Dämonentochter - Verwunschene Liebe - Jennifer L. Armentrout - E-Book
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Dämonentochter - Verwunschene Liebe E-Book

Jennifer L. Armentrout

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Beschreibung

Im Krieg der Götter muss ihre Liebe bestehen

Alex befindet sich allein im Nirgendwo, schicksalhaft gebunden an Seth … ihrer Erinnerungen, ihres Willens und selbst ihrer Gefühle zu Aiden beraubt – denn sie ist der Schlüssel, der Seth zum unbezwingbaren Vernichter der Götter machen soll. Doch Aidens Liebe widersetzt sich jeglicher Bestimmung, er ist nicht gewillt, Alex aufzugeben. Als ihr die Flucht gelingt, müssen sie einen Weg finden, Seth aufzuhalten – und der führt sie geradewegs in die Unterwelt …

Jennifer Armentrout "Dämonentochter"-Reihe ist intensiv, dramatisch und voller Leidenschaft. Mörderische und mystische Romantasy für alle Fans von überzeugenden und fesselden Charakteren, einer faszinierenden Welt und Nervenkitzel pur!

Alle Bände der »Dämonentochter«-Reihe:
Verbotener Kuss (Band 1)
Verlockende Angst (Band 2)
Verführerische Nähe (Band 3)
Verwunschene Liebe (Band 4)
Verzaubertes Schicksal (Band 5)

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 626

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© Vania

DIEAUTORIN

Jennifer L.Armentrout hat es mit ihren Büchern bereits auf die Bestsellerliste von USA Today geschafft. Ihre Zeit verbringt sie mit Schreiben, Sport und Zombie-Filmen. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei Hunden in West Virginia.

Von Jennifer L.Armentrout ist außerdem bei cbt erschienen:

Dämonentochter – Verbotener Kuss (978-3-641-10740-6)

Dämonentochter – Verlockende Angst (978-3-641-10741-3)

Dämonentochter – Verführerische Nähe (978-3-641-13906-3)

Kinder und Jugendbuchverlag

in der Verlagsgruppe Random House

1. Auflage

Erstmals als cbt Taschenbuch April 2015

© 2014 by Jennifer L. Armentrout

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »Apollyon«

bei Spencer Hill Press, Contoocook, USA

© 2015 für die deutschsprachige Ausgabe cbt Verlag,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Übersetzung: Dr. Barbara Röhl

Lektorat: Friedel Wahren

Umschlaggestaltung: © Isabelle Hirtz, Inkcraft, nach einer

Originalvorlage

MG · Herstellung: kw

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN: 978-3-641-14614-6

www.cbt-buecher.de

Für meine Freunde, die mir dabei helfen,

bei Verstand zu bleiben,

während ich in imaginären Welten spiele.

1. Kapitel

Ich kochte vor Wut und brannte auf einen Kampf. Meine Muskeln schrien danach, auf einen Gegner loszugehen. Ein bernsteinfarbener Machtrausch vernebelte mir die Gedanken. Ich war der Apollyon. Ich kontrollierte die vier Elemente und sogar das fünfte und mächtigste – Akasha. Von mir bezog der Göttermörder seine Energie. Ich war sein Motor – das Ass in seinem Ärmel. Ich war der Anfang, und er war das Ende. Und gemeinsam waren wir alles.

Doch ich konnte nichts tun, als hin und her zu laufen. Eingesperrt und hilflos durch die Zeichen, die in den Beton über mir eingeritzt waren, und Gitter, die ein Gott geschmiedet hatte.

»Alex.«

Natürlich, ich war nicht allein. O nein. Meine eigene, persönliche Hölle war eine Party für zwei. Eigentlich sogar ein Dreier … oder irgendwie ein Vierer. Klang lustiger, als es war. Stimmen … so viele Stimmen in meinem Kopf.

»Erinnerst du dich?«

Ich senkte den Kopf und spürte, wie sich die Muskeln streckten und die Knochen knackten. Dann wiederholte ich die Bewegungen auf meiner Linken und bewegte die Finger. Kleiner Finger, Mittelfinger, Zeigefinger … immer und immer wieder.

»Ich weiß, dass du mich hören kannst, Alex.«

Ich blickte über die Schulter und verzog verächtlich die Lippen. Mann, mit diesem Reinblut hatte ich ein Hühnchen von der Größe eines T-Rex zu rupfen! Auf der anderen Seite der Gitter stand Aiden St. Delphi. Dort erhob er sich unerschütterlich wie ein Fels. Aber ohne den Schutz von Hephaestus oder Apollo zwischen uns würde er rasch zu einem unbedeutenden Nichts werden.

Nein. Nein. Nein.

Aus eigenem Antrieb fuhr meine Hand zu der Kristallrose und tastete die glatten, zarten Formen ab. Er war alles.

Ein scharfer Schmerz durchfuhr meine Schläfen und ich knurrte. Ich warf ihm einen hasserfüllten Blick zu und drehte mich zu der kahlen Betonwand um. »Ihr hättet mir das Elixier weitergeben sollen.«

»Ich hätte dir das Elixier nie verabreichen dürfen«, hielt er dagegen. »Es war nicht der richtige Weg, um dich zu erreichen.«

Ich lachte kalt. »Ach, ich habe schon verstanden.«

Eine Pause. »Ich weiß, dass du noch dort drinnen bist, Alex. Hinter dieser Verbindung bist du immer noch du selbst. Die Frau, die ich liebe.«

Ich öffnete den Mund, aber es kamen keine Worte heraus – nur Erinnerungen zogen an mir vorüber: wie ich am Wasser stand und Aiden gestand, dass ich ihn liebte. Und dann ein endloser Strom von Gedanken und Handlungen, die sich alle um ihn drehten. Monate, wenn nicht Jahre spulten sich immer wieder ab, bis ich nicht mehr zwischen Vergangenheit, Gegenwart und dem Zustand unterscheiden konnte, der einmal meine Zukunft werden würde.

Er schien zu spüren, welche Richtung meine Gedanken eingeschlagen hatten. »Vor ein paar Tagen hast du noch gesagt, dass du mich liebst.«

»Vor ein paar Tagen war ich hackedicht und habe mich in Schränken versteckt – und zwar dank dir.« Ich fuhr gerade noch rechtzeitig herum, um ihn zusammenzucken zu sehen. Gut. »Du hast mir das Elixier gegeben.«

Aiden sog scharf den Atem ein, aber er senkte weder beschämt noch schuldbewusst den Blick. Er sah mir unverwandt in die Augen, obwohl er darin vermutlich etwas erkannte, das er mit jeder Faser seines Wesens hasste. »Ja.«

Ich atmete tief und mühsam ein. »Irgendwann komme ich hier heraus, Aiden. Und dann bringe ich dich um. Ganz langsam.«

»Und du wirst jeden ermorden, den ich gern habe. Ich weiß. Das hatten wir doch schon.« Er lehnte sich an die Gitterstäbe. Dieses Mal war sein Gesicht glatt rasiert, ohne eine Spur von Bartstoppeln. Er trug seine Wächteruniform, ganz in Schwarz. Aber unter seinen hinreißenden Augen lagen dunkle Schatten.

»Ich weiß, dass du mir nichts zuleide tun wirst, wenn du herauskommst«, fuhr er fort. »Davon bin ich überzeugt.«

»Traurig eigentlich.«

»Was denn?«

»Dass jemand, der so gut aussieht wie du, so unglaublich dumm ist.« Als er die Augen zusammenzog, lächelte ich. Als sie silbrig aufblitzten, wusste ich, dass ich einen Nerv getroffen hatte. Das machte mich ungefähr drei Sekunden lang ziemlich glücklich, aber dann wurde mir klar, dass ich immer noch in einem verdammten Käfig saß. Aiden zu verärgern, half mir, die Zeit zu vertreiben, aber es änderte nichts.

Da konnte ich Besseres tun.

Ich brauchte nur abzuwarten und den richtigen Moment abzupassen. Die leise Statik war in meinem Kopf. Ständig. Ich brauchte nur darauf zuzugreifen, aber sobald Aiden den Eindruck hatte, dass ich es versuchte, begann er zu reden.

Ich ging zu der Matratze, die auf dem Boden lag, setzte mich darauf und zog die Knie bis unters Kinn hoch. Dann sah ich Aiden dabei zu, wie er mich beobachtete. Und ich versuchte, die Stimme, die sich zu Wort meldete, sobald er in der Nähe war, zum Verstummen zu bringen. Ich mochte diese Stimme nicht und begriff nicht, was sie von mir wollte.

Aiden fuhr sich mit der Hand durchs Haar und stieß sich von den Gittern ab. »Hast du eigentlich eine Ahnung, was in diesem Moment dort draußen vorgeht?«

Ich zuckte mit den Achseln. Warum sollte mich das interessieren? Mir kam es nur darauf an, hier herauszukommen und mich mit meinem Seth zu verbinden. Dann würden wir meinen Vater befreien, falls er noch als Sklave in den Catskills lebte. Das hatte mein Seth mir versprochen.

»Weißt du noch, was Poseidon mit der Götterinsel angerichtet hat?«

Wie zur Hölle sollte ich das vergessen? Poseidon hatte den dortigen Covenant ausgelöscht.

»Und es kommt noch schlimmer, Alex. Die Hälfte der zwölf olympischen Götter will Krieg gegen Seth und Lucian«, sprach er weiter. »Und das weiß er mit Sicherheit. Vielleicht will er das ja, aber willst du es? Weißt du, wie viele Unschuldige sterben werden – oder schon gestorben sind? Sowohl Sterbliche als auch Halbblüter? Kannst du damit leben?«

In Anbetracht der Tatsache, dass man mich in einen Käfig gesteckt hatte, lebte ich momentan streng genommen nicht.

»Denn tief in meinem Innern weiß ich, dass du nicht mit dir selbst leben könntest, wenn du wüsstest, dass du zum Tod von Tausenden, wenn nicht Millionen beigetragen hast – vor allem nicht, was diese Halbblüter angeht. Wegen ihrer schlechten Behandlung hast du daran gezweifelt, Wächterin zu werden. Aber wenn Seth das durchzieht, werden sie sterben.« Es nervte, wie überzeugt er klang. Und die Leidenschaft, die er in seine Worte legte, war einfach nur lästig. »Caleb – weißt du noch, wie du dich gefühlt hast, nachdem Caleb …«

»Rede nicht von ihm!«

Abrupt zog er die dunklen Augenbrauen hoch. Ein schockierter Ausdruck breitete sich über sein Gesicht, und dann schoss er auf die verdammten Gitterstäbe zu und umklammerte sie. »Ja, Caleb, Alex! Erinnerst du dich daran, wie du dich nach seinem Tod gefühlt hast? Wie du dir die Schuld dafür gegeben hast?«

»Halt die Klappe, Aiden!«

»Weißt du noch, wie du dich so zerrissen gefühlt hast, dass du fünf Tage nicht aus deinem Bett aufgestanden bist? Sein Verlust hat dir das Herz gebrochen. Glaubst du, er würde wollen, dass du dir das jetzt antust? Er ist gestorben, weil er zur falschen Zeit am falschen Ort war, aber das hier? Tausende Calebs werden sterben, aber ihr Tod wird deine Schuld sein.«

Ich drückte den Kopf auf die Knie und hielt mir die Ohren zu. Aber das verhinderte nicht, dass eine Woge von Emotionen in mir aufstieg und auf mich eindrang, und linderte den Schmerz in meinen Schläfen nicht, der rasch in ein scharfes Stechen umschlug.

Aber er hörte trotzdem nicht auf. »Was ist mit deiner Mutter, Alex?«

»Halt den Mund!«, kreischte ich.

»Das hätte sie nicht gewollt!« Die Gitterstäbe bebten, als er, wie ich vermutete, mit den Fäusten darauf einschlug. Das musste jetzt wehtun. »Genau davor wollte sie dich schützen. Wie kannst du es wagen, dich einfach auf die andere Seite zu schlagen und zuzulassen, dass er dir das …«

Das Summen in meinen Ohren wuchs sich zu einem Dröhnen aus, das Aiden und alles andere übertönte. Augenblicklich war er da und floss durch meine Adern wie warmer, köstlicher Honig.

Hör mir zu. Die Worte waren in meinem Kopf und beruhigten mich wie eine sanfte Sommerbrise. Hör mir zu, Alex. Denk daran, was wir gemeinsam tun werden, sobald wir uns verbinden. Wir werden die Halbblüter befreien– und deinen Vater.

»Alex«, fauchte Aiden.

Gute Götter, hat der Mann denn nichts anderes zu tun? Seths entnervtes Aufseufzen lief bebend durch meinen Körper. Blende ihn aus. Er ist nicht wichtig. Wir schon.

Ich krallte die Finger in mein Haar.

»Er ist jetzt in dir, oder?« Der Zorn ließ Aidens Stimme tiefer klingen. Wieder erzitterten die Gitterstäbe. Wenn er so weitermachte, würde er sich die Knöchel zu Brei schlagen. Mein Hirn befand sich im gleichen Zustand. »Hör nicht auf ihn, Alex!«

Seths Lachen war eiskalt. Kommt er gerade herein? Schalte ihn aus, Engel, und dann fliehst du. Niemand kann dich aufhalten.

Ich zerrte an meinen Haaren, bis ich das Gefühl hatte, dass winzige Nadeln in meine Kopfhaut stachen.

»Sieh mich an, Alex!« Der verzweifelte Unterton in Aidens Stimme erreichte einen Teil von mir, den ich nicht vollständig kannte. Ich schlug die Augen auf und blickte tief in die seinen hinein. Sie waren silbrig wie Mondschein. Wunderschöne Augen. »Gemeinsam können wir die Verbindung zwischen dir und Seth trennen.«

Sag ihm, dass du die Verbindung nicht unterbrechen willst!

Erstaunlich … und unheimlich, wie viel mein Seth sehen und hören konnte, wenn wir verbunden waren. Es war, als lebe außer mir noch jemand in meinem Körper.

»Alex«, sagte Aiden. »Selbst wenn es dir gelingt, zu ihm zu gelangen, wird er dich einfach aussaugen wie ein Daimon. Vielleicht nicht absichtlich, aber er wird es tun.«

Mein Herzschlag stockte. Ich war schon einmal gewarnt worden – von meiner Mutter, vor Monaten. Das war einer der Gründe gewesen, weshalb sie mich in einen Daimon hatte verwandeln wollen. Ein verkorkstes Argument voll falscher Logik, aber trotzdem …

Das werde ich dir nie antun, Alex. Ich möchte nur, dass du sicher und glücklich bist. Du willst doch deinen Vater befreien, oder? Gemeinsam schaffen wir es– aber nur, wenn wir zusammen sind.

»Ich gebe nicht auf«, erklärte Aiden. Einige Sekunden lang herrschte ein herrliches, wohltuendes Schweigen. »Haben Sie gehört, Seth? Das wird nie passieren.«

Er ist lästig.

Ihr geht mir beide auf die Nerven. »Da ist nichts aufzugeben«, erklärte ich laut.

Er zog die Brauen zusammen. »Doch, alles.«

Diese Worte kamen mir merkwürdig vor. Alles war ein Phantombild dessen, was gewesen war und niemals sein konnte. In dem Moment, als ich mich mit meinem Seth verbunden hatte, war alles anders geworden. Es war schwer zu erklären. Hatte nicht vor Monaten, als ich schlecht schlafen konnte, unsere Verbindung meinen Körper und meine Seele beruhigt? Genauso fühlte es sich jetzt an, nur hundertmal stärker.

Bei dieser Sache gab es kein Ich. So ähnlich, wie es vor meinem Erwachen keinen Seth gegeben hatte. Jetzt begriff ich das – wie viel Mühe er sich gegeben hatte, wenn er in meiner Nähe war, und dagegen angekämpft hatte, in meine Angelegenheiten hineingezogen zu werden. Jetzt gab es nur noch uns – ein einziges Wesen, das auf zwei unterschiedliche Körper aufgeteilt war. Eine geteilte Seele. Solaris und der Erste …

Hinter meinen Augen explodierte ein scharfer Schmerz.

Nicht. Sein Flüstern hallte durch meine Adern. Denk nicht an sie!

Ich runzelte die Stirn.

Und mein Seth redete weiter. Aiden auch. Aber er war nicht so dumm, die Zelle zu betreten. Ich war sicher, dass ich ihn ausschalten konnte, obwohl ich erschöpft war und die Schutzzeichen an den Wänden mich hinderten. Minuten, vielleicht Stunden vergingen, während die beiden meine Hirnzellen massakrierten.

Als alles vorbei war, sank ich auf der Matratze zusammen. Ich hatte höllische pulsierende Kopfschmerzen. Aiden war nur gegangen, weil jemand – mein Onkel? – die Tür nach oben geöffnet hatte, was gewöhnlich bedeutete, dass etwas passiert war. Ich legte mich auf die Seite und streckte mich langsam aus.

Endlich, seufzte Seth.

Ich löste meine Fäuste. Die Fingergelenke schmerzten. Er wird nicht lange wegbleiben.

Wir brauchen keine Ewigkeit, Engel. Wir müssen nur herausfinden, wo du bist. Und dann werden wir zusammen sein.

Ich verzog die Mundwinkel zu einem leisen Lächeln. Wenn ich mich stark genug konzentrierte, spürte ich meinen Seth auf der anderen Seite der summenden Schnur, die immer da war. Manchmal verbarg er sich vor mir, aber jetzt nicht.

Aus der Erinnerung rekonstruierte ich sein Bild. Vor meinem inneren Auge nahmen seine goldbraune Haut und seine leicht gebogenen Augenbrauen Gestalt an. Sein kräftig geschwungener Kiefer verlangte geradezu nach einer Berührung, und das selbstzufriedene Lächeln auf seinen vollen Lippen wurde breiter. Götter, sein Gesicht war überirdisch schön – kalt und hart wie die Marmorstatuen, die früher vor dem Covenant-Gebäude gestanden hatten.

Aber … aber auf der Götterinsel gab es keine Statuen mehr. Gar nichts mehr. Poseidon hatte alles zerschmettert und zurück ins Meer gerissen. Gebäude, Statuen, Strand und Menschen – alles fort.

Mir kam das Bild meines Seth abhanden.

Ein unbehagliches Gefühl breitete sich in meiner Magengrube aus. Aiden hatte vorhin recht gehabt – irgendwie jedenfalls. Etwas an der ganzen Situation störte mich, gab mir das Gefühl, hilflos zu sein. Dabei war ich nicht machtlos.

Ich war der Apollyon.

Denk lieber wieder daran, wie gut ich aussehe. Das hat mir gefallen.

Manches änderte sich nie. Mein Seth war so von sich eingenommen wie immer.

Aber das Bild meines Seth trat wieder vor meine Augen. Sein Haar war an den Schläfen gelockt und hatte die Farbe gesponnenen Goldes. Er erinnerte mich an Adonis, wie er auf Gemälden dargestellt wird. Aber Adonis war nicht blond gewesen. Das Wissen der vorherigen Apollyons war auf mich übergegangen, und demnach hatte er braunes Haar gehabt.

Wo bist du?, fragte ich.

Auf dem Weg nach Norden, Engel. Bist du im Norden?

Ich seufzte. Keine Ahnung, wo ich bin. Um mich herum gibt es Wälder. Einen Bach.

Nicht gerade hilfreich. Eine Pause trat ein, und ich stellte mir vor, wie sich seine Hand auf meiner Wange anfühlen würde, wenn er meinen Wangenknochen nachzog. Ich erschauerte. Du fehlst mir, Engel. In den Wochen, als ich dich nicht erreichen konnte, bin ich fast verrückt geworden.

Ich gab keine Antwort. Mir hatte Seth nicht gefehlt. Unter dem Einfluss des Elixiers hatte ich nicht einmal gewusst, dass er existierte.

Seth lachte leise. Du vollbringst Wunder, was meine Selbstachtung angeht. Sag bitte, dass du mich auch vermisst hast!

Ich wälzte mich auf den Rücken und lockerte die verknoteten Muskeln im Bein. Wie wird es sein, wenn ich meine Energie auf dich übertrage?

Wieder ein kurzes Schweigen, das mich nervös machte. Es wird nicht wehtun, flüsterte seine Stimme. Es wird so sein wie sonst, wenn wir uns berührt haben. Als die Runen aufgetaucht sind. Das hat dir doch gefallen.

Das stimmte.

Es müssen ein paar Worte gesprochen werden, nichts Besonderes, und dann übernehme ich deine Macht. Ich werde dich nicht leer saugen, Alex. So etwas täte ich nie.

Ich glaubte ihm und entspannte mich. Wie sieht der Plan aus, Seth?

Du weißt doch, wie der Plan aussieht.

Er wollte die zwölf olympischen Götter vernichten, bevor sie einen Weg fanden, uns auszuschalten. Die Legenden wollten wissen, dass nur ein Apollyon einen anderen töten konnte, aber keiner von uns war sich da sicher. Alle früheren Apollyons hatten nach Schlupflöchern und weniger bekannten Mythen gesucht. Aber sobald die Götter ausgeschaltet waren, würden wir herrschen. Oder Lucian. Das wusste ich nicht, und es war mir auch gleichgültig. Ich wollte nur bei meinem Seth sein. So schlimme Trennungsängste hatte ich noch nie erlebt.

Nein. Was sieht der Plan vor, damit wir zusammen sein können?

Seths Anerkennung überspülte mich, als wäre ich gerade in die Sommersonne hinausgetreten. Ich aalte mich darin wie ein kleiner Welpe mit vollem Bauch. Irgendwann werden sie eine Schwäche zeigen. Besonders St. Delphi. Du bist seine Schwäche.

Ich wand mich unbehaglich. Stimmt.

Und wenn du eine Fluchtmöglichkeit siehst, dann ergreif sie. Halt dich nicht zurück, Engel. Du bist der Apollyon. Wenn du einmal frei bist, kann dich niemand aufhalten. Vertrau darauf. Und sobald du eine Ahnung hast, wo du bist, komme ich sofort.

Ich vertraute meinem Seth.

Dann überkam mich wieder dieser angenehme, berauschende Nebel. Hast du in letzter Zeit Apollo oder einen anderen Gott gesehen?

Nein. Nicht, seit ich von meinem Elixier-High heruntergekommen war, und das war eigenartig. Apollo hatte mir im Nacken gesessen, seit ich erwacht war, aber ich hatte ihn weder gespürt noch gesehen. Und auch sonst keinen Gott.

Ich öffnete die Augen und starrte die Gitterstäbe an. Ob Hephaestus sie bald wieder verstärken musste? Götter, ich hoffte es. Wenn sie ihre Kraft verloren, dann würden die Schutzzeichen auch wirkungslos. Dann konnte ich fliehen.

Seth sagte etwas so Unanständiges, dass sich mir die Fußnägel aufstülpten, damit ich ihm wieder zuhörte. Woran hast du gedacht?

Ich zeigte ihm die Gitter und meine Gedanken. Er war nicht überzeugt. Hephaestus’ Werk zeigte selten Schwächen, aber ich machte mir Hoffnungen … eine wunderbare Sekunde lang. Diese … diese Verbindung war nicht das Echte, Wahre. Obwohl mein Seth in mir war, war er in Wirklichkeit nicht da. Ich war allein – in einer Zelle.

Er wird mich niemals hinauslassen. Aiden wird mich nie in deine Nähe lassen. Heiße Tränen brannten in meinen Augen, und die Einsamkeit tat sich vor mir auf wie ein bodenloser Abgrund. Ich werde meinen Vater nie wiedersehen.

Doch, du wirst ihn wiedersehen. Was er tut, zählt nicht. Ich komme zu dir. Die Götter behaupten, es könne nur einen von uns geben, aber sie irren sich. Etwas Seltsames zog sich in mir zusammen, um sich gleich wieder zu entspannen. Du gehörst mir, Alex– das war schon immer so und wird auf ewig so sein. Dazu sind wir geschaffen.

Einem Teil von mir wurde ganz warm bei dieser Antwort. Aber ein anderer Teil, dem die zweite Stimme entsprang, die ich immer in Aidens Nähe hörte, schreckte zurück – ganz insgeheim und vor meinem Seth verborgen –, und ich betastete die Kristallrose, die an meinem Hals hing.

2. Kapitel

Irgendwann später war ich allein. Ich hatte keine Ahnung, ob es Nacht oder Tag war oder wie lange ich geschlafen hatte. Kein Aiden saß auf dem Stuhl und beobachtete mich. Seth und die bernsteinfarbene Schnur waren verschwunden. Herrlich.

Mein Kopf fühlte sich einigermaßen klar an.

Mit steifen Gliedern stand ich auf und trat an die Gitterstäbe. Sie sahen normal aus – silbrig glänzendes Titan –, aber das Problem war das feine Netz, das sie umgab.

Hephastus’ Netz war so etwas von ätzend.

Ich holte tief Luft, umfasste die Gitterstäbe und drückte zu. Ein blauer Lichtblitz schoss an den Stäben hoch, waberte an der Decke entlang und lief über das dort angebrachte Zeichen wie eine glitzernde Rauchwolke.

»Verdammt«, murrte ich und wich zurück.

Ich wollte Akasha anrufen. Aber in meinem Innern regte sich nichts, nicht einmal ein Funke. Ich hob die Hand und probierte es mit etwas Leichterem. Einfach für mich jedenfalls.

Ich rief das Feuer.

Uuund … nichts passierte.

Als ich erwacht war, hatte die Energie, die hervorgebrochen und durch meine Adern geflossen war, wie ein Rausch gewirkt – ich war so high gewesen, dass ich die Decke hätte küssen können. Nichts war damit vergleichbar. Da hatte ich auch kapiert, warum Daimonen sich nach Äther sehnten, denn ich hatte eine Kostprobe davon bekommen. Und ich hatte es nicht mehr gespürt, seit Apollo mich mit einem verdammten göttlichen Donnerkeil ausgeknockt hatte.

Mistkerl.

Er stand auch auf meiner Todesliste.

Ich ging ins Badezimmer und säuberte mich. Frisch geduscht und angezogen machte ich mich wieder daran, die Gitterstäbe auf die Probe zu stellen. Das schimmernde blaue Licht war irgendwie hübsch. Wenigstens hatte ich etwas zum Betrachten.

Ich seufzte. Am liebsten hätte ich mit dem Kopf gegen die Wand geschlagen. Am anderen Ende der Schnur tastete ich nach meinem Seth, aber er war immer noch nicht da. Ich hätte nach ihm rufen können, und er hätte geantwortet, aber ich war mir sicher, dass er mit meiner Befreiung beschäftigt war. Da ich nichts anderes zu tun hatte, überprüfte ich einen Bereich der Gitter nach dem anderen.

Stunden später – so kam es mir jedenfalls vor – wurde oben eine Tür geöffnet. Ich hörte Stimmen. Eine davon gehörte Aiden, aber die andere …

»Luke?«, rief ich.

»Verschwinde!«, befahl Aiden schroff.

Die Tür fiel zu, und schwere Schritte kamen die Treppe herunter. Ich schwöre bei den Göttern, dass ein animalisches Knurren aus meiner Kehle aufstieg.

Aiden hielt einen Plastikteller mit Rührei und Speck in den Händen. Die Augenbrauen hatte er hochgezogen. »Glaubst du wirklich, ich lasse ein Halbblut in deine Nähe?«

»Ein Mädchen darf immer hoffen.« Halbblüter waren geistigem Zwang gegenüber empfänglicher, und ich hatte einen ziemlich heftigen auf Lager.

Er schob den Teller zwischen den Gitterstäben hindurch. Als ich zum letzten Mal das Essen verweigert hatte, hatte es nicht funktioniert. Ich war halb verhungert gewesen, und deswegen hatte ich das Elixier abgekriegt. Diesmal war Essen mein Freund.

Ich griff nach dem Teller.

Aidens freie Hand schoss vor und legte sich um meinen Arm. Seine Pranke war so groß, dass mein Handgelenk darin verschwand. Er sagte nichts, aber seine gewittergrauen Augen verrieten, dass er etwas von mir wollte. Was sollte das sein? Mich daran erinnern, dass wir zusammen gewesen waren? Daran, wie sehr er meine Gedanken beherrscht hatte? Wie ich mich nach seiner Nähe gesehnt hatte? Sollte ich daran zurückdenken, wie er mir von der Nacht erzählt hatte, als die Daimonen seine Familie angegriffen und massakriert hatten? Oder wie es sich anfühlte, in seinen Armen zu liegen und von ihm geliebt zu werden?

Ich erinnerte mich an alles, in sämtlichen Einzelheiten.

Aber die Gefühle, die zu diesen Ereignissen und Erinnerungen gehörten, waren nicht vorhanden. Sie waren vollkommen abgeschnitten. Verschwunden mit den Launen aus der Vergangenheit … Aiden war meine Vergangenheit.

Nein. Nein. Nein. Da war die leise Stimme wieder. Aiden war die Zukunft. Aus irgendeinem Grund dachte ich an dieses verdammte Orakel – Grandma Piperi. Erkenne den Unterschied zwischen Bedürfnis und Liebe, hatte sie gesagt. Aber es gab keinen Unterschied. Sie hätte mir lieber beibringen sollen, aus einer vergitterten Zelle auszubrechen.

Aiden ließ los. Sein Blick war so hart wie diese Betonwände. Während ich mein Essen zu der Matratze trug, wich er zurück. Erstaunlicherweise ließ er mich in Ruhe essen.

Danach wurde er umso gesprächiger.

Heute wollte Aiden über unser erstes Training reden und darüber, dass ich ihn anscheinend auf die Palme gebracht hatte, weil ich ohne Punkt und Komma redete. Als er zu der Stelle kam, an der ich seine Stimme nachgeäfft hatte, musste ich lächeln. Er war wirklich verärgert gewesen und hatte nicht gewusst, wie er mit mir umgehen sollte.

Im selben Moment, als meine Lippen zuckten, leuchteten Aidens Augen auf. »Du hast gesagt, dass ich väterlich klinge.«

Stimmte.

»Als ich die Regeln durchgegangen bin, hast du auch gesagt, jetzt müsstest du mit dem Crack aufhören.« Aiden lächelte.

Fast hätten meine Lippen ebenso darauf reagiert. Und das gefiel mir nicht. Zeit für einen Themenwechsel. »Ich will nicht darüber sprechen.«

Aiden lehnte sich auf dem metallenen Klappstuhl zurück. Das Teil musste doch extrem unbequem sein. »Worüber möchtest du reden, Alex?«

»Wo steckt eigentlich Apollo in letzter Zeit? Ich komme mir ungeliebt vor. Schließlich ist er mein Urururgroßvater, oder so etwas in der Richtung.«

Er verschränkte die Arme. »Apollo wird nicht kommen.«

Interessante Entwicklung. Ich spitzte meine Öhrchen. »Und warum nicht?«

Gleichmütig sah er mich an. »Glaubst du wirklich, das verrate ich dir, wenn du gleich darauf zu Seth rennst und ihm alles erzählst?«

Ich setzte die nackten Füße auf den kalten Boden und stand auf. »Ich sage kein Wort.«

Aiden warf mir einen ausdruckslosen Blick zu. »Es klingt vielleicht verrückt, aber ich glaube dir nicht.«

Ich trat an die Gitter und behielt dabei seinen Gesichtsausdruck im Auge. Als ich näher kam, verschwand die emotionslose Miene. Sein Kiefer spannte sich an, als beiße er die Zähne zusammen. Sein Blick wurde schärfer und sein Mund schmaler. Als ich die Gitterstäbe berührte, flammte das Licht nur schwach auf. Irgendwie erkannten sie den Unterschied zwischen einer bloßen Berührung und einem Fluchtversuch. Schlaue Gitter.

»Was tust du da?«, fragte Aiden.

»Wenn du mich laufen lässt, rühre ich dich nicht an, genauso wenig wie die Menschen, die dir wichtig sind. Das schwöre ich.«

Einen Herzschlag lang schwieg er. »Du bist mir wichtig, Alex.«

Ich senkte den Kopf. »Aber mir wird nichts passieren.«

»Nein. Du wirst in Gefahr geraten.« Ein betrübter Ausdruck trat in seine Augen, dann schlug er die dichten Wimpern nieder.

Mein Magen krampfte sich zusammen. Ich erinnerte mich an die Informationsfetzen, die ich aufgeschnappt hatte, während ich unter dem Elixier stand, und wusste, dass mehr daran war. »Was weißt du, Aiden?«

»Wenn du von hier fortgehst, solange du noch mit Seth verbunden bist … wirst du sterben.« Die letzten Worte stieß er abgehackt hervor.

Ich lachte. »Du lügst. Mir kann nichts etwas an…« Mythen und Legenden, Alex. Herrje. Worüber hatte ich vorhin noch nachgedacht? Es gab immer ein Gleichgewicht der Kräfte, in welcher Form auch immer. Deswegen war der Apollyon überhaupt erst geschaffen worden. »Was weißt du?«

Er sah auf und seine Augen leuchteten in einem verblüffenden Silberton. »Darauf kommt es nicht an. Du musst nur wissen, dass es die Wahrheit ist.«

Ich öffnete den Mund, schloss ihn aber wieder. Aiden wollte mich verunsichern. Mehr war nicht daran. Wenn Thanatos und sein Orden in vielen Jahrhunderten die Achillesferse des Apollyons nicht gefunden hatten, wie sollte ein Reinblut dann Erfolg haben? Der Orden hatte es jedenfalls nicht geschafft …

Oder doch?

Aber der Orden zählte nicht. Mein Seth und seine Wächter hatten ihn systematisch vernichtet.

Ich blickte auf und stellte fest, dass Aiden mich anstarrte. Nur mit Mühe widerstand ich dem unerklärlichen Drang, ihm die Zunge herauszustrecken.

»Kann ich dich etwas fragen?«

Ich zuckte mit den Achseln. »Wenn ich Nein sage, fragst du ja trotzdem.«

»Stimmt.« Ein verkniffenes Lächeln. »Du warst doch vor der Ratssitzung bei Lucian. Er hat dich gegen deinen Willen in sein Haus verschleppt, oder?«

»Jaaa«, gab ich langsam zurück. Mir wurde jetzt schon unwohl.

»Wie hast du dich dabei gefühlt?«

Meine Hände krampften sich um die Gitterstäbe. »Was ist los? Bist du jetzt Psychologe geworden?«

»Beantworte einfach die Frage!«

Ich schloss die Augen und lehnte mich an das Gitter. Ich hätte lügen können, aber das hätte wenig Sinn gehabt. »Ich habe es gehasst. Ich habe versucht, Lucian mit einem Steakmesser umzubringen. Offensichtlich war das nicht so gelaufen wie geplant. »Aber damals habe ich es nicht verstanden. Jetzt schon. Ich brauche vor nichts Angst zu haben.«

Schweigen, und dann stand Aiden unmittelbar vor mir und legte durch die Lücke zwischen den Gitterstäben den Kopf an meine Stirn. Seine großen Pranken bedeckten meine Hände, und als er sprach, spürte ich seinen warmen Atem. Ich hätte den Grund dafür nicht sagen können, aber ich wich nicht zurück. Ihm so nahe zu sein, war auf so vielen Ebenen verkehrt.

»Nichts hat sich geändert«, erklärte er leise.

»Ich mich schon.«

Aiden seufzte. »Nein, hast du nicht.«

Ich schlug die Augen auf. »Wird dir das eigentlich nie langweilig? Irgendwann musst du es doch leid sein.«

»Niemals«, sagte er.

»Weil du mich nicht aufgeben wirst, ganz gleich, was ich zu dir sage?«

»Genau.«

»Du bist unglaublich stur.«

Aidens Lippen verzogen sich zu einem schiefen Lächeln. »Das Gleiche habe ich früher immer über dich gesagt.«

Ich runzelte die Stirn. »Und jetzt nicht mehr?«

»Manchmal weiß ich nicht einmal, was ich sagen soll.« Er streckte die Hand durch die Gitterstäbe und strich mir mit den Fingerspitzen über den Wangenknochen. Dann legte er die ganze Handfläche an meine Wange. Ich zuckte zusammen, aber er nahm sie nicht weg. »Und dann zweifle ich manchmal an allem, was ich tue.«

Er legte den Kopf in den Nacken, sodass ich ihn ansehen musste. »Aber ich zweifle nicht daran, dass ich in diesem Moment genau das Richtige tue.«

Viele Retourkutschen stiegen in mir hoch, aber sie lösten sich auf, als die leise Stimme in meinem Innern sich meldete. Für dich gäbe ich alles auf …

Mir wurde die Kehle eng, und plötzlich kam mir die Zelle zu klein vor. Der Keller engte mich ein, Aidens Nähe erstickte mich. Mein Herz tat einen ungestümen Satz, und ich tastete nach der Schnur …

»Nicht«, flüsterte Aiden. »Ich weiß, was du vorhast. Tu es nicht!«

Ich fuhr zurück, bis wir uns nicht mehr berührten. »Woher weißt du, was ich vorhabe?«

Seine Hand war ausgestreckt, als spüre sie meine Wange immer noch. »Ich weiß es einfach.«

Zorn stieg in mir auf. Dahinter steckten Enttäuschung und eine ordentliche Portion Schnurzegal-Haltung. »Ja, du bist etwas ganz Besonderes.«

Kopfschüttelnd ließ Aiden die Hand sinken. Er beobachtete, wie ich zur Matratze marschierte und mich fallen ließ. Wütend erwiderte ich seinen Blick und wünschte ihm alles erdenklich Miese an den Hals. Und ich hätte einiges auf Lager gehabt, um ihm die Beherrschung zu nehmen und ihn in kleine Stücke zu zerlegen. Worte, die mein Seth mir zugeflüstert hatte und von denen ich ihm gesagt hatte, dass ich sie tun wollte. Ich hätte zuschlagen können – o ja, ich hätte Aiden vernichten können. Als ich den Mund öffnete, blieben mir jedoch alle verletzenden, destruktiven Worte im Hals stecken.

Als ich so dasaß, fühlte ich mich nicht richtig in meiner Haut, so als gehörte ich nicht wirklich hinein. Wohl fühlte ich mich nur, wenn ich mit meinem Seth verbunden war. Ohne ihn hätte ich diese Haut am liebsten abgeworfen oder sie zerrissen, bis ich blutete.

Ich wollte auf etwas einschlagen. Der Drang war stark.

Mühsam holte ich Luft und konzentrierte mich auf das Zeichen an der Decke. Die Zeichnung stellte zwei ineinander verschlungene Monde dar. Mit dem Mond standen allerdings so viele Götter in Verbindung, dass ich keine Ahnung hatte, wofür dieses Symbol stand oder warum es mir meine Macht nehmen konnte.

»Was ist das eigentlich?«, fragte ich und wies zur Decke.

Ich rechnete kaum damit, dass Aiden mir antwortete, aber er tat es. »Es ist Phoebes Zeichen.«

»Phoebe? Offensichtlich aber nicht die aus Charmed.«

Er schnaubte verächtlich.

Wow, da waren wirklich schwere Geschütze aufgefahren worden! Ich fühlte mich beinahe geschmeichelt, als ich die Augen zusammenkniff und die Zeichen betrachtete. Sie hatten eine merkwürdig blaurote Farbe. »Du sprichst also von den Titanen.«

»Ja.«

»Und das ist Titanenblut, oder?« Ich neigte den Kopf in Aidens Richtung. »Erklärst du mir bitte, wieso an dieser Decke Titanenblut klebt? Haben die Olympier das einfach in Marmeladengläsern herumstehen?«

Aiden lachte trocken auf. »Als die Olympier die Titanen stürzten, sperrten sie die meisten im Tartarus ein. Aber Phoebe gehörte nicht dazu. Und sie ist ihren Kindern sehr zugetan.«

Ich zerbrach mir den Kopf, wen sie wohl in die Welt gesetzt hatte, aber mir fiel niemand ein. »Wem ist sie zugetan?«

»Leto«, gab er zurück. »Die wiederum die Mutter von Apollo und Artemis ist.«

Ich stöhnte auf. »Klar. Warum auch nicht? Also hat Apollo bei seiner Großmutter etwas Blut geschnorrt? Toll. Aber ich kapiere nicht, wie das funktioniert.« Mit einer Handbewegung wies ich auf die Zelle, die mich umgab. »Wieso kann dieses Blut meine Kräfte neutralisieren?«

»Titanenblut ist sehr mächtig. Du weißt, dass in Titanenblut getauchte Klingen sogar einen Apollyon töten können.« Als ich ihm einen verständnisinnigen Blick zuwarf, lächelte er verkniffen. »Gemischt mit Blut aus deiner eigenen Abstammungslinie, kann es … nun ja, dich daran hindern, dass du dich selbst verletzt.«

»Oder dich«, fauchte ich.

Aiden zuckte mit den Achseln.

Zorn schwappte durch meinen Körper wie eine Welle aus Gift. Da ich mich nicht abreagieren konnte, stand ich kurz vor einem Lagerkoller. Ich reckte zuerst die Beine und dann die Arme. In Gedanken stellte ich mir vor, wie ich losrannte und Aiden vors Schienbein trat.

Ein Seufzer kam von der anderen Seite des Gitters.

Manchmal fragte ich mich, ob Aiden Gedanken lesen konnte.

»Ich hasse das«, gestand er so leise, dass ich mich fast verhört zu haben glaubte. Er kehrte mir den Rücken zu. »Ich hasse es, dass Seth dich lediglich manipuliert und angelogen hat und du ihm trotzdem vertraust. Ich hasse es, dass diese Verbindung dir wichtiger ist als alles, was dort draußen geschieht.«

Ich wollte Einwände erheben, aber mein Seth hatte mich tatsächlich angelogen. Wahrscheinlich hatte er mich manipuliert, seit er erfahren hatte, dass ich der zweite Apollyon war. Lucian hatte es auf jeden Fall getan.

Ein ungutes Gefühl lief mir über den Rücken und hinterließ kalte Schauer.

»Jetzt … jetzt kommt es nicht mehr darauf an«, sagte ich.

Aiden fuhr zu mir herum. »Was?«

Ich hielt seinem Blick stand. »Dass Seth mich angelogen hat. Es kommt nicht darauf an. Weil ich will, was er will. Wenn ich …«

»Halt den Mund!«, knurrte Aiden.

Ich blinzelte verblüfft. Wann hatte mir Aiden jemals den Mund verboten? Wow. Das gefiel mir nicht, und zwar aus den verschiedensten Gründen.

Aidens Augen leuchteten in einem heftigen Silberton. »Du willst nicht, was Seth will, weil in dieser ganzen Sache nichts von dir steckt. Es gibt nur ihn.«

Der Schock durchlief mich und verhinderte jede Antwort, die mir vielleicht eingefallen wäre. Es gab kein Ich, sondern nur ein Wir. Die verdammte leise Stimme tief in meinem Innern schrie wütend auf und wandte sich dann jäh ab.

Es gab kein Ich.

3. Kapitel

Als mein Seth beschloss, sich von der anderen Seite des Regenbogens zu melden, war ich mies drauf, und er war … na ja, irgendwie aufgekratzt. Und einige seiner Behauptungen über die Verbindung, waren einfach nicht richtig.

Verwirrend? Ja, schon.

In meiner gegenwärtigen Stimmung akzeptabel? Nein.

Ich will hier raus, erklärte ich ihm und schüttelte ihn innerlich ab. Ich kann nicht mehr. Aiden… er…

Seths Missfallen fühlte sich an wie Rasierklingen in meinem Kopf. Was macht Aiden?

Was sollte ich meinem Seth sagen? Dass Aiden mich zum Nachdenken brachte? Aiden redet furchtbar viel.

Sein Lachen kitzelte mich im Nacken. Das tut er wohl. Es dauert nicht mehr lange, Engel. Lucian hat uns einen großen Gefallen erwiesen.

Ach, was denn? Hat er uns zu Mitarbeitern des Monats ernannt?

Ein weiteres Auflachen kribbelte mir angenehm durch den Körper. Sagen wir einfach, er hat mir ein Druckmittel geliefert, das niemals seine Wirkung verliert.

Innerlich verdrehte ich die Augen. Ich kapier’s nicht.

Eine Pause trat ein, und dank der Verbindung fühlte ich, was Seth wollte. Er war zwar ausgelassener Laune, aber dieses Gespräch war zu wichtig, um es nicht ernst zu nehmen. Endlich antwortete er. Die Reinblüter, die sich gegen uns gestellt haben, haben sich noch als nützlich erwiesen.

Wie kommt’s?

Erinnerst du dich noch, wie Telly nicht glauben wollte, dass die Daimonen in der Lage sein sollten, sich zu vertragen und gemeinsam einen zusammenhängenden Angriff gegen die Covenants zu organisieren?

Ja… und Marcus fand ebenfalls, dass wahrscheinlich nicht nur sie gegen uns gearbeitet haben.

Ich hatte es auch nicht geglaubt. Während der außerordentlichen Ratssitzung, die Lucian einberufen hatte, bevor mein Seth die Ratsmitglieder zerschmettert hatte, hatte ich Lucian verdächtigt, hinter den Daimonenangriffen zu stecken. Ich hatte allerdings keinen Beweis gehabt. Außerdem hatte mich wahrscheinlich mein Hass auf Lucian auf diesen Gedanken gebracht.

Offensichtlich hatte Telly zumindest teilweise recht. Ohne die richtige Motivation– zum Beispiel einen nie versiegenden Nachschub an Äther– geben sie sich meist mit jedem Reinblut zufrieden, das sie in die Finger bekommen.

Wieder brach er ab und sowohl seine Gefühle als auch sein Wille strömten fast unerträglich stark durch die Verbindung. Für kurze Zeit hatte ich wirklich den Eindruck, ihn zu berühren, und das Gefühl überrollte mich, zerstreute meine Gedanken und erfüllte mich mit der Seligkeit der Verbindung.

Alex. Seine Stimme klang tadelnd, selbstzufrieden. Passt du auf?

Ja. Daimonen… Äther… alles Mögliche…

Gut. Ich stelle dir eine Frage, Engel. Glaubst du wirklich, Daimonen mit ihren kleinen Spatzenhirnen hätten diese Angriffe ganz allein organisiert?

Ein Teil des wunderbaren Nebels, den mein Seth über mich warf, verzog sich, als streiche mir ein eisiger Wind über den Nacken. Wie? Was meinst du?

Sogar einigermaßen vernunftbegabte Daimonen hätten die Taten, die sie in den Catskils begingen, nicht durchziehen können. Sie müssen Hilfe gehabt haben, glaubst du nicht auch?

Ich konnte nicht denken, aber mein Puls schlug schneller. Dann hatte ich also recht gehabt? Ich spürte einen sauren Geschmack auf der Zunge.

Reg dich nicht auf, Engel! Lucian musste Unfrieden stiften, damit das alles geschehen konnte.

Ich dachte zurück an den Angriff in den Catskills und versuchte mich zu erinnern, wo Lucian in diesem Chaos gewesen war. Ich hatte angenommen, er sei mit den anderen Reinblütern im Ballsaal, aber gesehen hatte ich ihn nicht. Ich wusste nur noch, dass mein Seth Kontakt zu ihm aufgenommen hatte …

Die vielen toten halbblütigen Diener, die Gardisten und Wächter … alle diese Unschuldigen …

Ich schreckte auf und verlor beinahe die Verbindung zu meinem Seth.

Engel, was glaubst du, wie die Daimonen überhaupt in die Catskills gelangen konnten? Du hast doch die Sicherheitsvorkehrungen gesehen. Und der Ballsaal? Es gab nur zwei Eingänge, und beide wurden bewacht. Aber an einer dieser Türen stand Lucians Garde.

Der Verdacht, dass Lucian hinter den Angriffen gesteckt hatte, war eine Sache – ich traute dem Mann alles zu –, aber mein Seth? Das konnte für ihn doch nicht in Ordnung sein. Wenn ich glaubte, dass er Anteil am Tod so vieler Unschuldiger hatte, hätte ich eine grauenhafte Tatsache akzeptieren müssen. Ich wollte, was mein Seth wollte, aber die Daimonen … sie waren der Feind und würden es immer bleiben.

Feinde können im Krieg auch Verbündete sein, Engel.

Oh, meine Götter! Ein riesiger, panischer Teil von mir, der so groß wie ein Krater war, konnte nicht begreifen, was mein Seth da sagte. Ich kämpfte gegen den Sog seiner Emotionen an, kam an die Oberfläche wie eine Ertrinkende und rang nach Luft.

So viele Unschuldige sind gestorben, wandte ich ein. Eins nach dem anderen stiegen abstoßende Bilder des Gemetzels in mir auf – die Dienstboten auf dem Gang, die Kehlen aufgerissen. Wächter und Gardisten, ausgeweidet und durchs Fenster geworfen.

Sie sind nicht von Bedeutung, Engel. Nur wir sind wichtig– und das, was wir wollen.

Nein, sie warennicht unbedeutend. Wir hätten beide umkommen können, Seth. Mein Vater hätte getötet werden können.

Er ist aber nicht getötet worden, und ich hätte nie zugelassen, dass dir etwas passiert wäre. Und es ist dir nichts geschehen.

Aber wir waren während des Angriffs getrennt worden. Und wenn ich mich recht erinnerte, war ich fast zu Tode getrampelt worden. Ganz zu schweigen davon, dass ich allein gegen die Furien hatte kämpfen müssen. Ich war mir nicht ganz sicher, wie er in dem ganzen Chaos meinen Tod verhindert hatte.

Das muss geschehen, Engel. Die Daimonen werden mir helfen, dich zu finden. Willst du das nicht? Dass wir zusammen sind?

Ja, aber…

Dann vertrau mir! Wir wollen dasselbe, Engel.

Aidens Worte fielen mir wieder ein, und ich wand mich unbehaglich in meiner eigenen Haut. Seth? Du… du bringst mich doch nicht etwa dazu, mir etwas zu wünschen, oder? Du beeinflusst mich doch nicht?

Er antwortete nicht sofort, und mein Herz überschlug sich. Wenn ich wollte, könnte ich das, Engel. Das weißt du. Aber ich tue es nicht. Wir wollen einfach dasselbe.

Ich biss mir auf die Lippen. Sicher, wir wollten dasselbe, bis auf die Sache mit den Daimonen … Ich verweigerte mich diesen Gedanken. Plötzlich lag ich auf dem Rücken, als würden zwei starke Arme meine Schultern herunterdrücken. Und dann ertrank ich wieder in Seths Gefühlen.

Aiden kam mit Essen zurück und brachte dieses Mal Gesellschaft mit – meinen Onkel Marcus. Inzwischen benahm der Mann sich mir gegenüber einigermaßen anständig. Ironisch. Wie eine brave Gefangene aß ich und trank mein Wasser.

Und ich stieß nicht einmal Beleidigungen aus.

Ich fand, dass ich dafür eine Belohnung verdient hatte, zum Beispiel Freigang aus der Zelle, aber das wäre wohl zu viel verlangt gewesen. Stattdessen ging Marcus wieder, um nachzusehen, was die anderen so trieben. Sobald sich oben die Tür schloss, setzte sich Aiden und lehnte den Rücken an das Gitter.

Tapfer, tapfer … oder echt blöd. Ich hätte eine Münze werfen sollen. Mit Leichtigkeit hätte ich das Bettlaken zu einer Schlinge drehen und ihm um den Hals legen können, bevor er reagiert hätte.

Aber ich setzte mich, wodurch wir uns fast berührten. Das blaue Glühen der Ketten schien schwächer geworden zu sein. Das Schweigen zog sich in die Länge und wirkte merkwürdig beruhigend. Ich wusste kaum, wie mir geschah, da lehnte ich mich an das Gitter … und an Aidens Rücken.

Mein Gespräch mit Seth hatte einen unangenehmen Geschmack im Mund und einen dicken Knoten im Magen zurückgelassen. Vielleicht hatte ich ja deswegen meinen mörderischen Absichten mit dem Bettlaken um Aidens Hals nicht nachgegeben? Wenn das nur keine verpasste Gelegenheit war …

Ich ließ den Kopf hängen und seufzte. Ich wollte, was mein Seth wollte, aber … Daimonen? Ich rieb mir die Hände und seufzte noch einmal – lauter. Wie ein quengeliges Kind.

Aidens Rücken bewegte sich, als er den Kopf nach hinten wandte. »Was ist, Alex?«

»Nichts«, murmelte ich.

»Du hast doch etwas.« Er lehnte sich zurück und legte den Kopf an das Gitter. »Du hast diesen Ton drauf.«

Finster starrte ich die Wand an. »Welchen Ton?«

»Diesen Ton, der besagt, dass du etwas zu erzählen hast, aber genau weißt, dass du es nicht sagen dürftest.« Ein Hauch von Humor schlich sich in seine Stimme. »Den kenne ich sehr gut.«

Ach … verdammt. Mein Blick fiel auf meine Hände. Die Finger waren wahrscheinlich ganz okay. Aber meine Nägel waren abgearbeitet und kurz. Die Hände einer Wächterin – einer Wächterin, die Daimonen tötete. Ich schob den Pulloverärmel hoch. Mein rechter Arm war mit weißlich blassen Bissmalen übersät. Die halbmondförmigen Male waren ätzend zu verstecken und ich trug sie an beiden Armen und auch am Hals. Sie waren so hässlich und eine abscheuliche Erinnerung an die Gefangenschaft bei den Daimonen.

Sosehr ich es auch versuchte, ich konnte die Gesichter dieser abgeschlachteten Halbblüter in den Catskills nicht aus den Gedanken verbannen … oder Calebs Gesichtsausdruck vergessen, als er die Klinge erblickt hatte, die in seiner Brust steckte – eine Klinge, die eine Daimonin geführt hatte.

Caleb wäre so … enttäuscht. Dieses Wort brachte nicht annähernd zum Ausdruck, was er gewesen wäre, wenn ich schwieg.

Aber mein Seth wäre wütend. Er würde in meinen Erinnerungen herumstöbern, und ich wollte, dass er zufrieden mit mir war. Ich wollte …

Ich sollte nicht mit Daimonen zusammenarbeiten. Das wäre ein Schlag ins Gesicht für alle gewesen, die durch sie gestorben waren – für meine Mom, für Caleb, für diese unschuldigen Dienstboten –, und eine Missachtung meiner Narben.

Mein Seth … er musste es einfach verstehen. Er würde es begreifen, weil er mich liebte.

Ich hatte meine Entscheidung getroffen. »Nur damit du es weißt: Was ich dir jetzt sage, hat überhaupt nichts mit dir zu tun. Okay?«

Er lachte düster. »So was Verrücktes denke ich nicht mal im Traum.«

Ich zog eine Grimasse. »Ich sage dir das nur, weil ich es nicht für richtig halte. Es verstößt gegen alles … was in meiner Natur ist. Ich muss einfach etwas sagen.«

»Was ist denn nun, Alex?«

Ich schloss die Augen und holte tief Luft. »Weißt du noch, wie Marcus meinte, hinter den Daimonenangriffen müsse mehr stecken, vor allem hinter dem Angriff in den Catskills?«

»Ja.«

»Ich dachte irgendwie, es sei Lucian, besonders nach seinem Auftritt bei der Ratssitzung. Es war logisch. Wenn Chaos und Unruhe ausbrechen, lässt sich leichter ein Umsturz anzetteln und die Macht übernehmen.« Ich fuhr mit einem Finger über ein Bissmal an meinem Ellbogen. »Jedenfalls sind die Daimonangriffe anscheinend von Lucian und … Seth geplant und organisiert worden.«

Ich spürte, wie Aiden hinter meinem Rücken erstarrte. Keine Antwort. Er schwieg so lange, dass ich mich umwandte. »Aiden?«

»Wie viele?« Seine Stimme klang schroff.

»Alle, glaube ich«, erklärte ich. Das schlechte Gewissen fraß mich schier auf. Ich war dabei, meinen Seth zu verraten, aber ich konnte nicht schweigen. »Sie haben eine Möglichkeit gefunden, die Daimonen zu beherrschen.«

Er ließ den Kopf sinken und rollte die breiten Schultern. »Und wie?«

Ich rappelte mich auf die Knie, umfasste die Gitterstäbe und achtete nicht auf das schwach pulsierende blaue Licht. »Sie … sie setzen Reinblüter als Lockmittel ein. Diejenigen, die gegen sie sind – ich meine gegen uns.«

Aiden warf sich so schnell herum, dass ich die Gitterstäbe losließ und zurückfuhr. Seine Augen glühten silbrig. »Weißt du, wo sie die Reinblüter festhalten?«

Ich schüttelte den Kopf.

Er schlug die Augen nieder. »Weißt du, warum sie so etwas tun?«

Der Abscheu in seiner Stimme war verständlich. Ich rieb mit den Handflächen über meine Schenkel. Ja, warum taten sie das? Offensichtlich um Zwietracht zu säen. Durch die Daimonen, die von allen Seiten angriffen, hatte sich der Rat ablenken lassen. Die Götter hatten Zweifel daran entwickelt, ob die Reinblüter in der Lage wären, die Daimonenhorden in Schach zu halten, und hatten daraufhin die Furien geschickt. Und nun würden die Zustände als Ablenkung für meine Flucht dienen. Wie genau sie das anstellen wollten, wusste ich nicht. Aber falls das schwächer werdende blaue Licht etwas zu bedeuten hatte, wäre das auch nicht nötig.

»Nein. Weiß ich nicht.«

Unsere Blicke versenkten sich ineinander. »Warum hast du mir das erzählt? Seth wird das sicher nicht gefallen.«

Ich sah weg. »Hab ich dir doch gesagt. Es ist nicht richtig. Diese Reinblüter …«

»Haben nichts getan?«

»Ja, und Caleb … wurde von einem Daimon getötet. Ein anderer hat meine Mom umgedreht.« Zittrig atmend stand ich auf. »Ich will, was Seth will, aber dahinter kann ich nicht stehen. Er hat bestimmt Verständnis dafür.«

Aiden legte den Kopf in den Nacken. »Ach ja? Du weißt, dass ich diese Information weitergeben werde. Das wird seine Pläne behindern.«

Ich schlang die Arme um meine Hüften. »Er wird es verstehen.«

Ein Ausdruck von Trauer schlich sich in seine Miene und er schlug die Augen nieder. »Danke.«

Aus irgendeinem Grund stieg Wut in mir auf und ich wollte ihn verletzen. »Ich brauche deinen Dank nicht. Darauf kann ich gut verzichten.«

»Ich danke dir trotzdem.« Mit einer einzigen fließenden Bewegung erhob er sich. »Und zwar für mehr, als du ahnst.«

Verwirrt erwiderte ich seinen Blick. »Ich verstehe nicht.«

Aidens Lächeln wirkte verkrampft und strahlte diese Trauer aus, mit der er mich immer ansah, als wäre ich schuld daran. Doch hinter seiner Trauer steckte stahlharte Entschlossenheit.

»Was denn?«, fragte ich, als er nicht antwortete.

»Du hast mir die Hoffnung geschenkt, die ich brauche.«

Mein Seth war nicht böse, weil ich geplaudert hatte. Ich hatte nicht einmal versucht, es vor ihm zu verbergen. Sobald wir uns verbunden hatten, erklärte ich ihm, was ich getan hatte. Wenn überhaupt, schien er damit gerechnet zu haben. Das begriff ich zwar nicht, aber so oder so wollte er nicht darüber reden.

Wenn er mir von seiner Kindheit erzählte, war er ein anderer Seth – das war eine Seite an ihm, die ich bisher selten erlebt hatte. Als er von seiner Mom sprach, nahm ich über die Verbindung seine Verletzlichkeit wahr. Es schien ihm schwerzufallen, über sie zu reden.

Wie hieß sie?, fragte ich.

Callista.

Schöner Name.

Sie war sehr schön. Groß, blond und majestätisch wie eine Göttin… Seine Worte verklangen. Da er von ihr in der Vergangenheit sprach, war sie vermutlich schon gestorben. Aber sie war nicht freundlich, Engel. Sie war kalt und unnahbar, und vor allem stand immer Hass in ihren Augen, wenn sie mich ansah.

Ich zuckte zusammen, als mein Verdacht sich bestätigte, und ich wollte, dass er sich besser fühlte. Ich bin mir sicher, dass sie dich nicht gehasst hat. Sie…

Sie hat mich gehasst. Bei seiner scharfen Erwiderung fühlte ich mich wie mit Eiswasser übergossen. Ich erinnerte sie ständig an ihre Schande. Sie hatte von der verbotenen Frucht gekostet und es danach bereut. Halb- und Reinblütern war es verboten, sich zu vermischen. Erst kürzlich hatte ich herausgefunden, warum das so war. Das Kind eines männlichen Halbbluts und einer Reinblüterin wurde ein Apollyon.

Als er weitersprach, klang seine Stimme weich wie eine Daunendecke. Sie war ganz anders als deine Mutter, Engel. Es gab keine große Liebesgeschichte. Sie pflegte mir zu erzählen, sie habe mich nur behalten, weil ein Gott sie nach meiner Geburt aufgesucht hatte. Der schönste Mann, dem sie je begegnet war, das behauptete sie jedenfalls. Der Gott erklärte ihr, sie müsse mich um jeden Preis beschützen. Eines Tages würde ich zu großer Macht aufsteigen.

Während er redete, erinnerte ich mich an die kleinen Ausblicke auf Seths Vergangenheit, die ich bei meinem Erwachen erhascht hatte. Seth als kleines Kind, das nur aus goldener Haut und blonden Locken zu bestehen schien, wie er an einem Bach spielte oder sich in einem weitläufigen Raum voll sperriger Möbel über ein Spielzeug beugte. Er war immer allein gewesen. Wenn er nachts weinend aus einem schlimmen Traum aufgewacht war, hatte ihn niemand getröstet. Ganze Tage lang sah er nur seine Kinderfrau, die ebenso gleichgültig war wie seine Mutter. Seinen Vater hatte er nie kennengelernt. Bis heute wusste er nicht einmal seinen Namen.

Er tat mir furchtbar leid.

Dann, mit acht Jahren, hatte man ihn vor den Rat gebracht, um zu entscheiden, ob er in den Covenant eintreten durfte. Aber das war ganz anders abgelaufen als bei mir. Man hatte ihm nicht zugesetzt, und er hatte keinen Minister getreten. Die Ratsmitglieder hatten einen Blick auf ihn geworfen und schienen gleich zu wissen, was einmal aus ihm werden würde.

Es hatte an seinen Augen gelegen.

In diesen gelbbraunen, bernsteinfarbenen Augen hatte eine Weisheit gestanden, die kein Kind besaß – die Augen eines Apollyons.

Sein Leben wurde einfacher, als er auf den Covenant in England und später auf den in Nashville geschickt wurde. Eigenartig, dass wir so viele Jahre lang nahe beieinander gelebt hatten und uns nie über den Weg gelaufen waren.

Und noch etwas war merkwürdig. Als ich erwacht war, hatte ich alles gesehen, was die früheren Apollyons in ihrem Leben erfahren hatten. Es war, als wäre ich an einen Computer angeschlossen und hätte ein Programm heruntergeladen. Aber keiner von ihnen war mit den Augen des Apollyons geboren worden. Bei allen waren die Augen erst bei ihrem Erwachen golden geworden.

Bei meinem Seth war es anders gewesen.

Aber jetzt gerade zerfraß ihn der Schmerz in der Brust. Wo bist du geboren?, fragte ich und hoffte, ihn von seiner Mutter abzulenken. Das hast du mir nie erzählt.

Er lachte, und mir trat ein Lächeln auf die Lippen. Ein glücklicher Seth war ein besserer Seth. Du weißt es vielleicht nicht, aber das Schicksal treibt gern seine Späße.

Junge, Junge, und ob ich das wusste.

Ich bin auf der Insel Andros geboren.

Ein Schauer lief mir über den Rücken. Wie… ironisch. Es bedurfte keiner großen Vorstellungskraft, um zu vermuten, dass meine Vorfahren ebenfalls von dieser Insel stammten, da viele den Namen ihres Geburtsorts annahmen. Manchmal wurden auch Inseln nach ihren Gründerfamilien benannt.

So oder so war das ironisch. Und dann kam mir ein Gedanke, bei dem mir ganz schlecht wurde. Andros war nicht besonders groß. Glaubst du, wir sind verwandt?

Was? Seth brach in Gelächter aus. Nein.

Warum bist du dir da so sicher? Weil ich nämlich kotze, wenn du jetzt einen auf Luke und Leia machst.

Meine Familie hat keinerlei Verbindung zu deiner. Außerdem stammst du von Apollo ab.

Und wer ist dein Vorfahr? Keine Antwort, nur ein beredtes, arrogantes Schweigen. Warum verheimlichst du mir das?

Seth seufzte. Ich erzähle es dir, wenn wir zusammen sind. Dann zeige ich dir alles, Engel. Und du sollst Antworten auf jede deiner Fragen erhalten.

4. Kapitel

Am nächsten Tag streifte ich nach dem Mittagessen allein durch meine Zelle. Oben ging etwas vor – Türen wurden geöffnet und wieder zugeknallt, laute Schritte und fröhliche Ausrufe waren zu hören.

Neugierig trat ich ans Gitter und spitzte die Ohren. Die Stimmen waren so gedämpft, dass ich mir keinen Reim darauf machen konnte, wer es war, aber es war jemand gekommen. Und zwar keiner der Götter. Das hätte ich gefühlt. Ihre Essenz war stark und ich spürte ihre Anwesenheit in meinem Innern.

Ich berührte die Gitterstäbe, um mir einen Eindruck von der Reaktion zu verschaffen. Der blaue Schimmer wurde tatsächlich schwächer. Ha, nimm das, Seth! Bedeutete dies, dass das Zeichen an der Decke ebenfalls verblassen würde, wenn es niemand auflud? Gute Götter, ich hoffte es. Ich tastete nach der Schnur, denn ich wollte Seth von der neuen Entwicklung erzählen. Ich erreichte ihn, aber er wollte nicht sprechen. Er war mit Lucian zusammen, so viel bekam ich immerhin mit. Worüber sie redeten, allerdings nicht.

Sofort stieg die Abneigung gegen Lucian wieder in mir auf. Wie die Dinge standen, würde ich sie überwinden müssen, aber das fiel mir schwer. Nie würde ich ein Fan meines Stiefvaters werden.

Ich löste mich aus der Verbindung und fragte mich, was Aiden so treiben mochte. Gewöhnlich brachte er den größten Teil seines Tages damit zu, auf diesem Klappstuhl zu sitzen und mich grüblerisch anzustarren.

Du hast mir die Hoffnung geschenkt, die ich brauche.

Welche Hoffnung denn? Hoffnung auf ein märchenhaftes Happy End für uns?

Ich fand mich in dem winzigen, weiß gefliesten Bad wieder, wo ich in den bescheuerten Spiegel über dem Waschbecken starrte. Das Teil war praktisch in die Wand einzementiert und bestand aus leichtem Plastik, damit ich daraus keine Waffe herstellen konnte.

Ich lehnte mich ans Waschbecken und drückte die Nase an den Spiegel. Durch das billige Material wirkte mein Spiegelbild wellig und verzerrt, aber ich betrachtete meine Augen.

Sie waren bernsteinfarben wie bei allen anderen Apollyons nach ihrem Erwachen. Es war ziemlich eigenartig, meine Augen so zu sehen, aber es fühlte sich auch richtig an. Als hätte ich etwas bekommen, das mir vom Schicksal bestimmt war. Verflixt, genau so war es ja auch.

Ich legte den Kopf zur Seite. Was mein Seth wohl sagen würde, wenn er mich endlich als kompletten Apollyon sah – so richtig von Angesicht zu Angesicht? Er würde sich freuen, so ganz anders als Aiden, der meine neuen Augen hasste …

Plötzlich schoss mir ein scharfer Schmerz durch die Brust. Ach, du heiliger … Mir wurde schwindelig, und ich hielt mich am Waschbecken fest. Es war kein körperlicher Schmerz, sondern eher so, als würde mir der Boden unter den Füßen weggezogen. Oder als bekäme ich eine richtig, richtig miese Nachricht.

Es fühlte sich an, als würde mein Herz unwiederbringlich zerschmettert, sodass es nie wieder heilen konnte.

Pfeifend sog ich die Luft ein. Das Gefühl ergab keinen Sinn. Mein Herz war nicht gebrochen. Es war ganz und gehörte meinem Seth. Und er erwiderte meine Liebe. Er hatte es mir nie gesagt, aber anders konnte es gar nicht sein. Wir waren füreinander bestimmt und zusammen wären wir vollkommen. Wir würden über den Olymp und die Welt der Sterblichen herrschen.

ENDE DER LESEPROBE