Ostsee im Herz - Alica H. White - E-Book
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Ostsee im Herz E-Book

Alica H. White

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Beschreibung

Manchmal braucht es eine Lüge, um die Wahrheit über die Liebe zu erkennen.
Nach der Trennung von ihrem Ex hatte Luise ihre Heimat fluchtartig verlassen, doch nun soll sie für ihren Job zurück nach Kalifornien. Nein, nicht DAS Kalifornien, sondern jenes kleine Grüppchen Häuser in milderem Wetter namens Kalifornien an der Ostsee. 
Da ihr Ex und ihre ehemals beste Freundin inzwischen verlobt sind, ist klar: Luise braucht eine Strategie, um nicht als erbärmliche Verlassene dazustehen. Ihren Kollegen Paul bei dem Start-Up “Get Smarter” hält Luise für einen nervigen Nerd, der noch bei Mami wohnt. Aber in ihrer Notlage kommt nur er dafür in Frage, sich kurzfristig als ihren neuen Verlobten auszugeben.
Allerdings ist der peinliche Paul zu viel mehr Charme imstande, und versteckt weitaus mehr Muskeln unter seinen Shirts, als Luise erwartet hat. Gut für ihre Täuschung, schlecht für ihr Herz. Denn je besser sie ihren Fake-Verlobten kennenlernt, desto mehr möchte sie ihren Gefühlen eine echte Chance geben …

Die romantische Komödie “Ostsee im Herz” ist die überarbeitete Neuauflage von "Hauptsache Liebe" (2022 erschienen) und der sechste Band der "Herz über Kopf"-Reihe. Ein humorvoller Liebesroman mit Happy End, der sich absolut nicht ernst nimmt.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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OSTSEE IM HERZ

ALICA H. WHITE

Verlag:

Zeilenfluss Verlagsgesellschaft mbH

Werinherstr. 3

81541 München

_____________________

Texte: Alica H. White

Cover: Zeilenfluss

Korrektorat: Yvonne Schmotz - Lektorat Zeilentraum

Satz: Zeilenfluss

_____________________

Alle Rechte vorbehalten.

Jede Verwertung oder Vervielfältigung dieses Buches – auch auszugsweise – sowie die Übersetzung dieses Werkes ist nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags gestattet. Handlungen und Personen im Roman sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

_____________________

ISBN: 978-3-96714-487-1

PROLOG

ZWEI JAHRE ZUVOR

Bye, bye, Kalifornien.

Bloß weg hier!

Ich werde dich nicht vermissen.

Keinen hier!

Na ja, höchstens meine Familie.

Und die Ostsee natürlich.

Es ist wirklich erstaunlich, wie leicht mir der Abschied aus meiner Heimat fällt. Rauf auf die Landstraße, durch das platte Land mit grasenden Kühen, unterbrochen von Korn- oder Maisfeldern. Man kann morgens schon sehen, wer nachmittags zu Besuch kommt. Wirklich öde. Doch am Horizont blitzt die Sonne zwischen den Wolken durch.

Bloß weg von dieser lahmarschigen Küste, an der es viel zu viel regnet. Auf Richtung Süden!

Dort ist nicht nur das Wetter besser, die Menschen sind auch freundlicher. Überhaupt, das Leben ist dort leichter. Vor allen Dingen, weil ich dort Jan nicht mehr begegnen muss.

Jan, dieser Mistkerl – wieso schleicht er sich bei jeder Gelegenheit in meine Gedanken?

Das muss aufhören!

Warum hat er mir das nur angetan? Meine Kehle schwillt zu, Tränen steigen auf.

Nein, nicht schon wieder! Mein Make-up verläuft doch.

Ich halte am Fahrbahnrand und lasse die Scheibe herunter. Der raue Wind bläst ein wenig Nieselregen herein und kühlt meinen erhitzten Kopf.

Obwohl es sich gerade angenehm anfühlt, das norddeutsche Schietwedder werde ich auch nicht vermissen.

Verzweifelt schließe ich die Augen und schlucke den Ärger herunter.

Mann, Mann, Mann, ich bin echt eine Heulsuse.

Aber was soll's. Wenigstens eine Sache habe ich richtig gemacht. Ich habe mich auf diese Stelle beworben. Noch vor kurzem wäre sie mir viel zu weit weg gewesen, auch wenn sie verdammt verlockend klang. Wahrscheinlich habe ich irgendwie geahnt, dass da was in der Beziehung zwischen Jan und mir gewaltig schiefläuft.

Egal, ich werde alles hinter mir lassen.

Ich werde vor meinem Liebeskummer davonlaufen.

Jetzt bin ich zum Vorstellungsgespräch eingeladen und werde mir den Job schnappen. Noch nie in meinem Leben wollte ich etwas mehr als das. Ich habe mich vorbereitet, aber so was von. Meine Mitbewerber können sich schon mal warm anziehen.

Ich schlucke. Ich bin höllisch aufgeregt, mein Kopf ist leergefegt. Was versuche ich mir da eigentlich vorzumachen?

Verdammt. Es muss einfach klappen!

Inzwischen habe ich die Autobahn erreicht, die Fahrt wird ruhiger. Jetzt kann ich alle Standardfragen für ein Bewerbungsgespräch noch einmal durchgehen.

Erstens: Erzählen Sie etwas über sich.

Natürlich werde ich niemanden hinter die Fassade blicken lassen. Ich bin die perfekte Arbeitnehmerin – versteht sich.

Zweitens: Warum haben Sie sich bei uns beworben?

Meine Hausaufgaben über das Unternehmen habe ich mehr als gründlich gemacht. Ich kenne die Anforderungen in allen Facetten. Natürlich erwarte ich keinen Nine-to-five-Job.

Drittens: Aus welchem Grund wollen Sie Ihren derzeitigen Arbeitgeber verlassen?

Ich suche selbstverständlich eine neue Herausforderung, weil mich die alte nicht mehr genug reizt und ich werde so was von durchstarten. Auf zu neuen Ufern!

Viertens: Was wissen Sie über unsere Firma?

Im Internet stellt sich die GET SMARTER GmbH & Co. KG als Teil der GET SMARTER-Group dar. Ein kreatives Start-up-Unternehmen mit einem ausgesuchten, kleinen Team auf Augenhöhe. Deshalb sind auch keine Bilder der Führungskräfte auf der Homepage zu finden, sondern nur ein großes Gruppenfoto. Das macht die Firma schon mal sympathisch. Wahrscheinlich wird es dort auch nicht so einen narzisstischen Chef geben, wie ich ihn bisher ertragen musste.

Wird schon …

Obwohl ich das Vorstellungsgespräch im Kopf schon zigmal durchgekaut habe, kreisen meine Gedanken während der ganzen Fahrt um das Thema. Hoffentlich kommt spontan auch die richtige Antwort, wenn ich sie benötige.

Ach, es wird schon werden.

Es muss einfach klappen!

Mein Gott, bin ich aufgeregt.

So sehr, dass ich die Anweisungen meines Handys nicht richtig verstehe. Ich kurve verwirrt durch die Straßen der mir unbekannten Stadt, bis ich endlich den Schriftzug der Firma an einem Gebäude entdecke.

Meine Finger sind schweißnass, denn ich bin spät dran, als ich auf den Parkplatz fahre. Er ist voll. Oh je, hoffentlich sind das nicht alles Mitbewerber. Wie viele Leute sind wohl vor mir dran?

Kurz vor dem Eingang finde ich endlich einen freien Platz. Die Parkbucht ist mit »Anstaltsleitung« beschriftet. Was ist das denn für ein schräger Verein? Wenn dort nicht der Firmenname GET SMARTER dabeistehen würde, hätte ich Zweifel, ob ich hier richtig bin.

Auf einem weiteren Parkplatz mit derselben Aufschrift steht ein Smart mit dem Firmenlogo. Ich werde skeptisch. Womöglich sind die hier gekünstelt locker oder das Gegenteil ist der Fall. Okay, das kann ich nur herausfinden, wenn ich reingehe. Der Manager, dem der freie Platz gehört, scheint nicht da zu sein. Er ist mir bestimmt nicht böse, wenn ich ihn kurzzeitig benutze.

Ich habe den Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, da schneidet mich ein Mann auf einem Fahrrad und stellt sein Vehikel mitten auf dem Chefparkplatz ab. Er trägt Jeans und T-Shirt. Das kann wohl kaum eine Führungskraft sein. Was für ein Arsch! Warum benutzt er ausgerechnet den reservierten Stellplatz? So einen Drahtesel kann man doch überall hinstellen.

Unbeeindruckt davon, dass ich mit laufendem Motor vor der Parklücke stehe, schließt der sportlich aussehende Typ sein Fahrrad ab. Als er sich aufrichtet und mich durch meine Windschutzscheibe mustert, stockt kurz mein Atem. Nicht nur, weil er mit den dunklen, nach hinten frisierten Haaren, dem kantigen Kinn und den tiefblauen Augen ziemlich gut aussieht, sondern weil er mich an irgendjemanden erinnert.

Aber an wen?

Sein hübsches Gesicht wird von einer dicken Nerdbrille dominiert. Den nerdigen Eindruck komplettiert sein T-Shirt. »Ich war normal, bevor ich Informatiker wurde«, steht darauf.

Arbeitet der etwa hier?

Der Kerl sagt etwas und stutzt plötzlich.

Verdattert kurble ich die Scheibe herunter. »Bitte, was?«

Wieder stockt mein Atem. Unsere Blicke verbinden sich für den Bruchteil einer Sekunde. Was ist das denn? Verwirrt atme ich durch. Das fehlt gerade noch, dass ich mich am ersten Tag in so einen schrägen Vogel vergucke.

»Ich hatte gefragt, ob alles in Ordnung ist«, wiederholt er.

»Ja … nein«, stammle ich.

»Kann ich dir helfen?«

»Ich komme zu spät.«

Der Typ nickt. »Ach so, dabei kann ich natürlich nicht helfen.«

»Wie meinen?«

»Na, beim Zuspätkommen.«

Als er grinst, werden zwei Grübchen sichtbar. Wenn ich nicht so nervös wäre, würde mich das charmante Lächeln sofort locker werden lassen.

Ich will mich aber nicht entspannen. Ich muss mich konzentrieren!

»Sehr witzig. Wem gehört der Parkplatz, auf dem du dich breitgemacht hast?«

Er sieht zu seinem Rad und zuckt mit den Schultern. »Der Firma?«

»Warum stellst du es genau so hin, dass es den ganzen Platz wegnimmt?«

»Warum nicht?«

Wieder dieses verdammte Lächeln. Ich muss es einfach erwidern, obwohl er mir den letzten Nerv raubt.

»Kannst du es nicht da hinten in den Fahrradständer stellen?«, bitte ich ihn.

»Klar«, sagt er und wendet sich ab. Will er etwa gehen?

»Ist das dein Ernst?«

»Pardon?«

»Ich dachte, du stellst das Rad weg.«

»Warum?« Er zuckt mit den Schultern. »Du hast nur gefragt, ob ich es kann.«

Auweia! Ich lächle zuckersüß. »Weil ich dich darum bitte?«

Der Fremde hebt die Brauen. »Ach, so ist das. Na, dann sag das doch gleich. Nur sprechenden Menschen kann geholfen werden.«

Genervt unterdrücke ich ein Stöhnen. »Stellst du es dann bitte in den Ständer dort drüben? Ich komme sonst zu spät zum Vorstellungsgespräch.«

Sein Grinsen wird breiter. »Aha. Na, wenn du mich so lieb bittest, mach ich es gerne. Ich komme übrigens auch nicht pünktlich.«

Meine Gedanken rotieren, während ich ihm beim Umstellen seines Drahtesels zusehe. Könnte er mein Konkurrent sein? Auf einmal fühle ich mich ein bisschen überlegen. So ein Shirt trägt man doch nicht zum Vorstellungsgespräch! Aber möglicherweise hat er schwer was drauf und kann sich so ein Outfit leisten. Warum hat er keine Tasche mit Unterlagen dabei? Nein, er kann kein Konkurrent sein, vielleicht irgendeine Aushilfe.

»Jetzt fahr schon rein, sonst kommst du wirklich noch zu spät«, holt er mich aus meinen Gedanken.

Während ich in meinem Kopf noch nach der passenden Antwort krame, verschwindet er im Firmengebäude. Ob er der Facilitiymanager ist? Aber warum trägt er dann ein Informatiker-Shirt? Na ja, wahrscheinlich ist er einer der EDV-Fuzzis, die müssen sich ja nicht schick machen.

Erleichtert kombiniere ich nach einiger Zeit, dass die Firma wahrscheinlich auch noch eine Stelle für so einen Compi-Freak ausgeschrieben hat. Ich sehe aufs Handy. Jetzt muss ich mich wirklich beeilen. Schnell steige ich aus und mache mich auf den Weg zum Eingang.

Mein Puls rast, trotzdem nehme ich mir die Zeit und kontrolliere kurz mein Outfit in der spiegelnden Glastür. Ich habe mich dazu entschlossen, meine langen blonden Haare zu einem Dutt zusammenzubinden. Gute Entscheidung, das sieht sehr seriös aus. Mein Make-up ist auch perfekt so. Ich habe nur dünne Wimperntusche aufgelegt und auf Lippenstift verzichtet.

Als ich den Eingangsbereich betrete, ist mir sofort klar, dass hier ein sehr legeres Klima herrscht. Hinter der Theke sitzt ein junger Schnösel mit blonden Engelslocken und Babyface. »Leon« steht auf seinem Namensschild. Ich vermute, er ist ein Praktikant. Leon trägt ein schwarzes Shirt, auf dem »Rechenzentrum« steht, darüber sind bunte Abbildungen verschiedener Harken und Laubbesen.

Rechenzentrum – haha, sehr witzig.

Was ist das nur für ein schräger Laden, in dem man so empfangen wird?

Jetzt wäre noch Zeit abzuhauen, schießt es mir durch den Kopf. Doch ich bin ja gerade erst aus Kalifornien geflüchtet. Nein. Ich werde mich nicht irritieren lassen. Ich ziehe das durch!

»Guten Tag«, begrüßt mich Leon.

»Moin«, antworte ich gehetzt, erst da wird mir klar, dass man sich hier gar nicht so anredet.

»Alles in Ordnung?«, fragt der Schnulli.

»Ist das ein Code?«, entfährt es mir.

»Hä?«

»Das war ein missglückter Witz, entschuldige.«

»Komischer Humor«, brummelt er.

Dann setzt er plötzlich ein Zahnpastalächeln auf. »Wie kann ich Ihnen helfen?«

»Luise Schmidt, ich habe ein Vorstellungsgespräch.«

Er nickt. »Okay, den Gang runter, letzte Tür«, murmelt er, während er in eine Richtung zeigt. Danach sieht er sofort wieder auf seinen Bildschirm.

Noch kann ich flüchten …

Nein, kommt nicht infrage, ich habe mich so über das Vorstellungsgespräch gefreut und jetzt ziehe ich das durch! Meine Absätze klacken über den schwarzglänzenden Fliesenboden, als ich mit festem Schritt den Gang entlanggehe.

»Ja, bitte«, höre ich, als ich an die Tür klopfe.

Merkwürdig, eine ganz normale Antwort auf ein Klopfen. Irgendwie habe ich mich wohl auf etwas Schrägeres vorbereitet.

Ich trete ein. »Guten Tag. Luise Schmidt, ich habe ein Vorst–«

»Hallo, Luise! Schön, dich kennenzulernen«, begrüßt mich der Radfahrer von eben.

Ich schlucke. Das kann doch nicht wahr sein!

»Ich bin Paul«, stellt er sich vor. »Und das ist unser Firmenchef Ben.«

Er zeigt auf einen weiteren Typen, der ziemlich jung für einen Chef aussieht. Und seit wann stellt der Mitarbeiter den Leiter vor?

»Paul wird dein Vorgesetzter, wenn wir uns einig werden«, löst Ben das Rätsel auf.

Na ja, es ist ein Start-up. Hier sind bestimmt alle total locker.

Ich versuche, ein Kopfschütteln zu unterdrücken, als ich Bens T-Shirt-Aufdruck entziffere: ›Ein Chef ist wie ein normaler Mensch – nur smarter. ‹ Die Worte »Chef« und »smarter« sind so groß geschrieben, dass sie sich mir regelrecht in die Netzhaut brennen.

»Gefällt dir das Shirt? Das Wortspiel mit dem Firmennamen ist eine eigene Kreation«, verkündet Ben stolz.

Werbefirma, Luise! »Ähm … ja, sehr kreativ … und witzig«, antworte ich verdattert.

»Setz dich doch«, fordert mich Paul auf und zeigt mit der flachen Hand vor sich.

Ich stolpere zum freien Stuhl, der vor dem riesigen Schreibtisch steht. Die beiden Freaks mustern mich eingehend. Ob das ein Resilienztest ist? Widerstandsfähigkeit ist ja heutzutage wahnsinnig wichtig. Ich merke, ich kann mich nicht auf alles vorbereiten, was in so einem Vorstellungsgespräch auf mich zukommen kann. Natürlich macht mich das noch nervöser. Um mich abzulenken, krame ich die Bewerbungsmappe aus der Tasche, lege sie auf den Tisch und schiebe sie in Richtung meiner Gesprächspartner.

»Vergiss den ganzen üblichen Kram. Wir sind keine normale Firma«, murmelt Paul.

Er nimmt die Mappe und wirft noch nicht einmal einen Blick darauf, bevor er sie zu Ben schiebt.

Ich lächle freundlich. Die Tatsache, dass das hier keine normale Firma ist, ist mir nicht entgangen.

Ben sieht nur flüchtig auf die Bewerbung. »Du kommst aus Kalifornien in Schleswig-Holstein?«

»Ja, ein winziger Ort an der Ostsee, nur circa einen Kilometer von Brasilien entfernt«, witzle ich, um genauso locker rüberzukommen wie meine Gesprächspartner.

»Echt jetzt?«, fragen die beiden im Chor.

Ich nicke. »Ja, dort gibt es mehrere solcher Orte mit Namen wie Grönland, England oder Russland.«

»Schräg.« Die beiden lachen, während Ben die Bewerbung wieder zu mir zurückschiebt.

Ich muss unverständlich gucken, denn offensichtlich fühlt er sich zu einer Erklärung genötigt.

»Bla bla bla, da steht sowieso nicht das drin, was wir brauchen.«

Ich nicke mit zusammengepressten Lippen.

»Wie kommt es zu so schrägen Ortsnamen?«, erkundigt sich Paul.

»Keine Ahnung. Grön ist Plattdeutsch und bedeutet Grün. Eng ist Dänisch und heißt Wiese. Vielleicht hat es damit zu tun.«

»Und was heißt Kalifornien auf Platt?«

Was ist das für ein Vorstellungsgespräch? »Ähm … weiß nicht … Californio?«, antworte ich irritiert.

»Immerhin gibt sie es zu, wenn sie etwas nicht weiß«, sagt Ben zu Paul.

Der nickt wichtig. »Du weißt nicht, wie es zu den Ortsnamen gekommen ist?«

Ich krame fieberhaft in meinem Hirn. »Das hat die Gemeinde wohl einem Fischer zu verdanken, der vor etwa dreihundert Jahren Wrackteile eines Segelbootes vor dem Schönberger Strand entdeckt hat. Er holte die Planken aus dem Wasser. Auf einem der Bretter stand »California«, vermutlich der Name des Schiffes. Der Fischer dekorierte seine Hütte mit dem Brett und nagelte es über seinen Eingang. Ein neidischer Nachbar machte es nach und schrieb »Brasilien« über seine Fischerhütte. Aus diesem Scherz entwickelten sich schließlich die Namen der Ortsteile«, erinnere ich mich vage.

»Tolle Geschichte«, bemerkt Paul.

»Also sind es Ortsteile von Schönberg?«, hakt Ben nach.

»Jupp, aber immerhin mit einem eigenen Ortsschild. Ist sicher auch ein Gag für die Touristen.«

»Wie groß ist denn der Ort?«, fragt Paul.

»Keine Ahnung, müsste ich googeln.«

»Hab schon«, sagt Ben und sieht auf seinen Bildschirm. »Hier steht: Heute leben in Kalifornien 426 und in Brasilien neunzehn Einwohner.«

»Haha, neunzehn Einwohner in Brasilien«, amüsiert sich Paul.

»Mit eigenem Ortsschild, versteht sich«, ergänze ich schmunzelnd. »Aber was hat das jetzt mit meiner Bewerbung zu tun?«

»Gute Frage«, erwidert Ben. »Drücken wir es mal so aus: wir sind keine normale Firma, deshalb führen wir auch keine normalen Bewerbungsgespräche.«

»Wir brauchen spezielle Mitarbeiter, mit speziellen Eigenschaften«, sagt Paul.

»Selbstredend«, entfährt es mir.

»Genau. Talente die … sagen wir … unsere ergänzen«, führt Ben weiter aus.

»Aha«, antworte ich befremdet. »Die da wären?«

Paul lehnt sich zurück und legt die Fingerspitzen aufeinander. »Aaaalso. Wir sind Männer und deshalb beherrschen wir Frauenlogik nicht. Leider sind die Algorithmen, die in den sozialen Medien generiert werden, manchmal zu verwirrend.«

»Sagen wir, zu unlogisch. Wir brauchen eine Frau, die Bauchentscheidungen nachvollziehbar macht und nicht mit ihren Gefühlen hinter dem Berg hält«, erklärt Ben weiter.

Ich schnappe unauffällig nach Luft und erinnere mich an mein Mantra: Ich lass mich nicht irritieren. Ich lass mich nicht irritieren. Ich lass mich nicht irritieren.

»Dann bin ich ja genau richtig«, gebe ich so cool wie möglich vor.

»Möglicherweise. Wir haben auf jeden Fall schon gemerkt, dass nicht jede Frau mit uns klarkommt.«

Oh Mann, ich ahne Schlimmes, aber ich brauche diese Stelle. Leider gibt es mit meiner Qualifikation nicht gerade viel Auswahl und diese Ausschreibung klang perfekt. So leicht lasse ich mich nicht kleinkriegen.

Solche Typen schlägt man am besten mit ihren eigenen Waffen. »Okay, wie soll ich es beweisen?«

»Was?«, fragt Ben verblüfft.

»Dass ich mit euch klarkomme.«

»Nenne die sieben Todsünden«, fordert Paul.

»Waaas?«, entfährt es mir.

»Die kennst du nicht?«, erkundigt sich Ben überrascht.

Bei meiner Vorbereitung auf das Vorstellungsgespräch habe ich von Fragen gehört, die den Bewerber aus dem Konzept bringen sollen. Damit soll die Belastbarkeit getestet werden. In dem Artikel wurde spekuliert, dass diese Auskünfte meistens von narzisstischen Persönlichkeiten gefordert werden, die in der Chefetage leider nicht selten sind. Aber – bei aller Liebe – Narzissten habe ich mir anders vorgestellt. Ich mache das Spiel einfach mal mit.

»Mord?«, spekuliere ich ins Blaue.

»Was? Wie kommst du da drauf? Mord ist keine Todsünde«, erklärt Ben.

»Klar ist Mord eine Todsünde. Damit werden in der katholischen Kirche besonders schwerwiegende Arten der Sünde bezeichnet, durch die der Mensch die Gemeinschaft mit Gott bewusst und willentlich verlässt. Dazu gehört natürlich auch Mord«, berichtigt ihn Paul.

Ich schnappe unauffällig nach Luft. Wer hat den beiden die Zwangsjacken ausgezogen?

»An dieser Diskussion kann ich mich leider nicht beteiligen, denn da, wo ich herkomme, sind die meisten Menschen evangelisch oder Heiden«, erwidere ich und unterdrücke ein Grinsen.

Paul hebt die Hände. »Okay, okay. Dann lösen wir es auf.«

Ben holt Luft. »Die Todsünden sind …«

»Charaktereigenschaften, er meint Charaktereigenschaften«, berichtigt ihn Paul.

»Meinetwegen … auf jeden Fall sind es Hochmut, Geiz, Wollust.«

»Wollust? Wer sagt denn noch Wollust?«, ereifert sich Paul. »Begehren geht schon eher.«

Jetzt verdreht selbst Ben die Augen.

»Zorn, Völlerei, Neid und Faulheit«, führt Paul unbeeindruckt weiter aus.

»Aha«, werfe ich amüsiert ein.

Das ist das schrägste Vorstellungsgespräch aller Zeiten!

»Und was hat das jetzt mit meiner Stelle zu tun?«, kann ich mir nicht verkneifen.

»Na ja, wir zählen das jetzt auf, weil es die Grundlagen der Verführung sind. Bei diesen Eigenschaften greift die Werbung, um die Kunden zum Verkauf zu verführen«, löst Ben Paul ab.

»Genau«, bestätigt dieser. »Die Kenntnis dieser Charaktereigenschaften ist elementar, um erfolgreich zu werben. Das Grundprinzip ist ja, die Leute neidisch oder gierig zu machen.«

Ich nicke. »Verstehe, Sex sells, Geiz ist geil. Mein Haus, mein Auto, mein Boot.«

»Genau. Auch dieses ganze Influencer-Gedöns zielt darauf ab. Du fragst dich jetzt sicher, wann die Standardfragen kommen«, vermutet Paul.

»Die beantwortet kaum einer ehrlich, deshalb verzichten wir darauf. Die Kurzbewerbung mit Lebenslauf reicht«, ergänzt Ben.

»Wie ihr meint«, erwidere ich mit einem angestrengten Lächeln.

»Wie findest du so ein unkonventionelles Gespräch?«, fragt Paul.

Ich zucke mit den Schultern. »Unkonventionell? Es ist eher schräg.«

Ben nickt. »Finden wir auch. Aber jetzt wissen wir schon mal, dass du keine Angst hast, deine Meinung zu sagen.«

»So feige Jasager können wir hier nämlich nicht gebrauchen«, versichert Paul.

»Kreativ, ehrlich und klug, damit kommen wir viel besser klar. Und zur Not gibt es ja noch die Probezeit.«

Paul nickt. »Wir wollen nicht ständig neue Leute einarbeiten.«

Ich frage mich ernsthaft, ob die beiden als Arbeitgeber zu gebrauchen sind. Obwohl … kreativ, ehrlich und klug klingt jetzt eigentlich nicht so schlecht.

»Eine Standardfrage hätten wir aber noch«, holt Ben mich aus den Gedanken.

»Genau, wie hoch sind deine Gehaltsvorstellungen?«, führt Paul weiter aus.

Warum wittere ich bei normalen Fragen jetzt eine Falle? »35.000 im Jahr«, presche ich vor. Mein Wunsch liegt in der oberen Spanne, runterhandeln lassen kann man sich ja immer noch.

»Laut Purdue University liegt das perfekte Gehalt zwischen 50.000 und 60.000 Euro. Sobald das Gehalt 75.000 Euro übersteigt, kommen Faktoren ins Spiel, die das Glück untergraben könnten«, verkündet Ben.

»Wir wollen nur zufriedene Mitarbeiter, die sind kreativer«, kommentiert Paul. »Also fangen wir mal mit 50.000 an. Dann haben wir noch Luft für zukünftige Gehaltserhöhungen.«

Meine Augenlider klimpern nervös.

Erwarten die jetzt eine Reaktion?

»Okay … also bin ich eingestellt?«, frage ich ungläubig.

Für so viel Geld will ich es auf jeden Fall versuchen. Wer weiß, vielleicht wird es ja ganz lustig, hier zu arbeiten. Das könnte ich gut gebrauchen – neben dem Geld, versteht sich.

»Wenn du willst«, kommt es im Chor.

»Habe ich keine Mitbewerber?«, erkundige ich mich verblüfft.

Paul kratzt sich am Kopf. »Keine weiblichen. Die, die da waren, wollten nicht.«

»Wahrscheinlich haben die Angst bekommen«, vermute ich forsch.

Ben nickt. »Unser Betriebsklima ist schon … speziell. Aber wir suchen ja gerade eine Frau, um die weibliche Seite einfließen zu lassen. Warum bekommen die Angst?«

»Versteh ich auch nicht. Wir sind doch wirklich locker«, ergänzt Paul.

»In der Tat«, bestätige ich.

»Ist wohl so ein Frauending. Sie sagten, es wären zu viele Männer hier«, erklärt Ben.

»Verstehe.« Aber so was von!

Egal, Hauptsache das Geld stimmt und ich muss nicht mehr zurück nach Kalifornien.

1

MONTAG, KURZ VOR FEIERABEND

Meine Freundin Mia fuchtelt wild mit den Händen. »Wo sind meine Socken? In diesem Drecksloch findet man nichts!«

»Kann ich mir vorstellen, ich brauche mir ja nur eure Schreibtische anzusehen«, antworte ich amüsiert.

Mia grinst. Sie bezeichnet ihre Unordnung als kreatives Chaos.

»Und Ben antwortete auf mein Schimpfen nur betont gelassen: ›Willst du schon gehen? Der Tag ist noch fern. Es war die Nachtigall und nicht die Lerche, die eben noch dein banges Ohr durchdrang.‹«, knüpft sie gestikulierend wieder an unser eigentliches Gesprächsthema an.

Ich muss lachen. »Er zitiert aus Romeo und Julia? Echt jetzt?«

»Aber hallo! Ich mag es ja, aber natürlich nicht, wenn ich es eilig habe«, murrt Mia.

»Na, du hast doch gewusst, auf wen du dich einlässt. Ben hat eben einen speziellen Humor.« Den braucht man hier auch. Meine Freundin hat ihn auch – eigentlich.

»Vielleicht will wollte er nur romantisch sein?«, fällt mir ein.

»Sehr romantisch.«

»Und weiter?«, frage ich.

»Na ja … ich so: ›Das mit der Nachtigall ist dein dämlicher Tageslichtwecker mit Naturgeräuschen.‹

Daraufhin er so: ›Der sorgt für ein liebliches Erwachen, oder?‹

Und ich so: ›Die ganze Lieblichkeit ist dahin, wenn ich die Augen aufmache und die Unordnung hier sehe. Ich will eine Putzfrau.‹

Und er so: ›Ich nicht. Die bekommst du erst, wenn du hier richtig wohnst.‹

Und ich so: ›Wann ich hier wohne, kannst du nicht allein bestimmen. Außerdem bin ich doch eh schon hier eingezogen. Im Prinzip.‹

Und er so: ›Falsch, du übernachtest hier. Heirate mich!‹«

»Wow!«, kommentiere ich tief beeindruckt.

»Kannst du dir einen romantischeren Heiratsantrag vorstellen?«, fragt Mia ironisch.

Ich zucke mit den Schultern. »Na ja, immerhin bekommt man nicht jeden Tag einen Heiratsantrag. Ben sieht gut aus, ist schlau, nett, sportlich … und Millionär. Was willst du noch?«

»Und manchmal ziemlich anstrengend.« Bei Mia hat sich mittlerweile eine steile Falte auf der Stirn gebildet.

»Aber Ben ist doch … sagen wir … close to perfection.«

»Findest du? Er ändert sich garantiert nicht mehr, und wenn ich seinen Antrag annehme, muss ich das bis zur Scheidung ertragen. Jetzt kann ich noch jederzeit abhauen, wenn ich genervt bin. Aber das ist danach nicht mehr so leicht möglich. Er ist mir definitiv zu unordentlich.«

»Sagte die Frau, die selbst nicht besser ist.«

Mia grinst. »Das ist es ja gerade. Gegensätze ziehen sich an.«

»Ach, du willst jemanden, der deine Mutter ersetzt?« Ich zwinkere ihr zu.

»Hast du'nen Clown gefrühstückt, oder was?«

»Genervt von einem Heiratsantrag, das muss man erst mal bringen«, beharre ich und biete meiner Freundin etwas von meinen Apfelschnitzen an. »Sauer macht lustig.«

Mia nimmt sich einen.

»Warum ist das jetzt so ungewöhnlich?«, fragt sie, bevor sie hineinbeißt.

»Ja, liebst du ihn denn gar nicht?«

Dann überlass ihn mir, überlege ich, während ich auch einen Bissen nehme. Ich kann ihre Bedenken nicht nachvollziehen. Ben ist längst nicht so speziell wie einige andere Kandidaten hier in der Firma – zum Beispiel Paul.

Mia kaut zu Ende und schluckt. »Natürlich, aber er ist und bleibt nun mal ein Chaot.«

»Jeder hat doch eine Macke. Hat dich deine Mutter nicht mit ihrem Putzfimmel genervt?«

»Na ja«, antwortet Mia grinsend. »Das ist ja Teil des Problems.«

Ich lächle, schließe die Augen, recke mein Gesicht in die Sonne, die gerade in den Firmenhof scheint. »Sieh's nicht so eng.«

Mia lacht auf. »Dass ich das noch mal aus deinem Munde höre.«

Ich schaue auf. »Was meinst du?«

»Behauptest du nicht immer, du bist allein unter Nerds?« Sie schnappt sich noch ein Stück Apfel.

»Na ja, außer Ben gibt es in unserer Firma doch kein heiratsfähiges Material. Du bist mit ihm schon länger zusammen. Also, worauf wartest du?«

Mia zieht die Stirn kraus. »Vielleicht. Aber weißt du nicht, wie das mit den Puzzleteilen ist? Zwei gleiche passen nicht zusammen.«

Ich winke ab. »Blödsinn. Du hast nur Angst, dass es ernst wird. Die Braut, die sich nicht traut.«

»Und wenn schon«, grummelt sie. »Das liegt in unserer Familie, wir sind eben freiheitsliebend. Meine Oma war auch so.«

»Also ich würde da nicht lange fackeln. Niemand ist perfekt.«

»Sagte die Perfektionistin schlechthin.«

Ich rolle mit den Augen. »Nun übertreibst du aber.«

»Du vermittelst aber den Eindruck, als würdest du niemanden so richtig an dich heranlassen. Als wir uns damals kennengelernt haben, dachte ich auch, dass du zickig bist. Weißt du noch?«, erinnert sie mich. Mia hat mir einmal gestanden, dass sie mich am Anfang, als ich hier in Firma gekommen bin, ziemlich eingebildet fand. Zum Glück haben wir uns mittlerweile besser kennengelernt.

Gelassen recke ich mein Gesicht wieder in die Sonne. »Mag sein, wir Norddeutschen wirken manchmal so. Ich bin eben vorsichtig bei der Wahl meiner Freunde. Was ist daran falsch?«

Mia entfährt ein verächtliches Geräusch. Genau wie ich hält sie nie mit ihrer Meinung hinter dem Berg. Manchmal ist das anstrengend, aber dafür weiß man immer, woran man bei ihr ist. Das weiß ich zu schätzen und Ben wahrscheinlich auch.

»Eine Perfektionistin hat mich großgezogen. Aber seit meine Mutter mit Gerrit zusammen ist, redet sie ganz anders. Da sagt sie auf einmal, dass jemand nicht perfekt aussehen, sondern sich perfekt anfühlen muss.«

Ich schaue meine Freundin an. Gerrit ist Mias Ex-Freund und ein paar Jährchen jünger als ihre Mutter. »Perfekt anfühlen? Wie alt ist deine Mutter? Glaubt sie, dass sie sich immer noch perfekt anfühlt?«

»Natürlich meint sie es bildlich gesprochen.«

»Ist perfekt anfühlen eine Metapher?«, frage ich grinsend. »Dann könntest du perfekt aufgeräumt auch dazuzählen.«

»Willst du mich ärgern? Ich habe den Spruch nicht abgelassen«, beschwert sich Mia.

Mein Mundwinkel zuckt. »Ist nur ein Wortspiel.«

»Hm, ich glaube, du arbeitest schon zu lange hier«, neckt sie mich.

»Möglich. Ich weiß wirklich nicht, ob ich mit dir weiter über diese Themen reden soll, sonst tauche ich noch in einem deiner Bücher auf.«

»Aber nicht doch! Und wenn, dann ändere ich zumindest deinen Namen. Versprochen.«

»Warum tröstet mich das nicht? Du hast natürlich leicht reden, mit deiner Sahneschnitte von Millionär. Und behaupte jetzt nichts anderes, das hast du in deinem Buch selbst so zugegeben.«

»Da war ich auch noch frisch verliebt.«

»Ben ist mit Abstand der beste Millionär, den ich kenne«, behaupte ich.

»Ist er nicht auch der einzige Millionär, den du kennst?«

»Touché. Aber das heißt nichts.«

»Na, wenn das so ist … Was ist zum Beispiel mit Paul? Der sieht doch ganz passabel aus, ist klug und offensichtlich in dich verliebt. Und außerdem verdient dass er bei uns nicht schlecht.«

»Paul? Das meinst du nicht ernst! Der hatte gestern ein T-Shirt an, auf dem ›Frauen an den Nerd‹ stand!«, entrüste ich mich.

»Ja, er hat einen seltsamen Humor. Aber er ist sehr klug … und sportlich.«

»Stimmt, auch wenn man es nicht meinen sollte.«

»Als ich Ben kennenlernte, war sein niveablaues T-Shirt mit: ›Niveau ist keine Creme.‹ beschriftet.«

»Das hat doch noch Stil.«

»Findest du? Es ist nun mal so, dass unsere Spezialisten eine Vorliebe für seltsame Kleidung haben.«

»Ja, leider. Die sind manchmal so albern, dass ich nur noch mit den Augen rollen kann.«

»Vielleicht wollen sie dir ein Lachen entlocken. Du lachst so wenig«, gesteht Mia.

»Gibt es hier denn so viele Anlässe dazu? Ist mir noch gar nicht aufgefallen.«

»Und er sieht gut aus«, lässt sie nicht locker.

»Wenn er mal die Brille absetzen würde. Und diese komische Frisur … also, ich weiß nicht.«

»Er ist entspannt, witzig und klug. Was brauchst du noch, um ihm eine Chance zu geben«, preist sie ihn weiter an.

»Warum bist du eigentlich so hartnäckig? Ich kann doch wohl am besten beurteilen, bei welchem Typen es funkt, oder nicht?«

»Als er kürzlich auf einen Drink bei uns war, hat er gestanden, dass er dich gut findet, seit er dich das erste Mal gesehen hat. Paul hat Angst, dir seine Gefühle zu zeigen, weil du immer so spröde zu ihm bist.«

»Wirklich?«, frage ich ungläubig.

»Warum sollte ich lügen?«

»Na, ihr beiden? Pause beendet. Wie wär's mal damit, ein paar Brötchen zu verdienen?« Frech grinsend wirft Mias Ben einen Schatten auf uns.

»Hey«, entrüstet sich diese. »Geh uns aus der Sonne.«

Obwohl Ben tatsächlich unser Chef ist, und wieder einmal sein Chef-T-Shirt trägt, ist es mehr als Scherz zu verstehen. Er ist ein total lockerer Boss, das weiß ich zu schätzen. Die verrückte Horde meiner Kollegen würde ihn nicht ernst nehmen, wenn Ben es mit der Führungsrolle übertreiben würde. Ich habe die schräge Truppe mittlerweile ins Herz geschlossen, auch wenn es manchmal ziemlich anstrengend ist. Das gute Gehalt hilft mir, das zu übersehen. Und ich weiß nicht nur die Toleranz, sondern auch die Freiheiten hier in diesem Medienunternehmen sehr zu schätzen. Zum Beispiel, dass man auch mal ohne weiteres die Arbeitspause verlängern darf.

»Wir führen gerade wichtige Grundsatzgespräche«, erklärt Mia grinsend.

Bens Augenbrauen heben sich. »Über die Arbeit?«

»Geht es nicht irgendwie immer um die Arbeit?«

»Fast«, antwortet ihr Freund. »Worüber habt ihr denn geredet?«

Mia schürzt die Lippen. »Na, darum was Frauen so gefällt …«

»Aha. Das könnt ihr jetzt gleich in die Besprechung einbringen. Kommt ihr?«

Als Antwort erhält Ben ein unzufriedenes Brummeln.

»Mädels, ihr seid systemrelevant. Wer soll sonst das Protokoll führen?«

Die Frage ist leider nur zu fünfzig Prozent ernst gemeint. Und zu hundert Prozent meint er mich, weil es mir meistens zu blöd ist, dass immer wegen dieses notwendigen Jobs gestritten wird. Ich lasse einfach das Handy mitlaufen und archiviere es danach sofort.

»Möchtest du, dass ich kündige?«, knurrt Mia solidarisch.

Bens Augen werden zu skeptischen Schlitzen. »Sehr witzig.«

»Dein Humor auch«, gibt sie zurück.

»Wir müssen etwas Dringendes mit unseren amerikanischen Freunden beratschlagen. Also rafft euch auf und kommt in den Besprechungsraum. Für die ist es noch mitten in der Nacht, da ist es gar nicht lustig, wenn wir nicht da sind.«

»Okay, wir kommen ja schon«, erwidere ich.

»Heute steht viel auf der Abhakliste«, sagt Ben im ernsten Ton, dreht sich um und geht.

»Na komm.« Mia tippt mich an und erhebt sich.

»Geh schon mal vor, ich komme nach. Ich muss mich noch präparieren.«

Mia reißt die Augen auf. »Was?!«

»Du hast keine Ahnung, oder?«

»Wovon?«

»Wie die virtuellen Meetings mit den Amis so ablaufen.«

»Nein, beim letzten Mal hatte ich Urlaub. Ben hat noch gar nichts davon erzählt. Klär mich auf.«

»Weißt du denn, warum er nie Dienstreisen dorthin macht?«

»Spuck's schon aus«, fordert Mia.

»Er hat dir noch nichts von seiner Flugangst erzählt?«, frage ich ungläubig.

Mia grinst breit. »Echt jetzt? Er hat Flugangst?«

»Jup.«

»Und was ist das andere, von dem ich keine Ahnung habe?«

»Oooch … da lass dich mal überraschen.«

Mia sieht mich seltsam an.

»Was ist?«, erkundige ich mich verunsichert.

»Nichts, ich hab gerade ein Memo an mich selbst geschickt.«

Als ich in den Besprechungsraum komme, ernte ich staunende Blicke. Die Gespräche verstummen sogar, weil es nur sehr selten vorkommt, dass ich diesen T-Shirt-Wahnsinn mitmache.

Bisher habe ich immer an meinen Blümchenblusen als Gegengewicht zu den Shirts mit den semilustigen Sprüchen festgehalten. Sozusagen als blühende Oase in der Wüste. Jetzt, da ein Treffen auf Englisch abgehalten wird, haben wir Shirts mit Sprüchen an, die wörtlich übersetzt worden sind.. Mich wundert ja, dass es so etwas überhaupt zu kaufen gibt, aber selbst bei den Damenshirts hatte ich die Qual der Wahl.

Stolz drücke ich den Brustkorb durch, während ich zu meinem Platz gehe. Auf meinem roten Shirt steht: »I know how the bunny is running.«

Ich sehe mich um. Auch Ben hat sich schnell ein neues Shirt übergestreift, mit der Aufschrift: ›I have much around the ears.‹

Ich muss grinsen, als ich Noah sehe. »My english ist onewallfree« steht auf seinem Shirt. Der ist doch noch gar nicht so lange hier. Woher kennt er die Gepflogenheiten?

Ich kann nur mit den Augen rollen, als ich Paul erblicke. Er schmückt sich in natürlicher Bescheidenheit mit der Aussage: »No one can reach me the water.«

Jessi, unsere Programmiererin, hat »With me is not good cherry eating« auf der Brust stehen.

Bei dieser Sitzung ist auch Lia, die Controllerin aus der Buchhaltung, dabei. Anscheinend freut sie sich, aus ihrer trockenen Abteilung mal in die Kreativecke zu kommen. »Tell me nothing from the horse«, ist bei ihr zu lesen.

Mia sieht mich irritiert an, damit habe ich gerechnet. Ich zwinkere ihr zu, während ich ihr mein Ersatzshirt mit »I think my pig whistles« gebe. »Damit du dich nicht als Außenseiterin fühlst«, erkläre ich grinsend.

Die Aufmerksamkeit wendet sich von mir ab, als Peter, unser Mann in Kalifornien, mit einem triumphierenden Lächeln auf dem Bildschirm erscheint.

Er trägt ein blaues Shirt mit den Worten: »Es ist erst zu Ende, wenn die dicke Frau singt.«

»Ich dachte mir, was ihr könnt, kann ich auch«, erklärt er stolz dazu.

»Okay. Lets get the cow off the ice«, antwortet Ben.