Orkantief - Susanne Bergstedt - E-Book

Orkantief E-Book

Susanne Bergstedt

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Beschreibung

Als in einer Sturmnacht im verwilderten Garten des leerstehenden Gutshauses Holthusen in Kiel-Schilksee eine alte Eiche auseinanderbricht, offenbart sich Schreckliches: In dem hohlen Baumstamm kommen die sterblichen Überreste des seit drei Jahren vermissten Kalli Holthusen zum Vorschein. Von einem Moment auf den anderen war der Sechsjährige wie vom Erdboden verschluckt, die Ehe seiner Eltern Anne und Clemens zerbrach darüber. Zu allem Unglück kann niemand der Mutter vom Auffinden Kallis berichten, denn auch Anne Holthusen ist seit der Trennung verschwunden. In die damals angemietete Wohnung ist sie nie eingezogen, und nicht einmal engste Freunde und Familienangehörige wissen, wo Anne steckt. Da geht etwas nicht mit rechten Dingen zu, das wittern Telse Himmel und Wanda Holle sofort. Weil sich Wandas Nachbar, der Kriminalkommissar Olaf Wuttke, hartnäckig weigert, aktiv zu werden, ermitteln die findigen Freundinnen auf eigene Faust. Ihre Suche führt die Hobby-Detektivinnen unter anderem in ein Besetzercamp gegen Bauvorhaben im Olympiahafen und zur schrulligen Ex-Nachbarin der Holthusens. Und schließlich machen sie eine Entdeckung, die sie niemals erwartet hätten.

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Als in einer Sturmnacht im verwilderten Garten des leerstehenden Gutshauses Holthusen in Kiel-Schilksee eine alte Eiche auseinanderbricht, offenbart sich Schreckliches: In dem hohlen Baumstamm kommen die sterblichen Überreste des seit drei Jahren vermissten Kalli Holthusen zum Vorschein. Von einem Moment auf den anderen war der Sechsjährige wie vom Erdboden verschluckt, die Ehe seiner Eltern Anne und Clemens zerbrach darüber. Zu allem Unglück kann niemand der Mutter vom Auffinden Kallis berichten, denn auch Anne Holthusen ist seit der Trennung verschwunden. In die damals angemietete Wohnung ist sie nie eingezogen, und nicht einmal engste Freunde und Familienangehörige wissen, wo Anne steckt. Da geht etwas nicht mit rechten Dingen zu, das wittern Telse Himmel und Wanda Holle sofort. Weil sich Wandas Nachbar, der Kriminalkommissar Olaf Wuttke, hartnäckig weigert, aktiv zu werden, ermitteln die findigen Freundinnen auf eigene Faust. Ihre Suche führt die Hobby-Detektivinnen unter anderem in ein Besetzercamp gegen Bauvorhaben im Olympiahafen und zur schrulligen Ex-Nachbarin der Holthusens. Und schließlich machen sie eine Entdeckung, die sie niemals erwartet hätten.

© SoulPicture Marcel Völker

Susanne Bergstedt ist Diplom-Designerin, ehemalige Bildredakteurin eines Kunstmagazins und lebt in Kiel-Schilksee an der Ostsee. ›Orkantief‹ ist nach ›Quallenplage‹ (DuMont 2023) der zweite Fall für das Ermittlerinnen-Duo Himmel und Holle.

Susanne Bergstedt

Orkantief

Himmel und Holle ermitteln

Ein Ostsee-Krimi

Ein Ostsee-Krimi

E-Book 2024

DuMont Buchverlag, Köln

Alle Rechte vorbehalten

© 2024 DuMont Buchverlag, Köln

Umschlaggestaltung: Lübbeke Naumann Thoben, Köln

Umschlagabbildung: Seegras: © drizzd/depositphotos; Seesterne: © zorandim/depositphotos; Möwe sitzend: © lifeonehite/depositphotos; Reetdachhaus: © PantherMediaSeller/depositphotos; Welle: © Scott Ward/freepng.com

Satz: Angelika Kudella, Köln

E-Book-Konvertierung: CPI books GmbH, Leck

ISBN E-Book 978-3-7558-1020-9

www.dumont-buchverlag.de

Prolog

SEIN HERZ KLOPFTE. Er hatte immer Angst, wenn sie so schrien.

Sie sollten endlich damit aufhören, aber das taten sie nicht. Im Gegenteil, ihre Stimmen wurden lauter und böser. Er hielt sich mit beiden Händen die Ohren zu, doch es half nichts. Das Schreien machte, dass ihm der Bauch wehtat. Er wollte weg, dahin, wo es still war. Wo ihn niemand finden würde.

Sein Geheimversteck.

Er lugte durch das Fenster nach draußen. Am Himmel zogen schon purpurfarbene Wolken auf. Die Nacht machte ihm auch Angst, aber anders.

Das Geräusch, das jetzt aus dem Wohnzimmer drang, war das Signal. Ohne weiter zu überlegen, rannte er zur Tür und dann hinaus auf den Flur.

Er stoppte abrupt.

Wo war Tiger? Ohne Tiger konnte er nicht weg.

Auf Zehenspitzen schlich er in sein Kinderzimmer zurück, griff sich das Stofftier vom Bett und eilte wieder hinaus, die Treppe hinunter und die Diele entlang. Vor der Hintertür, die in den Garten führte, hielt er einen Moment inne und horchte ins Haus. Er konnte jedes Wort, das im Wohnzimmer gebrüllt wurde, verstehen. Vorsichtig drückte er die Klinke herunter und schlüpfte nach draußen. Dann schloss er die Tür genauso leise, wie er sie geöffnet hatte, obwohl sie ihn sowieso nicht gehört hätten.

Er sprang die drei Stufen herab und rannte so schnell er konnte in das dunkle Grün hinein. Erst quer über den Rasen, dann gleich schräg hinter die Johannisbeerbüsche, wo die Wiese begann. Er lief weiter, immer weiter, bis er ganz am Ende des lang gestreckten Gartens angelangt war. Da, wo er richtig wild war und fast schon in den Wald überging.

Hier stand sie, die riesige Eiche.

Seine Eiche.

Die mit dem Geheimnis, das niemand außer ihm kannte. Hier würden sie ihn nicht entdecken, da konnten sie suchen, wie sie wollten.

Er sollte da nicht raufklettern, die Eltern hatten es ihm verboten, aber er wusste eine Stelle, wo es ganz leicht ging. Man musste nur genug Schwung haben und mutig sein.

Er war mutig.

Tiger war auch mutig.

Er fürchtete sich im Dunklen, Tiger nicht. Auch darum hatte er ihn mitgenommen.

Jetzt saß er schon auf dem dicken unteren Ast, dort hinaufzukommen, war das Schwerste. Wenn man das geschafft hatte, ging der Rest leicht. Im Nu war er ganz nach oben in die Krone geklettert, wo das Blätterdach ihn wie eine schützende Kuppel umgab. Er zog Tiger aus dem Hosenbund seines Superman-Schlafanzuges und zeigte ihm das Haus, das ganz hinten durch die Zweige schimmerte. Die Fenster reflektierten die letzten Sonnenstrahlen. Er wusste, dass ihn niemand von dort sehen konnte.

Es ging aber noch besser. Wenn er wollte, konnte er sich sogar vollkommen unsichtbar machen. Der Baum hatte nämlich ein Geheimnis, das kein Erwachsener kannte.

Die Eiche war innen hohl.

Von außen konnte man das nicht sehen, nur von seinem Platz ganz oben. Er musste von dort nur ein Stück in das enge Loch klettern, dann war er nicht mehr da, einfach weg. Er wusste nicht genau, wie tief es hinunterging, aber zum Verschwinden reichte es. Das hatte er schon mal ausprobiert.

Wenn er sich ganz dünn machte und durch den Eingangsspalt schlüpfte, landete er in einer geräumigen Aushöhlung im Stamm. Dort gab es an der Seite einen schmalen Vorsprung, auf dem er stehen konnte, um nicht weiter nach unten zu fallen. Dahin, wo die Käfer und Spinnen waren.

Vorsichtig senkte er seine Beine in das Loch herab. Das Holz fühlte sich auf seiner nackten Haut glatt und trocken an.

In diesem Augenblick fegte ein jäher Windstoß durch die Zweige und ließ ihn in seinem T-Shirt frösteln. Schnell stopfte er Tiger zurück in den Bund seiner Schlafanzugshorts und kletterte weiter in den hohlen Stamm hinein, bis seine Füße den Vorsprung fanden. Wenn er sich mit den Händen oben am Rand des Loches festhielt, konnte er gerade noch herausschauen.

Aus einer weiteren kalten Böe fielen erste Regentropfen auf sein Gesicht. Vorsichtig hob er die Hände vom Rand, stützte sich mit ihnen an der Innenwand ab und rutschte ein kleines Stückchen tiefer.

Hier drinnen war es still.

Plötzlich schrie direkt über ihm ein Kauz.

Der Schreck durchfuhr ihn wie ein Blitz. Er zuckte zusammen und löste unwillkürlich die Hände vom Holz. In diesem Augenblick brach der schmale Vorsprung ab, auf dem er mit den Fußspitzen stand, und er fiel, stürzte in die dunkle Tiefe.

Draußen heulte der Wind.

1

Drei Jahre später

DAS MUSSTE JA SO kommen. Ausgerechnet für heute Abend verhieß die Wettervorhersage nichts Gutes. Wo ihr doch selbst bei schönstem Sonnenschein und kaum Seegang schon übel wurde, sobald ein Schiff abgelegt hatte. Telse Himmel zog ihren Schlafanzug aus der kleinen Reisetasche und warf ihn auf das Kojenbett. Sie hatte große Lust, sich gleich hinterherzuwerfen und einfach bis morgen früh um neun durchzuschlafen. Was natürlich illusorisch war, da ihre Freundin Wanda Holle erstens mit Seebeinen gesegnet war und sich zweitens auf einen gemeinsamen feuchtfröhlichen Abend im Bistro oder in einer der Bars auf Deck sieben freute.

Sie waren gerade dabei, sich in ihrer Zwei-Personen-Kabine mit Meerblick einzurichten, als die Durchsage aus dem Bordlautsprecher kam: »Guten Abend, mein Name ist Gunnar Holgersson, und ich bin heute Ihr Kapitän. Wir werden während unserer Fahrt nach Kiel voraussichtlich stürmische Winde aus West haben. Bitte beachten Sie die Sicherheitshinweise. Ich wünsche Ihnen eine angenehme Reise.«

In Telses Ohren klang das wie blanker Hohn. Kreuzfahrten standen ganz oben auf ihrer Hassliste, und Fährpassagen folgten gleich dahinter. Jedenfalls, wenn die Fahrt länger als eine halbe Stunde dauerte und mit abendlichem Entertainment zu rechnen war. Aber mit der Stena Line über Nacht von Göteborg zurück nach Kiel zu reisen war einfach bequemer, als einen ganzen Tag mit dem Auto unterwegs zu sein.

Es war Wandas Idee gewesen, über ein verlängertes Wochenende nach Schweden zu schippern und den gemeinsamen Städtetrip mit einem Besuch bei Telses Tochter Julianne und deren Freund Fenno zu verbinden. Die beiden hatten sich entschieden, ihr Studium in Kiel zu unterbrechen und ab Herbst zwei Auslandssemester in Göteborg einzulegen. Vielleicht auch noch mehr, was Telse aber nicht hoffte. Durch einen glücklichen Zufall hatten sie über Freunde zwei Zimmer in einer Wohngemeinschaft ergattert, die sie schon in den kommenden Semesterferien beziehen konnten. Jetzt waren Julianne und Fenno seit zwei Wochen damit beschäftigt, die neuen Mitbewohner kennenzulernen, sich in der Stadt umzusehen und den Umzug zu organisieren.

Telse und Wanda hatten bei ihrem Besuch schlaue Einrichtungstipps gegeben und sich ansonsten ein paar schöne Tage gemacht. Am Ende ihres dreitägigen Trips hatte Wanda sich in der Göteborger Markthalle noch mit Tüten voller schwedischer Leckereien eingedeckt, dann war es schon wieder Zeit für die Rückreise gewesen.

Das Schiff vibrierte jetzt merklich. Es hatte mittlerweile seinen Liegeplatz verlassen, gewendet und Kurs auf das Meer genommen.

»Komm, lass uns auf das Oberdeck gehen«, schlug Wanda vor, die mit frisch aufgetragenem Lippenstift aus dem kleinen Badezimmer kam. »Wir fahren gleich unter der Älvsborgsbron durch, das will ich sehen. Den berühmten Röda Sten auch, der liegt gleich daneben.«

Telse stimmte zu. Lieber etwas frische Luft schnappen, bevor es zu spät war. Noch schaukelte die Fähre nicht, aber das würde sich ändern, sobald sie die offene See erreicht hatten. Außerdem wollte sie den Ausblick auf das Hafengebiet und das Gewimmel der Schäreninseln im Göta Älv nicht verpassen. Auch wenn ihr schleierhaft war, was dieser Röda Sten sein sollte.

»Das ist ein Findling, der schon vor Ewigkeiten rot angemalt wurde und nahe der Brücke am Ufer liegt«, erläuterte Wanda, als sie nebeneinander an der Reling des Oberdecks standen. Sie deutete mit ihrem manikürten Zeigefinger zur Wasserkante, wo besagter Klotz unterhalb der Älvsborgsbron wie eine Riesentomate im Abendlicht leuchtete. »Über die Frage, weshalb der Stein rot angepinselt wurde, streiten sich die Gelehrten. Mir persönlich gefällt die Version am besten, wonach die rote Farbe an das Blut der Seeleute gemahnen soll, die auf dem Meer geblieben sind.«

»Gruselig.« Telse machte mit ihrem Smartphone ein Foto. Anschließend spazierte sie mit Wanda über das Deck und bestaunte die unzähligen kleinen Inselchen, die rechts und links aus dem Wasser lugten. Auf manchen von ihnen standen einsame Häuschen, die kaum kleiner als die Felsbuckel waren.

Nach einer Weile frischte der Wind merklich auf, und Telse fröstelte trotz ihrer Softshelljacke. Wanda schien es ähnlich zu gehen. »Ich schlage vor, wir begeben uns wieder rein und suchen uns drinnen ein schönes Plätzchen mit Aussicht.« Sie deutete zum Himmel, wo am Horizont dunkle Wolken aufzogen. »Das wird hier wohl bald ungemütlich.«

Telse nickte. »Befürchte ich auch.« Sie gähnte. »Aber lange werde ich heute nicht durchhalten. Erstens bin ich hundemüde, und zweitens werde ich garantiert seekrank, wenn es nachher stärker püstern sollte.«

»An der Theke gibt es bestimmt eine Reling, an der du dich festhalten kannst, wenn die Brecher kommen«, grinste Wanda. »Bei der Gestaltung von Bordbars nehmen Innenarchitekten gewöhnlich Rücksicht auf stärkeren Seegang.«

»War das auf eurer Segeljacht auch so?« Mit ihrem verblichenen Gatten Jan Friedrich Holle, dem vermögenden Eigentümer einer Bootsbauwerft, war Wanda auf einer Luxusjacht um die Welt gesegelt, bis sie ihn zum Schluss mit den Füßen voran von Bord getragen hatten.

»Worauf du dich verlassen kannst.« Wanda zog die schwere Stahltür zum Treppenhaus der Fähre auf und ließ Telse den Vortritt.

Im Metropolitan-Café auf Deck sieben hatte sich bereits eine größere Anzahl von Passagieren eingefunden, aber sie ergatterten noch einen Tisch in der Mitte des Raums. Von hier hatten sie eine gute Sicht durch die breite Fensterfront auf der Bugseite. Wir sind anscheinend nicht die Einzigen, die sich rechtzeitig einen Platz im Warmen sichern wollen, stellte Telse fest und entledigte sich ihrer Jacke. Dann ließ sie sich auf der blauen Polsterbank nieder, streckte die Beine aus und blickte sich um. Das Interieur wirkte gediegen, mit lackierten Schiffsplanken auf dem Boden, verchromten Stützsäulen, Polstermöbeln und Kunstdrucken an den Wänden. Auf der Hinfahrt nach Göteborg waren sie beide nicht hier unten gewesen, sondern hatten lieber an Deck den ersten lauen Maiabend des Jahres genossen. Heute hatte es sich nach den Eisheiligen angefühlt.

»Ein Tässchen Tee oder lieber gleich einen Grog? Du siehst aus, als ob dir etwas Warmes guttun würde.« Wanda stand noch und war auf dem Sprung zur Bar.

»Einen Ingwertee, falls es den hier gibt. Ingwer soll gegen Übelkeit helfen, habe ich gehört.«

»Bringe ich dir, wenn du derweil meinen Platz verteidigst. Die Bude wird langsam voll.«

Telses Blick folgte Wanda und blieb dann am Eingang hängen, wo immer mehr Passagiere hereinströmten. Sie verzog das Gesicht. Im Getümmel wurde es ihr schnell zu laut, zu rummelig und zu eng. Andererseits hatte sie sowieso nicht vor, sich hier unten lange aufzuhalten. Die Vorstellung, es sich bei dem zu erwartenden schlechten Wetter mit einem Krimi in der Koje gemütlich zu machen, lockte sie viel mehr. Ihre Gedanken schweiften zu Julianne und Fenno und den viel zu schnell verflogenen Tagen in Göteborg. Die beiden hatten ihren endgültigen Umzug zwar erst für den Spätsommer geplant, aber ihre Tochter war schon immer Meisterin darin gewesen, Pläne ruckzuck über den Haufen zu werfen. Erst recht, wenn eine neue Stadt lockte. Telse seufzte leise. Wie schwer es ihr doch fiel, loszulassen.

Die Fähre hatte die Außenschären von Göteborg mittlerweile hinter sich gelassen und war auf südlichen Kurs durch das Kattegat eingeschwenkt. Der Wellengang hatte deutlich zugenommen, und Wanda musste ihre ganze Geschicklichkeit aufbringen, um das Tablett mit den Getränken unfallfrei zum Tisch zu balancieren. Mit einem erleichterten Ächzen ließ sie sich schließlich auf ihren Stuhl fallen.

»Verzeihung, sind die beiden Plätze noch frei?«

Wanda und Telse schauten hoch. Vor ihnen standen zwei Männer Anfang vierzig, die hoffnungsvoll lächelten. Wanda scannte sie in Sekundenbruchteilen, und das Ergebnis war positiv: schlichte, geschmackvolle Flanellhemden, Outdoorhosen und neu wirkende Wanderstiefel, wahrscheinlich alles teures Markenzeug. Von dieser Sparte hatte sie zwar keine Ahnung, aber gute Qualität erkannte sie sofort. Einer der Männer trug einen Hipsterbart, der andere war glatt rasiert. Nach einem kurzen Seitenblick zu Telse nickte sie huldvoll und deutete mit einer einladenden Geste auf die beiden leeren Stühle.

»Selbstverständlich. Bitte nehmen Sie doch Platz.«

»Vielen Dank, das ist sehr freundlich von Ihnen.« Die beiden setzen sich.

Für Telse war die Sache sofort klar. Der Blick auf die Hände der Männer, wo jeweils ein identischer Goldreif am linken Ringfinger steckte, wäre gar nicht nötig gewesen. Sie machten einen sympathischen Eindruck. »Es soll heute Abend ja noch recht windig werden«, versuchte sie ein Gespräch anzufangen. »Unser Kapitän schien aber guten Mutes zu sein.«

»Das wollen wir doch hoffen«, sagte der Hipsterbart. »Bis jetzt hatten wir durchweg Glück mit unserer Reise. Schweden ist wirklich ein fantastisches Land.«

Sein Begleiter nickte zustimmend.

»Haben Sie nur Göteborg besucht oder waren Sie noch im Umland unterwegs?«, fragte Wanda.

»Wir haben eine dreiwöchige Rundreise mit dem Wohnmobil gemacht. Einmal um den Vänernsee: Bohuslän, Dalsland und Västergötland«, erzählte der Glattrasierte. »Unsere Hochzeitsreise. Das haben wir uns gegenseitig geschenkt.«

»Wie reizend!«, flötete Wanda. »Meine Freundin Telse und ich waren diesmal nur für ein paar Tage in Göteborg. Ich kenne aber die Westküste von früher, als ich noch gesegelt bin, sehr gut. Dort hat es Sie nicht hingezogen?«

»Da ist uns zu viel Trubel. Wir bevorzugen die Einsamkeit der Natur, nicht wahr, Kai?«

Der Hipsterbart nickte nachdrücklich. »Wir haben sogar Elche gesehen, keine zwanzig Meter von unserem Camper entfernt.«

»Das war schon ein tolles Erlebnis. Ich bin übrigens Morten.«

»Angenehm, Wanda.«

Telse bemerkte, wie alle Augen auf ihr ruhten. Zwar war sie keine Anhängerin des inflationären Duzens, aber sie wollte keine Spielverderberin sein. Außerdem befanden sie sich fast noch in Skandinavien, wo niemand außer dem König gesiezt wurde.

»Ich heiße Telse.« Sie lächelte. So ein frisches Glück muss schön sein, dachte sie fast schon ein wenig neidisch. In diesem Augenblick rempelte sie ein Mitarbeiter der Besatzung am Arm an, der schnellen Schrittes durch das Bistro eilte. Ihm auf den Fersen folgte ein weiteres Crewmitglied im weißen Hemd, das ebenfalls in Eile schien. Jetzt bemerkte Telse auch eine gewisse Unruhe unter den anderen Gästen. Aufgeregtes Gemurmel schwoll an, einige verließen ihre Tische und liefen in Richtung Ausgang. Was war denn bloß los?

Wanda lieferte einen Moment später die Erklärung. »Der Horizont hängt schief.«

Morten grinste. »Ich dachte, es wäre das Bild.«

»Nein, leider nicht. Seht selbst.« Wanda deutete zur vorderen Fensterfront.

Telse erstarrte. Die Wasserlinie des Horizonts war tatsächlich schief, was bedeutete, dass das Schiff Schlagseite hatte. »Hilfe, was soll das?«, entfuhr es ihr trotzdem.

»Eisberge gibt es auf dieser Route gewöhnlich nicht, aber es sieht ganz so aus, als ob wir ein Leck hätten. Ein recht großes, wohlgemerkt. Sonst würde der Kahn nicht dermaßen krängen«, erläuterte Wanda ungerührt, als wäre sie Edward John Smith persönlich.

»Das … Das macht keinen guten Eindruck. Vermutlich sind deshalb alle so aufgescheucht.« Kais Gesicht hatte an Farbe verloren, und er sah aus, als ob er ebenfalls am liebsten die Flucht ergreifen würde. Er biss sich auf die Lippen, sein Blick sprang vom Fenster zu den anderen Gästen und wieder zurück.

»Wir sollten einen der Stewards fragen, was los ist«, schlug Morten vor.

»Gute Idee.« Kai drehte suchend den Kopf. »Sind aber alle weg.«

»Eigentlich wäre eine Durchsage angebracht«, sagte Telse missmutig. »Man muss doch wissen, ob es ein ernsthaftes Problem gibt und man gleich zu den Sammelstellen rennen soll, um sich eine Rettungsweste abzuholen.«

»Das würde uns der freundliche Herr Kapitän bestimmt mitteilen. Wie hieß er doch gleich? Holger?« So entspannt, wie sie tat, fühlte Wanda sich keineswegs. Sie war zwar eine erfahrene Seglerin und hatte auf den Törns mit ihrem verstorbenen Mann schon zahlreiche brenzlige Situationen erlebt. Doch auf der eigenen Jacht hatte sie wenigstens gewusst, ob Gefahr drohte, und entsprechend handeln können. Probleme an Bord machten ihr keine Angst, wenn sie die Chance hatte, etwas zu deren Lösung zu unternehmen. Hier dagegen musste sie sich in einer unübersichtlichen, möglicherweise lebensbedrohlichen Sachlage auf andere, sprich das Schiffspersonal, verlassen, und das passte ihr ganz und gar nicht.

»Sollten wir nicht lieber in unsere Kabine gehen? Dann können wir schnell das Nötigste packen und sind vorbereitet, wenn das Notfallsignal kommt und die Evakuierung startet.« Telse rutschte unruhig auf ihrem Sitz herum.

»Ich weiß noch, wie das war.« Morten schloss konzentriert die Augen. »Sieben kurze und ein langer Piepton.« Er öffnete die Lider und startete eine akustische Demonstration, bekam von seinem Mann aber umgehend einen leichten Knuff in die Seite.

»Lass gut sein, wir haben vorhin alle die Sicherheitsunterweisung gehört. Kennt ihr eigentlich noch Mister Safe?«, wandte Kai sich an Telse und Wanda. Sie schüttelten die Köpfe.

»Wer soll das sein?«, fragte Telse, während ihr Blick zur Fensterfront hinüberschwenkte. Dort hatten sich inzwischen einige Passagiere versammelt, die in Grüppchen herumstanden und mit aufgeregten Gesten diskutierten.

Kai grinste. »Das war so eine Art Mister Bean. Ein Typ im hellblauen Strampelanzug, der in den früheren Bordvideos gezeigt hat, wie man sich im Notfall verhalten soll. Erste Regel: nicht gleich über die Reling springen, sondern Ruhe bewahren.«

In diesem Augenblick hastete ein Besatzungsmitglied den Mittelgang entlang. Wanda reagierte blitzschnell, sprang auf und verstellte ihm den Weg. Der Steward stoppte im letzten Moment und versuchte, sich an ihr vorbeizudrücken, natürlich erfolglos.

»Guter Mann. Würden Sie bitte so freundlich sein, uns aufzuklären? Was bedeutet die Schlagseite unseres Schiffes? Gibt es Anlass zur Sorge?«

»Bitte lassen Sie mich durch. Es ist nichts passiert. Alles in Ordnung.« Der Mann versuchte abermals, sich an Wanda vorbeizudrängeln, aber die machte sich gleich noch ein wenig breiter.

»Die Schräglage sieht aber gar nicht in Ordnung aus. Haben wir ein Leck?«

»Um Gottes willen, nein! Bitte, ich muss jetzt weiter.« Ein Passagier bewegte sich auf sie zu, und der Steward nutzte die Gelegenheit und schlüpfte an Wanda vorbei, als sie für den Reisegast ein Stückchen zur Seite trat. Kurz darauf war er im Treppenhaus der Fähre verschwunden.

Mit umwölkter Stirn und Miene kehrte Wanda zu ihrem Tisch zurück.

»So ein Schnösel.« Sie ließ sich auf ihren Polsterstuhl plumpsen. Sie konnte es nicht leiden, auf kaltlächelnde Weise abgefertigt und stehen gelassen zu werden. »Was bildet sich dieser Kerl eigentlich ein? Das ist doch …«

»Ich gehe jetzt zum Informationsschalter und kläre die Sache. Da wird ja wohl jemand sitzen, der oder die Ahnung hat«, unterbrach Telse sie und erhob sich kurz entschlossen von ihrem Platz.

»Gute Idee«, sagte Morten. Plötzlich hörte man draußen das Geräusch von Rotorblättern. »Da kommt übrigens ein Hubschrauber angeflogen. Sieht aus, als ob er Kurs auf uns genommen hat.«

Vier Augenpaare starrten durch die Fensterfront auf den Helikopter, der schnell näher kam und tatsächlich die krängende Fähre anzusteuern schien.

»Bisschen klein für eine Evakuierung«, stellte Wanda trocken fest. »Es sei denn, die wollen nur unseren Käpten vom sinkenden Schiff holen.«

Telse machte erneut Anstalten, zu gehen. »Mir reicht es jetzt. Ich will endlich wissen, was hier los ist. Bin gleich wieder da.« Sie drängelte sich durch die Pulks von Passagieren, die inzwischen die Laufwege bevölkerten, und war kurz darauf in der Menge verschwunden.

In diesem Moment ertönte aus den Bordlautsprechern ein lautes Signal. Es knisterte, dann räusperte sich eine Stimme: »Meine Damen und Herren, verehrte Fahrgäste. Leider haben wir einen medizinischen Notfall an Bord. In Kürze wird ein Hubschrauber an Deck landen, um eine erkrankte Person aufzunehmen. Wir bitten darum, die kurze Verzögerung unserer Reise zu entschuldigen. Vielen Dank.«

»Aha, jetzt ist ja alles klar«, sagte Morten.

Wanda fixierte ihn. »Nichts ist klar. Zum Beispiel, warum wir immer noch Schräglage haben.«

»Vielleicht hat sich der Notfallpatient am Büffet überfressen«, schlug Kai vor und zog eine Grimasse. Er erntete ungnädige Blicke.

»Witzbold. Es gibt aber noch eine weitere Merkwürdigkeit, fällt mir gerade auf.« Morten blickte mit gerunzelter Stirn nach draußen, wo der Wind heulte und sich mit dem Knattern des Helikopters mischte.

Wanda sah ihn fragend an.

»Habt ihr es noch gar nicht bemerkt?«

»Nun sag schon«, forderte Kai. »Mach es nicht so spannend.«

»Tja.« Morten lehnte sich zurück. Er genoss die Neugier der anderen, die ungeduldige Aufmerksamkeit, die ihm zuteilwurde, sichtlich. »Wir fahren wieder zurück. Nach Göteborg.«

Kai sah ihn skeptisch an und zog die Augenbrauen zusammen. »Ach, Quatsch!«

»Kleiner Tipp: Guckt einfach, wo die Sonne steht. Die sieht man bei diesem Wetter zwar immer nur kurz, aber es reicht.« Morten zeigte zum Himmel. »Wo befindet sich Klärchen gewöhnlich, wenn man am Abend in Richtung Süden schippert? Genau, im Westen, Fahrtrichtung rechts«, gab er selbst die Antwort. »Und wo steht sie jetzt?«

Wanda und Kai schauten konzentriert zum Fenster hinaus. Die vorüberstürmenden Wolken rissen hin und wieder auf und ließen ein paar Strahlen des letzten Abendlichts durch.

»Auf der linken Seite«, sagte Wanda, und auf einmal verstand sie. Ihre Augen weiteten sich. »Also fahren wir tatsächlich wieder nach Norden. Ich fasse es nicht.« Sie blickte beunruhigt in die Tischrunde. »Was hat das zu bedeuten?«

Ihre Tischnachbarn schienen genauso ratlos zu sein wie sie selbst.

Ungeduldig spähte Wanda zum Eingang des Bistros. »Hoffentlich kommt Telse bald zurück und klärt uns auf.«

Nach einer gefühlten Ewigkeit sah sie, wie die Freundin sich durch das Gewühl zu ihrer Sitzgruppe kämpfte.

»Puh.« Telse ließ sich auf die Polsterbank fallen und fuhr sich mit den Händen durch die kurzen dunklen Haare. »Was für ein elendes Gedrängel.«

»Hast du es schon mitgekriegt?«, platzte Wanda heraus. »Wir fahren wieder zurück. Nach Göteborg.«

Wenn Wanda als Reaktion von Telse so etwas wie Überraschung oder zumindest Interesse erwartet hatte, wurde sie enttäuscht.

»Ich weiß.«

»Du weißt? Nun erzähl schon, was haben die am Infoschalter gesagt?«, fragte Wanda ungeduldig. »Sind wir dem Untergang geweiht?«

»Nein, es wird nur etwas später.«

»Mit dem Untergang?«

»Mit der Ankunft in Kiel.«

»Halleluja!«, sagte Wanda in ironischem Ton. »Und warum liegen wir so schief im Wasser und weshalb hat der Kapitän gewendet?«

»Das wüssten wir auch gerne.« Morten und Kai beugten sich interessiert nach vorn.

Telse räusperte sich. »Na gut, dann will ich euch mal aufklären. Von dem medizinischen Notfall an Bord habt ihr gehört. Am Schalter wurde mir gesagt, dass die Fähre gewendet hat, um dem Rettungshubschrauber entgegenzukommen und den Krankentransport dadurch zu beschleunigen. Deshalb die Schieflage der Fähre.«

Telse blickte in drei fragende Gesichter. Sie ließ sie ein wenig zappeln, bevor sie fortfuhr: »Weil für die Überfahrt ein starker Wind aus West angekündigt war, hat die Besatzung die Ladung wohl so verteilt, dass sie ein Gegengewicht zu dem erwarteten Winddruck bildet. Sie haben alles, was ordentlich Gewicht hat, wie zum Beispiel die schweren LKW auf dem Autodeck, an die Luvseite gepackt. Also an die dem Wind zugewandte Seite. Dann liegt das Schiff auch bei starken Sturmböen von West wie ein Brett auf dem Wasser, und der Tee bleibt in der Tasse. Nach der Hundertachtzig-Grad-Wende standen die Lastwagen dann plötzlich auf der falschen Seite, der Leeseite, und mit dem Wind hat das zu der Schräglage geführt.«

»Die übrigens schon weniger wird«, verkündete Morten nach einem Blick zum Horizont. »Sieht so aus, als ob wir wieder auf Kurs Kiel drehen.«

»Na, dann wird ja alles gut, und wir können zum geselligen Teil des Abends kommen«, sagte Wanda erleichtert. Sie klatschte in die Hände, während Telse unauffällig die Augen verdrehte. Eigentlich wollte sie in ihre Kabine zurück, aber das konnte sie der Freundin jetzt nicht antun. Es fiel ihr manchmal nicht leicht, mit Wandas unbekümmertem Naturell Schritt zu halten, das die Widrigkeiten des Lebens wie einen Regenguss abperlen ließ. Ausruhen kann ich mich, wenn ich in der Kiste liege, lautete Wandas Credo, und danach handelte sie auch. Sie selbst dagegen brauchte auch vorher schon ab und zu eine Entspannungspause, obwohl sie knapp acht Jahre jünger war als ihre Freundin.

»Jetzt haben wir endlich Gelegenheit, uns ein wenig kennenzulernen«, riss Wanda sie aus ihren Gedanken. »Kai und Morten, mich würde interessieren, was ihr beide beruflich macht.«

»Ich bin selbstständiger Tischlermeister«, erklärte Morten nicht ohne Stolz, »mit einem Drei-Mann-Betrieb in Kiel. Am liebsten restauriere ich antike Möbel, das ist quasi meine Leidenschaft.«

»Ach, das trifft sich gut«, freute sich Wanda. »Ich besitze einige wertvolle Stücke, die eine Aufarbeitung vertragen könnten.«

»Immer gerne.« Morten fingerte eine Visitenkarte aus seiner Brieftasche und schob sie Wanda über den Tisch, die sie sofort einsteckte.

»Ich wäre auch gerne ein Künstler«, sagte Kai mit liebevoll-stolzem Blick zu seinem Lebensgefährten. »Bei mir hat es leider nur zum Verwaltungsbeamten im Landtag gereicht.«

»Fast wie bei uns«, erklärte Wanda. »Telse ist ebenfalls kreativ tätig, ich leider nicht. Als ehemalige Leiterin eines Reisebüros genieße ich meinen vorgezogenen Ruhestand.«

So kann man es auch ausdrücken, dachte Telse amüsiert. Reiche Schilkseer Witwe, die sich mit dem Vermögen ihres verstorbenen Gatten ein sorgloses Leben leisten kann, traf die Sache besser. Was sie sich aber niemals zu sagen getraut hätte, schließlich war Wanda die großzügigste Seele von Mensch, die sie kannte. Nicht zuletzt, weil sie ihr das Gästehaus ihrer Schilkseer Villa zum mietfreien Wohnen zur Verfügung gestellt hat. Ihrer alten Heimat Hamburg trauerte Telse längst nicht mehr nach. Dort hatte sie vor vielen Jahren zusammen mit Wanda im Grotenhus-Verlag gearbeitet, Wanda im hauseigenen Reisebüro, sie selbst als Redakteurin eines Gartenmagazins. Nach Wandas Heirat hatten sie sich aus den Augen verloren und waren dann zufällig auf der Straße wieder ineinandergelaufen, als Telses Redaktion gerade aufgelöst worden war und sie nicht wusste, wie es beruflich und überhaupt weitergehen sollte.

»Ich war früher Redakteurin und jobbe im Moment vorübergehend als Aushilfslehrerin in einer Grundschule«, machte Telse die Schlussvorstellung. »Demnächst möchte ich aber wieder als freie Journalistin und Fotografin arbeiten. Mal sehen, ob es klappt.«

»Was fotografierst du denn?«, fragte Morten. Seine Miene war offen und wirkte ehrlich interessiert.

»Och, alles Mögliche, je nachdem, was gefordert wird. Gerne Naturmotive, aber die sind schwierig zu verkaufen.«

»Hast du auch ein Lieblingsthema? Etwas, woran dein Herz hängt, was du gerne fotografierst, ohne an mögliche Kunden zu denken?«

Telse überlegte. »Das Meer«, sagte sie schließlich, »in verschiedenen Wetterstimmungen. Außerdem alles, was geheimnisvoll ist.«

»Hört sich spannend an«, warf Kai ein. »Was denn zum Beispiel?«

»Na ja, ich habe diesen Tick mit verwunschenen, verlassenen Orten«, gab Telse zögernd zur Antwort. »Alte Fabriken, die leer stehen und verfallen, unbewohnte Häuser, die sich die Natur langsam zurückholt. Wo Pflanzen durch die Räume kriechen und alles überwuchern. So was in der Art. Ich liebe den morbiden Charme der Vergänglichkeit, am liebsten in Schwarz-Weiß auf großformatigen Baryt-Abzügen.«

»Krass.« Kai schien ehrlich beeindruckt.

»Klingt ein bisschen merkwürdig, ich weiß. Aber das ist halt meine geheime Leidenschaft.«

»Die kannte ich noch gar nicht«, mischte sich Wanda ein. »Du offenbarst Abgründe, meine Liebe.«

»Ich wüsste da ein verlassenes Haus, das möglicherweise reizvoll für dich wäre«, sagte Morten nachdenklich. »Zum Fotografieren, meine ich.« Er blickte aus dem Fenster. Auf seiner Miene tauchte plötzlich ein wehmütiger Ausdruck auf. Dann schien er sich einen Ruck zu geben. Er sah Telse an und sagte: »Es gehört meinem Schwager und steht seit fast drei Jahren leer. Als ich zuletzt dort war, wuchsen schon Kletterrosen über die Fenster, und auf den Treppenstufen hatten sich Farne angesiedelt. Wie der riesige Garten jetzt aussieht, will ich mir gar nicht ausmalen.«

»Oh, das hört sich toll an. Wo steht das Haus denn?«

»In Schilksee. Ein altes romantisches Gutshaus in der Au, man kommt über den Seekamper Weg dorthin. Herrenhaus Holthusen, falls euch das was sagt. Richtig einsam gelegen. Außer einer betagten Nachbarin, die etwas entfernt wohnt, gibt es da nur jede Menge Wald, Wiesen und ein paar Tümpel. Für mich wäre das nichts.«

»Das Haus kenne ich nur vom Hörensagen«, meinte Wanda. Sie griff nach der Tasse mit dem mittlerweile kalten Tee und trank einen Schluck, bevor sie fortfuhr: »Das liegt ziemlich versteckt ein ganzes Stück hinter dem Skulpturenpark.«

Telse strahlte. »Fantastisch! Da muss ich hin! Wir wohnen gleich um die Ecke in Schilksee, besser geht’s nicht.«

»Warum steht das Gebäude eigentlich schon so lange leer?«, erkundigte sich Wanda. »Bei der großen Nachfrage, was Immobilien angeht, kann ich mir nicht vorstellen, dass sich dafür kein Käufer finden lässt. Die Lage ist doch einmalig.«

»Tja …« Morten zuppelte sich am Ohr. »Das ist alles etwas kompliziert.«

»Wo liegt der Haken? Hat sich einer der Tümpel im Keller ausgebreitet?«

»Nein, das ist es nicht.« Er rang sichtlich nach den richtigen Worten. »Es ist eine alte Geschichte, mit der ich euch aber nicht langweilen will. Um es kurz zu machen: Mein Schwager wollte das Gutshaus an einen Investor verkaufen, der vorhatte, es abzureißen und auf dem weitläufigen Grundstück Ferienwohnungen zu bauen. Da haben die Behörden aber nicht mitgespielt und keine Genehmigung erteilt. Aus Denkmal- und Naturschutzgründen, soviel ich weiß. Die Sache hat sich über längere Zeit hingezogen, und jetzt ist das Haus in einem Zustand, wo jemand schon ordentlich Geld in die Hand nehmen müsste, um es energetisch auf den neuesten Stand zu bringen oder auch nur wohnlich zu machen. Dabei darf am Aussehen kaum etwas verändert werden, so sind die Auflagen. Da stehen potenzielle Käufer nicht gerade Schlange.«

»Ich kann nicht verstehen, warum man ein so wunderbar gelegenes Anwesen überhaupt verkaufen will«, warf Telse ein. »Mitten in der schönsten Natur, ein riesiger Garten und keine zehn Minuten mit dem Fahrrad zum Strand. In die Stadt ist es auch nicht weit. Wo kann man denn noch besser leben?«

»Ich sagte ja, es ist eine lange Geschichte.« Er räusperte sich. »Eine tragische noch dazu.«

Wanda legte den Kopf schief. »Das hört sich in meinen Ohren nach Scheidung an.«

Morten richtete den Blick ins Unbestimmte. »Nein, eine richtige Scheidung war es nicht«, erklärte er schließlich.

»Sondern?«

»Es ist wirklich keine schöne Sache.« Morten blickte erst Wanda an, dann aus dem Fenster. Draußen dämmerte es, die dicke Wolkendecke hatte inzwischen fast alles Licht geschluckt. Der Wind heulte um die Ecken der Schiffsaufbauten.

»Entschuldige, ich möchte nicht aufdringlich sein.« Eine leichte Röte trat auf Wandas Wangen. »Manchmal bin ich wohl etwas zu neugierig, tut mir leid.«

»Schon gut.« Morten winkte ab. »Ich spreche nur nicht oft darüber.«

»Vielleicht täte es dir gut, die Ereignisse von damals in Worte zu fassen«, sagte Kai und legte seine Hand auf die seines Mannes. »Du trägst es schon so lange mit dir herum.«

»Mich würde die Geschichte des Gutshauses auch interessieren«, sagte Telse vorsichtig. »Ganz besonders, weil ich dort wirklich gerne fotografieren möchte. Ich finde, dass die Atmosphäre, die ein Haus ausstrahlt, von seinen ehemaligen Bewohnern geschaffen wird. Das habe ich schon öfters gespürt. Es ist, als ob die Wände alles Positive wie auch Negative, das sich in den Räumen abgespielt hat, in sich aufnehmen und speichern. Ich weiß, das klingt irgendwie esoterisch, aber so hat es sich für mich angefühlt.«

Morten nickte langsam. »Da ist etwas dran. Ich habe es manchmal auch so empfunden, wenn ich dort war.« Er machte eine Pause.

Drei Augenpaare ruhten auf ihm.

»Na gut.« Er holte tief Luft und stieß sie langsam wieder aus. »Vielleicht erinnert ihr euch sogar an das Drama. Es ist jetzt fast drei Jahre her und hat mit meinem Neffen zu tun, Kalli. Der sechsjährige Sohn von meiner Schwester Anne und ihrem Mann Clemens Holthusen, die das Gutshaus zuletzt bewohnt haben. Kalli war eines Tages, besser gesagt eines Abends, ganz plötzlich verschwunden. Einfach weg. Man hat tagelang nach ihm gesucht, aber die Polizei hat ihn nirgends finden können.«

Einen Moment herrschte bedrückte Stille. »Auch nicht mit Suchhunden oder Wärmebildkameras?«, fragte Telse schließlich.

»Nein.« Morten schüttelte den Kopf. »Ich muss dazu sagen, dass das Verschwinden meines Neffen von seinen Eltern erst am nächsten Morgen bemerkt wurde.« Seine Stimme wurde bitter. »Als Anne in sein Zimmer kam und das Bett unberührt vorfand. Da war natürlich schon viel wertvolle Zeit verstrichen. Zumal die beiden zuerst selbst nach Kalli gesucht haben und die Polizei erst mit einiger Verzögerung alarmiert wurde.«

»Das darf ja nicht wahr sein!« In Wandas Stimme klang Empörung durch. »Bei kleinen Kindern ist höchste Eile geboten, das weiß man doch.«

»Nun ja.« Morten strich sich mit der flachen Hand über den kurz geschorenen Schädel. »Das habe ich meiner Schwester auch gesagt. Sie hat dann zugegeben, dass es zwischen ihr und Clemens einen heftigen Streit wegen des Gutshauses gab, und das wohl nicht zum ersten Mal. Clemens wollte das Grundstück mitsamt dem alten Familienstammsitz an einen Investor verhökern, der ihm offenbar eine Menge Geld dafür geboten hatte. Anne war strikt dagegen. Als studierte Botanikerin liebte sie den riesigen, halb verwilderten Garten. Sie hat ein ökologisches Paradies daraus gemacht, in dem sich unzählige Pflanzen und Tierarten wohlgefühlt haben, aber das war ihrem Mann egal. Ich weiß von meiner Schwester, dass sie sich oft mit Clemens wegen des Kaufangebots gestritten hat, aber offenbar noch nie so heftig wie an diesem Abend. Der Investor hatte Druck gemacht, er wollte endlich einen Vertragsabschluss.« Morten hob die Schultern und ließ sie wieder nach unten fallen. »Und über ihrem Streit haben die beiden dann halt vergessen, dass sie noch einen Sohn haben. Anne dachte, Kalli würde in seinem Zimmer im Bett liegen, was Clemens dachte, weiß ich nicht.« Er hielt inne und seufzte schwer. »Die Polizei hat ihn jedenfalls nicht mehr finden können.«

Eine betretene Pause folgte.

Telse ergriff als Erste wieder das Wort: »Und keiner hat das Kind gesehen? Was ist denn mit den Medien? Zeitungen, das Fernsehen? Hat es keinen Zeugenaufruf gegeben?«, fragte sie.

»Doch, natürlich. Es wurden auch alle Leute in der Umgebung befragt sowie sämtliche Freunde und Bekannte. Hat aber nichts gebracht, Kalli blieb wie vom Erdboden verschwunden und ist es bis heute. Irgendwann wurde die Suche dann eingestellt.«

»Ich kann mich ganz dunkel an die Geschichte erinnern«, sagte Wanda nachdenklich. Sie hielt einen Moment lang inne. »Ich nehme an, die Eltern sind nach diesem Schicksalsschlag ausgezogen. Kann man ja verstehen.«

»Das ist das Seltsame an der Sache.«

Sie sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen fragend an.

Morten holte tief Luft. »Nicht nur Kalli ist verschwunden, auch Anne ist seitdem weg, und niemand weiß, wo sie sich befindet. Keine zwei Wochen nach der Sache mit ihrem Sohn hat sie ihre Koffer gepackt und ist ausgezogen.«

»Einfach so?«, fragte Wanda ungläubig. »Ohne zu sagen, wohin?«

»Nicht ganz. Sie hatte mich vorher ins Vertrauen gezogen und erklärt, dass sie sich vorübergehend in eine Ferienwohnung in der Nähe einquartieren wollte, um in Ruhe über alles nachzudenken. Wie es im Leben weitergehen soll und ob ihre Ehe mit Clemens noch eine Chance hat. Wir hatten immer einen engen, vertrauensvollen Kontakt miteinander, deshalb hat es mich auch so gewundert, um nicht zu sagen verstört, dass ich seitdem nichts mehr von ihr gehört habe. Ganz zu Anfang nach ihrem Auszug habe ich noch zwei, drei SMS bekommen, in denen sie mir erklärt hat, dass sie Zeit für sich brauche und niemanden sehen wolle. Danach hat sie sich komplett zurückgezogen. Sogar ihren Job im Botanischen Garten hat sie aufgegeben.« Er zuckte mit den Schultern. »Es gab keine einzige Nachricht mehr von ihr, keine Mail, keinen Anruf, Brief oder sonst was. Sie hat sich praktisch in Luft aufgelöst. Ich kann diese Funkstille, die bis heute andauert, einfach nicht begreifen. Es hat mich zutiefst verletzt.« Seine Stimme klang belegt.

»Weißt du denn, wohin sie wollte?«, fragte Telse mitfühlend. »Hat sie eine Ferienwohnung in der Nähe angemietet oder wollte sie raus aus Kiel?«

»Keine Ahnung«, sagte Morten hilflos. »Ich Idiot habe sie damals nicht nach der genauen Adresse gefragt. Es schien mir nicht dringend, weil ich ja davon ausgegangen bin, dass wir in Kontakt bleiben. Vielleicht hatte sie sich auch noch nicht für eine Wohnung entschieden, genau weiß ich es nicht mehr. Mann, ich hätte doch niemals damit gerechnet, dass sie alle Brücken abbricht. Sie hat sich seitdem auch bei sonst keinem gemeldet.«

»Und was ist mit euren Eltern? Hat sie die nicht ins Vertrauen gezogen?«

»Unsere Eltern sind schon verstorben.«

»Das tut mir leid.« Sie widerstand dem Impuls, ihm eine Hand auf die Schulter zu legen. »Es ist nicht ganz ungewöhnlich, dass Menschen nach einem traumatischen Ereignis alle Verbindungen zur Vergangenheit abbrechen, um irgendwo auf der Welt ein neues Leben anzufangen.« Telse schluckte schwer. »Die Frage ist, ob so etwas funktioniert. Man kann vor der Trauer nicht davonlaufen, sie kommt immer mit, egal wohin, glaube ich.«

»Und was ist mit der Polizei?«, erkundigte sich Wanda. »Es besteht doch die Möglichkeit, dass sie einen Unfall mit Gedächtnisverlust hatte und niemand weiß, wer sie ist. So etwas gibt es immer wieder.«

Morten lachte freudlos auf. »Tja, die Polizei … Die Beamten hatten keine unbekannten Unfallopfer zu bieten und waren auch sonst nicht gerade hilfreich.«

»Inwiefern?«

»Na ja«, Morten zuckte mit den Schultern. »In Deutschland dürfen sich Erwachsene aufhalten, wo sie wollen, da könne man nichts machen. Es gab schließlich keine Hinweise auf eine Straftat, im Gegenteil, Anne war ja auf eigenen Wunsch ausgezogen.«

»Hm«, machte Wanda. Zwischen ihren Augenbrauen bildete sich eine steile Falte. »Und was hat der Ehemann gesagt? So, wie ich es verstanden habe, hat sie zu ihm auch keinen Kontakt mehr aufgenommen.«

»Clemens hat eine einzige Nachricht von Anne bekommen«, sagte Morten müde. »Er hat sie mir gezeigt. Darin stand nur, dass sie sich erst dann wieder melden will, wenn sie eine Entscheidung getroffen hat. Punkt. Seitdem wartet er genauso wie ich auf irgendein Lebenszeichen von ihr. Die Sache hat ihn richtig fertiggemacht, er quält sich mit Selbstvorwürfen.«

Die Vibration des Schiffes ließ den Tee in den Tassen auf dem Tisch leicht erzittern, gleichzeitig senkte sich Schweigen über die Runde. Alle vier hingen ihren Gedanken nach. Die Musikbeschallung im Bistro wirkte plötzlich aufdringlich und unpassend.

Telse musste ein Gähnen unterdrücken und beschloss, dass es an der Zeit war, die Kabine aufzusuchen. Dieser Abend würde vermutlich nicht mehr fröhlicher werden.

»Entschuldigt, aber ich bin müde und muss ins Bett«, verkündete sie und erhob sich aus ihrem Sessel. »Nochmals danke, Morten, für deinen Tipp mit dem alten Gutshaus.« Sie schwenkte eine Hand zum Abschied. »Wäre schön, wenn wir in Kontakt bleiben. Vielleicht treffen wir uns irgendwann auf einen Kaffee, dann kann ich euch meine Aufnahmen zeigen, sofern etwas Brauchbares dabei herauskommt.« Sie sah Morten an. »Wanda hat ja deine Karte.«

»Wir würden uns freuen«, stimmte er nach einem Seitenblick auf seinen Ehemann zu, der bekräftigend nickte.

2

»MÄDELS, DA SEID IHR ja wieder! Wie war’s bei den Elchen?« Camilla Wuttke winkte fröhlich von der Terrasse ihres Hauses zu ihren beiden Nachbarinnen hinüber, die gerade durch die geöffnete Gartenpforte schritten.

»Nix, Elche, wir waren in der Großstadt«, informierte Telse sie über die Hecke hinweg. »Da sind uns nur nervige Touristen und verkaterte Studenten über den Weg gelaufen.« Sie hatte keine Lust, jetzt schon mit längeren Berichten aus Göteborg aufzuwarten, sondern wollte endlich wieder in ihren geliebten ›Seemannsfrieden‹ zurück. Das rot gestrichene kleine Haus in Wandas Garten war ihr schon so sehr ans Herz gewachsen, dass sie sich nicht vorstellen konnte, hier jemals wieder auszuziehen. Als Wanda es ihr im vergangenen Jahr als dauerhafte Bleibe anbot, hatte Telse nach kurzem Zögern zugesagt. Nicht zuletzt wegen der verwitterten Holzplanke unter dem Giebel, in die ›Seemannsfrieden‹ eingeschnitzt war. Bis jetzt hatte das Häuschen seinem Namen alle Ehre gemacht – jedenfalls wenn man von dem Kriminalfall absah, der sie beide im vergangenen September in Atem gehalten hatte.

»Kommt doch auf eine Tasse Kaffee rüber, wenn ihr euch frisch gemacht habt«, bot Camilla an. »Ich bin schon ganz neugierig, wie es Julianne und ihrer besseren Hälfte dort oben gefällt.«

Wandas Miene wirkte angespannt, ihr schien die Begeisterung ebenfalls nicht aus den Knopflöchern zu springen. »Danke, meine Liebe, aber ich glaube, wir haben eine kleine Pause nötig. Reisen strengt halt an.«

Camilla lachte. »Das glaubt ihr doch wohl selbst nicht. Seht mich an! Gut vierzig Wochen im Jahr auf Achse und immer frisch wie die schaumgeborene Aphrodite. Daran nehmt euch mal ein Beispiel.«

Telse zog eine Grimasse. Die Ehefrau von Kriminalhauptkommissar Olaf Wuttke, ihrem gemeinsamen Freund und Nachbarn, trieb sich als Unternehmensberaterin in der ganzen Welt herum und genoss ihr unstetes Leben in vollen Zügen, während der Strohwitwer Olaf Haus und Hof hüten musste.

»Wir besuchen dich gerne zur Berichterstattung, wenn wir uns regeneriert haben«, sagte Wanda. »Oder zwingt dich das gnadenlose Business schon morgen ins Kostüm und in den nächsten Flieger?«

Camilla kicherte. »Morgen noch nicht, aber demnächst. London is calling. Ich kann es kaum erwarten, im Nieselregen auf der Tower Bridge zu stehen.«

»Pass auf deine Pumps auf. So, wir wollen dann mal. Bis später, grüß Olaf.« Mit bollerndem Rollkoffer eilte Wanda auf dem Gartenweg Telse hinterher, die schon die Flucht ergriffen hatte.

»Diese Blutsauger stechen mich noch tot. Wieso musste ich eigentlich mitkommen? Du bist doch die Fotografin.« Wanda klatschte sich mit der flachen Hand erst in den Nacken, dann auf die Stirn. Es nützte nichts, der Mückenschwarm verfolgte sie auf Schritt und Tritt. Sie hatte den Subaru im Seekamper Weg geparkt und lief jetzt Telse hinterher, die schnurstracks auf den Eingang zum leer stehenden Anwesen der Holthusens zumarschierte.

»Weil du viel zu neugierig bist, um allein zu Hause auf dem Designersofa zu sitzen und die Topfblumen anzustarren«, rief Telse über die Schulter zurück.

»Außerdem hasse ich Brennnesseln. Ich habe wirklich keine Ahnung, was an diesem Unkrautdschungel so toll sein soll«, tönte es von hinten.

Telse grinste in sich hinein. Wanda, wie sie leibte und lebte. Da musste sie jetzt durch. Ein bisschen Survivaltraining im Schilkseer Feuchtbiotop sorgte hoffentlich dafür, dass die Freundin mit dem Begriff »Natur« nicht mehr nur den Farbton eines ihrer Kaschmirpullover verband.

Kallis Verschwinden und das Auseinanderbrechen der jungen Familie Holthusen war ihnen beiden zu Herzen gegangen. Wanda hatte das unbewohnte Anwesen in der Schilkseer Au ebenfalls aus der Nähe sehen wollen, es war ihr jedoch nicht eilig damit gewesen. Telse dagegen hatte es gar nicht abwarten können. Sie hatte keine Ahnung von der Existenz des verlassenen Gebäudes gehabt, obwohl sie schon ein paarmal daran vorbeigeradelt war. Büsche und Bäume hatten es hinter einer dichten grünen Mauer vor allen Blicken verborgen gehalten, und da es ein Stück von der Straße entfernt lag, war es ihr einfach nie aufgefallen. Nun war sie gespannt zu sehen, wie sich dort die Natur ihr Territorium zurückholte. Sie wusste vom Fotografieren anderer Gebäude, wie unglaublich schnell die Pflanzenwelt Mauern, Terrassen und Treppen überwuchert hatte. Diese Rückeroberung faszinierte sie, nicht nur weil sie die Vergänglichkeit aller Zivilisation anzeigte, sondern außerdem wunderbar romantische Bilder lieferte. Das leicht diesige Sonnenlicht des heutigen Spätnachmittags bot ideale Bedingungen dafür.

Zuerst waren die beiden Frauen an der schmalen Zufahrt vorbeigelaufen, die vom Seekamper Weg abzweigte und laut Karte zu dem Gutshaus führen sollte. Wilde Brombeerranken hatten sich über den Pfad geschoben, auf dem schon lange kein Fahrzeug mehr entlanggerollt war. Er verschwand nach ein paar Metern in einer Kurve mit dichtem Buschwerk.

Jetzt stapften Telse und Wanda auf dem Schotterweg durch Giersch und Brennnesseln, bis sie nach ungefähr hundert Metern vor einem zweiflügligen Eisentor standen, das beidseitig von mannshoch gemauerten Pfosten flankiert wurde. Rechts und links davon grenzte eine undurchdringliche Hecke das Grundstück ein. Wanda drückte auf die Klinke und ruckelte. Zu ihrer Erleichterung war das Tor nicht verschlossen, sondern ließ sich unter quietschendem Protest so weit öffnen, dass sie hindurchschlüpfen konnten. Der Pfad dahinter war mit Kopfsteinpflaster bedeckt, aus dem das Unkraut wucherte.

Nach einer weiteren scharfen Kurve begann eine Allee aus Lindenbäumen, dann erhob sich endlich das Anwesen vor den beiden Frauen.

»Unglaublich.« Telse blieb stehen und ließ den Anblick auf sich wirken. Hier hätte sie sofort einziehen wollen. Nicht wegen des Gutshauses an sich, das mit seinen norddeutschen Backsteinen einen eher unspektakulären Eindruck machte, sondern wegen des Gartens dahinter, dessen gewaltige Ausmaße sie nur erahnen konnte. Zu beiden Seiten des Gebäudes standen Dutzende Apfelbäume, unter denen sich ein rotgelbes Tulpenmeer aus dem hohen Gras kämpfte. Über die Doppeltür des Eingangsportals hatten sich grüne Efeuranken verwoben. Die Fenster waren verstaubt, schienen aber noch sämtlich heil zu sein.

»Nicht übel, der Kasten«, stimmte Wanda zu. »Allerdings nur etwas für romantische Seelen, die keinen Wert auf zivilisatorische Errungenschaften wie Dreifachverglasung legen.« Sie drehte sich um ihre eigene Achse. »Und die nicht den Wunsch hegen, in engeren Kontakt zu ihren Mitmenschen zu treten.«

»Besser geht’s nicht.« Telse hatte gar nicht richtig zugehört. Sie kramte in ihrer Fototasche, holte die Kamera heraus und begann, sie einzurichten. »Los, lass uns ums Haus herumgehen«, drängelte sie. »Ich will unbedingt das Gelände auf der Rückseite sehen.«

»Tja, ich fürchte, dafür brauchen wir eine Machete.« Wanda beäugte misstrauisch die Brennnesseln, die sich auf den Wegen rund um das Gebäude breitgemacht hatten. Dann folgte sie seufzend ihrer Freundin, die sich schon unerschrocken durch das Gestrüpp kämpfte.

Hinter der letzten Hausecke präsentierte sich der Garten in all seiner Pracht. Im Laufe der vergangenen Jahre hatte er sich wieder zu einem ungebändigten Dschungel entwickelt, der allen menschlichen Bemühungen nach Maß und Ordnung Hohn sprach. Wildkräuter und Buschwerk überwucherten ehemalige Beete, dazwischen hatten sich junge Erlen und zartgrüne Birkenschößlinge angesiedelt. Eine Umgrenzung konnte Wanda nirgends erkennen, der Garten schien nahtlos in das Naturschutzgebiet der dahinterliegenden Au überzugehen. Lediglich eine gewaltige, wahrscheinlich jahrhundertealte Eiche mit voluminösem Astwerk markierte die Stelle, wo sich der ehemals bewirtschaftete Gartenteil mit der Wildnis vereinigte.

Telses Wangen waren gerötet vor Aufregung, ihre Augen funkelten. Für sie war es eine verwunschene Welt, in der die Zeit zum Stillstand gekommen war. Hier fühlte sie sich in ihrem Element. Sie drückte immer wieder auf den Auslöser, fotografierte wie in Trance und kam schnell in den wunderbaren Flow, der sie komplett mit ihrer Arbeit verschmelzen ließ, in dem es nur das Hier und Jetzt gab.

»Wie lange brauchst du denn noch?«, drang unvermittelt eine Stimme an ihr Ohr. Wanda stand mit einem dicken Strauß Tulpen in der Hand da und ließ wie zufällig den Blick auf ihre Armbanduhr fallen. »Ich schlage vor, dass wir zurückfahren und eine Kleinigkeit auf der Terrasse zu uns nehmen, um uns von den Strapazen zu erholen. Was hältst du davon?«

»Strapazen?« Telse hob unwillig den Blick vom Sucher. »Meinst du das Blumenpflücken?«

Statt einer Antwort fragte Wanda: »Bist du nun bald fertig?«

»Hier draußen, ja. Aber ich würde das Haus gerne noch von innen sehen, falls wir irgendwie reinkommen.«

»Ist abgeschlossen, das habe ich schon ausprobiert. War ja auch zu erwarten«, entgegnete Wanda. »Schließlich will man als Eigentümer keine ungebetenen Gäste haben, die sich gemütlich einrichten.«

Telse erhob sich aus ihrer knienden Haltung im Gras und streckte ihren Rücken durch. »Vielleicht finden wir irgendwo doch noch einen Zugang, der nicht verriegelt ist. Was meinst du?«

Was Wanda meinte, war an ihrem Gesichtsausdruck abzulesen. »Dir ist hoffentlich klar, dass es sich um Hausfriedensbruch handelt, wenn wir uns unerlaubt Zutritt verschaffen. Kommt gar nicht infrage.«

»Wer redet denn von unerlaubt?«, sagte Telse mit unschuldiger Miene. »Wie du weißt, hat Morten es mir ausdrücklich gestattet, hier Bilder zu machen. Ich kann mich nicht erinnern, dass er das Haus davon ausgenommen hat.«

»Stell dich bitte nicht dumm. Außen und innen ist ein Unterschied, das weißt du so gut wie ich. Und ich habe keine Lust auf Ärger.« Wanda verschränkte die Arme und blieb stocksteif stehen.

»Da kenne ich dich aber anders.« Telse legte den Kopf schief und grinste. »Ach komm, wo wir schon mal hier sind … Vielleicht sieht es im Gutshaus schön unheimlich aus, mit langen Spinnweben in den Ecken und verstaubten Kerzenständern. Da drinnen gibt es mit Sicherheit fantastische Fotomotive.«

»Das ist kein transsilvanisches Schloss«, erwiderte Wanda, aber ihre Stimme klang schon weniger abweisend. »Hier gibt es weder schaurige Verliese noch unerlöste Geister, die durch die Flure spuken. Ich habe durch ein Fenster in das Wohnzimmer geguckt, da standen bloß ein paar Möbelstücke, die mit Tüchern abgedeckt waren.«

»Na also, das ist doch schon mal was.« Telse hängte sich ihre Fototasche über die Schulter und marschierte los.

Wanda zockelte notgedrungen hinterdrein, darauf bedacht, in der Schneise zu bleiben, die ihre Freundin durch den Wildwuchs trat. In Sachen Sturheit war ihr Telse fraglos ebenbürtig. Besser, sie stellte sich jetzt nicht quer. Sollte die Fotofanatikerin sich eben selbst überzeugen, dass es keinen Zutritt zum Haus gab. Umso schneller war die ganze Aktion vorbei.

Als sie den auf der Rückseite gelegenen Wintergarten erreicht hatten, stoppte Telse. Ihr Blick strich über das Schnitzwerk der Holzbalken und die farbigen Glasintarsien in den Fensterscheiben.

»Nur mal reingucken.« Sie setzte ihre Kameratasche im Gras ab und quetschte sich durch die Sträucher am Fuß des Anbaus. Dann stellte sie sich auf die Zehenspitzen und drückte ihre Nase an die Scheibe. »Scheint leer zu sein.«

»Sag ich ja. War’s das jetzt?«

Telse nahm den ungeduldigen Unterton durchaus wahr, beschloss aber, ihn zu ignorieren. »Moment noch. Es dauert nicht mehr lange, versprochen. Ich schlage vor, du setzt dich einfach irgendwohin und wartest, während ich schnell eine Runde um das Gemäuer drehe. Vier Augen sehen mehr als zwei.«

»Viel Spaß. Verlauf dich nicht«, sagte Wanda schicksalsergeben und nahm Kurs auf die bemooste Steintreppe, die neben dem Wintergarten zu einer Hintertür im Hochparterre führte. Dort angekommen wischte sie mit der Hand eine Schicht brauner Blätter zur Seite, dann zog sie ein Stofftaschentuch aus ihrer Jackentasche, faltete es auseinander, platzierte es auf einer Stufe und ließ sich vorsichtig darauf nieder.

Es dauerte keine fünf Minuten, bis Telse wieder auf der Bildfläche erschien. »Die Bude ist tatsächlich verrammelt und verriegelt wie Fort Knox.« Sie seufzte. »Jammerschade.«

»Na denn, lass uns die Pferde satteln.« Wanda sprang auf und klopfte sich den Hosenboden ab. »Bevor ich mir noch den Mors abfriere.«

»Hm.« Telses Blick war an der grün gestrichenen Holztür hängen geblieben, die am oberen Treppenende ins Haus führte. »Da habe ich es noch nicht probiert.« Vorsichtig stieg sie die glitschigen Steinstufen hinauf und drückte auf die Messingklinke. Nichts passierte. Sie drückte nochmals, zog etwas heftiger und rüttelte, aber die Tür gab nicht nach. »Dann soll es wohl nicht sein.«

Telse wandte sich um und wollte die Treppe gerade wieder hinabsteigen, als sie mit dem Fuß gegen ein Hindernis stieß. Sie blickte nach unten auf die dicke Schicht aus vermodertem Laub, das den Treppenabsatz bedeckte. Vor der Türschwelle hatte sich ein kleiner Wall aus Blättern aufgeschoben, aus dem jetzt etwas Längliches herausragte. Mit dem Schuh schob sie das Laub zur Seite und starrte auf einen schmalen Holzkeil, der in dem Spalt zwischen Türblatt und Schwelle klemmte.

»Oha!«, entfuhr es ihr.

Wanda merkte auf. »Was ist los? Hast du was entdeckt?«

»Vielleicht …«

Wenige Sekunden später stand Wanda ebenfalls auf dem Treppenabsatz, während Telse bereits versuchte, den Keil zu lösen. Ohne Erfolg.

»Das Ding steckt fest, als ob es einbetoniert wäre.« Telse richtete sich leise stöhnend auf und strich sich mit der Hand über die Stirn. »Verdammt, ich will da rein!« Sie ging erneut in die Knie und zog rüttelnd an dem Keil.

Wanda sah einen Moment lang zu, dann tippte sie der Freundin auf die Schulter und drängte sie sachte zur Seite. »Lass mich mal machen.« Sie stützte sich an der Hauswand ab, holte mit dem rechten Bein Schwung und trat mit ihrer Stiefelspitze kraftvoll gegen das Holzteil. Und tatsächlich: Es bewegte sich ein Stückchen zur Seite. Wanda trat erneut zu, und der Keil flutschte aus dem Spalt. Sie lächelte selbstzufrieden. »Gern geschehen.«

Telses Augen weiteten sich. Sie starrte erst auf den Türstopper, dann auf Wandas Stiefel. »Wusste gar nicht, dass du Stahlkappen da drin hast.«

Wanda grinste. »Italienische Wertarbeit. Hoffentlich kriegt der Schuhmacher meines Vertrauens das Leder wieder hin.« Mit einer galanten Handbewegung wies sie zu der grünen Pforte. »Nach Ihnen, Madame.«

»Jetzt bin ich aber gespannt.« Mit angehaltenem Atem drückte Telse die Klinke und zog. Ein leichtes Ruckeln genügte, dann kam ihr die Tür mit schleifendem Geräusch entgegen.

Schon beim Schritt über die Schwelle schlug ihnen der muffige Geruch jahrelang abgestandener Luft entgegen. Wanda hustete. Sie standen in einem lang gestreckten Flur, von dem mehrere Türen abgingen. Die Dielenbretter knarzten, als sie sich mit langsamen Schritten vorwärtsbewegten. Telse öffnete nacheinander die Türen auf der rechten Seite und spähte hinein, Wanda die auf der linken.

Wenn Telse erwartet hatte, dschungelartige Zustände in den Räumen vorzufinden – grüne Rankengewächse, die sich durch Fensterritzen schoben, und Baumschößlinge, die den Parkettboden durchbrachen –, so wurde sie enttäuscht. Die meisten Zimmer waren komplett leer geräumt und enthielten nichts außer toten Fliegen auf dem Boden. In der Küche gab es weder einen pittoresken Holzfeuerherd, noch hingen blau glasierte Kacheln an den Wänden, stattdessen nahmen mäßig moderne Einbauschränke im Landhausstil die Wandflächen ein. Lediglich im ehemaligen Wohnzimmer am Ende des Flurs fanden sich einige mit Laken verhüllte Möbelstücke, die auf ihr weiteres Schicksal warteten. Bei dem größten Objekt handelte es sich um ein schweres Eichenbüfett, wie an den Löwenfüßen zu erkennen war, die unter dem weißen Stoff hervorlugten. Ansonsten gab es noch eine ausladende Anrichte sowie einen riesigen Esstisch.

»Puh, alles nicht ganz mein Stil.« Telse sah sich enttäuscht um. Hier drinnen war rein gar nichts spannend oder geheimnisvoll, es gab noch nicht einmal malerische Spinnwebenvorhänge. Was, wenn sie ehrlich war, nach nur drei Jahren Leerstand auch nicht anders zu erwarten gewesen war. Schließlich besaß das Gebäude noch intakte Fensterscheiben und war, im Gegensatz zu dem verwunschenen Garten, nicht den Launen der Natur ausgesetzt gewesen.

»Den Kram hier ist Holthusen wohl nicht losgeworden«, mutmaßte Wanda. »Kein Wunder, wer will sich schon so ein Monstrum in die Wohnung stellen.« Sie deutete auf das massive Büfett.

»Lass uns noch kurz nach oben gehen«, bat Telse. »Vielleicht gibt es wenigstens dort ein interessantes Fotomotiv. Danach können wir uns gerne verabschieden.«

Wanda zuckte mit den Schultern. »Wenn du meinst. Da wird es garantiert genauso aufgeräumt aussehen wie hier, mach dir nur keine Hoffnungen.«

»Jaja.«

»Was so viel heißt wie ›Klei mi an de Fööt‹«, murmelte Wanda, aber so leise, dass die Freundin es nicht hören konnte.

Eine geschwungene, weiß gestrichene Holztreppe mit ausgetretenen Stufen und grünem Handlauf führte ins Obergeschoss. Auf dem kleinen Flur gab es vier Türen, die Telse nacheinander öffnete. Hinter der ersten befand sich ein Badezimmer mit moosgrünen Kacheln, es folgte ein Zimmer ohne jegliche Einrichtungsgegenstände. Die nächste Tür führte in das ehemalige Elternschlafzimmer. In der Mitte des Raums thronte der leere Rahmen eines Doppelbetts aus verschnörkelten Metallstreben. Ein Einbaukleiderschrank, dessen Türen sperrangelweit offen standen und der bis auf eine Sammlung Kleiderbügel leer war, nahm eine ganze Wandfläche ein.

»Tja, das sind die Überbleibsel eines Ehelebens«, bemerkte Wanda. »Irgendwie traurig.«

Telse antwortete nicht und stieß die letzte Tür auf. Der dahinterliegende Raum ließ sie neugierig eintreten, Wanda schlüpfte hinterdrein. Die Wände waren sonnengelb gestrichen und wurden von einem bunten Strauß aufgemalter Luftballons geschmückt, die Richtung Zimmerdecke schwebten. Hier schien die Zeit eingefroren zu sein. Auf den ersten Blick war die Einrichtung nahezu komplett erhalten. Neben einem Kinderbett in der Ecke gab es einen Nachttisch mit Leselampe, den Boden bedeckte ein staubiger Spielteppich mit aufgedrucktem Straßennetz. Vor dem Fenster stand ein höhenverstellbarer Kinderschreibtisch samt Drehstuhl, in der Ecke ein Kleiderschrank, der mit Aufklebern von Fußballspielern und Comicfiguren verziert war.