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In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie ist Denise überall im Einsatz. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Doch auf Denise ist Verlass. In der Reihe Sophienlust Extra werden die schönsten Romane dieser wundervollen Erfolgsserie veröffentlicht. Warmherzig, zu Tränen rührend erzählt von der großen Schriftstellerin Patricia Vandenberg. Entzückt betrachtete Marianne Garde die leibliche Gegend. Sie war jetzt sehr froh, dass sie von der Autobahn abgebogen war, um ein Stück auf der Landstraße zu fahren. So lernte man die Gegend besser kennen und konnte sich auch ein besseres Bild von der Bevölkerung machen. Die kleinen Orte, durch die sie jetzt fuhr, machten einen gemütlichen und sehr sauberen Eindruck. Der Raum Württemberg war ihr bisher ziemlich fremd gewesen. Ihr Leben hatte sich fast ausschließlich im Norden von Deutschland abgespielt. Nur im Urlaub war sie ein paarmal in den Süden und Westen gefahren. Diesmal handelte es sich nicht um eine Urlaubsfahrt. Sie war in Stuttgart gewesen, um dort höchstpersönlich ihr Bild »Knabe am Teich« bei seinem neuen Besitzer abzuliefern. Das Bild hatte auf einer Ausstellung in München Beachtung gefunden, und sie war sehr froh gewesen, dass sie es hatte so gut verkaufen können. Als der Käufer dann auch noch eine Einladung für sie übers Wochenende ausgesprochen hatte, hatte sie gern zugesagt. Die Tage, die sie in einem Vorort von Stuttgart bei dem Käufer, Herrn Dr. Clausen, und dessen Familie verlebt hatte, waren dann auch sehr harmonisch und angenehm verlaufen. Mit einem Scheck in der Handtasche befand sie sich nun auf der Heimfahrt nach Hamburg. Marianne Garde war im Augenblick mit sich und der Welt sehr zufrieden, und sie hatte auch allen Grund dazu. Mit ihrem Bild »Knabe am Teich« schien ihr nun endgültig der Durchbruch gelungen zu sein. Man kannte sie jetzt, und ihre Bilder fanden Käufer. Vor ihr lag noch ein langes Leben.
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Seitenzahl: 159
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Entzückt betrachtete Marianne Garde die leibliche Gegend. Sie war jetzt sehr froh, dass sie von der Autobahn abgebogen war, um ein Stück auf der Landstraße zu fahren. So lernte man die Gegend besser kennen und konnte sich auch ein besseres Bild von der Bevölkerung machen. Die kleinen Orte, durch die sie jetzt fuhr, machten einen gemütlichen und sehr sauberen Eindruck.
Der Raum Württemberg war ihr bisher ziemlich fremd gewesen.
Ihr Leben hatte sich fast ausschließlich im Norden von Deutschland abgespielt.
Nur im Urlaub war sie ein paarmal in den Süden und Westen gefahren.
Diesmal handelte es sich nicht um eine Urlaubsfahrt. Sie war in Stuttgart gewesen, um dort höchstpersönlich ihr Bild »Knabe am Teich« bei seinem neuen Besitzer abzuliefern. Das Bild hatte auf einer Ausstellung in München Beachtung gefunden, und sie war sehr froh gewesen, dass sie es hatte so gut verkaufen können. Als der Käufer dann auch noch eine Einladung für sie übers Wochenende ausgesprochen hatte, hatte sie gern zugesagt. Die Tage, die sie in einem Vorort von Stuttgart bei dem Käufer, Herrn Dr. Clausen, und dessen Familie verlebt hatte, waren dann auch sehr harmonisch und angenehm verlaufen. Mit einem Scheck in der Handtasche befand sie sich nun auf der Heimfahrt nach Hamburg.
Marianne Garde war im Augenblick mit sich und der Welt sehr zufrieden, und sie hatte auch allen Grund dazu. Mit ihrem Bild »Knabe am Teich« schien ihr nun endgültig der Durchbruch gelungen zu sein. Man kannte sie jetzt, und ihre Bilder fanden Käufer. Vor ihr lag noch ein langes Leben. Ein Leben, in dem sie malen konnte. Es gab ja so vieles, was sie entzückte und was sich lohnte, festgehalten zu werden. Sie war jung und hübsch. Es gab Menschen, die sie sogar für eine kleine Schönheit hielten. Warum also sollte sie nicht glücklich sein?
Unwillkürlich verlangsamte Marianne bei diesem Gedanken ihre Fahrt. Es kam ihr plötzlich zu Bewusstsein, dass sie sich davor fürchtete, nach Hause zu kommen. Seit dem Tod ihrer Eltern hatte sie schon öfter dieses Gefühl der Leere und die Angst vor der Stille ihrer Wohnung gehabt. Sie vermisste ihre Eltern noch immer sehr. Vielleicht war das auch der Grund, weshalb sie sich wieder etwas mehr an ihren Jugendfreund Hartwig Brenner angeschlossen hatte, obwohl sie beide gar nicht zueinander passten. Aber es war schwer, Hartwig das beizubringen. Er konnte sehr stur sein und hatte es sich nun einmal in den Kopf gesetzt, sie zu heiraten, obwohl seine Mutter davon gar nicht erbaut war. Sie hatte sich für ihren einzigen Sohn eine andere Frau erträumt. Eine Frau mit Vermögen und guten Verbindungen und keine Malerin.
Marianne gab etwas Gas, musste aber schon nach wenigen Metern mit der Geschwindigkeit heruntergehen. »Wildmoos« hieß der Ort, wie das Straßenschild ankündigte, durch den sie jetzt fuhr. Es war ein sehr idyllischer kleiner Ort mit hübschen Häuschen und sehr sauberen Straßen. Er war umgeben von Wäldern und sanften Hügeln. Mariannes Malerauge nahm das alles bewundernd auf. Ruhig und friedlich schien hier alles zu sein, als wäre die hektische laute Zeit noch nicht bis hierher vorgedrungen.
Auf dem kleinen Marktplatz gab es ein Gasthaus, das geradezu zum Verweilen einzuladen schien. Vor dem Eingang standen zwei mächtige alte Linden, die Marianne an ihre Kindheit erinnerten, an die Sommerferien bei ihren Großeltern im Mecklenburgischen. Auch die blühenden Blumen hinter den Fensterscheiben und die blütenweißen Gardinen riefen Erinnerungen an das alte Bauernhaus der Großeltern wach.
Kurz entschlossen brachte Marianne ihren Wagen vor dem Gasthaus zum Stehen. Warum sollte sie hier nicht einkehren? Was hielt sie davon ab, in dieser hübschen Gegend ein paar Tage Urlaub zu machen? Zu Hause wartete ja niemand auf sie.
Das Gasthaus hieß zum »Grünen Krug«, und ein Schild neben der Tür verkündete, dass hier die Wirtin selbst kochte und dass noch Zimmer frei waren.
Befriedigt stieg Marianne aus ihrem Sportwagen aus und reckte und streckte sich ein wenig. Tobsy, die kleine Hündin, die bis jetzt fest auf dem Rücksitz geschlafen hatte, hob den Kopf und blinzelte.
Tobsy war nicht reinrassig, aber sie war hübsch. Ihr schwarzes Haar glänzte wie Seide, ihre Ohren waren lang. Sie war gut gebaut und hatte kluge bernsteinfarbene Augen.
»Schlafmütze«, sagte Marianne lachend. »Wie wäre es mit frischem Wasser und leckerem Hundekuchen?«
Das Wort Hundekuchen verstand Tobsy sehr genau. Sie setzte sich auf und sah sich interessiert um. Die Gegend schien auch ihr zu behagen. Mit einem Satz war sie draußen, wo sie sich sofort für die dortigen neuen Gerüche zu interessieren begann.
Das Gasthaus war auch innen so nett und gemütlich, wie man es von ihm nach dem hübschen Äußeren erwartete. Durch einen kleinen Flur gelangte Marianne in den Gastraum, wo sie sehr freundlich von dem Wirt und der Wirtin begrüßt wurde. Alles war sehr geschmackvoll und dabei urgemütlich.
Marianne hatte Glück. Es war noch ein Zimmer frei. Es war ja noch keine Hauptsaison, die Schulferien hatten noch nicht begonnen. Auch gegen Tobsy hatten die Wirtsleute nichts einzuwenden. Sie hatten selbst zwei Hunde und waren ausgesprochen hundefreundlich eingestellt.
Das Zimmer lag im ersten Stock des Hauses. Es war groß und geräumig und hatte zwei Fenster, durch die man einen herrlichen Blick über Wiesen, Wälder und Felder hatte. Die Landschaft war leicht hügelig und bekam dadurch einen lieblichen Ausdruck.
Marianne beschloss, am nächsten Morgen mit ihrem Skizzenblock auf Motivsuche zu gehen. Ihre Stärke und Liebe gehörte eigentlich dem Porträt, aber sie hatte auch schon sehr gelungene Landschaftsbilder zustande gebracht. Am liebsten kombinierte sie beides. Vielleicht würde sie ein paar lohnende Motive, die sie später einmal verwenden konnte, finden. Ihren Skizzenblock und einige Malutensilien hatte sie stets bei sich.
Fast liebevoll nahm Marianne diese Dinge aus ihrer großen Tasche heraus und legte alles auf den Tisch am Fenster. Auch die anderen Sachen waren bald geordnet. Den kleinen Koffer, der einige elegante Kleider enthielt, die sie für die Einladung hatte mitnehmen müssen, ließ sie unausgepackt. Hier würde sie mit ihren geliebten Jeans und den einfachen Pullis auskommen, Hartwig würde zwar die Nase rümpfen, und auch seine Mutter, die Frau Oberstudienrätin Alice Brenner, würde ganz bestimmt ein paar spitze Bemerkungen darüber machen, dass die Frau, die ihr Sohn durchaus zu heiraten gedachte, in so saloppen Sachen herumlief.
Bei dem Gedanken an Hartwigs Mutter schüttelte sich Marianne ein bisschen und schnitt ihrem Spiegelbild eine kleine Grimasse. Sie beschloss, mit Hartwig ein sehr ernstes Wort zu reden und ihm noch einmal klipp und klar zu sagen, dass sie nie und nimmer seine Frau werden könne. Leider würde Hartwig nicht begreifen, warum und wieso sie ihn ausschlug. Nach seiner und seiner Mutter Meinung war er der Mann, den einfach jede Frau begehren musste. Er sah gut aus, hatte eine ausgezeichnete Stellung in einer großen Fabrik als Prokurist, und er war korrekt und vertrauenswürdig, solide, strebsam und sparsam. Leider besaß er aber keinen Funken von Humor, und er war dabei auch noch ganz ungewöhnlich ichbezogen und verwöhnt. Und Hunde mochte er auch nicht. Tobsy gegenüber hegte er geradezu lächerliche Eifersucht.
Nun, Tobsy erwiderte die Antipathie, und meistens beachtete sie ihn gar nicht, sondern tat so, als sei er für sie Luft. Marianne fand das ausgesprochen klug von der Hündin.
Während Marianne das dachte, stand sie vor dem Spiegel des kleinen Toilettentisches. Sie hatte eine Bürste in der einen und einen Seifenlappen in der anderen Hand. Sehr nachdenklich betrachtete sie noch einmal ihr Gesicht. Hässlich war sie ganz gewiss nicht. Ihr Gesicht war sehr apart. Es war schmal und wurde von den großen Augen beherrscht, die goldbraun waren und kleine leuchtende Pünktchen hatten. Sie standen weit auseinander und wurden von sehr dunklen und dichten Wimpern umrandet. Ihr Haar war dunkel und lockig. Es war kurz geschnitten, weil Marianne sich nicht gern damit abgab, stundenlang das Haar zu bürsten und aufzudrehen. Der kurze Haarschnitt war so wundervoll bequem.
Tobsy saß auf der Decke, die Marianne in einer Ecke für ihn ausgebreitet hatte, und verfolgte jede ihrer Bewegungen genau. Nachdem sie das Zimmer gründlich auf Gerüche untersucht hatte, machte sie einen gelangweilten Eindruck. Ihr Blick war ausgesprochen vorwurfsvoll und schien sagen zu wollen: Warum bist du nicht mit mir nach Hause gefahren? Im Kühlschrank hätte sich bestimmt etwas Gutes für mich gefunden. Als Marianne jetzt die Leine nahm, sprang die Hündin sofort auf und lief zur Tür. Erwartungsvoll sah sie zu ihrer Herrin auf und wedelte mit dem Schwanz.
»Wenn mich nicht alles täuscht, dann ziehen sehr verlockende Düfte durch das Haus. Ob wir leichtsinnig sind und uns ein gutes Schnitzel leisten? Oder lieber ein Kotelett? Des Knochens wegen, verstehst du?«
Tobsy schien verstanden zu haben. Das Wort Knochen kannte sie sehr gut. Für einen Augenblick leckte sie sich im Vorgeschmack der angekündigten Genüsse die kleine Schnauze.
Marianne hatte sich nicht getäuscht. Die Wirtin war in der Küche dabei, ein gutes Abendessen zuzubereiten. Marianne konnte ein Kotelett bestellen. Dazu gab es einen großen Salatteller und für Tobsy noch einen Knochen extra. Der Landwein, den die Wirtin ihr empfahl, schmeckte vorzüglich, und Marianne fühlte sich nach der Mahlzeit so richtig wohl und zufrieden. Es war wirklich ein guter Entschluss gewesen, hier anzuhalten, um sich in dem netten Gasthaus einzuquartieren.
Nach dem Essen machte Marianne mit Tobsy noch einen ausgedehnten Spaziergang, dann suchte sie ihr Zimmer auf. Als sie etwas später in ihrem bequemen Bett lag, empfand sie fast so etwas wie Ferienstimmung. So war ihr immer als Kind zumute gewesen, wenn der erste Ferientag begonnen hatte.
Draußen war es wunderbar still und ruhig, und durch die geöffneten Fenster kam der Duft von frischem Gras und Blüten. In der Ecke waren Tobys ruhige und gleichmäßige Atemzüge zu hören. Auch die Hündin schien hier glücklich zu sein.
*
Am nächsten Morgen stand die Sonne strahlend schön am Himmel. Es war ein Wetter, wie man es sich für ein paar Urlaubstage erträumte, sonnig und warm, aber nicht schwül und heiß.
Gleich nach dem Frühstück, das wieder sehr schmackhaft und reichhaltig gewesen war, zog Marianne mit Tobsy los. Sie hatte ihre Tasche mit, in der sie Skizzenblock und Stifte untergebracht hatte. Im Augenblick verspürte sie jedoch gar keine Lust zu arbeiten. Ganz im Gegenteil, ihr war so recht zum Faulenzen zumute, aber man konnte nicht wissen.
Marianne hatte schon oft erlebt, dass sie auf etwas gestoßen war, was ihr Malerauge entzückt hatte, und sie war stets tief unglücklich gewesen, wenn sie dann keine Möglichkeit gehabt hatte, das festzuhalten.
Ihr Weg führte erst durch eine blühende Wiese, durch die sich ein kleiner ausgetretener Pfad schlängelte. Von den Wiesenblumen stieg ein fast betäubender Duft auf, ein paar Feldlerchen zankten sich auf einem kleinen Busch und flogen dann plötzlich jubelnd in den blauen Himmel hinein.
Marianne blieb eine ganze Weile stehen und beobachtete die Vögel. Am liebsten hätte sie sich in das duftende Gras geworfen, um den Blumen und dem vielen kleinen Getier ganz nahe zu sein und den Duft der Erde einatmen zu können, aber Tobsy war schon ein Stück weitergerannt. Sie blieb jetzt am Ende der Wiese stehen, dort, wo der Wald begann. Sie bellte ein paarmal, was wohl heißen sollte, warum kommst du nicht? Hier gibt es noch viel Interessantes zu sehen. Dann lief sie in den Wald hinein.
Marianne wusste, dass die Hündin nicht weit laufen und dass sie auch kein Unheil anrichten würde. Tobsy war keine passionierte Jägerin. Trotzdem beschleunigte Marianne nun ihre Schritte. Als sie den Wald erreichte, war von der Hündin jedoch nichts mehr zu sehen und zu hören.
Marianne ging den Waldweg ein Stück weiter und pfiff. Lauschend blieb sie stehen. Um sie herum war nur Stille, doch dann hörte sie ein paar Äste knacken, und gleich darauf begann Tobsy ganz in der Nähe zu bellen. Als Marianne scharf nach ihm rief, kam sie zwar sofort angelaufen, blieb aber nur einen Augenblick vor ihr stehen und lief sofort wieder aufgeregt davon.
Kopfschüttelnd und ein bisschen ärgerlich lief Marianne hinter dem Hund her. Plötzlich stand sie vor zwei kleinen Mädchen, die ihr etwas ängstlich und erschrocken entgegensahen. Das größere Mädchen mochte etwa zwölf oder dreizehn Jahre alt sein und war ein hübsches frisches Kind, blond, blauäugig, mit einer kleinen Stupsnase und vielen lustigen Sommersprossen. Das andere Mädchen mochte vielleicht drei Jahre alt sein, und bei dessen Anblick stockte Marianne für einen Augenblick der Atem. Sie glaubte, noch nie in ihrem Leben ein so süßes Kind gesehen zu haben. Die kleine Gestalt hatte etwas überirdisch Zartes und Liebliches an sich und schien einem alten Bild entstiegen zu sein. Das Kind hatte ein zauberhaftes Gesichtchen mit großen, strahlend blauen Augen, dazu blondes Haar, von einem so hellen und silbrigen Blond, wie Marianne es noch nie gesehen hatte. Das Haar lockte sich leicht und fiel dem kleinen Mädchen bis auf die Schultern.
Das Kind muss ich malen, dachte die junge Malerin sofort. Ich muss es malen, und ich weiß, es wird ein gutes Bild werden – ein sehr gutes Bild. Es wird das beste Bild werden, das ich bis jetzt geschaffen habe. Und ich weiß auch schon, wie und wo ich das Kind malen werde. Ich werde es auf der Wiese malen, inmitten der vielen blühenden Blumen.
Wie ein Rausch überkam Marianne die Mallust. Sie hatte im Augenblick vollkommen vergessen, wo sie war. Sie dachte nur noch an das Bild und begann im Geiste bereits die Farben zu mischen.
»Guten Tag«, sagte das größere Mädchen und machte einen Knicks. »Beißt der Hund?«
Marianne schreckte aus ihren Gedanken auf und musste sich erst einen Augenblick besinnen. Doch dann lächelte sie. »Nein, der Hund beißt nicht. Er mag Kinder sogar sehr gern, Ihr habt wohl Himbeeren gepflückt? Hat es sich denn gelohnt?« Dabei deutete sie auf das Eimerchen, das das kleine Mädchen in der Hand hielt und in dem der Boden mit Himbeeren bedeckt war.
»Vivi wollte nur gern ein paar Beeren naschen. Da bin ich mit ihr in den Wald gelaufen.«
»Deine kleine Schwester heißt also Vivi«, sagte Marianne mit einem lieben Lächeln und ließ dabei keinen Blick von dem liebreizenden Gesicht des kleinen Mädchens, das sich ängstlich hinter dem größeren versteckte. Erst jetzt kam Marianne zu Bewusstsein, dass die Kleine sehr verängstigt und verschüchtert wirkte. Das hübsche Gesichtchen war ernst, und die großen Augen hatten einen fast schwermütigen Ausdruck.
»Vivi ist nicht meine Schwester. Wir kommen aus dem Heim. Dort beginnt schon der Park von Sophienlust. Das ist ein Kinderheim.«
»Ein Kinderheim?«, fragte Marianne gedehnt. »Lebt ihr immer dort?«
Das ältere Mädchen nickte. »Wir haben keine Eltern mehr. Ich heiße Angela Dommin, aber alle nennen mich nur Pünktchen – wegen der Sommersprossen.«
Pünktchen lachte fröhlich, und auch Marianne lachte, nur das kleine Mädchen verzog nicht einmal den Mund. Unentwegt starrte es mit erschreckten Augen zu Marianne empor.
»Und die kleine Vivi hat auch keine Eltern?«, fragte Marianne leise. Pünktchen schüttelte den Kopf. »Niemand weiß etwas über Vivi. Wir wissen nicht, wie sie richtig heißt, woher sie kommt und wer ihre Eltern sind. Wir wissen nur, dass sie in Afrika gelebt hat. Von dort ist sie mit einem Flüchtlingstransport nach Deutschland gekommen. Man nimmt an, dass Vivis Eltern Deutsche sind, weil Vivi deutsch spricht. Sie ist jetzt schon ein paar Monate bei uns in Sophienlust.«
Marianne sah mitleidig auf das kleine Mädchen. Es wirkte so klein und zart und hatte doch schon so viel Schweres erlebt. Tiefes Mitleid ergriff Marianne. Sie nahm sich in diesem Augenblick vor, etwas für das Kind zu tun, falls sie das Bild gut verkaufen konnte. Redlich wollte sie dann den Betrag teilen.
»Wir haben es in Sophienlust sehr gut«, fuhr Pünktchen fort. »Ich möchte nie mehr von dort fort. Ich fühle mich dort wie zu Hause, und Tante Isi hat mir versprochen, dass ich auch in Sophienlust bleiben darf. Ich bin ein Dauergast in Sophienlust.«
»Tante Isi ist wohl die Heimleiterin?«
Pünktchen schüttelte den Kopf, dass ihre blonden Locken flogen. »Tante Isi heißt eigentlich Denise von Schoenecker, und ihr gehört Sophienlust. Unsere Heimleiterin ist Frau Ilse Rennert, wir nennen sie aber immer Tante Ma. Und eigentlich gehört Sophienlust auch gar nicht Tante Isi, sondern ihrem Sohn Nick und …«
»Einen Augenblick«, rief Marianne lachend, »da komme ich nicht so ganz mit. Bitte, noch einmal und immer hübsch der Reihe nach. Manchmal bin ich ein bisschen schwer von Begriff.«
Pünktchen fiel in Mariannes Lachen ein. Das hübsche junge Mädchen gefiel ihr. »Ich werde es Ihnen erklären«, sagte sie wichtigtuerisch.
»Das ist nämlich so. Eigentlich war Sophienlust einmal ein richtiges Herrenhaus und gehörte der Familie Wellentin. Als Tante Isi Dietmar von Wellentin heiratete, wollte seine Familie nichts von ihr wissen, weil sie Tänzerin war. Erst als Tante Isis erster Mann starb, wurden sie und ihr Sohn Nick von der Familie aufgenommen, und Nick erbte den schönen Besitz, aber nur unter der Bedingung, dass aus Sophienlust ein Kinderheim wird. Weil Nick noch nicht alt genug ist, verwaltet Tante Isi alles für ihn. Haben Sie das verstanden?«
Marianne nickte lachend. »Doch, damit kann ich schon etwas anfangen. Sag einmal, wäre es wohl möglich, dass ich eure Tante Isi einmal aufsuche?«
»Das ginge bestimmt. Wollen Sie gleich mit uns mitkommen? Wir gehen jetzt nach Sophienlust zurück, und um diese Zeit ist Tante Isi immer in Sophienlust. Sie wohnt jetzt auf Gut Schoeneich, denn sie ist mit Onkel Alexander verheiratet, ich meine, mit Herrn Alexander von Schoenecker«, erläuterte Pünktchen. »Wollen Sie Ihren Sohn oder Ihre Tochter nach Sophienlust bringen?«, fragte sie neugierig.
»Leider habe ich weder einen kleinen Sohn noch eine kleine Tochter. Ich möchte die kleine Vivi gern malen, weißt du, und dazu brauche ich die Erlaubnis von eurer Tante Isi.«
»Oh, Sie sind Malerin«, rief Pünktchen bewundernd aus. »Können Sie ganz richtig malen?«
Sie wurde ein bisschen rot, und als sie Mariannes lachendes Gesicht sah, fügte sie etwas kleinlauter hinzu: »Ich meine, so richtig große Bilder?«
»Ja, so richtige große Bilder, und ich glaube, das Bild von Vivi wird ganz besonders gut werden.« Sie griff nach der Hand des kleinen dreijährigen Mädchens, aber das Kind wich ängstlich zurück und versteckte seine Hand auf dem Rücken.
»Vivi ist sehr scheu«, glaubte Pünktchen die Kleine entschuldigen zu müssen. »Sie schließt sich an niemanden so richtig an.«
Marianne nickte Vivi beruhigend zu und sagte freundlich: »Vivi kennt mich ja auch noch gar nicht richtig, aber ich kann mir denken, dass wir recht gute Freunde werden.«
Das kleine Mädchen, das mit großen verschreckten Augen zu ihr aufsah, senkte rasch den Blick. Die langen dunklen Wimpern lagen wie schwarze Vogelschwingen auf den zarten Wangen des Kindes.
Auf dem Weg durch den Wald sprach das kleine Mädchen kein Wort und sah auch nicht einmal vom Waldboden auf. Es hielt Pünktchens Hand, fest umklammert und lief unermüdlich neben dem größeren Mädchen her.
Marianne beobachtete das alles. Ihr Mitleid wurde immer größer. Am liebsten hätte sie Vivi auf den Arm genommen und zu trösten versucht, aber sie ahnte, dass sie damit mehr verderben, als helfen würde.
Nur mit halbem Ohr hörte sie auf das eifrige Geplauder von Pünktchen, deren Mund auch nicht einen Augenblick still stand. Sie erzählte von Sophienlust und von den Kindern, die dort lebten.