Odyssee - Stephen Fry - E-Book

Odyssee E-Book

Stephen Fry

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Beschreibung

Der krönende Abschluss der Mythos-Tetralogie: Die berühmteste Heldengeschichte aller Zeiten.

Troja ist gefallen. Nach zehn Jahren Krieg lockt für die Griechen endlich die Heimat. Während Agamemnon zu Hause die Rache Klytaimnestras erwartet, ist Odysseus dazu verdammt, über die Meere zu irren. Dabei muss er sich einäugigen Riesen, verführerischen Nymphen, schrecklichen Seeungeheuern und tosenden Stürmen stellen, um nach Ithaka zu seiner klugen Frau Penelope zurückzukehren.

In einer grandios unterhaltsamen Neuerzählung des Homer’schen Epos lädt uns der Erfolgsautor Stephen Fry dazu ein, die faszinierende Welt der griechischen Mythen, Götter und Helden neu zu entdecken. Fast wünscht man sich dabei, diese Irrfahrt würde nie enden.

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Seitenzahl: 451

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Über das Buch

Brichst du auf nach Ithaka, / so wünsch dir eine lange Reise, / voller Abenteuer, voller Erkenntnisse.

Als das große, goldene Troja in Schutt und Asche liegt und die siegreichen Griechen ihre Schiffe mit Beutestücken aus der gefallenen Stadt beladen, hat es niemand so eilig nach Hause zu kommen wie Odysseus von Ithaka. – Mastermind hinter dem hölzernen Pferd, das dem eine Dekade währenden Krieg ein Ende setzte. Doch während die gesamte griechische Armee schon bald wieder zu Heim und Herd zurückkehrt, haben die Götter, das Schicksal, Odysseus’ Männer und manchmal auch der Held selbst andere Pläne.

Zugänglich und mit viel Verve erzählt Stephen Fry von den Abenteuern und Begegnungen, die auf Odysseus warten: Eine spektakuläre Reise von Kalypsos Insel bis in die Unterwelt, zu fremden Ufern und neuen Häfen, zu Laistrygonen, Lotusessern, Sirenen und sturmbringenden Göttern. Und schließlich … nach Hause.

Über Stephen Fry

Sir Stephen Fry ist Schriftsteller, Schauspieler, Moderator, Kolumnist, Regisseur. Bekannt für seinen exzentrischen Charakter, seine krumme Nase und seinen britischen Humor at its best, sind auch seine einzigartigen Mythen-Erzählungen ganz dem Ritterstand würdig. »Mythos« (2018) wurde zum SPIEGEL-Bestseller, der Nachfolger »Helden« zum Historischen Buch des Jahres 2021 gekürt. 2022 folgte »Troja«.

Matthias Frings, 1953 in Aachen geboren, war Journalist und Fernsehmoderator und lebt als Schriftsteller in Berlin. Er studierte Anglistik, Germanistik und Linguistik und übersetzt für die Aufbau Verlage u. a. Stephen Fry, Kate White sowie David MacNeil ins Deutsche.

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Stephen Fry

Odyssee

Von Abenteuern, Irrfahrten und Heimkehr

Aus dem Englischen von Matthias Frings

Übersicht

Cover

Titel

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Titelinformationen

Informationen zum Buch

Newsletter

Widmung

Zitat

ITHAKA

IΘAKH

Einführung

Das Zeitalter der Götter

Das Zeitalter der Helden

Das Zeitalter der Menschen

Das Urteil des Paris

Das hölzerne Pferd

Stürme

Die Götter blicken hinab

Die Flotten

Die Insel der Winde

Karthago

Theo und Deo

Landfall

Eine göttliche Bitte

In Karthago

Die Jagd

Der König der Männer

Heimwärts!

Mutter und Sohn

Das Bett aus Olivenholz

Mentes fängt einen Apfel

Pylos

Sparta

Helena und Menelaos

Die See spricht

Olympische Spiele

Auf Kalypsos Insel

Die Botschaft

Der Abschied

Der Zorn des Poseidon

Die weiße Göttin

Die verfluchten Kinder

Fokus auf Phokis

Rückkehr nach Mykene

Rache

Die Götter beratschlagen sich

Die Erinnyen

Der Prozess

Das Götterbild

Nach Tauris

Odysseus: »Ein Mann, der zu viel Ungemach gesehen hat«

Der Fremde am Ufer

Das Land der Lotusesser

Die Zyklopen

Die Höhle

Einäugig

Flucht

Die Winde

Kirke

Aiaia

Die Unterwelt

Rückkehr nach Aiaia

Die Insel der Sirenen

Skylla und Charybdis

Die Rinder der Sonne

Nach Ithaka

Auf Ithaka

Ein fremdes Ufer

Zum Schweinestall

Telemachos’ Heimkehr

Nun sind sie zu dritt

Medon übertreibt und schnappt etwas auf

Der Bettler

Die Narbe

Philoitios, der Kuhhirte

Penelopes Aufgabe

Der Gewinner

Heimkehr

Weitere Abenteuer

Damals und heute

Die Griechen waren vor uns da

Der Felshügel des Ares

Anhang

Nostos

»E. T. nach Hause telefonieren«

Homer

Abschied von den Göttern

Personenverzeichnis

Unsterbliche

Olympische Götter

Götter Roms

Weitere Unsterbliche

Monster und andere Kreaturen

Sterbliche

Ithaker

Mykener

Weitere Griechen

Trojaner

Andere

Griechische und römische Gottheiten

Danksagung

Bildnachweis

Bildteil

Erläuterungen

Impressum

Στους Έλληνες, αρχαίους και σύγχρονους

Den Griechen, des Altertums wie der Neuzeit

Home is the sailor, home from sea, And the hunter home from the hill.[1] 

Robert Louis Stevenson, »Requiem«

ITHAKA

Brichst du auf nach Ithaka,

so wünsch dir eine lange Reise,

voller Abenteuer, voller Erkenntnisse.

Die Laistrygonen und Zyklopen,

den wütenden Poseidon fürchte nicht,

Dergleichen wirst auf deinem Weg du nicht finden,

wenn hochgesinnt dein Denken, wenn

edle Rührung deinen Geist und Körper ergreift.

Den Laistrygonen und Zyklopen,

dem wütenden Poseidon wirst du nicht begegnen,

wenn du sie nicht in deiner Seele trägst,

wenn deine Seele sie nicht vor dir aufbaut.

Wünsch dir eine lange Fahrt.

Zahlreich mögen die Sommermorgen sein,

da du mit welcher Freude, welcher Begeisterung

in nie gesehene Häfen einläufst;

mach Halt bei phönizischen Faktoreien

und erwirb ihre feinen Waren,

Perlmutt und Korallen, Bernstein und Ebenholz,

und erregende Düfte aller Art,

reichlich erregende Düfte, so viel du kannst;

reise in viele ägyptische Städte, damit du lernst,

damit du lernst von den Gelehrten.

Behalte Ithaka immerzu im Sinn.

Dort anzukommen ist dein Ziel.

Doch beeil dich auf der Reise nicht.

Besser, sie währt viele Jahre;

Und alt geworden erreichst du die Insel,

reich an allem, was auf dem Weg du erworben,

hoffe nicht, dass Ithaka dir Reichtum schenke.

Ithaka schenkte dir die schöne Reise.

Ohne Ithaka wärst du nicht aufgebrochen.

Mehr kann es dir nicht schenken.

Und wenn es dir arm vorkommt, Ithaka betrog dich nicht.

So weise, wie du geworden, mit so viel Erfahrung,

wirst du bereits begriffen haben, was Ithakas bedeuten.

Konstantinos P. Kavafis

Aus dem Griechischen von Ulf-Dieter Klemm

IΘAKH

Σα βγεις στον πηγαιμό για την Ιθάκη,

να εύχεσαι νάναι μακρύς ο δρόμος,

γεμάτος περιπέτειες, γεμάτος γνώσεις.

Τους Λαιστρυγόνας και τους Κύκλωπας,

τον θυμωμένο Ποσειδώνα μη φοβάσαι,

τέτοια στον δρόμο σου ποτέ σου δεν θα βρεις,

αν μέν’ η σκέψις σου υψηλή, αν εκλεκτή

συγκίνησις το πνεύμα και το σώμα σου αγγίζει.

Τους Λαιστρυγόνας και τους Κύκλωπας,

τον άγριο Ποσειδώνα δεν θα συναντήσεις,

αν δεν τους κουβανείς μες στην ψυχή σου,

αν η ψυχή σου δεν τους στήνει εμπρός σου.

Να εύχεσαι νάναι μακρύς ο δρόμος.

Πολλά τα καλοκαιρινά πρωιά να είναι

που με τι ευχαρίστησι, με τι χαρά

θα μπαίνεις σε λιμένας πρωτοειδωμένους·

να σταματήσεις σ’ εμπορεία Φοινικικά,

και τες καλές πραγμάτειες ν’ αποκτήσεις,

σεντέφια και κοράλλια, κεχριμπάρια κ’ έβενους,

και ηδονικά μυρωδικά κάθε λογής,

όσο μπορείς πιο άφθονα ηδονικά μυρωδικά·

σε πόλεις Aιγυπτιακές πολλές να πας,

να μάθεις και να μάθεις απ’ τους σπουδασμένους.

Πάντα στον νου σου νάχεις την Ιθάκη.

Το φθάσιμον εκεί είν’ ο προορισμός σου.

Aλλά μη βιάζεις το ταξείδι διόλου.

Καλλίτερα χρόνια πολλά να διαρκέσει·

και γέρος πια ν’ αράξεις στο νησί,

πλούσιος με όσα κέρδισες στον δρόμο,

μη προσδοκώντας πλούτη να σε δώσει η Ιθάκη.

Η Ιθάκη σ’ έδωσε τ’ ωραίο ταξείδι.

Χωρίς αυτήν δεν θάβγαινες στον δρόμο.

Άλλα δεν έχει να σε δώσει πια.

Κι αν πτωχική την βρεις, η Ιθάκη δεν σε γέλασε.

Έτσι σοφός που έγινες, με τόση πείρα,

ήδη θα το κατάλαβες η Ιθάκες τι σημαίνουν.

Einführung

Willkommen zur Odyssee. Dies ist das vierte Buch meiner Reihe, die die griechischen Mythen neu erzählt. Um die Odyssee zu lesen und zu genießen, müssen Sie die drei vorherigen Bücher – Mythos, Helden und Troja – nicht gelesen habe, das kann ich Ihnen versichern. Natürlich hoffe ich, dass Sie sie zur Hand nehmen werden, falls Sie es nicht schon getan haben, aber die Odyssee ist in jeder Hinsicht einzigartig. Dennoch ist es vielleicht hilfreich, noch einmal gemeinsam das Terrain abzuschreiten, bevor das Rennen beginnt, sich mit der Welt vertraut zu machen, die wir betreten haben. Am besten rufen wir uns kurz die drei »Zeitalter« vor Augen, die mit den ersten drei Büchern dieser Reihe korrespondieren.

Das Zeitalter der Götter

Geburt und Aufstieg der Götter bilden den ersten Teil von Mythos. Nach gewaltsamen Umstürzen finden sich zwölf Hauptgottheiten auf dem Olymp ein, um die Welt und ihre unterschiedlichen Bereiche zu beherrschen. Ihr König ist Zeus, der Vater des Himmels. Eine Liste der Hauptgötter mit einer kurzen Beschreibung ihres Charakters und ihrer Verantwortungsbereiche finden Sie am Ende des Buches.

Anfangs ist das Reich am Fuß des Berges nur mit Tieren, Monstern, Nymphen und einigen Nebengöttern bevölkert. Im Lauf der Zeit jedoch erschaffen Zeus und sein Freund, der Titan Prometheus, uns, die Menschen, und es soll nicht lange dauern, bis wir uns über die ganze Welt verbreiten. Zeus und die meisten anderen Bewohner des Olymps können nicht anders, als sich in unsere Angelegenheiten einzumischen, wobei sie häufig das bestrafen, was sie als dreiste Hybris der Sterblichen betrachten. Genauso oft lassen sie sich auf äußerst sinnliche Weise mit Sterblichen ein, die sie hübsch und anziehend finden.

Das Zeitalter der Helden

Viele Kinder, die von einem Gott oder einer Göttin und einer oder einem Sterblichen abstammen, erreichen den Status von Halbgöttern – Perseus, Herakles, Theseus und Iason beispielsweise. Sie sind die Hauptdarsteller in Helden, mutige und oft kapriziöse Persönlichkeiten, die für ihre Bestimmung – Duelle mit furchterregenden Monstern, die die Menschen einschüchtern und bedrohen – gefeiert wurden. Durch ihre Siege über diese Kreaturen wurde die Welt für die Menschen sicherer und stabiler. Zum ersten Mal sah man Städte, Häfen, Handel und Landwirtschaft.

Nach und nach entwickelt sich die menschliche Zivilisation weiter und ihre Beziehungen zu den Unsterblichen beginnen sich subtil zu verändern. Die Menschen beten weiterhin brav und opfern den Göttern, aber mehr und mehr Zeit widmen sie ihren eigenen Angelegenheiten. Zwar greifen die Götter auch weiterhin hin und wieder ein, doch sie werden zunehmend argwöhnischer (oder vielleicht auch nur gelangweilter) bei ihren Einmischungen und Manipulationen.

Das Zeitalter der Menschen

Obwohl der Trojanische Krieg durch Götter ausgelöst wurde und regelmäßig göttlichen Eingriffen und Einmischungen unterliegt, wird er größtenteils von gewöhnlichen Frauen und Männern geführt, ertragen und erlitten. Der Stammbaum von einigen der Hauptfiguren weist göttliches Blut auf – Achilles, Helena, Odysseus und Aeneas zum Beispiel –, und einige Götter haben durchaus ein leidenschaftliches Interesse an dem Konflikt, doch im Grunde ist der Trojanische Krieg Menschenwerk.

Und nun ist er vorüber, und die griechische Flotte mitsamt ihren Königen, Prinzen und Kommandeuren ist begierig darauf heimzukehren.

An diesem Punkt beginnt die Odyssee. Es ist eine ungemein menschliche Geschichte, aber wir werden noch auf reichlich Götter und Monster treffen. Außer Zeus spielen in unserer Geschichte die drei Göttinnen Hera, Aphrodite und Athene eine entscheidende Rolle. Dazu gesellt sich der Götterbote Hermes. Es gibt einen Grund für ihre nachhaltige Einmischung, einen Grund, der seinen Ursprung in einem Ereignis hat, das den gesamten Trojanischen Krieg mitsamt seinen Nachwirkungen ausgelöst hat. Wir wollen uns mit dieser Geschichte noch einmal vertraut machen …

Das Urteil des Paris

Eines folgenreichen Tages führte Hermes vor den Toren Trojas einen jungen Schafhirten namens Paris auf den Berg Ida zu den Göttinnen Hera, Athene und Aphrodite. Paris sollte derjenigen einen goldenen Apfel überreichen, die er für die Schönste hielt. Er wählte Aphrodite, die Göttin der Liebe, die ihm als Belohnung Helena versprochen hatte, die schönste aller sterblichen Frauen. Die beiden anderen Göttinnen verschwanden in einer Wolke aus Bitterkeit und Rauch.

Aphrodite hielt Wort und half Paris dabei, Helena aus ihrer Heimat Sparta den weiten Weg über das Meer bis nach Troja zu bringen.

Gedemütigt, entehrt und wütend stellten Helenas Ehemann Menelaos und sein Bruder Agamemnon, der König von Mykene, eine mächtige Armee aus Truppen vom Festland und von den Inseln mit dem Ziel zusammen, sowohl Helena als auch ihre verletzte Ehre zurückzugewinnen. Die Flotte der Achäer, Danaer, Hellenen, Argiver – hier der Einfachheit halber »Griechen« genannt, obwohl es noch kein Land namens Griechenland gab – segelte Richtung Osten nach Troja, das sie zehn brutale, blutige Jahre belagerten.

Aphrodite stellte sich natürlich an die Seite von Troja, wie auch ihr Geliebter, der Kriegsgott Ares und die göttlichen Zwillinge Artemis und Apollon. Verschmäht von Paris, wie sie es empfanden, schlugen Athene und Hera sich auf die Seite der Griechen. Zeus, der von der ganzen Angelegenheit genervt war, versuchte einigermaßen neutral zu bleiben.

Das hölzerne Pferd

Das zehnjährige Patt wurde vom listigsten und klügsten Kriegsherrn der Griechen, Odysseus von Ithaka, beendet, der einen unglaublichen Plan ausklügelte.

Eines Morgens entdeckten die Trojaner von ihren Zinnen aus, dass sämtliche Schiffe und Zelte der Griechen verschwunden waren. Lediglich ein riesiges hölzernes Pferd war in der Ebene von Ilion[2]  zurückgelassen worden. Die jubelnden Trojaner nahmen an, die Griechen wären geflohen und hätten dieses Objekt als Geschenk zurückgelassen. Im Glauben, gesiegt zu haben, zogen sie es in ihre Stadt. In der Nacht kletterte ein Geschwader griechischer Soldaten durch eine Falltür im Bauch des Tieres nach draußen und öffnete dem Rest ihrer Armee die Stadttore. Die Bewohner Trojas wurden mit dem Schwert niedergemetzelt und die Stadt in Brand gesteckt.

Der Krieg war vorüber. Die Trojaner hatten ihr Zuhause verloren, die Griechen jedoch folgten dem Ruf ihrer Heimat.

Stürme

Die Götter blicken hinab

Es ist üblich, uns Sterbliche als Kinder der Götter zu beschreiben, aber in Wahrheit sind die Götter die Kinder. Wie Kinder haben sie keine Geduld. Wie Kinder bekommen sie Wutanfälle, wenn sie nicht sofort bekommen, was sie wollen. Und wenn sie entdecken, dass die Erfüllung ihrer Wünsche doch nicht das ist, was sie wollen, stampfen sie mit dem Fuß auf und schreien wie am Spieß. Keine Wut ist schlimmer und unerträglicher für Sterbliche und Unsterbliche als die Wut, die sich gegen sich selbst richtet.

Als sie den Rauch sah, der von den Ruinen Trojas aufstieg, die letzten Seufzer der Gemeuchelten und das Weinen ihrer Angehörigen hörte, wurde ATHENE[3]  von Grauen erfüllt. All ihre Ziele hatte sie erreicht. Der unverschämte PARIS, der es gewagt hatte, ihre Schönheit geringer zu schätzen als die billigen Reize dieser APHRODITE, hatte für seine Unverfrorenheit bezahlt und war vor den Toren seiner Wahlheimat qualvoll gestorben. HELENA, der Preis, den Paris mithilfe von Aphrodite ergattert hatte, würde schon bald in Begleitung ihres rechtmäßigen Ehemannes MENELAOS auf dem Heimweg nach Sparta sein. Großes Unrecht war wiedergutgemacht worden. Der Sieg der achäischen Truppen über Troja war vollkommen.

Und dennoch verspürte Athene kein Triumphgefühl, als das große, goldene Troja in Schutt und Asche gelegt wurde. Sie sah, wie die Stadtbewohner in einer nie dagewesenen rasenden Orgie von Mordlust versklavt, vergewaltigt und in Stücke gehackt wurden. Was sie spürte – man konnte es nicht Scham nennen, denn Olympische Götter schämen sich nicht –, war eine Mischung aus Entsetzen und Enttäuschung, die sich ganz neu für sie anfühlte. War es möglich, dass die Sterblichen begonnen hatten, die Götter mit der widernatürlichen Hemmungslosigkeit innerer Gefühle zu infizieren? Es war Sache der Götter, die Menschheit zur Nachahmung des Göttlichen zu inspirieren, nicht der Sterblichen, die Götter auf erbärmliche Ebenbilder ihrer selbst zu verkleinern.

Mit dem Untergang Trojas war noch etwas anderes untergegangen, aber Athene wusste nicht genau, was. Sie hatte das Gefühl, dass nichts zwischen den Sterblichen und den Unsterblichen je wieder sein würde wie zuvor.

Sie beobachtete, wie die siegreichen Griechen ihre mit Schätzen und Sklaven beladenen Wagen zu der großen Flotte bewegten, die so lange an den Ufern Trojas gelegen hatte.

Große Stille lastete auf der Welt; Athene war besessen von der Vorstellung, dass etwas aus dem Gleichgewicht geraten war, dass die Welt der Götter und der Menschen eine Veränderung erfahren hatte.

Ihre Griechen hatten sich des Sieges und all dessen, was sie dafür getan hatte, als unwürdig erwiesen. Es war unvernünftig von ihr, es war albern, aber sie warf ihnen vor, genau an den Punkt gelangt zu sein, zu dem sie sie getrieben hatte. Glücklicherweise fand sie – wie auch wir Sterblichen es stets hinbekommen – ein besseres Ziel für ihren Ärger als sich selbst. Ein nachvollziehbarer Grund für ihre Wut war das abscheuliche Verbrechen von AJAX, dem König von Lokris, gewesen, »Ajax der Kleine«, wie er manchmal genannt wird, um ihn von Ajax aus Telamon, »Ajax dem Großen«, zu unterscheiden. Dieser Ajax war kurz vor Ende des Krieges ehrenhaft durch sein eigenes Schwert gestorben, der andere jedoch hatte sich in jeder Hinsicht als klein erwiesen. In einer Nacht ungeheuerlicher Barbarei und unzähliger Verbrechen, die jedem Ehrenkodex spotteten, hatte der lokrische Ajax die schlimmste Brutalität und Blasphemie noch überboten. In einem Tempel, der Athene gewidmet war, hatte er die trojanische Prinzessin KASSANDRA vom Altar, an den sie sich klammerte, um Zuflucht zu finden, zu Boden gezerrt.

Keine Sterblichen hatten dies bezeugen können, aber Athene wollte die Angelegenheit nicht auf sich beruhen lassen. Heiligtum war Heiligtum. Haarklein flüsterte sie die Einzelheiten dieser Schändung AGAMEMNONS Seher Kalchas ein, der sie an seine Prinzen und die Führer der Allianz weitergab. Er fügte noch hinzu, Ajax habe Kassandra vergewaltigt.

Von allen ihren griechischen Günstlingen liebte Athene niemanden mehr als ODYSSEUS von Ithaka. Es gefiel ihr, dass er in der Sekunde, als ihm Kalchas’ Beschreibung des Verbrechens zu Ohren kam, verlangte, den Vergewaltiger zu steinigen.

Ajax floh in einen Tempel, um dort Zuflucht zu suchen, und diese Feigheit steigerte Athenes Empörung noch. Diese widerliche Respektlosigkeit, diese unfassbare Frechheit eines Mannes, der in einem Tempel ein solches Sakrileg begangen hatte und nun in einem anderen Tempel Schutz suchte – das durfte sie nicht durchgehen lassen. Und doch weigerten sich die Griechen trotz der Forderungen von Odysseus und DIOMEDES aus Argos, einem weiteren Favoriten von Athene, die Schwelle des Tempels zu übertreten. Sie hatten Angst, den Nebengott, dem er gewidmet war, zu beleidigen.[4] 

Agamemnon bereitete gerade seine Heimreise vor und belud seine Schiffe mit ausgewählten Stücken der geplünderten Beute aus Troja, was ihm als Oberbefehlshaber zustand. Zu seiner menschlichen Beute gehörte auch die vergewaltigte Kassandra, die er Ajax weggenommen hatte. Ihr Schicksal war es nun, als Gefangene in Agamemnons Palast gebracht zu werden, wo sie ihm als eine seiner Konkubinen dienen sollte.[5]  War sie zu alt für sexuelle Dienste, würde sie ihr Leben in den Küchen verbringen.

Als Tochter von König PRIAMOS und Königin HEKABE und Schwester von HEKTOR und Paris, hatte Kassandra ihr Leben als Priesterin dem APOLLON geweiht. Sie war noch nicht lange Priesterin, als Apollon sich in ihre Schönheit verliebte. Er schenkte ihr die Fähigkeit der Wahrsagung, was sie dankbar annahm. Als er das forderte, was er als den ihm zustehenden Lohn für sein Geschenk betrachtete, wies sie ihn ab, schockiert darüber, dass er zu meinen schien, ein Recht auf ihren Körper zu haben. Seinerseits nun getroffen und gedemütigt, konnte Apollon das Geschenk nicht zurücknehmen – das konnte kein Gott –, aber er konnte es ihr verderben. Er spuckte ihr in den Mund. Zukünftig würde niemand jemals ihren Prophezeiungen glauben, so verlässlich sie auch stets waren.

Die besondere Grausamkeit Apollons war vielleicht an dem schicksalhaften Morgen am deutlichsten zu Tage getreten, als Odysseus’ hölzernes Pferd vor den Mauern Trojas auftauchte. Die gewaltige Belagerungsstreitmacht der Griechen und ihre Schiffe am Ufer waren verschwunden. Die Trojaner hatten gejubelt und sich darauf vorbereitet, das Pferd in ihre Stadt zu bringen. Kassandra hatte sie angefleht, davon abzulassen, denn sie sah es zu Recht als Falle. Sie sagte voraus, dass das Pferd nur Tod, Zerstörung und Niederlage bringen würde, aber natürlich hörte niemand auf sie.

Seither hatte sie mitansehen müssen, wie ihre gesamte Familie ausgelöscht und ihre Stadt in Schutt und Asche gelegt wurde. Und nun war sie gefesselt auf einem Schiff, das sie in ein Leben sexueller Knechtschaft bringen würde. Merkwürdigerweise beklagte sie nicht ihr grausames Schicksal, sondern lachte und erzählte in abstoßender Anschaulichkeit, was Agamemnon und ihr bevorstand, sobald sie in Mykene ankommen würden. Überall am Kai wurden die Schiffe der siegreichen Griechen mit den letzten Beutestücken der gefallenen Stadt beladen. Geier und Schakale lassen nicht eher von einem Kadaver ab, als auch das letzte Stück Fleisch von den Knochen gerissen wird. In Athenes Augen waren die Griechen mit ihrer arroganten Selbstherrlichkeit im Sieg schlimmer als Geier und Schakale.

Es gab Ausnahmen. NESTOR, der alte König von Pylos, war schon abgefahren und hatte nur wenige Schätze mitgenommen. Die Flotten des IDOMENEUS von Kreta und Diomedes von Argos segelten ebenfalls schon südwärts, beziehungsweise westwärts Richtung Heimat. Es schien, dass ihnen ihre wartenden Familien, Frauen und Königreiche mehr wert waren als goldene Teller und wunderschöne Sklaven.

Niemand hatte es eiliger nach Hause zu kommen als Odysseus von Ithaka. Athene beobachtete, wie er an Bord seines Flaggschiffs ging. Zwölf Schiffe standen unter seinem Kommando, wobei jede Mannschaft aus mehr als vierzig Ithakern bestand. Falls erforderlich, konnten sie in ruhigen Gewässern rudern, aber natürlich hofften sie auf günstige Winde, die sie nach Hause bringen würden. Nachdem sie die erforderlichen Gebete und Opfergaben dargebracht hatten, würden auch sie die verfluchte Küste verlassen, an der sie zehn lange Jahre gelegen hatten.

Odysseus, dem Vordenker und Strategen, der schließlich den Krieg gewann, stand der große Preis zu: Trojas Königin Hekabe. Sie sollte sich als zweifelhaftes Geschenk erweisen. In dem Moment, als er das Schiff betrat, sprang sie ihn an wie ein wildes Tier. Er stieß sie so gelassen wie möglich von sich, aber sie hörte nicht auf, eine Litanei der Schrecken hinauszuschreien, die ihr widerfahren waren. Ihre Söhne Hektor, Paris, Deiphobos, Troilos und sogar ihr jüngster, Polydoros – alle tot. Ihre Töchter entehrt. Ihr geliebter Ehemann Priamos, der größte und weiseste König, den die Welt je gesehen hatte, vor ihren Augen von NEOPTOLEMOS, dem mörderischen Sohn des ACHILLES, enthauptet. Hekabe brüllte ihren schrecklichen Katalog der Verzweiflung und Trauer heraus, der in einer Anklage des grausamen Schicksals gipfelte, das ihren Enkel ASTYANAX, als einziges Kind von Prinz Hektor, ereilt hatte. Neoptolemos und seine Männer hatten Astyanax den Armen seiner Mutter ANDROMACHE entrissen und das Kleinkind lachend von der Stadtmauer gestoßen.[6]  Dann wurde Andromache in Neoptolemos’ Flaggschiff Myrmidon[7]  in Ketten gelegt, verdammt dazu, wie Kassandra ihr Dasein als Konkubine zu fristen. Hekabe schwor vor den Göttern, dass sie nicht ruhen werde, die Griechen für diese und zahlreiche andere abscheuliche Verbrechen zu verfluchen, solange sie im Besitz einer Stimme wäre.

Odysseus hielt sich für einen geduldigen Mann, aber diese durchgedrehte, tobende Oma, die ihm ins Gesicht spuckte, war ihm doch zu viel. Hekabe war eine Kriegsbeute, auf die er verzichten konnte. Er hob sie hoch, schob sie über die Schiffswand und setzte sie auf dem Sand ab. Sie knurrte und schrie dort im Schatten des Bugs, bis sie sich vor Odysseus’ ungläubigen Augen in einen wilden Hund zu verwandeln schien, dem sie in Klang und Wildheit stark ähnelte.[8] 

Obwohl sich die Griechen nach der Heimat sehnten, waren sie nicht so dumm, die Götter zu vernachlässigen. Dankbar für ihren Sieg und ihr Überleben, wurden Opfergaben dargeboten, aber Athene und die anderen Olympier empfanden diese Ehrerbietung als formelhaft, flüchtig, flach … Die innere Überzeugung fehlte. Diese Unverfrorenheit wurde noch von Neoptolemos’ grausamer Tat überboten. Er setzte die Griechen darüber in Kenntnis, dass sein Vater Achilles ihm im Traum erschienen war und die Opferung der trojanischen Prinzessin Polyxena, Hekabes und Priamos’ jüngster Tochter, gefordert hatte. Achilles war von Polyxena angezogen gewesen, als er sie in Gesellschaft ihres jungen Bruders Troilos fand, den er ermordet hatte.[9]  Obwohl Achilles jetzt tot war, wähne er sich als ihr versprochen, und es verlange ihn nach Polyxena. Das jedenfalls brachte sein Sohn Neoptolemos vor. Der Kult um Achilles’ Ruhm, verbunden mit echter Furcht vor der gnadenlosen Brutalität, derer Neoptolemos und seine Myrmidonen fähig waren, war zu stark, als dass die Griechen widersprochen hätten. Der Opferung wurde zugestimmt. Neoptolemos führte Polyxena zu Achilles’ Grab, wo er ihr die Kehle aufschlitzte. Sie wehrte sich nicht, erklärte lediglich, nicht als Sklavin leben zu wollen und lieber jungfräulich zu sterben. Agamemnon, den die ganze Angelegenheit anwiderte, vielleicht auch, weil sie ihn an seine Rolle bei der Opferung seiner Tochter IPHIGENIE erinnerte, blieb auf seinem Schiff. Der Krieg war gewonnen, seine Autorität nun merklich verkleinert, und er wusste das. Odysseus, Diomedes, der große Ajax und viele andere waren beliebter und hatten sich einen legendären Ruf erworben. Für den erschöpften Heerführer war es an der Zeit, nach Mykene zurückzukehren und sich selbst ein wenig zu belohnen, denn lange hatte er Heim und Herd entbehren müssen. Sein Flaggschiff lichtete geräuschlos den Anker und führte die mykenische Flotte vom Landekopf weg. Es gab keinerlei Zeremonie, und fast niemand nahm Notiz von ihnen.

In Athenes Augen hatte der griechische Sieg sowohl Anstand als auch Format vermissen lassen. Und jetzt, wo sie sah, wie der gottlose Ajax aus dem Tempel floh, in den er sich verkrochen hatte und versuchte, unbehelligt die Sicherheit seiner lokrischen Schiffe zu erreichen, wurde ihr aufkommendes Missfallen zu brennender Wut. Sie sah, wie der Vergewaltiger über den Sand krabbelte und die Taue seines Schiffes hochkletterte, um in Sicherheit zu gelangen. Nicht ein einziger Grieche, vom Rangniedrigsten bis zum Ranghöchsten, besaß den Mumm oder das Ehrgefühl, einzugreifen. Es gab größere und ältere Mächte als sie, größer sogar als der Göttervater ZEUS, Sturmbringer und König der Götter. Es gab kosmische Gesetze von Zeit, Schicksal, Zwangsläufigkeit, Recht und Vergeltung, die unausweichlich und unaufhaltsam waren.[10]  Sie konnten genauso wenig außer Kraft gesetzt oder geleugnet werden wie die Gesetze, die die Flüsse ins Meer leiten oder einen Stein aus der Hand immer nach unten fallen lassen, niemals nach oben oder zur Seite.

Zeus’ Bruder Poseidon wäre zwar in der Lage, die Erde beben zu lassen und Städte zu zerstören oder die Ozeane zu Wellen aufzupeitschen, die höher als Berge sind, HEPHAISTOS könnte die Berge Feuer speien lassen, Zeus den Himmel mit Donnerwolken überziehen und die Welt mit Blitzen versengen, aber solche Zurschaustellungen wären weniger als ein Mückenschwirren, verglichen mit den schrecklichen Kräften von Zeit, Schicksal, Zwangsläufigkeit, Recht und Vergeltung. Vor diesen unerbittlichen Vollstreckern des Kosmos waren sämtliche Titanen, Götter, Menschen, Männer, Frauen und die Welten nichts als ein Windhauch.

Diese Mächte hatten kein Gesicht und keine Gestalt, keine Persönlichkeit, keine Präsenz und keinen Platz, an dem man sie anflehen oder besänftigen konnte. Aber es gab bestimmte Zeiten, in denen man die Zeichen ihres Wirkens mehr als deutlich spüren konnte. Dies hier, da war Athene sich sicher, war eine davon.

Zeus, der vor allem erleichtert war, weil der Krieg ein Ende gefunden hatte, wusste nur zu gut, dass die Götter auf der Seite Trojas – besonders Aphrodite, ARES und Apollon – ihn bearbeiten würden, es den griechischen Schiffen so schwer wie möglich zu machen, in ihre Heimat zurückzukehren, aber dass seine Tochter Athene seine Knie umfasste und darum bat, die Flotte untergehen zu lassen, kam doch etwas unerwartet.

»Zehn Jahre lang hast du zu meinen Füßen gekniet und mich gedrängt, die Griechen unter allen Umständen gewinnen zu lassen, und jetzt willst du, dass ich sie vernichte?«

Zeus’ Frau HERA und sein Bruder Poseidon, die wie Athene stets die Griechen vorgezogen hatten, stimmten ausdrücklich zu. Die griechischen Schiffe müssten auseinandergetrieben und in die Luft geschleudert, und der schlimmste von ihnen, Ajax, zugrunde gerichtet und ertränkt werden. Gottlosigkeit müsse bestraft werden.

»Nun gut, nun gut.« Zeus fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn. »Ihr dürft eure Stürme aufziehen lassen und die Griechen zerstreuen. Aber ihr müsst wissen …«

»… und ich brauche ebenfalls einen Sturm«, sagte Hera.

»Ich habe doch gesagt, du kannst einen haben.«

»Noch einen, einen anderen.«

Zeus schüttelte den Kopf. »Siehst du, genau das meine ich. Ich will nicht, dass ihr alle zehn Jahre kommt und verlangt, ich soll hier eingreifen und dort eingreifen. Ich habe die Nase voll. Die Sterblichen sollen sich behelfen, so gut sie können.«

»Ich bin sicher, dass du mich nicht verärgern willst, Ehemann.«

Ein Ausdruck trat in Heras Augen, bei dem der große Gott stets ins Wanken geriet.[11] 

»Aber warum noch ein Sturm?«

»Poseidon wird die Griechen, die nach Westen in ihre Heimat reisen, in Verwirrung stürzen. Aber es ist wichtig, dass er einem weiteren Schiff einen Sturmwind schickt, einem trojanischen Schiff, das sich just in diesem Moment Richtung Süden davonstiehlt.«

»Trojanisch? Wieso trojanisch? Welches trojanische Schiff? Wer ist dieser Trojaner? Es gibt doch sicher keine mehr.«

»Prinz AENEAS.«

»Aber um Himmels Willen, ich kann doch nicht seiner Vernichtung zustimmen. Er ist der Sohn von Aphrodite.«[12] 

»Ich verlange nicht seine Vernichtung, nur, dass sein Schiff zertrümmert wird und all seine Pläne vereitelt werden.«

»Aber warum? Aeneas ist ein braver, anständiger Mann. Ich habe nichts Nachteiliges über ihn gehört. Mir ist klar, dass du die Trojaner nicht magst, aber sie sind besiegt. Du willst doch sicher nicht …«

»Ich verlange es.«

»Nein, nein. Hier muss ich ein Machtwort sprechen. Du wirst deinen Sturm bekommen, Athene. Ajax verdient es nicht anders wegen seiner Gotteslästerung. Aber es tut mir leid, meine liebe Frau, bei dieser Sache bleibe ich hart. Dein Wunsch, Aeneas, der schon ein demütiger Mann ist, weiter zu demütigen, kommt uns kleinlich und unehrenhaft vor. Er soll weiterziehen. Das ist unser Wille.«

Ein Donnergrollen begleitete seine letzten Worte.

Auf Heras Wangen erschienen rote Flecken, aber sie verneigte sich. Wenn sie und Zeus später allein wären, würde sie mit ihrer Meinung, was das Thema öffentliche Demütigung betraf, nicht hinter dem Berg halten, aber sie wollte die Sache nicht noch komplizierter machen, indem sie vor den anderen Olympiern eine Szene machte. Sie wusste, dass Argumentieren wenig Sinn ergab, wenn er großspurig in die erste Person Plural wechselte und Ausdrücke wie »unser Wille« benutzte.

Die Flotten

Agamemnons Flaggschiff führte ein mächtiges Geschwader an. Es war dem Glanz und der Bedeutung Mykenes, des größten und mächtigsten Königreichs der Griechen, angemessen. Agamemnon bevorzugte allerdings den Begriff Imperium.[13]  Bei allen Göttern im Himmel, was war er froh, endlich nach Hause zu kommen! Die Armee unter seinem Kommando hatte ihr Bestes gegeben. Sie hatte die Ehre des Hauses von ATREUS und die Reputation der Hellenen wiederhergestellt. Das unbeugsame und unbezwingliche Troja war gefallen, Helena war zu Menelaos zurückgebracht worden – und alles dank der Feldherrenkunst von Agamemnon, dem König der Männer. An seiner aristeia, seinem Tag des Ruhms, hatte er mehr Trojaner als jeder andere Kämpfer abgeschlachtet. Niemand konnte seine Tüchtigkeit als Oberbefehlshaber im Zelt und als Krieger auf dem Schlachtfeld leugnen. Und doch fand Agamemnon stets, dass die Ehrfurcht, das Staunen und die Verehrung, die Achilles, Odysseus, Diomedes, Ajax, Patroklos, Nestor und Teukros entgegengebracht wurde, ihm nie so recht vergönnt war. Achilles … nun, sicher. Niemand kam Achilles gleich, dem unerreichten Meister, dem goldenen Unvergleichlichen. Das war zu erwarten gewesen. Aber sogar Menelaos wurde von den Kriegern mehr Respekt und Zuneigung entgegengebracht. Agamemnon liebte seinen Bruder aufrichtig, aber es war letztendlich Menelaos gewesen, der nicht auf seine Frau aufgepasst und damit erst dieses verdammte Desaster ausgelöst hatte.

Und was die Götter betraf – jeder einzelne dieser Helden hatte im Lauf des Krieges Unterstützung vonseiten eines Olympiers erhalten, jeder außer Agamemnon. Andererseits halfen Ares, Aphrodite und Apollon ihren Schützlingen Paris, Hektor und den Trojanern bei jeder Gelegenheit. Warum wurde er, Agamemnon, so missachtet und übersehen?

Die Bürde des Befehlshabenden. Niemand liebt einen Feldherrn. Für jedes Missgeschick verantwortlich gemacht, die Anerkennung für den Sieg aber verweigert. Von Anfang an. Agamemnon musste Entscheidungen treffen, die einen geringeren Mann in Stücke gerissen hätten. Seine Tochter Iphigenie opfern oder den Krieg verlieren. Den demütigenden Forderungen des Achilles nachgeben oder ihn für das Schlachtfeld verlieren. Das Risiko eingehen, Odysseus’ Plan umzusetzen, das hölzerne Pferd in der Ebene von Ilion für die Trojaner zurückzulassen, oder auf Nummer sicher zu gehen und ein so waghalsiges und unerprobtes Manöver abzulehnen. Schlussendlich vertraute er diesem listigen Teufel. Viele hatten ihn davor gewarnt, aber er ist seinem Instinkt gefolgt. Daran erinnert sich natürlich niemand mehr. Agamemnon war nicht einmal einer der Helden, die sich im Rumpf des Pferdes versteckt hatten. Er war der Depp, der brav mit Verstärkung in seinem Schiff an der Bucht gewartet hatte. Damit lässt sich jedenfalls kein Orden verdienen.

Nun denn. Er wusste, dass Selbstmitleid eine jämmerliche Schwäche war. Schon gut.

Bald würde er den Gestank des Krieges nicht mehr riechen müssen und zu Hause in den Armen seiner Frau KLYTAIMNESTRA liegen. Wenn es um die rein körperliche Schönheit ging, konnte sie ihrer Schwester Helena nicht das Wasser reichen. Das konnte niemand, das war der Grund allen Unheils. Aber Klytaimnestra kam so nah an sie heran, wie keine andere Frau, die er kannte. Und mehr noch, sie hatte Stil und Haltung, eine Eleganz und Autorität, die auf ihn wie ein Zaubermittel wirkte und der Helena trotz all ihrer natürlichen Grazie und Lieblichkeit nicht wirklich gleichkam.

Er hatte seine Kinder vor Augen. ELEKTRA musste jetzt siebzehn oder achtzehn sein, in dem Alter, als Iphigenie …

OREST würde erst zwölf oder dreizehn sein und die kleine CHRYSOTHEMIS kaum zehn. Als Agamemnon in den Krieg zog, war Klytaimnestra mit ihr schwanger gewesen, und Orest hatte gerade begonnen seine Spielkameraden herumzukommandieren. Hatte Klytaimnestra sich um ihre Erziehung gekümmert?, fragte er sich. Konnten sie singen und Gedichte rezitieren? Und Elektra? Wie stand es um sie? Er stellte sich einen Prinzen aus Korinth oder Attika vor, der unter ihrem Fenster schmachtete.

Sollte die Rüstung rosten. Er würde sein Leben der Familie widmen. Viel schöner, Vater für drei zu sein, als Herrscher über Tausende.

Inzwischen waren sie abfahrbereit, doch was hatte dieser Lärm zu bedeuten? Prinzessin Kassandra. Tag und Nacht wehklagte sie und prophezeite allerlei Unsinn. Ihre Schluchzer und Schreie vermischten sich mit den Schreien der Möwen am Himmel, während sein Kapitän ablegte und Agamemnon der verhassten Küste endlich Auf Wiedersehen sagte.

Als sie Troja verließen, hatten die zwölf Schiffe von Odysseus’ Flotte den Wind gegen sich. Nordwärts geblasen, gingen sie an der thrakischen Küste bei der Stadt Ismaros[14]  an Land, der Hauptstadt der Zikonen. Die Einwohner dort hatten keine Chance gegen die kriegserprobten Ithaker. Letztere töteten die Männer und brachten die Reichtümer und die begehrtesten Frauen der Stadt auf ihre Schiffe.

Zehn Jahre des brutalen Kampfes hatten jede Gnade und jedes Mitgefühl in Odysseus fast ausgelöscht, aber als seine blutrünstigen Männer ihm den einheimischen Prinzen MARON, einen Priester des Apollon, brachten, war er doch angewidert. Er wandte sich an den zweiten Befehlshaber, seinen Schwager EURYLOCHOS, der zusammen mit einer Gruppe von zwölf mit Schwertern bewaffneten Männern den Prinzen vor sich hergetrieben hatte.

»Verdammt, sind wir Männer oder sind wir Tiere? Über kurz oder lang trinken wir Blut und fressen Fleisch wie die Harpyien. Es ist möglich, sich ohne Mord und Vergewaltigung zu vergnügen. Dies ist ein rechtschaffener Mann. Lasst ihn los.«

Eurylochos und seine Mannen steckten ihre Schwerter ein und wichen zurück, während der Prinz zu Boden fiel und Odysseus’ Knie umklammerte.

»Sie sind ein guter Mann, Herr, ein barmherziger Mann.«

Odysseus wischte das Kompliment beiseite, als wäre es eine lästige Mücke. »Glaub das nicht. Ich bin ein müder Mann, das trifft es eher. Müde des Tötens, müde des Reisens, reif für die Heimat. Ich bin auch ein vorsichtiger Mann. Ich habe gesehen, was geschehen kann, wenn Männer die Tempel und ihre Priester nicht respektieren.«

Maron lächelte. »Es ist keine Beleidigung, einen Mann ›gut‹ zu nennen. Aber wie Sie wollen. Sie sprachen vom Bluttrinken. Vielleicht darf ich Ihnen meinen Dank erweisen, indem ich Ihnen etwas Besseres zum Trinken anbiete?«

Maron klatschte in die Hände und befahl einem Diener, der sofort vortrat, zwei Becher Wein zu bringen. Odysseus nahm einen davon und trank ihn in einem Zug aus. Er schnaufte vor Behagen.

»DIONYSOS selbst könnte keinen besseren Jahrgang trinken als diesen hier. Ich danke dir!«

»Ich werde zwölf große Krüge auf Ihr Schiff bringen lassen«, sagte Maron. »Aber seien Sie gewarnt. Der Wein ist stark – fabelhaft konzentriert. Der Becher, den Sie gerade getrunken haben, ist zwanzigfach verdünnt. Das ist das Mindeste, was Sie tun müssen, um ihn zu verdünnen. Alles Stärkere – und ein einziger Schluck wird sich anfühlen, als hätte Ihnen HERAKLES höchstpersönlich seine Keule über den Schädel gezogen.«

Sie tranken zwei weitere Becher des verdünnten Weins und verabschiedeten sich mit gegenseitigen Ehrbezeugungen voneinander. Odysseus kehrte auf sein Schiff zurück und rief nach Eurylochos.

»Befiehl den Männern, zum Schiff zurückzukehren. Ich will vor Sonnenuntergang in See stechen.«

»Glaubt nicht, dass ihnen das gefallen wird, Majestät. Nicht, solange es noch etwas zu plündern und allerlei Vergnügungen gibt.«

Es spielte keine Rolle, ob Odysseus Eurylochos mochte oder verabscheute. Der Mann hatte zehn Jahre lang so tapfer gekämpft wie alle anderen auch. Keiner kannte die Männer und ihre Launen besser als er. Darüber hinaus war er mit Odysseus’ junger Schwester Ktimene verheiratet, was ihm das Privileg der Offenheit und Ungezwungenheit verlieh, wenn er in der Anwesenheit seines königlichen Schwagers das Wort erhob. Was Odysseus’ Familie in der Heimat anging, hatte es keine Nachricht aus Ithaka von seinem Vater, König LAERTES, oder seiner Mutter ANTIKLEA oder seiner Frau PENELOPE und seinem Sohn TELEMACHOS gegeben …

Solche Gedanken beförderten nur seine Eile. »Es ist mir gleich, was die Männer wollen oder nicht wollen. Genügend Beutegut ist zwischen den zwölf Schiffen aufgeteilt worden, und wir müssen mit der nächsten Flut reisen.«

Für viele war Odysseus fast schon eine Legende. Dank seiner Gerissenheit hatten sie den Krieg gewonnen. Der Ruf seines Scharfsinns und seiner Tücke hatte sich überall auf der Welt verbreitet. Doch der Mann wusste auch noch, wie man einen Pfeil schießt und einen Speer stößt. Er konnte ringen und rennen. Er konnte sich genauso mühelos zu jedem gewöhnlichen Soldaten ans Feuer hocken wie mit Athene persönlich Umgang pflegen, so hieß es jedenfalls. Aber Führung ist wie ein Tänzchen auf Messers Schneide. Im Grunde weiß man, dass Herrscher herrschen. Widerwilliges Einverständnis, stille Duldung, vorbehaltliche Zustimmung. Große Herrscher wissen, wie weit ihre Autorität reicht. Eurylochos machte klar – mit zahlreichen »Eure Majestät«, jedes, wie es seine Art war, in so deutlichen Anführungszeichen gesprochen –, dass die Männer den Befehl, Ismaros baldmöglich zu verlassen, nicht gut aufnehmen würden. Ganz und gar nicht.

Odysseus hatte sich erweichen lassen.

»Wir werden die letzten sein, die ihre Heimat erreichen«, hatte er gemurmelt. »Dabei ist der Wind derzeit perfekt.«

Doch während der nächsten zwei Tage plünderten, mordeten und brandschatzten die Männer weiter. In der dritten Nacht schlachteten sie Dutzende Ochsen und Schafe und bereiten am Strand ein triumphales Festmahl. Sie wussten nicht, dass einige überlebende Zikonen aus Ismaros entkommen waren und ihre Nachbarn alarmiert hatten, die nun in Streitwagen heranstürmten, um Rache zu nehmen.

Odysseus verließ sein Schiff und schloss sich dem blutigen und demütigenden Gefecht an. Siebzig Ithaker verloren ihr Leben. Ihre Leichen waren nackt und aufgerissen für die Schakale und Hunde zurückgelassen worden. Unmöglich, sie in einem heiligen Ritual zu besingen und zu beerdigen, wie es üblich war. Während sie die Küste entlang segelten, ließ Odysseus von Schiff zu Schiff weitergeben, dass der Namen eines jeden Toten zusammen mit Gebeten für seine Seele ausgerufen werden solle.

»Eine schlimme Sache, Herr«, bemerkte Eurylochos. »Aber vielleicht hat es auch sein Gutes.«

»Gutes? Was soll hier gut sein?«

»Nun, vielleicht lehrt diese Erfahrung die Männer, dass wir nur wegen Wasser und Proviant von Bord gehen und nicht länger bleiben als nötig. Jetzt haben wir doch freie Fahrt, oder?«

»Freie Fahrt? Sieht das hier etwa wie freie Fahrt aus?«

Die Stille zwischen Helena und Menelaos war so gespannt wie die Takelage des Schiffes, das sie nach Hause brachte. Menelaos hatte dem schrecklichen Raub seiner Frau ein Ende bereitet. Paris, der Sohn von König Priamos, hatte sie aus Sparta entführt und in Troja zu seiner eigenen Frau erklärt. Dieser abscheuliche Akt hatte die Ordnung der Dinge gestört und ein ungeheures Blutbad nach sich gezogen. Zehntausende mussten dafür mit ihrem Leben bezahlen, während die Trojaner versuchten, sie zu behalten, und die Griechen, sie zurückzugewinnen. Wie viele Witwen? Wie viele vaterlose Kinder? Wie viele trauernde Eltern? Nur die Schicksalsgöttinnen kannten ihre Zahl.

Die Geschichte, die überall auf der Welt erzählt und gesungen wurde, berichtete von einer wunderschönen Königin, die gegen ihren Willen von ihrem liebevollen Mann und ihren Kindern getrennt wurde. Aber Gerücht wurde zu Skandal und Skandal zu Tratsch, und der Tratsch ließ die Welt darüber spekulieren, wie viel Gewalt tatsächlich angewendet werden musste, damit Helena Paris nach Troja begleitete. Paris war ein äußerst gut aussehender Prinz. Mehr als gut aussehend. Er war ein Spross desselben trojanischen königlichen Baumes, von dem auch GANYMED und Tithonos abstammten, wohl die attraktivsten jungen Männer, die die Welt je gesehen hatte. Selbst die Unsterblichen hatten ihrer Schönheit nicht widerstehen können. Zeus nahm sich Ganymed als Liebhaber und entführte ihn als seinen persönlichen Mundschenk auf den Olymp. Eos, die Göttin der Morgenröte, nahm Tithonos mit weniger glücklichem Ende zum Mann.[15]  Und man stellte sich eine weitere Frage: Eine Frau mit Helenas Fähigkeiten hätte während all der schrecklichen Jahre des Krieges doch sicher Mittel und Wege finden können, den Mauern Trojas zu entfliehen und zu den griechischen Linien überzulaufen. Jede entschlossene Frau hätte das tun können. Ein paar Dienerinnen und Wächter bestechen, mehr wäre dazu nicht nötig gewesen.

Als Menelaos endlich in Helena Schlafzimmer stürmte, nachdem die Mauern von Troja überwunden waren, war sie mit wilden Freudenschreien in seine Arme gesprungen, oder hatte sich eine Befangenheit zwischen ihnen breitgemacht, ein Unbehagen?

Derzeit jedenfalls zeigte sich Unbehagen, als sie sich auf der einen Seite des spartanischen Flaggschiffs aufhielt und er auf der anderen.

Zum Essen trafen sie sich in der Mitte. Sie lächelte so reizend wie irgend möglich. Er verbeugte sich und zog ihren Stuhl zurück, damit sie Platz nehmen konnte, als wäre er nicht ihr König, Ehemann und Liebhaber, sondern nichts weiter als ein befangener Page oder Diener. An diesem Tag, ihrem dritten Tag auf See, schon weit vom trojanischen Ufer entfernt, beschloss Menelaos, Tacheles mit ihr zu reden.

»Einige Datteln, um den Hammel zu süßen?«

Der erste Gesprächsversuch wurde mit einem Kopfschütteln und einem tonlosen »Dankeschön« abgewehrt.

Meine Güte, sie ist so schön wie an dem Tag, als ich sie zum ersten Mal traf, dachte Menelaos.

»Der Wind steht günstig für uns. Sind bald zu Hause.«

Stille breitete sich aus.

»Wenn du nicht hungrig bist, könnten wir vielleicht einen Gang an Deck machen. Ich würde sehr gerne mit dir reden.«

Schweigend erhob sie sich und folgte ihm nach oben.

Er hielt sich mit Nachdruck an der Reling fest und sprach mehr zur salzigen Gischt als zu ihr.

»Helena«, sagte er. »Ich hatte gehofft … ich dachte, du wärst zumindest ein wenig erfreut hier zu sein … in meiner Gesellschaft, dass deine Rettung alles wäre, wofür du immer gebetet hast … stattdessen spüre ich …«

»Oh nein! Nein … selbstverständlich freue ich mich. Selbstverständlich bin ich glücklich, sehr glücklich, heimzukehren mit … mit dir, meinem Mann. Aber du musst wissen, wie viel Güte mir König Priamos, Königin Hekabe, Prinz Hektor, Prinzessin Andromache und viele andere entgegengebracht haben. Nicht ein einziges Mal haben sie mich spüren lassen …«

»Und er? Paris?« Menelaos brachte den verfluchten Namen kaum über die Lippen.

»Er … nein. Er war nicht so gütig. Ich war ein Preis, dessen er schnell überdrüssig wurde. Aber Menelaos. Was ist das?«

Die Veränderung in Helenas Ton war verblüffend. Sie starrte über Menelaos’ Schulter. Er sah hoch. Der Horizont hinter ihm war schwarz geworden.

Agamemnon spazierte zusammen mit seinem Seher Kalchas über Deck.

»Wenn wir wieder im Hafen von Mykene sind, ist es wichtig, großer Gebieter, gleich nach dem Ankern Poseidon und Zeus zu opfern. Von da an wird es nur noch Frieden und Wohlstand für das Haus Atreus geben. So ist es bestimmt.«

Von unten ertönte Kassandras Stimme, heiser vor Anstrengung.

»Er hat keine Ahnung, toter König. Dich erwartet nichts als Mord. Dein Tod und der meinige.«

»Gut zu wissen, Kalchas«, sagte Agamemnon. »Wie steht es mit unserer Reise?«

»Freie Fahrt bis nach Hause, Herr.«

»Hm«, sagte Agamemnon. »Wenn das der Fall ist, warum wird dann der Himmel hinter dir so schwarz?«

Zwischen den Schiffen von Odysseus und Menelaos lagen die vierzig lokrischen Schiffe von Ajax’ Flotte. Odysseus hatte ihn beschuldigt und seine Steinigung verlangt. Die höheren Ränge der griechischen Armee hatten ihn dafür verdammt, den Zorn der Götter herauszufordern. Seine Landsleute jedoch, die mit ihm nach Troja gesegelt und zehn Jahre lang an seiner Seite gekämpft hatten, vergötterten ihn.[16]  Ajax war tapfer, gut gelaunt, rücksichtsvoll und gesellig. Er war einer von ihnen. Er aß und trank mit seinen Männern, teilte seine Kriegsbeute mit ihnen und nannte jeden beim Namen. Sie waren stolz auf seine zahlreichen Heldentaten, seine Schwertkünste und seine Leichtfüßigkeit. Nur der goldene Achilles hatte ihn darin übertroffen. Aber der Wahnsinn, der im Tempel der Athene von ihm Besitz ergriffen hatte, löste großes Unbehagen aus. Ohne dass jemand verstanden hätte, warum, vergoren im Lauf der Jahre bestimmte Weinsorten in den Holzfässern. Der Druck darin wurde dann immer stärker, bis sie explodierten und eine Fontäne gewaltsam herausschoss. Der Krieg war zu Ende. In Ajax hatte etwas gegärt, und er war explodiert wie eines dieser Fässer.

Seine Männer glaubten jedoch nicht daran, dass er Kassandra vergewaltigt hatte. Sie empfanden dies als ungeheure Lüge, die von Agamemnons Sprachrohr, dem falschen Propheten Kalchas, verbreitet worden war, eine Lüge, die Agamemnon einen Vorwand lieferte, Kassandra für sich selbst zu beanspruchen. Nach Königin Hekabe, die mehr als sonderlich geworden war, stellte Kassandra den größten königlichen Preis dar.

Trotz allem lehnte Ajax jetzt am Achtersteven und schlürfte sorglos Austern.

»Herr! Herr!«

Ajax neigte den Kopf, als Phainos, sein Stellvertreter, eilig auf ihn zukam.

»Stimmt etwas nicht?«

»Seht doch! Seht doch!«

Ajax wandte den Kopf. Ein dunkles, dichtes Band näherte sich dem Schiff, dazu Lärm, ein unerträgliches Gekreisch.

»Vögel, mein Herr! Vögel!«

Welle um Welle von Seevögeln näherte sich ihnen. Sie flogen so tief, dass Phainos sich auf das Deck warf, während sie kreischend über das Schiff flatterten. Tausende und Abertausende. Das trommelnde Geräusch ihrer Flügelschläge klang wie das tiefe Dröhnen eines entfernten Sturms.

Ajax riss Phainos hoch. »Sie fliehen vor dem da«, rief er und wies auf den Himmel hinter ihm, der schwarz geworden war.

*

Eurylochos gab den anderen elf Schiffen der ithakischen Flotte ein Zeichen, umzukehren. Der Sturm würde sie natürlich erwischen, aber es war würdelos, ängstlich wie ein Kaninchen vor der sich aufbäumenden Schlange darauf zu warten, verschlungen zu werden.

»Sag den Männern, sie sollen die Ruder einziehen. Wir lassen uns in der Flut treiben. Sinnlos, dagegen anzukämpfen!« Agamemnon schrie seine Anweisungen in das Ohr seines Bootsmanns. Schwer zu sagen, ob er bei diesem Sturmbrausen verstanden wurde. Oder bei dem Geschrei von Kassandra.

»Der Sturm ist bedeutungslos. Wir werden den Sturm überleben. Die Wasser der weiten See sind harmlos. Aber hütet euch vor dem warmen Wasser zu Hause.«

Menelaos und sein Kapitän beobachteten, wie die Schiffe ihrer Flotte achtern eine Linie bildeten.[17] 

»Kam einfach aus dem Nichts, Herr. Nur die Götter können Stürme so unvermittelt heraufbeschwören. Das ist Poseidon höchstpersönlich.«

»Und wir wissen auch warum«, sagte Menelaos. »Der verfluchte Ajax.«

Ajax schüttelte den Kopf und lachte. »Nein, nicht Poseidon. Ich bete zu ihm und opfere ihm mit einer Hingabe wie kein anderer Sterblicher. Poseidon liebt mich. Er würde mir das nie antun.«

»Poseidon oder nicht, Gebieter, dieser Sturm ist ein Monster.«

»Befiehl die Sklaven an die Ruder. Setz die Segel und fahre in die gleiche Richtung wie die Vögel. Sie wissen, wo das nächste Land ist.«

Die Insel der Winde

Unterdessen sah sich ein reichlich verwirrter König AIOLOS einer unerwarteten Besucherin gegenüber.

Unter Verzicht darauf, in die Gestalt eines Sterblichen zu schlüpfen, wie es neuerdings Mode war, wenn Götter die Menschheit aufsuchten, war Hera in ihrem bevorzugten Transportmittel, einem von Pfauen gezogenen Streitwagen aus Gold und Silber, nach Aiolia geflohen. Begleitet von ihren vierzehn Nymphen, sieben an jeder Seite und gekleidet in den schönsten olympischen Purpur, stieg sie aus. Rückwärts gehend und Bücklinge machend, drückte Aiolos seine Dankbarkeit über eine solch unermessliche Ehre aus, erkundigte sich, ob ihrer göttlichen Majestät ein wenig Wein genehm wäre, versprach, dass die Säle seines Palastes sie so lange beherbergen würden, wie sie es wünsche und …

»Doch, doch, ganz reizend. Aber du brauchst nicht so sorgenvoll dreinzuschauen. Wir sind nicht gekommen, um deine Speisekammern und Weinkeller zu leeren, keine Angst. Es ist die Hilfe deiner vier Diener, die ich benötige.«

Die vier Diener, auf die sie anspielte, waren Boreas, Notos, Euros und Zephyr – die Winde des Nordens, Südens, Ostens und Westens.

Als Sohn von Hippotes[18]  war der sterbliche Aiolos von Zeus persönlich zum Wächter dieser Winde bestimmt worden. Im Gegenzug dafür wurde seine Heimat, die schwimmende Insel Aiolia, zu einem Paradies voller Weinreben und Obstbäume, und die umfangreiche Familie eine zufriedene Sippe.[19] 

»Was kann die Königin des Himmels von meinen Winden wollen?«

»Es gibt da einen trojanischen Prinzen namens Aeneas.«

Hera mochte es nicht, mit anderen Göttern, geschweige mit einem Sterblichen Klartext zu reden, aber sie schluckte ihren Stolz herunter. Zeus’ Weigerung, ihr mit einem Sturm gegen Aeneas auszuhelfen, hatte sie auf die Palme gebracht. Fürs Erste wäre sie schon mit der Zerstörung der Pläne des trojanischen Prinzen zufrieden gewesen, aber so wütend wie sie jetzt war, konnte nur seine völlige Zerstörung sie befriedigen. Es lag nicht nur daran, dass sie alles hasste, was mit Troja zu tun hatte. Sie wurde dabei durch mehr als ihren Hass motiviert, obwohl der allein schon gewaltig war und anhalten würde, bis diese verfluchte Sippschaft vom Erdboden getilgt war.[20]  Der Tod von Aeneas würde zusätzlich die Zukunft ihrer bevorzugten Siedlung sichern, Karthago.[21]  Die Bewohner dieser nordafrikanischen Stadt lagen ihr sehr am Herzen, und Hera war sich sicher, dass König Aiolos dies wusste. Dort bewahrte sie ihren Streitwagen und ihren Schild auf, und dort war ihr auch der größte Tempel Afrikas gewidmet. Sie nahm ihr Patronat über Karthago sehr ernst.[22]  Eines Tages würde sie erleben, wie die Stadt sich als großartigstes, reichstes und mächtigstes Reich über alle anderen Städte der Welt erhob. ARTEMIS hatte Ephesos, Athene ihr Athen, Zeus sein Olympia, Aphrodite ihr Zypern. Hera würde sie alle mit Karthago in den Schatten stellen. Das punische Reich würde die Welt beherrschen, und ihr Name würde mit ihm verherrlicht werden.

»Aber warum sollte … vergebt mir, göttliche Königin, vielleicht bin ich etwas begriffsstutzig … aber was hat Prinz Aeneas mit dem Schicksal von Karthago zu tun?«

»Ein Orakel hat geweissagt, dass ein Nachkomme von Aeneas eines Tages meine Stadt zerstören wird. Das kann ich aus Gründen, die ich nicht erläutern möchte, nicht erlauben. Mein Ehema … ich meine, mein Bruder Poseidon weigert sich einen Sturm gegen Aeneas’ Schiff zu schicken. Deswegen möchte ich, dass du deine Winde entfesselst, damit sie sein Schiff gegen die Felsen schmettern und die Geschichte vor der Gefahr bewahren, dass Aeneas größeres Unheil anrichtet. Das Leben eines Mannes und seiner Mannschaft gegen die Zukunft einer ganzen Zivilisation. Aber das verstehst du sicher.«

»Nun … natürlich. Aber wenn Poseidon sich unwillig zeigt, finde ich es schwierig … Wir mögen es nicht, gegeneinander zu arbeiten, versteht Ihr?«

Hera verstand sehr wohl. Während ihrer kurzen Konversation hatte sie gesehen, wie Aiolos’ Blick kurz zu der Nymphe an ihrer linken Seite gehuscht war.

»DEIOPEIA, mein Kind …«, rief sie dem Mädchen zu, das sich verneigte und einen Schritt vortrat. Aiolos staunte über ihr schönes Gesicht und ihre gute Figur. Hera tätschelte ihre errötende Wange. »Ich habe versucht einen Haushalt zu finden, in den die liebe Deiopeia passen würde. Deine eigene Frau ist doch – ich kann mich leider nicht an ihren Namen erinnern – vor fünf oder sechs Jahren gestorben, nicht wahr?«

»Vor zehn Jahren, meine Gebieterin.«

»Zehn? Wie schnell die Zeit vergeht. Deine Kinder sind dir sicher ein Trost, aber ein großer König sollte eine große Königin, eine Begleiterin, Freundin und Liebhaberin haben. Wie praktisch, dass mir die Idee kam, Deiopeia könnte eine wunderbare Gefährtin für meinen Freund hier sein, meinen entgegenkommenden Freund Aiolos.«

Unter schwarzen Himmeln brach ein Sturm von erschütternder Gewalt über die Flotten von Menelaos, Odysseus, Agamemnon und Ajax herein. In dem Moment, als er sie erreichte, wurden die Segel, die Takelage und die Masten ihrer Schiffe auseinandergerissen. Masten und Stangen brachen, die Segel flatterten umher und wickelten sich um alles. Es war ein einziges Krachen und Klatschen, Tönen und Trommeln. Die hilflosen Schiffe wurden so hoch wie Tempel geworfen, nur um gleich anschließend mit dem Kiel so hart auf das Wasser zu schlagen, dass jede Planke erzitterte. Die Männer im Schiffsrumpf beugten sich über ihre Ruder und beteten.

Menelaos’ Flotte verlor zwei Schiffe – verschwunden all die Schätze und die Hälfte der Männer fortgerissen. Wo sie sich wohl befanden? Poseidon hatte seinen Dreizack mit solcher Kraft geschwungen, dass die See sich um sie herum in einen gigantischen Whirlpool verwandelt hatte. Ob das letzte Aufbäumen des Sturms sie südlich oder nördlich, östlich oder westlich geschleudert hatte, konnte Menelaos nicht sagen. Die Macht des Sturms hatte allerdings Helena in seine Arme geworfen, und dafür war er dankbar.

Sein Bruder Agamemnon verlor ein Proviantschiff und nahm bald wieder Kurs auf Mykene.

»Auf dem Weg Richtung Heimat und Glück!«, seufzte Agamemnon.

»Auf dem Weg Richtung Blut und Verrat!«, rief Kassandra.

Neun der zehn ithakischen Schiffe würden repariert werden müssen, aber Tote gab es nicht zu beklagen. Die Segel nichts als Lumpen, befahl er seine Männer an die Ruder, bis Land in Sicht war.[23] 

Athene war nicht erfreut gewesen, ihren Liebling Odysseus so in Not zu sehen, aber es erboste sie, dass Ajax und seine Flotte es glücklich in den Windschatten einer felsigen Insel geschafft hatte, wo er sich erdreistete, geschützt vor dem Wüten des Sturmes, keck auf dem Vorderdeck zu stehen und in den Himmel zu lachen.

»Hör dir diesen Mann an, hör ihn dir an!«, rief Athene Poseidon zu, von dem sie wusste, dass er Ajax stets bevorzugt hatte.

Wie wildgeworden brüllte Ajax triumphierend in den Wind. »Ich weiß, dass du diesen Sturm geschickt hast, Athene, aber Poseidon, der gute Gott des Meeres, beschützt mich stets. Kein Fauchen und Keuchen von deiner Seite kann Ajax etwas anhaben.«

Die Götter hassen menschliche Anmaßung jeder Art, aber eine Anmaßung, die es wagt, mit einer besonderen Beziehung zwischen einem Sterblichen und einem Gott zu prahlen, ist unerträgliche Blasphemie. Poseidon stieß seinen Dreizack in Richtung der Insel. Der Sturm, der sich gegen die Windseite geworfen hatte, drehte und schleuderte Ajax gegen die Felsen. So viel zu Ajax.[24] 

Weiter draußen auf See tobte noch ein weiterer Wind. Aiolos, der Heras Wünschen brav nachgekommen war, um die schöne Deiopeia zu bekommen, hatte kreischende Winde geschickt, um die Schiffe zu drangsalieren, auf denen sich Aeneas und seine Trojaner befanden.

Karthago

Theo und Deo

JUNO, die Königin des Himmels, war im Stillen zufrieden mit dem Chaos, das sie angerichtet hatte, indem sie alle vier Winde gleichzeitig entfesselt hatte.