Obsidian 0: Oblivion 2. Lichtflimmern - Jennifer L. Armentrout - E-Book
SONDERANGEBOT

Obsidian 0: Oblivion 2. Lichtflimmern E-Book

Jennifer L. Armentrout

0,0
8,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 7,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Daemon hat alle guten Vorsätze in den Wind geschlagen: Statt dafür zu sorgen, dass seine neue Nachbarin Katy sich von den Lux fernhält, kennt sie nun ihr Geheimnis. Statt sich selbst von ihr fernzuhalten, hat er sie geheilt und ist seitdem durch ein geheimnisvolles Band mit ihr verbunden. Statt auf seinen Verstand zu hören, folgt Daemon seinem Herzen – und beschwört damit neue Gefahren herauf. Denn seit ihrer Heilung verfügt Katy über ähnliche Kräfte wie die Lux. Kräfte, die sie genauso wenig kontrollieren kann wie ihre Gefühle für Daemon … Die epische Liebesgeschichte von »Onyx. Schattenschimmer« – erzählt aus Daemons Sicht! Alle Bände der Oblivion-Serie: Oblivion 1: Lichtflüstern (Obsidian aus Daemons Sicht erzählt) Oblivion 2: Lichtflimmern (Onyx aus Daemons Sicht erzählt) Oblivion 3: Lichtflackern (Opal aus Daemons Sicht erzählt) Alle Bände der dazugehörigen Bestsellerserie: Obsidian. Schattendunkel Onyx. Schattenschimmer Opal. Schattenglanz Origin. Schattenfunke Opposition. Schattenblitz Shadows. Finsterlicht (Prequel) Alle bisher erschienenen Bände der Spin-off-Serie »Revenge«: Revenge. Sternensturm Rebellion. Schattensturm Redemption. Nachtsturm

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Jennifer L. Armentrout: Oblivion. Lichtflimmern

Aus dem Englischen von Anja Malich

Daemon hat alle guten Vorsätze in den Wind geschlagen: Statt dafür zu sorgen, dass seine neue Nachbarin Katy sich von den Lux fernhält, kennt sie nun ihr Geheimnis. Statt sich selbst von ihr fernzuhalten, hat er sie geheilt und ist seitdem durch ein geheimnisvolles Band mit ihr verbunden. Statt auf seinen Verstand zu hören, folgt Daemon seinem Herzen – und beschwört damit neue Gefahren herauf. Denn seit ihrer Heilung verfügt Katy über ähnliche Kräfte wie die Lux. Kräfte, die sie genauso wenig kontrollieren kann wie ihre Gefühle für Daemon …

Die epische Liebesgeschichte von »Onyx. Schattenschimmer« – erzählt aus Daemons Sicht!

Alle Bände der Oblivion-Serie:

Oblivion 1: Lichtflüstern

Oblivion 2: Lichtflimmern

Oblivion 3: Lichtflackern

Kapitel 1

Kat beachtete mich nicht.

Was mich nicht wirklich überraschte. In der Schule hatte sie es auch nicht getan. Als wenn sie nach dem Homecoming-Ball nicht fast gestorben wäre und ich sie gerettet hätte. Als könnte sie so tun, als wäre alles normal, wenn sie nur fest genug daran glaubte. Als könnte sie alles leugnen.

Mich leugnen.

Das würde so schnell nicht passieren und es lag nicht daran, dass Kat glühte wie eine überdimensionierte Straßenlaterne. Es lag daran, dass ich die Schnauze gestrichen voll davon hatte, mir alles erkämpfen zu müssen, was ich wollte. Dass mir dieses Verbotene-Frucht-Geschwafel gewaltig auf den Sack ging. Ich war nicht länger bereit zu akzeptieren, nicht haben zu können, was ich haben wollte, nur weil ich war, wer ich eben war – und wer Kat war. Verdammt, ich wusste, dass es nicht leicht werden würde. Was war schon leicht im Leben? Doch das änderte nichts an meinen Gefühlen.

Daran, dass ich sie wollte.

Und ich wusste, dass mich Kat in ihrem tiefsten Inneren trotz Wut und Abwehr genauso wollte. Ich musste es nur beweisen. Im Moment würde ich sie mir allerdings am liebsten über die Schulter werfen, nach Hause tragen und in irgendeinem verdammten Zimmer einsperren.

Kat lenkte ihren Toyota Camry in eine Parklücke vor dem Postamt und ich stellte mich mit meinem Wagen in entgegengesetzter Richtung neben sie. Dann ließ ich das Fenster hinunter und warf ihr einen strafenden Blick zu. »Welcher Teil von direkt nach Hause fahren war denn so schwer verständlich? Ich habe das Gefühl, dass wir dieses Gespräch nicht zum ersten Mal führen.«

Bockig erwiderte sie meinen Blick. »Vielleicht sind hier Bücher für mich angekommen.«

Ich seufzte. »Vielleicht sind hier Arum, die sich dich nur zu gern einverleiben würden.«

So leicht ließ sich Kat nicht überzeugen, zumal ich quasi den ganzen Staat durchkämmt hatte, ohne auch nur einen einzigen Arum zu finden. »Du bist ja da, es ist also kein Problem.«

»Ja, aber ich versuche proaktiv mit der Sache umzugehen, anstatt zu reagieren.« Als sie die Augen verdrehte, öffnete ich die Fahrertür. »Du bist echt anstrengend«, sagte ich zu ihr.

Sie hob den Mittelfinger und fuhr sich damit über die Wange.

Ich hob eine Augenbraue und verzog den Mund unwillkürlich zu einem Grinsen. »Wie freundlich, Kätzchen.«

Lächelnd drehte sie sich um und entfernte sich schwingenden Schrittes über den Parkplatz. In ihrer verwaschenen Jeans, die ihre Kurven noch betonte, war das ein netter Anblick, weshalb ich mich auch nicht beschwerte.

Bis sie mit Anlauf in eine ozeangroße Pfütze sprang.

Schlamm spritzte mir gegen die Beine. Mürrisch brummte ich: »Du bist wie eine Zweijährige.«

Nachdem sie die Bordsteinkante hinaufgehüpft war, warf sie mir noch einen Blick über die Schulter zu und verschwand dann in dem niedrigen Gebäude. Während sie zu ihrem Postfach ging, blieb ich am Eingang stehen und wartete auf sie.

»Juhu!«, kreischte Kat und ihr Gesicht leuchtete wie die Lichtspur, die sie umgab, als sie in das Fach hineingriff und mehrere gelbe Päckchen hervorzog. Sie drückte sie an sich wie ein Baby.

Süß. Nerdig, aber süß.

Nachdem sie das Fach mit dem Ellbogen zugestoßen und mit einem kleinen Schlüssel abgeschlossen hatte, sah sie zu mir. Einen Moment lang blieben unsere Blicke aneinander haften. Ihre Wangen erröteten leicht und sie schaute schnell woanders hin.

Wortlos schob sie sich an mir vorbei, und da sie mich wohl nicht enttäuschen wollte, trat sie draußen gleich noch mal in die Pfütze.

Ich sprang zur Seite, doch es war zu spät. Vom Knie abwärts war mein linkes Bein klitschnass. »Na super.«

Grinsend lief sie zu ihrem Wagen und öffnete die Tür hinter dem Fahrersitz. Schweigend folgte ich ihr und beobachtete, wie sie, ja, wie sie sich vorbeugte und die Päckchen hineinlegte. Plötzlich richtete sie sich auf und sah mich über die Schulter hinweg an. In ihrem einerseits unschuldigen, andererseits aber rebellischen Blick blitzte etwas auf, das mich ziemlich anmachte.

Allerdings machte mich so ziemlich alles an, was sie tat.

Ich stöhnte leise auf, während sie sich wieder ihren Päckchen widmete, die sie behandelte, als würden sie zerbrechliche Familienerbstücke enthalten. Kurz schloss ich die Augen und biss mir auf die Lippe, weil ich das Bild von Kat wieder vor mir sah, wie sie unter mir und mit nichts als dieser albernen Pyjamahose mit Zwergen drauf bekleidet auf ihrer Couch lag. Mein Magen rumorte. Ich war hungrig – nicht zuletzt nach ihr.

»Ich hätte jetzt wahnsinnig Appetit auf Pfannkuchen«, verkündete ich und öffnete die Augen. Natürlich landete mein Blick sofort auf einem besonders attraktiven Teil ihres Körpers.

Kat schloss die Tür und sah mich an. »Starrst du mir etwa auf den Hintern?«

Ich verzog den Mund zu einem Grinsen und hob ganz langsam den Blick, natürlich nicht ohne zwischendurch ein wenig an gewissen Stellen zu verweilen. Wieder errötete sie, und zwar bis zum Hals hinunter und in ihr hellblaues Sweatshirt hinein. Ihre grauen Augen leuchteten dabei.

Jetzt wusste ich es. Was ich fühlte, sah ich in ihren Augen. Es war nicht zu leugnen.

»So etwas würde ich nie tun«, sagte ich.

Sie schnaubte verächtlich.

»Pfannkuchen«, wiederholte ich.

»Was hast du immer mit diesen Pfannkuchen? Warum sagst du das die ganze Zeit?«

»Hast du eine Teigmischung für Pfannkuchen zu Hause?«, fragte ich, ohne auf ihre Frage einzugehen.

Stirnrunzelnd sah Kat mich an. »Ja, ich glaub schon.«

»Gut«, erwiderte ich grinsend. »Dann machst du mir jetzt Pfannkuchen.«

Fassungslos sah sie mich an. »Ich mach dir ganz sicher keine Pfannkuchen. Es gibt hier bestimmt irgendwo in der Nähe einen Laden, in dem du dir gefälligst selbst welche holen kannst, wenn –«

Ich war so schnell, dass sie mir nicht folgen konnte. Als ich direkt vor ihr stand, so nah, dass sich unsere Körper fast berührten, sah ich noch, wie sich ihre Pupillen leicht weiteten. »Ich weiß, dass man sie fertig kaufen kann, Kätzchen. Aber das interessiert mich nicht.« Ich hob die Hand und stupste mit dem Finger ihre Nasenspitze an. »Ich will, dass du mir Pfannkuchen machst.«

Sie wich zurück und warf mir einen finsteren Blick zu. »Werde ich aber nicht.«

»Wirst du wohl.« Ich wandte mich ab und ging zu meinem Wagen. Sobald ich hinter dem Lenkrad saß, grinste ich ihr zu. Sie stand noch immer an derselben Stelle. »Und ob du mir Pfannkuchen machen wirst.«

Kat saß mir mit zusammengepressten Lippen gegenüber und beobachtete mich dabei, wie ich die Gabel zum Mund hob. Mein Magen rebellierte dagegen. Irgendwie waren diese Pfannkuchen nicht so, wie sie sein sollten. Erstens waren es wahre Monsterteile und zweitens waren sie innen noch flüssig, wie ich festgestellt hatte, als ich in die Mitte des schiefen Stapels schnitt, und das konnte nicht gut sein. Als ich das Stück dann mit der Gabel aufgespießt habe, puffte außerdem gelber Staub in die Luft.

Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen, mir von Kat Pfannkuchen machen zu lassen.

Ich sah mich in der Küche um. Auf dem Herd klebte Teig, genau wie auf der Arbeitsplatte und der Vorderseite von Kats Sweatshirt. Mein Blick fiel wieder auf die Pfannkuchen. Wenn ich ein Mensch wäre, hätte ich Angst, das zu tun, was ich im Begriff zu tun war.

Ich schob mir das Stück in den Mund und hätte es fast wieder ausgespuckt. Mir schnürte sich die Kehle zu, während ich mich zum Kauen zwang. Selbst mit Ahornsirup war die mehlige, geschmacklose, stellenweise trockene und an anderen Stellen flüssige Masse nicht genießbar. Mit Mühe schluckte ich das Zeug runter und kämpfte darum, dass es dort blieb, während ich Kat gequält anlächelte. Einen Moment lang geschah gar nichts.

Bis sie laut zu kichern anfing. »Ich kann nicht glauben, dass du wirklich was davon gegessen hast.«

Mein Mund fühlte sich belegt an. So schnell würde ich den Geschmack nicht wieder loswerden. »Warum?«

»Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie nicht schmecken.« Sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und ließ die Hände in den Schoß fallen. »Irgendwie sehen sie nicht so aus wie die Pfannkuchen von meiner Mom.«

Ziemlich wahrscheinlich.

Sie hatten eine eigentümliche weißlich-gelbe Farbe, ganz anders als normal. Ich ließ das große Glas Milch über den Tisch zu mir gleiten und trank fast die Hälfte in einem Zug leer.

Kat kicherte wieder.

»Okay, sie sind widerlich«, gab ich zu und stellte das Glas ab. »Wie können einem denn Pfannkuchen missglücken?«

»Keine Ahnung. Ich hab noch nie welche gemacht.« Sie zuckte mit den Schultern. »Irgendwie stand ich mit dem ›Wasser hinzufügen‹ auf Kriegsfuß.«

Ratlos sah ich sie an. »Wasser reinzukippen war doch alles, was du überhaupt tun musstest. So schwer ist das eigentlich nicht.«

Ihre Lippen zuckten und sie senkte den Kopf. »Hättest dir eben doch irgendwo welche holen sollen.«

Ich schob den Teller von mir weg und sah sie misstrauisch an. »Ich kann nur hoffen, dass du sie absichtlich versaut hast.«

»Wieso?«

»Weil ich nicht sicher bin, ob wir befreundet sein können, wenn du keine Pfannkuchen machen kannst.«

»Ah.« Sie legte sich die Hand aufs Herz. »Ich bin untröstlich.«

»Solltest du auch«, sagte ich zu ihr und senkte die Lider. »Ich bin nämlich ein guter Freund.«

Kat gab nur ein Schnaufen von sich, aber unausgesprochene Worte hingen in der Luft. Zwischen ihr und mir war von Anfang an etwas schiefgelaufen, und dass wir den ganzen Sommer und den größten Teil des Herbsts Krieg geführt hatten, war hauptsächlich meine Schuld gewesen. Das musste ich unumwunden zugeben, und wenn ich die Zeit zurückdrehen und Kat im Nachhinein anders behandeln könnte, würde ich es tun. Das war mir während des Kampfes gegen Baruck bewusst geworden, bei dem nicht nur ich selbst fast draufgegangen wäre, sondern sie und meine Schwester gleich mit. Das Problem war, dass nicht einmal ich die Zeit zurückdrehen konnte. Auch bei mir ging es nur vorwärts.

Es war Zeit, das Thema zu wechseln. »Hat dich jemand auf die Lichtspur angesprochen – Dee oder Matthew vielleicht?«, fragte ich, obwohl ich wusste, dass die Thompsons nicht mit ihr reden würden. Adam schon, aber der war ohnehin nicht das Problem.

»Dee hat ganz am Anfang was dazu gesagt, aber ich konnte es leicht erklären. Alle wussten, dass ich da war, als …« Sie fuhr sich mit der Zunge über die Unterlippe und ich konnte nicht anders, als dorthin zu gucken, »als du gegen Baruck gekämpft hast. Deshalb denken sie sich nicht wirklich etwas dabei.«

»Gut«, murmelte ich.

Sie gähnte laut und stand auf, um die Teller abzuräumen. Langsam ging sie damit zum Müll. Ich blickte auf die Wanduhr. Es war nicht mal sechs Uhr abends. »Hat deine Mom heute Nacht Dienst?«

»Sicher«, antwortete sie und versenkte die Pfannkuchen im Müll. Steif bewegte sie sich weiter in Richtung Geschirrspüler. »Sie arbeitet eigentlich immer.«

Ich neigte den Kopf zur Seite und beobachtete sie eine Weile. »Das gefällt dir nicht, oder?«

Sie sah mich über die Schulter hinweg an, bevor sie den Geschirrspüler öffnete. »Mom muss viel arbeiten.« Sie stellte die Teller hinein und die Rührschüssel ins Spülbecken. »Schließlich müssen ja die Rechnungen bezahlt werden.«

»Klar.«

Ohne mich anzusehen, machte sie sich an den Wasserhähnen zu schaffen. »Nicht alle haben das Glück, von der Regierung mit Geld zugeschüttet zu werden, weil sie Aliens sind.«

Ich hob eine Augenbraue.

Kat gähnte abermals. »Manchmal ist es hier ganz schön … einsam.«

»Kann ich mir vorstellen«, murmelte ich, und die Vorstellung, dass sie sich meistens allein in diesem Haus befand, wenn sie nicht gerade mit einer Freundin oder mir zusammen war, behagte mir ganz und gar nicht.

Eine Weile schwieg sie, bevor sie sagte: »Ich weiß, dass du glaubst, du müsstest hier den Babysitter spielen, aber ich hau schon nicht ab. Ich muss für einen Test lernen und Bio-Hausaufgaben machen. Du brauchst nicht hierzubleiben.«

Ich stand auf und ging zu ihr. »Du kannst –«

Kat schnappte nach Luft und fuhr herum. »Mann, Daemon! Musst du das andauernd machen?«, stöhnte sie und lehnte sich gegen den Tresen. »Du bist echt ein Alien-Ninja.«

Ich grinste schief. »So leise war ich nun auch wieder nicht.«

»O doch. Wie ein Geist«, widersprach sie und hob den Kopf, bis sich unsere Blicke trafen. »Ein superunheimlicher Geist.«

Ich grinste noch immer. »Warum denn unheimlich?«

»Ich weiß nicht«, murmelte sie, während sie den Blick senkte, kurz an meinem Mund innehielt und die Augen dann weiter nach unten bewegte. »Du bedrängst mich.«

Und ob ich sie bedrängte. Uns trennten nur wenige Zentimeter. Als mir einfiel, dass ich mal wieder atmen sollte, nahm ich ihren unvergleichlichen Pfirsichduft wahr. »Tut mir leid.«

»Es tut dir überhaupt nicht leid.«

»Stimmt.« Ich legte den Kopf schief und entdeckte einen winzigen Teigspritzer an ihrem Ohr. Wie um alles in der Welt war er dort hingeraten? Ich streckte die Hand aus und strich mit dem Daumen über ihre Wange. Ihre Brust hob sich sichtbar und instinktiv suchte ich wieder ihren Blick. »Du hast da noch Teig.«

Kat öffnete ein wenig den Mund und sah mich aus großen Augen an, während ich mit dem Daumen den winzigen Teigspritzer abwischte. Auch nachdem er längst fort war, zog ich die Hand nicht zurück, sondern streckte die Finger behutsam bis zu ihrem Hals aus. So wie wir dastanden, so nah beieinander, sie zu mir aufblickend und ich mit der Hand in ihrem Nacken, hätte man glauben können, wir würden uns im nächsten Moment küssen. Ich müsste mit dem Mund nur ein wenig tiefer. Wenn ich nur daran dachte, war ich zu nichts anderem mehr fähig.

O Mann, wie sehr ich ihre Lippen wieder auf meinen spüren wollte.

Allerdings bezweifelte ich, dass sie es zulassen würde. Wahrscheinlich würde sie mir eine schallende Ohrfeige geben – mit gesenkten Lidern, sodass ich ihre Augen nicht sehen würde. Dann würde es sie doch überkommen, aber sobald wir einen Moment verschnauften, würde ihr wieder bewusst werden, was sie da gerade tat, und sie wäre sofort stinksauer.

Eigentlich wollte Kat mich auch, aber sie war noch nicht so weit es zuzugeben. Noch lange nicht. Sie meinte, was ich für sie empfand, sei nicht vergleichbar mit dem, was ihre Eltern füreinander empfunden hatten. Außerdem wollte sie sich nicht festlegen. Was ich ihr nicht verdenken konnte. Ehrlich gesagt wusste ich ja auch nicht genau, was ich für sie empfand. War es Lust? Ja, verdammt, das auf jeden Fall. Ich konnte mich nur schwer zurückhalten, doch es war mehr als das. Sie war mir sehr sympathisch. Ich hatte Respekt vor ihr und in meiner Brust gingen seltsame Dinge vor sich, wenn ich in ihrer Nähe war oder auch nur an sie dachte. Sie bedeutete mir viel. Sehr viel.

Ich wusste nur nicht, was ich von alldem halten sollte.

Aber ich wollte es herausfinden. Ich musste. Bei einer Sache war ich mir jedoch sicher: Was ich auch immer für sie empfand, es hatte nichts damit zu tun, dass unsere Herzen im Gleichtakt schlugen – weshalb auch immer –, oder mit irgendetwas, das ich offensichtlich in ihr verändert hatte, als sie von mir geheilt worden war.

»Kätzchen?« Ich ließ die Finger über ihren Nacken gleiten.

»Nenn mich nicht so«, sagte sie und schüttelte sich.

Ich senkte das Kinn und wir waren uns so nah, dass sich, als ich den Kopf zur Seite neigte, unsere Nasen berührten. Sie wich nicht zurück und schob mich auch nicht von sich fort. »Ich nenn dich aber gern so.«

»Das ist mir egal«, erwiderte sie.

Ich grinste. »Kat?«

»Was ist?«, fragte sie flüsternd.

Es gab viel, was ich ihr sagen wollte, sehr viel, aber ich wusste auch, dass sie bei alldem schreiend weglaufen würde. Gegen das fast animalische Bedürfnis anzukämpfen, mich ihr noch weiter zu nähern, war schwerer, als einem hungrigen Arum gegenüberzustehen. Ich entfernte mich gerade so weit, dass ich ihr wunderschönes Gesicht sehen konnte, während ich die Hand langsam von ihrem Hals gleiten ließ. »Ich räume auf.«

Kat blinzelte. »Was?«

Mein Grinsen wurde ein wenig breiter. »Ich räume die Küche auf. Du kannst mit deinen Hausaufgaben anfangen oder was auch immer du zu tun hast.«

Die Enttäuschung in ihrem Gesicht war so schnell wieder verflogen, dass ich sie mir auch eingebildet haben konnte. »Okay, klingt gut«, sagte sie und hatte den Platz zwischen mir und dem Küchentresen bereits verlassen. »Viel Spaß!«

Über die Schulter sah ich, wie sie aus der Küche schlurfte. Mit dem leichten, beschwingten Schritt von vorhin hatte ihr Gang nichts mehr zu tun. Seufzend wandte ich mich dem Chaos in der Küche zu.

Was hatte mich bloß geritten anzubieten, hier aufzuräumen?

Ich war versucht einfach alles wegzubrennen, aber dann griff ich doch nach dem Spülmittel und spritzte etwas von der blauen Flüssigkeit in die Rührschüssel, die nicht in den Geschirrspüler gepasst hatte. Beim Abwaschen kam ich ins Grübeln. Allein aus Sicherheitsgründen mussten wir zusehen, dass sie die Spur loswurde. Sobald ich hier fertig war, würde ich sie von den Hausaufgaben wegholen und sie dazu bringen müssen, sich körperlich zu betätigen.

Unwillkürlich musste ich sofort an eine bestimmte Form der körperlichen Betätigung denken.

Während ich mit einer kurzen Handbewegung die Pfanne zum Spülbecken herüberholte, verdrängte ich den Gedanken. Kat und ich hatten seit meiner Rückkehr nicht darüber gesprochen, was in der Nacht des Homecoming-Balls geschehen war. Ich wusste, dass sie sich zusammenriss, denn sie war verdammt noch mal stark. Aber das bedeutete noch lange nicht, dass ich mir keine Sorgen machte, wie sie mit alldem wohl zurechtkam.

Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass mit ziemlicher Sicherheit etwas passiert war, als ich beim Kampf gegen Baruck versucht hatte sie zu heilen. Irgendwie hatte sie die Quelle aufgerufen, wozu Menschen eigentlich gar nicht in der Lage waren.

Jedenfalls kein Mensch, den ich kannte.

Es hatte sie verändert. Inwiefern, konnte ich noch nicht sagen. Ich konnte nur darauf hoffen, dass es zusammen mit der Spur wieder verschwinden würde.

Die Küche in Ordnung zu bringen dauerte ungefähr eine Viertelstunde. Als ich fertig war, schaltete ich beim Verlassen des Raums das Deckenlicht aus. Die leisen Stimmen aus dem Fernseher wiesen mir den Weg ins Wohnzimmer. Auch wenn Kat mich dafür hasste, sie würde unterbrechen müssen, was auch immer sie gerade tat, und …

Abrupt blieb ich stehen.

Sie hatte sich mit dem Biobuch in eine Ecke der Couch verkrochen. Ihre zarten Zehen lugten aus ihrer Jeans hervor und hatten sich über den Spalt zwischen zwei Kissen geschoben. Die Arme vor dem Bauch verschränkt hatte sie den Kopf seitlich angelehnt. Die Obsidian-Kette hing aus ihrem Sweater heraus und der Anhänger lag auf ihrem Arm.

Sie schlief tief und fest.

Da ich wusste, dass es zwecklos war, sie aufzuwecken, ging ich zur Couch, nahm ihr das Buch vom Schoß, klappte es zu und legte es auf den Tisch. Anschließend zog ich eine Decke hinter dem Sofa hervor und breitete sie über ihren Beinen aus.

Dann, ohne wirklich darüber nachzudenken, stützte ich mich mit einer Hand auf der Lehne der Couch ab, hielt kurz inne und beugte mich dann vor. Kurz, aber entschlossen drückte ich die Lippen auf ihre kühlen Wangen und richtete mich wieder auf. Nachdem ich die Decke noch einmal zurechtgezupft hatte, um sicherzugehen, dass sie gut zugedeckt war, entfernte ich mich.

Jetzt konnte ich sie allein lassen. Sie würde nirgends hingehen.

Doch während ich auf sie herabsah, ließ ich einen Moment lang zu, dass sich alles, was geschehen war und was ich getan hatte, wie eine schwere Last auf meine Schultern legte.

Ich schloss die Augen.

So viele Regeln hatte ich gebrochen. Ich hatte offengelegt, wer ich wirklich war. Hatte Kat die Wahrheit verraten und sie geheilt. Und das nicht nur einmal, sondern unzählige Male. Ich musste fast lachen, auch wenn es alles andere als lustig war. Ihr Leben war in Gefahr, würde auch in Zukunft in Gefahr sein, besonders wenn sie in unserer – meiner – Nähe blieb, und ich war so ein egoistischer Idiot, denn ich …

Ich hielt mich auch jetzt nicht von ihr fern.

Kapitel 2

Nachdem ich ungefähr zehn Sekunden gewartet hatte, beugte ich mich vor und bohrte Kat den Stift in den Rücken. Seufzend hob sie die Schultern und drehte sich auf ihrem Stuhl um. Aus ihren grauen Augen sah sie mich an. »Guten Morgen, Kätzchen.«

Sie musterte mich argwöhnisch. »Guten Morgen, Daemon.«

Als ich den Kopf neigte, fielen mir die Haare ins Gesicht und stachen mir fast in die Augen. Ich musste sie dringend schneiden lassen. »Vergiss nicht, dass wir heute Abend noch was vorhaben.«

»Ja, ich weiß. Ich kann es kaum erwarten«, erwiderte sie trocken.

Ihre Begeisterung war einfach umwerfend.

Ich beugte mich zu ihr und kippte dabei den Tisch nach vorn. Carissa und Lesa, die rechts von uns saßen, beobachteten uns. Ich grinste.

»Was ist?«, fragte Kat, als die Stille zwischen uns unerträglich wurde.

»Wir müssen deine Lichtspur abarbeiten«, antwortete ich so leise, dass nur sie es hören konnte. Nachdem wir gestern schon nichts getan hatten, konnten wir den heutigen Tag nicht ungenutzt vergehen lassen.

Kat nahm ihren Stift. »Das habe ich mir schon gedacht.«

Und weil es mir Spaß machte, sie zu reizen, bis sie voll genervt war, sagte ich: »Und ich habe die perfekte Idee, wie wir es anstellen können.«

Überraschenderweise lächelte sie.

»Gefällt dir die Idee?« Mein Blick wanderte zu ihren vollen Lippen.

»Nur über meine Leiche«, antwortete sie.

Fast hätte ich gelacht. »Widerstand ist zwecklos, Kätzchen.«

»Genau wie dein Charme.«

»Das werden wir ja sehen.«

Sie rollte mit den Augen und drehte sich wieder nach vorn. In dem Moment betrat unser Lehrer den Raum. Er hatte gestern schon alt ausgesehen, aber nicht so schlimm wie heute. Ich war noch nicht fertig mit Kat und bohrte ihr den Stift erneut in den Rücken.

Sie fuhr herum und funkelte mich böse an. »Was ist, Daemon?«

Ehe sie sich’s versah, strich ich ihr grinsend über die Wange, wie am Abend zuvor, als sie Pfannkuchenteig im Gesicht gehabt hatte. Dieses Mal hatte sie einen winzigen Fussel im Haar und ich war ja so wahnsinnig hilfsbereit.

»Nach der Schule …«, erinnerte ich sie.

Sie antwortete nicht, doch ich war mir sicher, dass sie mich verstanden hatte. Kat mochte mir gegenüber regelmäßig die Krallen ausfahren, aber dumm war sie nicht.

Während des Unterrichts sah sie aus, als wäre sie kurz davor einzuschlafen. Sie gähnte so oft, dass ich mich langsam fragte, ob sie sich dabei nicht den Kiefer verrenkte. Das war nicht normal, zumal sie am Abend so früh eingeschlafen war. Als ich gegen zehn Uhr gegangen war, hatte sie jedenfalls noch immer geschlafen.

Als die Stunde vorbei war, stand Kat schwerfällig auf und ging zur Tür. Ich folgte ihr, ohne darauf zu achten, worüber Carissa und Lesa tuschelten. Dann jedoch trennten sich unsere Wege.

Der Rest des Vormittags zog sich endlos und letztendlich schwänzte ich die letzte Stunde vor der Mittagspause, um mir draußen etwas Besseres zu essen zu besorgen als das, was sie einem in der Schule als genießbar verkaufen wollten. Auf dem Speiseplan dort stand Hackbraten, aber ich war mir sicher, dass sie darin alles Mögliche verarbeitet hatten, nur kein Fleisch. Während ich mir ein dick belegtes Baguette bestellte, warf ich auch einen Blick auf die Smoothies, die es in dem Laden gab. War Kat nicht ganz versessen auf Erdbeer? Grinsend bestellte ich einen und nahm dazu noch einen frisch gebackenen Cookie.

Niemand achtete auf mich, als ich wieder durchs Schultor schlenderte und mich auf den Weg zur Kantine machte. So war es schon immer gewesen. Wir Lux konnten kommen und gehen, wie wir wollten. Es half natürlich, dass Leute von uns hier arbeiteten, und zwar nicht nur Matthew.

Auf dem Weg den Gang hinunter spürte ich ein warmes Prickeln im Nacken, was ein gewisses Unbehagen in mir auslöste. Genau so hatte es sich angefühlt, als ich mit dem Stück Obsidian zurückgekehrt war, und gestern, als ich mich dem Matheraum genähert hatte, auch. Heute schon wieder. Es geschah, sobald ich in ihre Nähe kam. Wahrscheinlich hing es damit zusammen, dass ich sie so … so tief greifend geheilt hatte. Ob es dauerhaft sein oder mit der Lichtspur verschwinden würde, blieb abzuwarten.

Als ich durch die geöffnete Doppeltür der Kantine trat, war der Lärmpegel hoch wie immer, aber darüber hinaus lag etwas Geheimnisvolles in der Luft. Ich ließ den Blick über die Tische schweifen und entdeckte im hinteren Bereich die Thompsons. Sobald sich Ashs und mein Blick trafen, verengte sie die Augen, worauf ich mich nach rechts wandte und Kat bemerkte. Sie saß zwar mit dem Rücken zu mir, doch so aufrecht, dass sie mich eindeutig bemerkt haben musste. Kat gegenüber saß Dee, mit zwei Tellern vor sich, während der Tisch vor Kat leer war.

Schnurstracks ging ich an der Essensschlange vorbei und ließ mich auf den leeren Stuhl neben ihr fallen. Wortlos reichte ich ihr den Smoothie, obwohl mir bewusst war, dass uns alle am Tisch anstarrten.

Kats Augen weiteten sich ein wenig, aber wie vermutet lehnte sie den Smoothie nicht ab. Als sie ihn nahm, berührten sich unsere Finger kurz und ich spürte ein Kribbeln auf der Haut, als hätte sie mir einen leichten elektrischen Schlag versetzt. Dann zog sie die Hand zurück und trank einen Schluck.

Durch ihre dunklen Wimpern hindurch sah sie mich an und sagte: »Danke.«

Ich lächelte.

»Wo sind unsere?«, wollte Lesa wissen.

Lachend blickte ich über den Tisch zu ihr. »Ich stehe nur im Dienst einer bestimmten Person.«

Kat rückte mit ihrem Stuhl ein Stück von mir ab. »Du bedienst mich rein gar nicht.«

Ich schob meinen Stuhl wieder näher an ihren heran. »Noch nicht.«

Lesa beobachtete uns amüsiert.

»Daemon, bitte. Ich bin direkt vor deiner Nase.« Dee blickte mich finster an. »Du verdirbst mir noch den Appetit.«

»Als ob das möglich wäre«, kommentierte Lesa und verdrehte die Augen. Wo sie recht hatte, hatte sie recht.

Ich legte mein Baguette auf den Tisch und zog anschließend eine kleine Tüte hervor, aus der ich einen Haferkeks nahm und ihn Dee hinhielt. Ihr Gesicht hellte sich auf wie ein Diamant. Gierig griff sie danach.

»Wollten wir nicht noch etwas besprechen?«, fragte Carissa vorsichtig.

»Stimmt.« Dee grinste Lesa an. »Etwas sehr Wichtiges.«

Kat hob eine Hand und wischte sich damit über die Stirn. »Was gibt es denn zu besprechen?«

»Dee und ich haben uns in Englisch überlegt übernächste Woche eine Party zu schmeißen«, erklärte Carissa und ich schwöre, so viel hatte ich sie noch nie zuvor am Stück sagen hören. »Etwas –«

»Ganz Großes«, ergänzte Lesa.

»Kleines.« Carissa sah ihre Freundin strafend an. »Nur ein paar ausgewählte Leute.«

Dee war gleich Feuer und Flamme. »Unsere Eltern fahren Freitag weg, das würde also super passen.«

Kat sah mich an und ich zwinkerte ihr zu.

»Ich finde es total cool, dass eure Eltern euch zu Hause eine Party feiern lassen«, meinte Carissa.

Ich wurde hellhörig.

»Meine würden sofort austicken, wenn ich damit ankäme«, fuhr sie fort.

Dee zuckte mit einer Schulter und wich meinem Blick aus, als sie sagte: »Unsere Eltern sind da ziemlich locker.«

Ja, weil unsere Eltern schon lange tot waren. Ich nahm einen großen Bissen von meinem Baguette und beschloss abzuwarten, wie Dee weiter mit der Sache umgehen würde. Bislang sollte die Party also bei uns stattfinden. Interessant. Es kostete mich einige Mühe, Dee nicht vor allen anderen zu fragen, ob sie das wirklich für besonders schlau hielt.

Kat schwieg, während Dee und ihre Freunde weiter über die Party sprachen und sich auf den Freitag in zwei Wochen einigten. Eine kleine Feier würde es ganz sicher nicht werden.

»Ist das für dich denn in Ordnung?«, flüsterte mir Kat zu.

Wenn sie meine ehrliche Meinung hören wollte, dann würde ich sagen: auf keinen Fall. Aber was blieb mir übrig. Also zuckte ich mit den Schultern. »Ich kann sie sowieso nicht daran hindern.«

Ungläubig sah sie mich an, was ich gut verstehen konnte. Noch vor einigen Monaten hätte ich dieses Gespräch auf der Stelle beendet. Warum ich es jetzt nicht tat, wusste ich selbst nicht genau. Oder eigentlich doch.

Bis dahin würde Kats Lichtspur nicht mehr zu sehen sein und damit gäbe es keinen Grund mehr, noch weiter wie eine Klette an ihr zu kleben. Eine Party aber bedeutete, dass Kat zu uns nach Hause käme. Und das gefiel mir.

Ich zog den Cookie mit den dicken Schokostückchen hervor. »Keks?«

Sie blickte auf meine Hand und kurz sah ich ihre rosafarbene Zungenspitze über die Unterlippe huschen. »Gern.«

Da es mir Spaß machte, sie zu provozieren, hob ich den Cookie ein Stück höher. Doch da ich gleichzeitig nicht anders konnte, als auf alles, was sie tat, sofort zu reagieren, beugte ich mich vor und sagte: »Komm, hol ihn dir«, während ich mir den halben Cookie in den Mund schob.

Kurz sah sie mich mit zusammengezogenen Augenbrauen ratlos an, doch dann verstand sie. Sie öffnete leicht den Mund und wurde feuerrot. Erwartungsvoll – herausfordernd – sah ich sie an.

Dee begann zu würgen. »Ich glaub, ich muss kotzen.«

Kat machte keine Anstalten, sich den Cookie zu holen, aber sie schlug auch nicht zu, was ich als Sieg verbuchte … in gewisser Hinsicht. Ich nahm den Cookie aus dem Mund. »Zu spät, Kätzchen.«

Kat starrte mich weiter an.

Amüsiert brach ich den Cookie in zwei Hälften und hielt ihr den größeren Teil hin. Mit ihren schlanken Fingern griff sie danach. Als sie ihn mehr oder weniger ganz in den Mund stopfte, hatte sie die Brauen über ihren sturmgrauen Augen schon wieder zusammengezogen. Ich war kurz davor zu lachen, doch es blieb mir in der Kehle stecken, als ich den finsteren Blick meiner Schwester bemerkte.

Kühl sah ich sie an.

Und sie mich.

Während ich mir meine Hälfte des Cookies endgültig in den Mund schob, schaute ich wieder zu Kat. Sie spielte mit ihrer Halskette, an der der Anhänger aus Obsidian hing. Schlagartig verging mir der Spaß, weil ich daran erinnert wurde, wie gefährlich die Situation war, solange Kat noch die Lichtspur an sich trug.

Sie musste sie endlich loswerden.

Und zwar sofort.

Nach der Schule war Kat bei der Post vorbeigefahren. Schon wieder. Am liebsten hätte ich sie geschüttelt, als wir endlich zu Hause ankamen, aber dann würde sie den Haufen Pakete fallen lassen, den sie auch dieses Mal wieder im Arm hatte, und der Ärger wäre vorprogrammiert.

Ich stieg aus dem Wagen und begab mich schnurstracks zur Veranda ihres Hauses, sodass ich vor ihr da war und sie dort erwartete. Ich lehnte am Geländer und sah sie vorwurfsvoll an, als sie im Tempo einer dreibeinigen Schildkröte die Stufen hinaufstieg.

»Du bist nicht direkt nach der Schule nach Hause gekommen«, rügte ich sie.

Mit der freien Hand fischte sie ihren Schlüssel aus der Tasche. »Wie du siehst, musste ich noch zur Post.« Sie öffnete die Haustür und ließ den Stapel Päckchen auf den Tisch im Flur gleiten.

»Die Post hättest du auch später holen können.« Ich folgte ihr in die Küche. »Was ist das überhaupt? Nur Bücher?«

Sie ging zum Kühlschrank und nahm eine Flasche O-Saft heraus. »Ja, nur Bücher.«

Ich starrte auf ihren Rücken. »Wahrscheinlich sind gerade keine Arum in der Nähe, aber man kann nie vorsichtig genug sein und du trägst eine Lichtspur an dir, die sie direkt zu uns führen wird. Das ist im Moment wichtiger als deine Bücher.«

Nachdem sie mir einen finsteren Blick über die Schulter zugeworfen hatte, stellte sie die Flasche auf den Tresen und holte ein Glas aus dem Schrank. »Willst du was trinken?«

Ich seufzte. »Okay. Milch?«

Sie deutete auf den Kühlschrank. »Bedien dich.«

»Du hast es mir angeboten. Solltest du sie mir dann nicht holen?«

»Ich habe dir O-Saft angeboten«, antwortete sie und nahm ihr Glas mit zum Tisch, »aber du wolltest ja unbedingt Milch. Und bitte nicht so laut. Meine Mom schläft.«

Kopfschüttelnd drückte ich mich vom Türrahmen ab und holte mir ein Glas Milch. Ich ging damit ebenfalls zum Tisch und ließ mich neben ihr nieder. Im Auto hatte sie ihr Haar zusammengebunden, sodass die Röte, die ihr ins Gesicht schoss, besonders gut zu sehen war. Mit zusammengekniffenen Augen sah ich sie an. Was dachte sie gerade über mich?

Vorsichtig rollte sie das Glas zwischen ihren Handflächen hin und her. »Kann ich dich was fragen?«

»Kommt drauf an«, antwortete ich ruhig.

»Wenn wir zusammen sind … spürst du dann etwas?«

»Abgesehen davon, was ich heute Morgen gespürt habe, als ich dich in dieser Jeans gesehen habe?«

»Daemon.« Sie seufzte. »Ich meine es ernst.«

»Dieses warme Prickeln im Nacken.« Ich zeichnete mit dem Finger einen Kreis auf den Tisch. »Meinst du das?«

Sie sah mich von der Seite an und ihre Mundwinkel hoben sich leicht. »Ja, du spürst es auch?«

»Immer, wenn du in der Nähe bist.«

»Stört es dich nicht?«

»Dich etwa?«, fragte ich ernst. Anstatt zu antworten, starrte sie nur in ihr Glas und ich war mir nicht sicher, ob das ein gutes oder schlechtes Zeichen war. Ich trank einen Schluck von meiner Milch. »Es könnte … eine Nebenwirkung des Heilens sein.« Ich hielt inne und bewunderte erstaunt, wie rot sie werden konnte. »Geht es dir gut?«

»Warum?«

»Du siehst beschissen aus.« Was nur teilweise stimmte.

Sie sah mich an. »Ich glaube, ich habe mir etwas eingefangen.«

Stirnrunzelnd betrachtete ich sie. »Was ist los?«

»Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich habe ich Alienitis.«

Ich schnaubte. »Das bezweifele ich. Ich kann nicht zulassen, dass du jetzt krank wirst. Du musst raus und deine Lichtspur abarbeiten. Solange du das nicht tust, bist du –«

»Wenn du jetzt sagst, ich sei eine Schwachstelle, kannst du dich auf etwas gefasst machen.« Sie klang verärgert. »Ich glaube, ich habe bewiesen, dass ich das nicht bin. Immerhin habe ich Baruck fortgelockt und getötet. Ich mag zwar ein Mensch sein, aber das heißt nicht, dass ich schwach bin.«

Ich setzte mich zurück und sah ihr tief in die Augen. »Ich wollte sagen, dass du bis dahin in Gefahr bist.«

»Oh.« Sie lachte verlegen. »Okay, aber ich bin trotzdem nicht schwach.«

Irgendwie berührte mich ihre Schimpftirade. Schnell stand ich auf, kniete mich vor sie und blickte zu ihr auf. »Ich weiß, dass du nicht schwach bist. Das hast du bewiesen. Auch wenn ich immer noch nicht weiß, wie du unsere Kräfte angezapft hast, wie es dazu kommen konnte. Aber eine Schwachstelle bist du auf keinen Fall.«

Kat starrte auf mich herab und ihre Züge wurden weicher.

Während ich aufstand, musste ich mir ein Lächeln verkneifen. »Jetzt musst du mir nur noch mal beweisen, dass du nicht schwach bist. Beweg deinen Hintern und lass uns endlich diese Lichtspur abarbeiten.«

Sie stöhnte. »Ich fühl mich wirklich nicht gut, Daemon.«

»Kat …«

»Ich jammere nicht, weil ich dir Probleme bereiten will. Mir ist kotzübel.«

Ich verschränkte die Arme und mir entging nicht, dass sie genau hinsah, wie mein Shirt dabei an den Schultern spannte. »Es ist zu gefährlich, wenn du wie ein Leuchtturm rumläufst. Solange du die Spur mit dir herumträgst, kannst du nichts tun. Nirgends hingehen.«

Sie legte die Hände auf den Tisch und stemmte sich hoch. »Ich geh mich umziehen.«

Ich trat einen Schritt zurück und sah sie erstaunt an. »So leicht gibst du auf?«

»Aufgeben?« Sie lachte trocken. »Ich will dich nur loswerden.«

Ich musste grinsen. »Red dir das ruhig weiter ein, Kätzchen.«

»Und du benutz nur weiter deine Egobooster.«

Sie ging zur Tür und ich spürte ein Brennen unter der Haut. Schneller, als sie gucken konnte, war ich an ihr vorbei und versperrte den Ausgang. Wütend funkelte sie mich an, während ich auf sie zugeschlendert kam. Sie wich zurück und tastete mit den Händen nach dem Küchentisch hinter sich.

»Was ist?«, fragte sie.

In ihren stahlgrauen Augen war kein bisschen Angst zu sehen, als ich meine Hände auf ihre Hüfte legte. In dem Moment, in dem ich sie berührte, schwand auch die Härte aus ihrem Blick und machte etwas anderem Platz. Sie schien zu entspannen, und als ich den Kopf vorbeugte und meine Lippen ihre Wangen streiften, holte sie hörbar Luft und schwankte in meine Richtung.

Ich ließ die Hände sinken und trat zurück. Unsere Blicke trafen sich. »Jep … hier geht es nicht um mein Ego, Kätzchen. Sieh zu, dass du fertig wirst.«

Ruckartig riss sie das Kinn in die Höhe und rauschte an mir vorbei, nicht ohne mir den Mittelfinger zu zeigen. Ich lachte und hörte, wie sie die Treppe hinaufpolterte, ohne auch nur noch einen Gedanken daran zu verschwenden, dass ihre Mom zu Hause war und wahrscheinlich schlief.

Ich drehte mich wieder zum Tisch um und griff nach den beiden Gläsern. Während ich sie auswusch und in den Geschirrspüler stellte, wurde ich ein wenig unsicher. War ihr wirklich schlecht? Oder war sie, auch wenn sie etwas anderes behauptete, einfach kompliziert? Manchmal hatte ich den Eindruck, sie tat alles dafür, mir das Leben so schwer wie möglich zu machen. Das mit den Krankheiten war mir nach wie vor schleierhaft. Klar, ich wusste, dass Menschen Erkältungen, Fieber und noch Schlimmeres bekommen konnten, aber wie es sich anfühlte, konnte ich mir nach wie vor nicht vorstellen. Wir wurden nicht krank. Nie.

Ungefähr fünf Minuten später kehrte Kat in die Küche zurück. Sie trug eine bequeme Sporthose und ein langärmliges Fleece-Shirt. Irgendwie sah sie … hinreißend aus, wie sie an mir vorbei und aus der Haustür marschierte.

Ein Kätzchen mit gesträubtem Fell.

Sie war bereits auf dem Weg die Verandastufen hinab, als ich ebenfalls aus der Tür trat und sie leise hinter uns schloss. »Bist du dir sicher, dass es geht?«, erkundigte ich mich.

Sie blieb stehen und drehte sich um. »Ich hatte nicht das Gefühl, dass du mir eine andere Wahl lässt.«

Jetzt fühlte ich mich echt mies, weil, ja, weil ich wirklich ein Arsch war. Ich ging zur Treppe. »Kat, wenn es dir nicht gut geht, dann werde ich dich nicht –«

»Es geht schon«, unterbrach sie mich, wandte sich ab und eilte die restlichen Stufen hinunter.

Kurz sah ich ihr nach und folgte ihr dann leise fluchend. Locker joggten wir los, aber ich war mir ziemlich sicher, dass wir schneller würden, sobald wir aufgewärmt waren und ich mich davon überzeugen konnte, dass sie mir nicht aus den Latschen kippte.

Doch wir hatten die Zufahrtsstraße kaum verlassen und den Wald erreicht, als Kat plötzlich stehen blieb und die Hände in die Hüften stemmte.

Ich hielt ebenfalls an und drehte mich zu ihr. »Hey …«

Kopfschüttelnd senkte sie den Blick. Mühsam holte sie Luft, ihre Schultern hoben sich dabei. Als dann einen Moment lang nichts geschah, trat ich näher.

»Ich … ich muss nach Hause«, sagte sie leise.

Bevor ich antworten konnte, machte sie auf dem Absatz kehrt und lief im Powerwalk zur Straße zurück. Ich rief ihr nach, doch sie reagierte nicht. Beunruhigt setzte ich mich ebenfalls wieder in Bewegung.

»Kat!«

»Für heute war’s das für mich«, rief sie, während sie die Stufen hinauflief und die Haustür aufriss. Ich folgte ihr, weil ich mir jetzt wirklich Sorgen machte, doch sie drehte sich um und hob die Hand. »Es ist alles in Ordnung. Bitte. Ich will jetzt einfach nur nach Hause. Bitte lass mich in Ruhe.«

Ich blieb abrupt stehen. Ihre Worte versetzten mir einen Stich. Bitte lass mich in Ruhe. Das war ein Flehen. Ein inständiges Flehen, das mich traf wie ein Schlag in die Magengrube. Als sie ins Haus hastete und dabei fast vergaß die Tür hinter sich zu schließen, hielt ich sie nicht zurück.

Und lief ihr auch nicht hinterher.

Kapitel 3

Misstrauisch blickte ich auf Dees Zimmertür, die gerade geöffnet wurde, als ich das obere Ende der Treppe erreichte. Adam kam heraus und sein blondes Haar stand nach allen Seiten ab, als wäre jemand mit den Fingern –

O nein, so etwas durfte ich gar nicht denken.

»Hi, Alter«, grüßte er mich und blickte überall hin, nur nicht zu mir, als wir im Flur aneinander vorbeigingen.

Ich machte mir Sorgen um Kat, aber was offensichtlich in Dees Zimmer vor sich ging, gefiel mir auch nicht. Immerhin war sie meine Schwester. Deshalb war es normal, dass es mir gegen den Strich ging. »Bist du auf dem Weg nach Hause, Adam?«

Er starrte auf meine Füße. »Ja, ähm, ich glaube, Andrew ist, äh, er will –«

»Du brauchst mir nichts zu erklären.« Ich verschränkte die Arme und fragte unumwunden: »Was treibst du mit meiner Schwester?«

»Was ich mit ihr treibe?« Adam blieb stehen und rieb sich mit einer Hand über das zerknitterte Shirt. »Ich verbringe Zeit mit ihr.«

Ich spürte die Quelle durch meinen Körper rauschen und die Welt vor meinen Augen färbte sich weiß. »Würdest du dich bitte etwas klarer ausdrücken?«

Adam besaß genug Verstand, um es nicht zu tun. »Du weißt, dass ich sie sehr mag.« Seine Stimme wurde leiser. »Ich spiele nicht mit ihr rum. Das würde ich nie tun, und zwar nicht, weil mir klar ist, dass du mich sonst umbringen würdest.«

»Das würde ich in der Tat«, pflichtete ich ihm bei.

Kopfschüttelnd ließ er die Hand sinken. »Das würde ich ihr niemals antun. Ich könnte es gar nicht. Ich … ich mag Dee wirklich sehr.«

Man merkte ihm an, dass er es ernst meinte. Er machte mir nichts vor. So war Adam nicht – im Gegensatz zu Andrew … oder mir.

Halt! Mir, wie ich früher war, die Betonung liegt auf der Vergangenheitsform, und Junge, was war das für ein Weckruf. Ich nickte und wollte schon weitergehen.

Doch Adam hielt mich zurück. »Es ist mir wichtig, Daemon, du kannst mir vertrauen, was Dee angeht … ich werde ihre Gefühle nicht verletzen.«

Ich sah ihn über die Schulter hinweg an. »Ich weiß.«

Einen Moment lang verharrten wir so, dann machte er sich auf den Weg nach unten und verließ das Haus. Ich hatte mein Zimmer fast erreicht, als Dees Tür einen Spaltbreit aufgeschoben wurde und sie ihren Kopf herausstreckte. Seufzend wappnete ich mich für einen Mega-Anschiss, dass ich mich gefälligst aus ihrem Leben heraushalten sollte.

»He«, rief Dee.

Ich ging einen Schritt zurück, und als ich aufblickte, stellte ich überrascht fest, dass sie lächelte, anstatt mich wütend anzufunkeln. »He?«

Der Saum ihres Kleides schwang locker um ihre Knie, als sie, die Hände hinter dem Rücken, auf den Flur heraustrat. »Du liebst mich.«

»Äh.« Kurz schaute ich mich um, doch außer uns war niemand da. »Ja, schon.«

Sie legte den Kopf schief und einige Locken lösten sich aus ihrem Haarknoten. »Du wolltest sichergehen, dass ich Adam wirklich wichtig bin.«

Ich hob eine Augenbraue.

»Du bist ein guter Bruder«, befand sie.

»Ja, das bin ich …« Ich zwinkerte. »Älterer Bruder.«

Lachend kam sie auf mich zu, stellte sich auf die Zehenspitzen und drückte mir einen Kuss auf die Wange. »Danke.«

Ich wollte schon fragen, wofür, als es mir dämmerte. Langsam. Kopfschüttelnd sah ich sie an, bevor ich mich wieder auf den Weg in mein Zimmer machte. Dass Dee mir folgte, überraschte mich nicht besonders. »Und weißt du, warum du noch ein echt umwerfender großer Bruder bist?«, fragte sie.

Ich näherte mich dem Bett und wedelte mit der Hand. Das Handtuch, das ich nach der morgendlichen Dusche dort liegen gelassen hatte, erhob sich und schwebte durch die offene Badezimmertür direkt auf seinen Haken. »Weil ich einfach umwerfend bin.«

»Nein.« Sie machte einen kleinen Hüpfer und schwang sich mit dem Hintern auf die Schreibtischkante. »Du hast gar nicht wegen der Party am Freitagabend gemeckert.«

Ich ließ mich auf dem Bett nieder und beäugte sie, während ich mir die Schuhe von den Füßen kickte. »Wär schön gewesen, wenn du mich wenigstens vorgewarnt hättest.«

»Ich habe es gestern erwähnt, aber du hast irgendwas im Fernsehen geguckt und mir deshalb nicht zugehört.« Sie lächelte breit, wofür sie von mir einen finsteren Blick erntete. »Aber du machst jetzt keine große Sache daraus.«

»Woher willst du das wissen?«

»Weil du es sonst schon längst getan hättest.« Sie ließ die Beine baumeln wie eine Fünfjährige. »Ich würde nur gern mal … etwas anderes machen und so was haben wir noch nie getan. Dawson hätte es gut …« Ohne den Satz zu beenden, senkte sie den Kopf.

Sie brauchte nicht weiterzusprechen, ich wusste auch so, was sie sagen wollte. Dawson wäre sofort Feuer und Flamme gewesen, bei uns zu Hause eine Party zu veranstalten. Denn Dawson ließ sich superleicht begeistern, ganz im Gegensatz zu mir.

»Egal«, sagte sie und atmete seufzend aus, »ich will einfach mal ein bisschen Spaß haben. Das können wir alle gut gebrauchen.«

Ich lehnte mich zurück. Moment mal. Hatte Kat nicht bald Geburtstag? Ja, doch. Ich hatte mitbekommen, wie sie im Krankenhaus ihr Geburtsdatum angegeben hatte, nachdem sie von dem Arum überfallen worden war. Hoffentlich würde es ihr bis dahin besser gehen. Wäre ja echt ätzend, am eigenen Geburtstag krank zu sein. Allerdings hatte ich den Eindruck, dass Menschen normalerweise nicht allzu lange krank blieben. Gerade wollte ich Dee erzählen, dass sich Kat nicht gut fühlte, als mir klar wurde, dass sich Dee dann sofort auf den Weg nach drüben machen würde, und ich hatte den Eindruck, dass Kat lieber allein sein wollte.

Bitte lass mich in Ruhe.

Verdammt, wie gern hätte ich selbst nach ihr gesehen. Es brachte mich fast um, es nicht zu tun, aber dass sie sich einen Virus oder eine Erkältung eingefangen hatte, war kein Weltuntergang. Ich musste lockerer werden. Außerdem hatte sie mir versichert, dass alles in Ordnung wäre.

Nachdem ich mir verkniffen hatte Dee doch noch darauf hinzuweisen, dass ich eine Party für keine gute Idee hielt, zog sie sich schließlich endlich in ihr Zimmer zurück, um einen Englisch-Aufsatz zu schreiben. Ich aß einen Rest Pizza und versuchte dann mehrere Stunden lang, mich irgendwie zu beschäftigen.

Im Fernsehen lief nichts. Jedenfalls kein Ghost-Adventures-Marathon oder etwas in der Richtung. Das Internet langweilte mich. Dee war längst fertig mit ihrem Aufsatz oder woran auch immer sie gearbeitet hatte und war zu Adam gefahren, weil sie sich anscheinend unbedingt mehr als einmal am Tag sehen mussten. Wahrscheinlich schleckten sie sich wieder gegenseitig die Gesichter ab – O Mann, sofort wünschte ich diesen Gedanken nicht gehabt zu haben, weil mir sofort die Pizza wieder hochkam. Und mir ein Buch vorzunehmen war mir viiieeel zu anstrengend.

Außerdem musste ich bei Büchern sofort an Kat und ihren Mittelfinger denken.

Sie wollte mich nicht? Klar, und die Erde war eine Scheibe. Puh, was für ein blöder Spruch. Die Erde war schon immer eine Kugel, das mussten wir eigentlich am besten wissen.

Ächzend ließ ich mich auf den Rücken fallen. Es war dunkel geworden, und anstatt wie jeder normale Mensch das Licht einzuschalten, hob ich die Hand. Sofort strahlte es weiß mit rötlichem Schimmer aus meiner offenen Handfläche und leuchtete bis an die Decke. Ha. Wer brauchte schon Nachttischlampen?

Mit den Augen verfolgte ich einen dünnen Riss an der Decke, der in einer Ecke begann und sich millionenfach verästelt bis zur Mitte erstreckte. Ziemlich sicher war auch das Fundament des Hauses beschädigt.

Genau wie offenbar mein Gehirn.

Ich konnte mich nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal so rastlos gewesen war. Na ja, das stimmte nicht ganz. Die Nacht und der Morgen, bevor ich von Dawsons Tod erfahren hatte, war ich genauso drauf gewesen. Obwohl ich mich müde fühlte, war ich gleichzeitig viel zu aufgedreht und verdammt noch mal zu faul, um irgendetwas zu tun. Es juckte mich, meine wahre Erscheinungsform anzunehmen und, ja, was genau eigentlich zu tun?

»Meine Güte«, sagte ich leise zu mir selbst und ließ das Licht an meinem Handgelenk erlöschen.

Dann setzte ich mich auf, schwang die Beine aus dem Bett, erhob mich und streckte die verspannten Muskeln. Schlafen würde ich in nächster Zeit sowieso nicht. Dann konnte ich genauso gut ein paar Runden Patrouille laufen. O Mann, ich war so langweilig wie eine Partie Golf in Echtzeit.

Vor einem Jahr hätte ich einfach Ash angerufen. Sie konnte auch die fieseste Langeweile vertreiben. Oder Dawson, und ich hätte …

Ich ließ den Gedanken entgleisen, bevor er Fahrt aufnehmen konnte.

Ich würde Ash nicht anrufen und Dawson gab es nicht mehr.

Schnell verließ ich mein Zimmer und lief die Treppe hinunter nach draußen. Ein scharfer Novemberwind schlug mir ins Gesicht und ich blieb in der Einfahrt stehen.

Nein, ich würde nicht dorthin gucken. Nein. Nein. Nein.

Ich drehte mich zu dem Haus neben unserem und blickte zielgerichtet zu einem bestimmten Fenster in der oberen Etage. Dahinter war es dunkel. Ich überlegte, was Kat wohl tun würde, wenn ich sie jetzt wecken und damit konfrontieren würde, dass wir die Lichtspur abarbeiten müssten? Und ich dachte dabei nicht an Laufen. Sondern eher an horizontales Cardiotraining. Ja, verdammt, Bodenübungen, wie man sie überall machen kann. Da war ich nicht wählerisch.

Mein Körper sagte bitte, bitte! Mein Verstand sagte bitte nicht.

Kat würde mir ins Gesicht schlagen.

Hmm. Vielleicht könnte ich sie hinterher fragen, ob sie es küssen würde, um den Schmerz zu lindern.

Ich ging einen Schritt auf ihr Haus zu, bremste mich dann aber. Kat hatte sich vorhin nicht gut gefühlt. Menschen waren so schrecklich anfällig. Sie konnten sterben, wenn sie über ein blödes Stuhlbein stolperten. Oder bei Autounfällen. Erkältungen konnten zu Lungenentzündungen werden und damit ebenfalls tödlich enden.

Ich sollte daran denken, morgen vor der Schule Vitamin C zu besorgen, und Kat zwingen, es zu nehmen.

Seufzend wandte ich mich ab und begann in Richtung See zu laufen. Von dort war es nicht mehr weit bis zur Kolonie, um nachzusehen, ob dort alles in Ordnung war, und anschließend würde ich weiter meine Runden drehen, bis ich schlapp war. Klang nach einem verdammt guten Plan.

Auf halbem Weg spürte ich das seltsame Prickeln, das normalerweise immer auftrat, wenn Kat in der Nähe war. Allerdings fühlte es sich diesmal nicht gut an. Es konnte also nicht sein, dass sie es war.

Ich wurde schneller.

Weshalb würde sie sich mitten in der Nacht in den Wald verirren? Dafür gab es keinen Grund. Es war spät und kalt und –

Heilige Scheiße.

Im selben Moment, als sich die glatte Oberfläche des Sees vor mir auftat, sah ich auch Kat.

Mein Puls schnellte in ungeahnte Höhen. Träumte ich? Sie stand mit dem Rücken zu mir, ihre nackten Füße waren in der lockeren Erde am Ufer des Sees eingesunken, und bekleidet war sie mit nicht mehr als einem weiten, weißen T-Shirt. Diese Beine – o Mann, für ihre Beine hatte ich echt eine Schwäche – und dazu das lange Haar, das im Wind wehte.

Es musste eine Fata Morgana sein, die mich heimsuchte.

»Kat?«

Langsam, als würde es ihr schwerfallen, sich zu bewegen, drehte sie sich um, und ich wusste, dass es kein Traum war. Diese Nacht schien gerade extrem viel spannender zu werden als gedacht.

»Was tust du hier, Kätzchen?«, fragte ich.

Sie starrte mich so lange an, dass ich langsam unruhig wurde. »Ich … ich muss mich abkühlen.«

Sie musste … schlagartig verstand ich. »Geh auf keinen Fall in den See.«

Und da Kat nie, wirklich niemals auf mich hörte – warum sollte sich auch ausgerechnet jetzt etwas daran ändern? –, begann sie langsam rückwärtszugehen. Wasser umspielte erst ihre Knöchel und wenig später ihre Knie. »Warum nicht?«

»Warum nicht?« Ich trat einen Schritt vor. »Er ist viel zu kalt. Zwing mich nicht, dich da rauszuholen.«

Wenn man bedachte, wie schnell ich normalerweise im Vergleich zu den Menschen war, überraschte es mich ein wenig, wie Kat praktisch in Sekundenschnelle im Wasser verschwand. Sie tauchte mit dem Kopf unter, obwohl der See eiskalt sein musste.

Was zum Teufel tat sie da? Manchmal war Kat wirklich sonderbar. Immerhin war sie auch davon überzeugt, nicht total besessen von mir zu sein, aber das hier? Dafür gab es beim besten Willen keine logische Erklärung.

Blitzschnell raste ich zum Ufer, sprang hinein und zuckte nur kurz zusammen, als das kalte Wasser über meinen Kopf schwappte. Im nächsten Moment bekam ich sie an der Hüfte zu fassen und schnellte wieder hoch, ohne den Boden oder das Wasser noch einmal zu berühren, bis sie wieder sicher auf den Füßen stand.

Damit ich sie würgen konnte. Herzlich willkommen, Erkältung, Lungenentzündung, Tod, was sollte das, mein Gott?

»Was ist los mit dir?«, fuhr ich sie an, packte sie an den Schultern und schüttelte sie leicht. »Hast du den Verstand verloren?«

»Lass das.« Kraftlos stieß sie mich zurück. »Mir ist so heiß.«

Ich musterte sie von oben bis unten, wobei mein Blick unwillkürlich in bestimmten Regionen hängen blieb. Das meiste sah ich nicht zum ersten Mal, aber sie war einfach … wow … unvergleichlich und löste bei mir alles Mögliche aus.

»Du bist heiß, so viel steht fest«, sagte ich und musste mich beherrschen sie nicht ins Gras zu werfen und mich gleich dazu. »Die Nummer mit dem nassen weißen Shirt … sie funktioniert, Kätzchen, aber ein mitternächtliches Bad im November? Das ist doch ein bisschen gewagt, oder?«

Sie sah mich aus glasigen Augen an, bevor sie sich aus meinem Griff wand, um sich erneut auf den Weg zum See zu machen.

Ich hielt sie fest, ohne dass sie auch nur zwei Schritte machen konnte, und drehte sie zu mir. Ja, ich wurde schon wieder nervös. »Kat, du kannst nicht in den See gehen. Er ist zu kalt. Du wirst krank.« Als ich ihr das Haar aus dem Gesicht strich, das ihr auf den Wangen klebte, spürte ich, wie erschreckend heiß sie war. »Verdammt, noch kränker, als du es ohnehin schon bist. Du glühst ja.«

Sie blinzelte erst einmal, dann noch einmal und schließlich beugte sie sich vor und presste ihre Wange auf meine Brust. Ich meinte zu sehen, wie sie die Nase rümpfte, als sie behauptete: »Ich will dich nicht.«

Klar, und ich werde im nächsten Jahrbuch zum nettesten Schüler der Schule gewählt. »Ähm, ich glaube nicht, dass das jetzt der richtige Zeitpunkt ist, das auszudiskutieren.«

Als sie die Arme um mich schlang, konnte ich nur noch ratlos die Augenbrauen heben. Irgendwie mochte ich diese Kat. »Aber ich will dich doch«, verbesserte sie sich selbst.

Bei diesen Worten geschah etwas Verrücktes in mir. Ich drückte Kat fester an mich. »Ich weiß, Kätzchen. Das ist nicht zu übersehen. Komm jetzt.«

Sie ließ die Arme hängen. »Mir … mir ist nicht gut.«

»Kat.« Ich trat ein Stück zurück und nahm ihr Gesicht in die Hände, um ihren Kopf hochzuhalten, da ich den Eindruck hatte, dass sie selbst nicht mehr dazu in der Lage war. Das ungute Gefühl kehrte zurück und streckte seine eisigen Tentakel in den letzten Winkel meines Körpers aus. »Kat, sieh mich an.«

Im nächsten Moment gaben ihre Beine nach. Laut fluchend fing ich sie auf und presste sie an mich. »Kat?«

Nichts.

Meine Brust schnürte sich zusammen, während ihr der Kopf in den Nacken fiel, als wäre er mit keinem einzigen Muskel oder Knochen mehr verbunden. »Kat!«

Noch immer nichts. Panisch wirbelte ich mit ihr auf dem Arm herum und rannte wie von Sinnen los, raste schneller als je zuvor. Eine halbe Sekunde später stand ich auf der Veranda, und kaum dass ich sie auf dem Bett abgelegt hatte, weil ich glaubte, dass es dort bequemer für sie war, zog ich mein Handy hervor und rief Dee an. Als sie beim dritten Klingeln ranging, klang sie, als wäre sie ein wenig außer Atem.

»Irgendetwas stimmt nicht mit Kat. Ich brauch dich jetzt hier. Sofort.«

Mehr sagte ich nicht. Dann wurde das Gespräch unterbrochen. Vor Schreck wie erstarrt legte ich die Hände um Kats Gesicht. »Kat, mach die Augen auf. Sprich mit mir.«

Ihre Brust hob und senkte sich, aber ihr Atem war flach und sie öffnete weder die Augen noch sagte sie etwas. Ich war kurz davor, meine wahre Erscheinungsform anzunehmen, um sie zu heilen, hielt dann aber in letzter Sekunde inne. Hatte ich ihr das angetan? Hatte ich sie durch das Heilen krank gemacht? Es war uns verboten, Menschen zu heilen. Allerdings hatte uns niemand je gesagt, warum, und vielleicht war genau das der Grund.

Konnten wir sie damit umbringen?

»Shit.«

Das durfte nicht sein. Ich hatte ihr nicht das Leben gerettet, um sie dadurch endgültig zu verlieren. Das war mehr als grausam und ich würde nie –

Dee kam hereingestürmt. Ihr Haar war zerzaust, offenbar war sie die Strecke von den Thompsons bis hierher gerannt. Ihren geschwollenen Lippen war anzusehen, was ich nicht einmal denken mochte. Sie blickte zu Kat und im nächsten Moment stand sie neben mir. »Was ist passiert?«

»Keine Ahnung.« Ich griff nach der Decke, um Kat zuzudecken, aber da ich keine Ahnung hatte, ob es ihr gut- oder wehtun würde, warf ich sie wieder ans Fußende.

»Sie ist ja ganz nass.« Dee legte eine Hand auf Kats Stirn und zuckte erschrocken zurück. »O Gott, sie glüht ja. Was ist passiert?«

»Sie war am See und ist reingegangen. Ich hab sie rausgeholt, aber dann ist sie ohnmächtig geworden.« Ich stand über sie gebeugt und fühlte mich absolut hilf- und nutzlos. »Kat, wach auf! Komm schon, wach auf.«

Verzweifelt rang Dee die Hände. »Was ist los mit ihr?«

»Ich weiß nicht, was mit ihr los ist!«

Dee wurde blass.

Ich schloss die Augen und atmete laut aus. »Es tut mir leid. Sie … sie will einfach nicht aufwachen.«

»Ganz ruhig. Ich bin mir sicher, dass sie sich wieder erholt.« Dee legte eine Hand auf meinen Arm. »Wahrscheinlich hat sie eine Grippe. Dabei können Menschen wirklich hohes Fieber kriegen.«

»Aber Fieber ist gefährlich, oder? Es kann zu einem Hirnschaden führen, oder so.« Wieder traf es mich wie ein Schlag in den Magen und ich betrachtete Kat. Ihre Wangen waren leuchtend rot. »Komm schon, Kätzchen, mach die Augen auf.«

»O Gott …«, murmelte Dee.

Das Herz klopfte mir bis zum Hals und ich hätte am liebsten mit den Fäusten auf die Wand eingedroschen.

»Daemon! Beruhige dich.«

Die Stimme meiner Schwester holte mich auf den Boden der Tatsachen zurück. Der Putz fiel bereits von den Wänden und das gesamte Haus begann zu zittern.

Beruhigen war leichter gesagt als getan. Ich hatte keine Ahnung, was ich tun sollte – wie ich Kat helfen konnte, ohne es unabsichtlich noch schlimmer zu machen.

Dee bewegte sich um das Bett herum wie ein nervöser Kolibri. »Ich könnte was zum Kühlen besorgen – einen Waschlappen oder so. Vielleicht hilft das, bis ihre Mom nach Hause kommt.«

»Ist gut«, sagte ich und ließ mich neben Kat nieder. Wie meine Schwester das Zimmer verließ und im Badezimmer verschwand, nahm ich kaum wahr. Als ich Kat das Haar zurückstrich, erschrak ich, weil sie noch heißer geworden war. Warum hatte ich nicht sofort bemerkt, dass etwas mit ihr nicht stimmte? Sie hatte verdammt noch mal nur ein T-Shirt angehabt. Das war nicht normal.

Dee kehrte mit dem Waschlappen zurück, warf ihn aber auf den Boden. »Was für eine blöde Idee. Sie ist doch jetzt schon klitschnass und es hilft nichts.«