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Nach der Aufdeckung der Intrige in Eisenheim wird die Inquisitorin Klara Gemmingen nach Ostheim entsendet. Das Kurfürstentum wird von einer Seuche geplagt, die stark an die Vorfälle in Eisenheim erinnert. Ebenso hat das Dekret über die Gleichstellung von Zwerg und Mensch ein politisches Schisma hervorgerufen. Kirchenkritik wird geäußert und die gespaltene Bevölkerung setzt die Politik unter Druck. Klara Gemmingen versucht all dies aufzuklären, herauszufinden, wie dies im Zusammenhang steht und muss dabei auch gegen ihre eigenen Dämonen ankämpfen. Ostheim ist das zweite Buch, das in der Dark Fantasy Welt Agahma spielt. Eine Geschichte voll dunkler Geheimnisse, politischer Unruhen und schwarzer Magie.
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Seitenzahl: 653
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Der Ebenseer Autor Rudolf A. Feichtinger lebt seit zehn Jahren in Salzburg, hat hier Pädagogik studiert und ist als Sozialarbeiter tätig. Der gebürtige Oberösterreicher ist begeisterter Tabletop- und Rollenspieler sowie Schwertkämpfer. Schon seit seinem siebten Lebensjahr, als er mit Star Wars in Berührung kam, war er fasziniert von dem Fantastischen. Mit den Dark Fantasy Roman „Eisenheim“ begann das Veröffentlichen der „Agahma“ Reihe, welche sechs Bücher umfassen wird. „Ostheim“ ist der zweite Band dieser Reihe, in welcher er versucht aktuelle gesellschaftliche Themen wie Religion und Rassismus zu verarbeiten. Die Inspiration hierfür stammt vor allem von H.P. Lovecrafts und Robert E. Howards Werken, sowie von dem Tabletop Spiel Warhammer und der Epoche des dreißigjährigen Krieges.
Ich möchte allen voran meiner Partnerin Rafalea Fürlinger
danken, welche erneut das Lektorat und Korrektorat
übernommen hat und ohne die, meine Werke niemals
veröffentlicht werden könnten.
Ein ebenso großes Dankeschön an meine beiden
TestleserInnen Anna Eder und Raffael Wellmann, welche mir
Feedback zum ersten Entwurf gegeben haben und mir mit
Kritik und guten Tipps zur Seite standen
Dem Verein INDES, historische europäische Kampfkunst, gilt
ebenso ein großer Dank, da sie mir schon seit etlichen
Jahren nun die Kunst des Schwertkampfes beibringen.
Zu guter Letzt möchte ich wieder meiner Familie danken,
ohne die all dies niemals möglich gewesen wäre.
„Der Nichtmensch ist tückisch. Er lauert im Schatten, will
Agahma für sich und dafür den Menschen vernichten. Doch
wir Menschen sind die Kinder Sanaras, die Kinder der Drei.
Die Götter haben uns von dem ursprünglichen Bösen
befreit, auf dass wir Agahma in ihrem Namen von Ketzern,
Hexern und Nichtmenschen säubern und es uns untertan
machen. So will es das göttliche Recht und so lautet unser
Anspruch als Menschen.“
Auszug aus dem Buche Sanaras aus den heiligen Schriften
der Drei, datiert auf etwa 2.000 vor der Gründung,
Verfasser unbekannt
„Die Kirche fordert Steuern, die Kurfürstentümer müssen
bezahlen. Die Inquisition tötet ohne zur Rechenschaft
gezogen zu werden. Die unrechtmäßige Herrschaft der
Kirche muss enden! Das Kaiserreich dient Sanara, die Kirche
jedoch nicht. Die Richter sollen entscheiden, wer sterben
soll und wer nicht, denn selbst Sanara fordert einen fairen
Prozess, doch die Inquisitoren töten willkürlich. Wozu soll
ich der Kirche Geld geben? Die oberste Matriarchin ist nicht
meine rechtmäßige Herrscherin, die Kaiserin ist es.“
Auszug aus dem Pamphlet „Die Reformation naht!“, datiert
auf etwa 997 nach der Gründung,
Verfasser unbekannt
Prolog: Im Jahre 997 nach der Gruendung
Dramatis Personae
Akt 1
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Akt 2
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Akt 3
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Akt 4
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Akt 5
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Epilog
Staub wirbelte auf, tanzte im Schein des Lichtes der Laternen, als sie mit vereinten Kräften die massive Steinplatte entfernten. Mit einem ohrenbetäubenden Poltern, es glich beinahe einem Donnergrollen, fiel die enorme Tafel zu Boden. Sie alle mussten ob des Staubes husten, der einer unheilvollen Wolke gleich ihre Sicht vernebelte. Ein Windhauch war zu spüren, als die alte Luft entwich und sich mit der frischen vermengte, Luft, die womöglich seit hunderten von Jahren hinter der Abdeckung eingesperrt gewesen war. Als sich der Staub etwas gelegt hatte, wurde ein Gang dahinter sichtbar, ein Gang, der einem Schlund glich und in Dunkelheit endete.
„Holt die Lampen!“, ertönte der Befehl und nach wenigen Augenblicken tünchte der Schein der Öllaternen den soeben freigelegten Korridor in schauriges Zwielicht.
Reliefs zierten die Wände, die tiefer in die Ruine führten und überall zeigten sie, wie Menschen längst vergangener Zivilisationen seltsamen Wesen huldigten und mit unbekannten Gerätschaften hantierten. Schriftzeichen waren zu sehen, die bisher niemand wirklich entziffern hatte können, wenngleich es etliche Theorien und Versuche gegeben hatte, die bisher jedoch immer zum Scheitern verurteilt gewesen waren.
„Glaubt Ihr, der führt in eine weitere Kammer?“, fragte Anita, eine seiner Assistentinnen, hoffnungsvoll.
Kurz noch musterte Berthold den freigelegten Bereich, betrachtete die Szenen der Reliefs, die zeigten wie eine Gruppe Menschen vor einem fremdartigen, blasphemisch anmutenden Wesen niederkniete, ehe er ihr antwortete: „Vermutlich.“
Ruinen wie diese waren überall in den Mittellanden verstreut, teilweise tief verborgen in den Eingeweiden der Erde. Erst in den letzten zweihundert Jahren waren immer wieder weitere entdeckt worden. Der Fortschritt der Wissenschaft und der Dampftechnologie, sowie die Nutzung von Schwarzpulver hatte es ermöglicht, sie freizulegen, wenngleich auf diesem Weg wohl auch immer wieder Schaden an den Stätten selbst angerichtet worden war.
Berthold arbeitete nun schon seit fast drei Monaten an dieser Ausgrabung in den Grenzbergen, westlich von Felsburg, und endlich konnten sie tiefer in diese Ruine vordringen. Nach unzähligen Berechnungen und Tests hatten sie diesen Gang hier hinter einer dicken Steinplatte lokalisieren können. Anita war dies gelungen. Sie war eine vielversprechende Assistentin und er war froh, dass sie sich bei ihm eingeschrieben hatte.
Kurz musste er an die Zeit an der Universität denken. Es war nun schon sechs Monate her, als er zum letzten Mal in Kaisershafen vor dem Auditorium der naturwissenschaftlichen Fakultät gestanden und den Studierenden von seiner letzten Forschungsreise nach Eisenheim erzählt hatte. Die zwergischen Ruinen unter der Hauptstadt des nördlichsten Kurfürstentums waren damals sein Ziel gewesen. Beinahe vier Jahre war er dort zugegen gewesen und hatte die Kultur und Geheimnisse des kleinen Volkes studiert, wenngleich es ihm die Minenarbeiten der Bergbaugilde nicht gerade leicht gemacht hatten.
Einen Augenblick lang schwelgte er noch in der Erinnerung, auch an jenen Tag, an dem Anita in sein Arbeitszimmer gekommen und sich um die Stelle seiner Assistentin beworben hatte. Ihre Noten waren ausgezeichnet gewesen und sie war aus gutem Hause, weswegen ihm die Entscheidung leicht gefallen war. Er musterte sie noch für einen Augenblick, ehe er sich wieder dem Gang vor ihm widmete.
Vor etwa vier Jahren war diese Ruine als vollständig erforscht tituliert worden, doch Berthold hatte vermutet, dass noch etwas in ihr verborgen liegen musste. Ein alter Text, den er übersetzen hatte können, hatte darauf hingedeutet, dass in dieser Ruine noch mindestens eine weitere Kammer lag, eine Kammer, in der eine Art Schatz verborgen sein sollte. Es hatte viel Geschick sowie eines wohltätigen Spenders, nämlich Anitas Vater, welcher sich mit Sklavenhandel eine goldene Nase verdient hatte, bedurft, um die Universität zu überzeugen, doch letztlich war ihm die Forschungsreise bewilligt worden.
„Was sollen wir nun tun, mein Herr?“, sprach einer der Arbeiter.
Sorgfältig musterte Berthold die Symbole und Zeichen an den Wänden. Er sah eine neue Szene, eine Gruppe von Menschen, die Zwerge und Orks jagte. Es ließ ihn unwillkürlich grinsen, die Zeiten hatten sich diesbezüglich nie geändert.
„Holt mehr Leute und vor allem mehr Lampen, wir werden uns das genauer ansehen.“
„Wie Ihr wünscht, mein Herr.“
„Wie alt, glaubt Ihr, sind diese Bauwerke wirklich?“, fragte Anita andächtig.
Kurz musste er überlegen, denn die Architektur war einzigartig, der Stil einer längst vergangenen Epoche, mit keinem der heutigen Bauwerke vergleichbar.
„Laut etlichen Experten mindestens viertausend Jahre.“
„Und was denkt Ihr?“
Er musterte seine Assistentin bevor er antwortete: „Ich glaube, dass diese Ruinen durchaus älter sein könnten. Ich glaube, dass sie aus der Zeit vor den Drei stammen.“
Anita machte sofort nervös das Zeichen des Schwertes vor ihrer Brust.
„Dann glaubt Ihr, dass jene Wesen hier“, sie deutete auf eine der Zeichnungen, „jene Wesen das ursprüngliche Böse sind?“
Berthold studierte die Skizzen, die an den Wänden verewigt worden waren. Seltsame Geschöpfe, die die Menschen um das doppelte überragten, saßen auf Thronen und wurden wie Götter verehrt. Die Körper dieser Gotteswesen waren kugelrund und wiesen einen dreieckigen Kopf auf, sowie drei tentakelartige Arme und Beine, die vom Körper abzugehen schienen.
„Nun Anita, es wäre denkbar“, sprach er schließlich, da er keine Ahnung hatte, was diese Wesen denn sonst darstellen sollten.
In den heiligen Schriften der Drei wurde davon berichtet, wie Sanara und ihre Geschwister die Menschheit vor der Knechtschaft des ursprünglichen Bösen befreit hatten. Jedoch war nie beschrieben worden, was diese alte Bedrohung denn genau sei.
Er erinnerte sich, wie er als junger Bursche einmal eine Priesterin gefragt hatte. Sie hatte ihm gesagt, das ursprüngliche Böse würde in den Albträumen lauern und in einem Moment der Schwäche versuchen, einen zu infizieren und zu verführen. Es lauere in der Traumwelt und wolle die Menschheit erneut versklaven.
Berthold war, wie jeder Mensch im Kaiserreich, streng gläubig, jedoch, das musste er eingestehen, hegte er immer einen gewissen Zweifel was dieses ursprüngliche Böse anging. Als kleines Kind hatte er sich Teufel und Dämonen sowie alle möglichen Monstren vorgestellt, mit dem Älterwerden verstand er es immer mehr als Metapher. Doch seit seinem Studium und seiner Tätigkeit als Archäologe, hatte er das Gefühl, sein jüngeres Ich wäre näher an der Wahrheit gewesen. In allen bisher bekannten Kulturen war von diesem ursprünglichen Bösen die Rede und immer mehr glaubte er nun, dass es dieses womöglich tatsächlich gab, dass es in der Traumwelt lauerte und die Menschheit aus dem Schatten beobachtete.
Von seinem eigenen Gedanken geängstigt merkte er, wie er eine Gänsehaut bekam und gab dem Drang nach, dreimal das Zeichen des Schwertes vor seiner Brust zu machen. Kommentarlos tat Anita es ihm gleich.
Es dauerte einige Minuten, ehe die Arbeiter zurückkamen und sie tiefer in den Gang vordringen konnten, etliche Meter geradeaus, hinunter in die Eingeweide der Erde, ehe dieser in einer riesigen Kammer endete.
Säulen stützten die Decke, er zählte zwei Reihen aus je fünf und in jeder Ecke des Raumes standen große Statuen, welche vier Meter großen menschlichen Kriegern nachempfunden waren. Mit sichelförmig geschwungenen Schwertern und primitiven Rüstungen waren sie ausgestattet und sollten vermutlich als Wächter dienen. Einer der Throne, die sie bereits auf den Skizzen gesehen hatten, stand in der Mitte der Kammer. Er war zu groß für einen Menschen und etwas an dem Stil des Thrones sagte Berthold auch, dass er nicht für die menschliche Anatomie ausgelegt worden war.
Kurz noch wollte er seinen Blick weiter durch den Raum schweifen lassen, ehe jedoch etwas auf dem Thron seine ganze Aufmerksamkeit auf sich zog. Ein violetter Edelstein, leicht glühend und pulsierend, lag auf der Sitzfläche. Ein verborgener Schatz, einer jener, der gefährlich war. Berthold musste innehalten. Er wusste, dass ähnliche Steine bereits in anderen Ruinen gefunden worden waren und er wusste auch, dass die Kirche diese stets beschlagnahmt und den Handel damit verboten hatte.
„Mein Herr...“, sprach Anita und in ihrer Stimme konnte er Furcht wahrnehmen.
„Ja, wir müssen es melden. Doch bis dahin sollten wir uns umsehen.“
Anita nickte zaghaft, widersprach ihm aber nicht. Vorsichtig schritten sie durch die Kammer, der Schein der Lampen erhellte die Wände und Reliefs.
Eine Kraft sollte von diesen Edelsteinen ausgehen und sie sollen Konstrukte angetrieben haben, zumindest so die weitläufigsten Theorien, wenngleich die Inquisition die Forschung an diesen Steinen schwer ahndete und die Ergebnisse streng unter Verschluss hielt.
Er ging vorsichtig tiefer in den Raum, löste seinen Blick von dem Kristall und als er sich den Thron näherte, kam er sich plötzlich beobachtet vor. Unverzüglich wandte er sich um und er glaubte, eine schemenhafte Bewegung im Augenwinkel gesehen zu haben. Er hielt inne, schloss seine Lider und atmetet kurz ein und aus, ehe er sich wieder gesammelt hatte.
Links neben dem Thron war eine komplexe Szene an der Wand abgebildet und Berthold trat näher um den Versuch zu wagen, diese zu deuten.
Er sah, wie die Menschen vor den Götterwesen knieten und ihnen Schätze darboten. Ebenso konnte er erkennen, wie die Menschen Gebäude für die Wesen anlegten und in der Erde nach Rohstoffen schürften. Zwerge und Orks wurden gezeigt, die sich gegen die Menschen erhoben, doch gaben die Götterwesen den Menschen offenbar Waffen um sich zur Wehr zu setzen.
„Was bedeutet das?“, fragte Anita, die hinter Berthold kniete und ebenso das Bild studierte.
„Nun, es bedeutet mit großer Wahrscheinlichkeit, dass die Menschen diesen Wesen gedient haben und ihnen die Schätze Agahmas liefern mussten.“
Anita deutete auf eine Stelle, wo eine Art Tor dargestellt war: „Und? Was hat es damit auf sich?“
Menschen wurden gezeigt, die Geschenke zu diesem Tor brachten und anschließend wurden diese von den Götterwesen mitgenommen.
„Ich glaube“, begann Berthold, „dass hier dargestellt wird, dass diese Edelsteine solche Tore öffnen konnten und die Götterwesen offenbar immer wieder kamen, Geschenke abholten und verschwanden, nur um später wiederzukommen.“
„Tore?“
„Ja, es scheint als wären diese Wesen nicht von unserer Welt. Diese Ruinen hier scheinen Torhäuser zu sein und in jeder solchen konnte so ein Portal geöffnet werden“, fuhr Berthold fort und musterte die Zeichnungen genauer als plötzlich ein Schrei ertönte.
„Was bei Sanara?“, entfuhr es ihm, Anita hingegen machte augenblicklich dreimal das Zeichen des Schwertes vor ihrer Brust.
Im nächsten Moment erklang ein weiterer panischer Schrei, der Schrei eines sterbenden Menschen, ehe eine Lampe zu Boden fiel und das Licht darin aufgrund des ausgekippten Öls noch heller aufloderte.
„Sanara schütze uns...“, Anita begann ein Gebet zu murmeln.
Berthold blickte in das schaurige Zwielicht, der Rest der Arbeiter hatte sich um ihn versammelt. Ein Schemen, ein Schattenwesen, eine schnelle Bewegung im Augenwinkel, die selbe, die er zuvor schon wahrgenommen hatte, ehe ein weiterer seiner Helfer zu Boden ging.
„Zeige dich, im Namen der Drei.“
„Hahahaha“, erklang ein Lachen, das gespenstisch gewöhnlich klang, „Eure Götter haben keine Macht über mich.“
Plötzlich, wie aus dem Nichts, erschien ein blasser Mann vor ihnen, gehüllt in die edle Kleidung eines Adeligen und mit den funkelnden Augen eines Raubtieres.
„Wer, wer seid Ihr?“, sprach Berthold geängstigt, denn diese Augen, sie wirkten wie die Augen eines Toten und dennoch so voller Mordlust, Hinterlist und Bosheit, dass er glaubte, er würde einer dämonischen Inkarnation des Todes gegenüberstehen.
„Victor Makarovich“, sprach der Mann mit thyramischen Akzent und gab Berthold eine Ohrfeige, in der so viel Kraft steckte, dass er mehrere Meter durch den Raum geworfen wurde.
Schmerzen dominierten seine Wahrnehmung und aus den Augenwinkel konnte er noch erkennen, wie dieser Mann den Edelstein vom Thron nahm und die Decke der Ruine allmählich begann einzustürzen.
Sanara: oberste Göttin des Kaiserreichs, Göttin der Sonne, des Schutzes, des Krieges und des Gesetzes
Darla: Zwillingsschwester von Sanara, Göttin der Liebe, des Friedens, der Fruchtbarkeit, der Heilung und der Künste
Berol: Bruder von Sanara und Darla, Gott der Toten, des Wissens, der Erde und des Schutzes
Basarian: Gott des monotheistischen Glaubens der Vujarsken und Thyramer, Gott der Magie, des Wissens, des Schutzes und des Gesetzes
Ranuul: Gott der Zwerge, Gott des Handwerks, der Stärke, der Erde und des Feuers
Klara Gemmingen: Inquisitorin und Hexenjägerin
Hans von Sonnenstein: Darlapriester
Richard Helmut von Streng: Niederadeliger
Greta Magdalena von Streng: Niederadelige
Neslihan Demircan: südländische Astronomin und Magierin
Jörg Berger: Seuchendoktor
Berthold Schürmann: Doktor der Altertumswissenschaften Michaela Juliane von Ostheim, die Siebte: Kurfürstin von Ostheim
Rainhard Ludwig von Felsburg, der Vierte: Bürgermeister von Felsburg
Helmut von Menningen: Ratsmitglied im Rat von Felsburg
Hannelore Valeria von Wolfsburg, die Erste: Ordensmeisterin von Wolfsburg
Leonhart Rapp: Ritterkommandant von Wolfsburg
Johanna Klampf: Ritterkommandantin von Wolfsburg
Helena von Tharingen: Novizin der Kriegsschwestern Sanaras
Rafael Andrea von Pellegrini, der Achte: Graf von Pellegrini
Marco Fontano: General von Pellegrini
Agnes von Sonnenstein: Bischöfin in Felsburg
General Hermann Jobst: General und oberster Heerführer von Ostheim
Thorsten Friedrich von Ostheim, der Siebte: Ordensmeister von Ostheim
Sigismund Berner: Großmeister der Inquisition in Kaisershafen
Ludwig Schenk: Inquisitor und Hexenjäger, ehemaliger Meister von Klara Gemmingen
Oberste Matriarchin Elisabeth, die Neunte: derzeit amtierende Oberste Matriarchin und Staatsoberhaupt von Magreth
Kaiserin Barbara Dorothea Veronika Isolde, die Vierte, von Kaisershafen: derzeit amtierende Kaiserin
Tristan: Falke von Leonhart
Victor Makarovich: thyramischer Adeliger
Oberste Matriarchin Helga, die Erste: verstorbene oberste Matriarchin
Oberste Matriarchin Helena, die Zweite: verstorbene Oberste Matriarchin
Ulrich Conrad Rosenbaum, der Erste: erster Kaiser des
Kaiserreiches
Franz Alexander: Antiker Heerführer und König
Graf Gabrijel Ljudevit Pilipovic: der Wahnsinnige Graf von Thyram
Karte des Kurfürstentums Ostheim und der Stadtstaaten von
Piscani, eingezeichnet sind nur Städte mit einer
Einwohnerzahl von 5.000 oder mehr.
Karte der Mittellande von Agahma, eingefärbt nach
Nationalität.
Hoch am Himmel stand die Sonne, Sanaras heilige Scheibe, während das Luftschiff auf den thermischen Strömungen zum Anlegeplatz glitt. Finken begleiteten das hölzerne Ungetüm. Das Surren der Propeller, die den Kurs korrigierten, vermengte sich mit dem aufgeregten Zwitschern der Vögel. Sowohl das Holz als auch die Taue, streng und fest gebunden, knarrten als eine Böe über das Deck wehte.
Klara lag auf dem Bett in ihrem Zimmer, das Fenster stand offen und der blaue Winterhimmel leuchtete über ihr. Sorgfältig band sie sich ihre langen, kupferfarbenen Haare zu einem Zopf, strich sich ein letztes Mal Hemd und Hose glatt, ehe sie sich ihr Rüstlederdoublet überzog.
Beinahe zwei Wochen, der Wind war nicht auf ihrer Seite gewesen, sie hatten sogar aufgrund eines Sturmes zwei Tage in Silberstrom verweilen müssen, hatten sie von Eisenheim nach Kaisershafen gebraucht.
Fest verschnürte sie ihr dunkles Doublet, ehe sie ihren unverwechselbaren, bodenlangen Hexenjägermantel überstreifte und sich den ebenso markanten, breitkrempigen Hut aufsetzte.
Für einen Moment dachte sie noch an die Vorkommnisse in Eisenheim zurück. Sie hatte auf der Reise viel über ihren letzten Auftrag nachgedacht und vor allem über das, was ihr Ludwig gesagt hatte. Fünf Jahre hatte er sie ausgebildet, hatte sie, nachdem sie die Schule in Magreth mit Bravour absolviert hatte, unter seine Fittiche genommen. Der Außendienst war hart, das hatte Klara noch lernen müssen, doch sie hatte sich damit abgefunden. In den letzten zehn Tagen hatte Ludwig sie genau im Auge behalten, doch es gab nichts Auffälliges mehr. Diese womögliche Verderbnis, die sie sich kurzzeitig zugezogen hatte, schien verflogen, und nun waren sie in Kaisershafen angekommen.
Klara atmete tief durch, nahm sich ihren Waffengurt mit den beiden Bündelpistolen, dem Anderthalbhänder und dem Dolch, band ihn sich um und versuchte, die Nervosität vor dem was nun kommen würde zu unterdrücken. Ludwig hatte ihr gesagt, sollte sie die Verderbnis besiegt haben, und das hatte sie definitiv, war sie soweit. In Kaisershafen würde er sie verlassen, Ostheim wäre ihr Auftrag. Ihrer alleine.
Alleine würde sie fortan durch die Welt ziehen und im Namen der Kirche und der Drei das Böse bekämpfen. Alleine.
Unsicherheit machten sich in ihr breit. Sie war noch nie alleine gewesen. Seit sie sich zurückerinnern konnte, hatte sie immer irgendjemanden an ihrer Seite gehabt, in der Schule ihre Mitschüler, in den letzten fünf Jahren Ludwig.
Mit zittrigen Händen holte sie ihren Tabakbeutel hervor, rollte sich eine Zigarette und entzündete diese mit einem Streichholz. Viele Inquisitoren rauchten, der Tabak beruhigte die Nerven und ihre lagen derzeit blank. Mit jedem Zug blies sie den blauen Dunst in das Zimmer. Der Rauch flüchtete sogleich durch das offene Fenster, doch atmete sie auch etwas von der Aufregung mit ihm hinaus.
Vorsichtig folgte ihr Blick den Schwaden, sie spähte hinaus über die schneebedeckten Dächer Kaisershafens. Die Hauptstadt des Kaiserreichs und des Kurfürstentums Grüntal galt zugleich als größte Stadt Agahmas, beinahe zwei Millionen Menschen lebten hier. Rauch von unzähligen Schornsteinen verdunkelte stellenweise den Himmel. Hunderte von Türmen ragten empor und direkt vor ihr lag der große Luftschiffhafen, der im Hafenviertel, angrenzend an den Smaragdsee, erbaut worden war. Etliche Türme, die teilweise bis zu vierzig Meter in der Höhe maßen und mit dutzenden Laufstegen verbunden waren, bildeten den Anlegeplatz. Wolken zogen vom Westen her auf, verdunkelten das fruchtbare, von einer weißen Schneedecke eingehüllte Grüntal und schoben sich langsam vor die Sonne.
Sie atmete tief ein, zwang sich, trotz verkrampfter Hände zu diesem Anblick. Das Glitzern des Schnees auf den Dächern, das Wuseln der Menschen unter ihr und das Surren der Luftschiffe, welche am Hafen andockten oder ablegten.
Das Leben als Dienerin der heiligen Inquisition Sanaras war hart, das wusste sie nur zu gut, doch jene Momente wie dieser hier erinnerten sie daran, worin ihre Aufgabe bestand, warum sie sich dies alles antat und sich immer wieder dem Bösen stellte. Die einfachen Bürger und Bürgerinnen des Kaiserreiches, die gläubigen Kinder Sanaras, sie hatten keine Ahnung was in den Schatten dieser Welt lauerte. Dunkle Wesenheiten, Hexer, Untote, Monster und vieles mehr trachteten danach, alles zu zerstören. Als Inquisitorin war es ihre Aufgabe, dies zu verhindern, auf die Jagd zu gehen und auch das Wissen um die Existenz dieser Wesen einzudämmen. Die Mehrheit war nicht in der Lage, dies zu verstehen. Würden sie die Wahrheit erfahren, würden sie höchstwahrscheinlich wahnsinnig werden oder schlimmer noch, sich womöglich blasphemischen Ritualen und Wissen hingeben, in der Hoffnung, ihr Leben so verbessern zu können.
Als Inquisitorin jagte sie diese Wesenheiten, aber ebenso oft genug arme verlorene Seelen, die der Dunkelheit anheimgefallen waren. Sie tat was sie tun musste und leider bedeutete dies nur zu oft, Menschen weh zu tun, Menschen, die sie eigentlich schützen sollte. Doch es war besser so. Besser für alle. Wenn sie ein ganzes Dorf vernichten mussten um ein Land zu schützen, dann starben unweigerlich auch Menschen, die den Tod nicht verdient hatten, die aber geopfert werden mussten um das große Ganze zu schützen.
Eine kleine Träne rollte ihre Wange hinab als sie daran dachte, wie sie vor etlichen Jahren ein kleines Mädchen hatte foltern und auf den Scheiterhaufen bringen müssen, um es zu läutern. Damals hatte sie noch nicht gewusst, welche Opfer sie noch würde bringen müssen um eine Inquisitorin zu sein. Sie hatte ihr Mitgefühl und ihre Güte opfern müssen, durfte seitdem nur noch Hass für das Böse empfinden und kein Mitleid mit den einfachen Leuten haben, nur so konnte sie dem Guten dienen. Als Inquisitorin musste sie sich selbst verdammen um andere vor der Verdammnis zu schützen.
Es war beinahe schon ironisch, doch sie verstand mit jedem Tag mehr, warum sie dies tun mussten und seit den Vorkommnissen in Eisenheim überkamen sie auch keine Zweifel mehr. Kurz noch musste sie den Drang unterdrücken, sich selbst zu schneiden, einen Drang, der sie immer überkam wenn sie an etwas dachte, das ihr... unangenehm war, ehe sie ihre Gedanken wieder sortierte und sich weiter zwang, den Ausblick zu genießen.
Klara rauchte ihre Zigarette fertig, nahm einen letzten Zug und schnipste sie aus dem Fenster hinab in die Straßen der Hauptstadt. Sie blickte dem Stummel kurz nach, ihr Magen rebellierte dabei, ehe sie ihr Zimmer verließ. Als Diener der heiligen Inquisition hatten Ludwig und Klara eigene Zimmer im Achterkastell bekommen und sich nicht mit den einfachen Bürgern und Bürgerinnen im Unterdeck in einem gemeinsamen Schlafraum abgeben müssen. Einer der Vorteile ihres Lebens und mitunter einer, den sie am meisten genoss.
Mit, dank ihrer Stiefel, schweren Schritten, marschierte sie den Gang hinab, bis sie auf das Oberdeck kam. Geschäftiges Treiben beherrschte dieses als die Matrosen das Schiff bereitmachten zum Anlegen.
„Sanara zum Gruße“, sprach sie, fasste sich grüßend an ihren Hut und stellte sich etwas hinter Ludwig, der am Schanzkleid stand.
„Sanara zum Gruße“, erwiderte er und blickte sie dabei mit einem müden Lächeln an.
Ihr ehemaliger Meister war mit seinen knapp fünfzig Jahren über zwanzig Jahre älter als sie selbst und so kam es, dass sein schulterlanges Haar, sowie sein gestutzter Vollbart bereits ergraut waren. Mit seinem rechten Auge, das linke hatte er vor etlichen Jahren, noch bevor sie ihn kennengelernt hatte, in einem Kampf verloren und er trug an der Stelle nun eine Augenklappe, musterte er sie.
„Es ist soweit.“
Klara atmete kurz durch, beobachtete wie das Luftschiff sich dem Anlegeplatz näherte und Taue von Matrosen an die Dockarbeiter geworfen wurden, ehe sie leise und knapp mit einem „Ja“ antwortete und weiterhin versuchte ihre Höhenangst unter Kontrolle zu halten.
Beide beobachteten schweigend den Anlegevorgang, standen still, bis das Schiff mit einem Poltern an dem Laufsteg andockte und die Taue befestigt worden waren.
Ludwig rührte sich als erstes und ging, dicht gefolgt von einer nervös zitternden Klara, zu der Öffnung im Schanzkleid von wo aus man das Schiff verlassen konnte. Beide hatten sie ihren Rucksack dabei und nach wenigen Minuten waren sie in einem der Türme des Hafens und von dort aus schnell unten in den Straßen von Kaisershafen.
„Kommst du noch mit?“, in den letzten Tagen hatte sich Klara ein wenig daran gewöhnen können, dass sie nun mit ihrem alten Meister per Du war.
„Nein, unsere Wege werden sich hier trennen“, sprach Ludwig, atmete tief durch und fing an, sich eine Zigarette zu drehen, „Ich will noch ein letztes Mal im Alten Fuchs einkehren, dort gibt es den besten Braten, den ich je gegessen habe. Anschließend werde ich mit dem nächsten Luftschiff nach Heiligenstein aufbrechen.“
Klara nickte und beobachtete die Fußgänger, die in einem großen Bogen an ihnen vorbeigingen. Ängstliche Blicke wurden ihnen zugeworfen, ängstliche Blicke, in denen auch ein Hauch Neugierde verborgen lag, ehe die Passanten unverzüglich ihren Kopf auf den Boden senkten um ja nicht verdächtig zu wirken. Es kostete ihr beinahe schon ein müdes Lächeln, denn in dem Versuch, nicht verdächtig zu wirken, schafften es die meisten Leute erst recht verdächtig zu wirken.
„Pass auf dich auf!“, sprach Ludwig bevor er seine Zigarette entzündete.
„Ja, du auch.“
Klara musste gegen Tränen ankämpfen. Sie hätte nie gedacht, dass ihr dieser Abschied einmal so nahe gehen würde, doch sie durfte auch jetzt keine Schwäche zeigen. Ein letztes Mal blickte sie ihren alten Meister noch an, ehe sie sich ohne ein weiteres Wort umdrehte und in der Menschenmenge verschwand.
Sie konnte noch hören wie er ihr „Ich bin stolz auf dich“ nachrief und sie spürte, wie nun doch ein paar vereinzelte Tränen ihre Wangen hinunterliefen. Unverzüglich wischte sie sich diese ab. Sie war eine ausgebildete Jägerin und Richterin der heiligen Inquisition von Sanara, sie durfte keine Schwäche zeigen. Sie musste stark bleiben!
Nach beinahe viereinhalb Stunden erreichte sie den Durchgang in das Palastviertel. Etliche Wachen in der rot-schwarz-weißen Landsknechtuniform von Grüntal standen mit Musketen und Hellebarden bewaffnet davor, ebenso die in violett-gelb-weiß gekleidete kaiserliche Leibgarde, in Vollplattenrüstung und mit Zweihandschwertern.
Klara ging zielstrebig auf das große Torhaus zu und ein älterer Mann, klar als Hauptmann der kaiserlichen Leibgarde erkennbar, stellte sich ihr vor und notierte ihren Namen, ehe sie das Viertel betreten durfte.
Wie auch in den anderen Bezirken der Hauptstadt dominierten mehrstöckige Gebäude im Fachwerkstil das Stadtbild, doch in diesem Teil von Kaisershafen waren sie an jeder Ecke prunkvoll verziert. Statuen von Helden des Kaiserreiches sowie von Heiligen säumten, einer Allee gleich, die große Straße und gemächlich schritt Klara diese hinab, bis sie zu dem großen Platz vor der Kathedrale kam. Unzählige Menschen, allesamt vornehm gekleidet, und auch etliche dampfbetriebene Kutschen waren unterwegs und erschwerten das Vorankommen. Das Palastviertel war den Reichen und den Adeligen vorbehalten, wenngleich die Mehrheit der Bewohner hier zum Niederadel zählte. Klara wusste, dass es in den oberen Kreisen als erstrebenswert galt, ein kleines Haus im Palastviertel von Kaisershafen zu besitzen und dementsprechend versuchten die Häuser einander in Prunk und Protz zu übertrumpfen. Sie hatte noch nie Verständnis für solches Gehabe gehabt. Ludwig hatte immer davon gesprochen, dass nur Menschen, die nicht stolz auf ihre Leistungen sein konnten, andere versuchten mit ihrem Besitz zu beeindrucken. Abfällig musterte sie die Passanten ehe sie den Platz überquerte und die Kathedrale erreichte.
Dieser Dom war, neben dem Sitz der obersten Matriarchin in Heiligenstein, das größte Bauwerk der Kirche. Der höchste Turm der Kathedrale reichte beinahe zweihundert Meter in den Himmel und stellte somit sogar den kaiserlichen Palast im Norden des Viertels in den Schatten. Hunderte und aberhunderte von Wasserspeiern blickten von den Spitzbögen und den schneebedeckten Dächern hinab auf den riesigen Platz, in dessen Mitte sich ein prunkvoller Springbrunnen befand.
Klara war zuletzt vor etwa drei Jahren zusammen mit Ludwig hier gewesen und so wie damals verschlug es ihr den Atem beim Anblick dieses eindrucksvollen Bauwerks. Das Tor war beinahe fünfzehn Meter hoch, mit Gold bedeckt und mit Szene aus den heiligen Schriften verziert. Kurz musste sie ihre Hand schützend vor ihre Augen halten, da das Edelmetall die Sonne reflektierte und sie blendete, ehe sie weiterging.
Ihr Ziel war der Sitz der Inquisition im Kaiserreich, ein großes Gebäude, das wie eine kleine Festung aussah und rechts neben der Kathedrale erbaut worden war. Beim Eingang patrouillierten mehrere Wachen in der rot-weißen Uniform von Magreth, sowie zwei Kriegsschwestern, kämpfende Priesterinnen in Robe und Platte und mit den beidhändig geführten Sonnenschwert bewaffnet.
„Sanara zum Gruße!“, sprach eine der Schwestern, „Wie lautet Euer Name und Euer Begehr?“
„Sanara zum Gruße. Ich bin Inquisitorin Klara Gemmingen und ich bin gekommen um hier die Nacht zu verbringen und um mich beim Großmeister zu melden.“
Die Kriegsschwester musterte Klara kurz, ehe sie nickte: „Tretet ein und erholt Euch von der Jagd.“
Für einen kleinen Moment blickte sich Klara noch um, blickte auf die Inschrift über dem Tor. In der antiken Sprache der heiligen Schriften stand in schönen, goldenen Lettern: Es ist besser für die Götter zu sterben, als für sich selbst zu leben!
„Mein Herr“, sprach die Assistentin, „Wenn ich vorstellen darf, Inquisitorin Klara Gemmingen.“
„Danke, lass uns alleine!“, antwortete der Großmeister, der mit hinter dem Rücken verschränkten Händen aus einem der zahllosen Fenster blickte.
Klara hatte ein Zimmer zugewiesen bekommen und eine kräftige Mahlzeit zur Stärkung eingenommen. Anschließend war sie, ganz so wie die Pflicht es verlangte, geradewegs zu dem amtierenden Großmeister der Inquisition und ranghöchsten Inquisitor im Kaiserreich, Sigismund Berner, gegangen um sich bei diesem zu melden. Herr Berner war neben dem zweiten Großmeister in Magreth eines der ranghöchsten Mitglieder der Inquisition und ihm oblag es, die Aufträge im Kaiserreich zu koordinieren und als Verbindungsmann für den Kirchenstaat Magreth zu dienen.
Vorsichtig und respektvoll trat Klara ein und musterte das Zimmer. Es lag im höchsten Turm des Sitzes der Inquisition und war riesig. Ein Balkon, ähnlich einem Wehrgang, umrundete den Raum und mannshohe Fenster bildeten die Wände. Nicht nur, dass es durch diese Glasfronten angenehm hell war, von hier aus konnte man die gesamte Hauptstadt überblicken und Klara konnte sich vorstellen, was der Großmeister mit dieser Symbolik bewirken wollte.
„Nehmen Sie Platz, Frau Gemmingen. Ich hoffe, Ihre Reise war angenehm?“
Klara nahm vor dem prunkvollen Schreibtisch, welcher aus dunklem Holz gefertigt war und in der Form einem schlafenden Drachen glich, dessen Flügeln die eigentliche Arbeitsplatte trugen, platz. Sie ließ ihren Blick noch einmal über die Schnitzarbeiten schweifen, welche sie als wunderschön erachtete, ehe sie erkannte, dass auf der Arbeitsfläche eine Akte mit ihrem Namen lag, sowie weitere Unterlagen und Schriftstücke.
Nervosität stieg in ihr auf, sie war zum ersten Mal in ihrem Leben wirklich alleine und nun stand sie vor einem der zwei Großmeister der Inquisition. Sie bemerkte, wie ihr leicht flau im Magen wurde, dieser etwas anfing zu rebellieren und wie ihre Hände feucht wurden.
„Danke mein Herr, die Reise war durchaus annehmbar“, sprach sie letztlich, etwas leiser als es ihr lieb war, doch versuchte sie ihre Unsicherheit zu überspielen, denn dies war eine Schwäche und als Inquisitorin durfte sie keine Schwäche zeigen.
Kurz noch blickte ihr Vorgesetzter aus dem Fenster ehe er sich umdrehte und sie freundlich anlächelte.
„Das freut mich zu hören.“
Klara hatte Großmeister Berner noch nie persönlich getroffen, bei ihrem letzten Besuch mit Ludwig war Sabine Holler noch Großmeisterin der Inquisition gewesen. Sigismund Berner durfte ungefähr in Ludwigs Alter sein, so schätzte Klara, hatte eine ergraute Schnurrbart-Kinnbart Kombination und ebensolche kurzgehaltene Haare. Sein Gesicht war ernst und strahlte Autorität aus und wie Klara trug er den markanten Mantel und Hut der Inquisition, wenngleich auch um einiges aufwendiger verziert um seinen Rang zu verdeutlichen. Das Emblem der Inquisition mit dem Schwert und der Lupe, welche die Buchstaben I und Q symbolisierten, prangte, wie auch bei ihr, auf der linken Brust, war allerdings zusätzlich mit drei goldenen Sternen geschmückt.
Herr Berner setzte sich in seinen aufwändig verzierten Arbeitsstuhl. Sofort kam eine einäugige, grau getigerte Katze angelaufen, sprang auf den Schoß des Großmeisters und er streichelte sie ein wenig, ehe er erneut das Wort ergriff:
„Ich nehme an, ich darf gratulieren?“
„Ähm, wie bitte?“
„Ihr wurdet als Inquisitorin vorgestellt und wie ich sehe, ist Herr Schenk nicht bei Euch. Liege ich recht in der Annahme, dass Eure Ausbildung beendet wurde?“
„Ja, ja das tut Ihr, mein Herr.“
„Na dann gratuliere ich Euch.“
„Danke, danke“, sprach Klara überrascht.
Herr Berner musterte sie streng ehe er ihre Akte nahm und, wie Klara erkennen konnte, ihren Ausbildungsstatus entsprechend änderte, sowie ein Emblem hervorholte, das beinahe identisch mit dem war, das sie bereits trug, lediglich hatte ihr altes keinen Stern und das neue, welches ihren Rang als ausgelernte Inquisitorin auswies, zumindest einen. Sie nahm die Insigne entgegen, befestigte sie an ihrem Mantel über ihrer linken Brust und die zuvor aufgekeimte Unsicherheit verflog zum Teil. Er hatte sie hiermit offiziell befördert und kaum da sie das Abzeichen angeheftet hatte, bemerkte sie, wie sie ein wenig stolz wurde.
„Was genau“, begann Herr Berner und fing an sich eine Zigarette zu rollen, „wisst Ihr über die aktuelle Lage in Ostheim?“
Klara überlegte kurz, ehe sie ebenfalls ihren Tabakbeutel herauskramte, „Darf ich?“, fragte sie nun von neuem Selbstbewusstsein ermutigt.
Ihr Vorgesetzter nickte, entfachte seine und Klaras Zigarette mit einem Streichholz bevor er sie auffordernd anblickte, seinen Kopf leicht neigte und eine Augenbraue fragend anhob.
„Nun, ähm, nicht viel. Im Marschbefehl stand lediglich davon, dass eine Adelsfamilie, Familie von Streng, von ungewöhnlichen Aktivitäten in der Nachbarstadt berichtet hat“, antwortete sie.
Der Großmeister genehmigte sich einen kräftigen Zug von seiner Zigarette, streichelte weiter die Katze, die dabei hörbar schnurrte, bevor er sprach: „In Ostheim grassiert eine Seuche. Es gibt Grund zur Annahme, dass die Seuche, ähnlich wie die in Eisenheim, von arkaner Natur ist. Felsburg, der Nachbarort der von Strengs, ist mitunter am heftigsten betroffen.“
„Arkaner Natur, das, das klingt nicht gut. Die Pest in Eisenheim...“
„...hatte unzählige Wiedergänger hervorgebracht, ja, ich habe die Berichte gelesen. Ebenso ist die Bevölkerung aufgeschreckt. Die Kunde von dem was in Eisenheim geschehen sein soll ist bereits bis hierher durchgedrungen. Wiedergänger und andere Spukgespenster sind in aller Munde, ebenso die Gleichberechtigung der Zwerge und damit die Frage, ob die Kirche noch ausreichend schützt.“
Klara war kurz verwundert: „Das, das ist noch nicht einmal zwei Wochen her.“
„Tja, derartige Neuigkeiten verbreiten sich wie ein Lauffeuer. Jedenfalls könnte dies weitreichende Folgen mit sich ziehen. Die Ostheimer sind zwar aufgrund der Nähe zu Thyram etwas abgehärtet, aber dennoch soll jedem gezeigt werden, dass Sanara die Rechtschaffenen, und nur die Rechtschaffenen, schützt.“
Mit einem Knistern verbrannte der Tabak in Klaras Zigarette, ehe sie den blauen Rauch hinausblies und antwortete: „Natürlich, mein Herr.“
Herr Berner rauchte fertig, dämpfte den noch glühenden Stummel anschließend in einem wunderschönen Aschenbecher aus, den er sogleich Klara hinschob und atmete tief durch.
„Das mit den Zwergen ist eine Sauerei!“
„Ist es, mein Herr“, antwortete sie und musterte kurz den Aschenbecher, welcher aus Obsidian gefertigt war und ein symmetrisches Muster aus Dreiecken darstellte, das sie beinahe in ihren Bann zog.
„Die oberste Matriarchin wird sich darum kümmern. Sie ist allerdings sehr ungehalten, redet von einer ähnlichen Schande wie damals mit dem Dekret über die südländischen Magier.“
„Dass sich die Kirche und vor allem die damalige Matriarchin Helga, die Erste das damals gefallen hat lassen.“ „Nun, es war eine politische Entscheidung. Das Kalifat ist ein mächtiger Verbündeter und zumindest sind es Menschen...aber Zwerge?“
„Ich war dabei, mein Herr, und ich versichere Euch, sowohl ich als auch Ludwig hätten, hätte die oberste Matriarchin uns die Erlaubnis erteilt, die Kaiserin sofort gerichtet.“
Kurz zuckte Klara zusammen, als Herr Berner sie scharf anfunkelte: „Na dann bin ich froh, dass sie es nicht getan hat.“
„Ich, ich verstehe nicht...“, schlagartig verflogen ihr neugewonnener Stolz und Mut wieder und die Unsicherheit kehrte zurück.
„Hier geht es um Politik und nicht um die Jagd! Die Kaiserin fordert die Kirche heraus und das ist nun Sache der obersten Matriarchin, nicht unsere. Wir werden uns da raushalten, da dies hier sehr wohl in einer Art Bürgerkrieg enden könnte.“
„Steht, steht es so schlimm?“
„Ja, in letzter Zeit gab es bereits etliche Stimmen, die Kirchenkritik übten und diese Stimmen werden nun wieder lauter. Pamphlets sind im Umlauf, die... Reformisten,“ er versteckte nicht den Ekel in seiner Stimme als er das Wort aussprach, „wagen sich hervor und verlangen, den Einfluss der Kirche und Magreths im Kaiserreich zu mindern.“
„Aber, aber das ist ketzerisch!“, entgegnete sie um sich zu rechtfertigen und dämpfte ebenfalls ihre Zigarette aus.
„Ja, ja ist es! Doch die Stimmung in der Bevölkerung ist... ist gefährlich. Alle weiteren Schritte müssen gut überlegt sein, da wir sonst mehr Gegenstimmen befeuern könnten und, wenn wir zu hart durchgreifen, Märtyrer erschaffen. Die Politik will die Kirche kontrollieren, doch das obliegt nun der Obersten Matriarchin, das ist ein Schlachtfeld von dem wir uns tunlichst fernhalten sollten, zumindest derzeit. Unsere Aufgabe ist es nun, der Bevölkerung zu zeigen, dass die Kirche präsent ist und Sanara und ihre Geschwister mit ihnen sind und sie schützt. Daher, reist nach Ostheim und klärt das dort. Rüstet Euch in der Waffenkammer aus, nehmt alles was Ihr braucht. Es ist wichtig zu zeigen, dass nur wir die Bevölkerung vor der Finsternis schützen können. Ach und wie gesagt, die Leute in Ostheim sind abgehärteter, dort wissen die meisten noch von solchen Dingen wie Wiedergänger und halten diese nicht nur für ein Märchen.“
„Natürlich, mein Herr.“
Der Großmeister kraulte sich seinen Kinnbart ehe er nochmal das Wort ergriff: „Wie… geht es eigentlich Herrn Schenk?“
„Nun, ähm, gut? Er reist zurück nach Magreth“, sprach Klara etwas irritiert.
„Will er seinen Ruhestand antreten?“
„Ähm, ja mein Herr.“
„Wird aber auch Zeit. Ich hoffe“, begann Herr Berner nun etwas schärfer, „dass Ihr nicht denselben Fehler macht wie Euer ehemaliger Meister einst.“
„Ich, ich verstehe nicht ganz“, nun bemerkte sie wie ihre Hände feucht wurden und sich ihre Kehle etwas zuschnürte.
„Hat er es Euch nicht erzählt? Euer ehemaliger Meister hatte einst zu großes Mitleid gezeigt, und das Kind einer Hexe verschont. Vier Jahre später, als das Kind erwachsen geworden war, war es in die Fußstapfen seiner Mutter getreten und hatte etlichen Gläubigen den Tod gebracht. Ich hoffe, dass diese Schwäche durch die Ausbildung nicht auf Euch abgefärbt hat.“
Klara war etwas perplex und ihr verschlug es den Atem, sodass sie lediglich nicken konnte.
„Gut, gut, wäre ja auch zu schade. Herr Schenk hat sich dadurch bei gewissen Leuten nicht unbedingt beliebt gemacht. Aber sei es drum, Ihr habt Euren Auftrag, führt ihn gewissenhaft aus.“
„Natürlich, mein Herr!“, brachte Klara letztlich gepresst hervor, ehe sie das Arbeitszimmer irritiert und nun vollends verunsichert verließ.
Diese Geschichte über Ludwig verwunderte sie, sie hätte sich das nie vorstellen können. Ludwig war ein grandioser Hexenjäger, ein Inquisitor wie er im Buche stand und nun erfuhr sie, dass er dereinst einen groben Fehler gemacht haben sollte. Wie benommen ging sie die Treppe hinab in die Wohnquartiere für durchreisende Diener der Kirche. Es verunsicherte sie nun, denn Ludwig hatte ihr alles beigebracht, war ihr Mentor gewesen und sie sah ihn als Vorbild. Des Öfteren hatte sie sich gefragt, was Ludwig an ihrer statt tun würde, doch nun war sie sich nicht mehr sicher, da er offenbar einen groben Fehler gemacht hatte. Jedoch, im Gegensatz zu Frau Holler damals wirkte Herr Berner auf sie bedrohlich. Seine gespielte Freundlichkeit verbarg etwas, etwas Dunkles. Klara musste vorsichtig sein. Sie hatte die Abscheu in der Stimme des Großmeisters gespürt sobald er von Ludwig gesprochen hatte. Sofort bemerkte sie, wie sie eine Gänsehaut bekam und sich ihr Instinkt, jener Instinkt der ihr zuletzt in den Ruinen unter Eisenheim das Leben gerettet hatte, meldete. Etwas an Herrn Berner war gefährlich, sehr gefährlich. Er spielte ein Spiel, ein Spiel der Politik, und verstand sich darin, Menschen wie Bauern über ein Schachbrett zu bewegen und notfalls auch ohne zu zögern zu opfern. Klara musste aufpassen, dass sie seine Aufmerksamkeit nicht zu sehr auf sich zog.
Sie versuchte, ihre dunklen Gedanken zu verbannen, sie hatte keine Zeit dafür, sie musste sich auf ihren neuen Auftrag vorbereiten. Heute Nacht würde sie hier bleiben. Das nächste Luftschiff nach Ostheim würde erst übermorgen aufbrechen und bis dahin würde sie sich hier erholen und neu ausrüsten und dann würde sie wieder auf die Jagd gehen. Mit den Gedanken an ihren bevorstehenden Einsatz, sowie an Ludwigs Vergangenheit, betrat sie das ihr zugewiesene Zimmer. Es war spärlich eingerichtet, ein Bett, eine Truhe sowie ein Tisch mit Stuhl, doch mehr brauchte sie nicht.
Der Abend begann zu dämmern und sie war erschöpft. Mit Gedanken, die um alles mögliche kreisten, legte sie sich auf das Bett und hoffte auf einen erholsamen Schlaf. Sie würde ihn brauchen. Sobald sie wieder auf der Jagd war, würde sie nicht mehr die Möglichkeit haben, so viel Ruhe zu finden und sich ausrasten zu können wie hier.
Warm erleuchteten die Kerzen den dunklen Raum, lediglich die Ecken blieben in der Finsternis verborgen. Die Kapuze seiner roten Robe hatte er über seinen kahlgeschorenen Kopf gezogen während er auf dem harten Steinboden kniete, seinen hölzernen Stab, dessen Kopfende in einem Zwirbel endete, nutzte er dabei als Stütze. Der Schein der Kerzen ließ die mannshohe, mit Gold überzogene Statue der Göttin warm strahlen. In lange Gewänder gehüllt stand diese auf dem Altar, in ihrer rechten, offenen Hand ruhte eine Taube und in der linken hielt sie einen Mistelzweig. Darla, die Göttin der Liebe und der Fruchtbarkeit, die Göttin des Schutzes und der Diplomatie. Ihr Abbild glich einer wunderschönen jungen Maid, sie war die Zwillingsschwester von Sanara und er, Hans, hatte sich gänzlich dem Dienst in ihrem Namen verschrieben.
„Darla, gib mir Kraft“, begann er mit dem Gebet, „gib mir Kraft, mich um deine Schafe zu kümmern. Ich bin dein Hirte, versorge die Kranken und Schwachen, tröste die Trauernden und kümmere mich um die Liebenden. Darla, gib mir Kraft in Zeiten der Not. Eine Seuche sucht unser Kurfürstentum heim, eine Seuche, die deine Schafe dahinrafft. Gläubige fallen, werden krank und sterben eines unnatürlichen Todes. Sie brauchen deine Hilfe, Darla, und ich bin der, der sie ihnen bringt. Lasse mich ein Instrument deines Willens werden. Oh Darla, bitte gib mir Kraft in dieser dunklen Zeit, bitte gib mir Kraft, auf dass ich dein Werk vollrichten, auf dass ich diesen armen Seelen helfen kann. Darla schütze uns, Darla segne uns, denn wir sind deine treuen Diener. Darla, bitte gib mir Kraft!“
Lange noch kniete Hans auf dem kalten Boden, hielt sein Haupt voller Demut vor der Statue der Göttin gesenkt, auf dass sie ihm die erflehte Kraft gebe, die er für das Bevorstehende benötigte. Er fühlte eine wohltuende Wärme durch seinen Körper streichen, sie glich einer Welle positiver Energie. Er lebte um Darla zu dienen. Sein ganzes Leben als Priester in ihrem Namen war darauf ausgerichtet und ein jedes Mal wenn er ihre Kapelle hier im Stift betrat, spürte er die göttliche Kraft Darlas, die durch seine Glieder floss.
Schwere Zeiten standen ihm und den Seinesgleichen bevor, sehr schwere Zeiten. Seit etwa zwei Wochen grassierte nun diese Seuche in Ostheim. Derweil hielt sie sich nur in den östlichen Regionen auf, doch mit jedem Tag wanderte sie weiter westlich. Wenn es in diesem Tempo weiterging, dann bestanden für Hans keine Zweifel, dass in weniger als zwei Monaten das ganze Kurfürstentum betroffen sein würde.
Tief atmete er ein. Vor der Statue waren etliche Schalen mit Weihrauch und anderem Räucherwerk aufgestellt, die Luft war von den Düften und ihrer reinigenden Wirkung geschwängert. Er genoss die Stille in der kleinen Kapelle. Jeden Tag, seit etlichen Jahren, kam er hierher, teilweise sogar zwei- oder dreimal am Tag, um seine Göttin um Rat und Beistand zu bitten.
Vorsichtig erhob er sich, nutzte den Stab als Stütze beim Aufstehen und warf seine Kapuze zurück. Vor sechs Jahren hatte er das einundzwanzigste Lebensjahr erreicht und seine Ausbildung zum Darlapriester abgeschlossen. Vor sechs Jahren hatte er sich gänzlich der Göttin verschrieben und seitdem war es seine Aufgabe, sich um die Kranken und Schwachen zu kümmern und den Liebenden zu ihrem Glück zu verhelfen.
Voller Inbrunst und Eifer kam er dieser Aufgabe nach, hatte etliche Paare getraut, war bei so manchen Geburten zugegen, hatte unzählige Felder für die Bauern gesegnet um ihnen reiche Ernten zu bescheren und ebenso hatte er sich um die Kranken gekümmert. Die Priesterschaft der Darla betrieb, wie in jedem Stift, auch hier in Sonnenstein ein Hospital, doch waren nicht die Priester und Priesterinnen alleine für die Patienten zuständig. Alchemisten und Kräuterkundige, Ärzte und Seuchendoktoren, sie alle hatten es sich zum Ziel gemacht, Krankheiten zu bekämpfen und mit all diesen arbeiteten seine Brüder und Schwestern eng zusammen.
Sorgfältig strich er sich die einfache, in kräftigem Rot, der Farbe Darlas, gehaltene Robe glatt, packte seinen Stab fester und schritt aus der Kapelle. Das Stift Sonnenstein lag hoch in den Goldbergen und thronte über der Stadt Sonnenberg. Genutzt wurde das Kloster, wie jedes andere auch, von der Priesterschaft aller drei Götter und so wie Sanara die oberste Göttin war, die über alles wachte, so war es auch die Hohepriesterin der Sanara, die über das Kloster wachte und alles verwaltete.
Normalerweise war das Stift nicht gut besucht. Die Geistlichen blieben eher unter sich und nur wenige Außenstehende, die um Vergebung für kleine Sünden, um freiwillige Dienste im Kloster oder um Heilung baten, verschlug es hier hinauf. Doch mit der Seuche kamen auch die Bittsteller. Von Osten waren sie angereist, denn die Krankenhäuser der Ärzte dort waren überbelegt. Viele vertrauten auch den weltlichen Heilern weniger und wollten von den Dienern der Göttin versorgt werden. Mehrere Tage mussten sie zum Teil reisen, zu Fuß oder mit Karren, nahmen etliche Mühen in Kauf, nur um hier von den Darlapriestern behandelt zu werden.
Hans ging den langen Gang hinab. Die Kapelle war, wie viele Teile des Klosters, tief in den Stein der Berge gehauen und so vor Wind und Wetter gut geschützt. Bilder von Heiligen und Szenen aus den heiligen Schriften der Drei säumten den Korridor, Öllampen brannten und erhellten das Mauerwerk. Seit gut einer Woche war im Kloster viel los und das Hospital schon an das Ende seiner Kapazitäten gestoßen. Die Priesterschaft hatte alle Hände voll zu tun und selten wurden Momente wie dieser, in denen Hans kurz durchatmen konnte.
Sein Stab polterte als er bei jedem Schritt auf den Steinboden aufschlug, doch Hans ging zielstrebig und besonnen weiter. Nach wenigen Augenblicken kam er in ein großen Bereich welcher als Aufenthaltsraum und Speisesaal von den Klosterbewohnern genutzt wurde. Hans überkam kurz ein eiskalter Schauer, der ihm den Rücken hinunterlief ob der Leere des Saals. Für gewöhnlich waren hier etliche Bewohner, Priester der Darla und des Berols sowie auch Kriegsschwestern, beziehungsweise Novizen, die sich über ihre Götter unterhielten und hin und wieder auch hitzig diskutierten. Doch seit einer Woche hatten sie alle kaum noch Zeit dafür.
Im Vorbeigehen konnte er erkennen wie eine Kriegsschwester mit einer Wache, die offenbar bereits Dienstschluss hatte, in einer Ecke eine Partie Schach spielte, doch bis auf diese beiden war der Raum leer. Freundlich nickte er ihnen zu, diese erwiderten den Gruß, ehe er weiter Richtung Hospital ging.
Die Klosteranlage war riesig und vor etwa eintausend Jahren, als sie erbaut worden war, war sie bis zum Bersten gefüllt gewesen. Heute beheimatete sie etwa dreihundert Priester, Platz würde sie aber für bis zu dreimal mehr bieten. Immer weniger schlugen den Weg eines Geistlichen ein. Zu groß schienen die Verpflichtungen, Enthaltungen und die Bürden auf die einfachen Bürger, doch Hans wusste, dass der Lohn das alles überwog. Das Gefühl, einem der Drei so nahe zu stehen, den Segen gewiss zu haben und das Wissen, dass man alles was man tat, mit der Zustimmung eines Gottes tat, dieses Gefühl überwog allen Entbehrungen.
Voller Tatendrang, das Gebet in der Kapelle hatte ihm die nötige Kraft und Motivation gegeben, schritt er durch die verwinkelte Anlage, bis er bei dem Hospital ankam. Eine hölzerne Doppeltür, über der ein Bild der Göttin gemalt war und der Spruch Tritt ein und bade in meiner Liebe! stand, bildete die Pforte.
Kaum da er die Tür geöffnet hatte, wehte ihm der Gestank von Seuche und Krankheit ins Gesicht, vermengt mit dem Duft von ätherischen Ölen und unterschiedlichsten Räucherwerk. Es glich einem Faustschlag und es bedurfte Hans ein paar Sekunden ob dieses Duftmosaiks, ehe er sich wieder fassen konnte.
Schreie, Schmerzensschreie, Gemurmel und Flehen drang zu seinen Ohren. Viele seiner Priesterkollegen eilten geschäftig hin und her, versuchten das Leid der unzähligen Patienten zu lindern. Priester des Berols und auch Kriegsschwestern gingen zur Hand und assistierten so gut sie konnten indem sie mit Weihrauch immer wieder den Raum reinigten oder Wasser und Speisen reichten.
Unverzüglich lehnte Hans seinen Stab neben die Tür und begann zu helfen. Die Seuche war aggressiv, sie forderte schnell den Tod und jeden Tag mussten sie Dutzende betrauern, zumal sie bisher nicht wussten, wie sie dieser Herr werden sollten.
In seiner Ausbildung hatte Hans, so wie jeder Priester der Darla, unzählige Heilgebete gelernt. Ebenso hatten sie theoretisches Wissen über Krankheiten, wie auch allgemeines alchemistisches Wissen und Kräuterkunde vermittelt bekommen. Trotzdem stand die Priesterschaft vor einem Rätsel. Nichts wirkte, kein Gebet, keine alchemistische Tinktur, nicht einmal die weltlichen Heiler und studierten Ärzte hatten eine Vermutung, wie man diese Seuche in den Griff bekommen konnte.
„Bitte, bitte helft mir“, flehte eine junge Patientin und hielt sich an Hans' Robe fest, als dieser an ihrem Bett vorbeiging.
Mitgefühl überkam Hans als er die arme Frau sah, die höchstens neunzehn Jahre alt sein durfte. Die Seuche hatte sie viel Kraft gekostet, ihr Gesicht war eingefallen und sie selbst war abgemagert, ihre Arme dünn wie Zweige, ihre Finger knochig und ihre Stimme schwach.
Hans nickte ihr freundlich zu, versuchte ihre Stimmung mit einem warmen Lächeln aufzuhellen, ehe er sich neben ihr Bett stellte.
„Wie lautet dein Name?“, fragte er höflich.
„Hannah“, begann die Frau und erlitt einen kurzen kehligen Hustenanfall ehe sie weitersprechen konnte, „Hannah Gamsjäger, mein Herr.“
„Nun gut Hannah, ich bin Hans, Hans von Sonnenstein, und wollen wir mal probieren ob wir dein Leid mit Darlas Hilfe etwas lindern können.“
„Bitte mein Herr, bitte.“
Hans legte seine beiden Hände auf ihre Stirn und begann damit, Heilgebete zu rezitieren. Er spürte, wie seine Hände von der göttlichen Kraft erfüllt wurden. Immer mehr und mehr Gebete sprach er, seine Hände fingen mit jeder Sekunde mehr an zu leuchten und wurden wärmer. Eine wohltuende Behaglichkeit breitete sich von seinen Handflächen aus, ging auf Hannah über und sollte die Krankheit heilen oder aber zumindest etwas abschwächen.
Sekunden wurden zu Minuten und nach fast zwanzig Minuten, die Hans sehr viel Kraft gekostet hatten, war er mit dem Beten fertig. Hannah war inzwischen eingeschlafen, sie war sehr schwach. Hans konnte spüren, dass sie nicht mehr lange durchhalten würde, und diese Prozedur war nicht nur für ihn anstrengend gewesen. Ohne seine Hilfe wäre sie, da war er sich sicher, heute Nacht gestorben. Durch ihn würde sie zumindest noch einen weiteren Tag kämpfen können.
Glücklich musterte er die schlafende Hannah. Ja, er hatte ihr zumindest einen weiteren Tag geschenkt, mehr stand derzeit nicht in seiner Macht. Zufrieden und müde ging er auf einen Tisch zu, auf dem etliche Schüsseln aufgestellt waren. Kurz blickte er sein Spiegelbild im Wasser an. Sein warmes, freundliches, aber etwas rundliches Gesicht, passend zu seinem beleibten Körper, lächelte ihm entgegen, bevor er sich eben jenes wusch und auch ein paar Schlucke davon trank.
„Viel zu tun“, sprach einer seiner Priesterkollegen.
„Ja, vor allem da wir noch immer nicht wissen was diese Seuche auslöst, wie sie sich verbreitet und wie man sie bekämpfen kann“, erwiderte Hans und so etwas wie Wut, Wut auf diese Krankheit und die Opfer, die sie gefordert hatte, schwang in seiner Stimme mit.
Sein Ordensbruder nickte nur etwas resignierend, bevor sich dieser und auch Hans wieder an die Arbeit machten. Es gab noch viel zu viel zu tun.
Der Tag war wie im Fluge vergangen. Hans war eine gefühlte Ewigkeit im Hospital gewesen und nun befand er sich ausgemergelt und erschöpft im Aufenthaltsraum. Zaghaft schlürfte er an einer Hühnersuppe um zumindest wieder etwas zu Kräften zu kommen. Heute hatten sie neun Leute beklagen müssen, die Berolpriester machten die Leichname in diesem Moment für die Überfahrt durch den Äther bereit. Jedes Mal wenn ein Mensch vor Hans' Augen starb, spürte er einen Schmerz, den nur ein Priester der Darla empfinden konnte. Darla war die Göttin der Fürsorge, der Liebe, der Heilung und des Verständnisses. Ihr größtes Geschenk war das Mitgefühl, aber zeitgleich war es auch das am schwersten zu tragende. Ein jeder Priester der Darla litt mit seinen Patienten, bei jedem Handauflegen, bei jedem Sprechen heilender Gebete konnte der Priester die Schmerzen und die Ängste der Menschen fühlen.
Die Suppe schmeckte gut, sie war würzig und Hans genoss, wie die warme Brühe seine Kehle hinunterfloss. Nach und nach spürte er, wie die Kraft wieder in seine Glieder zurückkehrte, aber dennoch war die ganze Situation frustrierend. Er wusste, es musste eine Möglichkeit geben, dieser Krankheit Herr zu werden. Die Seuchendoktoren waren hierfür immer gute Ansprechpersonen, da sie für gewöhnlich sehr schnell herausfanden wie sich Plagen verbreiteten, doch auch diese waren hier offenbar überfordert und ratlos. Immer mehr und mehr Hilfsgesuche von den östlichen Städten und Dörfern trafen ein, doch das Stift konnte bei weitem nicht alle beantworten.
Hans wollte nicht länger untätig herumsitzen. Er konnte hier kaum etwas bewirken, zumindest kaum etwas, das den Ursprung der Seuche besiegen würde. Nein, er musste nach Osten! Er wusste, Felsburg war mitunter am heftigsten betroffen und dort lebte ein alter Bekannter von ihm. Jörg Berger, ein herausragende Seuchendoktor, mit dem Hans in der Vergangenheit bereits des öfteren zu tun gehabt hatte, lebte seit gut drei Jahren in der Stadt. Zuletzt hatten sie gemeinsam eine schwere Krankheit in einem kleinen Dorf vor ein paar Jahren aufhalten können. Er erinnerte sich gern an die Zeit zurück. Wenngleich viele Leute gestorben waren, war die Arbeit mit Jörg stets beflügelnd gewesen. Sie motivierten sich immer gegenseitig und spornten sich zu Höchstleistungen an und genau dies könnte gegen diese Seuche helfen. Es wäre zumindest einen Versuch wert.
Kurz noch schwelgte er in der Erinnerung, ehe er den Entschluss fasste, zu seinem alten Freund aufzubrechen. Gemeinsam könnten sie vielleicht die Seuche erforschen, dem Spuk Einhalt gebieten und außerdem hätte er so auch endlich mal die Gelegenheit, Jörg in seinem neuen Heim zu besuchen.
Voller Enthusiasmus spürte er, wie sein Körper wieder vollends zu Kräften kam. Beinahe schon gierig verspeiste er den Rest seiner Suppe und machte sich anschließend direkt auf den Weg zum Arbeitszimmer der Hohepriesterin.
Auch wenn er der Priesterschaft der Darla angehörte, war die Hohepriesterin der Sanara seine Vorgesetzte, denn Sanara, Darlas leicht zu erzürnende Zwillingsschwester, war die oberste der drei Geschwister. Sie war es, die mit rechtschaffenem Hass das ursprüngliche Böse vertrieben und mit ihren Geschwistern, Darla und Berol, den Menschen Frieden und Freiheit gebracht hatte. Sollte die Hohepriesterin es erlauben, und davon war er überzeugt, würde er sogleich packen, eine Nachricht mittels Telegraphie nach Felsburg übermitteln und bereits morgen aufbrechen. Diese Seuche gefährdete immerhin nicht nur Ostheim, sondern das ganze Kaiserreich. Sie musste aufgehalten werden und bei Darla, das würde er tun, davon war er überzeugt, und um dies zu bewerkstelligen musste er nach Felsburg. Nur mit Jörg gemeinsam hatten er und das Kurfürstentum eine Chance.
Kalter, eisiger Wind wehte durch ihr langes pechschwarzes Haar. Schneeflocken fielen, vollführten einen mystischen Tanz in den thermischen Strömungen, ehe sie sich auf den Boden zu Ihresgleichen gesellten, um eine Decke zu bilden. Es war Nacht, doch die vier Monde strahlten klar am Himmel und ließen die weiße Pracht glitzern.
Sorgfältig drehte sie an den Einstellungen ihres Fernrohres, veränderte die Auflösung und fokussierte die Linse. Etwas war in Aufruhr. Sie konnte noch nicht genau sagen was es war, doch spürte sie, wie die arkanen Strömungen anschwollen und auch die Sterne reagierten darauf.
Vor Kurzem erst hatten die Magier an den Akademien erkannt, dass die Himmelskörper in direktem Bezug zu den magischen Künsten standen. Wenn gewisse Sternbilder heller strahlten, schwoll die arkane Energie an und bestimmte Zauber konnten leichter gewirkt werden. Ebenso reagierten die Sterne darauf, wenn durch hohe Magieentfaltung viel Energie gesammelt oder auf einmal freigegeben wurde. So kam es, dass es viel einfacher war Magie in der Nacht als unter Tage zu wirken, ganz besonders in der Nacht des einsamen Mondes. Diese fand alle vier Jahre, zuletzt vor zwei Jahren, in der Nacht vom einunddreißigsten August auf den ersten September statt. Vor allem hier im Kaiserreich gab es unendliche viele dunkle Mythen und Legenden über dieses Ereignis. Alle vier Monde Agahmas stehen in dieser Zeit in einer perfekten Linie, so als ob es nur einen Mond gäbe und die Leute hier glaubten daran, dass dann die Grenze zwischen dem Reich der Lebenden und dem der Toten verschwämmen und böse Monstren durch die Wälder streifen würden.
Neslihan verdrehte ob der Leichtgläubigkeit der Kaiserlichen kurz die Augen ehe sie sich wieder auf das Fernrohr und den Himmel konzentrierte. Ihr fiel auf, dass das Sternbild des Dolches, welches für Verrat stand, für diese Zeit besonders hell zu strahlen schien. Etwas sehr untypisches. Unverzüglich notierte Neslihan dies in ihrem kleinen Notizbuch, ehe sie weiter den Nachthimmel beobachtete.
„Mein Kind“, erklang die sorgenvolle Stimme von Greta Magdalena von Streng hinter ihr, „Du holst dir ja noch den Tod! Zieh dir doch wenigstens etwas über.“
Aus ihren Gedanken gerissen wandte sich Neslihan zu ihrer Gastgeberin um und nickte dieser freundlich zu. Seit fast eineinhalb Jahren lebte sie nun auf dem Jagdschloss der von Strengs um ihre astronomischen Studien betreiben zu können. Das Ehepaar war immer sehr nett zu ihr gewesen, trotz ihres besonderen Talentes.
Anders als im Kaiserreich waren Magier im Kalifat hoch angesehen, hier jedoch hatte sie um ein Visum ansuchen müssen und sie war verpflichtet jederzeit ein Amulett zu tragen, das eine rechte Hand mit einem geschlossenen Auge in der Handfläche abbildete. Dieses Schmuckstück sollte sie als Magierin ausweisen, die vom Kaiserreich die Erlaubnis hatte, kaiserlichen Boden zu betreten und es sollte sie vor den Hexenjägern schützen. Die Bedingung hierfür war allerdings, dass sie sich an die hiesigen Gesetze hielt, zu denen auch gehörte, dass sie keine Magie wirken durfte. Kurz strich sie mit ihren Fingern über das Amulett, ehe es ihr fröstelte. Neslihan stand lediglich in Hose und Bluse da und auf ihrer dunkelbraunen Haut standen ob der Kälte, bereits die Härchen zu Berge .
„Ihr habt recht“, sprach sie mit südländischem Akzent.
„Komm, ich habe Tee aufgesetzt, der wird dich wärmen.“
„Danke.“
Neslihan musterte Greta für einen Moment. Trotzdem diese nur in ihrem schlichten Nachtgewand dastand, strahlte sie Schönheit aus. Die hellbraunen Haare hatte sie zu einem lockeren Dutt gebunden und ihr Gesicht war makellos. Greta wurde oft für Anfang zwanzig geschätzt und auch Neslihan konnte ursprünglich nicht glauben, dass Greta mit ihren sechsundvierzig Jahren doppelt so alt war als sie selbst.
Einen letzten Blick warf sie noch gen Nachthimmel, ehe die beiden den Balkon verließen und in das herrschaftliche Jagdschloss gingen. Die Familie von Streng besaß ein großes Handelsimperium und war vor zwei Generation dafür in den Niederadel erhoben worden. Von der Politik aber hielten sich Greta und ihr Mann Richard fern, da sie wussten, wie schnell man sich da die Finger verbrennen konnte.
Der Duft von frisch aufgebrühtem Kräutertee wehte Neslihan entgegen, als sie in den oberen Salon eintrat. Wenngleich die Kaiserlichen nicht so viel von Tee verstanden wie die Südländer, und Neslihan den von Strengs auch das ein oder andere hatte zeigen können, war für Neslihan jeder Tee immer noch besser als gar keiner.
„Guten Abend“, wurde sie von Richard freundlich begrüßt, als dieser von dem Buch, in welches er vertieft gewesen war, aufblickte.
Sie erwiderte den Gruß und setzte sich an den kleinen Tisch. Im Hintergrund prasselte das Kaminfeuer, vermengte sich mit den leisen und sanften Klängen, die aus dem Phonographen am anderen Ende des Raumes kamen, und rundete die gemütliche Atmosphäre ab.
„Was machen die Sterne?“, fragte Richard, nachdem er offenbar mit einem Absatz fertig war und die Lektüre beiseite legte.
Kurz musterte Neslihan Gretas Mann. Er war ein paar Jahre älter als seine Frau, hatte ebenfalls braune Haare, die er schulterlang trug und einen schön gestutzten Backenbart. Eine Lesebrille ruhte auf seiner Nase, die er sogleich abnahm, kurz mit einem Tuch säuberte und in der Brusttasche seiner edlen Weste verstaute.
„Nun, irgendetwas geht vor. Ich weiß nicht was, aber seit über zwei Wochen sind die Sternbilder nicht mehr so, wie sie eigentlich sein sollten. Ebenfalls spüre ich, dass irgendwo arkane Energien gesammelt werden. Jemand bereitet wohl einen mächtigen Zauber vor.“