Ohne Wenn und Aber - Birgit Gruber - E-Book
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Birgit Gruber

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Beschreibung

Silvester, Ganoven und ein kleiner Mord Als nach der alljährlichen stadtbekannten Bayreuther Weihnachtsfeier der Hausmeister Richard spurlos verschwunden ist und Kati Blum selbst ins Visier sonderlicher Ganoven gerät, beschließt sie, der Sache auf den Grund zu gehen. Ihr Weg führt sie nach Bad Bentheim, wo sie ihr Improvisationsvermögen unter Beweis stellt und nebenbei so manche kuriose Situation meistert. Doch dann hat sie plötzlich auch noch eine Mitfahrgelegenheit namens Lars im Schlepptau, der sie mit seiner ruppigen, aber auch charmanten Art aus dem Konzept bringt. Ob sie es dennoch schafft, das Rätsel bis Silvester zu lösen? Der Auftakt der Erfolgsreihe "Kati Blum ermittelt" - Der spannende und skurrile Bayreuth-Krimi! Dieser Roman ist in sich abgeschlossen. Alle Teile können unabhängig voneinander gelesen werden LeserInnenstimme zu KATI BLUM ERMITTELT - Ohne Wenn und Aber: Witzig, skurril, spannend - lesenswert!

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Ohne Wenn und Aber

Kati Blum ermittelt – Band 1

____________________________________________________________________

Birgit Gruber

Dies ist ein Roman.

Die Namen der behandelten Personen sind frei erfunden. Eventuelle Ähnlichkeiten mit real existierenden (lebenden oder toten) Menschen wäre reiner Zufall.

Prolog

Das Fest war in vollem Gang. Es war früher Abend. Trotz der Eiseskälte amüsierten sich offenbar alle bestens. Das Ambiente war unglaublich. Der riesige Hof glich einem Wintermärchen. Es lagen etwa acht Zentimeter Schnee. Die Bäume trugen ein weißes Winterkleid, manche wurden von verschiedenfarbigen Lichtern angestrahlt, andere zierten Lichterketten mit warmen, gelbgoldenen Birnchen. In der Mitte des Hofs war eine Schneebar aufgebaut worden, über deren Theke nun jede Menge Sekt, Cocktails und natürlich auch Glühwein sowie Grog gereicht wurde. Ein Stück weiter befand sich ein gigantisches Buffet mit einer Auswahl an teuren Speisen. Eine unzählige Menge an Stehtischen mit edlen, roten Spanntischtüchern verliehen einen anmutigen Kontrast zur weißen Winterlandschaft. Überall standen in einigen Abständen verteilt kleine Feuerkübel und Heizpilze. Der Weg zur Einfahrt wurde mit Fackeln gesäumt. Doch die Krönung dieses wundervollen Flairs bestand unbestreitbar aus den drei verschiedenen, etwa ein Meter fünfzig großen Eisskulpturen. Sie stellten einen Engel, einen Löwen und natürlich einen Schneemann dar. Die Sterne funkelten in dem graublauen klaren Himmel, und aus den sechs Lautsprechern war gerade in gedämpfter Lautstärke Frank Sinatra zu hören, der White Christmas sang. Die Leute lachten, redeten und wiegten sich zur Musik.

All das interessierte die zwei Männer jedoch nicht im Geringsten. Das hieß, jedenfalls nur insoweit, um nicht aufzufallen. Sie gingen davon aus, dass keiner der Anwesenden ihnen Beachtung schenkte. Schließlich wuselte hier einiges an Personal herum. Wer sollte also bemerken, ob sich zwei mehr oder weniger an diesem Ort herumtrieben? Genau wie die Kellner trugen die beiden Männer einen schwarzen Anzug. Doch sie hatten andere Ziele, als den verwöhnten Reichen Drinks zu servieren. Ein letzter Blick über die Schulter, dann verschwanden sie im Inneren der Villa.

Eine knappe Stunde später standen sie wieder draußen in der Kälte. Das, was sie suchten, hatten sie nicht gefunden. Missmutig kratzte sich einer am Hinterkopf, während der andere sich eine Zigarette anzündete und das immer noch lustige Treiben vor sich aus einem sicheren Abstand heraus beobachtete.

»So ein Mist!«, zischte er.

»Und wenn sie doch im Safe sind?«, fragte sein Partner.

»Damit Papi sie findet und fragt, was das ist?« Er schüttelte den Kopf, ließ die Zigarette fallen und trat sie aus. »So blöd war er nicht.«

»Aber wo sollen wir dann noch suchen?«

Der Erste schob den Unterkiefer vor und rieb sich übers Kinn, als in seinem Blickfeld eine Frau auftauchte. Sie hatte die braunen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und trug eine grüne Kellnerschürze um die Taille.

»Da. Ist das nicht die trauernde Witwe?« Er deutete vage in die Richtung der jungen Frau.

Sein Kumpan kniff die Augen zusammen und suchte den angedeuteten Radius ab.

»Die Kellnerin, Mann«, schnaufte ungeduldig sein Kollege.

»Schon möglich. Und?«

»Wo geht die denn hin?«

Die beiden Männer schauten ihr nach und beobachteten, wie die Frau an den Fackeln vorbei die Einfahrt entlanghuschte.

»Komm, das schauen wir uns näher an. Vielleicht haben wir einfach am falschen Ort gesucht.«

Kati hatte das Gefühl, als würden ihre Füße nur noch aus zwei Eisklötzen bestehen. Wenn sie sich nicht schleunigst ein paar weitere Socken anzog, könnte sie sich bald als vierte Eisskulptur in der Menge platzieren. Eilig lief sie zu ihrer kleinen Wohnung, die gleich neben der Straße am Eingang zur Auffahrt der Villa lag. Dass ihr zwei Gestalten in einigem Abstand folgten, bemerkte sie nicht.

Bereits am früheren Abend waren Richard die beiden Männer aufgefallen. Anfangs dachte er, sie würden zur Crew des Partyservice oder aber mit zu dem Team des Lieferanten der Eisskulpturen gehören. Wobei, für die Anlieferung der Skulpturen benötigte man nicht zwingend einen Anzug. Zumal der Kühlwagen minus zwanzig oder gar minus dreißig Grad kalt sein mochte. Doch aufgrund des regen Betriebs der Party hatte er sich wieder seinen Aufgaben gewidmet, ohne sich weiter Gedanken zu machen.

Richard war ein ausgebildeter Butler und stand schon sein ganzes Leben lang im Dienst der Familie Blum. Inzwischen war das Rentenalter fast erreicht. Aber ob er wirklich seinen Job an den Nagel hängen würde? Trotz seiner Herz-Kreislauf-Probleme konnte er sich ein anderes Leben überhaupt nicht vorstellen. Er war hier quasi der heimliche Hausherr, Hausmeister und Butler in einem. Alle anfallenden Aufgaben, was das Haus und Anwesen der Blums betraf, erledigte er. Und solange seine Frau, die bei den Blums ebenfalls arbeitete – sie war die Herrin der Küche und der Wäsche –, nichts einzuwenden hatte, würde er wohl seine Rentnerzeit nach hinten verschieben.

Heute war die alljährliche Weihnachtsfeier der Blums. Wie immer ein Event der Superlative. Als alteingesessene Juweliersfamilie genossen sie größtes Ansehen in Bayreuth und verfügten über jede Menge Geld. Jedes Jahr kurz vor Weihnachten gaben sie eine Party für Freunde, Geschäftspartner und die Oberen der Stadt. Alles, was Rang und Namen hatte, wurde eingeladen. Und er, Richard, war für die Organisation dessen verantwortlich. Es geschah nichts, was er nicht in Auftrag gegeben und in Augenschein genommen hatte.

Die beiden Männer jedoch waren ihm gänzlich unbekannt. Auch auf Nachfrage beim Personal des engagierten Partyservice konnte ihm niemand eine Angabe zu den beiden machen. Nun fiel sein Blick zufällig wieder auf sie. Sie standen zwischen der Villa und dem Tiefkühlwagen, in dem die Eisskulpturen geliefert wurden. Dann setzten sie sich langsam in Bewegung. Zeit, die zwei einmal zu fragen, welche Aufgabe sie hier heute Abend eigentlich hatten. Kräftigen Schrittes lief er geradewegs auf sie zu.

»Entschuldigen Sie«, sagte Richard in seiner angenehmen tiefen Stimme, »können Sie sich ausweisen? Ich bin hier der Verantwortliche und kann Sie beide leider keiner konkreten Aufgabe auf diesem Fest zuordnen.«

Die zwei Männer blieben abrupt stehen und sahen einander verwirrt an. Nicht nur, dass sie nicht damit gerechnet hatten, überhaupt jemandem aufzufallen, auch würden sie nun noch die Kleine aus den Augen verlieren, wenn sie jetzt in eine Diskussion verwickelt werden würden. Unnötig zu erwähnen, dass es eigentlich keinen tatsächlichen Grund gab, um hier zu sein. Während dem einen noch die Worte fehlten und ihm am Gesicht abzulesen war, dass er sich ertappt fühlte, begann der andere, freundlich zu lächeln.

»Ah, Sie sind Herr …« Natürlich hatte er keine Ahnung, wer da vor ihm stand. Doch er hoffte, mit dieser wissenden Andeutung könnte er sowohl den Namen des Störenfrieds erfahren als auch Zeit gewinnen.

»Schwenk. Richard Schwenk.«

»Genau.« Er deutete lachend mit dem Zeigefinger in die Luft, als wäre ihm der Name, nun, da er ihn hörte, wieder eingefallen. Dann nahm er ihn sanft am Ellenbogen und schob ihn ein paar Meter weiter, während er einfach unverbindlich weiterredete.

»Herr Schwenk. Wir haben uns noch gar nicht persönlich vorgestellt.« Inzwischen standen sie direkt vor dem Kühlwagen.

»Ich bin Herr Meier, und das ist Herr Müller.« Er deutete zu seinem Kompagnon.

Richard schaute misstrauisch von einem zum anderen. Sein Blick verharrte noch auf Müllers Gesicht, das sichtlich blass geworden war, als ihn plötzlich eine prankenhafte Hand von hinten packte und ihm den Mund zuhielt, während die andere Hand seinen Oberkörper umschlang.

»Los, mach das Ding da auf«, zischte Müller Meier zu. Oder war es umgekehrt?

Der machte große Augen.

»Wird’s bald? Worauf wartest du?«

Und ehe Richard sich versah, wurde die Tür zum Kühlwagen aufgerissen und er ohne weitere Vorwarnung hineingestoßen. Bis er sich bewusst wurde, was gerade geschah, war die Tür bereits verschlossen, und Dunkelheit und eisige Kälte umgaben ihn.

»Spinnst du?«, hörte Richard den einen noch fragen. Dann wurde es still.

Gute zwei Stunden später hatten Meier und Müller Katis Wohnung durchsucht. Ebenfalls ergebnislos.

»Und was machen wir jetzt? Ob den Schwenk schon jemand gefunden hat? Vielleicht werden wir bereits gesucht!«

»Mann. Mach dir nicht ins Hemd. Wir schauen mal nach.«

Vorsichtig lugte er die Einfahrt entlang. Die Fackeln flackerten. Einige Gäste fuhren bereits nach Hause, aber die Party war immer noch im Gang. Nichts deutete auf einen Aufruhr hin. Doch die tröpfchenweisen Grüppchen, die wiederholt an Katis Häuschen vorbeikamen, ließen die beiden noch ausharren.

Als sie etliche Zeit später die Tür zum Kühlwagen öffneten, stand Richard direkt vor ihnen. Steif gefroren. Müller schluckte schwer. »Wir können ihn nicht hier stehen lassen.«

1

Es war bereits spät nach Mitternacht. Die Weihnachtsparty war vorbei, alles Nötige wieder aufgeräumt. Durchgefroren bis auf die Knochen und hundemüde, wollte ich nur noch ins Bett. Warum machte ich das nur? Mit schwarzer Hose und weißem Blüschen bei Minusgraden draußen herumzulaufen war wirklich kein Spaß. Aber das Personal sollte nun einmal als solches erkannt werden. Dass ich eigentlich zur Familie gehörte, spielte für meine Person keine Rolle.

Ich bin übrigens Kati. Kati Blum. Mein Leben lief derzeit nicht gerade rund. Und dass ich als Kellnerin auf dieser Weihnachtsfeier aushalf, könnte meine momentane Lebenssituation nicht besser widerspiegeln. Ein Sinnbild für meine aktuelle Lage, sozusagen. Ich bin Anfang dreißig, habe rotbraune Haare, eine durchschnittliche Größe und Figur. Was meine derzeitige Lebenslage betrifft, so würde ich sie als zerrüttet und ungewiss beschreiben.

Vor vier Jahren hatte ich meinen Traummann im Urlaub kennengelernt und geheiratet. Damals war alles rosarot. Über beide Ohren verliebt, zog ich mit meinem frischgebackenen Ehemann Thorsten in die kleine Wohnung über der Garage meiner neuen Schwiegereltern Anke und Klaus Blum ein. Man könnte sagen, sie waren nicht gerade begeistert. Weder über den Umstand, dass ich überraschend ihre Schwiegertochter geworden war, noch dass wir in der Mini-Wohnung unser Nest einrichteten. Und dabei war das Wort »Nest« die treffende Bezeichnung. Denn sie war wirklich klein, und direkt gegenüber dem Wohnzimmerfenster stand eine große, alte Eiche, die nicht nur Schatten warf, sondern auch jegliche Aussicht mit ihren Zweigen verdeckte. Wir nannten deshalb unser gemeinsames Domizil liebevoll auch »unser Baumhaus«. Früher war es wohl einmal eine Dienstbotenwohnung. Sie lag gleich neben der Einfahrt zum Blum’schen Anwesen. Einer Villa, die wahrscheinlich Hollywood-Stars vor Neid erblassen ließen, mit den dazugehörigen dreitausend Quadratmetern Grünfläche.

Die Blums waren als alteingesessene Bürger stadtbekannt, zumal sich seit Generationen das Juweliergeschäft direkt neben dem alten Brunnen am Markt in ihrem Besitz befand. Sprich, sie waren einflussreich und stanken vor Geld. Grundlagen, die ihrerseits keinerlei Verständnis dafür aufbrachten, warum sich ihr Sohn einfach mit einem dahergelaufenen Weibsbild verheiratete und dann auch noch in die »Dienstbotenwohnung« mit ihr zog.

Hinzu kam, dass Thorsten Ankes Ein und Alles war. Ein Einzelkind, das sie von Herzen bemutterte. Und hierbei war es ihr egal, dass ihr Sohnemann bereits seit mehreren Jahren laut Gesetz erwachsen war, seinen Führerschein und eine abgeschlossene Banklehre vorweisen konnte und folglich sein eigenes Geld verdiente. Anke war grundsätzlich keine Frau für ihren Jungen gut genug. Vielleicht auch deshalb die überstürzte Hochzeit. Thorsten … also wir hatten seine Eltern einfach vor vollendete Tatsachen gestellt. Kein guter Ausgangspunkt für eine harmonische Beziehung mit meiner Schwiegermutter. Aber im Nachhinein ist man bekanntlich immer schlauer.

Doch wir trotzten allen familiären Schwierigkeiten, und die ersten Jahre unserer Ehe waren einfach nur schön. Wir lagen auf einer Wellenlänge. Streit gab es kaum. Unser Leben bestand aus Lachen, Liebe und Vertrauen. Es war zu schön, um wahr zu sein. Allerdings kamen wir auch über die ersten drei Jahre nicht hinaus. Denn genau heute vor einem viertel Jahr fiel Thorsten mitten in seiner Bewegung einfach um und war tot. Es war grauenhaft. Ein Schock, der tief saß! Die Ärzte erklärten mir später, dass Thorsten einen angeborenen Herzfehler besessen hatte. Warum hatten weder er noch die Übermutter Anke das gewusst? Nun, da wir es wussten, war es leider zu spät. Anke machte natürlich mich für seinen Herzinfarkt verantwortlich. Ich hätte Thorsten überfordert! Klar! Ob sie damit heiße Liebesspiele meinte oder Streitgespräche, ließ sie offen. Dabei wollte Thorsten lediglich den Müll hinaustragen.

Mit Thorstens Tod war mein Leben, so wie ich es kannte, komplett zusammengebrochen. Anfangs verfiel ich in Depressionen, doch mir blieb nicht viel Zeit, um meine Wunden zu lecken. Meine Schwiegermutter sorgte schon dafür, dass ich wieder auf die Beine kam, indem sie mir das Leben zur Hölle machte. Klaus hielt sich glücklicherweise zurück. Widerwillig durfte ich in »unserer« Wohnung bleiben. Das Ehepaar Blum hätte wohl nur ungern im Freundeskreis zugeben wollen, dass es nach diesem Schicksalsschlag ihre Schwiegertochter auf die Straße gesetzt hatte. Dabei war diese Option für mehrere Wochen überaus reizvoll für die beiden gewesen. Doch wo hätte ich hingehen sollen? Ich war als Frau Kati Blum, aber auch als Fremde nach Bayreuth gekommen. Meine Heimat lag einige hundert Kilometer weit weg. Allerdings hatte ich dort auch keine Verbindungen mehr. Meine Eltern waren inzwischen ausgewandert, nach Australien! Ihr Töchterchen, ebenfalls Einzelkind, stand auf eigenen Beinen, warum also nicht?

Die letzten Jahre mit Thorsten hatte ich begonnen, mir hier ein neues Leben aufzubauen und sogar eine Freundin gefunden, Nina.

Tja, und nun lief ich, gut durchgekühlt, zu meinem Baumhaus. Nach erledigter Arbeit als Aushilfskellnerin auf der allseits bekannten Weihnachtsfeier. Aber egal. Zum Feiern war mir seit Monaten nicht mehr zu Mute. Um ehrlich zu sein, war oftmals mein einziger Wunsch, mich unter der Bettdecke zu verkriechen. Doch dank meiner fürsorglichen Schwiegermutter war daran nicht zu denken. Nein, im Gegenteil. Zur Hebung meiner Arbeitsmoral hatte sie mir eine monatliche Miete für die Nutzung des Baumhauses aufgebrummt. So ist sie. Die Gute! »Man kann doch nicht den ganzen Tag faul im Bett liegen! So etwas gibt es bei uns nicht. Was sollen denn die Leute denken? Schlimm genug, dass mein armer Thorsten …« Sie hatte theatralisch geschnieft und sich eine emporquellende Träne weggewischt, dann war sie wieder gefasst. »Das ist jedoch kein Grund für Faulheit!«, fügte sie mit rigoroser Stimme hinzu. »Wenn du dir gedacht hast, dass du dich hier ins gemachte Nest setzen kannst, dann werde ich dich gern eines Besseren belehren.«

Ich schüttelte den Kopf, um Ankes Stimme aus meinen Gedanken zu verscheuchen, hörte ich sie doch im Original schon oft genug. Also nahm ich bereits zwei Wochen nach Thorstens Tod meinen Job als freie Mitarbeiterin der örtlichen Tageszeitung wieder auf. Damit verdiente ich zwar nicht die Welt, aber es war besser als nichts. Und zur Verbesserung der familiären Situation half ich beim Winterevent.

Erschöpft stieg ich die letzten Stufen zu meiner Wohnung hinauf und steuerte geradewegs ins Bett.

Als ich die Augen öffnete, stahlen sich bereits Sonnenstrahlen durchs Fenster. Wohlig streckte ich mich, kuschelte mich nochmals tiefer in die Federn und betrachtete die alte Eiche vor dem Fenster. Der Schnee war in kleinen Häubchen wunderschön über die kahlen Äste drapiert. Und ohne die Blätter konnten sich die Sonnenstrahlen tatsächlich einen Weg ins Baumhaus bahnen. Der Himmel leuchtete hellblau. Ich genoss den schönen Wintermorgen, wurde durch das plötzliche Klingeln an der Tür aber jäh aus meiner friedvollen kleinen Welt gerissen. Ich hatte noch nicht einmal beide Beine aus dem Bett geschwungen, da klingelte es schon wieder. Einmal, zweimal, dreimal … Na, der hatte es aber eilig. Rasch zog ich meinen Morgenmantel über und öffnete.

»Hast du Richard gesehen?«

Vor mir stand eine bleiche und aufgeregte Maria, die Frau des Hausmeisters.

»Äh, nein. Warum? Ich bin gerade erst aufgestanden.« Leicht irritiert zupfte ich wie zum Beweis an meinem lila Bademantel, trat dann einen Schritt zur Seite und schob sie sanft in meine Wohnung. »Komm doch rein.«

Sie fuhr sich mit den Händen übers Gesicht. So hatte ich Maria noch nie gesehen. Sie war eine nette, fröhliche Frau. Immer ein Lächeln auf den Lippen. Ebenso ihr Mann Richard. Ein Grund, warum ich beide vom ersten Augenblick an gern mochte. Und nach Thorstens Tod waren sie hier meine einzigen Verbündeten. Anders als meine Schwiegereltern nörgelte Maria nicht ständig an mir herum, und Richard unterhielt sich mit mir, im Gegensatz zu meinem Schwiegervater. Der verlor zwar kein böses Wort, aber eben auch sonst war Kommunikation mit der Schwiegertochter offenbar keine Option für ihn. Die Schwenks hingegen gaben mir das Gefühl, willkommen und zu Hause zu sein.

»Aber wo ist er denn?«, murmelte Maria fast verzweifelt, mehr zu sich selbst, und ließ sich auf einen meiner Küchenhocker sinken.

»Ist er nicht beim Aufräumen? Er wird die Überbleibsel von der Party gestern wegräumen.«

»Eben nicht. Er war nicht mal im Bett. Es ist unberührt. Mir ist das gestern gar nicht mehr aufgefallen. Ich war so erledigt, dass ich gleich eingeschlafen bin. Erst heute Morgen habe ich gesehen, dass sein Bett unberührt war. Zuerst habe ich mir nicht so viel dabei gedacht. Vielleicht hat er sich beim Aufräumen irgendwo hingesetzt und ist eingeschlafen, dachte ich mir. Das kam zwar noch nie vor, aber er wird halt auch langsam älter. Aber weder in der Küche noch sonst wo konnte ich ihn finden.« Sie schüttelte entmutigt den Kopf.

Ich legte meine Hand beruhigend auf ihre, dann ließ ich uns erst einmal zwei Tassen Kaffee aus dem Automaten einlaufen. Ohne Kaffee am frühen Morgen war ich kein Mensch, und mit so etwas auf nüchternen Magen konfrontiert zu werden überforderte mich dann gleich doppelt.

Die Maschine gurgelte, und kurz darauf schob ich ihr einen dampfenden Becher hin.

»Trink erst mal einen Schluck. Wir finden ihn schon.«

Ich selbst nippte vorsichtig an dem heißen, schwarzen Gebräu. Tat das gut. Langsam kamen meine grauen Gehirnzellen in Schwung.

»Was ist mit seinem Handy? Hast du schon versucht, ihn anzurufen?«

»Ja.« Sie schüttelte seufzend den Kopf. »Nichts. Nur die Mailbox.«

Ratlos trank ich einen weiteren Schluck. »Pass auf. Ich zieh mich schnell an, und dann suchen wir ihn gemeinsam«, schlug ich vor.

Es war wirklich ein wunderbarer Wintermorgen. Die Luft war klar und frisch. Mein erster Blick, kaum dass ich aus der Haustür trat, fiel auf den schönen Schneemann, der unter der alten Eiche neben dem kleinen Tannenbaum, gleich auf der anderen Seite der Einfahrt, stand. Er hatte einen großen birnenförmigen Körper, einen kugelrunden Kopf und sogar einen Arm, der einen Besen hielt. Seine Augen bestanden, soweit ich erkennen konnte, aus zwei Sektkorken, die Nase offenbar aus einem Cupcake mit Himbeercremehäubchen, dessen Spitze eine Amarenakirsche zierte. Wer den wohl gebaut hatte? Ich war mir ziemlich sicher, dass er gestern noch nicht da stand. Doch wer baute mitten in der Nacht einen Schneemann? Die gut betuchten Besucher der Party? Wohl kaum. Oder doch? Vielleicht war bei einem dieser piekfeinen Gäste in der Kombination mit Alkohol das Kind hervorgekommen –und er wollte einfach einmal etwas Albernes machen. Die Sektkorken und der Cupcake sprachen jedenfalls dafür.

Maria riss mich aus meinen Gedanken. »Kati, ich hab‹ doch schon überall gesucht«, klagte sie.

»Na, vielleicht habt ihr euch einfach immer gerade verpasst?« Das war tatsächlich meine Vermutung. »Wir werden ihn schon ausfindig machen.«

Unter unseren Füßen knirschte der frisch gefallene Schnee. Es musste, während ich geschlafen hatte, nochmals um die drei Zentimeter geschneit haben. Dick eingepackt, lächelte ich der Sonne entgegen. Nach dem gestrigen Abend hatte ich mich heute für meinen roten Rollkragenpullover und meine grauen Jeans entschieden. Meine weiße Daunenjacke spendete die restliche Wärme. Nein, heute fror ich nicht.

Als wir vor der Villa ankamen, waren die Aufräumarbeiten bereits in vollem Gange. Drei Leute vom Partyservice luden körbeweise dreckige Gläser, Tassen und Teller in den Transporter. Große, blaue Mülltüten lehnten an einem der Heizpilze und quollen bald über. In Kartons steckten jede Menge leere Flaschen. Die zwei Gestalter der Eisskulpturen waren dabei die eisigen Kunstwerke nach Möglichkeit unbeschadet wieder im Tiefkühltransporter zu verladen. Interessiert, aber auch erstaunt, schaute ich ihnen zu. Eigentlich hatte ich gedacht, die Skulpturen würden bereits noch in der Nacht weggebracht werden. Aber bei den herrschenden Minustemperaturen hatten sie sich wohl überlegt, dass die Skulpturen keinen Schaden nahmen, wenn sie das Verladen in Ruhe am nächsten Tag machen würden. Nun waren sie dafür allerdings mit einer weißen Schneeschicht überzogen, was aber durchaus auch gut aussah.

Ich überlegte gerade, ob mir der Engel mit oder ohne Schnee besser gefiel, als ich Ankes bestimmende Stimme hörte.

Sie stand am Treppenaufgang vor der Haustür, von wo aus sie alles überblicken konnte, und ging ihrer Lieblingsbeschäftigung nach: Kommandieren.

»Sie da! Die Tischdecken müssen alle noch weg! Und die Tische, wer baut die Tische ab? Also so geht das nicht! Wo ist denn Richard? Muss man sich hier um alles selber kümmern?« Ihr Blick blieb an Maria und mir hängen. Prompt deutete sie mit ihrem rechten Zeigefinger in unsere Richtung. »Maria! Wo ist denn Richard, um Gottes willen?«

Maria zuckte mit den Schultern. »Sie haben ihn nicht gesehen?«, fragte sie leicht hoffnungsvoll.

Anke schnalzte mit der Zunge. »Dann würde ich wohl kaum nach ihm fragen.«

»Ich habe ihn immer noch nicht gefunden, ich dachte…«, setzte Maria an, doch Anke hörte bereits nicht mehr zu. Sie stemmte die Hände in die Hüften und suchte nach der nächsten Aufgabe, die ihrer Meinung nach nicht ordentlich genug erledigt wurde. Wahrscheinlich würde meine Schwiegermutter es nie zugeben, aber genau solche Situationen waren eigentlich ihr Ding. Andere herumscheuchen, Anweisungen erteilen, da blühte sie regelrecht auf. Ich beschloss, sie dem hiesigen Geschehen zu überlassen, und zog Maria mit mir, um endlich Richard zu finden. Irgendwo musste er schließlich stecken.

Draußen war es bereits dunkel, als ich mit einer Sorgenfalte auf der Stirn zum Fenster hinaus in die tanzenden Flocken starrte. Wir hatten Richard nicht gefunden. Nach einer zweistündigen intensiven Suche ohne Erfolg hielt ich es für das Beste, dass Maria zur Polizei ging, um eine Vermisstenanzeige aufzugeben. Derart aufgelöst, wie sie war, hatte ich sie begleitet und anschließend nach Hause gebracht. Ich wollte sie mit zu mir nehmen, doch sie lehnte ab. Was wäre, wenn Richard käme und sie wäre nicht da? Also versorgte ich sie mit einem Grog und verließ sie schließlich in eine Decke gehüllt auf dem Sofa sitzend.

Wo steckte Richard nur? Das Ganze sah ihm überhaupt nicht ähnlich! Er war spurlos verschwunden. Einfach so. Ohne eine Nachricht. Am Handy ging nur wiederholt die Mailbox dran. Nirgendwo ein Hinweis. Hätte er sich verletzt oder einen Unfall gehabt, müssten wir doch irgendwelche Anhaltspunkte gefunden haben. Auch die Nachfrage im Krankenhaus blieb erfolglos.

Das Klingeln des Telefons ließ mich regelrecht hochschrecken.

»Hallo?«

»Hey Kati, was treibst du?«

Ninas fröhliche Stimme drang an mein Ohr. Sofort fühlte ich mich besser. Sie war wirklich ein Schatz. Manchmal plapperte sie etwas zu viel, aber das brachte wahrscheinlich ihr Beruf mit sich. Sie war Frisörin. In ihrem Salon hatten wir uns damals auch kennengelernt. Sie war so nett gewesen, hatte sich mit mir unterhalten und dabei den Eindruck gemacht, als interessierte sie sich wirklich für das, was ich erzählte. Eine Erfahrung, die mir als neue Mitbürgerin der Stadt unheimlich guttat. Schließlich kannte ich zu jener Zeit niemanden hier, außer meinen Thorsten und dessen abweisende Eltern. Schon nach kurzer Zeit waren wir gute Freundinnen geworden. Wie gut, bewies ihre Reaktion auf meine kurzen Antworten.

»Was ist denn los? Du hörst dich irgendwie nicht besonders gut an. War die Party gestern so schlimm? Hast dich von deiner Schwiegermutter wieder anbluffen lassen, was?«

»Nein. Na ja, vielleicht ein bisschen. Aber das ist es nicht …« Ich erzählte Nina von meinen Sorgen um Richard, und ehe ich mich versah, meinte sie, sie käme mal vorbei, und hatte auch schon aufgelegt.

Kaum dass ich meine bequeme Jogginghose übergezogen hatte, stand sie schon vor der Tür.

»Hey Süße!«, lächelte sie und umarmte mich innig. Dann lief sie wie selbstverständlich geradewegs in die Küche, schmiss ihre Daunenjacke über die Lehne einer der zwei Stühle und holte sich ein Glas aus dem Schrank. Wie schön es doch war, so eine vertraute Person im Leben zu haben. Sie war mir in den letzten drei Jahren richtig ans Herz gewachsen. Kaum vorstellbar, dass wir uns nicht schon viel länger kannten.

Wir machten es uns auf meiner kleinen Couch bequem, und ich schilderte Nina nochmals ausführlich die Geschehnisse des Tages.

»Seltsam ist das schon«, meinte Nina, nachdem ich geendet hatte. »Und was macht ihr jetzt?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Abwarten. Was bleibt auch anderes übrig?« Ich stand auf. »Hast du Lust auf eine Tasse Glühwein?«, fragte ich. Im gleichen Moment läutete es an der Tür, und ich änderte automatisch meine Laufrichtung.

»Pizzaservice«, hörte ich dumpf von draußen rufen.

»Du hast mir überhaupt nicht gesagt, dass du Pizza bestellt hast«, rief ich Nina über die Schulter hinweg zu, während ich schon die Hand an der Klinke hatte.

»Ich hab‹ auch keine bestellt«, meinte Nina, aber ich hatte bereits die Tür geöffnet. Perplex starrte ich auf den Bären, der mit einem Pizzakarton in der linken Pfote vor mir stand.

»Äh.« Mir klappte der Unterkiefer ungläubig herunter. Der Bär und ich schauten uns für einige Sekunden in die Augen. Er war groß, rundlich und hatte ein braunes Fell mit einer niedlichen schwarzen Bärennase. Wäre er mir in einem Freizeitpark über den Weg gelaufen, hätte ich mich bestimmt mit ihm fotografieren lassen. Aber hier vor meiner Tür, mit einem Pizzakarton in der Hand, wusste ich nicht recht, was ich davon halten sollte. Waren wir hier bei der versteckten Kamera? Oder wollte mir jemand einen Streich spielen?

Er trat einen Schritt auf mich zu – und ich, von der wuchtigen Gestalt beeindruckt, automatisch einen Schritt zurück. Erst jetzt bemerkte ich, dass noch ein weiterer, kleinerer Bär hinter dem Braunbären stand. Im Gegensatz zu meinem direkten Gegenüber wirkte dieser schmal und unscheinbar, dafür trug er eine Sonnenbrille. Verwirrt zog ich die Stirn in Falten.

»Was ist? Ich hab‹ keine Pizza bestellt. Vielleicht hat er sich in der Tür geirrt«, plapperte Nina und kam hörbar näher. Da von meinem kleinen Wohnzimmer aus die Wohnungstür nicht zu sehen war, bemerkte sie erst jetzt die sonderlichen Pizzaboten und begann sofort, zu kichern.

»Na, das ist ja mal ein Pizza-Lieferdienst«, meinte sie, anscheinend nicht halb so überrascht wie ich. »Von welchem kommen Sie denn? Von ›Pizza für den bärenstarken Hunger‹?« Sie kringelte sich fast vor Lachen und steckte mich damit an.

»Und wie süß Sie sind! Ist das ein neuer Werbegag? Ich hab‹ bisher noch nichts davon gehört. Toll! Können Sie auch singen und tanzen?« Dann entdeckte sie den kleineren Bären. »Und die Sonnenbrille!«, quietschte sie, während sie sich lachend auf die Oberschenkel schlug.

»Na ja, bei der Kälte draußen ist es in dem Kostüm auf dem Fahrrad oder Motorrad bestimmt nicht so eisig«, stieg ich nun in Ninas Mutmaßungen mit ein. »Was haben Sie denn eigentlich für eine Pizza dabei? Die Grizzly?«

Nina gackerte, dass ihr fast die Tränen kamen, und ich hielt mir den Bauch.

»Schluss jetzt!«, brummte der Braunbär, stapfte einen weiteren Schritt auf uns zu und fummelte gleichzeitig an dem Pizzakarton herum. Offensichtlich mit den Bärenpranken kein einfaches Unterfangen. Der Zweite folgte und schloss die Tür hinter sich. Schließlich riss sich der Erste die Kostümpfoten von den Händen und klappte den Karton auf. Plötzlich stand er mit einer Waffe vor uns.

2

 

 

 

»Wo sind sie?«, blaffte der Braunbär und richtete seine Waffe auf Nina.

Die machte große Augen. »Ich verstehe nicht …«

Der Schmale tippte unterdessen dem mächtigen Bären unablässig auf den Arm.

»Was ist denn?« Es sollte wohl ein Zischen sein. Doch mit dem übergestülpten Bärenkopf klang es mehr nach Säuseln.

»Das ist die Falsche, glaub‹ ich«, meinte der Sonnenbrillenbär. »Die da müsste es sein.«

Der Braunbär wandte sich mit einer ungeschickten Drehung mir zu. »Bist du die Blum?«, fragte er unwirsch.

Ich nickte.

»Also gib sie uns, dann sind wir auch schon weg.«

Ich schüttelte verständnislos den Kopf. »Was geben?«

Ein tiefes Schnaufen war zu hören. »Du stellst dich dumm, wie?«

»Die Klunker natürlich«, mischte sich der Schmale etwas gutmütiger ein.

»Los, mach schon! Oder sollen wir dir Beine machen?« Der Braunbär entwickelte sich zunehmend zum Grizzly.

Ich sah die Bären, dann Nina verständnislos an. Durch das Wedeln mit der auf mich gerichteten Waffe hatte ich plötzlich das Gefühl, in meinem Kopf sei eine einzige Leere. Nur nicht die Nerven verlieren, sagte ich mir. Klunker. Welche Klunker? Dann begriff ich. Sie wollten meinen Schmuck. Sicherlich dachten die beiden, weil ich zur Familie Blum gehörte, hätte ich jede Menge teuren Schmuck. Doch da hatten sie eine falsche Rechnung gemacht. Ich besaß fast ausschließlich Modeschmuck. Die einzigen wertvollen Stücke waren mein Ehering und eine Smaragdkette, die mir Thorsten zu unserem ersten Hochzeitstag geschenkt hatte.

»Also wird’s heute noch?«, schnauzte der Braunbär.

Ich setzte mich in Bewegung, um meinen Schmuck aus dem Schlafzimmer zu holen.

»Halt! Wo willst du denn hin?«

»Na, die Klunker holen, oder nicht?« Der Hellste schien er wohl nicht zu sein.

»Hm. Los, geh mit ihr«, forderte er den Sonnenbrillenbären auf. »Ich bleib mit der da hier. In diesem massigen Ding ist sowieso jede Bewegung eine Strafe.« Er schüttelte sich leicht und zielte dann mit seiner Waffe auf Nina. »Also, Lady. Überleg dir, was du tust oder lieber bleiben lässt, sonst ist deine Freundin hier Geschichte.«

Ninas Nasenspitze wurde zunehmend blasser. Und auch ich hatte einen dicken Kloß im Hals. Erneut setzte ich mich in Bewegung. Mit ein paar Schritten stand ich vor meiner Kommode. Der Brillenbär folgte mir auf den Fuß. Ich wollte mich zum Öffnen herunterbeugen und stieß prompt mit dem Bären zusammen. Dann zog ich an der Schublade, doch der Bär hinderte sie am Aufgehen.

»Darf ich vielleicht mal?«, fragte ich inzwischen mehr gereizt als verängstigt. Diese Bärenbande waren wie Dick und Doof.

Er trat einen Schritt nach links, wäre fast gestolpert und auf mein Bett gefallen. Ich rollte mit den Augen.

»Was dauert da denn so lange?«, rief der Brummbär schon zu uns herüber.

Am liebsten hätte ich ihm gesagt, dass es ohne seinen idiotischen Partner schneller gehen würde. Aber ich biss mir auf die Zunge, zog stattdessen mit einem Ruck die Schublade auf, sodass der blöde Bär schon wieder gefährlich ins Wanken kam, und grapschte mir sämtliche Schmuckstück die ich besaß. Da mein Schlafzimmer so klein und eng war, kam ich allerdings nicht an dem dummen Bären vorbei, um zurückzueilen. Wir vollführten also ein kleines Tänzchen, bis ich mich endlich an ihm vorbeigedrängt hatte und mir ein genervtes »Oh Mann!«, entschlüpfte.

Als ich endlich mit meinem gesamten Schmuckvorrat wiederkam, den schmalen Bären im Schlepptau, war ich leicht verschwitzt und derart auf hundertachtzig, dass ich für wenige Sekunden ernsthaft in Erwägung zog, dem Dicken einfach die Pistole aus der Hand zu schlagen. Glücklicherweise schaltete sich mein Versand ein, bevor der immense Adrenalinschub mich zu Dummheiten verleitete.

»Hier, bitte«, sagte ich deshalb nur und warf meine Ausbeute auf das kleine Schränkchen, das Nina und dem Braunbären am nächsten stand.

»Was soll das? Willst du mich für blöd verkaufen?« Er starrte auf meine geliebten glitzernden Schmuckstückchen.

»Aber …« unwillkürlich schüttelte ich den Kopf. »Sie wollten meine Klunker. Hier. Mehr hab‹ ich nicht!«

»Jetzt pass mal auf«, knurrte der Braunbär und ging etwas unbeholfen auf mich zu, die Waffe gefährlich nahe auf meinen Kopf gerichtet.

»Bleib ruhig!« Sein Partner gab ihm einen leichten Hieb mit seiner Pranke auf den Arm, der nun erheblich wackelte. »Bist du doof, oder was?«, fuhr der herum.

Halleluja! dachte ich. Endlich fiel das noch jemand anderem auf.

»‹tschuldigung. In dem verdammten Kostüm bewegt man sich einfach anders.« Er zuckte mit den Achseln – oder wollte das zumindest andeuten. Dann wandte er sich mir zu. »Also, pass auf. Die Klunker gehören uns, verstanden? Treib sie auf. Wir melden uns. Und wehe, du hast sie dann nicht.«

»Hey, spinnst du? Was soll das? Ich will sie jetzt! Und zwar sofort!«, entrüstete sich der Braunbär. Er wirkte wirklich gefährlich.

»Mann, denk doch mal nach. Vielleicht hat sie die Dinger gar nicht hier. Thorsten hat sie bestimmt an einem sicheren Ort versteckt.«

»Thorsten?«, fragte ich unsicher. In meinem Kopf überschlugen sich plötzlich die Gedanken. Bisher war ich von einem »normalen« Raubüberfall ausgegangen. Doch die Erwähnung meines verstorbenen Mannes ließ sämtliche Alarmglocken in mir schrillen.

»Also gut«, sagte nun der Braunbär, deutete dann noch einmal mit der Waffe in meine Richtung und meinte: »Wir melden uns. Aber verarsch uns nicht, sonst wirst du auch so ein schöner Schneemann wie der da draußen.« Er wedelte kurz zum Fenster, dann machten beide abrupt kehrt und verschwanden.

Nina und ich standen einige Minuten regungslos da und starrten ihnen hinterher.

 

Bis ich die Augen aufschlug, war es bereits gegen Mittag. Die Sonne leuchtete in mein Schlafzimmer. Für einen kurzen Moment glaubte ich, dass ich alles nur geträumt hatte und gestern Abend die Weihnachtsparty der Blums gewesen war. Aber als ich auf dem Weg zur Kaffeemaschine die leere Pizzaschachtel liegen sah, musste ich leider eingestehen, dass sowohl Richards Verschwinden als auch das Erscheinen der kuriosen Bären Tatsachen waren. Das war der Grund dafür, dass ich heute so lange geschlafen hatte. Nachdem die Bären weg waren, leerten Nina und ich auf den Schreck noch eine ganze Flasche Glühwein. Bis ich schließlich ins Bett gefallen war, war es weit nach Mitternacht gewesen.

Angst hatte ich keine. Warum auch? Die Räuber wollten sich melden, also würden sie vorerst nicht gleich wiederkommen. Vielmehr machte mir diese Anspielung auf Thorsten zu schaffen. Wieder begannen sich meine Gedanken in einer Endlosschleife zu drehen. Was hatte Thorsten mit diesen Kerlen zu tun gehabt? Von welchen Klunkern war die Rede? Und wo steckte Richard? Ich beschloss, erst einmal unter die Dusche zu gehen. Vielleicht bekam ich dann einen klaren Kopf.

 

Frisch geduscht und dick eingepackt verließ ich meine Wohnung und lief schwungvoll den schmalen Treppenaufgang neben den Garagen hinunter. Als Erstes wollte ich zu Maria, um zu sehen, ob es Neuigkeiten gab. Mit Elan griff ich die Klinke der Haustür und prallte prompt gegen das Türblatt. Schmerzlich verzog ich das Gesicht und rieb mir die Stirn.

Klar. Ich hatte die Tür gestern Abend abgeschlossen, als Nina ging. Das tat ich sonst nie. Aber Nina bestand nach dem »bärigen« Vorfall darauf. Bisher hatte ich mich hier immer sicher gefühlt. Deshalb begnügte ich mich normalerweise auch mit dem Abschließen meiner Wohnungstür. Ich kramte in der Tasche nach dem Schlüssel.

 

Maria sah aus, als hätte sie die ganze Nacht kein Auge zugetan. Mich überkam ein schlechtes Gewissen, weil ich eben noch fast so etwas wie gutgelaunt gewesen war. Andere hätte dieser Überfall bestimmt eingeschüchtert. Doch aus irgendeinem Grund war es bei mir eher das Gegenteil. Ob es damit zu tun hatte, dass seit Thorstens Tod mein Leben ohne Ziel vor sich hin plätscherte, wusste ich nicht. Nun jedoch hatte ich plötzlich eine Aufgabe. Aber Richard war wie ein Onkel für mich. Ich sollte ebenso wie Maria vor Sorge vergehen. Andererseits war ich Optimistin. Ich glaubte fest daran, dass er jede Minute wieder auftauchen würde und für alles eine Erklärung hätte.

Da ich sonst nichts tun konnte, unterstützte ich zumindest Maria bei ihren alltäglichen Arbeiten im Blum’schen Haushalt. Und das war auch gut so. Ihre Hände zitterten. Sicherlich hätte sie sich beim Zwiebelschneiden mehrmals in die Finger geschnitten oder die Feinwäsche bei neunzig Grad gekocht. Anke beäugte meine Hilfsarbeit wie immer kritisch. Sobald sie auf der Bildfläche erschien, prüfte sie jeden meiner Handgriffe genau, offensichtlich in dem Glauben, dass ich es nur falsch machen konnte. Doch ich gab ihr keinen Anlass zum Nörgeln. Widerwillig gab sie es irgendwann auf und verschwand. Der Punkt ging heute eindeutig an mich.

Von Richard jedoch fehlte auch diesen ganzen Tag über jede Spur. Und mit jeder Stunde, die verging, wurde Marias Gesicht einen Tick blasser. Sie weigerte sich, etwas zu essen. Der hinzukommende Schlafmangel führte dazu, dass sie am Nachmittag fast umkippte. Selbst Anke bekam das mit und gab ihr freundlicherweise den Rest des Tags frei. »Gehen Sie und legen Sie sich ins Bett. Sonst fallen Sie mir hier noch um. Nicht auszudenken, was das für einen Papierkram mit der Berufsgenossenschaft werden würde«, sagte sie und wedelte scheuchend mit der Hand. »Ich mache selbst fürs Abendessen ein paar Häppchen, oder wir gehen essen.«

Wie überaus mitfühlend sie doch war, dachte ich mir. Aber besser das als gar nichts. Und so steckte ich Maria höchstpersönlich zusammen mit zwei Schlaftabletten ins Bett, bevor ich mich auf den Weg zu meinem Baumhaus begab.