Pädagogische Psychologie - Lernen und Lehren - Roland Brünken - E-Book

Pädagogische Psychologie - Lernen und Lehren E-Book

Roland Brünken

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Beschreibung

In diesem Band werden die lern- und motivationspsychologischen Grundlagen und die Anwendungsfelder der Pädagogischen Psychologie im Kontext der Lehr-Lernforschung dargestellt. Einleitend werden in Rückgriff auf die allgemeinen Methoden der Psychologie die für die empirische Lehr-Lern- und Bildungsforschung besonders relevanten Methoden skizziert. In den folgenden Kapiteln werden psychologische Grundlagen des Lernens und Lehrens aus behavioristischer und kognitionspsychologischer Perspektive ebenso wie motivationale Grundlagen umfassend erläutert. Die einzelnen Kapitel widmen sich der Intelligenz und Motivation als Merkmal von Lernenden ebenso wie dem Lernen aus den Perspektiven der Reaktionsverstärkung bzw. Informationsverarbeitung. Weitere Themen der insgesamt 12 Kapitel sind das Lernen als Expertiseerwerb, Selbstreguliertes Lernen, Lernen mit Medien, Instruktionspsychologie, Bedingungen guten Unterrichts und die Trainingsforschung. Der Band gibt damit einen umfassenden Einblick in die Grundlagen und die aktuelle Forschungslage der pädagogisch-psychologischen Lehr-Lernforschung. Zahlreiche Kästen, Tabellen und Abbildungen sowie Zusammenfassungen und Fragen strukturieren den Text und erleichtern die Prüfungsvorbereitung.

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Roland Brünken

Stefan Münzer

Birgit Spinath

Pädagogische Psychologie – Lernen und Lehren

Bachelorstudium Psychologie

Pädagogische Psychologie – Lernen und Lehren

Prof. Dr. Roland Brünken, Prof. Dr. Stefan Münzer, Prof. Dr. Birgit Spinath

Herausgeber der Reihe:

Prof. Dr. Eva Bamberg, Prof. Dr. Hans-Werner Bierhoff, Prof. Dr. Alexander Grob, Prof. Dr. Franz Petermann

Prof. Dr. Roland Brünken, geb. 1965. Studium der Psychologie, Philosophie und Germanistik in Trier, Düsseldorf und Aachen. 1998 Promotion. 2003–2006 Professor für Psychologie des Lehrens und Unterrichtens an der Georg-August-Universität Göttingen. Seit 2006 Professor für Empirische Bildungsforschung an der Universität des Saarlandes.

Prof. Dr. Stefan Münzer, geb. 1969. Studium der Psychologie und Musik in Frankfurt am Main, Wien und Saarbrücken. 2002 Promotion. Seit 2012 Professor für Bildungspsychologie an der Universität Mannheim.

Prof. Dr. Birgit Spinath, geb. 1969. Studium der Psychologie in Bielefeld. 1995–2002 wissenschaftliche Mitarbeiterin an den Universitäten Bielefeld, Hildesheim und Dortmund. 1999 Promotion. 2002–2004 Juniorprofessorin für Institutional Research an der Universität Dortmund. Seit 2004 Professorin für Pädagogische Psychologie an der Universität Heidelberg.

Informationen und Zusatzmaterialien zu diesem Buch finden Sie unter www.hogrefe.de/buecher/lehrbuecher/psychlehrbuchplus

Wichtiger Hinweis: Der Verlag hat gemeinsam mit den Autoren bzw. den Herausgebern große Mühe darauf verwandt, dass alle in diesem Buch enthaltenen Informationen (Programme, Verfahren, Mengen, Dosierungen, Applikationen, Internetlinks etc.) entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes abgedruckt oder in digitaler Form wiedergegeben wurden. Trotz sorgfältiger Manuskriptherstellung und Korrektur des Satzes und der digitalen Produkte können Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autoren bzw. Herausgeber und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sonstige Haftung, die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen Informationen oder Teilen davon entsteht. Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.

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Umschlagabbildung: © istockpohoto.com/Darek Niedzieski

Satz: Mediengestaltung Meike Cichos, Göttingen

Format: EPUB

© 2019 Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen

(E-Book-ISBN [PDF] 978-3-8409-2214-5; E-Book-ISBN [EPUB] 978-3-8444-2214-6)

ISBN 978-3-8017-2214-2

http://doi.org/10.1026/02214-000

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1 Einführung

1.1 Zielgruppe und Lehrziele des Buches

1.2 Was ist Pädagogische Psychologie?

1.3 Themen, Trends und Traditionen

1.4 Ausblick

Zusammenfassung

Fragen

Kapitel 2 Methodologische Grundlagen der Pädagogischen Psychologie

2.1 Wissenschaftstheoretische Grundlagen

2.1.1 Was ist eine wissenschaftliche Theorie?

2.1.2 Von der Theorie zur Empirie

2.2 Empirische Methoden in der Pädagogischen Psychologie

2.2.1 Unterschiedliche Aspekte der Anlage pädagogisch-psychologischer Studien

2.2.2 Datengewinnung

Zusammenfassung

Fragen

Kapitel 3 Lernen als Reaktionsverstärkung

3.1 Perspektiven auf Lernen

3.2 Lernen als Reaktionsverstärkung

3.2.1 Klassisches Konditionieren: Pawlow und der frühe Behaviorismus

3.2.2 Operantes Konditionieren: Skinner und die Wirkung von Verstärkung und Bestrafung

3.3 Lernen am Modell: Banduras sozial-kognitive Theorie

Modelle und Modelleigenschaften

Zusammenfassung

Fragen

Kapitel 4 Lernen als Informationsverarbeitung

4.1 Einleitung

4.2 Der Informationsverarbeitungsprozess

4.2.1 Wahrnehmen

4.2.2 Aufmerksamkeit

4.2.3 Das Arbeitsgedächtnis

4.2.4 Arbeitsgedächtnismodelle

4.3 Unterteilungen des Langzeitgedächtnisses

4.3.1 Das deklarative Gedächtnis

4.3.2 Das nicht-deklarative Gedächtnis

4.4 Entwicklung von Kategorien, Konzepten und Schemata

4.4.1 Kategoriale Unterscheidungen bei wahrnehmungsnahen Prozessen

4.4.2 Semantische Konzepte und Prototypen

4.4.3 Propositionen

4.4.4 Schemata und Skripte

4.5 Prozesse des Langzeitgedächtnisses

4.5.1 Speicherprozesse

4.5.2 Abrufprozesse

4.6 Erwerb kognitiver Fertigkeiten: Die ACT-Theorie

4.6.1 Das Zusammenspiel von prozeduralem und deklarativem Wissen

4.6.2 Steuerung des Verarbeitungsprozesses

4.6.3 Erwerb von Wissen

Zusammenfassung

Weiterführende Literatur

Fragen

Kapitel 5 Lernen als Expertiseerwerb

5.1 Einführung

5.2 Moderne Expertiseforschung: methodische Herausforderungen

5.2.1 Problem der Reproduzierbarkeit der Expertenleistung

5.2.2 Problem der Selektion bzw. Selbst-Selektion

5.2.3 Problem des impliziten Wissens

5.3 Charakterisierung der Expertise

5.3.1 Lösungsstrategien von Experten

5.3.2 Mentale Repräsentation

5.3.3 Perzeptuell-psychomotorische Fähigkeiten

5.4 Erwerb von Expertise

5.4.1 Investierte Zeit für Übung

5.4.2 Qualität der Übung

5.5 Welche Rolle spielt Begabung?

5.5.1 Expertiseforschung und Intelligenzforschung: unvereinbare Ansichten

5.5.2 Varianz in Intelligenz und Varianz in der Spielstärke im Schach

5.5.3 Die Frage domänenspezifischer Begabung („Talent“)

Zusammenfassung

Weiterführende Literatur

Fragen

Kapitel 6 Intelligenz als Merkmal von Lernenden

6.1 Einführung

6.2 Definition und Messung

6.3 Intelligenzmodelle

6.4 Vorhersage von Bildungs-, Ausbildungs- und Berufserfolg

6.4.1 Intelligenz und Bildungserfolg

6.4.2 Intelligenz und berufliche Anforderungen

6.5 Veränderbarkeit und Erblichkeit von Intelligenz

Zusammenfassung

Weiterführende Literatur

Fragen

Kapitel 7 Motivation als Merkmal von Lernenden

7.1 Bedeutung von Motivation für Lern- und Leistungsverhalten

7.2 Theorien und Konstrukte

7.2.1 Motivation als Abwägen von Erwartungen und Werten

7.2.2 Motivation als Zielverfolgung

7.2.3 Motivation als Bedürfnisbefriedigung

7.2.4 Motivation als Interesse

7.2.5 Motivation als Resultat von Selbstbewertungsprozessen

7.3 Motivationsförderung

7.3.1 Motivationsförderung durch Verwendung unterschiedlicher Bezugsnormen

7.3.2 Kurzinterventionen

7.3.3 Wirksamkeit von Ansätzen zur Motivationsförderung

Zusammenfassung

Weiterführende Literatur

Fragen

Kapitel 8 Selbstreguliertes Lernen

8.1 Das Lernen lernen

8.1.1 Eine andere Sicht auf Lernen

8.1.2 Übertragung auf Lernen

8.2 Modelle der Selbstregulation des Lernens

8.2.1 Strukturmodelle der Selbstregulation

8.2.2 Prozessmodelle der Selbstregulation

8.3 Lernstrategien und ihre Klassifikation

8.4 Training selbstregulierten Lernens

Zusammenfassung

Weiterführende Literatur

Fragen

Kapitel 9 Wissenserwerb mit neuen Medien

9.1 Einführung

9.2 Die Theorie der kognitiven Belastung

9.2.1 Begrenzte Arbeitsgedächtniskapazität für Lernprozesse

9.2.2 Messung von Lernerfolg und kognitiver Belastung

9.3 Die kognitive Theorie multimedialen Lernens

9.3.1 Lernen aus Text und Bild: Struktur und Verlauf der Informationsverarbeitung

9.3.2 Erklärung des „Multimedia-Effekts“

9.4 Designprinzipien für Multimedia

9.5 Theoretische Ergänzungen

9.5.1 Das integrative Modell des Text- und Bildverstehens

9.5.2 Berücksichtigung affektiver Prozesse

9.6 Wechselwirkungen zwischen Lernereigenschaften und instruktionalen Maßnahmen beim Lernen mit Multimedia

9.6.1 Die ATI-Hypothese

9.6.2 Vorwissen

9.6.3 Kognitiver Stil

Zusammenfassung

Weiterführende Literatur

Fragen

Kapitel 10 Instruktionspsychologie

10.1 Instruktionspsychologie: ein klassisches Thema der Pädagogischen Psychologie

10.1.1 Klassifikation von Instruktionstheorien

10.1.2 Theorie- und Modellbegriff der Instruktionspsychologie

10.2 Behavioristische Ansätze

10.2.1 Programmierter Unterricht

10.2.2 Lehrzieltaxonomien

10.2.3 Kritik an behavioristischen Instruktionsmodellen

10.3 Kognitive Ansätze

10.3.1 Lehrfunktionen

10.3.2 Motivationsdesign

10.3.3 Instructional-Design-Theorien

10.3.4 Kritik an kognitiven ID-Modellen

10.4 Konstruktivistische Ansätze

10.4.1 Problembasiertes Lernen

10.4.2 Beispiele PBL-orientierter Instruktionsansätze

10.4.3 Kritik an PBL-basierten Instruktionsmodellen

Zusammenfassung

Weiterführende Literatur

Fragen

Kapitel 11 Bedingungen guten Unterrichts

11.1 Einführung

11.2 Qualitätsmerkmale des Unterrichts

11.2.1 Bestimmung von Qualitätsmerkmalen

11.2.2 Klassenführung

11.2.3 Klarheit und Strukturiertheit

11.2.4 Kognitive Aktivierung

11.2.5 Lernförderliches Klima

11.3 Lehrerprofessionalität

11.3.1 Lehrerpersönlichkeit

11.3.2 Expertise

11.3.3 Ein Strukturmodell von Lehrerkompetenzen

Zusammenfassung

Weiterführende Literatur

Fragen

Kapitel 12 Kognitives Training

12.1 Einführung

12.2 Konsistente und inkonsistente Aufgaben

12.3 Effektstärke und Wirkungsbreite

12.4 Validität eines kognitiven Trainings

12.4.1 Konvergente Validität, Bereichsspezifität

12.4.2 Nicht intendierte Trainingswirkungen

12.4.3 Drei-Gruppen-Plan

12.4.4 Konstruktvalidität

12.5 Trainingsansätze

Testaufgaben trainieren

12.6 Unterschiede der Wirkung von Trainings zwischen Personen

12.6.1 Wirkungen auf die Leistungsvarianz

12.6.2 Positive Status-Gewinn-Korrelation: Der „Matthäus-Effekt“

12.7 Beispiel 1: Training des induktiven Denkens

12.7.1 Definition und Trainingskonzeption

12.7.2 Metaanalyse zur Abschätzung des durchschnittlichen Effekts des induktiven Denktrainings

12.8 Beispiel 2: Förderung räumlicher Fähigkeiten

12.8.1 Definition und Trainingskonzeption

12.8.2 Metaanalyse zur Abschätzung des durchschnittlichen Effekts von Trainings räumlicher Fähigkeiten

Zusammenfassung

Weiterführende Literatur

Fragen

Anhang

Literatur

Glossar

Sachregister

|11|Kapitel 1Einführung

|12|1.1 Zielgruppe und Lehrziele des Buches

Die Pädagogische Psychologie boomt. Im Rahmen der psychologischen Anwendungsfächer hat sie in den letzten Jahren einen rasanten Zuwachs zu verzeichnen, sowohl hinsichtlich ihrer Forschungsindikatoren (Publikationen, Drittmitteleinwerbungen, Berufungen auf Professuren) als auch ihrer praktischen Bedeutung, insbesondere im Diskurs der Empirischen Bildungsforschung und – nicht zuletzt – der Anzahl ihrer Lehrbücher und Nachschlagewerke (Hasselhorn & Gold, 2017; Klauer & Leutner, 2012; Renkl, 2008; Rost, Sparfeldt & Buch, 2018; Seidel & Krapp, 2014; Schnotz, 2011; Wild & Möller, 2015 etc.). Warum und mit welchem Ziel also, so kann man berechtigt fragen, noch ein Lehrbuch der Pädagogischen Psychologie?

Mit der Umstellung der Psychologieausbildung an den deutschen Universitäten vom Diplom- auf ein Bachelor-Master-System (BSc/MSc) ist auch für die Pädagogische Psychologie eine neue Situation entstanden. Das Rahmenmodell zur Ausgestaltung des BSc/MSc-Angebots der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPs, 20051) fasst die Pädagogische Psychologie unter die „etablierten Anwendungsfächer der Psychologie“ und sieht deren Einführung im Studienmodell schon für das 3. und 4. Fachsemester im Bachelor-Studiengang vor. Dies bedeutet, dass im Unterschied zur Diplomausbildung, in der die Pädagogische Psychologie zum Spektrum der Fächer des Hauptstudiums gehörte und damit auf einem breiten, allgemein ausbildenden Grundstudium aufbauen konnte, die Vermittlung pädagogisch-psychologischer Konzepte und Erkenntnisse im Rahmen des Bachelor sehr viel voraussetzungsfreier erfolgen muss. Damit müssen zentrale Konzepte, etwa der Lernpsychologie oder der Kognitiven Psychologie, mit in die Darstellung der Pädagogischen Psychologie aufgenommen werden, ohne selbst dort genuin verortet zu sein. Hierin sehen wir denn auch die Hauptzielrichtung des hier vorgelegten Lehrbuchs: eine voraussetzungsarme Einführung in das Gebiet der Pädagogischen Psychologie für Bachelor-Studierende zu liefern, die zentrale methodische und inhaltliche Konzepte der Psychologie dort aufgreift und darstellt, wo sie für die Pädagogische Psychologie relevant sind, ohne sie für das Fach vereinnahmen zu wollen. Zugleich wird das Buch damit auch für solche Studierende relevant, die sich mit den Gegenständen und Erkenntnissen der Pädagogischen Psychologie in thematisch benachbarten, aber fachfremden Disziplinen befassen. Hier sehen wir in erster Linie Lehramtsstudierende im Rahmen ihrer bildungswissenschaftlichen |13|Ausbildung, aber auch beispielsweise Betriebswirte oder Informatiker, die sich unter anderem mit Lehr-, Lern- und Ausbildungsprozessen oder der Gestaltung von computerunterstützten Lehr-Lernszenarien befassen.

Mit der Definition der Zielgruppe ist schon eine pädagogisch-psychologische Forderung an guten Unterricht erfüllt. Eine zweite, nicht minder wichtige, besteht in der Definition der Lehrziele, also dessen, von dem die Autoren wünschen, dass es die Leserinnen und Leser lernen mögen (Klauer, 1987; Klauer & Leutner, 2012). Auch wenn wir auf die kognitive und motivationale Bedeutung von Lehrzielen im Rahmen des Buches noch genauer eingehen werden, sei so viel bereits vorweggesagt: Lehrziele sollten (1) konkret und (2) überprüfbar sein. Folgt man der Argumentation von Vertretern behavioristischer Lehrzieldefinitionen, dann besteht ein Lehrziel in der Bewältigung einer Menge von Aufgaben, die ihrerseits wiederum einen Gegenstandsbereich vollständig oder repräsentativ abbilden (Klauer, 1987). Der Grad der Lehrzielerreichung wird dabei als eine bestimmte Menge von Aufgaben definiert, die ein Lernender aus einer solchen Aufgabenmenge lösen kann. Man sieht hier schon eine gewisse Neigung von Pädagogischen Psychologen zur Formalisierung – schließlich sagt eine solche Definition immer noch nichts darüber aus, was denn ein Lerner nun konkret können soll, wenn er mit diesem Lehrbuch gelernt und es verstanden hat (was nicht dasselbe ist). Wir gehen diesem Problem gesondert im Band zur pädagogisch-psychologischen Diagnostik (Spinath & Brünken, 2016) nach. Dort sehen wir auch, dass Fähigkeiten im Umgang mit diagnostischen Methoden zu den Kernkompetenzen Pädagogischer Psychologen gehören, die in vielfältigen Anwendungskontexten von Bedeutung sind. Es wäre jedoch überfordernd, von einem einführenden Lehrbuch für BSc-Studierende zu erwarten, alle für den Erwerb solcher Kernkompetenzen notwendigen Informationen bieten und anhand eingehender Beispiele illustrieren und üben zu können. Ziel ist es vielmehr, die aus unserer Sicht relevanten Bereiche anzureißen und hinsichtlich ihrer zentralen theoretischen Konzepte und empirischen Befunde schlaglichtartig zu beleuchten. Das Buch soll im besten Fall neugierig machen, Fragen hervorrufen, Interesse wecken und Hinweise geben, wo und wie es weitergehen soll und kann. Wir gehen dabei davon aus, dass der Leser über gewisse grundlegende wissenschaftstheoretische und methodische Kenntnisse in Hinblick auf die empirischen Humanwissenschaften verfügt, soweit diese nicht spezifisch für den Bereich der Pädagogischen Psychologie sind – eben das, was ein Psychologiestudierender in seinen ersten beiden Semestern kennengelernt hat, etwa im Rahmen von Methodenlehrevorlesungen, Empiriepraktika und einführenden Veranstaltungen. Spezielle statis|14|tische Kenntnisse erwarten wir nicht. Dort, wo wir sie benötigen und nicht selbst erklären, werden wir auf entsprechende Referenzen verweisen.

1.2 Was ist Pädagogische Psychologie?

Die Frage nach einer soliden Definition des Gegenstandsbereiches, den man zu beschreiben beabsichtigt, steht vernünftigerweise am Anfang jeder guten wissenschaftlichen Abhandlung. Sie zu beantworten ist jedoch ungleich schwieriger, zumal wenn es sich um ein so komplexes Feld handelt, wie das unsrige. Man kann sich dieser Frage dabei auf verschiedene Weisen nähern: historisch, indem man sich die Anfänge des Faches und seine Entwicklung ansieht; empirisch, indem man schaut, was unter dem Label der Pädagogischen Psychologie gemacht, also beispielsweise publiziert wird, oder systematisch, indem man versucht, den Gegenstandsbereich zu definieren und anschließend in seine Komponenten zu zerlegen. Oder man schreibt bei denen ab, die sich vorher schon darum Gedanken gemacht haben.

Versuchen wir es probehalber zunächst mit letzter Strategie und schauen uns an, welche Themen in einer (nicht erschöpfenden) Reihe derzeit aktueller nationaler und internationaler Lehrbücher besprochen werden (vgl. Tab. 1).

Neben vielen Besonderheiten der einzelnen Bücher finden wir einige bemerkenswerte Gemeinsamkeiten: Im Mittelpunkt aller Lehrbücher stehen die Themen Lernen, Lehren und Diagnostizieren. Man kann also wohl festhalten, dass weitgehend Einigkeit darüber besteht, dass es in der Pädagogischen Psychologie um die Frage geht, wie Menschen lernen, wie man diese Lernprozesse systematisch unterstützen kann (Lehren) und wie man feststellen kann, ob die Lehr- und Lernbemühungen erfolgreich waren (Diagnostizieren). Zudem befassen sich die Autorinnen und Autoren der Lehrbücher mit den Voraussetzungen erfolgreicher Lernprozesse, ihren Rahmenbedingungen sowie – insbesondere amerikanische Lehrbücher – mit interindividuellen Unterschieden zwischen verschiedenen Lernern und darauf bezogenen, differenzierten Lehranforderungen.

|15|Tabelle 1: Themenschwerpunkte aktueller Lehrbücher zur Pädagogischen Psychologie

Seidel & Krapp (2014)

Renkl (2008)

Lukesch (2001)

Wild & Möller (2015)

Klauer & Leutner (2012)

Hasselhorn & Gold (2017)

Nolting & Paulus (2016)

Schnotz (2011)

Slavin (2011)

Sternberg & Williams (2009)

Woolfork (2014)

Ormrod (2013)

Mayer (1999)

Einführung, Geschichte, wissenschaftstheoretische Grundlagen & Methoden

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Erziehung & Sozialisation

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Lernen, Expertiseerwerb, Kompetenzerwerb

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Lehren & Unterrichten

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Persönlichkeit des Lehrers/Erziehers

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Pädagogische Interaktion, Lernumwelten

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Medien

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Diagnostik & Evaluation, Assessment

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Beratung & Intervention

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|16|Motivation & Emotion

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Lerner: Persönlichkeit & Gender

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Entwicklung

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Individuelle Unterschiede, ATI, special needs

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Besonderheiten

nur Lehren und Lernen

nur Lehren und Lernen

nur Lehren und Lernen: domänen-spezifisch

Ein Thema, das interessanterweise in modernen Lehrbüchern der Pädagogischen Psychologie im Vergleich zu älteren deutlich seltener auftaucht, ist das Thema Erziehung und Sozialisation. Dies bedeutet nicht, dass das Thema in der Pädagogischen Psychologie keine Rolle spielt; es hat eine lange Geschichte (Tausch & Tausch, 1998) und es gibt auch |17|spezielle Lehrbücher dazu (z. B. Fuhrer, 2009), aber es zeigt doch, dass der aktuelle Fokus der Pädagogischen Psychologie auf Bildungsprozesse generell und auf schulische Bildungsprozesse insbesondere gerichtet ist. Dies mag mit dem eingangs erwähnten internationalen Boom der Empirischen Bildungsforschung insgesamt zu tun haben, der das Interesse nicht nur, aber auch der Pädagogischen Psychologie (aber auch der Erziehungswissenschaft) auf diesen Bereich gelenkt hat – nicht zuletzt bedingt durch die Förderpolitik einschlägiger Forschungsförderer, wie der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Versuchen wir vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen eine erste Definition unseres Gegenstandbereiches, dann könnte diese wie folgt lauten:

Begriffsklärung: Pädagogische Psychologie

Die Pädagogische Psychologie befasst sich mit psychologischen Konzepten in pädagogischen Kontexten, insbesondere in Lehr-Lernkontexten. Im Mittelpunkt stehen dabei die Analyse, Gestaltung und Diagnose von Voraussetzungen, Rahmenbedingungen und Prozessen erfolgreichen Erwerbs kognitiver und sozialer Kompetenzen über die gesamte Lebensspanne.

1.3 Themen, Trends und Traditionen

Hermann Ebbinghaus(1850–1909)

Ein bekannter Ausspruch des Psychologen Hermann Ebbinghaus besagt, die Psychologie habe eine lange Vergangenheit, aber nur eine kurze Geschichte. Üblicherweise wird die Geburtsstunde der akademischen Psychologie mit der Gründung des ersten psychologischen Laboratoriums durch Wilhelm Wundt 1879 in Leipzig verknüpft. Aber die Tradition psychologischer Fragestellungen greift natürlich sehr viel weiter zurück bis in die Anfänge europäischer Geistesgeschichte in der griechischen Antike. Dies gilt natürlich auch für die Pädagogische Psychologie, die zudem ihre Wurzeln nicht nur in der Psychologie, sondern auch in der Pädagogik hat. Andreas Krapp (2005a; Krapp, Prenzel & Weidenmann, 2006) weist in diesem Zusammenhang auf die enge Verknüpfung der Pädagogischen Psychologie mit der Entwicklung der (Gymnasial-)Lehrerbildung hin und datiert die Geburtsstunde der Pädagogischen Psychologie auf das Jahr 1824: In diesem Jahr wurde ein Dekret des preußischen Schulministeriums erlassen, das festlegte, dass Kandidaten für das höhere Lehramt neben fachlichen auch über philosophische und psychologische Kenntnisse verfügen mussten. Dies |18|führte zur Einrichtung von Professuren (für Philosophie), an denen auch (Pädagogische) Psychologie unterrichtet wurde. Wilhelm Wundt (1832–1920), der Begründer der Psychologie, hatte im Übrigen genau einen solchen Lehrstuhl inne.

Bezeichnend für die Geschichte der Pädagogischen Psychologie ist weiterhin ihre enge Beziehung zur Pädagogik, die bereits in dieser Gründerzeit bestand und sich – nach auseinanderlaufenden Entwicklungen im weiteren Verlauf – in jüngerer Zeit wieder aufeinander zubewegen. Dies zeigt sich schon in der verwendeten Begrifflichkeit, die keine klare Unterscheidung zulässt. So tragen zwei der historisch bedeutendsten Schriften der Pädagogischen Psychologie die Titel „Experimentelle Pädagogik“: Ernst Meumanns „Vorlesungen zur Einführung in die experimentelle Pädagogik“ von 1907 und Wilhelm August Lays „Experimentelle Pädagogik“ von 1908. Beide versuchen eine Verbindung der experimentellen Methodik der damals „neuen“ Wissenschaft der Psychologie mit Fragestellungen der weitaus älteren, an geisteswissenschaftlichen Traditionen orientierten Pädagogik.

Die Debatte um den methodischen Zugang zu pädagogischen Gegenstandsbereichen stellt auch im Folgenden und bis in die jüngste Zeit eine zentrale Differenzierungsdimension zwischen einer eher pädagogischen und einer eher psychologischen Herangehensweise dar. Während die Pädagogische Psychologie in der Tradition der anglo-amerikanischen Lernpsychologie einen streng empirischen, häufig experimentellen Zugang wählt, ist die Methodenwahl in der Pädagogik weit weniger eindeutig festgelegt. Während über einen langen Zeitraum hier eine eher geisteswissenschaftlich hermeneutische Herangehensweise bevorzugt wurde, gab es innerhalb der Pädagogik immer auch – wenn auch oft nur von einer Minderheit vertreten – eine empirische Tradition, häufig vertreten durch Lehrstuhlinhaber, die entweder aus der Psychologie kamen, oder eine hohe Affinität dazu besaßen. Bis heute finden sich viele Vertreter der Pädagogischen Psychologie daher auf Lehrstühlen für Erziehungswissenschaft oder für Empirische Pädagogik. Und lange vor Gründung der Fachgruppe Pädagogische Psychologie in der Deutschen Gesellschaft für Psychologie im Jahr 1986 gründeten Pädagogische Psychologen und empirische Pädagogen die Arbeitsgruppe für Empirische Pädagogische Forschung (AEPF) im Jahr 1965, die heute ein Teil der Sektion Empirische Bildungsforschung der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft ist.

|19|Tabelle 2: Historische Meilensteine der Pädagogischen Psychologie

Jahr

Ereignis

Kommentar

1824

Dekret des preußischen Schulministeriums

Einrichtung von Professuren für Philosophie und Psychologie an höheren Lehrerbildungsstätten

1879

Einrichtung des ersten psychologischen Laboratoriums durch Wilhelm Wundt

Gründung der experimentellen Psychologie

1899

Gründung der Zeitschrift für Pädagogische Psychologie

1907

Ernst Meumann: „Vorlesungen zur Einführung in die experimentelle Pädagogik“

1908

Wilhelm-August Ley: „Experimentelle Pädagogik“

Beginn des 20. Jahrhunderts

Begründung des Behaviorismus in den USA

1913: E. L. Thorndike „Educational Psychology“

1941

Einführung einer allgemeinen Diplomprüfungsordnung Psychologie

1960er Jahre

„kognitive Wende“ in der Psychologie

1960er Jahre

Erste „Bildungskatastrophe”

Gründung verschiedener außeruniversitärer Forschungseinrichtungen:

1963: MPIB Berlin

1966: IPN Kiel

1967: DIFF Tübingen (heute: IWM)

|20|1965

Gründung der AEPF

1974

„Funk-Kolleg Pädagogische Psychologie“

Weinert, Graumann, Heckhausen & Hofer (1974)

1986

Gründung der Fachgruppe Pädagogische Psychologie in der DGPs

Um 1996

Konstruktivismus-Debatte

1996: Anderson-Greeno-Debatte (vgl. Kap. 10)

2000

„PISA-Schock“

Nach 2000

Bologna-Prozess

Umstrukturierung der Psychologieausbildung, Einführung des BSc/MSc-Systems

2012

Gründung der Gesellschaft für Empirische Bildungsforschung GEBF

Neben diesen bis heute vorhandenen strukturellen Verflechtungen der Disziplinen sind es natürlich vor allem gemeinsame wissenschaftliche Interessen und bearbeitete Fragestellungen, die die Pädagogische Psychologie mit der empirischen Pädagogik verbinden und beide Disziplinen unter dem Begriff der Bildungswissenschaften zusammenfügen, zu denen darüber hinaus neben der Bildungssoziologie auch die empirisch orientierten Fachdidaktiken zu zählen sind und die – spätestens seit dem „PISA-Schock“ – im Mittelpunkt der aktuellen Reformbemühungen im deutschen Bildungssystem stehen (Deutsches PISA-Konsortium, 2001). Die gegenwärtige Bildungsdebatte ist im Übrigen weder neu noch in ihren Auswirkungen innovativ. Bereits in den 1960er Jahren machte das Wort von der „Bildungskatastrophe“ die Runde (Picht, 1964) und führte zu vielfältigen politischen und wissenschaftlichen Aktivitäten (Krapp, 2005a), die nicht zuletzt zu einer Zunahme der staatlichen Förderung der Bildungsforschung und zur Gründung nationaler Forschungsinstitute, wie dem Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin, führte. 2012 schließlich hat sich infolge des |21|Booms der empirisch orientierten Bildungsforschung eine interdisziplinäre Gesellschaft für Empirische Bildungsforschung (GEBF) gegründet, der neben Pädagogen und Psychologen auch Soziologen und Fachdidaktiker angehören, die sich für die empirische Analyse von Bildungsprozessen interessieren (vgl. auch Tab. 2).

Solche öffentlichen Debatten, und mehr noch, die dadurch ausgelöste Bereitschaft zur vermehrten Förderung von Forschung und Entwicklung in diesem Bereich, beeinflussen natürlich die Themenwahl der Forschung, auch in der Pädagogischen Psychologie. Moderne Forschung ist ohne sogenannte „Drittmittelförderung“ nicht denkbar, die dafür verfügbaren Ressourcen sind begrenzt und die Gewinnchancen im Wettbewerb um Mittel unterliegen nicht nur Kriterien der wissenschaftlichen Exzellenz, sondern eben auch den Moden gerade aktueller Fragestellungen. Dies gilt mit Blick auf die Pädagogische Psychologie im Übrigen nicht nur für den schulischen Bildungsbereich. Ein weiteres besonders erfolgreiches Thema der internationalen Forschung, das Lernen mit neuen Medien (Brünken & Leutner, 2008), wäre ohne die wachsende gesellschaftliche Bedeutung der Informationstechnologie in den letzten zwanzig Jahren sicher ebenso wenig denkbar wie die intensiven Debatten um beispielsweise die Modellierung von Bildungsstandards ohne PISA. In einem neueren Übersichtsartikel für die Psychologische Rundschau beschreiben Spinath und Kollegen (Spinath, Hasselhorn, Artelt, Köller, Möller & Brünken, 2012) die derzeitigen Schwerpunkte pädagogisch-psychologischer Forschungsinteressen systematisiert vor dem Hintergrund einer prototypischen lebenslangen Bildungskarriere. Auch hier wird die enge Verflechtung der Pädagogischen Psychologie mit den übrigen Bildungswissenschaften ebenso wie mit aktuellen gesellschaftlichen Strömungen deutlich. Klar wird aber auch die Kontinuität einiger Kernfragestellungen, die die Forschung bearbeitet.

Will man sich einen ersten Überblick über aktuelle Themen der pädagogisch-psychologischen Forschung verschaffen, tut man dies am effektivsten, indem man einen Blick in die aktuelle Literatur wirft. Nur welche Literatur ist aktuell? Wo soll man suchen? Was ist relevant, was nicht? Mit diesen und ähnlichen Fragen sehen sich insbesondere Studienanfänger in allen Teildisziplinen ihres Fachs konfrontiert: es gibt Dutzende, vielleicht Hunderte von Fachzeitschriften, nationale, internationale, fachspezifische, themenspezifische, inter- und transdisziplinäre etc. Dazu kommen wissenschaftsjournalistische Organe, Bücher, Tagungsbände, Proceedings, Herausgeberwerke und – natürlich – Lehrbücher. Wie soll man da einen Überblick erhalten?

|22|Exkurs: Publizieren in der (Pädagogischen) Psychologie

Wie alle psychologischen Teildisziplinen versteht sich die Pädagogische Psychologie als international orientierte, empirisch arbeitende Humanwissenschaft, die ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse in einer möglichst breiten Fachöffentlichkeit schnell und umfassend diskutieren will. Dazu bedient sie sich in erster Linie zweier Kommunikationsformen: (1) wissenschaftlicher Vorträge auf Fachkonferenzen und (2) Publikation ihrer Forschungsergebnisse in Fachzeitschriften.

Obwohl die allgemeine Lingua franca der Psychologie Englisch ist, spielt in der Pädagogischen Psychologie auch die jeweilige Nationalsprache in der Wissenschaftskommunikation eine bedeutende Rolle (mehr als beispielsweise in der Allgemeinen Psychologie; Schui & Krampen, 2007), was nicht zuletzt an der beschriebenen Vernetzung mit anderen wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Gruppen liegt. Insofern sind deutsche Pädagogische Psychologen in aller Regel bemüht, sowohl national als auch international Präsenz zu zeigen. Das dazu geeignetste Verfahren ist die aktive Teilnahme an wichtigen Fachkongressen. Auf nationaler Ebene gehören dazu die Tagung der Fachgruppe Pädagogische Psychologie und der die gesamte Psychologie repräsentierende Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychologie, die im jährlichen Wechsel stattfinden, sowie die Arbeitstagung der Arbeitsgruppe Empirische Pädagogische Forschung (AEPF) und die Tagung der Gesellschaft für Empirische Bildungsforschung (GEBF). International bedeutsam sind vor allem der alle zwei Jahre stattfindende Kongress der European Association for Research on Learning and Instruction (EARLI2) sowie die jährliche Tagung der American Educational Research Association (AERA3).

Nicht ganz so aktuell, aber wesentlich nachhaltiger, ist die zweite Kommunikationsform: das Publizieren in Fachzeitschriften. In der Psychologie hat sich dazu insgesamt ein Qualitätssicherungsverfahren durchgesetzt, das als (blind) Peer Review bezeichnet wird. Dazu sendet ein Autor sein Manuskript an den oder die Herausgeber einer Zeitschrift, die ihm als Publikationsorgan besonders geeignet erscheint. Dieser Herausgeber leitet das Manuskript zur Begutachtung an in der Regel zwei bis drei Fachkollegen weiter, mit der Bitte um schriftliche Stellungnahme zur Qualität des Manuskripts. Erfolgt diese Weitergabe anonymisiert, also unter Weglassung des oder der Autorennamen des Manuskripts, spricht man von „blind review“. Dieses international von vielen Zeitschriften angewandte Verfahren soll dazu dienen, dass sich die Gutachter bei der Beurteilung des Manuskripts nicht von sachfremden Erwägungen leiten lassen – beispielsweise ob sie den Autor kennen oder nicht, ob sie |23|ihn mögen oder vielleicht auf seinen Erfolg neidisch sind. Der Herausgeber entscheidet dann auf der Basis der Begutachtung, ob ein Manuskript zur Veröffentlichung angenommen (accept) wird oder nicht (reject). Oft erhalten die Autoren dabei noch einmal die Gelegenheit, auf Kritikpunkte der (in der Regel dann ebenfall anonymisierten) Gutachten einzugehen und das Manuskript entsprechend verändert erneut einzureichen (revise and resubmit).

Je nachdem, wie attraktiv eine Zeitschrift für die Autoren erscheint, unterscheiden sich die Zeitschriften in der Menge an eingereichten Manuskripten. Da jede Zeitschrift nur ein begrenztes Platzangebot hat, führt dies dazu, dass besonders beliebte Zeitschriften besonders kritisch bei der Auswahl ihrer Artikel sein können und auch viele gute Beiträge ablehnen. Autoren sind daher oft gezwungen, ihre Beiträge nach und nach bei mehreren Zeitschriften einzureichen, bis sie akzeptiert werden. Dies führt oft zu nicht unerheblichen zeitlichen Verzögerungen bei der Veröffentlichung wissenschaftlicher Ergebnisse. Selbst bei optimalem Verlauf dauert es oft etwa zwei Jahre von der Einreichung bis zur endgültigen Veröffentlichung. In den letzten Jahren haben daher viele renommierte Zeitschriften internetbasierte Journal-Management-Systeme eingeführt, in denen Artikel online eingereicht werden, der Begutachtungsprozess durchgeführt wird und in dem angenommene Artikel vorab veröffentlicht werden können.

Ein weiterer Indikator für die Qualität eines Publikationsorgans, der auch für den Leser ersichtlich ist, ist der Journal Impact Factor (JIF). Hierbei handelt es sich um eine auf bibliometrischen Analysen basierende Kennzahl für die gesamte Zeitschrift (nicht für den einzelnen Artikel). Dabei wird die Menge der von einer Zeitschrift in einem bestimmten Zeitraum publizierten Artikel ins Verhältnis gesetzt zur Anzahl der Zitationen von Artikeln dieser Zeitschrift in anderen Fachzeitschriften. Der JIF (veröffentlicht in Journal Citation Reports, JCR) wird regelmäßig auf der Basis einer internationalen Datenbank sozialwissenschaftlicher Zeitschriften, dem SSCI (Social Science Citation Index) vom Thomson Institut for Science Information (Thomson ISI4) erstellt. Viele Zeitschriften, insbesondere die renommierteren, veröffentlichen die betreffenden bibliometrischen Analysen beispielsweise auf ihrer Homepage. Neben dem zeitschriftenbezogenen Impact Factor existieren weitere bibliometrische Kennwerte, die publikations- oder autorenbezogene Auswertungen erlauben. Zu den bekanntesten gehört der h-Index (Hirsch, 2005), der anzeigt, wie häufig die Arbeiten einer Person in anderen wissenschaftlichen Veröffentlichungen aufgegriffen werden.

|24|Von geringerer Bedeutung für die wissenschaftliche Reputation, im Unterschied zu anderen wissenschaftlichen Disziplinen wie zum Beispiel der Informatik, sind sogenannte Proceedings. In diesen werden die Beiträge von Konferenzen gesammelt veröffentlicht. Sie haben oft ein unklares Review-Verfahren, besitzen dafür aber den Vorteil, häufig aktueller zu sein als Zeitschriften. Ebenso von geringerer Bedeutung für die Veröffentlichung aktueller Forschungsergebnisse sind in der Psychologie, auch dies im Unterschied etwa zur Pädagogik, Herausgeberwerke und Buchpublikationen.

Wirft man einen Blick auf das Ranking einschlägiger Fachzeitschriften und schränkt den Blick auf diejenigen Zeitschriften ein, die einen weiten und mit Bezug auf Bildungsprozesse besonderen Verbreitungsraum haben, könnte man zu der in Tabelle 3 dargestellten, wenn auch zugegebenermaßen recht subjektiven Liste wichtiger Zeitschriften gelangen.

Was aber sind nun inhaltlich aktuelle Schwerpunkte der Pädagogischen Psychologie? Versuchen wir uns der Frage wiederum empirisch zu nähern und analysieren exemplarisch die Publikationen der Zeitschrift für Pädagogische Psychologie im Zeitraum von 2007 bis 2013. Insgesamt sind in dieser Zeit 140 Originalarbeiten (ohne Editorials, Kommentare und Buchbesprechungen) erschienen. Sieben Themenbereiche wurden dabei in Schwerpunktheften durch Gastherausgeber mit jeweils mehreren Artikeln besprochen: Motivation (Heft 3/4, 2007), Aktiver Wissenserwerb (Heft 2, 2008), Promoting Self-Regulated Learning Through Prompts (Heft 2, 2009), Diagnostische Kompetenz von Lehrkräften (Heft 3/4, 2009), Förderung selbstregulierten Lernens im schulischen Kontext (Heft 3/4, 2010), The Modality effect: Boundary Conditions and Constraints (Heft 4, 2011), Professionalisierung von Lehrerinnen und Lehrern (Heft 4, 2012).

Einen weiteren Hinweis auf thematische Schwerpunkte findet man, wenn man die Artikel nach der von der American Psychological Association (APA) vorgeschlagenen thematischen Einteilung der Pädagogischen Psychologie (vgl. Schui & Krampen, 2007) klassifiziert. Diese sieht eine Einteilung in insgesamt sieben Themengebiete vor:

Bildungsorganisation und Pädagogisches Personal

Curricula, Bildungsprogramme und Unterrichtsmethoden

Lernen und Leistung in Bildungseinrichtungen

Interaktion im Klassenraum, Anpassung und Einstellungen von Schülern und Studierenden

Sonderpädagogik und Förderunterricht

Hochbegabte und Talentierte

Schul- und Bildungsberatung

|25|Tabelle 3: Wichtige Zeitschriften in der Pädagogischen Psychologie

Peer Review

Impact

Bemerkung/Webseite

national

Zeitschrift für Pädagogische Psychologie

X

5 Year Impact Factor: 1.093

https://www.hogrefe.de/produkte/zeitschriften/zeitschrift-fuer-paedagogische-psychologie

Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie

X

JCR: 0.667

http://www.hogrefe.de/zeitschriften/zeitschrift-fuer-entwicklungspsychologie-und-paedagogische-psychologie

Psychologie in Erziehung und Unterricht

X

JCR: 0.362

http://www.reinhardt-verlag.de/de/zeitschrift/4440/Psychologie_in_Erziehung_und_Unterricht

Unterrichtswissenschaft

X

https://link.springer.com/journal/42010

Diagnostica

X

Impact Factor: 1.059

http://www.hogrefe.de/zeitschriften/diagnostica

Zeitschrift für Pädagogik

X

JCR: 0.260

http://www.beltz.de/de/nc/paedagogik/zeitschriften/zeitschrift-fuer-paedagogik.html

|26|international

Journal of Educational Psychology

X

Impact Factor: 3.459

http://www.apa.org/pubs/journals/edu/index.aspx

Educational Psychologist

X

JCR: 3.289

http://www.tandfonline.com/toc/hedp20/current

Educational Researcher

X

Impact Factor 2016: 3.827

http://journals.sagepub.com/home/edr

Educational Psychology Review

X

Impact Factor 2016: 4.333

https://www.springer.com/education+&+language/journal/10648

Educational and Psychological Measurement

X

Impact Factor 2016: 1.548

http://journals.sagepub.com/home/epm

Learning and Instruction

X

Impact Factor 2016: 3.983

http://www.journals.elsevier.com/learning-and-instruction/

European Journal of Psychology of Education

X

Impact Factor 2016: 1.556

https://www.springer.com/education+&+language/journal/10212

|27|British Journal of Educational Psychology

X

Impact Factor: 2.403

https://onlinelibrary.wiley.com/journal/20448279

Instructional Science

X

Impact Factor 2016: 1.690

https://www.springer.com/education+&+language/learning+&+instruction/journal/11251

Applied Cognitive Psychology

X

Impact Factor: 1.633

https://onlinelibrary.wiley.com/journal/10990720

Cognition and Instruction

X

JCR: 1.179

https://www.tandfonline.com/toc/hcgi20/current

Learning and Individual Differences

X

Impact Factor 2016: 1.650

http://www.journals.elsevier.com/learning-and-individual-differences

Journal of the Learning Sciences

X

JCR: 3.036

https://www.tandfonline.com/toc/hlns20/current

|28|Auch wenn die Klassifikationen nicht wirklich trennscharf sind, zeigt sich doch schon hier ein Trend in der aktuellen pädagogisch-psychologischen Forschung. Die Artikel über die sieben Kategorien sind keinesfalls gleich verteilt, vielmehr überwiegen die Kategorien Curricula, Bildungsprogramme und Unterrichtsmethoden (42 Artikel), Interaktion im Klassenraum, Anpassung und Einstellungen von Schülern und Studierenden (38 Artikel), Bildungsorganisation und Pädagogisches Personal (28 Artikel) sowie Lernen und Leistung in Bildungseinrichtungen (16 Artikel). Eine Analyse der Schlagworte der Beiträge kann dies nochmals präzisieren. 420 analysierte Schlagworte der 140 Artikel (jeweils die ersten drei) verteilen sich dabei wie folgt auf nur wenige zentrale Kategorien: Schülerkompetenzen (90), Unterricht (64), Lehrerkompetenzen (58), Motivation (54), Lernen (42), Emotion (13), Methoden (19), Rahmenbedingungen (19), Sonstige (61). Die häufigsten Einzelthemen, die dabei untersucht wurden, sind Lernstrategien und Selbstregulation (28), Lesekompetenz (23), Multimediales Lernen (20), diagnostische Kompetenz von Lehrern (16), Selbstwirksamkeit und Selbstkonzept (13) sowie Ziele, Zielauswahl und Handlungsplanung (10).

Diese kleine Analyse zeigt schon, dass bei aller Breite des Fachs und der in ihm abgedeckten Themenfelder die Forschung immer wieder auf spezifische, oft sehr eng umgrenzte Themengebiete fokussiert. Im Kontext der Empirischen Bildungsforschung ist dabei auffallend, dass die Pädagogische Psychologie in der Regel eine individuumsbezogene Perspektive vertritt. Systembezogene Faktoren, wie etwa der Einfluss von Bildungssystemvariablen werden deutlich seltener thematisiert als in anderen Bildungswissenschaften, wie der Erziehungswissenschaft und der Soziologie. Hierin zeigt sich die – bei aller Interdisziplinarität – deutliche Verwurzelung der Pädagogischen Psychologie in der Tradition der psychologischen Forschung.

1.4 Ausblick

Man kann also präzisierend die Pädagogische Psychologie als die wissenschaftliche Disziplin der vorwiegend individuumsbezogenen Analyse und Förderung psychologischer Prozesse in Lehr-Lernkontexten auffassen. Daran wird sich die Gliederung des Buches orientieren. Dazu werden zunächst und in Rückgriff auf die allgemeinen Methoden der Psychologie die für die pädagogisch-psychologische Forschung besonders relevanten Methoden kurz skizziert. Ein erster Schwerpunkt wird auf den lernpsychologischen Grundlagen liegen, die dann um indivi|29|duelle Bedingungen erfolgreichen Lernens erweitert werden. Darauf aufbauend werden Methoden der erfolgreichen Instruktionsgestaltung thematisiert, die wiederum um individuelle Trainings- und Fördermaßnahmen ergänzt werden. Der zweite Band des Lehrbuches (Spinath & Brünken, 2016) widmet sich dem Thema Diagnostik, Evaluation und Beratung, wobei auch hier wieder zunächst eine individuumsbezogene Perspektive eingenommen wird, die abschließend um Fragen der Systemdiagnostik ergänzt wird.

Zusammenfassung

Die Pädagogische Psychologie weist bereits eine lange Geschichte auf und hat ihre Wurzeln in der Psychologie und der Pädagogik. Auch heute besitzen die beiden Disziplinen eine enge Beziehung zueinander. Sie verfolgen gemeinsame wissenschaftliche Interessen und bearbeiten Fragestellungen, die die Pädagogische Psychologie mit der empirischen Pädagogik verbinden und beide Disziplinen unter dem Begriff der Bildungswissenschaften zusammenfügen, zu denen darüber hinaus neben der Bildungssoziologie auch die empirisch orientierten Fachdidaktiken zu zählen sind. Die Pädagogische Psychologie vertritt dabei in der Regel eine individuumsbezogene Perspektive und wählt in der Tradition der anglo-amerikanischen Lernpsychologie einen streng empirischen, häufig experimentellen Zugang. Systembezogene Faktoren, wie etwa der Einfluss von Bildungssystemvariablen werden deutlich seltener thematisiert als in anderen Bildungswissenschaften, wie der Erziehungswissenschaft und der Soziologie. Somit lässt sich die Pädagogische Psychologie als die wissenschaftliche Disziplin der vorwiegend individuumsbezogenen Analyse und Förderung psychologischer Prozesse in pädagogischen, insbesondere Lehr-Lernkontexten auffassen. Im Mittelpunkt stehen dabei die Analyse, Förderung und Diagnose von Voraussetzungen, Rahmenbedingungen und Prozessen erfolgreichen Erwerbs kognitiver und sozialer Kompetenzen über die gesamte Lebensspanne. Besonders in den letzten Jahren hat sie hinsichtlich Forschungsindikatoren und praktischer Bedeutung einen rasanten Zuwachs zu verzeichnen. Inhaltlich aktuelle Schwerpunkte der Pädagogischen Psychologie lassen sich zentralen Kategorien, wie Schülerkompetenzen, Unterricht, Motivation, Lehrerkompetenzen, Lernen und Emotion zuordnen. Häufige Einzelthemen, die untersucht werden, sind dabei Lernstrategien und Selbstregulation, diagnostische Kompetenz von Lehrern, Ziele, Zielauswahl und Handlungsplanung, Lesekompetenz sowie Selbstwirksamkeit und Selbstkonzept.

|30|Hauptzielrichtung des hier vorgelegten Lehrbuchs ist es, eine voraussetzungsarme Einführung in das Gebiet der Pädagogischen Psychologie für Bachelor-Studierende zu liefern, die zentrale methodische und inhaltliche Konzepte der Psychologie dort aufgreift und darstellt, wo sie für die Pädagogische Psychologie relevant sind, ohne sie für das Fach vereinnahmen zu wollen. Dabei werden die aus unserer Sicht relevanten Bereiche angerissen und hinsichtlich ihrer zentralen theoretischen Konzepte und empirischen Befunde schlaglichtartig beleuchtet. Das Buch wird damit ebenfalls für solche Studierende relevant, die sich mit den Gegenständen und Erkenntnissen der Pädagogischen Psychologie in thematisch benachbarten, aber fachfremden Disziplinen befassen, wie etwa Lehramtsstudierende oder Studierende der Erziehungswissenschaften.

Fragen

Womit befasst sich die Pädagogische Psychologie?

Mit welchen anderen Disziplinen steht die Pädagogische Psychologie in Beziehung?

Worin unterscheidet sich die Pädagogische Psychologie von ihren Nachbardisziplinen (wie Pädagogik, Entwicklungspsychologie etc.)?

Auf welchen wichtigen Forschungskongressen werden aktuelle Ergebnisse aus der Pädagogischen Psychologie vorgestellt und diskutiert?

Was versteht man unter einen (blind) Peer Review?

Welche inhaltlichen Schwerpunkte werden aktuell in der Pädagogischen Psychologie verfolgt?

Lösungshinweise finden Sie unter

www.hogrefe.de/buecher/lehrbuecher/psychlehrbuchplus

1

https://www.dgps.de/uploads/media/BMEmpfehlungDGPs-rev.pdf

2

www.earli.org

3

www.aera.net

4

http://thomsonreuters.com

|31|Kapitel 2Methodologische Grundlagen der Pädagogischen Psychologie

|32|Die Pädagogische Psychologie steht ganz in der Tradition der psychologischen Forschung insgesamt. Sie hat daher kein eigenständiges methodologisches System entwickelt und auch keine exklusiven Methoden. Ebenso gibt es – im Unterschied zur Erziehungswissenschaft, in der es beispielweise Lehrstühle für Methoden der Empirischen Bildungsforschung gibt – keine eigenen universitären Lehrstühle für Methoden der Pädagogischen Psychologie. Vielmehr gelten für sie die gleichen wissenschaftlichen Anforderungen und Restriktionen wie für alle anderen Teilgebiete der Psychologie. Allerdings stellen sich für die Pädagogische Psychologie als angewandtes Fach häufig Anforderungen des Gegenstandsbereiches, die es notwendig machen, hinsichtlich der Forschungsstrategien und des Methodeneinsatzes vielfältige Überlegungen anzustellen und gelegentlich auch Kompromisse einzugehen. So spielen hier bestimmte Forschungsmethoden wie beispielsweise das Quasi-Experiment eine bedeutendere Rolle als in anderen Teildisziplinen, einige diagnostische Methoden sind sogar speziell in diesem Bereich entwickelt worden, wie das Kriteriumsorientierte Testen (Klauer, 1987; vgl. Kap. 8 in Spinath & Brünken, 2016). Schließlich machen die Spezifika des Gegenstandsbereiches die Verwendung bestimmter Auswertungsverfahren notwendig, wie etwa die Verwendung von mehrebenenanalytischen Verfahren im Rahmen schulischer Bildungsforschung (Hochweber & Hartig, 2012). Viele sehen in der besonderen Betonung der empirischen Forschungsmethodik eine spezifische Stärke der Pädagogischen Psychologie im Rahmen der empirischen Bildungswissenschaften. Die damit verbundenen Diskussionen sind keineswegs neu und erscheinen aus der Sicht der Psychologie gelegentlich erstaunlich: so veröffentlichte Karl Josef Klauer 1972 ein einflussreiches Buch mit dem Titel „Das Experiment in der pädagogisch-psychologischen Forschung“ (Reprint: Klauer, 2005), in dem er für die „stärkere Verwendung experimenteller Methoden in der pädagogischen Forschung“ (S. 9) plädiert. Nun muss man einem Psychologen sicher nicht die besondere Bedeutung experimenteller Vorgehensweise für seine Wissenschaft erklären. Im Kontext der Bildungswissenschaften ist dies jedoch keineswegs ein Gemeinplatz und führte zu teils heftigen Debatten, die auch Rückwirkungen auf die Psychologie haben. Insoweit erscheint es uns sinnvoll, an dieser Stelle kurz die wissenschaftstheoretischen und methodologischen Grundlagen pädagogisch-psychologischer Forschung zu skizzieren, ohne hierbei die Details einzelner Verfahren darstellen zu wollen – hierfür gibt es taugliche Spezialliteratur (z. B. Holling & Schmitz, 2010; Bierhoff & Petermann, 2014) ebenso wie lesenswerte Zusammenfassungen (z. B. Rost, 2007).

|33|2.1 Wissenschaftstheoretische Grundlagen

Wie alle psychologischen Disziplinen ist die Pädagogische Psychologie wissenschaftstheoretisch einer positivistischen Position im Sinne Poppers, dem „kritischen Rationalismus“ (Popper, 1976) verpflichtet. Im Prinzip besagt diese, dass wissenschaftliche Aussagen so formuliert werden müssen, dass sie prinzipiell an der Wirklichkeit scheitern können. Das heißt, eine wissenschaftliche Aussage muss so formuliert werden, dass sie an Erfahrungen, die wir in der Wirklichkeit machen, überprüft werden kann. Die so plausibel klingende Aussage ist allerdings in der Praxis nicht ganz so einfach und mit vielfältigen theoretischen wie praktischen Problemen behaftet. Ein einfaches Beispiel mag dies illustrieren. Der Satz „Alle Hunde bellen“ klingt plausibel und richtig. Zudem könnte man problemlos in der Wirklichkeit feststellen, ob Hunde bellen, z. B. indem man dem Dackel der Nachbarin auf den Schwanz treten würde (was man als teilnehmende Beobachtung bezeichnen könnte, auf die wir später noch eingehen werden). So weit – so gut. Allerdings beinhaltet dieser Satz eine „All-Aussage“, d. h. er beansprucht universelle Gültigkeit für alle Hunde – nun kann man aber nicht alle Hunde der Welt beobachten, geschweige denn, ihnen auf den Schwanz treten, d. h. die Aussage ist in ihrem Geltungsbereich (alle Hunde bellen) nicht überprüfbar und daher auch keine wissenschaftliche Aussage (sondern ein Glaubenssatz).

Es existiert noch ein zweites Problem in Bezug auf das Verhältnis von Aussagen und Beobachtungen, das man das Induktionsproblem nennt und das man sehr anschaulich an einem Beispiel illustrieren kann, von dem der Philosoph Bertrand Russel berichtet (zitiert nach Dürr, 1999, S. 71f.): Danach stellte ein Truthahn fest, dass er jeden Morgen um 9 Uhr gefüttert wurde. Als skeptischer Wissenschaftler wollte er diesem Satz nicht so recht Glauben schenken und sammelte über viele Tage Beobachtungen, bei Sonne und Regen, in der Woche und am Wochenende, bis er zu dem Schluss kam, dass er immer um 9 Uhr gefüttert würde. Er schloss also aus einer Vielzahl von Beobachtungen in der Wirklichkeit auf eine auch in Zukunft gültige Regel, einen Schluss, den die Philosophie Induktionsschluss nennt und der zu den Grundformen unseres logischen Denkens gehört. Wie problematisch dieser Schluss ist, erfuhr der arme Truthahn, als ihm am Weihnachtsmorgen um 9 Uhr der Hals durchgeschnitten wurde.

Man sieht also, das Verhältnis wissenschaftlicher Aussagen zu Wirklichkeitsbeobachtungen (und umgekehrt) ist nicht so einfach, wie es auf den ersten Blick erscheint. Die Wissenschaftstheorie – die ein Teilgebiet der Philosophie ist, hat daher eine Vielzahl von teils überaus |34|kontroversen Überlegungen angestellt, wie wissenschaftliche Aussagen zu formulieren sind und wie und unter welchen Bedingungen diese an der Wirklichkeit überprüft werden können (siehe hierzu z. B. Stegmüller, 1980). Für die Psychologie bedeutsam sind in diesem Zusammenhang vor allem zwei Fragen: (1) wie wissenschaftliche Aussagen formuliert sein müssen, um sie prinzipiell an der Wirklichkeit überprüfen zu können und (2) welche Methoden zur Verfügung stehen, um in der Wirklichkeit Beobachtungen machen zu können, die zur Überprüfung wissenschaftlicher Aussagen genutzt werden können. Ersteres betrifft die Frage danach, was eine wissenschaftliche Theorie ist, Zweites ist eine Frage nach der Empirie. Beides wollen wir in den folgenden Abschnitten kurz beleuchten.

Eine ganz andere Frage ist die nach dem Verhältnis unserer Wirklichkeitswahrnehmung zu einer vermeintlich oder tatsächlich vorhandenen Realität außerhalb unserer Erfahrung, also vereinfacht gesagt, die Frage, ob es die Welt auch dann noch gibt, wenn wir sie nicht wahrnehmen können (die „Dinge an sich“). Diese erkenntnistheoretische Frage hat im Rahmen der sogenannten Konstruktivismusdebatte (Gerstenmaier & Mandl, 1995) vor allem in den 1990er Jahren auch in der Pädagogischen Psychologie eine Rolle gespielt. Wir werden sie an anderer Stelle (vgl. Kap. 10) noch beleuchten.

2.1.1 Was ist eine wissenschaftliche Theorie?

Schlägt man ein beliebiges Lexikon auf, wird man darin finden, dass es sich bei einer (wissenschaftlichen) Theorie um einen Satz von Aussagen zur Beschreibung eines bestimmten Gegenstandsbereichs handelt. Wichtig dabei ist, dass diese Aussagen

in sich widerspruchsfrei (intern konsistent),

explizit,

empirisch überprüfbar und

sparsam sind.

Theorien können dabei mehr oder minder große Gegenstandsbereiche umfassen, sie können sich auf Strukturen oder Prozesse oder auch auf beides beziehen. In der deutschsprachigen Literatur wird darüber hinaus häufig zwischen Theorien und Modellen unterschieden und dabei wird häufig impliziert, dass Modelle so etwas wie schwächere Vorformen von Theorien seien. Im englischen Sprachgebrauch ist dieser Unterschied so nicht zu finden, die Begriffe werden weitgehend synonym verwendet. So beschreiben etwa das „Working Memory Model“ von Alan Baddeley (Baddeley, 1986) oder die „Cognitive Theory of |35|Multimedia Learning“ von Richard Mayer (Mayer, 2001; vgl. Kap. 9), zwei in der Pädagogischen Psychologie bedeutsame Theorien zu Struktur- und Prozessaspekten menschlicher Informationsverarbeitung. Beiden gemeinsam ist, dass sie die geforderten Eigenschaften von Theorien aufweisen.

Häufig finden sich in der Pädagogischen Psychologie Theorien mit sehr unterschiedlichen Geltungsbereichen. Neben globalen Theorien wie beispielsweise den erwähnten zur Informationsverarbeitung finden sich auch teils sehr spezifische „Mikrotheorien“ zur Erklärung sehr eng umgrenzter Gegenstandsbereiche, etwa zur Erklärung des Zusammenhangs von kognitiver Belastung und Leistung (siehe Kasten). Zudem sind pädagogisch-psychologische Theorien häufig anwendungsbezogen (sogenannte technologischeTheorien) und zielen auf die Vorhersage zukünftiger Variablenausprägungen (präskriptiveTheorien).

Ein Beispiel für eine pädagogisch-psychologische Theorie: die Cognitive Load Theory (Sweller, 1988; Plass, Moreno & Brünken, 2010)

Nur wenige theoretische Konzepte haben in der Pädagogischen Psychologie in den letzten Jahren eine ähnliche Verbreitung gefunden wie die Cognitive Load Theory. Sie stellt die Grundlage für eine Vielzahl empirischer Untersuchungen in verschiedenen Anwendungsdomänen, wie dem Lernen mit Medien, dem Lernen aus Lösungsbeispielen und dem Expertiseerwerb dar (für einen Überblick siehe Plass et al., 2010 und Sweller, Ayres & Kalyuga, 2011). Während an anderer Stelle noch genauer auf die Bedeutung der Cognitive Load Theory für einzelne Wissenschaftsbereiche eingegangen wird (vgl. Kap. 9), wird sie an dieser Stelle dargestellt, weil sie einige Elemente pädagogisch-psychologischer Theorien exemplarisch verkörpert: (1) Sie basiert auf psychologischer Grundlagenforschung; (2) sie besteht nur aus wenigen Grundannahmen und ist daher empirisch gut prüfbar; (3) sie ist bereichsspezifisch und daher in ihrem Geltungsbereich klar umrissen; (4) sie ist (auch) eine präskriptive Theorie und (5) sie ist dynamisch und entwickelt sich anhand empirischer Forschungsergebnisse und wissenschaftlicher Kontroversen weiter.

Gegenstand der Cognitive Load Theory ist die Beziehung zwischen mentaler Belastung und Leistung beim Lernen. Grundlage der Theorie (1) bilden einerseits Theorien des Arbeitsgedächtnisses, insbesondere das Working Memory Model von Baddeley (1986), andererseits Theorien der Informationsverarbeitung, insbesondere schematheoretische und expertisebezogene Modelle (z. B. Schneider & Shiffrin, 1977; Ericsson & Kintsch, 1995). Aufbauend auf diesen kognitionspsychologischen Grundlagen formuliert die Theorie (2) eine zentrale Annahme: Das Ausmaß an |36|Wissenserwerb hängt von den für den Lernprozess eingesetzten kognitiven Ressourcen ab (vgl. Abb. 1). Der Ressourcenbedarf im Lernprozess wird dabei determiniert von der Aufgabenschwierigkeit (intrinsic load), der Art der Informationspräsentation (extraneous load) und den Wissenskonstruktionsprozessen (germane load). Diese Quellen kognitiver Belastung können sich wechselseitig kompensieren. Da die Gesamtmenge verfügbarer Ressourcen begrenzt ist, wird bei gleichem Lerninhalt umso mehr gelernt, je ressourcenschonender die Informationsdarbietung erfolgt. Diese Annahme ist nun empirisch gut prüfbar, indem man kognitive Belastung und Wissenserwerb misst und miteinander in Beziehung setzt.

Abbildung 1: Basisannahmen der Cognitive Load Theory

Die Theorie ist dabei (3) als Modell der Wissenskonstruktion bereichsspezifisch und damit klar umrissen. Als Instruktionstheorie ermöglicht sie darüber hinaus (4) eine Vorhersage der Lerneffizienz unterschiedlicher Formen der Informationsvermittlung und hat damit einen präskriptiven Charakter. Die Theorie hat (5) in den letzten Jahren eine Vielzahl empirischer Studien angeregt, die einerseits ihre Basisannahmen weitgehend bestätigt haben, andererseits zu einer kontinuierlichen Diskussion über ihre Weiterentwicklung geführt haben (z. B. de Jong, 2009; Kalyuga, 2011; Schnotz & Kirschner, 2007).

Neben der Bezeichnung „wissenschaftliche Theorien“ findet man in der Psychologie auch häufig die Begriffe „Alltagstheorien“ oder „subjektive Theorien“. Gemeint ist damit, dass Menschen häufig in sich mehr oder weniger konsistente Vorstellungen über Zusammenhänge von Phänomenbereichen haben, die durchaus auf Erfahrungen basieren können und zur Erklärung und Vorhersage von Ereignissen eingesetzt werden, die aber nicht den Status einer wissenschaftlichen Theorie besitzen. So zeigt die entwicklungspsychologische Forschung, dass |37|Kinder subjektive Theorien über naturwissenschaftliche Phänomene bilden, die häufig unserer naturwissenschaftlichen Erklärung zuwiderlaufen, sodass sie im Laufe der Schulzeit umgelernt werden müssen – die Forschung spricht hier von „conceptual change“ (Schnotz, 2001a). Ebenso neigen etwa Lehrer bei der Leistungsbeurteilung von Schülern zur Verwendung subjektiver Theorien (Spinath, 2005), oft auch, wenn diese empirischen Beobachtungen zumindest in Teilen widersprechen. Umso wichtiger ist es, bei der Formulierung solcher Theorien, die einen wissenschaftlichen Anspruch erheben, ihre Qualität genau bestimmen zu können.

2.1.2 Von der Theorie zur Empirie

Eine interessante Debatte zum Stellenwert pädagogisch-psychologischer Theoriebildung im Kontext praktischer Fragestellungen der Bildungssystemgestaltung, die in Deutschland nicht zuletzt unter Beteiligung der Deutschen Forschungsgemeinschaft geführt wurde, hat sich in den letzten Jahren entwickelt (Brüggemann & Bromme, 2006; Fischer, Weibel & Wecker, 2005). Im Kern geht es bei dieser Debatte um die Analyse der Kluft zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis und pädagogischer Praxis und Möglichkeiten ihrer Überwindung (Stark & Mandl, 2007). Ohne diese interessante Debatte im Einzelnen hier nachzeichnen zu können, lässt sich festhalten, dass an ihr exemplarisch ein gewisses Dilemma der Pädagogischen Psychologie deutlich wird: Als psychologische Disziplin ist sie deren strengen theoretischen und methodischen Anforderungen verpflichtet, die weitestgehend auf wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn ausgerichtet sind, als Disziplin im pädagogischen Handlungsfeld ist sie gleichzeitig der Praxis, also der Frage der Anwendbarkeit wissenschaftlicher Erkenntnis in pädagogischem Handeln, etwa in der Schule, verpflichtet. Diese gleichzeitige „Bedienung“ einer erkenntnis- wie einer nutzenorientierten Perspektive bezeichnen Fischer, Waibel und Wecker (2005) in Anlehnung an den Wissenschaftstheoretiker Stokes (1997) als „Pasteurs Quadranten“ (vgl. Tab. 4).

Die Antwort darauf, wie pädagogisch-psychologische Forschung, die eines solchen Anspruchs gerecht werden will, auszusehen hat, fällt dabei durchaus unterschiedlich aus. Dies hat insbesondere im bildungsbezogenen Bereich damit zu tun, dass neben psychologischen Forschern auch andere Wissenschaftsdisziplinen, die weit weniger allein auf empirische Methoden fokussiert sind, am Diskurs beteiligt sind. In der internationalen Debatte wird eine strenge empirisch-experimentelle Vorgehensweise von vielen einflussreichen Autoren als Grundvo|38|raussetzung für einen angemessenen Praxistransfer angesehen (vgl. Shavelson & Towne, 2002; Slavin, 2002), schlagwortartig formuliert im Konzept der „evidence based education“ (Slavin, 2002). Dies führte in der Folge – auch durch die veränderte Forschungs-Förderpolitik staatlicher Förderorganisationen wie der NSF (National Science Foundation) in den USA oder der DFG (Deutsche Forschungsgemeinschaft) – zu einer deutlichen Stärkung traditioneller psychologischer Methoden, insbesondere experimenteller Methoden in der Forschung. Gleichzeitig wurde aber auch die Frage diskutiert, wie Forschungsfragen formuliert werden müssen, damit die methodisch korrekt durchgeführten Studien auch von praktischer Relevanz sind und wie ein Dialog von Forschung und Praxis organisiert werden könnte. Hierbei werden vor allem zwei Überlegungen thematisiert: Zum einen geht es darum, systematisch Fragen aus der pädagogischen Praxis für wissenschaftliche Analysen aufzugreifen und diese in (grundlagen-)wissenschaftlichen Studien zu untersuchen (anwendungsorientierte Grundlagenforschung; Brüggemann & Bromme, 2006), zum anderen werden Möglichkeiten einer systematischen Verschränkung von Erkenntnisgewinn und Praxisanwendung diskutiert, etwa im Bereich der „Design-Forschung“ (Edelson, 2002).

Insgesamt kann man festhalten, dass die lebhafte Methodendebatte in der pädagogisch-psychologischen Forschung der letzten Jahre zu einer deutlichen Sensibilisierung für die methodische Qualität der Untersuchungen – etwa bei Peer Reviews einschlägiger Zeitschriften – aber auch zu einem deutlichen Anstieg der Bedeutung methodischer Expertise in der pädagogisch-psychologischen Ausbildung geführt hat, die wegen der Spezifität der Verfahren häufig über die allgemeine Methodenausbildung der Psychologie, etwa im Bereich spezifischer Erhebungs- und Auswertungsverfahren, hinausgeht.

Tabelle 4: Pasteurs Quadrant (nach Stokes, 1997, S. 73)

Forschung ist orientiert an …

praktischem Nutzen

Ja

Nein

Erkenntnisgewinn

Ja

Nutzeninspirierte Grundlagenforschung (Louis Pasteur)

Reine Grundlagenforschung (Niels Bohr)

Nein

Reine Anwendungsforschung (Thomas Edison)

---

|39|2.2 Empirische Methoden in der Pädagogischen Psychologie

Die in der Pädagogischen Psychologie verwendeten empirischen Methoden sind ebenso vielfältig wie die zugrunde liegenden Forschungsfragen. Im Unterschied zu anderen Teildisziplinen der Psychologie gibt es hier weder die leitende Untersuchungsmethode noch das vorherrschende Paradigma. Vielmehr orientiert sich das jeweils verwendete Untersuchungsverfahren häufig an den Traditionen der psychologischen Basismodelle, auf die in der Forschung Bezug genommen wird, oder an den spezifischen Bedingungen der Fragestellung. So findet man im Rahmen der pädagogisch-psychologischen Lehr-Lernforschung ein deutliches Vorherrschen experimenteller Zugänge, wohingegen im Bereich der Diagnostik der Einsatz testpsychologischer Methoden in korrelativen Studien dominiert. Andere Bereiche – etwa im Rahmen motivationspsychologischer Modelle – verwenden oft auch Fragebögen und Self-Assessments, etwa zur Erfassung von Lern- und Leistungsmotivationsdaten (z. B. FAM; Rheinberg, Vollmeyer & Burns, 2001) oder zur Erhebung des Gebrauchs von Lernstrategien (z. B. LIST; Wild, Schiefele & Winteler, 1992). Darüber hinaus spielt der Einsatz ad hoc konstruierter Erhebungsinstrumente insbesondere zur Erfassung des Lernerfolgs eine ebenso wichtige Rolle wie die Nutzung von Verhaltensbeobachtungen und – in jüngster Zeit – die Verwendung neurowissenschaftlicher Methoden.

Diese Methodenpluralität macht es oft nicht leicht, die Qualität einzelner Studien richtig einschätzen zu können, setzen sie doch häufig sehr spezifische Kompetenzen im Einsatz und in der Auswertung verschiedenster Verfahren voraus. Dies würde eigentlich ein spezielles Lehr- oder Handbuch für pädagogisch-psychologische Methodenlehre nahelegen, das in dieser Form bislang jedoch nicht existiert. Einige der gängigen Methoden der empirischen Forschung in der Pädagogischen Psychologie sollen daher an dieser Stelle zumindest kurz vorgestellt werden, auch um einen Bezug zu den über das Rahmencurriculum der Psychologieausbildung (Deutsche Gesellschaft für Psychologie, 2005) verstreuten relevanten Methodenbausteinen zu erleichtern. Dabei sind vor allem zwei Bereiche von Bedeutung, (1) verschiedene Formen der Untersuchungsanlage und (2) verschiedene Methoden der Datengewinnung. Beide Aspekte sind nicht gänzlich unabhängig voneinander, sollen aber aus Gründen der Übersichtlichkeit nacheinander besprochen werden. Wichtig ist vorab festzuhalten, dass bei aller Unterschiedlichkeit im Einzelnen pädagogisch-psychologische Forschung grundsätzlich den Standards empirischer psychologischer Forschung und |40|ihren Qualitätskriterien verpflichtet ist (Rost, 2007). Im Unterschied zu den bildungswissenschaftlichen Nachbardisziplinen (Schlömerkemper, 2010) gibt es daher in der Pädagogischen Psychologie keine grundsätzliche Debatte über empirische versus nicht empirische Forschungszugänge, wohl aber eine große Vielfalt in der Verwendung von quantitativen und auch qualitativen Verfahren innerhalb der empirischen Forschung (Mayring, 2002).

2.2.1 Unterschiedliche Aspekte der Anlage pädagogisch-psychologischer Studien

Querschnitt versus Längsschnitt

Obwohl sich viele pädagogisch-psychologische Studien mit der Entwicklung oder Veränderung von Variablen befassen – beispielsweise der Entwicklung von Kompetenzen –, überwiegt deutlich die Anzahl querschnittlich angelegter Studien im Vergleich zu längsschnittlichen Untersuchungen. Dies mag in erster Linie forschungsökonomische Gründe haben – längsschnittliche Studien sind zeitaufwendig und ressourcenintensiv, querschnittliche Studien bergen ebenfalls eine Reihe von Nachteilen. So ist etwa in Lehr-Lernstudien häufig unklar, ob die erworbenen Fähigkeiten über einen längeren Zeitraum nachhaltig verfügbar sind. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass Effekte unentdeckt bleiben, die erst nach einer längeren Zeit sichtbar werden. In querschnittlichen Studien behilft man sich häufig mit Prä-post-Designs, um treatmentbedingte Veränderungen aufzuzeigen, zunehmend auch rudimentär längsschnittlich angereichert um Follow-up-Erhebungen einige Wochen oder Monate nach dem Treatment. Echte Längsschnittstudien mit mehreren Erhebungszeitpunkten über mehrere Jahre hinweg sind hingegen selten. Bekannt sind hier insbesondere die Studien im Bereich der Hochbegabtenforschung, z. B. das Marburger Hochbegabungsprojekt (Rost, 2000). In jüngerer Zeit finden sich solche Längsschnittstudien aber auch im Bereich der Bildungsforschung.

Verhaltensbeobachtung

Die direkte Verhaltensbeobachtung gehört traditionell zu den Untersuchungsverfahren der Pädagogischen Psychologie, die sich im Zuge der aktuellen Bildungsforschung wachsender Beliebtheit erfreuen (Seidel & Prenzel, 2010). Ihr Hauptvorzug liegt darin, dass sie es ermöglicht, komplexe, psychologisch interessierende Umweltsettings zu erfassen, die in kontrollierten Laborstudien kaum herstellbar wären. Ihre |41|Hauptanwendung finden sie entsprechend dort, wo der Einfluss situativer Rahmenbedingungen auf pädagogisch-psychologische Zielvariablen erfasst werden soll (Dalehefte & Kobarg, 2012). Ein typisches Beispiel dafür ist die Unterrichtsforschung, in welcher der Frage nachgegangen wird, welche Aspekte und Rahmenbedingungen schulischen Unterrichts einen Einfluss auf den Wissenserwerb von Schülerinnen und Schülern haben können. Theoretische Grundlage solcher Studien sind häufig komplexe Modelle, wie beispielsweise das in Kapitel 11 erläuterte Angebots-Nutzungs-Modell des Unterrichts (Helmke, 2006; vgl. Kap. 11), die vielfältige Variablen auf unterschiedlichen Ebenen beinhalten und in ihrer Gesamtheit nicht in kontrollierten experimentellen Studien testbar sind. Valide Informationen zu solchen Modellen lassen sich am besten im Rahmen der Beobachtung realen Unterrichts erhalten. Hierin liegt allerdings schon eine erste Gefahr von Beobachtungsstudien. Häufig sind diese reaktiv, d. h. die Anwesenheit eines Beobachters führt dazu, dass sich der Beobachtungsgegenstand ändert. So wäre es beispielsweise denkbar, dass sich ein Lehrer besonders viel Mühe gibt, weil er weiß, dass seine Unterrichtsstunde beobachtet wird, ebenso könnten sich die Schüler durch die Anwesenheit eines Beobachters gestört fühlen. Häufig werden Beobachtungsstudien daher nicht durch personale Beobachter, sondern anhand von Videoaufzeichnung durchgeführt. Dies hat darüber hinaus den Vorteil, dass die Beobachtungen dauerhaft gespeichert, und damit für eine Auswertung auch unabhängig vom teilnehmenden Beobachter zugänglich sind. Videobasierte Beobachtungsstudien haben aus methodischer Perspektive aber noch mit anderen Schwierigkeiten zu kämpfen. Um von der Beobachtung zur Datenerhebung zu kommen, muss zunächst festgelegt werden, was beobachtet werden soll, und in welcher Form dies geschehen soll. Dazu benötigt man mehr oder weniger standardisierte Beobachtungsverfahren oder Klassifikationssysteme. Hierzu liegen eine Reihe von Vorschlägen vor (vgl. Dalehefte & Kobarg, 2012). Zur Sicherstellung psychometrischer Gütekriterien, wie Objektivität und Reliabilität, ist es darüber hinaus in der Regel notwendig, eine Beobachtung durch mehrere geschulte Beobachter klassifizieren zu lassen, was wiederum den Bearbeitungsaufwand erheblich steigert. Zur Unterstützung steht dabei spezielle Software zur Verfügung. Trotz ihres erheblichen Aufwandes haben in den letzten Jahren Videostudien als Methode der Unterrichtsforschung erheblich an Bedeutung gewonnen, was nicht zuletzt an der Verwendung dieser Verfahren im Rahmen internationaler Bildungsstudien, etwa der TIMSS-Videostudie, liegt (vgl. Pauli & Reusser, 2006).

|42|Korrelationsstudien

Zu den weit verbreiteten Untersuchungsanlagen der Pädagogischen Psychologie gehören die Korrelationsstudien. Hierbei geht es in erster Linie um die Analyse des Zusammenhangs mehrerer psychologisch interessierender Variablen. Im einfachsten Fall werden dabei zwei Variablen in den Blick genommen, etwa der Zusammenhang von Motivation und Leistung oder von elterlichem Einkommen und Bildungserfolg der Kinder. Korrelationsstudien sind immer dann angezeigt, wenn eine oder mehrere der interessierenden Variablen nicht oder nur sehr schwer beeinflussbar sind, was häufig bei vergleichsweise stabilen Personenvariablen wie beispielsweise Intelligenz oder dem sozioökonomischen Status des Elternhauses der Fall ist. Auch können Korrelationsstudien genutzt werden, um nachzuweisen, dass vermutete Zusammenhänge überhaupt bestehen, bevor man sich daranmacht, diese kausal zu erklären oder experimentell zu beeinflussen. Korrelationsstudien sind daher extrem nützlich und die Empirische Bildungsforschung wäre ohne sie nicht denkbar. Neben einfachen Modellen zur Aufdeckung linearer, bivariater Beziehungen gibt es auch sehr viel komplexere Methoden, die bei entsprechenden Designs eine Annäherung an Kausalprüfungen darstellen. Regressionsanalysen prüfen gerichtete Zusammenhänge; mithilfe von Pfadanalysen und Strukturgleichungsmodellen kann man multiple Beziehungen und spezifizierende Bedingungen für das Vorhandensein von Beziehungen überprüfen. Zum Beispiel werden mit sogenannten Kreuzpfadmodellen wechselseitige Beziehungen zwischen Variablen über mehrere Messzeitpunkte hinweg überprüft, woraus – mit aller gebührenden Vorsicht – Schlüsse über gegenseitige kausale Einflüsse gezogen werden können (z. B. Spinath & Steinmayr, 2008; vgl. Kap. 7). Zu Recht weist Rost (2007) in diesem Zusammenhang jedoch darauf hin, dass es sich bei solchen Analysen keinesfalls um direkte Kausalanalysen handelt. Vielmehr können durch solche Analysen Vorbedingungen für Kausalzusammenhänge geprüft und ggf. auch Kausalzusammenhänge ausgeschlossen werden. Es handelt sich bei diesen Analysen stets um die Anpassung spezifischer mathematischer Modelle an einen gegebenen Datensatz. Die verwendeten Fit-Indizes zeigen an, mit welcher Güte die Modellanpassung unter spezifischen Annahmen gelingt. Offen bleibt jedoch, ob nicht ein anderes Modell die Daten ebenfalls angemessen repräsentieren könnte. Die Güte solcher Studien steht und fällt also mit der theoretischen Plausibilität der verwendeten Modelle. In dem Maße, in dem der Prüfung fundierte theoretische Überlegungen zugrunde liegen, werden alternative Erklärungen unwahrscheinlicher.

|43|Experimentelle Studien

Auch in der Pädagogischen Psychologie stellt das Experiment die Methode der Wahl dar, wenn das Ziel der Untersuchung die Aufdeckung von Kausalbeziehungen ist. Allerdings zeichnet sich die Pädagogische Psychologie auch hier durch einige Besonderheiten aus. Neben dem klassischen psychologischen Experiment, das vor allem im Rahmen der lehr-lernpsychologischen Grundlagenforschung verbreitet ist, spielt das Quasiexperiment eine wichtige Rolle. Hierbei handelt es sich um Studien, deren Versuchspläne experimentell angelegt sind, die jedoch in der Regel keine vollständig randomisierte Zuweisung von Versuchspersonen zu den experimentellen Bedingungsfaktoren aufweisen. Die Gründe hierfür sind häufig untersuchungstechnischer oder auch rechtlicher Natur und vielfach in Studien zu finden, in denen Schülerinnen und Schüler in Schulklassen untersucht werden. Hierbei ist es häufig notwendig, Schülerinnen und Schüler klassenweise zu untersuchen, d. h. eine Bedingungsvariation ist nur zwischen, aber nicht innerhalb von Klassen realisierbar. Daraus ergeben sich eine Reihe methodischer Schwierigkeiten, da hier Effekte der Bedingungsvariation nicht ohne weiteres von denen der Klassenzugehörigkeit getrennt werden können. Hier ist es von entscheidender Bedeutung, möglichst viele effektrelevante Variablen in allen untersuchten Gruppen mitzuerheben (z. B. Vorwissen, Intelligenz, Geschlechterverteilung etc.), um deren Einfluss gegebenenfalls statistisch schätzen zu können (etwa im Rahmen kovarianzanalytischer Auswertungen). Ein weiteres, ebenfalls häufig zu findendes Studiendesign stellen die Trainings- bzw. Interventionsstudien dar. Hierbei werden im Rahmen meist „echter“ experimenteller Versuchspläne Untersuchungsgruppen verglichen, von denen einige eine spezifische Intervention, z. B. in Form eines Trainings, erhalten. Ziel dieser Studien ist es weniger, kausale Beziehungen aufzuzeigen, als vielmehr die Wirksamkeit eines Treatments im Vergleich zu einer Kontrollgruppe nachzuweisen. Solche Studien finden sich beispielweise im Rahmen der Forschung zu kognitiven Trainings (Klauer, 2001a) sehr häufig.

ATI-Studien

Zu den Besonderheiten pädagogisch-psychologischer Untersuchungsanlagen gehören die Aptitude-Treatment-Interaction-Studien (ATI-Studien; Brünken & Leutner, 2005; Hasebrook & Brünken, 2010; vgl. auch Kap. 9). Diese Studien, deren Bezeichnung auf Cronbach (1967; Cronbach & Snow, 1977) zurückgeht, untersuchen den Zusammenhang von Lernervoraussetzungen (Aptitudes) und instruktionalen Interventio|44|nen (Treatments). Sie gehen dabei der Frage nach, ob bestimmte Treatments (zum Beispiel Trainings oder bestimmte Formen der Informationsdarstellung) für alle Personen in gleicher Weise wirksam sind, oder ob sich systematische Unterschiede in der Treatment-Wirksamkeit nachweisen lassen. Cronbach (1967) verstand solche Studien quasi als differentialpsychologischen Zugang innerhalb der Pädagogischen Psychologie. Während die Treatment-Variation häufig im Rahmen experimenteller Bedingungsvariation realisiert wird, werden Aptitude-Variablen oft durch standardisierte Tests erhoben. Zur Analyse im Rahmen varianzanalytischer Auswertungen werden diese dann ex post klassifiziert – beispielsweise anhand eines Mediansplits. Spezifische ATI-Effekte zeigen sich dann in den varianzanalytischen Interaktionstermen. Die Reduktion der Aptitude-Variablen auf das Niveau einer kategorialen Variable, wie sie für eine varianzanalytische Auswertung notwendig ist, birgt jedoch eine Vielzahl von Nachteilen, insbesondere einen hohen Informationsverlust, weshalb in neueren Untersuchungen komplexere Auswertungsverfahren auf regressionsanalytischer Basis verwendet werden (Leutner & Rammsayer, 1995; Münzer, Seufert & Brünken, 2009).

Eine ATI-Studie (Münzer, Seufert & Brünken, 2009)

In der Forschung zum Lernen mit neuen Medien gehen viele Studien der Frage nach, ob und unter welchen Bedingungen der Einsatz von dynamischen Visualisierungen im Vergleich zu statischen Bildern Vorteile beim Wissenserwerb mit sich bringt (für eine Übersicht siehe Höffler & Leutner, 2007; vgl. auch Kap. 9). Es hat sich dabei gezeigt, dass sich die erwarteten Vorteile nicht unter allen Bedingungen einstellen und von einer Reihe von Faktoren, etwa der Art der Aufgabenstellung und den Charakteristika der Lerninhalte, abhängen. Weiterhin konnten Forschungsarbeiten zum Lernen mit Texten und Bildern zeigen, dass das individuelle räumliche Vorstellungsvermögen des Lernenden ebenfalls einen Einfluss auf das Ausmaß des Wissenserwerbs haben kann (Mayer & Sims, 1994).

In ihrer Studie interessierten sich Münzer und Kollegen nun für die Frage, ob das räumliche Vorstellungsvermögen auch einen Einfluss auf die Effizienz des Lernens mit statischen versus dynamischen Repräsentationen hat. Dazu untersuchten sie in einer experimentellen Studie 94 Studierende, denen sie computerbasierte Lehr-Lernmaterialien zu einem biologischen Thema vorlegten. Dabei sollten die Lerner verstehen, wie in einem biologischen Molekül Energie durch eine räumliche Konfigurationsänderung gespeichert werden kann. Die Versuchspersonen wurden per Zufall auf drei Gruppen verteilt; alle Gruppen erhielten die gleiche Information in Form einer audiovisuellen Präsentation. Während die |45|narrative Information bei allen Gruppen identisch war, unterschied sich die Form der visuellen Information: Gruppe 1 erhielt eine Serie von statischen Bildern, Gruppe 2 ein dynamisches Video. Gruppe 3 erhielt die gleichen statischen Bilder wie Gruppe 1, die jedoch um Richtungsindikatoren in Form von Pfeilen und visuellen Hinweisen angereichert waren. Bei allen Versuchspersonen wurde das räumliche Vorstellungsvermögen mithilfe eines standardisierten Testverfahrens gemessen. Der Wissenserwerb wurde durch einen lehrzielorientierten Test gemessen, das Vorwissen der Probanden durch einen Vortest kontrolliert. Die Datenauswertung erfolgte mithilfe eines regressionsanalytischen Modells.

Die Ergebnisse der Studie bestätigten die Befunde, dass nicht mit einem einheitlichen Vorteil dynamischer Repräsentationen im Vergleich zu statischen Repräsentationen gerechnet werden kann. Vielmehr waren sowohl die dynamische (Gruppe 2) als auch die angereichert statische Bedingung (Gruppe 3) der rein statischen Bedingung (Gruppe 1) mit Bezug auf das relevante Wissen überlegen. Darüber hinaus zeigte sich ein interessanter ATI-Effekt (vgl. Abb. 2):

Abbildung 2: ATI-Effekt in der Studie von Münzer et al. (2009)

Abbildung 2 zeigt den Zusammenhang von räumlichem Vorstellungsvermögen und Wissenserwerb getrennt für die drei Versuchsgruppen. Wie zu sehen ist, unterscheiden sich die Steigungen (slopes) der Regressionsgeraden voneinander. Nachfolgende statistische Analysen konnten zeigen, dass sich die Steigung für Gruppe 3 signifikant von den beiden anderen Gruppen unterscheidet. Dies bedeutet, dass in dieser Gruppe der Wissenserwerb deutlich stärker mit dem räumlichen Vorstellungsvermögen zusammenhängt als in den anderen Bedingungen. Münzer und Kollegen interpretieren diesen Effekt so, dass Lerner durchaus dazu in der Lage sind, mit angereicherten statischen Bildern |46|