Obsidian 0: Oblivion 1. Lichtflüstern - Jennifer L. Armentrout - E-Book
SONDERANGEBOT

Obsidian 0: Oblivion 1. Lichtflüstern E-Book

Jennifer L. Armentrout

0,0
8,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 8,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Als Katy nebenan einzieht, weiß Daemon sofort: Das gibt Schwierigkeiten. Er darf keinen Menschen an sich heranlassen, denn das würde Fragen aufwerfen. Warum bist du so stark? Wie kannst du dich so schnell bewegen? Was BIST du? Die Antwort darauf ist ein Geheimnis, das niemals gelüftet werden darf. Doch Katy bringt Daemon vom ersten Tag an aus der Fassung. Er will ihr nahe sein, aber diese Schwäche kann er sich nicht erlauben. Sich in Katy zu verlieben würde nicht nur sie in Gefahr bringen – es könnte auch das Ende der Lux bedeuten. Die epische Liebesgeschichte von »Obsidian. Schattendunkel« – erzählt aus Daemons Sicht! Alle Bände der Oblivion-Serie: Oblivion 1: Lichtflüstern (Obsidian aus Daemons Sicht erzählt) Oblivion 2: Lichtflimmern (Onyx aus Daemons Sicht erzählt) Oblivion 3: Lichtflackern (Opal aus Daemons Sicht erzählt) Alle Bände der dazugehörigen Bestsellerserie: Obsidian. Schattendunkel Onyx. Schattenschimmer Opal. Schattenglanz Origin. Schattenfunke Opposition. Schattenblitz Shadows. Finsterlicht (Prequel) Alle bisher erschienenen Bände der Spin-off-Serie »Revenge«: Revenge. Sternensturm Rebellion. Schattensturm Redemption. Nachtsturm

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Sammlungen



Jennifer L. Armentrout: Oblivion. Lichtflüstern

Aus dem Englischen von Anja Malich

Als Katy nebenan einzieht, weiß Daemon sofort: Das gibt Schwierigkeiten. Er darf keinen Menschen an sich heranlassen, denn das würde Fragen aufwerfen. Warum bist du so stark? Wie kannst du dich so schnell bewegen? Was BIST du? Die Antwort darauf ist ein Geheimnis, das niemals gelüftet werden darf. Doch Katy bringt Daemon vom ersten Tag an aus der Fassung. Er will ihr nahe sein, aber diese Schwäche kann er sich nicht erlauben. Sich in Katy zu verlieben würde nicht nur sie in Gefahr bringen – es könnte auch das Ende der Lux bedeuten.

Die epische Liebesgeschichte von »Obsidian. Schattendunkel« – erzählt aus Daemons Sicht!

Alle Bände der Oblivion-Serie:

Oblivion 1: Lichtflüstern

Oblivion 2: Lichtflimmern

Oblivion 3: Lichtflackern

 

Dieses Buch ist für alle Daemon-Black-Fans,die mehr von ihm wollten.Ich hoffe, ihr habt Spaß daran!

Kapitel 1

Lautlos und viel zu schnell für das menschliche Auge bewegte ich mich in meiner wahren Erscheinungsform zwischen den Bäumen hindurch, jagte über das dichte Gras und die feuchten, mit Moos bewachsenen Steine. Ich war nicht mehr als ein Lichtstreifen im Wald. Ein Alien zu sein, der von einem dreizehn Milliarden Lichtjahre von der Erde entfernten Planeten stammt, war schon ziemlich genial.

Locker überholte ich eins dieser albernen Energiesparautos, das auf der Straße in Richtung meines Hauses unterwegs war.

Wie zum Teufel konnte so eine Karre einen so großen Anhänger ziehen?

Nicht dass es wichtig gewesen wäre.

Ich wurde langsamer und verwandelte mich in meine menschliche Erscheinungsform, hielt mich aber im Schutz der großen Eichen, während das Auto an dem leer stehenden Haus am Anfang unserer Straße vorbeirollte und dann vor dem Haus neben meinem stehen blieb.

»Shit, Nachbarn«, murmelte ich, als auch schon die Fahrertür geöffnet wurde und eine Frau mittleren Alters ausstieg. Gleich darauf steckte sie den Kopf noch einmal in den Wagen hinein und sprach mit jemandem, der offenbar noch drinnen saß.

Dann lachte sie und rief: »Nun komm schon raus.«

Wer auch immer bei ihr war, gehorchte nicht. Irgendwann schloss die Frau dennoch die Autotür, lief schwungvoll die Stufen zur Veranda hinauf und machte sich daran, die Eingangstür zu öffnen.

Wie war das möglich? Dieses Haus sollte leer bleiben – kein Mensch sollte hier leben. Diese Straße war das Tor zu der Lux-Kolonie am Fuß der Seneca Rocks und diesen Schwachköpfen konnte es doch nicht entgangen sein, dass das Haus zum Verkauf stand.

Das konnte einfach nicht sein.

Meine Haut prickelte und knisterte vor Energie und es fiel mir schwer, mich nicht in meine wahre Erscheinungsform zurückzuverwandeln. Ich war megagenervt. Unser Haus war der einzige Ort, an dem ich – wir – wir selbst sein konnten, ohne ständig befürchten zu müssen entlarvt zu werden. Und das wussten diese Schweine vom Verteidigungsministerium, dem verdammten VM, ganz genau.

Ich ballte die Hände zu Fäusten.

Vaughn und Lane, meine beiden persönlichen, von der Regierung zur Verfügung gestellten Babysitter, mussten es gewusst haben. Doch offenbar war es ihnen verdammt noch mal entfallen, als sie uns letzte Woche ihren Kontrollbesuch abgestattet hatten.

Die Beifahrertür des Toyota Prius öffnete sich einen Spaltbreit, was meinen Blick sofort in diese Richtung lenkte. Zuerst konnte ich nicht erkennen, wer da ausstieg, doch dann ging die Person vorn um den Wagen herum und trat in mein Sichtfeld.

»O Shit«, fluchte ich noch einmal leise.

Ein Mädchen.

Ich schätzte, dass sie ungefähr in meinem Alter war, vielleicht ein Jahr jünger. Sie drehte sich jetzt langsam im Kreis und ließ den Blick über den Wald schweifen, der sich in die Grundstücke der beiden Häuser hineindrängte. Dabei wirkte sie, als rechnete sie damit, im nächsten Moment von einem tollwütigen Berglöwen angefallen zu werden.

Zögerlich näherte sie sich der Veranda, als sei sie sich immer noch nicht sicher, ob sie das Haus wirklich betreten wolle. Die Frau, von der ich annahm, dass sie ihre Mutter war, hatte die Haustür offen gelassen. Vor den Stufen blieb das Mädchen stehen.

Während ich lautlos weiter zwischen den Bäumen hindurchglitt, musterte ich sie. Sie war durchschnittlich groß. Eigentlich schien alles an ihr durchschnittlich zu sein – ihr braunes, locker zusammengebundenes Haar, das blasse, rundliche Gesicht; ihr Gewicht – sie war eindeutig nicht so hässlich dürr wie viele andere Mädchen – und ihre … okay. Nicht alles an ihr war durchschnittlich. Mein Blick blieb an ihren Beinen hängen.

Die Beine hatten es verdammt noch mal in sich.

Sie drehte sich um und blickte mit unter der Brust verschränkten Armen in den Wald.

Gut. Dieser Bereich war ebenfalls auf keinen Fall durchschnittlich.

Noch einmal ließ sie den Blick über die Baumreihen schweifen und hielt dann inne, genau dort, wo ich stand. Unwillkürlich öffneten sich meine Hände, ich rührte mich aber nicht vom Fleck, vergaß sogar zu atmen. Sie starrte mich direkt an.

Dabei war ich im Schatten der Bäume verborgen und sie konnte mich gar nicht sehen.

Einige Sekunden vergingen, bevor sie die Arme sinken ließ, sich wieder zurückdrehte und langsam ins Haus ging. Die Tür ließ sie sperrangelweit offen stehen.

»Mom?«

Als ich ihre Stimme hörte, legte ich den Kopf schief. Sie war … durchschnittlich. Kein hörbarer Dialekt oder irgendein Hinweis darauf, wo sie herkam.

Von wo auch immer, offenbar hatte man dort keinen Sinn für persönliche Sicherheit, denn keiner der beiden dachte daran, die Tür hinter sich zu schließen. Allerdings wähnten sich in dieser Gegend die meisten Menschen in Sicherheit. Der Ort Ketterman, der kurz vor Petersburg in West Virginia lag, war offiziell gar kein richtiger Ort. Und die Polizei verbrachte mehr Zeit damit, freilaufendem Vieh hinterherzujagen und Partys auf irgendwelchen Feldern aufzulösen, als mit richtigen Verbrechen.

Obwohl hier unglücklicherweise ziemlich viele Menschen abhandenkamen.

Das Grinsen schwand aus meinem Gesicht, als mir Dawson in den Sinn kam. Nicht nur Menschen …

Wenn ich an meinen Bruder dachte, kochte sofort Wut in mir hoch und brodelte wie Lava kurz vor dem Vulkanausbruch. Er war fort – tot, wegen eines Mädchens aus der Welt der Menschen. Und jetzt tauchte hier schon wieder so eine auf und zog auch noch direkt nebenan ein.

Wir mussten … so tun, als wären wir Menschen, uns ihnen anpassen und uns sogar benehmen wie sie, aber ihnen näherzukommen endete immer in einer Katastrophe.

Damit, dass jemand vermisst oder tot war.

Ich hatte keine Ahnung, wie lange ich dort gestanden und auf das Haus gestarrt hatte, doch plötzlich erschien das Mädchen erneut. Aus den Gedanken gerissen richtete ich mich auf und beobachtete, wie sie zu dem Anhänger ging. Sie zog einen Schlüssel aus der Tasche und öffnete die Metalltür.

Oder vielmehr versuchte sie es.

Wieder und wieder.

Erst hatte sie Probleme mit dem Schloss und dann noch eine gefühlte Ewigkeit mit dem Hebel. Ihre Wangen glühten, die Lippen waren zusammengepresst. Sie schien kurz davor, dem Teil einen Tritt zu verpassen. O Mann, wie lange konnte ein Mensch brauchen, um die Tür eines Anhängers zu öffnen? Sie machte einen Marathon daraus. Ich war kurz davor, zu ihr zu gehen, mich vorzustellen und die verdammte Tür selbst zu öffnen.

Doch schließlich, nach endlos langer Zeit, gelang es ihr. Sie zog eine Rampe aus der Ladefläche hervor und verschwand im Anhänger, aus dem sie kurze Zeit später mit einem Karton zurückkehrte. Ich beobachtete, wie sie ihn ins Haus trug und danach wieder herauskam, abermals die Rampe hinaufging und sie kurze Zeit später hinunterstolperte. Der Karton, den sie jetzt trug, wog ihrem angestrengten Gesicht nach zu urteilen offenbar mehr als sie selbst.

Sie schleppte ihn um den Anhänger herum und selbst von meinem Standort aus konnte ich erkennen, dass ihre Arme zitterten. Genervt von … allem schloss ich die Augen. Sie hatte die Verandastufen erreicht, aber ich wusste, dass sie es mit dem Karton niemals bis nach oben schaffen würde, ohne zu stürzen und sich möglicherweise das Genick zu brechen.

Ich runzelte die Stirn.

Wenn sie sich das Genick bräche, wäre zumindest das »Neue Nachbarn«-Problem gelöst.

Es gelang ihr, einen Fuß auf die unterste Stufe zu stellen, doch dann schwankte sie. Noch wäre ein Sturz nicht dramatisch. Sie schaffte eine weitere Stufe und ich merkte, wie mein Magen zu knurren begann. Mann, war ich hungrig, obwohl ich vor ungefähr einer Stunde ein Dutzend Pfannkuchen gegessen hatte.

Sie hatte die Treppe fast geschafft und ich musste zugeben, dass sie sich nicht das Genick brechen würde, wenn sie jetzt fiele. Aber einen Arm vielleicht? Höchstens ein Bein. Als sie einen Fuß auf die letzte Stufe setzte und dann langsam den anderen hob, war ich zähneknirschend beeindruckt von ihrem eisernen Willen, den Karton ganz allein ins Haus zu schleppen. Doch oben angekommen wackelte sie gefährlich und unwillkürlich stieß ich leise eine ziemlich lange Liste an obszönen Flüchen aus, während ich bereits die Hand hob.

Ich richtete den Blick auf den Karton in ihren Armen und rief die Quelle auf. Dann konzentrierte ich mich darauf, ihn nur ein winziges bisschen anzuheben und ihr damit die Hauptlast abzunehmen. Für den Bruchteil einer Sekunde hielt sie auf der Veranda inne, als hätte sie den Unterschied bemerkt, bevor sie kopfschüttelnd im Haus verschwand.

Langsam ließ ich die Hand sinken und war leicht schockiert über das, was ich getan hatte. Sie würde zwar niemals darauf kommen, dass irgendein im Wald stehender Typ dafür verantwortlich war, trotzdem war es eine ziemlich idiotische Aktion gewesen.

Das Risiko, sich zu entlarven, bestand immer, wenn man sich der Quelle bediente, ganz egal wie unbedeutend der Anlass auch sein mochte.

Mit von der Arbeit erhitztem Gesicht erschien sie erneut auf der Veranda und wischte sich die Hände an ihren Jeans-Shorts ab, bevor sie sich wieder auf den Weg zum Anhänger machte. Sie schleppte einen weiteren viel zu schweren Karton heraus, so dass sich mir langsam die Frage aufdrängte, was die Mutter eigentlich die ganze Zeit machte.

Die Knie des Mädchens drohten einzuknicken und in dem Karton schepperte es. Glas.

Und weil ich nicht anders konnte, als mich zum größten Idioten der Welt zu machen, stand ich dort draußen zwischen den Bäumen, während mein Magen in Motorenlautstärke rumorte, und half ihr, einen Karton nach dem anderen hineinzutragen, ohne dass sie es bemerkte.

Nachdem sie/wir den letzten Karton ins Haus befördert hatte/n, war ich total fertig, am Verhungern und ziemlich sicher, die Quelle so oft aufgerufen zu haben, dass man überprüfen sollte, ob ich noch ganz richtig im Kopf war. Ich schleppte mich die Stufen zu meinem eigenen Haus hinauf und verschwand leise darin. Meine Schwester war nicht da und ich zu erschöpft, um zu kochen, deshalb kippte ich trotz meines Hungers nur ungefähr zwei Liter Milch in mich hinein und ließ mich dann auf die Couch fallen.

Mein letzter Gedanke galt der nervigen neuen Nachbarin und meinem grandiosen und total wasserdichten Plan, sie nie mehr wiederzusehen.

Es war Nacht geworden und dichte, dunkle Wolken hatten sich vor die Sterne und den Mond geschoben und auch das letzte bisschen Licht aufgesogen. Niemand konnte mich sehen. Was wahrscheinlich gut war.

Besonders wenn man bedachte, dass ich vor dem ehemals leeren Haus stand wie ein Stalker in einer Reality-Crime-Show – und das nicht zum ersten Mal. So viel zu dem Plan, das Mädchen von nebenan nie mehr wiederzusehen.

In letzter Zeit war es zu einer beunruhigenden Gewohnheit geworden. Ich versuchte mir selbst einzureden, dass es notwendig sei. Ich musste mehr über sie herausfinden, bevor meine Zwillingsschwester Dee Wind von ihr bekäme und beschließen würde sich mit ihr anzufreunden. Dee war die Einzige, die mir auf dieser Welt noch geblieben war, und ich würde alles tun, um sie zu beschützen.

Ich blickte zu meinem Haus hinüber und schnaubte genervt. Wäre es sehr schlecht von mir, wenn ich, tja, dieses beschissene Nachbarhaus einfach niederbrennen würde? Natürlich würde ich darauf achten, dass den … den Menschen darin nichts passieren würde. So schlimm war ich nun auch wieder nicht. Aber mit dem Haus würde eben auch das Problem verschwinden.

Es erschien mir ganz einfach.

Ein neues Problem konnte ich nämlich überhaupt nicht gebrauchen – das konnte niemand von uns.

In einem der Schlafzimmer im oberen Stockwerk brannte noch Licht, obwohl es schon spät war. Es war ihr Zimmer. Vor ein paar Minuten hatte ich ihre Silhouette am Fenster gesehen – leider vollständig bekleidet.

Die Enttäuschung darüber hob meinen Status als Stalker auf eine ganz neue Ebene.

Das Mädchen war ein Problem, und zwar ein großes, aber gleichzeitig war ich eben ein Mann, mit allem, was dazugehörte, und das überlagerte manchmal alles andere.

Eine Nachbarin zu haben, die auch noch so alt war wie wir, das war einfach zu riskant. Sie war erst seit zwei Tagen hier, aber es war nur eine Frage der Zeit, bis Dee sie sehen würde. Sie hatte mich bereits einige Male gefragt, ob ich die Leute, die nebenan eingezogen waren, gesehen hätte, ob ich wüsste, wer sie waren. Ich hatte nur mit den Schultern gezuckt und gesagt, dass es sich wahrscheinlich um ein altes Ehepaar handele, das sich auf dem Land zur Ruhe setzen wollte. Doch ich wusste, dass sich Dees Neugier damit nicht lange bremsen lassen würde.

»Daemon«, rief eine leise Stimme aus der Dunkelheit unserer Veranda.

Wenn man vom Teufel spricht …

»Was um alles in der Welt machst du hier draußen?«, wollte sie wissen.

Überlegen, ob ein Haus niederzubrennen eine vernünftige Reaktion auf neue Nachbarn ist?

Den Gedanken behielt ich lieber für mich.

Seufzend drehte ich mich um und machte mich auf den Weg zu ihr. Kies knirschte unter meinen Schuhen. Dee lehnte am Geländer und betrachtete aufmerksam das Nachbarhaus, während eine leichte Brise durch ihr langes dunkles Haar fuhr.

Es fiel mir unendlich schwer, mich Dee in normalem Tempo – und nicht in Lichtgeschwindigkeit – zu nähern. Solange wir zu Hause waren, versuchte ich es sonst nicht mal, aber mit den neuen Nachbarn musste ich mir angewöhnen … tja, menschlich zu erscheinen.

»Ich war draußen auf Patrouille.« Ich lehnte mich mit dem Rücken zum Nachbarhaus ans Geländer und tat so, als würde es gar nicht existieren.

Dee sah mich stirnrunzelnd an. An ihren Augen, die genauso grün leuchteten wie meine, war zu erkennen, wie skeptisch sie war. »Das sah aber nicht so aus.«

»Nein?« Ich verschränkte die Arme.

»Nein.« Sie blickte über meine Schulter hinweg. »Es sah eher danach aus, als hättest du das Nachbarhaus beobachtet.«

»Kann sein.«

Sie sah mich noch skeptischer an. »Es ist also jemand dort eingezogen?«

Dee war die letzten Tage bei den Thompsons gewesen, was ein Glück war, selbst wenn mich die Vorstellung, dass sie die Nacht mit einem gleichaltrigen Alien, Adam, verbracht hatte, auch nicht gerade ruhig schlafen ließ. Aber es hatte gut gepasst. Sie hatte keine Ahnung, wer nebenan eingezogen war, und ich wusste, wenn sie ein Mädchen in ihrem Alter sähe, würde sie sich auf es stürzen wie auf einen ausgesetzten Welpen.

Als ich nicht antwortete, seufzte sie schwer. »Okay. Soll ich raten?«

»Ja, nebenan sind Leute eingezogen.«

Mit großen Augen beugte sie sich über das Geländer und musterte das Haus so intensiv, als glaubte sie durch Wände sehen zu können. Auch wenn wir über ziemlich coole Fähigkeiten verfügten, ein Röntgenblick gehörte nicht dazu. »Oha, es sind keine Lux. Es sind Menschen.«

Sie hätte sie gespürt, wenn sie unserer Spezies angehört hätten. »Definitiv Menschen.«

Sie schüttelte kurz den Kopf. »Aber warum? Wissen sie etwa von uns?«

Ich musste daran denken, wie sich das Mädchen mit den Kartons abgemüht hatte. »Ich glaube nicht.«

»Das ist aber seltsam. Warum lässt das VM zu, dass sie hier einziehen?«, fragte sie, fügte aber sofort hinzu. »Egal. Hauptsache, sie sind nett.«

Ich schloss die Augen. Mir war klar, dass Dee kein Problem damit hatte, nicht einmal nach dem, was mit Dawson passiert war. Ihr war nur wichtig, dass sie nett waren. Ihr kam nicht einmal für eine Sekunde in den Sinn, wie gefährlich es für uns werden konnte, Menschen so nah um uns herum zu haben. Meiner Schwester doch nicht. Für sie bestand die Welt nur aus regenbogenkotzenden Einhörnern.

»Hast du gesehen, wer sie sind?«, fragte sie aufgeregt weiter.

»Nein«, log ich und öffnete die Augen.

Mit zusammengepressten Lippen trat sie vom Geländer zurück, klatschte in die Hände und wandte sich mir zu. Wir waren fast gleich groß und ich sah in ihren glitzernden Augen, wie sehr sie sich freute. »Hoffentlich ist ein cooler Typ dabei.«

Unwillkürlich biss ich die Zähne zusammen.

Sie kicherte. »Oder vielleicht ein Mädchen in meinem Alter. Das wäre auch super.«

O Mann.

»Es würde den Sommer so viel besser machen, besonders seit Ash so, du weißt schon, geworden ist«, plapperte sie weiter.

»Nein, ich weiß gar nichts.«

Sie verdrehte die Augen. »Jetzt tu mal nicht so, du Idiot. Du weißt genau, warum sie im Moment so anhänglich wie ein Welpe ist. Sie ist davon ausgegangen, dass ihr beide den ganzen Sommer –«

»Rummachen würdet?«, beendete ich den Satz für sie.

»Bäh, hör auf! Das meinte ich nicht.« Sie schüttelte sich und ich konnte mein Grinsen kaum verbergen, während ich mich fragte, ob Ash ihr gegenüber zugegeben hatte, dass wir es sehr wohl noch taten. Wenn auch schon länger nicht mehr. Und auch nicht oft. Aber es ist vorgekommen. »Sie hat sich darüber beschwert, dass ihr nicht zusammen irgendwo hinfahrt, was du ihr anscheinend versprochen hast.«

Ich hatte keine Ahnung, wovon Dee sprach.

»Ist ja auch egal, auf jeden Fall hoffe ich, dass unsere neuen Nachbarn nett sind.« Dees Gedanken waren wie ein Hamster in seinem Rad. »Vielleicht schau ich mal bei ihnen vorbei und –«

»Das kannst du vergessen, Dee. Du hast keinen Schimmer, wer oder wie sie sind. Halt dich von ihnen fern.«

Sie stemmte die Hände in die Hüften und kniff die Augen zu Schlitzen zusammen. »Und wie sollen wir herausfinden, was es für Leute sind, wenn wir uns die ganze Zeit von ihnen fernhalten?«

»Ich werde mich darum kümmern.«

»Deinem Urteil über Menschen traue ich allerdings nicht besonders.« Sie wirkte jetzt nicht mehr skeptisch, sondern eher stinksauer.

»Und ich traue deinem nicht. Genauso wie ich Dawsons nie getraut habe.«

Dee trat einen Schritt zurück und holte tief Luft. Ihre Züge wurden wieder weicher. »Okay, das stimmt. Ich verstehe, warum –«

»Lass uns das Thema jetzt nicht weiter auswalzen. Nicht heute Abend«, sagte ich und fuhr mir seufzend mit den Fingern durchs Haar, so dass die Spitzen hochstanden. Ich musste es dringend schneiden lassen. »Es ist spät und ich muss noch eine Runde drehen, bevor ich endgültig Schluss mache.«

»Noch eine Runde?« Sie sprach jetzt sehr leise. »Glaubst du, dass … Arum in der Nähe sind?«

Ich schüttelte den Kopf, da ich nicht wollte, dass sie sich Sorgen machte. Doch die Wahrheit war, dass sie immer in der Nähe waren und man sie getrost als unseren einzigen natürlichen Feind bezeichnen konnte – und das waren sie schon gewesen, als mein Planet noch existiert hatte. Genau wie wir stammten sie ursprünglich nicht von der Erde. In vielerlei Hinsicht waren sie, äußerlich und was ihre Fähigkeiten betraf, das genaue Gegenteil von uns. Töten hatte für sie eine ganz andere Bedeutung. Sie konnten sich der Quelle nur bedienen, indem sie Lux aussaugten und dabei umbrachten. Sie waren wie gedopte Parasiten.

Die Älteren hatten uns erzählt, dass das Universum zu Beginn von reinsten Licht erfüllt war, worauf die Arum, die im Schatten lebten, neidisch waren. Deshalb waren sie wild entschlossen das gesamte Licht auszulöschen. So begann der Krieg zwischen unseren beiden Planeten.

In diesem Krieg waren unsere Eltern ums Leben gekommen und unser Heimatplanet war zerstört worden.

Die Arum waren uns hierher gefolgt. Sie bedienten sich atmosphärischer Erscheinungen, um unentdeckt zur Erde zu gelangen. Sobald es einen Meteoritenschauer oder einen Sternschnuppenregen gab, war ich in Alarmbereitschaft. Meist waren die Arum dann nicht weit.

Sie zu bekämpfen war nicht leicht. Sie ließen sich entweder mit der Quelle ausschalten oder mit Obsidian – zu einer Klinge geschliffen war es für die Arum tödlich, besonders wenn sie gerade jemanden ausgesaugt hatten. Der Stein brach das Licht. Er war nicht leicht zu bekommen, aber ich versuchte immer einen bei mir zu tragen. Dee ebenso.

Ich hatte meinen meistens um den Knöchel befestigt. Denn man konnte nie wissen, wann man ihn brauchte.

»Ich will nur vorsichtig sein«, sagte ich schließlich.

»Du bist immer vorsichtig.«

Ich lächelte gequält.

Sie zögerte kurz, doch dann sprang sie vor, stellte sich auf Zehenspitzen und küsste mich auf die Wange. »Du kannst ein ganz schön anstrengender Blödmann sein, aber ich liebe dich trotzdem. Das wollte ich dir nur sagen.«

Leise lachend legte ich einen Arm um ihre Schultern und zog sie kurz an mich. »Und du kannst ein ganz schön nerviges Plappermaul sein, aber ich liebe dich auch.«

Dee schlug mich kräftig auf den Arm, aber sie lächelte wieder, als sie sich von mir löste. »Bleib nicht mehr so lange draußen.«

Ich nickte und sah ihr nach, als sie wie der Blitz im Haus verschwand. Dee tat selten etwas langsam. Ihre Energie war einfach endlos. Dawson war eher der gemütliche Typ gewesen. Und ich war – ich lachte leise – eben der Blödmann.

Ursprünglich waren wir Drillinge.

Jetzt waren wir nur noch zu zweit.

Eine Weile starrte ich auf die Stelle, an der meine Schwester gestanden hatte. Sie gehörte zu dem wenigen, was mir auf diesem Planeten noch etwas bedeutete. Ich wandte mich wieder dem Nachbarhaus zu. Ich brauchte mir nichts vorzumachen. Von dem Moment an, wo Dee mitbekäme, wer nebenan eingezogen war, würde sie das Mädchen in Beschlag nehmen wie Seepocken einen Schiffsrumpf – einen in die Jahre gekommenen und verwitterten Rumpf. Meiner Schwester konnte einfach niemand widerstehen. Sie war eben ein echter Sonnenschein.

Auch wenn wir unter Menschen lebten, gab es tonnenweise Gründe, uns von ihnen fernzuhalten. Und ich würde nicht zulassen, dass Dee den gleichen Fehler beging wie Dawson. Bei ihm hatte ich versagt, doch das würde mir bei Dee nicht noch einmal passieren. Ich würde alles für ihre Sicherheit tun. Alles.

Kapitel 2

Die Stirn gegen die Fensterscheibe gepresst fluchte ich leise vor mich hin, vor allem weil ich schon wieder auf das Nachbarhaus starrte. Und wartete. Und wartete. Man konnte seine Zeit sicher sinnvoller verbringen. Den Kopf gegen die Wand schlagen zum Beispiel. Oder Dee zuhören, wie sie so akribisch, dass es wehtat, jedes einzelne Mitglied ihrer Lieblingsband bis ins kleinste Detail beschrieb.

Gähnend rieb ich mir mit der Handfläche über die Wange und zwang mich meinen Platz am Fenster aufzugeben. Fast drei Tage waren vergangen und ich konnte noch immer nicht wirklich glauben, dass nebenan Leute eingezogen waren. Es hätte schlimmer kommen können. Wenn nebenan ein Typ eingezogen wäre, zum Beispiel. Dann hätte ich Dee in ihrem Zimmer einsperren müssen.

Aber es hätte wenigstens ein Mädchen sein können, das aussah wie ein Typ. Das hätte die Sache erleichtert, aber nein, sie sah ganz und gar nicht so aus. Sie sah durchschnittlich aus, wie ich mir immer wieder einzureden versuchte, aber sicher nicht wie ein Typ.

Mit einer knappen Handbewegung schaltete ich den Fernseher ein und zappte durch die Programme, bis ich bei einer Wiederholung von Ghost Adventures hängenblieb. Ich kannte die Folge bereits, aber es war immer wieder amüsant zu sehen, wie Menschen wegen eines angeblichen Leuchtens aus dem Haus gerannt kamen. Ich ließ mich auf die Couch fallen, legte die Beine auf den Tisch und versuchte das Mädchen mit den eher nicht durchschnittlichen braunen Beinen und dem umwerfenden Hintern zu vergessen.

Bis jetzt hatte ich sie erst zwei Mal gesehen.

Zuerst an dem Tag, an dem sie eingezogen war und ich ihr idiotischerweise aus der Ferne geholfen hatte. Dafür würde ich mir inzwischen am liebsten selbst in den Arsch treten. Natürlich ahnte sie nicht, dass ich die Kartons leichter gemacht hatte, damit sie nicht vornüberfiel, doch ich hätte es nicht tun sollen. Eigentlich wusste ich es besser.

Gestern hatte ich sie dann dabei beobachtet, wie sie zu einem alten Kleinwagen in der Einfahrt gelaufen war und einen Stapel Bücher herausgeholt hatte. Dabei hatte sie ein breites Lächeln im Gesicht gehabt, als würde der schiefe Turm, den sie trug, aus Geldscheinen bestehen.

Das alles war echt – gar nicht süß. Was kamen mir nur für seltsame Gedanken? Ganz und gar nicht süß.

O Mann, war das heiß hier drinnen. Ich beugte mich vor, griff hinten an den Kragen meines T-Shirts und zog es mir über den Kopf. Ich warf es zur Seite und kratzte mir gedankenverloren über die Brust. Seitdem sie eingezogen war, lief ich noch öfter als zuvor ohne T-Shirt herum.

Moment mal. Ich hatte sie bereits drei Mal gesehen, wenn ich die Silhouette am Fenster gestern Abend mitzählte.

Verdammt, ich musste unbedingt raus und etwas tun. Am besten etwas, wobei man ordentlich ins Schwitzen kam.

Doch ehe ich mich’s versah, war ich schnurstracks auf das Fenster zumarschiert. Schon wieder. Warum, wollte ich gar nicht so genau wissen.

Stirnrunzelnd schob ich den Vorhang zur Seite. Ich hatte noch nicht einmal mit ihr gesprochen und fühlte mich wie ein Stalker, während ich durch die Scheibe starrte und wartete … worauf eigentlich? Darauf, einen Blick von ihr zu erhaschen? Oder wollte ich vor allem für die unausweichliche Begegnung mit ihr gewappnet sein?

Wenn Dee mich jetzt sähe, würde sie sich kringeln vor Lachen.

Und wenn Ash mich jetzt sähe, würde sie mir die Augen auskratzen und meine neue Nachbarin postwendend ins All schießen. Ash und ihre Brüder waren ungefähr zur gleichen Zeit wie wir vom Planeten Lux auf die Erde gekommen und unsere Beziehung war irgendwie einfach … passiert … eher, weil es sich durch die Nähe so ergeben hatte, und weniger, weil echte Gefühle im Spiel gewesen waren. Auch wenn unser letztes gemeinsames Date Monate zurücklag, wusste ich, dass Ash davon ausging, letzten Endes mit mir zusammenzukommen. Nicht weil sie mich wirklich wollte, sondern weil es von uns erwartet wurde … deshalb wäre sie wahrscheinlich nicht gerade glücklich darüber, wenn ich etwas mit einer anderen anfangen würde. Ash bedeutete mir nach wie vor viel, schon allein weil ich mich nicht an Zeiten erinnern konnte, in denen sie und ihre Brüder nicht da waren.

Aus den Augenwinkeln nahm ich eine Bewegung wahr. Als ich mich ein wenig zur Seite drehte, sah ich, wie die Tür auf der Veranda nebenan zuschlug. Mist.

Mein Blick wanderte weiter und ich sah sie die Stufen der Veranda hinuntereilen. Ich fragte mich, wohin sie wohl wollte. Hier in der Gegend gab es so gut wie nichts zu tun, und soweit ich wusste, kannte sie auch niemanden. Abgesehen von ihrer Mom, die zu seltsamen Tageszeiten kam und ging, war nebenan bisher nie jemand zu sehen gewesen.

Sie blieb vor ihrem Auto stehen und strich sich mit den Händen über die Shorts. Unwillkürlich hoben sich meine Mundwinkel.

Plötzlich drehte sie sich nach links um. Ich richtete mich auf und hielt den Vorhang fest umklammert. Der Atem stockte mir in der Brust. Nein, sie würde nicht hierherkommen. Dafür gab es gar keinen Grund. Dee wusste doch noch gar nicht, dass ein Mädchen hier wohnte. Es gab keinen Grund …

Verdammt, sie kam doch hierher.

Ich ließ den Vorhang los, wich vom Fenster zurück und wandte mich zur Eingangstür. Mit geschlossenen Augen zählte ich die Sekunden und rief mir die Lektion ins Gedächtnis, die ich auf Dawsons Kosten gelernt hatte. Menschen waren gefährlich für uns. Es war bereits riskant, täglich von ihnen umgeben zu sein, denn schon einem einzigen Menschen zu nahe zu kommen endete unausweichlich damit, dass wir eine Lichtspur an ihm hinterließen. Und da Dee besessen davon war, sich mit allem anzufreunden, was atmete, war dieses Mädchen besonders gefährdet. Sie lebte gleich nebenan und ich hätte keine Möglichkeit, Einfluss darauf zu nehmen, wie viel Zeit Dee mit ihr verbrachte.

Und dann war nicht zu vergessen, dass ich sie seit zwei Tagen vom Fenster aus beobachtete. Auch das war möglicherweise ein Problem. Ich ballte die Hände zu Fäusten.

Meine Schwester durfte nicht wie Dawson enden. Sie zu verlieren wäre für mich unerträglich – und ihm war ein menschliches Mädchen zum Verhängnis geworden. Es hatte einen Arum direkt zu ihr geführt. Immer wieder war unserer Spezies so etwas passiert. Es war nicht unbedingt die Schuld des Menschen, aber das Ergebnis war immer das gleiche. Niemals würde ich zulassen, dass irgendjemand Dee in Gefahr brachte, selbst wenn es unwissentlich passierte. Ich riss eine Hand hoch und schleuderte den Wohnzimmertisch durch den Raum, konnte mich aber gerade noch rechtzeitig bremsen und stoppte die Bewegung, kurz bevor er gegen die Wand gekracht wäre. Ich holte tief Luft und stellte den Tisch wieder auf die Beine.

Leise und zaghaft klopfte es an unsere Tür. Mist.

Stockend atmete ich aus. Ich hätte nicht darauf reagieren sollen, doch im Nu war ich an der Tür und öffnete sie. Ein warmer Luftzug wehte mir entgegen, der schwach nach Pfirsich und Vanille duftete.

O Mann, kaum etwas liebte ich so sehr wie Pfirsiche – süße, saftige Pfirsiche.

Ich senkte den Blick. Sie war klein – kleiner, als ich gedacht hätte. Sie reichte mir nur bis zur Brust. Vielleicht starrte sie deshalb darauf. Vielleicht lag es aber auch daran, dass ich komplett vergessen hatte mir das T-Shirt wieder überzuziehen.

Ich wusste, dass ihr gefiel, was sie sah. Das ging jedem so. Ash hatte einmal gesagt, es sei diese Kombination aus meinem dunklen, welligen Haar, den grünen Augen und den vollen Lippen. Sexy, hatte sie gemeint. Ein heißer Typ eben. Das mochte arrogant klingen, aber es war die Wahrheit.

Da sie mich unverhohlen musterte, beschloss ich das Gleiche zu tun. Warum auch nicht? Sie hatte schließlich an meine Tür geklopft.

Sie war … nein, sie war nicht süß. Ihr Haar, in einem Farbton irgendwo zwischen Blond und Braun, war jetzt nicht mehr zusammengebunden, sondern hing ihr lang über die Schultern. Sie war verdammt klein, kaum eins fünfundsechzig. Trotzdem schienen ihre Beine endlos lang zu sein. Nur mit Mühe konnte ich den Blick von ihnen lösen.

Schließlich landete er auf ihrem T-Shirt. MEIN BLOG IST BESSER ALS DEIN VLOG stand darauf. Was um alles in der Welt hatte das zu bedeuten? Und warum trug sie ausgerechnet diesen Spruch auf dem T-Shirt? Unter den Worten »BLOG« und »BESSER« spannte sich der Stoff. Ich schluckte. Kein gutes Zeichen.

Mir fiel es noch schwerer als zuvor, woanders hinzusehen.

Ihr Gesicht war rund, die Nase kess, die Haut glatt. Ich hätte eine Million Dollar gewettet, dass ihre Augen braun wären – große, zutrauliche Rehaugen.

Es war verrückt, aber ich konnte es spüren, als sich ihr Blick langsam vom Bund meiner Jeans wieder zu meinem Gesicht hinaufbewegte. Sie sog so laut Luft ein, dass mein ebenfalls hörbares Einatmen davon übertönt wurde.

Ihre Augen waren nicht braun, sondern hellgrau – intelligente, klare Augen. Sie waren wunderschön. Das musste selbst ich anerkennen. Das alles ging mir gewaltig gegen den Strich. Warum starrte ich sie so an? Warum war sie überhaupt hier? »Womit kann ich dir helfen?«, fragte ich mit finsterer Miene.

Keine Antwort. Sie sah mich unverhohlen an, als wollte sie, dass ich ihre vollen Lippen küsste. Ein warmes Gefühl breitete sich in meinem Bauch aus.

»Hallo?« Ich nahm den Unterton in meiner Stimme wahr – Wut, Lust, Ärger und mehr Lust. Menschen sind schwach, ein Risiko … Dawson ist tot wegen eines Menschen – genau wie diesem hier. Immer wieder rief ich mir diese Sätze ins Gedächtnis, während ich die Hand in den Türrahmen grub und mich vorbeugte. »Kannst du auch sprechen?«

Damit holte ich sie aus ihrer Träumerei. Sie wich zurück und ihre Wangen nahmen eine hübsche rote Farbe an. Gut so. Sie trat den Rückzug an. Genau das hatte ich gewollt – dass sie sich umdrehte und die Biege machte. Ich fuhr mir mit der Hand durchs Haar und blickte einen Moment lang über ihre Schulter hinweg, dann wieder zu ihr. Sie stand noch immer da.

Sie sollte wirklich zusehen, dass sie ihren süßen Hintern von meiner Veranda bewegte, bevor ich etwas Dummes tat. Mit einem Lächeln auf ihr Erröten zu reagieren zum Beispiel. Womöglich noch verführerisch. Auf keinen Fall durchschnittlich jedenfalls. »Zum Ersten … zum …«

Sie wurde noch röter. Verdammt. »Ich … ich wollte fragen, ob du mir sagen könntest, wo der nächste Supermarkt ist? Ich heiße Katy.«

Katy. Sie hieß also Katy. Das erinnerte mich an Kitty. KittyCat. Kätzchen. Unglaublich, was für eine Wortkette.

»Ich bin gerade nebenan eingezogen.« Sie deutete auf ihr Haus. »Vor fast drei Tagen –«

»Ich weiß.« Seit fast drei Tagen verhielt ich mich wie ein Stalker.

»Na ja, ich hatte gehofft, ich könnte hier den schnellsten Weg zum Supermarkt erfahren und vielleicht auch, wo ich einen Laden finde, der Pflanzen verkauft.«

»Pflanzen?«

Sie verengte ein wenig die Augen und strich sich abermals über die Shorts, aber ich zwang mich keine Regung zu zeigen. »Ja, wir haben nämlich dieses Beet vor dem Haus –«

Ich sah sie spöttisch an. »Aha.«

Ihre Augen waren nur noch schmale Schlitze, und wie verärgert sie inzwischen war, konnte man nicht nur an ihrer immer dunkelroter werdenden Gesichtsfarbe erkennen. Insgeheim musste ich grinsen. Ich wusste, dass ich mich wie ein Arschloch verhielt, aber perverserweise genoss ich es, ihre Augen immer intensiver funkeln zu sehen. Sie zogen mich in den Bann. Und … ihr Zorn war auf eine gewisse Mit-mir-ist-echt-was-nicht-ganz-in-Ordnung-Weise auch sexy. Katy erinnerte mich an etwas …

Sie versuchte es noch einmal. »Na ja, ich brauche eben Pflanzen –«

»Für irgendein Blumenbeet, das habe ich verstanden.« Ich lehnte mich mit der Hüfte gegen den Türrahmen und verschränkte die Arme. Langsam begann es mir fast Spaß zu machen.

Sie holte tief Luft. »Ich würde gern wissen, wo ich Geschäfte finde, in denen es Lebensmittel und Pflanzen gibt.« Sie hatte den Tonfall drauf, den ich hundertmal am Tag Dee gegenüber verwendete. Wie niedlich.

»Dir ist schon bewusst, dass wir uns in einem Ort befinden, in dem es nur eine einzige Ampel gibt, oder?« Und damit war es geschehen. Das Funkeln in ihren Augen war zu einem lodernden Feuer geworden und ich musste mich anstrengen nicht breit zu grinsen. Verdammt, sie war jetzt nicht mehr nur süß. Sie war viel mehr als das und ich bekam ein ungutes Gefühl im Magen.

Sie sah mich fassungslos an. »Ich wollte nur nach dem Weg fragen, das ist alles. Aber offensichtlich passt es gerade nicht.«

Plötzlich musste ich an Dawson denken und verzog unwillkürlich den Mund. Das war kein Spaß mehr. Ich musste die Sache im Keim ersticken. Für Dee. »Mir passt es zu keiner Zeit, dass du an meine Tür klopfst, Kleine.«

»Kleine?«, wiederholte sie ungläubig. »Ich bin keine Kleine. Ich bin siebzehn.«

»Ach ja?« Als hätte ich das nicht bemerkt. Nichts an ihr erinnerte an ein Kind, aber verdammt noch mal, meine soziale Kompetenz war eben jämmerlich, wie Dee sagen würde. »Du siehst aus wie zwölf. Na ja, vielleicht wie dreizehn. Meine Schwester hat jedenfalls eine Puppe, die mich an dich erinnert. Die hat auch so riesige Augen und so einen starren Blick.«

Mit offenem Mund sah sie mich an und ich merkte, dass ich mit der letzten Bemerkung ein wenig zu weit gegangen war. Aber es war besser so. Wenn sie mich hasste, würde sie sich auch von Dee fernhalten. Das funktionierte bei den meisten Mädchen. Äh, ja, bei den meisten.

Gut. Bei vielen hatte es nicht funktioniert, aber sie wohnten auch nicht nebenan, also keine Ahnung.

»Okay. Entschuldige die Störung. Ich werde nie wieder bei dir klopfen. Das kannst du mir glauben.« Sie wandte sich zum Gehen, aber nicht schnell genug, als dass mir das feuchte Schimmern in ihren grauen Augen entgangen wäre.

Verdammt. Ich kam mir vor wie der größte Fiesling aller Zeiten. Und Dee würde ausrasten, wenn sie mich so erlebte. Innerlich fluchend rief ich ihr hinterher. »He.«

Sie blieb am Fuß der Veranda stehen, drehte sich aber nicht um. »Was ist?«

»Du fährst auf die Route 2 und biegst von dort aus auf den Highway 220 Richtung Norden, nicht nach Süden, bis du in Petersburg landest.« Ich seufzte und wünschte, ich hätte die Tür nie geöffnet. »Der Supermarkt – Foodland – ist mitten in der Stadt, du kannst ihn gar nicht verfehlen. Na ja, du vielleicht schon. Nebenan gibt es auch einen Baumarkt, glaube ich. Die sollten so Zeugs haben, das in den Boden geht.«

»Danke«, murmelte sie und fügte dann hinzu: »Du Idiot.«

Hatte sie mich gerade als Idioten bezeichnet? In welchem Jahrzehnt lebten wir eigentlich? Ich musste lachen. »So etwas ziemt sich aber nicht für eine Dame, KittyCat.«

Sie fuhr herum. »Nenn mich nie wieder so.«

Oh, offenbar hatte ich einen wunden Punkt getroffen. »Ist aber doch freundlicher, als jemanden Idiot zu nennen, oder?« Ich trat vor die Tür. »Vielen Dank für den anregenden Besuch, ich werde noch lange davon zehren.«

Sie ballte die kleinen Hände zu Fäusten. Ich war mir ziemlich sicher, dass sie gern auf mich losgegangen wäre. Ich war mir auch ziemlich sicher, dass mir das gefallen hätte. Und ich war mir sehr sicher, dass ich dringend Hilfe brauchte.

»Weißt du, du hast Recht. Wie konnte ich dich nur als Idioten bezeichnen. Idiot ist noch viel zu nett für dich.« Sie lächelte süffisant. »Ein Vollidiot bist du.«

»Ein Vollidiot?« Dieses Mädchen zu mögen fiel nicht schwer. »Wie charmant.«

Sie zeigte mir den Mittelfinger.

Ich lachte abermals und deutete eine Verbeugung an. »Sehr zivilisiert, Kätzchen. Ich bin mir sicher, dass du noch alle möglichen abstrusen Namen und Gesten für mich hättest, aber sie interessieren mich nicht.«

Ihrem Blick nach zu urteilen lag ich richtig. Als sie auf dem Absatz kehrtmachte und davonmarschierte, war ich dennoch ein wenig enttäuscht. Ich wartete, bis sie die Tür des Wagens aufgerissen hatte, um ihr noch etwas hinterherzurufen. Ich war wirklich fies.

»Bis später, Kätzchen!« Ich musste lachen, weil ihr anzusehen war, dass sie mir am liebsten einen gigantischen Arschtritt versetzt hätte.

Mit Schwung zog ich die Haustür hinter mir zu, lehnte mich dagegen und lachte weiter, doch das Lachen verging mir schnell. Einen kurzen Moment lang hatte ich in ihren tiefgründigen grauen Augen neben der Fassungslosigkeit und der Wut noch etwas aufblitzen sehen. Sie war gekränkt. Zu wissen, dass ich ihre Gefühle verletzt hatte, wühlte mich auf.

Was albern war, denn letzte Nacht hatte ich noch über einen Umsiedlungsplan nachgedacht, der Feuer beinhaltete, ohne auch nur ein schlechtes Gewissen zu haben. Doch das war, bevor ich sie von nahem gesehen und sie persönlich kennengelernt hatte. Bevor ich mit ihr gesprochen hatte. Bevor ich in ihre wunderschönen, klugen Augen geschaut hatte.

Als ich ins Wohnzimmer zurückkehrte, war ich nicht überrascht meine Schwester dort mit verschränkten Armen vor dem Fernseher stehen zu sehen. Ihre grünen Augen loderten und der Gesichtsausdruck erinnerte sehr an den des Mädchens – auch sie zog den Arschtritt in Erwägung.

Auf dem Weg zur Couch machte ich einen großen Bogen um sie, und als ich mich darauffallen ließ, fühlte ich mich ein Dutzend Jahre älter als achtzehn. »Du versperrst mir die Sicht.«

»Warum?«, wollte sie wissen.

»Das ist eine verdammt gute Folge.« Ich wusste, dass sie etwas anderes meinte. »Da glaubt ein Typ von einer Schattengestalt heimgesucht zu werden –«

»Deine Schattengestalt ist mir so was von egal, Daemon!« Sie hob ihren schlanken Fuß und stampfte damit immerhin so kraftvoll auf, dass der Wohnzimmertisch schepperte. So viel Wucht hatte ich bei ihr noch nie erlebt. »Warum hast du dich gerade so benommen?«

Ich lehnte mich zurück und beschloss mich dumm zu stellen. »Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst.«

Sie kniff die Augen zu Schlitzen zusammen, dennoch war mir nicht entgangen, dass ihre Pupillen weiß wie Diamanten funkelten. »Es gab keinen Grund, so mit ihr zu reden. Überhaupt keinen. Sie wollte nur nach dem Weg fragen und du hast dich benommen wie der letzte Mistkerl.«

Ich sah Katys klare graue Augen vor mir, verdrängte das Bild jedoch. »Ich bin nun mal ein Mistkerl.«

»Gut, da hast du Recht.« Sie runzelte die Stirn. »Aber so schlimm bist du sonst nicht.«

Schon wieder meldete sich mein Magen. »Wie viel hast du mitbekommen?«

»Alles«, antwortete sie und stampfte noch einmal mit dem Fuß auf, dass der Fernseher wackelte. »Ich habe keine Puppe mit riesigen starren Augen. Ich habe nämlich überhaupt keine Puppe, du Blödmann.«

Meine Mundwinkel zuckten, aber da ich dadurch sofort wieder an Katys verdammt schöne graue Augen denken musste, verging mir das Lachen schnell. »Es geht nicht anders, Dee. Das weißt du.«

»Nein, weiß ich nicht. Ich weiß es nicht und du genauso wenig.«

»Dee –«

»Aber weißt du, was ich weiß?«, unterbrach sie mich. »Mir kam sie wie ein ganz normales Mädchen vor, das hergekommen ist, um nach dem Weg zu fragen. Sie hat sich ganz normal verhalten, aber du warst trotzdem fies zu ihr.«

Noch einmal unter die Nase gerieben zu bekommen, wie beschissen ich mich verhalten hatte, konnte ich wirklich nicht gebrauchen.

»Es gibt keinen Grund, sich so zu benehmen.«

Keinen Grund? War sie verrückt geworden? In Lichtgeschwindigkeit war ich von der Couch aufgesprungen und hatte den Tisch im Bruchteil einer Sekunde umrundet, so dass ich im nächsten Moment direkt vor Dee stand. »Muss ich dich daran erinnern, was mit Dawson passiert ist?«

Doch Dee gab nicht klein bei. Trotzig hob sie das Kinn und ihre Augen blitzten auf. »Nein. Ich kann mich selbst ziemlich genau an alles erinnern, danke.«

»Wenn dem so ist, brauchen wir diese blöde Diskussion eigentlich nicht zu führen und du verstehst sicher, dass wir diesen Menschen so gut wie möglich aus dem Weg gehen müssen.«

»Sie ist bloß ein ganz normales Mädchen«, fauchte Dee und warf die Arme in die Luft. »Mehr nicht, Daemon. Sie ist bloß –«

»Ein Mädchen, das nebenan wohnt. Nicht irgendeine x-beliebige Tussi aus der Schule. Sie wohnt direkt neben uns.« Ich zeigte aus dem Fenster, um die Dramatik zu unterstreichen. »Und das ist verdammt noch mal zu nah an uns und zu nah an der Kolonie. Du weißt doch, was passiert, wenn du versuchst dich mit ihr anzufreunden.«

Sie trat einen Schritt zurück und schüttelte den Kopf. »Du kennst sie nicht mal und bist auch kein Hellseher. Was macht dich überhaupt so sicher, dass ich mich mit ihr anfreunde?«

Ich sah sie erstaunt an. »Meinst du das jetzt ernst? Wirst du etwa nicht versuchen ihre allerbeste Freundin zu werden, sobald du aus dem Haus gehst?«

Sie presste die Lippen aufeinander.

»Du hast zwar noch nicht mal mit ihr geredet, aber fragst dich wahrscheinlich insgeheim schon, ob es Freundschaftsbänder auch online zu kaufen gibt.«

»Im Netz findet man alles«, murmelte sie. »Das sollte kein Problem sein.«

Ich verdrehte die Augen. Ich hatte genug von diesem Gespräch, und von der nervigen neuen Nachbarin auch. »Du musst dich von ihr fernhalten«, wiederholte ich noch einmal, bevor ich mich umdrehte, zur Couch zurückging und mich wieder darauf niederließ.

Dee rührte sich nicht vom Fleck. »Ich bin nicht Dawson. Wann kapierst du das endlich?«

»Das weiß ich.« Und um meinem Ruf als Schweinehund gerecht zu werden, setzte ich noch einen drauf. »Bei dir ist das Risiko noch viel größer als bei ihm.«

Sie schnappte nach Luft und stellte sich kerzengerade hin. Die Arme hingen seitlich herab. »Das … das ging jetzt echt unter die Gürtellinie.«

Sie hatte Recht. Ich fuhr mir mit der Hand übers Gesicht und senkte den Kopf. Sie hatte wirklich Recht.

Dee seufzte kopfschüttelnd. »Manchmal bist du echt fies.«

Ich hielt den Kopf gesenkt. »Das ist ja wohl nichts Neues.«

Sie wandte sich ab und stakste in die Küche, von wo sie wenige Sekunden später mit Portemonnaie und Autoschlüssel zurückkehrte. Wortlos ging sie an mir vorbei.

»Wohin willst du?«, fragte ich sie.

»Einkaufen.«

»O Mann«, murmelte ich und überlegte, gegen wie viele menschliche Gesetze ich wohl verstoßen würde, wenn ich meine Schwester in einen Schrank sperrte.

»Der Kühlschrank ist leer. Du hast alles weggefuttert.« Und schon war sie aus der Tür.

Ich lehnte mich auf der Couch zurück und stöhnte. Gut zu wissen, dass alles, was ich gesagt hatte, bei ihr zu einem Ohr rein und zum anderen wieder rausgegangen war. Warum regte ich mich überhaupt darüber auf? Dee ließ sich sowieso nicht aufhalten. Ich schloss die Augen.

Sofort lief das Gespräch mit meiner neuen Nachbarin noch einmal in meinem Kopf ab, und ja, ich war wirklich fies zu ihr gewesen.

Doch es war das Beste so. Wirklich. Sollte sie mich doch hassen – ja, sie sollte mich hassen. Dann würde sie sich hoffentlich von uns fernhalten und die Sache wäre erledigt. Anders durfte es nicht sein, denn dieses Mädchen bedeutete Ärger. In ein winziges Paket verpackter Ärger, mitsamt fetter Schleife.

Und was noch schlimmer war, genau die Sorte Ärger, die ich mochte.

Kapitel 3

Dee brauchte wirklich nur einige Stunden, um alles, was ich ihr gesagt hatte, zum Fenster rauszuwerfen und mit ihrem VW plattzurollen. Als ich sie mit Tüten beladen und einem breiten Lächeln im Gesicht vom Einkaufen zurückkommen sah, wusste ich, dass sie unsere Nachbarin getroffen hatte.

Ich sprach sie darauf an, doch sie weigerte sich mir zu sagen, was sie vorhatte, und flatterte stattdessen die ganze Zeit um mich herum wie ein Kolibri, bevor sie kurz nach ein Uhr wieder verschwand. Als der gute große Bruder, der ich war – fünf Minuten älter als sie –, eilte ich zum Fenster, um sicherzugehen, dass alles in Ordnung war. Doch Dee ging nicht zu ihrem Auto. Nein, sie begab sich direkt nach nebenan. Nicht dass mich das wirklich überraschte. Ob sie auf der Veranda blieb oder sogar in das Haus des Mädchens ging, konnte ich nicht erkennen. Es war schwer genug, sie auf der Schule im Auge zu behalten, und jetzt das?

Als Dee schließlich irgendwann wieder zurückkam, ging sie mir aus dem Weg, was mir ganz recht war. Ich war mir nicht sicher, ob ich sonst nicht doch angefangen hätte sie anzuschreien. Und auch wenn ich zugeben musste, dass ich ein Eins-a-Arschloch war, verlor ich meiner Schwester gegenüber nicht gern die Kontrolle.

Am Abend gelang es mir, in meinen Wagen zu steigen und loszufahren, ohne auch nur ein einziges Mal in die Richtung des verdammten Hauses zu blicken. Auf halbem Weg in die Stadt rief ich Andrew an, Adams Zwillingsbruder und derjenige der beiden Thompson-Brüder, der eher meinem Temperament und meiner Persönlichkeit entsprach. Mit anderen Worten, wir waren beide verdammte Hitzköpfe.

Wir verabredeten uns im Smoke Hole Diner, einem Restaurant unweit der Seneca Rocks – einer nahe gelegenen Bergkette, die Beta-Quarz enthielt, ein Mineral, das uns faszinierenderweise vor den Arum abschirmen konnte, unseren einzigen wahren Feinden. Doch selbst wenn der Beta-Quarz uns abschirmen konnte, wusste ein Arum, dass ein Lux in der Nähe sein musste, sobald er einen Menschen mit einer Lichtspur sah.

Ich suchte mir einen Platz im hinteren Teil des Restaurants, in der Nähe des riesigen Kamins, der im Winter immer brannte. Die Einrichtung des Lokals war ziemlich urig. In den Rand der Tische waren beispielsweise Steine eingearbeitet. Mir gefiel die rustikale Atmosphäre.

Andrew war groß und blond und alle Mädchen drehten sich nach ihm um, als er das Lokal betrat und den Gang zwischen den Tischen herabschlenderte.

Bei mir war es allerdings genauso gewesen.

Das klingt jetzt vielleicht ziemlich arrogant – na ja, so war ich halt –, aber es entsprach eben auch der Wahrheit. Die Mischung aus menschlicher und Lux-DNA führte dazu, dass wir mit unserem Aussehen mehr als gesegnet waren, zumal wir selbst aktiv dabei hatten mitentscheiden können. Und wer würde sich nicht für den heißesten Look entscheiden, wenn man frei wählen durfte? Die grünen Augen lagen bei uns in der Familie und mein Haar lockte sich ein wenig zu stark an den Enden, ob ich wollte oder nicht, aber der eins neunzig Meter große Körper und das Filmstar-Aussehen passten einfach zu jemandem mit meiner Persönlichkeit.

Andrew ließ sich mir gegenüber nieder und hob zum Gruß das Kinn. Seine Augen waren leuchtend blau, genau wie Adams und Ashs. »Kleine Warnung«, verkündete er. »Ash weiß, dass ich dich hier treffe. Es würde mich nicht überraschen, wenn sie auftaucht.«

Na super.

Aus Respekt vor ihr und ihrem mir gegenübersitzenden Bruder verzog ich keine Miene, auch wenn ich im Moment wirklich keine Lust hatte, ausgerechnet ihr zu begegnen. »Ich habe gehört, dass sie in letzter Zeit nicht besonders zufrieden mit mir war, deshalb würde es mich schon überraschen, wenn sie hier erscheinen würde.«

Er grinste. »Du wärst überrascht? Wirklich? Du kennst Ash doch lange genug. Sie liebt Konfrontationen.«

Das stimmte allerdings.

»Genau wie du«, fügte Andrew hinzu und lächelte, als ich eine Augenbraue hob. »Ich habe keine Ahnung, was da zwischen euch läuft.«

»Und ich muss das nicht unbedingt mit dir besprechen, Oprah Winfrey.« Abgesehen von der Tatsache, dass sie Geschwister waren, fand ich das Ganze ehrlich gesagt auch schwer in Worte zu fassen. Ich mochte Ash. Ja, sie bedeutete mir wirklich etwas, doch die Erwartungshaltung unserer Leute, die uns wie selbstverständlich früher oder später als Paar sahen, schreckte mich ab. Alles Vorhersehbare war nichts für mich.

Andrew ging nicht darauf ein. »Aber du weißt, was von uns erwartet wird.« Er sprach jetzt leiser und sah mich eindringlich an. Eine der Kellnerinnen hier war eine Lux, 99 Prozent der Leute um uns herum aber waren Menschen. »Es gibt nicht so viele in unserem Alter und du weißt, was Ethan will –«

»Wenn mir einer egal ist, dann Ethan.« Meine Stimme war vollkommen ruhig, doch Andrew erstarrte. Nichts nervte mich mehr als der Lux-Ältere, der sich Ethan nannte. »Oder was irgendjemand von denen von mir erwartet.«

Andrews Mundwinkel hob sich. »Dir ist heute anscheinend eine Laus sehr ungünstig über die Leber gelaufen.«

Ja, auch wenn es sich bei der Laus eher um ein größeres und flauschigeres Tier gehandelt hatte.

»Also, was ist los?« Er ließ nicht locker. »Du siehst aus, als ob du entweder einen Bärenhunger hast oder am liebsten jemanden umbringen würdest.«

Kopfschüttelnd legte ich den Arm auf die Begrenzung der Nische hinter mir. Die Thompsons wussten offenbar nichts von dem Mädchen, das neben uns eingezogen war, und aus irgendeinem Grund wollte ich, dass es so lange wie möglich so blieb. Nicht weil es mir irgendwie wichtig war, aber sobald sie von dem Mädchen Wind bekamen, würden sie sich nur noch über sie auslassen.

Und ich war schon genervt genug für uns alle zusammen.

Nach dem Essen machte ich mich direkt auf den Weg zurück nach Hause. Andrews Sarkasmus hatte meine Laune ein wenig gehoben, aber als ich in unsere Einfahrt bog, war meine Stimmung schon wieder im Keller.

Heute waren die Thompsons mit der Patrouille an der Reihe, doch ich war zu rastlos, um drinnen zu bleiben. Unsere Familien gehörten zu den stärksten Lux, deshalb plante die Kolonie bereits Ashs und meine Vermählung. Und aus diesem Grund übernahmen wir auch die meisten Patrouillen und bildeten neue Rekruten aus.

Ich verbrachte die halbe Nacht draußen, fand aber nichts, um meinen wachsenden Frust abzureagieren. Wachsend? Von wegen. Es war eher ein steter Zorn, der mich nicht mehr verlassen hatte, seit Dawson … seit er gestorben war. Nur wenige Dinge konnten ihn lindern. Manchmal, wenn ich mit Ash zusammen war, doch die Ruhe war immer nur von kurzer Dauer und niemals war es all die Umstände wert, die damit verbunden waren.

Gegen drei Uhr morgens fiel ich schließlich todmüde ins Bett und wachte erst viel zu spät wieder auf. Es war fast elf Uhr und nach wie vor pulsierte die aufgestaute Energie in meinen Adern. Ich schleppte mich aus dem Bett, putzte mir die Zähne und stieg in Jogginghose und Turnschuhe.

Dee war bereits fort, als ich das Haus verließ und in den schwülen Sommertag hinaustrat. Allerdings stand ihr Auto in der Einfahrt, während das des Mädchens fehlte. Sie waren gemeinsam unterwegs. Natürlich. Ich stand kurz vor einem Herzinfarkt, so wütend war ich.

Falls ich überhaupt einen Herzinfarkt erleiden konnte.

Ich hastete die Stufen der Veranda hinab und die Einfahrt entlang. Unten angelangt überquerte ich die Straße und rannte in den Wald. Ich versuchte mich in menschlichem Tempo zu bewegen und so viel Energie wie möglich zu verbrennen, um den Kopf freizubekommen. Ich wollte an nichts denken. Nicht an die Arum. Nicht an das VM. Nicht an irgendwelche Erwartungen. Nicht an Dee. Und nicht an Dawson.

Und auch nicht an das Mädchen von nebenan.

Der Schweiß lief mir über den Oberkörper und meine Haare wurden feucht. Ich hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war, als ich endlich ein Brennen in den Muskeln spürte und ich mich auf den Weg nach Hause machte. Als ich die Einfahrt wieder erreichte, war ich so hungrig, dass ich ein ganzes Rind hätte vertilgen können.

Die Einfahrt meiner neuen Nachbarn war jetzt nicht mehr leer. Ihr Auto stand wieder da.

Ich hörte auf zu rennen und entdeckte beim Gehen mehrere Säcke hinter dem Kofferraum. Stirnrunzelnd wischte ich mir die Haare aus der Stirn. »Was zum Teufel?«

Es waren Säcke mit Mulch und Erde – verdammt schwere Säcke mit Mulch und Erde.

Ich blieb stehen und blickte mit zusammengekniffenen Augen in Richtung des Hauses. Ach ja, Pflanzen für das Beet, das aussah wie aus einem Horrorfilm. War das Dees Ernst? Ich musste lachen. Dee wollte ihr mit dem Beet helfen? Das war einfach zum Totlachen. Dee konnte Kunstrasen nicht von echtem unterscheiden und Dreck unter den Nägeln war ihr ein Graus.

Ich ging an dem Wagen vorbei und blieb dann abermals stehen. Kopfschüttelnd blickte ich in den Himmel und musste laut über mich selbst lachen. Mein Gott, wie erbärmlich. Ich hielt mich für wer weiß wie cool und konnte anscheinend nicht einmal an einem schweren Karton oder Sack vorbeigehen, ohne dass ich dem Mädchen gleich wieder helfen musste. Ich machte auf dem Absatz kehrt und schnappte mir die Säcke. Unwillkürlich entwich mir ein Stöhnen, weil sie wirklich schwer waren. Dann brachte ich sie jedoch unglaublich zügig zu dem vollkommen zugewucherten Blumenbeet, wo ich sie ordentlich aufstapelte, bevor ich nach drinnen zum Duschen ging.

Dort, unter dem Wasserstrahl, wurde mir auf einmal bewusst, dass ich mich nicht erinnern konnte, wann ich zum letzten Mal wirklich aus purer Freude gelacht hatte.

Als ich aus der Dusche kam, hörte ich mein Handy auf dem Nachttisch klingeln. Ein Blick auf das Display verriet mir zu meinem Erstaunen, dass Matthew anrief.

Matthew war zwar nicht sehr viel älter als wir, aber trotzdem so eine Art Ersatzvater für uns, nachdem wir unsere Eltern noch vor der Reise hierher verloren hatten. Er lebte außerhalb der Kolonie wie wir und unterrichtete an unserer Highschool. Ich war fest davon überzeugt, dass er alles für die Thompsons und uns tun würde. Nur Telefonieren war nicht sein Ding.

»Was gibt’s?«, fragte ich zur Begrüßung, während ich eine Jeans vom Boden fischte, die ich für einigermaßen sauber hielt.

Es dauerte einen Moment, bevor er antwortete. »Vaughn war gerade hier. Ohne Lane.«

»Okay.« Ich zog mir das Handtuch vom Körper und warf es ins Bad. »Möchtest du das vielleicht noch etwas ausführen?«

»Wollte ich ja gerade«, erwiderte Matthew, während ich mir die Jeans über die Hüfte zog. »Vaughn meinte, sie hätten nicht identifizierbare Lux-Bewegungen festgestellt. Du weißt, was das bedeutet.«

»Mist«, murmelte ich und schloss gleichzeitig den Hosenknopf. »Neue Arum im Anmarsch.«

Noch immer konnte das VM die Arum nicht von den Lux unterscheiden, auch wenn sich unsere beiden Spezies überhaupt nicht ähnlich sahen. Was für Idioten. Wahrscheinlich lag es daran, dass sie nie einen der Bastarde selbst geschnappt hatten. Denn bislang waren wir immer schneller gewesen und hatten dem VM nie eine Chance gegeben, einen in die Finger zu bekommen. Bei uns hingegen war ihnen das gelungen. Deshalb war es umso wichtiger, dass ihnen der Unterschied verborgen blieb, denn obwohl uns das VM von Kopf bis Fuß untersucht hatte, sind ihnen unsere Fähigkeiten verborgen geblieben. Und so sollte es bleiben. Was allerdings nur möglich war, wenn sie nicht merkten, dass die Arum eine vollkommen andere Spezies waren.

»Wissen sie, wie viele?«, fragte ich.

»Hört sich nach einem Set an, aber du weißt ja selbst, eine Gruppe kommt selten allein.«

Was für Super-Neuigkeiten! Mein Magen knurrte und erinnerte mich daran, wie hungrig ich war. Ich verließ mein Zimmer und nahm auf dem Weg nach unten zwei Stufen auf einmal, um schneller in die Küche zu kommen. Doch im letzten Moment entschied ich mich anders und trat mit dem Telefon am Ohr auf die Veranda hinaus.

Und dort sah ich sie.

Beide Mädchen arbeiteten hart in dem Beet und ich musste zugeben, dass das Ding, zumindest von meiner Position aus, schon viel besser aussah. Unkraut und vertrocknete Pflanzen waren entfernt worden und füllten jetzt die schwarzen Müllbeutel, die an der Veranda lehnten.

Dee sah absolut albern aus, wie sie vorsichtig an den Blättern einer neuen Pflanze zupfte, als wollte sie sie zurechtrücken, obwohl sie bereits fest in der Erde steckte. Ich hatte keine Ahnung, was sie damit bezwecken wollte. Wahrscheinlich ging es ihr vor allem darum, sich die Nägel nicht schmutzig zu machen. Mein Blick wanderte zu unserer neuen Nachbarin. Sie hatte sich niedergekniet und eine Hand steckte in der frischen Erde, der Rücken war leicht vorgebeugt und ihr Hintern ragte in die Höhe. Unwillkürlich öffnete ich den Mund, und ja, ich dachte sofort an das eine und stellte sie mir in ungefähr der gleichen Stellung, aber mit weniger Kleidung vor.

Was mich total fertigmachte, denn es war das Letzte, woran ich denken wollte. Verdammt, ich fand sie ja nicht mal besonders attraktiv. Nein. Überhaupt nicht.

Sie setzte sich auf die Füße zurück und Dee sagte etwas zu ihr, woraufhin sie sich langsam zu mir umdrehte.

»He«, Matthews Stimme drang an mein Ohr.

Schweren Herzens wandte ich den Blick ab und kratzte mir stirnrunzelnd die Brust. Shit. Schon wieder kein Shirt. »Was ist?«

»Hörst du mir überhaupt zu?«, fragte Matthew.

»Klar«, erwiderte ich, war aber erneut abgelenkt, weil ich beobachtete, wie sich unsere Nachbarin wieder dem Blumenbeet zuwandte und wie besessen mit der Schaufel in der Erde zu graben begann. »Dee hat eine neue Freundin, eine menschliche Freundin.«

Am anderen Ende der Leitung war ein Seufzen zu hören. »Wir leben schließlich unter Menschen, Daemon.«

Ach nee. »Ja, ich weiß, aber sie ist direkt nebenan eingezogen.«

»Was?«

»Ich habe keine Ahnung, warum sie es zugelassen haben.« Ich blickte zu ihnen hinüber. Dee reichte dem Mädchen gerade eine Pflanze, die eher wie gut gedeihendes Unkraut aussah. »Und Dee schleimt sich voll bei ihr ein. Du weißt ja, wie sie ist. Seit … das mit Dawson und Bethany passiert ist, will sie unbedingt …«

Wie Dawson sein und sich von mir abgrenzen.

Das ist die verdammte Wahrheit.

»Die Schule ist eine Sache«, sagte Matthew und ging damit schweigend über das hinweg, was ich nicht ausgesprochen hatte, uns aber beiden bewusst war. »Aber so nah – an eurem Haus und der Kolonie? Was um alles in der Welt hat sich das VM dabei gedacht?«

»Ich glaube nicht, dass sie sich irgendetwas dabei gedacht haben.« Auch wenn es mir komisch vorkam. Sie taten nie etwas ohne Grund.

»Du musst vorsichtig sein.«

»Ich bin immer vorsichtig.«

»Ich meine es ernst.« Er klang leicht verzweifelt.

»Ich werde mich darum kümmern«, versprach ich. »Aber erzähl den Thompsons nichts von ihr, okay? Ich habe keine Lust, mich auch noch mit denen auseinandersetzen zu müssen.«

Matthew willigte ein und warnte mich dann noch ungefähr eine halbe Stunde weiter abwechselnd vor meiner neuen Nachbarin und den Arum. Ich bekam nur Teile davon mit, weil ich von meiner Position auf der Veranda weiter die Mädchen beobachtete. Matthew brauchte mir nicht zu erzählen, wie gefährlich nahe die Arum waren und welche Vorsichtsmaßnahmen wir ergreifen mussten, und das wusste er eigentlich auch selbst. Aber so war er nun mal: Matthew – der Prophet des Untergangs.

Doch mit der Nachricht, dass sich offenbar Arum näherten, war die Sache klar. Dee musste den Kontakt zu unserer Nachbarin abbrechen, bevor noch etwas passierte, was einen dieser Bastarde direkt zu uns führte. Denn so war es bei Dawson gewesen.