann sie keinen Skandal gebrauchen. Natürlich gibt es auch Möglichkeiten, ihm jeglichen Kontakt verbieten zu lassen, aber dafür ist nicht genug passiert und wenn es doch gelänge, dann wäre der Skandal geradezu vorprogrammiert. Was Nils Hegau vermutlich in diesem Falle anstellen würde, liegt klar auf der Hand.

Zwei Tage später fragt die Sekretärin zuerst an, ob sie die weinerlich klingende Stimme eines Mannes hören wolle, der vorgibt, Georgi zu heißen, Rainer Georgi.

Zuerst ist es, als gehöre die Stimme niemandem, den sie kennt, und schon gar nicht ihrem Vater:

»Deine Mutter meint … ich meine …würde es dir etwas ausmachen, heute mal direkt nach Feierabend nach Hause zu kommen, es ist etwas…«

»Ich komme immer direkt nach Hause. Vielleicht solltet ihr wissen, dass ich …«

Es war zu erwarten, dass er sie nicht ausreden lässt.

»Deine Großmutter ist …«

Wenn sie bei keiner anderen Nachricht so aufgeschreckt zuhören würde, bei Großmutter immer. Wenn sie an niemanden eine innige Bindung hat, nicht einmal an ihre Eltern, für Oma Frieda empfindet sie eine ganz gewisse Zuneigung, eine, die das Herz betrifft. Dafür, dass es um Oma geht, hört sich Vaters Stimme nicht wirklich gut an.

»Sag jetzt nichts …Sag nichts Papa!«

»Dann komm nach Hause.« Rita kennt ihren Vater und sie kennt die Art, seiner Stimme einen beiläufigen Klang zu geben.

Es ist, als stellt sie fest und fragt zugleich: »Sie ist gestorben ...?«,

aber Rainer Georgi scheint nur eine Frage herausgehört zu haben.

»Ja.« Sein Atem geht kurz, wie es immer ist, wenn er die Nerven für das, was man ihm zumutet, nicht aufbringt.

Erst als sie die Treppe herunter saust, der Sekretärin ein paar Worte zuruft, spürt sie, wie das kleine Wörtchen Tod zu etwas Greifbarem wird, etwas, das sie selbst betrifft, über das sie nicht nur in einem – wenn auch hoch gelobten - Artikel zu berichten hat, den man verändern kann, umschreiben, anpassen, redigieren, bis er die gewünschte Dimension annimmt.

Zu Hause sitzen sie eine ganze Weile einfach da, keiner sagt etwas, jeder wartet auf den letzten Trost, den es noch geben kann. Doch der Tod gewährt keinen Trost. Das Warten verändert sich nach einiger Zeit. Warum bleibt das Entsetzen aus, denkt Rita. Warum der lähmende Schreck, der immer kommt, wenn man dem Tod gegenübersteht.

Ihr Vater streckt die Hand nach ihr aus, drückt sie und versucht mit einem Lächeln die Unruhe aus ihrem Blick zu vertreiben. Das Gefühl der Schuld kann er nicht vertreiben. Ja, Mama hat Recht, sie war schon seit einiger Zeit nicht mehr in Alt Zechau bei Oma Frieda gewesen. Unverzeihlich. Alles was ihr an Zeit zur Verfügung stand, hatte sie in diesen verflixten Roman gesteckt – und nun?

Sie kann sich jetzt gar nicht mehr über ihren Erfolg freuen, kann nicht einmal ihre Eltern an ihrem Erfolg teilhaben lassen, von dem bislang beide keinen Schimmer haben. Irgendwann begreift sie, dass es die Mutter ist, die jetzt am meisten Zuwendung braucht. Frieda war die Mutter von Mama Helga, und Helga Georgi war diejenige, die in letzter Zeit am meisten für Frieda gesorgt hat.

Auch wenn sie keine besondere Innigkeit verbindet, spürt sie doch eine zwingende Verantwortung für ihre Mutter. Davon kann und will sie sich nicht frei machen.

»Es tut mir leid, Mama«, sagt sie wenigstens. »Ja, ich war so lange nicht bei Oma, aber das hatte einen ganz besonderen Grund. Einen, den ich euch noch nicht gesagt habe, den ihr aber wissen solltet.«

»Wie kannst du annehmen, dass wir jetzt über deine Probleme reden wollen?«

Der Zorn, der aus Mutters Stimme zu hören ist, der ihre Trauer für einen Moment überlagert, ist nichts als gerecht, aber diese Erkenntnis bringt Rita nicht weiter.

»Ja, es ist ein falscher Moment. Aber gibt es je einen richtigen? Ich will euch gar nicht mit meinem Problem belasten, und Oma kann es auch nicht mehr lebendig machen.« Sie schnäuzt sich und ringt nach Luft. »Aber wenn es euch schon nicht freut, Oma hat es sehr gefreut zu hören, dass ich …«

Sie hört auf zu reden. Tief in sich spürt sie, dass Mutter Recht hat und dann auch wieder nicht. Warum hat sie denn ihren Eltern nicht erzählt, dass sie in all den Nächten einen Roman geschrieben hat. Sollen sie es hören, jetzt, und nicht erst, wenn er gedruckt vor ihnen liegt. Das wird in Kürze so sein. Sie weiß nicht einmal, ob ihre Eltern lesen würden, was sie geschrieben hat. Sie kann sich aber gut vorstellen, dass sie in diesem Fall die Probleme der Stadt erkennen würden, die sie in der Handlung verarbeitet hat, weil die überall und auch in ihrem Elternhaus auf arge Kritik gestoßen sind.

Warum hat sie nur ihrer Großmutter davon erzählt?

Das Familienleben war generell aus dem Gleichgewicht geraten. Zuerst nur unmerklich, aber dann wurde die Kluft zwischen ihr und ihren Eltern immer tiefer. Der Grund ist nichts als fehlendes Vertrauen.

Rita hat die Stille, die sich langsam im Hause Georgi breitgemacht hat, zumeist sogar genossen. Und mit der Stille sind nicht die hörbaren Töne gemeint; der Wert der Worte ist gemeint.

Es ist ihr bisher lieber gewesen, sie schweigen sich an, als dass sie aus lauter Unkenntnis übereinander nur schlechte Luft ablassen.

Mit Oma Frieda war das immer anders gewesen. Auch mit ihr saß sie lange schweigend zusammen. Das war eine vertraute Stille, weil Worte nicht nötig waren. Wie lange ist es her, dass sie das letzte Mal …?

Wie viele Monate?

Erst, als sie in die Endphase ihres Romans gekommen war, blieben schließlich ihre Besuche im entfernten Alt Zechau aus. Zugegeben, es waren keine sehr langen Besuche, aber jeder einzelne war von großer Herzlichkeit getragen.

Die Beerdigung verläuft so bescheiden, dass es beinahe beschämend ist. Im Dorf weiß an diesem Tag kaum jemand etwas vom Beerdigungstermin der Frieda Körber. Rita weiß nicht, ob ihre Mutter nur kein großes Wesen darum machen wollte, oder ob sie schlicht überfordert ist. Sie muss es so nehmen, wie es ist. Aber es ist umso bedrückender, wenn nur wenige Augenpaare in das offene Grab blicken, wenn nur wenige Herzen in dumpfer Bedrückung ihren Schmerz verbergen, ihre Tränen tapfer zurückhalten. Was ihren Vater betrifft, der wäre sofort nach der Grabrede gegangen, doch das lassen die beiden Frauen nicht zu, zumal sich am Friedhofstor doch ein paar Leute eingefunden haben, denen die Hand nicht ausgeschlagen wird, wie Mutter streng entscheidet, sie ist schließlich eine von hier.

Rita streut als Letzte eine Hand voll Erde auf den Sarg, auf dem ein Bukett aus weißen Rosen liegt, das sie selbst im Blumengeschäft am Hochhaus bestellt hatte.

Sie tritt dann als Letzte durch das Friedhofstor wieder hinaus auf die Straße zwischen Alt Zechau und Vorwerk. Sie kennt die Leute nicht, die ihrer Mutter still die Hände schütteln, die mit ihr tuscheln, als schämten sie sich, nicht im ordentlichen Geleit geschritten zu sein. Die alten Frauen ziehen ihre Kopftücher tief in die Stirn und vor Ritas geistigem Auge entsteht das Bild ihrer Oma, die sommers wie winters ein solches Kopftuch getragen hat, das zu beiden Seiten steif über das Gesicht hinaus ragte, das breit und faltig auf den Schultern stauchte und dessen Zipfel tief in den Rücken hinunter ragte. Sobald Oma den Fuß aus der Tür setzte, warf sie das Tuch über den Kopf, das ihr grau meliertes Haar verbarg, um dessen kräftige Struktur Rita sie beneidete.

Sie trägt ihre alte Heliomatik-Brille, weil die auch ohne Sonnenschein bei hellem Tageslicht eine beträchtliche Färbung aufweist. So lassen sich ihre Tränen gut verbergen. Sie schämt sich nicht dafür. Sie schämt sich für sich selbst, schließlich hat sie aus purem Eigennutz ihre Lieblings-Oma ein paar Monate lang vernachlässigt.

Zum Glück muss sie niemandem die Hand drücken, man scheint sie gar nicht mehr zu kennen.

Erst später, als sie zu dritt auf dem Hof der Großmutter stehen, schaut Rainer Georgi seine beiden Frauen an und sieht, in welch jämmerlichem Zustand Rita ist. Schon hebt er seinen Arm, um sie liebevoll wie früher zu umfassen, als sie noch sein kleines Mädchen war, doch aus unerklärlichem Grund zieht er den Arm wieder zurück und fragt nur: »Alles in Ordnung?«

Ihm muss sie verzeihen, wenn er das fragt. Bei ihm ist wohl alles in Ordnung. Er hatte keine besondere Beziehung zu Oma Frieda gehabt und solange seine eigene Mutter noch lebte, war er damit beschäftigt, seinen Anteil an Verantwortung dorthin zu investieren.

»Ich glaub nicht«, sagt sie trocken und denkt zugleich, dass in letzter Zeit nichts mehr in Ordnung ist in ihrem Leben. Auch wenn ihr der Tod der Großmutter eine innere Leere beschert, weil er so unverhofft über sie gekommen ist, beginnt sie das erste Mal am Wert einer Familie zu zweifeln. Auch wenn sich alle bemühen, möglichst traurig auszusehen, weiß sie doch, dass von ihnen eine Last genommen wurde. Von ihr indes ist keine Last abgefallen. Die Last des Gewissens wiegt doppelt schwer, wenn man nicht alles gegeben hat, was ein alter Mensch braucht. Würde. Zuwendung. Und in gewisser Weise auch Liebe.

Zum Glück gibt es keine anderen Erben als Mutter Helga und das unwürdige Thema nervenzerrender Erbstreiterei bleibt ihnen erspart.

Janina

Mit so großer innerer Leere ist sie seit Langem nicht mehr in Berührung gekommen. Seit Wochen hat sie nicht mehr gelacht, nicht geliebt und sich auch sonst nichts gegönnt. Lachen könnte sie mal wieder. Wenigstens lächeln.