Organisation Esperanza - Günter Lützenkirchen - E-Book

Organisation Esperanza E-Book

Günter Lützenkirchen

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Beschreibung

Die Organisation Esperanza bekämpft global Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Zielgruppe für die Organisation ist ein verbrecherisches Syndikat, dem Politiker, Beamte sowie wohlhabende und einflussreiche Geschäftsleute angehören. Die Verbrecher werden auf ungewöhnliche Weise auf den Pfad der Tugend zurückgeführt und tragen mehr oder weniger freiwillig zur Finanzierung der weltweit erfolgreichen Aktionen der Organisation Esperanza bei. Rache und die übliche Bestrafung der Täter interessiert die Organisation wenig. Das überlässt sie den Strafbehörden. Dieser interaktive Kriminalroman führt den Leser zu authentischen Schauplätzen weltweit, die in Google Earth erkundet werden können.

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Seitenzahl: 314

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Günter Lützenkirchen

Organisation Esperanza

Verbrechensbekämpfung ohne Mord und Totschlag

Eine interaktive Weltreise

Kriminalroman

Impressum

Texte: © 2022 Copyright by Günter Lützenkirchen

Umschlag: © 2022 Copyright by Jakob Lützenkirchen

Verantwortlich für den Inhalt: Günter Lützenkirchen

[email protected]

Druck:epubli – ein Service der Neopubli GmbH

Personen

Barry Belle: Organisation Esperanza, Nepal

Harold Warner: Organisation Esperanza, USA

Anna Stallberg: Organisation Esperanza, Hamburg

Stefano Deghelli: Organisation Esperanza, Mailand

Jean Plea: Organisation Esperanza, Nizza

Arian Jiminez: Organisation Esperanza, Madrid

Michael Junkers: Organisation Esperanza, Hamburg

Elina Gamal: Organisation Esperanza, KairoAlexej Pawlow: Organisation Esperanza, Russland

Werner Hudson: Organisation Esperanza, USA

Walter Kean: CIA-Agent

Malcom Miller: CIA-Agent

James Biden: CIA-Agent

Glen Pastor: CIA-Director

Sven Findeis: Senator, Boston

Charles Caroll: Geschäftsmann, Boston

John Caroll: Carolls Bruder

Glen Sehland: Carolls Finanzchef

Walter Miller: Carolls Sicherheitschef

Alfons Erkins: Geschäftsmann, London

Sergej Kusnezow: Geschäftsmann, Moskau

Silvio Berlucci: Politiker, Neapel

James Tellmann: Geschäftsmann, Houston

Caroline Tellmann: Tellmanns Ehefrau

Georg Wander: Tellmanns Lebensgefährte

Maria Herrenhaus: Staatssekretärin, Washington

Antuane Flores: Geschäftsfrau, Ecuador

Amir Balewa: Dozent, Nkata, Lesotho

Kenan Aschebe: Schafzüchter, Karasburg, Namibia

Hinweis für den Leser

Die Schauplätze in diesem Roman sind unter Beachtung der Datenschutzvorschriften authentisch und können in Google Earth und mit Street View aufgerufen werden. Dadurch wird der Leser in die Lage versetzt, einen optischen Eindruck vom Ort der Ereignisse, ob in Hamburg, New York, Boston, in Afrika, Russland oder sonst wo auf der Welt, zu gewinnen.

Der Blick auf nordsibirischen Siedlungen, bestehend aus fünfstöckigen Plattenbauten, deren einstmals glorreiche industrielle Vergangenheit zusehends im auftauenden Permafrost versinkt, könnte vielleicht zur Klärung und zum Verständnis für das Verhalten der handelnden Personen beitragen. Oder man befährt mit Street View ohne Unfallgefahr den Sani Pass, eine der steilsten und höchsten Passstraßen in Afrika, Schauplatz des illegalen Waffenhandels in Lesotho. Ein Spaziergang durch Lukla in Nepal, mit einem der gefährlichsten Flughäfen der Welt, lässt erkennen, welcher touristische Rummel sich inzwischen am Ausgangsort für die Besteigung des Mount Everest abspielt.

Kapitel 1St. Winter, Waltham, Massachusetts, USA

Harold Warner erblickte 1968 im BronxCare Health System Hospital New York City das Licht der Welt. Er hatte das Glück, bei seinen Eltern im Stadtteil Spuyten Duyvil aufzuwachsen. Der Stadtteil liegt am Hudson River nördlich von Manhattan und gehörte schon in den 70ger Jahren zu den überwiegend gutbürgerlichen Vierteln in der Bronx.

Sein Vater hatte weniger Glück. Er arbeitete als Polizist in der berüchtigten Polizeistation Camp Apache. Der Stadtteil in der Süd-Bronx war in den 70ger und 80ger Jahren des vorigen Jahrhunderts nicht die beste Adresse. Touristen wurde empfohlen, die Gegend zu meiden. Hohe Arbeitslosigkeit und folglich Armut führten zu einer erhöhten Kriminalitätsrate und Zunahme des Drogenkonsums. Erst Ende der 80ger Jahre verbesserte sich die Situation. Zu spät für Harolds Vater. 1984 wurde er bei einem Einsatz während eines Bandenkrieges erschossen. Trotz finanzieller Einbußen durch den Tod des Vaters konnte Harold dank seiner Mutter, die als Krankenschwester für den Familienunterhalt sorgte, weiter die Schule besuchen. So blieb es ihm erspart, schon als Minderjähriger Geld verdienen zu müssen.

Dennoch schloss er sich aus Frust und Neugierde einer Jugendbande aus der Süd-Bronx an und lernte schnell und detailliert die unterschiedlichsten Methoden illegaler Geldbeschaffung kennen. Die Bande bestand überwiegend aus arbeitslosen Jugendlichen und Schulabbrechern, die oft auf sich allein gestellt, ihren Lebensunterhalt auf alle erdenkliche Weise, auch mit Diebstahl, Betrügereien oder Drogenkriminalität verdienten. Begegnungen mit der Polizei blieben daher keine Ausnahmen. Als der Jugendrichter drohte, Harolds Mutter das Vormundschaftsrecht zu entziehen, verließ er die Bande und beendete seine Schulausbildung erfolgreich. Mit etwas Glück und viel Fleiß, vor allem dank der Liebe seiner Mutter und der tatkräftigen Unterstützung der ehemaligen Kollegen seines Vaters gelang es Harold, einer kriminellen Karriere zu entgehen. Er träumte davon, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten. Aber aus Rücksicht auf seine Mutter, die für ihren Sohn das Schicksal ihres Mannes befürchtete, erlernte Harold einen kaufmännischen Beruf. Erst Jahre nach ihrem Tod fand er den Mut, sich für eine Ausbildung bei der Kriminalpolizei zu bewerben.

Es war ein heißer Augusttag 2018. Harold Warner wartete in seinem Range Rover auf dem Parkplatz des Biotechnologieunternehmens Northway Biotech. Der Gestank des aufgeheizten Asphalts war kaum zu ertragen. Als er schlechten Gewissens den Motor startete, um sich durch die Klimaanlage Erleichterung zu verschaffen, hielt neben seinem Fahrzeug ein dunkler Jeep. Eine flotte Rothaarige öffnete ihr Fenster. Sie wartete, bis auch Harold seine Scheibe heruntergelassen hatte.

„Hey Harold! Bist du schon geschmolzen? Es ging nicht früher.“

„Kein Problem, Beatrice. Hast du die Bestellung dabei?“

„Wie besprochen.“ Sie reichte Harold eine kleine Schachtel mit einem USB-Stick. Harold verband ihn mit seinem Mobiltelefon und hörte sich den Audiomitschnitt an.

Das aufgezeichnete Gespräch zwischen Senator Sven Findeis und Charles Caroll, der zu den reichsten Männern in Boston gehörte, könnte die beiden Herren in Bedrängnis bringen und damit das Ende einer Serie unglaublicher Verbrechen sein.

Wären Harold und seine Freunde an Geld interessiert, könnten sie mit diesen Informationen ein Vermögen erpressen und sich an einem schönen und sicheren Ort irgendwo auf der Welt zur Ruhe setzen. Aber das hatten sie nicht vor. Geld interessierte sie weniger. Ihre Geschäftspolitik war für die Zielpersonen ihrer Aktionen wesentlich unangenehmer als die banale Erpressung von Geld.

Harold gab Beatrice einen Briefumschlag mit den Zugangsdaten zu einem Schweizer Bankkonto und verabschiedete sich:

„Danke und auf weitere gute Zusammenarbeit.“

Beatrice wendete ihren Jeep und fuhr davon.

Kapitel 2Nkata, Lesotho, AfrikaLangley, Virginia, USA

Walter Kean war einer der besten Agenten der CIA. Er hatte Einsätze überlebt, die normalerweise tödlich endeten.

Auch Kean wollte schon als Jugendlicher Polizist werden. Mit 14 Jahren verlor er seine Eltern und seinen jüngeren Bruder durch einen Verkehrsunfall. Ein schwerer Geländewagen rammte das Fahrzeug seiner Eltern. Es überschlug sich mehrmals und ging in Flammen auf. Für die Insassen kam jede Hilfe zu spät. Der flüchtige Fahrer konnte jedoch zwei Tage später vom FBI festgenommen werden. Ein Augenzeuge hatte das auffällige Fahrzeug identifiziert. Der Fahrer war ein lang gesuchter Großdealer, der einen großen Teil der Schulen in New York mit Drogen versorgte. Das schockierende Erlebnis motivierte Kean, einen Beruf zu wählen, mit dem er sich an der Suche nach derartigen Verbrechern beteiligen konnte.

Nach dem Collegeabschluss machte er eine Ausbildung bei der Polizei in New York. Schon während seiner Dienstzeit in der Abteilung Verkehrsregelung und -überwachung ergriff er jede Möglichkeit, um sich für die Verbrechensbekämpfung zu qualifizieren. Bei der ersten sich bietenden Gelegenheit bewarb er sich für den Kriminaldienst. Die Schulungen in der Sicherheitsabteilung waren hart. Aber das Bild seiner toten Familie verließ ihn nicht und motivierte ihn. Er bestand die Ausbildung mit Auszeichnung und wurde sofort übernommen.

Nach zwei Jahren Einsatz in einem Sonderkommando machte sein Chef ihn auf eine interne Stellenausschreibung der CIA in Langley aufmerksam. Kean wechselte zur CIA und erhielt dort eine Ausbildung zum Agenten für spezielle weltweite Einzelkämpfereinsätze.

Immer noch quälten ihn Rachegefühle. Freunde hatte er nur in seinem beruflichen Umfeld. Engere persönliche Beziehungen kamen für ihn schon aus beruflichen Gründen nicht infrage.

Im August 2018 befand sich Kean auf einem Einsatz in Lesotho. Er hatte Streit mit Glen Pastor, seinem Vorgesetzten. Sie telefonierten über eine sichere Leitung.

„Du hältst dich da raus! Die Sache geht dich nichts an", schrie Pastor. „Dass du überhaupt davon erfahren hast, ist eine nicht zu duldende Indiskretion unserer Nachrichtenabteilung. Die hätten dir das niemals stecken dürfen. Das wird Folgen haben."

„Lass die Jungs in Ruhe. Sie haben nichts damit zu tun. Ich habe mir die Info selbst besorgt", warf Kean ein.

„Egal. Vergiss die Sache einfach!" Pastor wollte das Gespräch beenden.

„Ihr wollt den Mann also einfach krepieren lassen. Du weißt genau, dass er da nicht mehr lebend rauskommt."

„Ja, das tut mir auch sehr leid. Aber die Sicherheit und das Ansehen der Vereinigten Staaten sind wichtiger als das Leben eines einzelnen Agenten. Ich muss dir nicht sagen, welche Konsequenzen das hat, wenn bekannt wird, dass wir fremde Regierungen ausspionieren. Deine Absichten sind auf ganzer Breite unprofessionell. Wer bei uns arbeitet, muss schließlich damit rechnen, dass es unangenehm werden kann."

„Unangenehm? Der Mann ist so gut wie tot."

Pastor hob drohenddie Stimme: „Ich sage es zum letzten Mal: Halt dich da raus! Wenn du dich einmischst, bist du erledigt."

Die Leitung war tot. Pastor hatte das Gespräch wütend abgebrochen.

Kean verharrte regungslos auf seinem Stuhl. Die Heftigkeit, mit der er zurechtgewiesen worden war, irritierte ihn. Nach den vielen Jahren guter Zusammenarbeit fand er keine Erklärung für Pastors Haltung.

Kapitel 3Irgendwo in Nepal

Senator Sven Findeis erwachte aus einem traumlosen Schlaf mit leichten Kopfschmerzen. Er lag auf dem Rücken und blickte an eine Decke, die er nicht kannte. Normalerweise schlief er auf dem Bauch und erwachte auch in dieser Stellung. Vielleicht hatte er am Vorabend zu viel getrunken und war mit einer hübschen Nutte in irgendeinem fremden Bett gelandet, was auch die Kopfschmerzen erklären konnte.

Er blickte sich um. Er war allein und wusste immer noch nicht, wo er sich befand. Aber das beunruhigte ihn nicht sonderlich. Nicht das erste Mal hatte er nach durchzechter Nacht und totalem Gedächtnisverlust den Weg in ein unbekanntes Hotelzimmer gefunden, vermutlich dank der Fürsorge eines guten Freundes. Er erinnerte sich nur an das ausgiebige Abendessen mit seinem Geschäftsfreund Patrik Cauman und viele leere Weinflaschen. Danach? Keine Ahnung, Filmriss.

Das Zimmer war sehr geräumig, großes Bett, gemütliche Sitzecke, großer HD-Fernseher an der Wand, ein Schreibtisch und drei Türen. Eine ging sicherlich ins Bad, eine andere auf eine große Terrasse, die er durch ein großes Fenster sehen konnte. Die dritte Tür führte vermutlich auf einen Korridor. Er öffnete eine der Türen und betrat ein geräumiges, großzügig eingerichtetes Bad. Er erleichterte sich und fand im Spiegelschrank vom Rasierapparat bis zur Zahnbürste alles, was man so braucht, – auch Kopfschmerztabletten. Ein sehr aufmerksamer Gastgeber!

Nach einer Tablette, die er durstig mit drei Gläsern Wasser herunter spülte, und einer ausgiebigen Dusche waren seine Kopfschmerzen verschwunden. Bekleidet mit einem kuscheligen Bademantel, auch den hatte er im Bad vorgefunden, ging er zurück ins Zimmer und öffnete die Terrassentür. Eisige Luft schlug ihm entgegen. Erschrocken wich er zurück und schloss eilig die Tür. Falls er sich richtig erinnerte, waren es gestern noch sommerliche 27 Grad. Hier draußen war tiefster Winter. Jetzt bemerkte er auch den Schnee. Hinter dem Terrassengeländer sah er nur blauen Himmel, wagte jedoch nicht, leicht bekleidet, wie er war, den Ausblick von der Terrasse zu erkunden.

Langsam beunruhigte ihn die Situation. Das Telefon auf dem Schreibtisch funktionierte offensichtlich nicht. Eine Bedienungsanleitung konnte er nicht finden. Für ein Hotel dieser Preisklasse sehr ungewöhnlich. Eine Sprechanlage oder Ähnliches, mit der er die Rezeption anrufen konnte, gab es auch nicht.

Er suchte seine Kleidung vom Vorabend. Zu seinem Erstaunen hing sein Anzug ordentlich aufgehängt im Kleiderschrank, zu ordentlich für eine durchzechte Nacht. Er fand auch weitere ihm unbekannte Kleidungsstücke in seiner Größe. Aber wo war sein Mobiltelefon? Es hätte ihm zwar wenig genutzt, da er nicht wusste, wo er sich befand. Seine Frau oder seinen Sekretär anzurufen war sicher auch keine gute Idee. Was sollte er sagen? Ich bin irgendwo und weiß nicht wo, holt mich hier raus.

Er kleidete sich rasch an und ging zur dritten Tür. Es wunderte ihn schon nicht mehr, dass sie verschlossen war. Nervös sah er auf seine Uhr: 1 Uhr 12, mitten in der Nacht und draußen taghell. Er war offensichtlich nicht in Boston, wo er eigentlich sein müsste. Er wagte sich trotz der Kälte auf die Terrasse. Als er über das Geländer schaute, schrak er zurück. Tief unterhalb der Terrasse blickte er auf einen breiten Platz, hinter dessen Rand es offensichtlich steil abwärtsging. Links und rechts sah er schroffe schneebedeckte Bergmassive. Das Atmen fiel ihm schwer. Er war irgendwo in einem Gebirge, offensichtlich weit oberhalb der Baumgrenze und es war eisig kalt.

Hastig ging er zurück in das Zimmer, schloss die Terrassentür und hörte, wie die Klimaanlage frische Atemluft in das Zimmer blies. Er zuckte zusammen. Auf dem Bildschirm des Fernsehers war das freundlich lächelnde Gesicht eines jungen Mannes erschienen, der ihn offensichtlich ansprach.

„Guten Morgen, Herr Senator. Wir hoffen, Sie haben gut geschlafen. Sie verzeihen uns hoffentlich die Kopfschmerzen heute Morgen. Wir mussten Sie sedieren, sonst hätten Sie sich verletzt."

„Wo bin ich? Wer sind Sie?", schrie der Senator überrascht und aufgebracht den Fernseher an.

„Oh, entschuldigen Sie. Ich habe mich nicht vorgestellt." Der junge Mann lächelte verbindlich. „Ich bin Ben und Sie vermuten zu Recht, dies ist nicht mein richtiger Name. Ich nehme aber an, das interessiert Sie weniger."

„Quasseln Sie nicht. Was wollen Sie von mir? Bringen Sie mich sofort zurück nach Boston!" Findeis ging wütend auf den Fernseher zu, als wäre das der Weg in die Freiheit.

„Das ist unter den gegebenen Umständen nicht möglich, Herr Senator. Wir sind etwa 8.000 Meilen von Boston entfernt und im Moment sind leider alle Maschinen ausgebucht", antwortete Ben unbeeindruckt, aber weiterhin freundlich.

„Um Ihre erste Frage zu beantworten: Sie befinden sich in einem komfortablen Gebäude auf 3.500 Meter Höhe in einem Gebirgsmassiv in Asien. Das Gebäude ist ein erweitertes und restauriertes ehemaliges buddhistisches Kloster. Der Zugang erfolgt über einen Lastenaufzug, der Sie von einem Hubschrauberlandeplatz sehr schnell hierhin gebracht hat. Der Aufzug ist mit einem Code bedienbar. Eine weitere Möglichkeit, dieses Gebäude zu erreichen oder zu verlassen, wäre ein alter, nicht ungefährlicher und steiler Saumpfad. Der wurde früher von den Mönchen benutzt, um Lasten zum Kloster zu transportieren. Er wird für den absoluten Notfall erhalten. Der Pfad beginnt auf dem Platz vor dem Gebäude; über den könnten Sie den Hubschrauberlandeplatz erreichen, vorausgesetzt, Sie haben die notwendige Kleidung und Ausrüstung und ein bisschen Übung im Bergwandern. Ich persönlich traue mich nicht, diesen Weg zu benutzten. Die dritte Möglichkeit bietet die Terrasse: mit einem 20 Meter Sprung auf den Platz vor dem Gebäude und dann im freien Fall den fast senkrechten Hang hinunter, der nach etwa 500 Meter auf dem Hubschrauberlandeplatz endet. Bis man dort ankommt, ist man allerdings bei ca. 20 Grad unter null etwas unterkühlt. Den Rest erledigt der Aufschlag.

Ich erzähle Ihnen dies nur deshalb so ausführlich, falls Sie auf den dummen Gedanken kommen sollten, ohne unsere Zustimmung das Gebäude zu verlassen."

Findeis blickte entgeistert auf den Bildschirm. Er fühlte, wie ihn etwas ins Bodenlose zog. Seine Beine versagten und er sank in den Sessel. Es war, als hätte ihm jemand die Türe vor der Nase zugeschlagen.

„Trinken Sie etwas“, Bens Stimme klang wie in Watte gehüllt, und weit entfernt hörte er ihn sagen, „und Frühstücken Sie in aller Ruhe.“

Langsam erwachte Findeis aus seiner Trance. „Ja, ja“, murmelte er, „das wird wohl das Beste sein.“ Dann plötzlich wieder ganz der Alte, sprang er auf und fuchtelte mit den Händen vor dem Bildschirm herum: „In aller Ruhe? In aller Ruhe? In wessen Ruhe?“, schrie er aufgebracht. „Wer ist hier zuständig? Ich will sofort den Zuständigen sprechen.“

In seinem Kopf tobten die Gedanken. Es dauerte eine Weile, bis sich die vernünftigsten zu seinem Bewusstsein vorgearbeitet hatten. Schlagartig wurde ihm klar, hier hilft kein wütendes Gerede. Falls er die Lage richtig einschätzte, hatte man ihn entführt und in seinen Kreisen wurde das mit Geld geregelt. Abwarten und Tee trinken, dachte er und wunderte sich über seine wiedergewonnene Kaltschnäuzigkeit.

„Gibt es in diesem gastlichen Haus auch lebende Wesen, denen man in natura gegenübertreten kann?", fragte Findeis, und es gelang ihm ein säuerliches Lächeln.

„Aber sicher", antwortete Ben zuvorkommend. „Die Zimmertür ist jetzt geöffnet. Falls Sie möchten, gehen Sie rechts den Gang entlang und öffnen die Flügeltür am Ende des Gangs. Dort erwartet Sie nicht nur ein ausgiebiges Frühstücksbuffet, sondern Sie treffen auch wirkliche Menschen. Genießen Sie das Frühstück. Sie haben seit etwa 48 Stunden nichts mehr gegessen."

Kapitel 4Valley Brook, Lincoln, Massachusetts, USA

Die luxuriöse Villa von Charles Caroll lag strategisch günstig und uneinsehbar in einem dichten Wald. Gesichert wurde sie durch Hunde, einen als Hecke getarnten zwei Meter hohen Stacheldrahtzaun und eine elektrisch geladene, videoüberwachte äußere Umzäunung. Die lange und einzige Zufahrt wurde ebenfalls videoüberwacht. Die örtlichen Behörden hatten die starke elektrische Ladung der äußeren Umzäunung zunächst beanstandet. Die Bedenken wurden jedoch durch ein kurzes, nachdrückliches Gespräch einvernehmlich ausgeräumt. Auf Maps im Internet war das Anwesen nicht erkennbar. Der Betreiber der Karte hatte gegen Zahlung einer fünfstelligen Gebühr das abgebildete Anwesen durch Wald ersetzt.

Charles Caroll, ein geschäftlich erfolgreicher Mittvier-ziger, Emporkömmling in der Bostoner Geschäftswelt, war bekannt für seine monatlichen Gesellschaftsabende, zu denen er regelmäßig Kunden, Presseleute, Personen des öffentlichen Lebens und Freunde des Hauses einlud.

Seinen geschäftlichen Erfolg definierte er in vertrauter Runde gerne als eine Art Erbschuld. Seine europäischen Urgroßeltern, Tagelöhner aus einem kleinen Dorf in Hessen, waren dem „amerikanischen Traum“ gefolgt. Hermann und vor allem Antonie, „Oma Toni“, waren fleißig und einfallsreich. Eines Tages erzählte Hermann, dass seine hessischen Kollegen in der Fabrik sich über das schlechte amerikanische Brot beklagten. Das war der Beginn der carollschen Familientradition. Hermann besorgte sich einen kräftigen Hund und baute einen kleinen, stabilen Holzwagen. Den Hund spannte er wie ein Pferd vor den Wagen. Diese Art von Beförderung war damals nicht unüblich in seiner alten Heimat. Antonie buk hessisches Sauerteigbrot, das Hermann mit seinem Hundekarren an ihre Landsleute lieferte. Bald war das gute, kräftige und nahrhafte hessische „Graubrot“ sprichwörtlich in aller Munde, jedenfalls in den Mündern der Bostoner Hessenarbeiter und in denen der protestantischen deutschen Gemeinde. Denn Hermann und Toni waren nicht nur fleißig, sparsam und einfallsreich; sie dankten zweimal täglich dem „HERRN“ auf Knien für seine Güte, außerdem am Mittwochabend, am Samstagnachmittag, Sonntagmorgens und noch mal am Nachmittag jeweils für eine Stunde. Die rituelle Gottesfurcht hatte sich ungebrochen bis in die Generation seiner Eltern erhalten. Die moderne Zeit forderte jedoch ihren Tribut. Carolls Religiosität äußerte sich in der Zahlung des sogenannten „Zehnten“, auch bekannt als das „Scherflein für die Armen“. Ob der gespendete Beitrag den tatsächlichen carollschen Einkünften entsprach, bleibt der Vorstellungskraft des werten Lesers überlassen. Er war offensichtlich ausreichend, um Carolls Status in der Gemeinde zu sichern.

Das Ritual der „Gemeinschaft der Heiligen“ pflegte er, indem er diese regelmäßigen und auch gelegentlichen Gesellschaftsabende organisierte. Die in der gehobeneren Gesellschaft sehr begehrten Einladungen dienten der Knüpfung und Pflege geschäftlicher Netzwerke. Die Beköstigung zu diesen Anlässen war maßvoll: belegte Brote, billiger Wein, Wasser und Bier. Es ging eben nicht ums Essen. Es schmeichelte Carolls Eitelkeit, dass sich die Bostoner Netzwerkzentrale in seiner Villa befand.

Der gegenwärtige Abend aber galt anderen Interessen. Die erlesene Runde, bestehend aus acht Leuten und dem Gastgeber, nannte sich Die Gesellschaft und traf sich regelmäßig alle drei Monate in der Villa. Zu diesem Anlass ließ Caroll es sich nicht nehmen, seine Gäste aufs Üppigste zu verwöhnen.

Das mehrgängige Abendmenu war wie immer ein vollendetes Kunstwerk. Caroll leistete sich den Luxus, neben dem üblichen Küchenpersonal zwei Köche zu beschäftigen, Stefano aus Siena und Jean-Pierre aus Bordeaux. Stefano wurde nie müde zu wiederholen, dass die Franzosen und wahrscheinlich sogar die Chinesen ihre Kochkünste den Italienern zu verdanken hätten.

„Ich sage nur zwei Namen: Marco Polo und Medici.“

Er betonte zu jeder Gelegenheit, eine aus Florenz stammende Caterina de‘ Medici hätte durch ihre Ehe mit dem König von Frankreich den Franzosen das Kochen beigebracht. Jean-Pierre konterte, wenn das tatsächlich so gewesen sei, habe die französische Kochkunst die knauserige bürgerliche florentinische Küche bis zur Spitzenklasse verfeinert.

„Ja, ich weiß, mit Sahne. Fisch, Fleisch, Gemüse und sogar Salat badet ihr in fettiger Milch. Sahne verwandeln wir in Italien in den kühlen Bergen in Butter, sonst in prima Käse.“

„Also beim Käse könnt ihr Italiener euch bei uns schon eine Scheibe abschneiden. Viel mehr als Schafskäse bringt ihr doch nicht zustande.“

Stefano wedelte sich ehrfürchtig den Duft des Filets in die Nase, um seinen Reifegrad zu prüfen. „Wo du gerade davon sprichst“, bemerkte er trocken. „Was ist eigentlich aus eurem weltberühmten Käse geworden? Ich meine den mit den lebenden Maden. Dürft ihr ihn wieder verkaufen?“

Jean-Pierre war es leid. Er fürchtete um ihren Zeitplan. Er ging zur Kaffeemaschine und brühte sich einen Cappuccino. „Willst du auch einen?“ fragte er und fügte ungerührt hinzu, „mit oder ohne Sahne?“ Er konnte gerade noch rechtzeitig den Kopf zur Seite drehen, als ein Kochlöffel aus Stefanos Richtung haarscharf an seinem linken Ohr vorbeiwirbelte.

Die freundschaftlichen und mit derben Witzen gewürzten Streitereien der beiden Köche stellten die Grundzutaten für ihre kulinarischen Kompositionen.

Das war auch an diesem Abend nicht anders. Auf eine leichte Vorspeise, eine luftige Omelette gefüllt mit wildem Spargel, folgte eine hausgemachte Pasta in Trüffel-Sahne-Sauce gekrönt mit hauchdünnen Streifen jungen Parmesans aus der Reggio Emilia. Danach eine Zwischenmahlzeit: Hummer, frisch gefangen in Cape Cod, und die unvermeidlichen Austern. Zum Hauptgang wurde wahlweise Rinderfilet oder Seezunge gereicht. James Tellmann, ein leicht fülliger 50-jähriger Geschäftsmann und Viehzüchter aus Houston in Texas, bestellte wie immer beides. Das Filet, zart und von unvergleichlicher Qualität, war ein willkommenes Geschenk des befreundeten Züchters von Kobe-Rindern aus Japan. „Wagyu-Rind“ ist eine Rinderrasse japanischen Ursprungs. Das Rind ist als Kobe-Rindsehr bekannt. Nur das Fleisch der Wagyu-Rinder, die in der japanischen Region Kobe geboren, aufgezogen, gemästet undgeschlachtet wurden, dürfen die Bezeichnung Kobe tragen. Anders als bei anderen Rindern ist das Fett im Fleisch nicht punktuell, sondern gleichmäßig in sehrfeiner Marmorierung im Muskelfleisch verteilt.

Der Fisch, zubereitet mit einer köstlichen Zitronensauce und Rosmarin, war auf den Punkt gegart. Als Dessert gab es eine bescheidene Mousse au Vanille an frischen Waldbeeren und zum Abschluss eine gut sortierte Käseplatte, frisches Obst und Espresso mit Cognac. Es flossen stets Champagner und ausgesuchte französische und kalifornische Weine. Lediglich der Geschäftsmann aus Houston verlangte ständig nach deutschem Bier. Das, davon war er fest überzeugt, vertrug er besser und vor allem reichlicher, getreu dem Spruch seiner rheinischen Vorfahren: „Man gönnt sich ja sonst nichts.“ Das Abendmenu war das gern gesehene Begleitprogramm, aber nicht der Hauptanlass der Versammlung.

Kapitel 5Lesotho, Afrika

CIA-Agent Malcom Miller, 23 Jahre, Jahrgangsbester, war nach Ansicht von James Newman prädestiniert für einen heiklen Einsatz in Afrika. James Newman, Leiter der Abteilung Afrika, hatte ihn als Kammerdiener in den Regierungspalast in der Hauptstadt Maseru von Lesotho eingeschleust. Aus sicherer Quelle wusste die CIA, dass einige höhere Regierungsangestellte korrupt und in illegale Geschäfte, vermutlich unerlaubten Waffenhandel, verwickelt sein könnten.

Miller arbeitete erfolgreich, konnte aufgrund der Gespräche und Informationen den Verdacht bestätigen und wichtige Informationen zur Ergreifung der Lieferanten an seinen Verbindungsoffizier Walter Kean liefern. Dieser wohnte 30 Meilen entfernt von Maseru in Nkata bei Amir Balewa, einem alten Freund, und hatte über ein Sprechfunkgerät mit Miller Kontakt. Um in die Reichweite von Millers Gerät zu kommen, musste Kean sich jedoch bis auf einen Kilometer dem Regierungsgebäude nähern.

Seit drei Tagen war der Kontakt abgebrochen. Kean nahm Verbindung mit der CIA-Zentrale auf, erhielt dort die Information, der Sender von Miller sei offensichtlich defekt. Eins war klar, man hatte Miller nicht abgezogen, also musste er noch im Regierungsgebäude sein.

Es gab nur zwei Erklärungen: Entweder war das Gerät tatsächlich defekt oder man hatte Miller entlarvt. Kean fürchtete Letzteres.

„Ich habe einen Wachposten bestochen. Er war mir noch etwas schuldig", berichtete Amir.

„Ich verstehe. Wie viel?"

„Lass es gut sein! Deine Gefälligkeiten kann ich im Leben nicht begleichen."

„So kommst du nie auf einen grünen Zweig. Nun sag schon, was hast du erfahren."

Amirs Gesicht wurde ernst. „Der Wachposten berichtete, man habe einen Kammerdiener beim Spionieren erwischt. Sie hätten aber trotz aller Bemühungen, er meinte wohl Folter, nicht rausbekommen, für wen er spioniert und wie viel er erfahren hat. Ob er noch lebt, wusste er nicht. Er soll morgen in das Gefängnis von Maseru gebracht werden. Dort kann man ihn dann unauffälliger verschwinden lassen. Der Mann ist immerhin ausländischer Staatsbürger und jeder Konflikt mit dem Ausland muss vermieden werden."

„Morgen ist also die letzte Chance, Malcom zu befreien. Hoffentlich lebt er noch."

Kapitel 6Valley Brook, Lincoln, Massachusetts, USA

Caroll trank genussvoll einen Schluck Rotwein und betrachtete seine Gäste. Nach den Ereignissen der letzten Tage fragte er sich, ob es bei den Mitgliedern Der Gesellschaft eine undichte Stelle gab oder ob die Vorfälle mit der hier anwesenden Runde nichts zu tun hatten? Niemand machte einen nervösen Eindruck, der darauf schließen ließ, er habe etwas zu verbergen.

Silvio Berlucci, Ende fünfzig, ein ehemals einflussreicher italienischer Politiker, angereist mit privatem Jet aus Neapel, hatte noch kein Treffen versäumt. Er war über jeden Verdacht erhaben. Für ihn war Die Gesellschaft die sprudelnde Geldquelle, die er für seinen luxuriösen Lebenswandel benötigte. Als Gegenleistung lieferte er die notwendigen Kontakte, um die Waren Der Gesellschaft in Italien, Spanien, der Schweiz und in Frankreich abzusetzen.

Glen Pastor verdiente beim CIA mit Sicherheit nicht so viel, als dass er auf die Gewinnausschüttungen Der Gesellschaft verzichten konnte. Caroll hielt Pastor nach den Erfahrungen der letzten Jahre zudem nicht für den Patrioten, der aus Liebe zu seinem Vaterland Die Gesellschaft verraten und damit seinen eigenen Geldhahn zudrehen würde. Zudem wäre es äußerst leichtsinnig und lebensgefährlich, nach einem Verrat noch in dieser Runde aufzutauchen. Das galt natürlich auch für die anderen Teilnehmer. Davon abgesehen durfte Pastor damit rechnen, in sechs Jahren in den staatlich alimentierten Ruhestand gehen zu dürfen. Den würde er gewiss nicht gefährden wollen.

James Tellmanns Interesse galt ausschließlich dem guten Essen und der stetigen Vermehrung seines Reichtums. Das war Carolls unerschütterliche Überzeugung. Mit seinen derben Witzen und der unverhohlenen Hingabe an leibliche Genüsse galt er als der Hanswurst der Gemeinschaft. Tatsächlich aber waren die Intrigen der „Feinen und Schönen“ in Tellmanns Augen mühsame, daher lässige Spielchen, die ihn nur vom wahren Sinn seines Lebens ablenkten. Insgeheim verachtet er die Gefährten ein wenig, weil sie sich auf Risiken einließen, die er für überflüssig hielt. Er hatte keine hohe Meinung von seinen eigenen geistigen Fähigkeiten, und im Grunde fürchtete er, den Ereignissen nicht gewachsen zu sein. Doch unauffällig, dafür umso sorgsamer pflegte er die Vorteile, die er momentan genoss, um sie keinesfalls zu gefährden. Loyalität war für ihn eine angeborene Ehrensache. Außerdem war es Allen klar, nur er verfügte gegenwärtig über die notwendigen Mittel, um den Transport der Waren und der Lieferanten schnell, zuverlässig und unauffällig zu organisieren. Er wusste, Die Gesellschaft brauchte ihn. Dafür hatte er gesorgt.

Maria Herrenhaus, Anfang dreißig und damit die Jüngste der Runde, deutschstämmige Bürgerin der Vereinigten Staaten, zog als Staatssekretärin im Gesundheitsministe-rium die Fäden für Die Gesellschaft. Auch sie war unentbehrlich für den Absatz der Produkte. Caroll konnte sich keinen Grund vorstellen, aus dem Maria die Seiten gewechselt haben könnte; es sei denn, der Präsident der Vereinigten Staaten hätte sie persönlich darum gebeten und mit ihr ein Verhältnis angefangen, was bei ihrem Aussehen nicht gänzlich ausgeschlossen war.

Sergej Kusnezow aus Moskau hatte eine einschlägige Vergangenheit. In den 90ger Jahren des vorigen Jahrhunderts organisierte er eine Schlepperbande, die Jugendliche aus Nordrussland über Helsinki entführte und in Westeuropa und USA zur Prostitution zwang. Seine Organisation wurde 1998 von der finnischen Polizei zerschlagen. Kusnezow konnte untertauchen und hat sich 2010 Der Gesellschaft angeschlossen. Aufgrund seiner Erfahrungen und Kontakte zu arbeitslosen entlassenen Straftätern war er zuständig für die Warenbeschaffung. Es ergab keinen Sinn, dass Sergej mit den Ereignissen der letzten Tage irgendetwas zu tun haben sollte.

Alfons Erkins aus London war für Die Gesellschaft der Hauptlieferant für seine dank Internet weltweit verbreitete Kundschaft. Er konnte seinen Online-Laden schließen, wenn Die Gesellschaft aufflog.

Antuane Flores, Mitte dreißig, eine kühle, durchsetzungsstarke lateinamerikanische Schönheit aus Nueva Loja in Ecuador, hatte beste Beziehungen zu den Drogenbaronen im Nachbarstaat Kolumbien. Ihre Spedition, die Loja Logistica SRL, besaß eine gut sortierte Flotte vom kleinen, unauffälligen Lieferwagen bis zu mehreren Transportflug-zeugen vom Typ Tecnam MMA, und stellte damit die zuverlässige Lieferung der von Der Gesellschaft vertriebenen Drogen sicher. Ihr Geschäft blühte und auch bei ihr ergab es keinen Sinn, dass sie mit den Ereignissen der letzten Tage etwas zu tun haben sollte.

Nachdem Caroll sich zu der Erkenntnis durchgerungen hatte, dass es in der anwesenden Runde keine undichte Stelle gab, klopfte er mit dem Dessertlöffel an sein Weinglas, worauf alle Gäste verstummten.

„Liebe Freunde." Er blickte mit ernstem Blick von einem zum andern. „Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht." In der Runde entstand ein leichtes Gemurmel. Schlechte Nachrichten hatte es bisher selten gegeben.

„Die gute Nachricht ist, unser Umsatz hat sich im letzten halben Jahr verdoppelt. Der Gewinn hat sich gleichzeitig verdreifacht, da wir aufgrund der starken Nachfrage die Preise erhöhen konnten. Außerdem ist es Sergej gelungen, die Kosten für die Beschaffung unserer Waren erheblich zu senken. Ich glaube, ich spreche im Namen aller, wenn ich Sergej für dieses erfolgreiche Management ausdrücklich danke." Die Runde klopfte anerkennend auf die Tischplatte.

„Auch James konnte durch geschicktes Timing die Kosten der Transporte erheblich senken. Ein Transport von 100 Produktlieferanten kostet schließlich genau so viel wie der von 20, sieht man von den geringen Unterhaltskosten für den einzelnen Lieferanten ab. James hat geschickt die Abfahrtszeiten so geplant, dass der Laderaum mit möglichst vielen Lieferanten gefüllt wird. Auch den Nachschub von Organmaterial insbesondere aus Mexiko konnte er kostengünstig und erfolgreich organisieren." Wieder anerkennendes Klopfen.

„Mein besonderer Dank gilt schließlich Glen, der uns zuverlässig rechtzeitig vor einer Razzia der Hafenpolizei und des Zolls gewarnt hat, so dass unsere Frachter zumindest vor dem Anlaufen der hiesigen Häfen umdisponieren konnten." Die Runde nickte Glen Pastor anerkennend zu.

„Jetzt komm schon mit der schlechten Nachricht! Mach es nicht so spannend", rief James Tellmann ungeduldig dazwischen und nahm einen kräftigen Schluck aus seinem Bierkrug.

„Immer ruhig!", fuhr Caroll fort. „Ihr habt sicher bemerkt, dass heute Sven Findeis fehlt, und zwar unentschuldigt. Ich befürchte allerdings, Sven hatte weder die Möglichkeit, hier zu erscheinen, noch konnte er sich für sein Ausbleiben entschuldigen. Er wurde offensichtlich vor drei Tagen entführt."

Die Runde blickte Caroll erschrocken an.

Kapitel 7Nkata, Lesotho, Afrika

Wütend schlug Kean mit der Faust auf den Tisch. „Mein Vorgesetzter hat jede Unterstützung der CIA abgelehnt und mir sogar verboten, Malcom zu befreien. Die Sicherheit und das Ansehen der USA seien gefährdet. Wir haben noch nie einen Agenten vorsätzlich im Stich gelassen. Außerdem hat Malcom noch mehr Informationen, die den ganzen korrupten Ring aufliegen lassen könnten. Ich verstehe nicht, dass die CIA ihn nicht rettet."

„Brauchen wir denn die CIA überhaupt?", fragte Amir provozierend.

„Das kommt darauf an, wie der Transport bewacht wird", antwortete Kean.

„Mein Informant meint, dass Miller in einem einfachen Kleinbus transportiert werden soll, ohne Eskorte. Man will jedes Aufsehen vermeiden."

„Woher will dein Informant denn das wissen?" Kean war skeptisch.

„Er fährt den Kleinbus."

„Na dann los."

Kapitel 8Valley Brook, Lincoln, Massachusetts, USA

„Wieso ist die Entführung bisher nicht bekannt geworden?", fragte Maria. „Auch die Presse schweigt."

„Wir haben in Absprache mit seiner Frau Christina und seinem Sekretär weder die Polizei eingeschaltet noch irgendjemanden über die Entführung informiert", erklärte Caroll. „Die offizielle Version lautet: Sven hält sich wegen seiner Hüftoperation in einem privaten Rehabilitationszentrum auf. Für die erforderliche Zeit möchte er sich ausschließlich auf die Wiederherstellung seiner Beweglichkeit konzentrieren. Die Einschaltung der Polizei hätte Nachforschungen ausgelöst, die möglicherweise auch Die Gesellschaft gefährden könnten."

„Wie ist Sven denn entführt worden? Haben sich die Entführer schon gemeldet?", bohrte Maria weiter.

„Zuletzt gesehen haben ihn sein Chauffeur und sein Geschäftsfreund Patrik Cauman", fuhr Caroll fort. „Der Chauffeur hat Sven vor drei Tagen zu einem Abendessen mit Cauman zu einem Restaurant in der Innenstadt gefahren. Sven hat den Chauffeur dann nach Hause geschickt, da er sich nach dem Essen ein Taxi nehmen wollte. Sven war – na, sagen wir mal – etwas angeheitert. Sie haben gemeinsam ein Taxi genommen; Sven ist sofort eingeschlafen. Cauman ist zwar früher ausgestiegen, hat dem Taxifahrer aber gesagt, wo er Sven abliefern soll. Dort ist er aber nicht angekommen. Die Taxigesellschaft ist bekannt und hat mitgeteilt, dass an dem besagten Abend ein Wagen während einer Kundenfahrt entwendet worden sei. Der Taxifahrer hat unterwegs kurz angehalten, um einem leiblichen Bedürfnis nachzugehen. Als er zurückkam, war sein Wagen mit dem schlafenden Findeis verschwunden. Das Fahrzeug wurde später wiedergefunden. Die Entführer scheinen nette Menschen zu sein. Sie haben das Fahrzeug unbeschädigt und – man höre und staune – vollgetankt vor der Taxizentrale abgestellt. Auf dem Lenkrad klebte ein Zettel: Sorry, aber vielen Dank. Gemeldet haben sich die Entführer noch nicht."

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Entführung etwas mit uns zu tun hat", spekulierte Pastor. „Sie werden ein paar Tage warten, bis alle nervös genug sind, und dann eine ordentliche Summe von Findeis fordern. Da es sich offensichtlich um nette Menschen handelt, wie Charles schon vermutet hat, brauchen wir uns um das Leben von Sven sicherlich keine Sorgen zu machen." Die Runde nickte Pastor zustimmend zu.

Kapitel 9Irgendwo in Nepal

Der Bildschirm des Fernsehers wurde zunächst dunkel, dann erschien eine Schrift in mehreren Sprachen: „Wir wünschen Ihnen einen schönen Tag."

Sven Findeis murmelte: „Geschenkt!" und ging zu der dritten Tür. Die letzte Bemerkung von Ben, dem Fernseher, Sie haben seit fast 48 Stunden nichts mehr gegessen, erklärte sein starkes Hungergefühl. Er war etwas länger nicht bei Bewusstsein gewesen. In den ersten Stunden seiner Entführung hatten ihn der Alkohol und die medizinische Behandlung außer Gefecht gesetzt. So konnten sie ihn in aller Ruhe von Boston hierher verfrachten.

Die dritte Tür war tatsächlich nicht mehr verschlossen. Er trat auf den Gang hinaus. Nach links ging es nicht weiter. Da gab es offensichtlich die Außenwand oder einen weiteren Raum. Nach rechts führte der Korridor an mehreren Türen vorbei bis zu der von Ben erwähnten Flügeltür. Er betrat einen großen Raum. Eine Fensterfront ermöglichte einen atemberaubenden Blick auf die umgebende Gebirgslandschaft. Welche Berge das waren, konnte Findeis nicht erkennen. Auf der gegenüber liegenden Seite hatte man ein üppiges Frühstücksbüffet angerichtet. Er solle erst mal frühstücken, hatte Ben ihm empfohlen, und das tat er dann auch ausgiebig.

Sven Findeis war inzwischen wieder der coole Politiker. Auf dem diplomatischen Parkett hatte er gelernt, sich auch durch unerwartete Ereignisse nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Es gab immer und für Alles eine Lösung. Auch in der gegenwärtigen Lage zweifelte er nicht an seinem Leitgedanken. Er befand sich in einer unerwarteten Situation und war deshalb und aufgrund seines körperlichen Zustandes zunächst in Panik geraten. Sie war aber offensichtlich nicht lebensbedrohlich, sonst hätten sich die Entführer den Aufwand für das üppige Frühstücksbüffet gespart. Hier hieß die Lösung eben Geld, wahrscheinlich sehr viel Geld. Das war und blieb offenbar seine gewohnte Welt und deshalb konnte er erst mal in aller Ruhe ordentlich frühstücken.

Nach dem dritten Cappuccino öffnete sich eine der Türen. Zwei Frauen und ein smarter junger Mann betraten den Raum.

„Guten Morgen, Mr. Findeis. Ich hoffe, Sie sind mit unserer Bewirtung zufrieden", meinte lächelnd die ältere der beiden Frauen. „Haben Sie noch einen Wunsch?"

„Ein Glas Sekt nach dem Frühstück wäre hervorragend. Meine anderen Wünsche teile ich Ihnen dann später mit." Findeis war wieder ganz der Alte. Die ältere Dame lachte. Der junge Mann verließ den Raum und kam nach kurzer Zeit mit einer Flasche Prosecco zurück.

„Sie scheinen ja unsere kurze Schlaftherapie ganz gut überstanden zu haben", meinte er, während er vier Gläser einschenkte und Findeis zuprostete: „Auf gute Zusammenarbeit, Mr. Findeis."

Findeis bemerkte, dass es unter den drei Personen offensichtlich eine flache Hierarchie gab. Zunächst hatte er die ältere Dame für die Wortführerin gehalten. Nach dem forschen Auftreten des jungen Mannes war er nicht mehr sicher. Wenn auch die jüngere Frau noch nichts gesagt hatte, waren alle drei anscheinend gleichberechtigt.

Als wollte sie seinen Eindruck bestätigen, ergriff die jüngere Frau das Wort. „Falls Sie nach dem Frühstück ein wenig Bewegung wünschen, Mr. Findeis, empfehle ich Ihnen unseren Wellness-Bereich in der 1. Etage. Dort gibt es ein Schwimmbad, einen Fitnessraum, eine Sauna, einen Ruheraum und eine Bar. Die notwendige Kleidung finden Sie, wie Sie vielleicht schon bemerkt haben, im Schrank ihres Zimmers. Falls Sie sonst noch irgendetwas benötigen, steht ihnen Marlon gerne zur Verfügung." Sie wies auf den jungen Mann. „Sie können ihn von jedem Telefon mit der Tastenkombination 365 erreichen. Ich heiße Hanna und der Name unserer Freundin ist Anett“, bemerkte sie mit einem Lächeln und fuhr fort: „Sie können sich natürlich in diesem mehrstöckigen Gebäude frei bewegen. Es gibt auf den ersten vier Etagen noch Räume, die in der originalen Struktur restauriert wurden und das ehemalige Kloster dokumentieren. Sie vermitteln einen interessanten Einblick in die Lebensweise der Mönche. Alles ist gut beschildert. Räume mit unverschlossenen Türen können sie ohne Vorbehalt betreten. Mit dem Aufzug in dieser Etage erreichen Sie den historischen Gebäudeteil in den ersten vier Geschossen sowie den SPA-Bereich in der 1. Etage und das Restaurant in der 2. Etage. Dort können Sie mittags und abends eine Mahlzeit nach Ihrer Wahl bestellen, natürlich auf Kosten des Hauses. Von der unteren Etage führt außerhalb des Gebäudes ein Gang zu dem Aufzug, der Sie über den Steilhang zum Hubschrauberlandeplatz bringt. Sie haben sicher Verständnis, dass wir Ihnen den Code zur Bedienung des Aufzugs nicht zur Verfügung stellen können“, bemerkte Hanna trocken. Sie machte eine kurze Pause, als erwarte sie eine Erwiderung von Findeis. Als dieser schwieg, fuhr sie fort: „Sie können aber gerne in der unteren Etage das Gebäude verlassen und das Plateau vor dem Gebäude betreten. Von einem Spaziergang außerhalb des Gebäudes möchte ich Ihnen allerdings im Hinblick auf die Struktur des Geländes, die ungemütliche Temperatur und ohne Sauerstoffversorgung abraten. Wir halten es deshalb nicht für notwendig, die Außentüren zu verschließen."

Sven Findeis trank mit einem kräftigen Schluck das Glas leer. Nun war er doch etwas verwirrt. Er hatte das Gefühl, als sei er nicht entführt, sondern soeben zu einem mehrwöchigen Wellness-Urlaub all inclusive eingeladen worden. „Werde ich bei meinem Spaziergang durch das Gebäude auch anderen Gästen Ihres gastlichen Hauses begegnen, oder bin ich der Einzige?“

„Sie sind tatsächlich im Moment der einzige Gast. Natürlich werden Ihnen Leute begegnen. Das sind aber Mitarbeiter und Freunde des Hauses. Sie können sich selbstverständlich mit ihnen unterhalten.“

„Kann man auch erfahren, wer der Eigentümer dieser Nobelherberge ist? Ich vermute, sie ist nicht mehr Eigentum der Mönche.“