Obsidian 0: Oblivion 3. Lichtflackern - Jennifer L. Armentrout - E-Book
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Jennifer L. Armentrout

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Beschreibung

Eigentlich könnte Daemon zur Abwechslung einmal durchatmen: Sein Bruder Dawson lebt noch und erholt sich langsam von seiner Gefangenschaft. Katy und Daemon sind endlich ein Paar. Doch dann steht Blake plötzlich wieder vor der Tür und bittet Katy und die Lux um Hilfe. Sein waghalsiger Plan: ins schwer gesicherte Verteidigungsministerium eindringen und zwei ihrer Freunde befreien. Daemon bleibt nichts anderes übrig, als sein Schicksal – und das von Katy – in die Hände der Person zu legen, die sie schon einmal hintergangen hat. Die epische Liebesgeschichte von »Opal. Schattenglanz« – erzählt aus Daemons Sicht! Alle Bände der Oblivion-Serie: Oblivion 1: Lichtflüstern (Obsidian aus Daemons Sicht erzählt) Oblivion 2: Lichtflimmern (Onyx aus Daemons Sicht erzählt) Oblivion 3: Lichtflackern (Opal aus Daemons Sicht erzählt) Alle Bände der dazugehörigen Bestsellerserie: Obsidian. Schattendunkel Onyx. Schattenschimmer Opal. Schattenglanz Origin. Schattenfunke Opposition. Schattenblitz Shadows. Finsterlicht (Prequel) Alle bisher erschienenen Bände der Spin-off-Serie »Revenge«: Revenge. Sternensturm Rebellion. Schattensturm Redemption. Nachtsturm

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Jennifer L. Armentrout: Oblivion. Lichtflackern

Aus dem Englischen von Anja Malich

Eigentlich könnte Daemon zur Abwechslung einmal durchatmen: Sein Bruder Dawson lebt noch und erholt sich langsam von seiner Gefangenschaft. Katy und Daemon sind endlich ein Paar. Doch dann steht Blake plötzlich wieder vor der Tür und bittet Katy und die Lux um Hilfe. Sein waghalsiger Plan: ins schwer gesicherte Verteidigungsministerium eindringen und zwei ihrer Freunde befreien. Daemon bleibt nichts anderes übrig, als sein Schicksal – und das von Katy – in die Hände der Person zu legen, die sie schon einmal hintergangen hat.

Die epische Liebesgeschichte von »Opal. Schattenglanz« – erzählt aus Daemons Sicht!

Alle Bände der Oblivion-Serie:

Oblivion 1: Lichtflüstern

Oblivion 2: Lichtflimmern

Oblivion 3: Lichtflackern

KAPITEL 1

Ohne Hemd und Schuhe jagte ich die Treppe hinunter, hinaus und durch die schweren weißen Flocken hindurch zu Kats Haus. Ihre Mom war in Winchester eingeschneit und deshalb nicht da, doch als ich mich einließ, spürte ich sofort, dass außer Kat noch jemand anwesend war.

Dawson.

Was zum Teufel? Er war hier? Ich eilte die Stufen hinauf. Wirklich überrascht war ich nicht, trotzdem war es seltsam, dass er um sechs Uhr morgens bei Kat war, aber Dawson … er war zurzeit eben auch verdammt seltsam.

Ich ging zu Kats Zimmer. Die Tür war offen. Dawson stand an dem Fenster, das nach vorn rausging, und Kat lag im Bett und sah aus … na ja, sie sah aus, als sollte ich mich sofort zu ihr legen.

O Mann, wie ich sie vermisst hatte.

Ihr Blick wanderte von meinem Gesicht weiter nach unten und dann wieder hinauf. Ihre Wangen waren leicht gerötet. »Ist das hier eine Pyjamaparty?«, fragte ich. »Und ich wurde nicht eingeladen?«

Dawson drückte sich wortlos an mir vorbei und verließ den Raum. Kurze Zeit später hörte man die Eingangstür ins Schloss fallen. Ich seufzte. »So ging es in den letzten Tagen die ganze Zeit.«

Kat schien mit mir zu fühlen. »O Mann.«

Ich hörte sofort an ihrer Stimme, wie zerbrechlich sie war, und hätte am liebsten auf den nächstbesten Gegenstand eingedroschen, während ich mich ihrem Bett näherte. »Will ich überhaupt wissen, warum mein Bruder in deinem Zimmer war?«

»Er konnte nicht schlafen.« Kat sprach nicht weiter, weil sie die Decke festhielt, nach der ich gegriffen hatte. Aber als ich beharrlich daran zog, ließ sie wieder los und fuhr fort: »Er meinte, er würde euch stören.«

Schnell schlüpfte ich ins Bett und legte mich auf die Seite, um sie ansehen zu können. »Das tut er nicht.«

Kurz verzog sich ihr hübsches Gesicht skeptisch, bevor sie sich ebenfalls auf die Seite drehte. »Ich weiß.« Noch einmal ließ sie ihren Blick wandern, und ich wünschte, ihre Hände würden es ihren Augen gleichtun. »Er hat gesagt, ich würde ihn an Beth erinnern.«

Was hieß das denn jetzt? Entrüstet runzelte ich die Stirn.

Kat rollte mit den Augen. »Nicht so, wie du denkst.«

»Ganz ehrlich, sosehr ich meinen Bruder liebe, ich bin mir nicht sicher, was ich davon halten soll, dass er in deinem Zimmer abhängt.« Ich strich ihr das Haar hinters Ohr. Als ich das leichte Zittern ihres Körpers bemerkte, musste ich lächeln. »Ich habe das Gefühl, mein Revier markieren zu müssen.«

»Jetzt hör auf!«

»Oh, ich mag es, wenn du mich so rumkommandierst. Echt sexy.«

»Du bist echt unverbesserlich«, erwiderte sie grinsend.

Ich rückte ein Stück näher an sie heran und drückte meine Oberschenkel gegen ihre Beine. »Ich bin froh, dass deine Mom woanders eingeschneit ist.«

Fragend hob sie eine Augenbraue. »Warum?«

Ich zuckte mit der Schulter, auf der ich nicht lag. »Ich bezweifle, dass sie das hier durchgehen lassen würde.«

»Garantiert nicht.«

Ich rückte noch dichter an sie heran, bis kaum mehr ein Blatt Papier zwischen uns passte, und ließ mich von ihrem unvergleichlichen Duft nach Pfirsich und Vanille einlullen. »Hat deine Mom Will eigentlich noch mal erwähnt?«

Sofort gingen ihre Mundwinkel nach unten, und ihr war anzusehen, wie unbehaglich ihr bei dem Gedanken an ihn wurde. »Nur was sie letzte Woche erzählt hat. Dass er ihr gesagt hätte, er müsste wegfahren, zu einer Konferenz und Familie besuchen, was natürlich gelogen war, wie wir beide wissen.«

Dieses manipulative Arschloch. »Offensichtlich hat er vorausgeplant, damit sich niemand über seine Abwesenheit wundert.«

Sie senkte die Lider. »Glaubst du, dass er zurückkommt?«

Mit dem Handrücken strich ich über ihre glatte, weiche Wange. »Das wäre lebensmüde.« Allerdings hatte Will Michaels bereits bewiesen, dass er lebensmüde war.

Kat öffnete die Augen. »Was Dawson angeht …«

Meine Brust war auf einmal wie zugeschnürt, als ich meine Hand weiter über ihren Hals gleiten ließ. »Ich weiß nicht, was ich tun soll.«

Sie hielt die Luft an.

Meine Hand wanderte über ihre Schulter, den Arm hinunter unter die Decke. »Mit mir spricht er überhaupt nicht und mit Dee auch kaum. Die meiste Zeit schließt er sich in seinem Zimmer ein oder streift durch den Wald. Ich bin ihm gefolgt, das weiß er. Aber er –«

»Er braucht Zeit, meinst du nicht?« Sie küsste mich auf die Nasenspitze. »Er hat viel durchgemacht, Daemon.«

Ich ließ die Hand auf ihrer Hüfte ruhen. »Ich weiß. Jedenfalls …« Wenn ich mit Kat im Bett lag, wollte ich mich eigentlich mit nichts anderem beschäftigen als mit ihr. Nicht jetzt, da wir gerade einmal einige kostbare Momente für uns hatten, nur sie und ich und sonst nichts. Ich beugte mich über sie und rollte sie sanft auf den Rücken. Mit den Händen stützte ich mich links und rechts von ihrem Kopf ab, damit ich nicht mit dem vollen Gewicht auf ihr lag. »… habe ich meine Pflichten vernachlässigt.«

Kats sturmgraue Augen nahmen einen wärmeren Ton an.

»Ich habe nicht viel Zeit für dich gehabt.« Ich küsste sie erst auf die rechte und dann auf die linke Schläfe. »Aber das bedeutet nicht, dass ich nicht an dich gedacht habe.«

Sie legte die Hände auf meine Oberarme. »Ich weiß, dass du beschäftigt warst.«

»Ach ja?«, sagte ich und streifte mit den Lippen ihre Stirn.

Sie nickte.

Ich verlagerte das Gewicht auf den rechten Arm, legte zwei Finger der freien Hand an ihr Kinn und bewegte behutsam ihren Kopf nach hinten. Unsere Blicke trafen sich. »Wie kommst du mit der Sache zurecht?«

»Das geht schon«, antwortete sie. »Mach dir um mich keine Sorgen.«

Mit dem Daumen fuhr ich ihr über die Unterlippe. »Deine Stimme …«

Kurz zuckte sie zusammen und räusperte sich. »Ist schon viel besser geworden.«

Was nicht wirklich stimmte. Ich bewegte den Daumen, den trotzigen Linien in ihrem Gesicht folgend, weiter hinab. »Das reicht nicht, allerdings muss ich sagen, dass ich so langsam Gefallen daran finde.«

»Aha?«, erwiderte Kat und lächelte, was mir fast das Herz zerriss.

Ich nickte und küsste sie zärtlich, ein kleiner Vorgeschmack auf das, was ich wollte. »Ja, irgendwie finde ich sie sexy.« Allerdings fand ich alles an ihr sexy. Ich küsste sie noch einmal, dieses Mal länger und intensiver. Mit der Zungenspitze kitzelte ich ihre vollen Lippen. »Dieses Raue, auch wenn ich wünschte –«

»Lass es.« Sie legte ihre Hände an meine Wangen. »Mir geht es gut. Und es gibt wichtigere Dinge, um die wir uns kümmern müssen, als meine Stimmbänder. Wenn man das große Ganze betrachtet, stehen sie ganz sicher nicht oben auf der Liste.«

Skeptisch sah ich sie an.

Kat kicherte, wurde dann aber wieder ernst. »Ich habe dich vermisst.«

»Ich weiß. Du kannst ohne mich nicht leben.«

»So würde ich das nicht sagen.«

»Gib’s einfach zu.«

»Und schon ist es wieder so weit. Dein Ego macht alles kaputt«, neckte sie mich.

Ich küsste sie unter dem Kinn. »Was macht es kaputt?«

»Den rundum perfekten Kerl.«

Ich schnaubte. »Oh, ich bin sehr wohl perfekt ausge–«

»Jetzt werd nicht unanständig.« Aber ich merkte, wie sie von einem wohligen Schauer erfasst wurde, und musste grinsen, weil ich das leise Gefühl hatte, sie wäre nicht abgeneigt sich mit dem »rundum perfekten Kerl« ein wenig genauer zu befassen, was ich durchaus unterstützen würde.

Ich ließ meine Hand von ihrem Becken auf ihren Oberschenkel gleiten. Als ich ihr Bein sanft auf meine Hüfte hob, nahm ich mit Genugtuung wahr, wie ihr kurz der Atem stockte. »Du hast eine schmutzige Fantasie«, stellte ich fest. »Ich wollte sagen, dass ich perfekt bin in allem, worauf es ankommt.«

Lachend schlang sie die Arme um meinen Hals. »Sicher, du Unschuldsengel.«

»Das habe ich nie behauptet.« Langsam senkte ich meinen Körper auf ihren, und als sie nach Luft schnappte, musste ich den tiefen Laut unterdrücken, der aus meiner Kehle hinaufdrängte. »Ich bin –«

»Ungezogen?« Kat vergrub ihr Gesicht an meinem Hals, und ich spürte, wie sich ihre Brust hob und senkte. »Ja, ich weiß, aber insgeheim bist du doch ganz lieb. Deshalb liebe ich dich auch.«

Ich liebe dich.

Ich konnte diese drei Worte einfach nicht oft genug hören. Sie sendeten einen wohligen Schauer durch meinen Körper und weckten in mir sofort das Bedürfnis, mir Kat zu schnappen und sie in Sicherheit zu bringen. Ein besseres … Wesen für sie sein zu wollen. Ich rollte mich auf die Seite, schob den Arm um ihre Taille und drückte sie fest an mich.

Sie wand sich und hob mit besorgter Miene den Kopf. »Daemon?«

»Schon gut.« Meine Stimme war belegt. Ich küsste sie auf die Stirn. Eigentlich sollte ich dringend herausfinden, wo Dawson jetzt war. Ob er im Wald herumstreunte oder zu Hause saß, aber ich hatte einfach keine Lust. Ich wollte hier bei Kat bleiben. »Alles in Ordnung. Es ist … noch früh. Heute ist weder Schule angesagt noch eine Mom, die nach Hause kommt und dich beim vollen Namen ruft. Ganz kurz können wir also so tun, als wäre alles gut. Wie normale Teenager können wir heute so lange schlafen, wie wir wollen.«

»Hört sich gut an.«

»Finde ich auch.«

»Sehr gut«, murmelte sie und kuschelte sich an mich, bis wir wie zwei sich anziehende Magnete aneinanderklebten, und das genoss ich sehr. Ich spürte unsere Herzen im Gleichtakt schlagen.

Wie traumhaft es wäre, so einzuschlafen. Ich strich mit den Fingern über ihren Rücken, und als ich merkte, wie er sich ein wenig bog, genoss ich es noch mehr. Vielleicht wäre Einschlafen doch keine so gute Idee. Vielleicht könnten wir stattdessen –

Das Fenster auf der anderen Seite des Zimmers zerbarst und ein großer Körper wurde mit einer weißen Böe ins Zimmer geschleudert und landete inmitten von Schnee und Scherben auf dem Boden.

Kats Schrei hallte in meinen Ohren, während ich vom Bett sprang und zum Lux wurde. Mein Licht tauchte den eben noch dunklen Raum in gleißendes Licht.

Heilige Scheiße.

Kat kroch zur Bettkante und flüsterte ebenfalls: »Heilige Scheiße.«

Auf dem Boden lag ein ganz in Weiß gekleideter Mann, der offensichtlich tot war. Mausetot.

Kapitel 2

Der Tote musste vom VM sein. Wer sonst würde sich ganz weiß kleiden, um im Schnee getarnt zu sein?

Verdammt.

Unter dem Kopf des Mannes bildete sich eine Blutlache. Die Verletzung musste er sich zugezogen haben, bevor oder während er durchs Fenster gekracht war. Die verkohlte Stelle auf seiner reglosen Brust ließ allerdings vermuten, dass er nicht einfach aus dem Himmel gefallen und dann durchs Fenster gesegelt war.

Verdammte Scheiße.

Kats Herz hämmerte wie verrückt. »Daemon …?«

Was sie gerade sah, sollte sie niemals sehen. Ich wirbelte herum und wechselte in meine menschliche Erscheinungsform zurück, bevor ich sie sanft, aber entschlossen von der Bettkante zog.

»Das ist ein … ein Beamter«, stammelte sie und schlug mich auf die Arme, um sich aus meinem Griff zu lösen. »Er ist vom –«

Plötzlich stand Dawson wieder in der Tür. Seine Augen glühten blendend weiß. »Er hat sich draußen am Waldrand rumgeschlichen«, berichtete er.

Ich ließ den Arm von Kats Taille gleiten und starrte meinen Bruder an. Es war ein doppelter Schock. War er es etwa gewesen? Außerdem hatte er noch nie so viel am Stück gesagt, seit er wieder bei uns war. »Du … du hast das getan?«, fragte ich.

Dawson blickte auf den leblosen Körper hinab. »Er hat das Haus bespitzelt – Fotos gemacht.« Er hob die Hand, in der er etwas hielt, das wie eine geschmolzene Kamera aussah. »Ich habe dem ein Ende gesetzt.«

Was sollte ich dazu bloß sagen, verdammte Scheiße?

Ich ließ Kat los, kniete mich neben den Leichnam und zog ihm die weiße Daunenjacke aus. Der Geruch von verkohltem Fleisch breitete sich aus, was Kat dazu veranlasste, schleunigst aus dem Bett zu kriechen. Als ich mich über die Schulter nach ihr umsah, hatte sie die Hände vor dem Mund zu Fäusten geballt.

Ich wandte mich wieder dem Toten zu. Ihm war ein Loch in die Brust gebrannt. Normalerweise ließ die Quelle von einem Menschen nicht mehr als ein Häufchen Asche übrig, das hier war untypisch. »Schlecht gezielt, Bruder.« Ich ließ die Jacke fallen. Meine Muskeln waren zum Zerreißen gespannt. »Durchs Fenster?«

»Ich bin aus der Übung«, verteidigte sich Dawson.

Ach nee, er war also aus der Übung. Genauso gut hätte er verkünden können, dass Donner laut ist.

»Meine Mom bringt mich um«, murmelte Kat. »Sie bringt mich ganz sicher um.«

Schnell stand ich auf und wandte mich meinem Bruder zu. Zum ersten Mal kam er mir fremd vor. Unbehagen schwelte in mir. Dawson hatte den Mann nicht nur aufgehalten. Er hatte ihn getötet, und seine Miene war vollkommen gleichgültig, kein Funken Bedauern war darin zu entdecken. Er erinnerte mich … ja, er erinnerte mich an mich selbst, aber Dawson war anders.

Dawson tötete nicht.

Tief im Wald beobachteten Matthew und ich, wie das intensive weiße Licht schwächer wurde. Der Schnee war an der Stelle, wo wir den Körper des VM-Beamten abgelegt hatten, geschmolzen und gab den Blick auf den versengten Boden frei. Nichts als nasse Ascheklumpen waren noch von ihm übrig.

Langsam atmete ich aus und hob den Blick auf die schneebedeckten Äste. »Dawson ist … er ist nicht mehr der Alte, Matt.«

Es dauerte eine Weile, bevor Matthew antwortete. »Was hast du erwartet? Er war viel zu lange in den Fängen des VM, als dass es spurlos an ihm hätte vorübergehen können.« Er fuhr sich mit den Fingern durch das hellbraune Haar. »Aber so etwas? Dawson hätte niemals …«

»Getötet.« Ich trat einen Schritt zurück und beobachtete, wie der Wind die Asche über den Schnee blies. »Das VM hat uns beobachtet – tut es vielleicht immer noch, und jetzt hat er einen von ihnen getötet.«

»Auf dein Konto gehen drei von ihnen«, merkte Matthew an.

»Stimmt.« Und es war furchtbar, drei Leben beendet zu haben. Es belastete mich noch immer, dennoch würde ich es wieder tun, wenn es sein müsste. Ich drehte mich in seine Richtung. »Spätestens jetzt haben sie mitbekommen, dass Dawson frei und bei uns ist. Selbst wenn sie mit ihm nichts mehr anfangen konnten, werden sie damit wohl kaum einverstanden sein. Spätestens jetzt wissen sie damit auch, dass wir wissen, dass sie Lux gefangen halten, die Menschen mutiert haben. Warum sind sie nicht längst hier, um sich uns vorzuknöpfen? Das passt doch alles nicht zusammen.«

»Stimmt.« Matthew wandte sich mir zu. »Wir müssen von nun an sehr vorsichtig sein. Mehr als je zuvor.«

»Sie haben nicht mehr die Oberhand«, stellte ich fest und kniff die Augen zusammen, weil der Wind wieder stärker wurde und mir Schnee ins Gesicht blies. »Wir wissen, was sie vorhaben. Das ist schon mal etwas.«

»Stimmt auch.«

Wir kehrten in Kats Haus zurück, wo die anderen waren – Dee und Dawson, aber auch Andrew und Ash. Wieder hier zu sein musste hart für die beiden Thompsons sein. Als ich hereinkam, starrten sie gerade auf die Stelle, wo ihr Bruder gestorben war.

Dawson blickte mit den Händen in den Taschen und der Stirn gegen die Scheibe gepresst aus dem Fenster, an dem zuvor der Weihnachtsbaum gestanden hatte. Er sah verloren aus, und es brachte mich fast um, nichts dagegen tun zu können. Dee hockte auf der Lehne der Couch und ließ Dawson nicht eine Sekunde aus den Augen.

Matthew hatte alles mitgebracht, was wir für die zerbrochene Scheibe in Kats Zimmer brauchten – eine Plane, Hammer und Nägel. Wir machten uns an die Reparatur. Das Ergebnis war alles andere als perfekt, aber für den Moment besser als nichts.

Als wir wieder unten waren, setzte ich mich zu Kat. Sie rückte näher an mich heran, kuschelte sich an mich und ich legte einen Arm um ihre Schulter. Sie schien zu frösteln, obwohl sie gar nicht draußen in der Kälte gewesen war. Mit der freien Hand zog ich an den Bändern ihres Kapuzenpullis. »Alles erledigt.«

»Danke«, flüsterte sie und legte den Kopf an meine Schulter.

Mein Blick ging zu Dawson. »Hat jemand ein Fahrzeug gefunden?«

»An der Zufahrtsstraße stand ein Ford Expedition«, antwortete Andrew. »Ich habe ihn abgefackelt.«

Matthew saß auf der Lehne des Fernsehsessels und sah aus, als bräuchte er dringend einen ordentlichen Drink. »Gut, auch wenn es natürlich nicht gut ist.«

»Ach nein?«, fauchte Ash. Ich sah zu ihr und schaute dann gleich noch einmal genauer hin. Ihr Haar war fettig und hing strähnig um ihr blasses Gesicht. Bekleidet war sie mit einer Jogginghose, was ich bei ihr noch nie erlebt hatte. Sie war sonst immer perfekt gestylt mit Minirock oder Super-Skinny-Jeans. »Noch ein toter VM-Beamter? Wie viele sind es jetzt? Zwei?«

Von den anderen beiden wusste sie offensichtlich nichts.

Sie klemmte sich das Haar hinters Ohr. »Sie werden sich fragen, wo die Leute abgeblieben sind. So jemand verschwindet doch nicht einfach.«

»Es verschwinden immer wieder Leute«, entgegnete Dawson leise, ohne sich umzudrehen. Es war, als würden seine Worte der Luft Sauerstoff entziehen, denn er hatte recht.

Ashs leuchtend blaue Augen schossen in seine Richtung. Sie öffnete den Mund, schloss ihn dann aber gleich wieder, presste die Lippen aufeinander und schüttelte langsam den Kopf.

»Was ist mit der Kamera?«, erkundigte sich Matthew.

Kat rückte vor, um den geschmolzenen Apparat aufzuheben. »Vielleicht waren mal Bilder darauf, aber jetzt sicher nicht mehr.«

Dawson drehte sich um. »Er hat dieses Haus beobachtet.«

»Das wissen wir«, sagte ich und rutschte vor, sodass ich wieder mit Kat auf einer Höhe war.

Dawson neigte den Kopf zur Seite. »Wen interessiert, was auf der Kamera war? Sie haben dich beobachtet – sie. Uns alle.«

Kat erschauderte.

»Aber beim nächsten Mal sollten wir irgendwie … ach, ich weiß auch nicht, uns erst besprechen, bevor Leute durchs Fenster geschleudert werden.« Ich verschränkte die Arme. »Können wir das bitte versuchen?«

»Und Mörder einfach laufen lassen?«, fragte Dee mit bebender Stimme und wütend funkelnden Augen. »Denn genau das sollte anscheinend passieren. Der Typ hätte einen von uns umbringen können und du hättest ihn einfach laufen lassen.«

»Dee«, begann ich, während ich mich erhob und zu ihr ging. »Ich weiß –«

»Verschon mich mit deinem ›Dee, ich weiß‹.« Ihre Unterlippe zitterte. »Du hast Blake laufen lassen.« Ihr Blick ging zu Kat. »Ihr beide habt Blake laufen lassen.«

Kopfschüttelnd ließ ich die Arme sinken. »Dee, in dieser Nacht waren schon genug Leute gestorben. Es hat genug Tote gegeben.«

Sie wich zurück und umschlang schweigend ihre Taille. Statt Dee ergriff nun Ash das Wort, und was sie sagte, war mehr als überraschend. »Adam hätte es nicht gewollt. Noch mehr Tote. Er war echt ein Pazifist.«

»Schade, dass wir ihn nicht fragen können, wie er dazu steht, stimmt’s?« Dee setzte sich aufrechter hin. »Er ist nämlich tot.«

»Ihr habt Blake nicht nur laufen lassen, ihr habt uns auch angelogen. Von ihr erwarte ich keine Loyalität«, ereiferte sich Andrew und zeigte auf Kat. »Von dir aber schon, Daemon. Doch du hast uns nichts gesagt. Und Adam ist gestorben.«

Kat stand auf. »Daemon ist nicht schuld an Adams Tod. Schieb ihm das nicht in die Schuhe.«

Ich versuchte zu vermitteln. »Kat –«

»Wessen Schuld ist es dann?«, schnitt Dee mir das Wort ab. »Deine?«

Kat musste schlucken, sah Dee dann aber in die Augen und sagte: »Ja.«

Shit.

Matthew ging dazwischen. »Okay, Leute, es reicht. Streiten und sich gegenseitig die Schuld zuweisen hilft niemandem weiter.«

»Aber man fühlt sich besser danach«, murmelte Ash und schloss die Augen.

Kat senkte den Blick und setzte sich wieder, dieses Mal auf die Kante des niedrigen Tisches vor der Couch. Nachdem sie einige Male schnell geblinzelt hatte, umfasste sie mit den Händen ihre Knie und drückte sie, bis ihre Fingerknöchel weiß wurden.

»Wir müssen jetzt zusammenhalten«, fuhr Matthew fort. »Wir alle, denn wir haben bereits zu viel verloren.«

Niemand sagte etwas, und ich dachte, die Wahrscheinlichkeit, dass alle zusammenhalten würden, lag irgendwo zwischen nicht existent und unmöglich.

Dann platzte Dawson plötzlich in die Stille: »Ich mache mich auf die Suche nach Beth.«

Einen Moment lang starrten wir ihn nur perplex an, bevor alle anfingen durcheinanderzureden. Nur Kat schwieg. »Auf keinen Fall, Dawson. Niemals«, sagte ich lauter als die anderen und ging auf ihn zu.

»Das ist viel zu gefährlich.« Dee hatte sich ebenfalls erhoben und presste die Hände zusammen, als würde sie ihn anflehen. »Dann schnappen sie dich wieder und das würde ich nicht überleben. Nicht noch einmal.«

Dawsons Mundwinkel hoben sich kaum merklich. »Ich muss sie da rausholen. Tut mir leid.«

»Der ist nicht ganz dicht«, murmelte Ash ungläubig.

Dawson zuckte mit den Schultern und Matthew beugte sich vor. »Dawson, ich weiß, wir alle wissen, dass Beth dir viel bedeutet, aber du kannst sie da nicht rausholen. Nicht, solange wir nicht wissen, woran wir sind.«

Dawsons dunkelgrüne Augen blitzten auf. Es war die erste Gefühlsregung, die ich bei Dawson erlebte, und es war unbändige, maßlose Wut. »Ich weiß, woran ich bin. Und ich weiß, was sie ihr antun.«

Ich konnte kaum glauben, was ich da hörte. Langsam bewegte ich mich weiter auf ihn zu, bevor ich schließlich vor ihm stehen blieb. Wenn es sein musste, würde ich dort für immer ausharren, wenn er nur nicht abhaute. »Das kann ich nicht zulassen. Ich weiß, dass du es nicht hören willst, aber niemals.«

Dawson blieb stur. »Das hast du aber nicht zu entscheiden. Du hattest noch nie über mich zu entscheiden.«

»Ich will dich nicht kontrollieren, Dawson. Darum geht es mir nicht, aber du bist gerade erst direkt aus der Hölle entkommen. Wir haben dich gerade erst wiederbekommen.«

»Ich bin noch immer in der Hölle«, antwortete er und sah mir direkt in die Augen. Da. In seinem Blick war etwas, das ich von dem Dawson kannte, der damals ins Kino gegangen und nicht mehr zurückgekehrt war. »Und wenn du mir in die Quere kommst, ziehe ich dich mit hinein.«

Und schon war der alte Dawson wieder verschwunden.

»Dawson …«

Eine Windböe fegte durchs Wohnzimmer, fuhr in die Vorhänge und blätterte alle Bücher und Zeitschriften im Raum auf. Plötzlich war Kat neben mir und legte ihre Hand auf meinen Arm.

»Okay«, sagte sie. »Das ist mir hier gerade ein bisschen zu viel Alien-Testosteron, und ich habe echt keine Lust auf so ein außerirdisches Gerangel in meinem Haus, nachdem ich gerade mit einem zerstörten Fenster und einer Leiche klarkommen musste. Wenn ihr also nicht sofort aufhört, trete ich euch beide in den Arsch.«

Verdutzt sah ich sie an und stellte fest, dass ich nicht der Einzige war.

»Was ist?«, fragte sie und wurde rot.

Ich musste grinsen. »Krieg dich ein, Kätzchen, sonst muss ich dir noch eine Garnrolle zum Spielen holen.«

Sie warf mir einen strafenden Blick zu. »Lass mich in Ruhe, du Knallkopf.«

Ich grinste wieder, wandte mich dann aber Dawson zu, dessen Gesichtsausdruck sich zu meinem Erstaunen verändert hatte. Seine Mundwinkel zuckten. Amüsiert. Er beobachtete Kat fast vergnügt, und ja … ich hatte auf einmal einen Kloß im Hals.

Dawsons Blick wanderte von ihr zu mir, und sofort verschwand die Gefühlsregung aus seinem Gesicht und sein Blick wurde ausdruckslos. Er war wieder so undurchdringlich wie Packeis. Dann drehte er sich um und marschierte aus dem Raum. Die Tür schlug hinter ihm zu.

Und in dem Moment wusste ich, dass sich Dawson nicht einfach verändert hatte. Er war … wie ich geworden, und so wie ich würde auch er alles tun, um Bethany zurückzubekommen.

Er würde uns alle aufs Spiel setzen.

Dawson hockte allein oben in seinem Zimmer, weil er es so wollte. Immerhin streunte er nicht draußen in der Kälte herum, was schon mal gut war.

Verdammt. Wenn das schon gut war, musste es ganz schön schlecht um uns bestellt sein …

Mir war der Appetit vergangen und ich schob den Teller mit den Resten meines Putensandwiches von mir fort.

Dee hatte ihr Sandwich kaum angerührt, und dass Dawsons Teller noch genau so auf seinem Schreibtisch stehen würde, wie ich ihn dort hingestellt hatte, wusste ich, ohne nachzusehen.

Dee setzte sich zurück und hob den Blick. »Kat … sie hat versucht mit mir zu reden, bevor ich vorhin gegangen bin.«

Mein Magen zog sich zusammen.

»Aber ich bin noch nicht so weit«, fuhr sie fort und zerpflückte eine Ecke ihres Sandwichs. »Und ich bin mir nicht sicher, ob ich es jemals sein werde.«

»Doch, das wirst du.«

Langsam schüttelte Dee den Kopf. »Ich weiß nicht, Daemon.«

Ich stützte die Ellbogen auf dem Tisch auf. »Mir hast du doch auch verziehen, oder?«

Ihr Mund wurde zu einer dünnen geraden Linie, und ich fürchtete, dass diese Feststellung vielleicht nicht besonders clever gewesen war. »Nein, ich habe dir nicht verziehen, nur dass du es ein für alle Mal weißt. Du hast mich angelogen und Blake laufen lassen.«

Auf diese Sache mit Blake sollte ich besser nicht eingehen. »Aber immerhin redest du wieder mit mir.«

»Du bist mein Bruder. Ich muss mit dir reden.« Sie rollte die Augen und fügte mit vor der Brust verschränkten Armen hinzu. »Und du hast Adam nicht getötet.«

»Kat auch nicht.«

Ihre Lippen wurden noch schmaler. »Wenn sie –«

»Kat hat es nicht gewollt und das weißt du genau, Dee. Glaubst du, sie fühlt sich nicht schuldig?« Ich war so sauer, dass das Putensandwich einen entsprechenden Nachgeschmack bekam. »Glaubst du, sie leidet nicht darunter? Sie hat dir nicht die Wahrheit gesagt, weil sie dich nicht in diese Angelegenheit reinziehen wollte. Sie hat versucht zu verhindern, dass ihr ins Haus kommt. Ihr habt beide beschlossen es dennoch zu tun, und du weißt genau, wenn Adam noch da wäre, würde er noch einmal genauso handeln.« Ich hielt inne, weil Dee sich abwandte, konnte mir aber nicht verkneifen: »Und du auch.«

Ich schob den Stuhl zurück, erhob mich und griff nach unseren Tellern. »Wir sollten gerade jetzt an einem Strang ziehen. Wir müssen zusammenhalten, weil wir nicht wissen, was als Nächstes passiert, aber irgendetwas wird passieren.«

Nachdem ich die Essensreste im Müll versenkt und die Teller in die Spüle gestellt hatte, marschierte ich aus dem Raum, blieb aber direkt vor der Tür noch einmal stehen. »Ich bin bald wieder da.«

Mit anderen Worten, bleib hier und behalte Dawson im Auge.

Als ich in die frostige, nach Schnee riechende Luft hinaustrat, weil ich das Gefühl hatte, patrouillieren zu müssen, nahm ich ein warmes Prickeln im Nacken wahr. Sofort blieb ich stehen und blickte nach nebenan … Vielleicht stockte mir sogar kurz der Atem.

Vor Kats Haus stand ein Schneemann, der vorhin, als ich von ihr gegangen war, noch nicht dort gewesen war. Es war ein schiefer Schneemann, ohne Arme oder Gesicht. Aber daneben hockte Kat mit dem Rücken zu mir im Schnee.

Unwillkürlich musste ich lächeln und die Wut war wie weggewischt. Während ich die Verandastufen hinabstieg, hielt ich den Blick auf die langen Eiszapfen gerichtet, die vom Dach hingen. Schnell lief ich dann zu ihr hinüber und meine Schritte wurden vom dicken Schnee gedämpft. Kat schien mich nicht zu bemerken, was angesichts unserer Verbindung erstaunlich war.

»Kätzchen, was tust du da?«

Sie fuhr ein wenig zusammen und drehte sich um. »Ich habe einen Schneemann gebaut.«

Ich betrachtete ihn. »Aha. Ihm fehlt aber was.«

»Stimmt«, gab sie verdrossen zu.

Mir verging das Lächeln. »Das ist aber keine Erklärung dafür, warum du im Schnee hockst. Deine Hose ist bestimmt total durchnässt.« Nachdem ich einen Moment lang darüber nachgedacht hatte, was das bedeutete, musste ich jedoch wieder grinsen. »Warte mal. Das dürfte mir allerdings einen besseren Blick auf deinen Hintern verschaffen.«

Kat lachte.

Ich liebte es, sie lachen zu hören, und ließ mich neben sie in den Schnee fallen. Ich setzte mich in den Schneidersitz, und eine Weile schwiegen wir beide, bevor ich sie schließlich mit der Schulter anstieß. »Jetzt mal ehrlich, was tust du hier draußen?«

»Was ist mit Dawson? Ist er schon abgehauen?«

Es war klar wie Kloßbrühe, dass sie meinen Fragen auswich, aber ich ließ es durchgehen. Für den Moment. »Noch nicht, weil ich ihm heute wie ein Babysitter auf Schritt und Tritt gefolgt bin. Ich habe schon überlegt, ob ich ihm nicht ein Glöckchen umhängen sollte.«

Sie lachte leise. »Ich bezweifele, dass er das gut fände.«

»Das ist mir egal.« Ich fürchte, ich klang schon wieder leicht gereizt. »Abhauen, um Beth zu suchen, das kann nicht gut enden. Das wissen wir alle.«

»Daemon, hast du …«

Ich wartete. »Was?«

»Warum sind sie nicht gekommen, um Dawson zu suchen? Sie müssen doch wissen, dass er hier ist. Es wäre der erste Ort, an den er zurückkehren würde. Und sie haben uns offensichtlich beschattet.« Sie deutete auf unser Haus. »Warum haben sie ihn nicht geholt? Uns nicht geholt?«

Ich betrachtete den schiefen, unvollständigen Schneemann. »Ich weiß es nicht, aber ich habe eine Vermutung.«

»Was denn für eine Vermutung?«

»Willst du sie wirklich hören?«

Kat nickte.

»Ich glaube, das VM wusste von Wills Plänen. Sie wussten, dass er für Dawsons Befreiung sorgen würde.« Ich hielt inne, um meine Worte wirken zu lassen. »Und sie ließen es zu.«

Kurz holte sie Luft und griff sich eine Handvoll Schnee. »Das glaube ich auch.«

Ich sah sie an. »Die Frage ist nur, warum.«

»Es kann nichts Gutes bedeuten.« Sie ließ den Schnee durch ihre behandschuhten Finger gleiten. »Das ist eine Falle. Mit Sicherheit.«

»Wir werden bereit sein«, erwiderte ich. Wir hatten auch keine Wahl. »Keine Sorge, Kat.«

»Ich mache mir keine Sorgen«, antwortete sie, aber wir beide wussten, dass es nicht stimmte. »Irgendwie müssen wir ihnen immer einen Schritt voraus sein.«

»Stimmt.« Ich streckte die Beine aus, obwohl der Schnee nass und kalt war. »Weißt du, warum wir den Menschen nicht auffallen?«

»Indem ihr sie erst in Wut versetzt und euch dann rarmacht?« Sie grinste mich frech an.

»Ha. Ha. Nein. Wir verstellen uns. Die ganze Zeit tun wir so, als wären wir nicht anders, als wäre nichts geschehen.«

»Ich kann dir nicht folgen.«

Ich legte mich rücklings in den Schnee. »Wenn wir so tun, als wären wir nicht misstrauisch, warum Dawson entlassen wurde, und als hätten wir keinen Schimmer, dass sie von unseren Fähigkeiten wissen, dann gewinnen wir vielleicht Zeit, um herauszufinden, was sie vorhaben.«

Sie beobachtete lächelnd, wie ich die Arme seitlich ausstreckte. »Glaubst du, dass sie dann irgendwann einen Fehler machen?«

»Keine Ahnung. Ich würde kein Geld darauf setzen, aber es verschafft uns einen gewissen Vorteil. Das ist das Beste, was wir momentan erreichen können.«

Unsere Blicke trafen sich, während ich grinsend begann Arme und Beine gleichzeitig im Schnee auf und ab zu bewegen. Kat verschluckte sich an ihrem Lachen.

»Mach du auch mal«, drängte ich und schloss die Augen. »Das lässt die Dinge ganz anders aussehen.«

Einen Moment lang geschah nichts, doch dann merkte ich, dass sie sich neben mich legte. »Ich habe Daedalus gegoogelt.«

»Ach ja?« Ich konzentrierte mich weiter darauf, den heißesten Schneeengel aller Zeiten in den Schnee zu pflügen. »Und was hast du rausgefunden?«

»Na ja, eine ›Willkommen bei der topsecret staatlichen Organisation Daedalus‹-Website gab’s nicht.«

»Überraschung …«

Sie schlug mit der Hand nach mir. »Wusstest du, dass Daedalus was mit der griechischen Mythologie zu tun hat? Er war der Typ, der das Labyrinth schuf, in dem Minotaurus gelebt hat, und er war der Vater von Ikarus. Du weißt schon, der mit seinen Flügeln zu nah an die Sonne geflogen ist – und diese Flügel hatte Daedalus gebastelt.«

»Hmm.«

»Der Legende nach war es eine Bestrafung der Götter, weil Ikarus beim Fliegen zu übermütig geworden war. Sie haben dafür gesorgt, dass die Flügel schmolzen und er vom Himmel fiel und ertrank – ja, so waren die griechischen Götter halt drauf. Dass Daedalus etwas geschaffen hatte, das Sterblichen gottähnliche Fähigkeiten wie Fliegen verlieh, gefiel ihnen gar nicht.«

»Ich kann sozusagen auch fliegen«, sagte ich und grinste, als sie verächtlich schnaubte. »Was? Ich bin so schnell, dass ich den Boden gar nicht mehr berühre.«

»Und so arrogant, dass es mich zum nächsten Punkt bringt«, konterte sie, was ich mit einem schiefen Lächeln kommentierte. »Daedalus erschuf nämlich Dinge, die den Menschen leistungsfähiger machten. Er tat dies um jeden Preis, genau wie der Staat – genau wie Daedalus heute. Sie haben sich nach einem griechischen Mythos benannt, in dem es um einen Mann ging, der anderen gottgleiche Fähigkeiten verlieh. Das tut auch Daedalus. Sie haben den Namen ganz bewusst gewählt.«

»Würde mich nicht wundern – zu viel Ego im Spiel.«

»Das sagt der Richtige.«

»Ha, ha, wie witzig.«

Kat grinste und zog ihre Arme und Beine noch einmal durch den Schnee. »Inwiefern soll das die Dinge übrigens anders aussehen lassen?«

Ich lachte in mich hinein. »Warte noch ein bisschen.« Schließlich hörte ich auf mich zu bewegen und hielt ihr beim Aufstehen meine Hand hin, um sie mit hochzuziehen. Ich klopfte ihr den Schnee erst vom Rücken und dann vom Hintern, wobei ich Letzteren besonders gewissenhaft bearbeitete.

Danach betrachteten wir unsere Schneeengel. Ihrer war winzig klein im Vergleich zu meinem und oben auf eine äußerst interessante Weise üppiger. Kat schlang die Arme um ihren Körper. »Und jetzt warten wir auf die Erleuchtung, oder was?«

»Die wird nicht kommen.« Ich zog sie an mich und drückte ihr einen Kuss auf die kühle Wange. »Aber es hat Spaß gemacht, oder? So …« Ich drehte sie zu dem Schneemann. »Und jetzt lass uns den fertig bauen. So kann er nicht bleiben. Jedenfalls nicht, wenn ich in der Nähe bin.«

Kapitel 3

Nachdem der Schneepflug unterwegs gewesen und ein Weg durch den Ort freigeschoben war, hatte Matthew den Glaser vorbeigeschickt. Nur wenige Minuten bevor Kats Mom am Freitag aus Winchester nach Hause kam, war das neue Fenster fertig eingebaut worden.

Da Ms Swartz ihre Tochter seit Tagen nicht gesehen hatte, verschwand ich unauffällig durch die Hintertür, damit sie Zeit für sich hatten. Das Timing war gut, denn meine Familie brauchte mich ebenfalls. Ich musste Dawson im Auge behalten und sicherstellen, dass er sich nicht schnappen ließ.

Als er das Haus zu Fuß verließ, folgte ich ihm. Auf dem Weg durch den Wald in die Stadt versuchte er mehrmals mich abzuhängen. Danach streunte er stundenlang durch Stadt und Umland.

Stun-den-lang.

Natürlich tat er es nicht ohne Grund. Er lief Patrouille. Allerdings suchte er nicht nach Arum. Nein, er hielt nach einem Zeichen von Beth Ausschau. Vielleicht sogar vom VM. Zwischenzeitlich befand er sich ziemlich dicht an dem Gebäude, in dem er festgehalten worden war, trat dann aber den Rückzug an. Ich hatte das Gefühl, wenn ich nicht direkt hinter ihm gewesen wäre, hätte er anders gehandelt.

Als Dawson endlich einmal länger als eine Minute stehen blieb, ging die Sonne bereits hinter den Seneca Rocks unter. Wir befanden uns einige Kilometer von der Kolonie entfernt mitten im Wald. Uns trennte nicht mehr als ein umgefallener Baumstamm, und doch war es, als wären wir meilenweit voneinander entfernt.

»Ich werde nicht aufhören nach ihr zu suchen«, sagte Dawson angespannt.

Nachdem er gestern zum ersten Mal wieder mit mir geredet hatte, war ich regelrecht schockiert, dass er mich so direkt ansprach. So sehr, dass ich plötzlich jeder Fähigkeit beraubt war, auch nur ein vollständiges Wort über die Lippen zu bringen.

»Wenn es um Katy ginge, würdest du genauso handeln. Das weiß ich.« Dawson legte den Kopf in den Nacken und sein struppiges Haar berührte den Kragen seines Pullis. »Aber von mir erwartest du, dass ich Beth einfach vergesse, was? Und was soll ich deiner Meinung nach tun? Einfach weitermachen?«

Ich schüttelte den Kopf. »Ich erwarte doch gar nicht, dass du sie vergisst.«

»Ja, sicher.« Langsam wandte er mir sein ausgemergeltes Gesicht zu und sah mich mit seinem gehetzten Blick schweigend an. »Katy war in einem Käfig eingesperrt, oder?«

Ich ballte die Hände zu Fäusten. »Ja.«

»Ein paar Stunden nur. Aber ihre Stimme … sie klingt seitdem anders, und du weißt, warum.«

Ja, das wusste ich. Niemals würde ich vergessen, warum ihre Stimme so rau und brüchig war. Es waren die Schmerzensschreie, die das verursacht hatten. Ich biss die Zähne so fest aufeinander, dass ich fürchtete, sie würden zerspringen.

»Ich war nicht …« Er schluckte. »Wochen. Vielleicht sogar Monate. So lange haben sie mich im Käfig gehalten, mit Onyx an den Hand- und Fußgelenken.«

»Scheiße«, presste ich zwischen den Zähnen hervor und hätte am liebsten jeden einzelnen VM-Beamten in Stücke gerissen.

Dawsons Pupillen glühten weiß. »Mit Beth haben sie das Gleiche gemacht. Mit anderen auch. Vielleicht machen sie es jetzt gerade mit ihr.«

Bei dem Gedanken daran wurde mir schlecht. »Ich verlange nicht, dass du sie oder was sie ihr angetan haben vergisst. Ich will nur, dass du dich schlau verhältst.«

»Würdest du dich schlau verhalten, wenn es um Katy ginge?«, konterte er.

Zorn kochte in mir hoch. »Hör auf, sie dauernd ins Spiel zu bringen, Dawson. Ich verstehe auch so, was du sagen willst.«

Er lachte zynisch.

Ich versuchte den in mir brodelnden Zorn im Zaum zu halten. »Was … was haben sie dir da drinnen angetan, Dawson?«

Er sah mir in die Augen. »Was sie mir nicht angetan haben, meinst du wohl.«

Nach diesem Schocker schwieg er. Was hatten sie ihm nicht angetan? Schreckliche Bilder quälten mich auf dem Rückweg.

Zu Hause angekommen ging Dawson direkt in sein Zimmer, ohne auch nur ein Wort mit Dee oder Andrew zu sprechen. »Was hat er heute getan?«, fragte Dee mich stattdessen sofort besorgt.

»Eigentlich nichts«, antwortete ich und betrat die Küche. »Außer nach Bethany zu suchen. Sonst nichts.« Das Wort »noch« hing unausgesprochen zwischen uns. Ich erblickte mein Handy auf der Arbeitsplatte. Es lag neben dem Teller, den ich am Morgen benutzt hatte. Ich nahm es in die Hand und tippte auf das Display. Kat hatte mir eine Nachricht geschrieben. Schnell steckte ich das Handy ein und drehte mich um. »Kannst du dafür sorgen, dass er heute Abend etwas isst?«

Dee nickte. »Ich kann es versuchen.«

Auf dem Weg nach draußen begegnete ich Andrew. Grußlos gingen wir aneinander vorbei. Nebenan in der Einfahrt stand der kleine Prius hinter Kats Camry. Ihre Mom war also noch zu Hause. Das hielt mich nicht davon ab, die Verandastufen hinaufzulaufen und zu klopfen.

Es dauerte nicht lange und die Tür flog auf. Kat warf sich mir mit so viel Schwung in den Arm, dass ich beim Auffangen einen Schritt zurück machen musste. Ich lachte laut ob dieser überschwänglichen Begrüßung, während sie mich fest umschlungen hielt.

»Kätzchen«, raunte ich. »Weißt du, wie sehr ich es mag, wenn du mich so begrüßt?«

Da sie den Kopf in der Kuhle zwischen meinem Hals und meiner Schulter vergraben hatte, verstand ich kein Wort von dem, was sie darauf antwortete. Ich hob sie hoch, bis sie keinen Boden mehr unter den Füßen hatte. »Du hast dir Sorgen gemacht, stimmt’s?«

»Mm-hmm.« Kat löste sich von mir und schlug mir mit voller Wucht auf die Brust.

»Autsch!« Ich grinste und rieb mir die Stelle, die sie getroffen hatte. »Wofür war das?«

Sie verschränkte die Arme und fragte mit leiser Stimme: »Hast du schon mal etwas von einem Handy gehört?«

Verständnislos sah ich sie an. »Ja, schon, das ist doch dieses kleine Ding mit den coolen Apps –«

»Warum hast du es dann heute nicht bei dir gehabt?«, schnitt sie mir das Wort ab.

Ich beugte mich so weit vor, dass meine Lippen beim Sprechen ihre Wange berührten. »Immer wieder in meine wahre Erscheinungsform zu wechseln bekommt der Elektronik gar nicht gut.«

Es dauerte einen Moment, bis sie antwortete. »Du hättest dich trotzdem zwischendurch mal melden können. Ich dachte …«

»Du dachtest was?«

Sie wich zurück und sah mich strafend an. Ich wusste, warum sie besorgt gewesen war, und fand es schrecklich, dass sie sich auch nur eine Minute meinetwegen Gedanken gemacht hatte. Ich legte die Hände an ihre Wangen und küsste sie zärtlich. »Kätzchen, mir wird nichts passieren. Ich bin der Letzte, um den du dir Sorgen machen musst.«

Sie schloss die Augen. »Das ist wahrscheinlich das Dümmste, das du je gesagt hast.«

»Echt? Ich sage viele dumme Sachen.«

»Genau. Das will also was heißen.« Sie strich mir über die Brust. »Ich will nicht eine von diesen besitzergreifenden Freundinnen sein, aber bei uns … bei uns ist es etwas anderes.«

Da war etwas dran. Sehr viel sogar. »Du hast recht.«

Verblüfft sah sie mich an. »Hä?«

»Du hast recht. Ich hätte mich bei dir melden sollen. Es tut mir leid.«

Jetzt war es schiere Fassungslosigkeit, die sich auf ihrem hübschen Gesicht breitmachte. Mit herabfallender Kinnlade und allem Zipp und Zapp. O Mann, war sie süß.

»Du bist sprachlos.« Ich grinste. »So mag ich dich. Aber so kratzbürstig wie eben mag ich dich auch. Willst du mich nicht noch mal schlagen?«

Sie lachte. »Du bist ein –«

Die Tür hinter ihr öffnete sich und ihre Mom stand dort und räusperte sich. »Ich weiß ja nicht, was ihr beiden immer mit der Veranda habt, aber kommt doch schnell rein, es ist eiskalt draußen.«

Kat wurde feuerrot, deshalb ließ ich sie lieber los und machte mich auf den Weg ins Haus. »Waren Sie beim Friseur, Ms Swartz?«

Ihre Mom griff sich kurz ins Haar. »Ja, vor ungefähr einer Woche.«

»Sieht super aus«, sagte ich, und als Kat mich skeptisch ansah, lächelte ich. »Und so kommen Ihre schönen Ohrringe viel besser zur Geltung.«

Kats Mom wurde genauso rot wie ihre Tochter. »Danke.«

Ich plauderte weiter mit Ms Swartz und Kat rollte eine Million und drei Mal mit den Augen, bevor sie schließlich nach meinem Arm griff und mich in Richtung der Stufen zog. »Okay, das war sehr nett …«

Ms Swartz verschränkte die Arme. »Katy, was haben wir wegen deines Zimmers besprochen?«

Ich senkte den Kopf, um mein Grinsen zu verbergen, während Kat noch dunkelroter wurde. »Mom …« Wieder zog sie mich am Arm.

Ms Swartz hob die Augenbrauen.

Kat seufzte. »Mom, wir werden sicher keinen Sex haben, wenn du im Haus bist.«

»Wie gut zu wissen, dass ihr nur Sex habt, wenn ich nicht zu Hause bin.«

Ich hüstelte, weil sich das Grinsen nicht mehr anders vertuschen ließ. »Wir können auch –« Mit dem Blick, den Kat mir zuwarf, gab sie mir zu verstehen, dass wir wahrscheinlich nie Sex haben würden, wenn ich jetzt weitersprach. Also schwieg ich lieber.

»Mo-om.«

»Aber lasst die Tür offen«, lenkte sie schließlich ein.

Kat strahlte. »Danke!« Dann zerrte sie mich fast die Stufen hinauf und schob mich kopfschüttelnd in ihr Zimmer. »Du bist schrecklich.«

»Und du bist ungezogen«, gab ich grinsend zurück. »Ich dachte, sie hätte gesagt, die Tür solle offen bleiben.«

»Ist sie doch.« Sie deutete hinter sich. »Sie steht einen Spaltbreit auf.«