PANIK! Messerscharfes Aus - Wilhelm Karkoska - E-Book

PANIK! Messerscharfes Aus E-Book

Wilhelm Karkoska

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Beschreibung

Ein Sondereinsatzkommando der Polizei in Schleswig findet Joachim Butol in seinem Versteck, in dem er von seiner Entführerin 14 lange Tage gefangen gehalten wurde. Den Ermittlern bietet sich ein erbärmlicher Anblick. Joachim Butol liegt angefesselt auf einer Holzpritsche. Er ist nicht bei Bewusstsein, dem Tode näher als dem Leben. Mit einem Rettungshubschrauber wird er nach Flensburg geflogen und dort im St. Marien Hospital intensiv versorgt. Die Ärzte entschließen sich, ihn ins künstliche Koma zu versetzen, um möglichen Folgeschäden entgegenzuwirken. Zwischen der Kripo in Münster und Schleswig kommt es zu einer intensiven länderübergreifenden Zusammenarbeit. Im Ersten Kommissariat in Münster kehrt keine Ruhe ein. Die Entführerin von JB meldet sich erneut. Ihre Botschaft ist eindeutig: "Auch, wenn ihr ihn gefunden habt, bedeutet das noch lange nicht, dass er in Sicherheit ist. Er soll büßen für das, was er zu verantworten hat". Um die Kripo von ihrer Ernsthaftigkeit zu überzeugen, schlägt Bärbel Brunner unerkannt bei einer Großveranstaltung im MMC zu. Ein Schwerverletzter und eine Tote sind zu beklagen. Zwischen der Kripo in Münster und Bärbel Brunner kommt es, wie bereits in den vergangenen zwei Wochen zuvor, zu einem fast schon familiär geprägten regen Telefonkontakt. Allen im Ersten Kommissariat ist klar: "Wenn wir diese Frau nicht dingfest machen können, kann sich JB seines Lebens nicht mehr sicher sein. Ein weiterer Mord passiert in Münster, der im Zusammenhang der Entführung von JB stehen könnte. Betroffene ist eine Administratorin eines fb-Fanclubs. JB erholt sich nach dem künstlichen Koma zunehmend mehr. Dennoch fühlt er sich unwohl, wirkt verängstigt. Ihm war nicht entgangen, dass man Bärbel Brunner bisher nicht ergreifen konnte. Nach Belieben gibt die in Münster die Spielregeln vor. Der Kripo gelingt es nicht, sie zunächst ausfindig zu machen. Kriminalistischer Spürsinn führt die Kripo wenig später auf die richtige Spur. Im Rahmen der Beerdigung der von ihr getöteten Frau aus dem MMC gelingt es der Polizei, sie zu verhaften. Damit scheint der Fall sein Ende gefunden zu haben. Doch der Schein trügt. Auf der Bildfläche taucht eine bis dahin nicht in Erscheinung getretene Mittäterin auf mit dem Auftrag, Bärbel Brunners Werk zu vollenden… ************************************** Willi Karkoska führt uns mit seinen PANIK-Krimis in die Niederungen unserer eignen Seele: Wenn wir uns davor gruseln, selbst Opfer von Psychopathen zu werden, verstehen wir evtl. die Ängste von Prominenten vor Stalkern und manischen Fans. Wenn wir uns davor fürchten, selbst Opfer zu sein, schützt uns das evtl. davor, selbst Täter zu werden. Marius Münster.

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Inhaltsverzeichnis
PANIK-messerscharfes Aus
Inhaltsverzeichnis
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Finale
Orientierung - Personen:

Packend… Fesselnd… klärend. Die Fortsetzung von

PANIK! Das hammerkrasse Tournee-Ende…

Panik!

Messerscharfes Aus

 

 

 

 

 

 

 

 

Für meine Töchter

 

Tanja, Inka und Ronja

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

© 2019 Hunter Verlag

https:// hunter-verlag.de

Coverdesign: Azrael ap Cwanderay

Illustrationen im Buch: Mike Müller-Reschreiter, Abtenau-Österreich

Lektorat: Katinka Weisenheimer

Korrektorat: Stefanie Brandt

Publisher: Hunter Verlag

Printed in Germany by Hunter-Print.de

ISBN-13: 978-3-947086-86-3

ISBN-10: 3947086865

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Erklärung des Autors

 

Rückschlüsse durch in diesem Buch genannte Personen auf lebende und auch tote Personen sind vom Verfasser nicht beabsichtigt und rein zufällig.

 

Wilhelm Karkoska

 

Inhaltsverzeichnis

 

Prolog – Was bisher geschah… 7

Kapitel 1, Samstag, 7. Juni 9

Kapitel 2, Sonntag, 8. Juni 19

Kapitel 3, Montag, 9. Juni 26

Kapitel 4, Dienstag, 10. Juni 51

Kapitel 5, Mittwoch, 11. Juni 83

Kapitel 6, Donnerstag, 12. Juni 107

Kapitel 7, Freitag, 13. Juni 162

Kapitel 8, Samstag, 14. Juni 208

Kapitel 9, Sonntag, 15. Juni 246

Kapitel 10, Montag, 16. Juni 257

Kapitel 11, Dienstag, 17. Juni 278

Kapitel 12, Mittwoch, 18. Juni 303

Kapitel 13, Donnerstag, 19. Juni 316

Kapitel 14, Freitag, 20. Juni 330

Kapitel 15, Samstag, 21. Juni 338

Finale – 1 Jahr später… 341

 

Orientierung -Personen: 343

 

 

Prolog

 

Was bisher geschah …

 

Joachim Butol, in der Szene nur JB genannt, einer der erfolgreichsten Musiker in Deutschland, wird kurz vor dem obligatorischen Abschlusskonzert mit seiner Band – den Firewalls – im ausverkauften MMC (Münster Music Center) entführt. Das MMC gehört Bob Lennartz, einem gefragten Bassisten in Deutschland und engem Freund von JB. Die geeignete Location, um nach der erfolgreichen Tour der Giganten 2014 dieses unvergessliche Musikspektakel mit einem außergewöhnlichen Abschlusskonzert zu krönen.

Die zum Teil von weither angereisten Fans, mit viel Panik-Adrenalin im Blut, sind glücklich, für dieses ganz besondere Musikereignis ein Eintrittsticket ergattert zu haben.

Der Beginn des Konzertes ist auf 22 Uhr angesetzt. Ungeduldig warten die Musiker der Firewalls auf ihren Frontmann. Der scheint jedoch wie vom Erdboden verschluckt.

Nur noch 15 Minuten bis zum geplanten Konzertbeginn. Ratlosigkeit macht sich bei den Firewalls breit. Bei vorangegangenen Touren ist so etwas bisher niemals vorgekommen. JB gilt als Garant für Pünktlichkeit.

Unter den 1.600 Fans im voll besetzten Kulturtempel in Münster breitet sich ebenfalls Unruhe aus. Das Konzert wird von Oliver (Olli) Kuhlberg, dem Tour-Manager der Band, abgesagt.

Auch am folgenden Tag fehlt jede Spur von dem Ausnahmemusiker. Die Kriminalpolizei Münster wird eingeschaltet. Schnell wächst die Vermutung, dass der Rockstar einem Verbrechen zum Opfer gefallen sein könnte.

Eine Sonderkommission der Kripo unter der Leitung von Hauptkommissar Benno Klöppel und seiner Assistentin Oberkommissarin Karin Lau wird gebildet. Die Ermittlungen quälen sich zunächst sehr zäh dahin.

Eine in einem Waldstück bei Roxel in der Nähe von Münster gefundene Lederjacke, die zweifelsohne JB gehört, lässt die Vermutung zu, dass der angesagte Musiker entführt worden sei.

Es gibt keinerlei Hinweise aus der Bevölkerung.

Ratlosigkeit macht sich breit in der Kripo-Zentrale. Die durch weitere Beamte aufgestockte Sonderkommission (SokoJB) steht mit nahezu leeren Ermittlungshänden da. Eine erfolgversprechende Vorgehensstrategie zu entwickeln ist deswegen unmöglich. Die Polizeiprofis bewegen sich im luftleeren Raum der Spekulationen. Dieser Fall scheint der Kripo ihre Grenzen aufzuzeigen.

Selbst die Vermutung, dass der Rockstar ermordet wurde, schwebt durch den mit viel kriminalistischer Erfahrung getränkten Raum des Ersten Kommissariats. Das Team der Soko ist zur wenig befriedigenden Bewegungsunfähigkeit verdammt.

Das ändert sich schlagartig. Eine Frau meldet sich im Ersten Kommissariat in Münster und gibt an, JB in ihrer Gewalt zu haben. Die Vermutung der Ermittler, dass JB entführt wurde, scheint sich zu bestätigen. Die in solch einem Fall übliche Lösegeldforderung bleibt allerdings aus. Für einen Entführungsfall völlig untypisch. Joachim Butol gilt als vermögender Mann.

Zwischen der vermeintlichen Entführerin und den ermittelnden Beamten kommt es in der Folgezeit zu einem täglichen Telefonkontakt. Über die Informantin erhält die Soko Hinweise. Ein aktiver Ermittlungsprozess kommt in Gang.

14 Tage, eine von der Unbekannten gesetzte Frist, vergehen. Über Münster hinaus zieht sich das Geschehen bis nach Schleswig-Holstein. Hinweise deuten darauf hin, dass JB im Raum Schleswig gefangen gehalten wird. Ein Suchtrupp der dortigen Polizei durchkämmt das waldreiche Gelände zwischen Kappeln und Schleswig. Ohne Erfolg. Bedingt durch die einbrechende Dunkelheit ist der Suchtrupp kurz davor abzubrechen. Da wird in der Ferne Musik vernommen, die von einem laut gestellten Radio stammen könnte…

 

 

Kapitel 1

 

Samstag, 7. Juni

 

Schleswig, 19:00 Uhr

 

Suche nach JB

 

Joachim Butol hatte längst mit dem Leben abgeschlossen. Sein Sehvermögen war erheblich eingeschränkt. Der Raum, in dem er gefangen gehalten wurde, wirkte dunkel. Die Fensterläden seines Zwangsquartiers waren verschlossen und ließen nur wenigen Strahlen des Abendlichtes die Chance, in den Raum einzudringen. Er konnte nur noch Umrisse seiner Umgebung erahnen. Klare Bilder verschwommen vor seinen Augen. Auch die anhaltenden, ihm seine Sinne raubenden Schmerzen an seinen an das Folterbett fixierten Gliedmaßen, nahm er nur noch im Unterbewusstsein wahr. Er gehörte zu den dem Tode Geweihten, den ‚no future persons‘. Kein ‚Hinterm Horizont geht’s weiter‘. Ein jämmerlicher Abgang von der ihn bis dahin so verwöhnenden Bühne des Erfolges lag vor ihm.

Er besaß nicht mehr die Energie, alles in den letzten vierzehn Tagen Geschehene vor seinem geistigen Auge Revue passieren zu lassen. Er konnte sich nur noch an Bruchstücke erinnern. An diese Frau ohne wirklichen Namen, eine Person ohne Emotionen, die ihn in den vergangenen zwei Wochen ‚betreute‘. Eigentlich nur ein kurzer Zeitraum.

Ihm kam diese Zeit wie eine gefühlte Ewigkeit vor. Der hinter ihm liegende Kampf um Leben oder Tod, sein Leben, hatte ihm alle Kraftreserven entzogen. Sein Reservoir an lebensbejahender Zuversicht war erschöpft. Seine Augenlider senkten sich langsam und signalisierten ihm „JB, gib auf. Warum willst du dich noch länger quälen?“

Er versuchte dagegen zu steuern. „Verdammt, jetzt nur nicht einschlafen.“ Kurze Blitzlichter an klaren Gedanken schossen ihm durch seinen ebenfalls schmerzgeplagten Kopf. Ihm war klar, dass er diesen, seinen letzten Kampf nicht mehr lange durchstehen würde.

Allein die laute aus dem Radio tönende Musik bewahrte ihn davor, die Augen zu schließen, in einen Tiefschlaf zu verfallen, aus dem er nicht mehr ins Leben zurückkehren würde. Dessen war er sich bewusst. Im Radio wurde gerade ein Titel von seinem ersten Album ‚Daumen im Sturm‘ gespielt. Der Titel ‚Dort im Norden‘ avancierte zu seinem ersten kleinen Hit. Welch eine Ironie. Damals, vor zig Jahren, in seinem anderen Leben, hatte seine Karriere eigentlich mit diesem Titel begonnen. Und jetzt sollte all dies menschenunwürdig angekettet an ein Bett enden?

Schweißperlen der Angst bahnten sich ihren Weg von seiner Stirn über sein Gesicht hinweg nach unten. JB versuchte sich wach zu halten, spürte aber deutlich, dass ihn seine Lebenskräfte verließen. Der große Meister da oben hatte längst die Eingangstür zu seinem Wunderreich der Erwartungen und Hoffnungen weit geöffnet. JB musste nicht mehr tun, als durch diese Tür zu schreiten. Eintreten in das Reich der unbegrenzten Möglichkeiten mit dem lockeren Spruch: „Hallöchen Leute, hier bin ich. Lasst uns eine große Party feiern.“ Joachim Butol fühlte sich erbärmlich. Er hatte keine Lust mehr auf dieses scheiß Dahinvegetieren. Gleich würde die letzte Runde in seinem dramatisch endenden Leben eingeläutet. „Adieu, macht`s gut. Danke für alles. Und keine Tränen!“

 

 

Fahndungserfolg

 

kurz vor 20:00 Uhr

 

„Verdammt, das hört sich doch an wie ein Radio. Alle mal herhören. Ab jetzt gilt absolute Ruhe.“

Oberkommissar Schlüter von der Kripo Schleswig und Oberkommissar Bernsdorf, der Leiter des auf fünfzig Leute aufgestockten Suchkommandos des SEKs, analysierten kriminalistisch professionell die aktuelle Situation.

„Kollege Schlüter, was könnte da sein? Da gibt es doch keine Bebauung.“

„Die Musik kommt aus nördlicher Richtung. Das ist nicht mehr als 100 Meter entfernt. Vielleicht noch weniger.“

„Vielleicht findet da ja auch gerade ein nächtliches Waldhappening statt? So etwas haben Sie doch wahrscheinlich früher auch gemacht, Herr Kollege. Sie wissen doch, die Hormone, gepaart mit Testosteronschüben aus dem gerade abgelaufenen Wonnemonat Mai.“

„Wer weiß! Jeder hat so seine Geheimnisse. Mich interessiert jetzt allerdings mehr, woher diese Geräuschkulisse stammt.“

Oberkommissar Schlüter wandte sich telefonisch an seinen Chef bei der Mordkommission Schleswig und informierte ihn über die aktuelle Situation. Der wiederum erteilte seinem Team-Kollegen notwendige Instruktionen.

„Schlüter, gehen Sie kein Risiko ein. Keine Alleingänge! Vertrauen Sie sich da ganz dem Kollegen Bernsdorf an. Das ist ein erfahrener Kriminalist. Das wissen Sie doch genau so gut wie ich.“

Der Leiter des SEK-Suchkommandos besprach den Vorgehensplan mit den an der Suche beteiligten Beamten.

Hatte den Vorgehensplan professionell bereits geplant und setzte die an der Suche beteiligten Beamten davon in Kenntnis.

„Oberkommissar Schlüter wird jetzt mit vier von Ihnen weiter in die Richtung gehen, aus der dieses Radiogeräusch kommt. Alle anderen bleiben hier und warten auf die Informationen, die ich von dem Kollegen erhalte. Dann werde ich entscheiden, wie wir weiter vorgehen. Und Leute, noch einmal. Absolute Ruhe. Wir wollen doch niemanden erschrecken und beim Rendezvous im Schatten der Bäume stören.“

Auffällig allerdings war, dass zwei Suchhunde unruhig in Richtung der Geräuschkulisse zerrten. Die waren auf die Fährte von Joachim Butol eingestellt. Oberkommissar Bernsdorf war das nicht entgangen.

„Kollege Schlüter, Sie nehmen einen Hundeführer mit. Lassen Sie sich von dem leiten. Ich glaube, die Hunde haben Lunte gerochen. Die haben doch nichts als diesen Joachim Butol in der Nase.“

Der ausgewählte Spähtrupp machte sich auf in Richtung Musik. Der Suchhund zog nach wie vor auffällig stark an der Leine seines Führers, so als hätte er eine konkrete Fährte von dem entführten JB aufgenommen.

„Meine Herren, bewahren Sie Ruhe. Unser Einsatz könnte von großer nationaler Bedeutung sein. Wir brauchen auf gar keinen Fall Gebelle von unserem vierbeinigen Begleiter. Wir verständigen uns nur noch auf Handzeichen, so, wie Sie das in der Polizeischule gelernt haben.“

Oberkommissar Schlüter konnte es sich nicht verkneifen, seinen ausgewählten Kollegen, die alle Bescheid wussten, persönlich diese Anweisung mitzuteilen, ihnen so zu signalisieren, wer der Chef im Wald sei.

Vorsichtig arbeitete sich das Team vor. Die Musik wurde zunehmend lauter. Hinter einer vor ihnen gewachsenen mindestens drei Meter hohen Hecke aus Gestrüpp schien sich die Lösung des Rätsels zu befinden.

„Wir teilen uns hier auf. Sie beide versuchen, von links aus hinter die Hecke zu kommen. Wir schleichen uns von rechts kommend heran. Aber! Vorsicht ist geboten. Wir wissen nicht, was uns da erwartet. Also keine Einzelaktionen.“

Der Suchtrupp des SEK‘s arbeitete sich langsam durch den morastigen Waldboden vorwärts.

Ihr Spürhund war jetzt nicht mehr zu halten. Der hatte die Fährte vom seit vierzehn Tagen überfälligen Rockstar eindeutig aufgenommen. Der Hundeführer war sich sicher, dass dieses durchtrainierte Tier längst wusste, dass sich hinter der Hecke das Zielobjekt befand, und signalisierte das per Handzeichen an Oberkommissar Schlüter.

Das Team verschaffte sich einen Weg durch die Hecke. Das Rätsel löste sich auf. Hinter dem Wildwuchs befand sich eine von außen marode wirkende Waldhütte, aus der die laute Musik dröhnte. Oberkommissar Schlüter informierte den Kollegen Bernsdorf, so wie es Taubstumme über ihre eigene Sprache machen, wenn sie miteinander in Kommunikation treten wollen. Der wiederum verstand die Handzeichen sofort und ging auf seinen Kollegen zu.

„Herr Schlüter, Sie machen jetzt nichts. Wir rücken nach. Auf gar keinen Fall gehen Sie rein.“

„Glauben Sie, ich will hier den Helden spielen? Ich bin gespannt, was uns in der Hütte erwartet.“

„Eines ganz sicher! Ein Radio!“

„Das ist ja geradezu scharfsinnig. Wenn ich das bemerken darf.“

Oberkommissar Schlüter musste diesen letzten Kommentar noch loswerden. Vielleicht ärgerte es ihn auch ein wenig, dass sein Chef die Qualitäten des Leiters des SEK besonders hervorhob und ihn in die zweite Reihe befördert hatte.

Das im Wald verbliebene Team rückte nach. Oberkommissar Bernsdorf übernahm jetzt das Kommando. Er winkte einige Mitglieder der Suchmannschaft zu sich. Für den weiteren Vorgehensplan benötigte er fünf Beamte, die er selber aussuchte und teilte denn ihre Aufgaben zu.

„Sie sichern das Gelände von außen im Umkreis von fünfzehn Metern. Kollege Schlüter und ich werden mit drei von Ihnen gewaltsam in die Hütte eindringen. Nur der Überraschungseffekt ist hier sinnvoll. Auch wenn alles nach außen hin recht harmlos wirkt, wir wissen nicht, was uns erwartet.“

Der Leiter des SEK-Trupps suchte die dafür infrage kommenden Beamten aus. Langsam näherten die fünf sich dem Eingang der Hütte. Die beiden Oberkommissare unterhielten sich im Flüsterton miteinander. Bernsdorf machte die erste Bemerkung.

„Bis auf dieses nervige Radio scheint es in dieser Waldvilla völlig ruhig zu sein. Wie sehen Sie das?“

„Jedenfalls findet da keine Party statt. Ich glaube, da haben irgendwelche Freaks drin gefeiert und nur vergessen, das Radio mitzunehmen.“

„Wir werden sehen. Sie sind also auch dafür, jetzt reinzugehen?“

„Unbedingt! Dann können wir endlich dieses verdammte Radio ausstellen. Was glauben Sie, wie viele Vögel hier im Umkreis brüten? Die werden uns alle dankbar sein.“

„Ich wusste gar nicht, dass Sie es so mit den Tieren haben.“

„Ich sage doch, jeder hat so seine Geheimnisse.“

Die morschige Tür des Verschlages war ohne Probleme zu öffnen. Dafür reichte ein kurzer Tritt. Die Beamten stürmten in dem Raum.

„Polizei!“

„Ach du Scheiße!“

Oberkommissar Bernsdorf lief rot an. Der Blick der beiden Leitungsbeamten hatte sofort das Bett mit der darauf fixierten, zum Erschrecken aussehenden männlichen Person erfasst. Sie konnten ihre Betroffenheit und Wut nicht unterdrücken.

Oberkommissar Schlüter beugte sich über die schlafend wirkende Person, fühlte den Puls.

„Er hat noch Puls. Also abgenibbelt ist er nicht. Noch nicht!“

Der erfahrene Kriminalist versuchte, den Mann anzusprechen.

„Können Sie mich verstehen?“ Keine Reaktion.

„Verdammt, wenn nicht bald der Arzt kommt, ist es für den armen Teufel zu spät. Der ist doch jetzt schon mehr tot als lebendig. Wer macht so was?“

Oberkommissar Bernsdorf schaltete sich ein.

„Mitteilung an alle. Niemand fasst hier etwas an. Meine Herren, solange es noch hell ist, suchen Sie die nähere Umgebung dieser Nobelherberge weiter ab. Vielleicht finden Sie ja etwas, was uns Hinweise auf den oder die Täter liefert. Und wenn es nur ein weggeworfenes Taschentuch ist.“

Er war einerseits immer noch schockiert, andererseits aber auch froh darüber, Joachim Butol lebend gefunden zu haben.

Schlüter informierte zwischenzeitlich seinen Chef in Schleswig.

„Ich bin gleich bei Ihnen. Informieren Sie schon einmal den Notarzt und die Spusi. Sie wissen schon, alle die dazu gehören.“

„Ist längst passiert.“

Der polizeiliche Ermittlungsapparat wurde auf die höchste Einsatzstufe hochgefahren. Notarzt und Spurensicherung machten sich direkt auf den Weg zum Fundort.

Schlüter und Bernsdorf analysierten vor Ort die Situation.

„Was sehen Sie?“

„Ich sehe einen bedauernswerten Typen, der regelrecht gefoltert wurde. Schauen Sie sich mal die Fesseln an den Händen und Füßen an. Die Stellen sind völlig durchgescheuert bis auf den blanken Knochen. Dann diese Hygiene-Verhältnisse. Würde mich nicht wundern, wenn der Kerl sich eine Sepsis oder sonst etwas Unangenehmes an Land gezogen hat. Also, der Mann liegt hier nicht erst seit gestern.“ Oberkommissar Bernsdorf äußerte sich zu der Feststellung seines Kollegen von der Mordkommission. Stellte eine Rückfrage.

„Und? Glauben Sie, dass es sich um den gesuchten Joachim Butol handelt?“

„Ich glaube schon, dass er es ist. Was erwarten Sie von jemandem, der 14 Tage lang gefoltert wurde? Dass man dann nicht mehr aussieht wie frisch geduscht, ist doch klar. Ich glaube, wir haben hier einen Volltreffer gelandet.“

Das Handy von Oberkommissar Schlüter meldete sich. Am anderen Ende Hauptkommissar Bruns.

„Schlüter, ist es der gesuchte Rockstar?“

„Ich meine schon. Der sieht nur nicht mehr so frisch aus. Aber das werden Sie ja gleich persönlich begutachten können.“

 

Wenige Zeit später tummelte sich ein Trupp von Experten im sonst ruhig gelegenen Waldstück. Ganz zur Hütte konnten die Fachleute nicht vordringen. Der Waldweg hörte kurz vorher auf. Das Einsatzkommando musste die letzten hundert Meter bis zur Hütte zu Fuß zurücklegen. Von der Straße aus war dieses Versteck nicht zu erkennen und auch nicht mit einem PKW direkt zu erreichen. Eine logistische Erschwernis, die den erfahrenen Kriminalprofis keine Probleme bereitete.

„So ein kleiner Waldspaziergang tut uns doch allen gut. Wir werden höchstwahrscheinlich einen Krankenwagen brauchen.“

Hauptkommissar Bruns wies auf ein kleines Problem hin.

„Besser einen Krankenwagen als eine Leichenkarre.“

Doktor Wessing, der herbeigerufene Rechtsmediziner für alle Fälle, antwortete prompt.

 

An der Hütte angekommen, begannen alle mit ihren Aufgaben. Der Notarzt, Doktor Trabold, für den das ein ganz normaler Einsatz war, sah sich seinen Patienten auf diesem besonderen Krankenbett genau an. Seine Erstdiagnose war niederschmetternd.

„Der Puls ist lebensbedrohend niedrig. Die Atmung ist unregelmäßig. Verdacht auf Lungenentzündung. Der Patient reagiert nicht, zeigt keine Form von Reflexen. Die Pupillen sind verkleinert. Der Mann ist an den Armen und Beinen mit Lederschnallen ans Bett fixiert. Deutlich sichtbare, dadurch bedingte Verletzungen und Entzündungen an allen Gliedmaßen. Das sieht verdammt nicht gut aus. Es scheint so, als wäre er in eine Art Koma gefallen. Der Mann muss sofort intensivmedizinisch behandelt werden. Ich garantiere für nichts. Am besten wäre es, wir würden ihn direkt ins St. Franziskus Hospital Flensburg bringen. Wir brauchen die Flugbereitschaft.“

Die Zeit schien inflationär zu zerrinnen. Kurz darauf landete ein Rettungshubschrauber auf einer Lichtung, unweit von der Fundstelle Joachim Butols. Die Rettungskräfte bargen den Schwerverletzten. Alles musste schnell gehen, JB optimal notärztlich versorgt werden.

Die Spurensicherung fand in der Hütte jede Menge Beweisstücke, Fingerabdrücke, die auf Personen hinwiesen, die sich ebenfalls vor kurzem noch in der Hütte aufgehalten haben mussten. Die überall gefundenen Haare stammten nach ersten vorsichtigen Vermutungen von einer oder mehreren Frauen.

„Also, geputzt hat die Dame, die hier den Haushalt geführt hat, nicht gründlich.“

Oberkommissar Schlüters Kommentar erwiderte Hauptkommissar Bruns umgehend.

„Vielleicht hat sie das auch gar nicht gewollt. Für mich sieht das so aus, als hätte sie, vieles deutet darauf hin, dass es sich um die Gesuchte handeln könnte, sich nicht darum bemüht hat, Spuren zu verwischen. Die musste doch damit rechnen, dass wir diese Spuren finden. Vielleicht will sie uns bewusst auf sie lenken, ohne sich uns zu offenbaren. Warten wir ab, was das Ergebnis der KTU ergibt. Dann sehen wir weiter. Erst einmal müssen wir ganz sicher sein, dass es sich um den entführten Joachim Butol handelt.“

„Chef, Sie haben sich den doch gerade auch angesehen. Zweifeln Sie daran, dass er der Vermisste ist?“

„Schlüter, es geht hier nicht darum, woran ich zweifele oder auch nicht. In unserem Beruf zählen Fakten.“

Die Spurensicherung leistete ganze Arbeit. Mit jeder Menge Beweisstücke im Gepäck reiste das Team wieder ab. Das Suchkommando des SEK‘s beendete die Aktion ebenfalls.

„Kollege Schlüter, wir brechen jetzt auch ab. Morgen sehen wir weiter. Bis dahin wird die KTU ganz sicher Einiges herausgefunden haben.“

„Chef, wieso morgen? Morgen ist Sonntag. Wollen Sie antreten? Ich habe meiner Familie versprochen, mit in den Zoo zu gehen. Und dabei soll es auch bleiben.“

„Nun gut, dann einen schönen Sonntag. Wir sehen uns am Montag um 8 Uhr.“

„Vorher können die von der KTU doch sowieso nichts sagen.“

 

 

St. Franziskus Hospital Flensburg, 21:30 Uhr

 

„Hast du schon gehört, wir kriegen gleich den VIP überhaupt auf unsere Station.“

„Wieso, wen meinst du, Maren?“

„Na, Joachim Butol. Der räumt doch mit den Firewalls im Moment überall ab. Hast du ihn schon einmal live erlebt? Ich kann dir nur sagen, genial.“

„Nein, bisher nicht. Hat die Polizei ihn jetzt gefunden? Ich weiß nur, dass er vor zwei Wochen von irgend solch einer Stalkerin entführt wurde. Seitdem wird nach ihm gesucht. Alle Medien sind doch voll damit. Und du bist sicher, dass es sich um ihn handelt?“

„Ja, hundertprozentig. Wir haben gerade die Mitteilung reinbekommen. Er wird gleich mit Christoph eingeflogen. Er soll aber nicht mehr so gut aussehen, wie man ihn vom Plakat her kennt.“

„Lassen wir uns überraschen.“

 

 

Lauffeuer

 

Im Team der Intensivstation breitete sich die Mitteilung, dass JB der nächste Patient sein würde, wie ein Lauffeuer aus. Man hatte schließlich nicht jeden Tag einen Promi bei den Neuzugängen. Während des kurzen Fluges wurde JB intensiv erstversorgt. Er war während des gesamten Fluges nicht zu sich gekommen. Die Schürfwunden an den Armen und Beinen hatten sich erheblich entzündet, waren vereitert. Seine medizinischen Kontrollwerte spielten Flipper, lieferten nicht viele Anhaltspunkte für eine positive Diagnose. Der Puls machte längst, was er wollte. Eine Kontinuität war da in keiner Weise erkennbar. Ganz im Gegenteil, sein Allgemeinzustand wurde eher als lebensbedrohend eingestuft.

Das halbe Team der Intensivstation hatte sich versammelt, nicht, um diesem großen Rockstar zuzujubeln. Wohl mehr aus Betroffenheit und vielleicht ein klein wenig Neugierde. JB wurde in den Notfallraum gebracht.

„Der muss sofort an die Kontrolle.“

Doktor Tollkötter, der diensthabende Arzt, leitete die weitere Behandlung, führte den Schlauch für die künstliche Beatmung in Joachims Luftröhre ein.

 

In der Medienwelt hatte es sich längst rumgesprochen, dass JB gefunden und in das St. Franziskus Hospital Flensburg verbracht wurde. Zwar hatte die Klinik noch keine Presse-Mitteilung zur Einlieferung von Jo Butol herausgegeben, trotzdem musste da irgendetwas nach außen gelangt sein. Pressearbeit funktioniert über das Internet wie ein Spinnennetz. Alle medialen Fäden sind miteinander verknüpft.

Vor dem Krankenhaus baute sich eine wie aus dem Nichts auftauchende Armada an Pressevertretern auf. Neben den Zeitungsfritzen reihten sich Vertreter von Radio- und Fernsehanstalten in den zunehmend wachsenden Tross der Presseleute ein. Jeder wartete darauf, hier weitere, spektakuläre Fakten zu erfahren, die in der nächsten Ausgabe der von ihnen vertretenen Zeitungen oder Sendungen der Radio- und Fernsehanstalten verarbeitet werden könnten.

Am besten ins Konzept gepasst hätte vielen der angereisten Medienleute die Sensationsmeldung: ‚Popstar Joachim Butol qualvoll zu Tode gefoltert! Hilfe kam zu spät!‘. Das hätte die Auflagenzahlen der Sonntagsblätter nach oben befördert. Sehr zur Freude der Verleger. Gut geeignet für Folgebeiträge. Sensationsmeldungen mit grausamen Inhalten üben auf Leser nun einmal eine gewisse Anziehungskraft aus. Diese Erkenntnis ist unbestritten.

Jetzt aber blieb den Pressegeiern nichts weiter übrig, als zu warten. Prof. Doktor Ralf Bode, der Leiter des St. Franzikus Hospitals, hatte über seinen Sprecher ankündigen lassen, zum Gesundheitszustand von Joachim Butol noch ein kurzes Pressestatement abzugeben, sich aber nicht zum genauen Zeitpunkt dieser Erklärung geäußert, sehr zur Unzufriedenheit der zum Teil von weither angereisten Medienleute. Den Pressevertretern blieb nichts Anderes übrig, als darauf zu warten oder die Zelte vor dem Klinikum abzubrechen. Viele zogen es vor, dann doch zu bleiben. Presseleute geben so schnell nicht auf, wenn es darum geht, eine Topmeldung aufzusaugen.

Die Nachrichtensendungen der Hör- und Sehmedien hatten ganze Arbeit geleistet. Wieder mal war der Fall Joachim Butol Top 1 im Ranking der Pressemeldungen.

Gegen 23 Uhr trat Professor Bode vor die wartende Presseschar.

„Meine Damen und Herren von der Presse. Heute gegen 21:30 Uhr wurde der Ihnen sicherlich gut bekannte Rockmusiker Joachim Butol bei uns eingeliefert. Er befand sich in einem lebensbedrohenden Zustand. Seine Atmung setzte zeitweise aus. Er zeigte trotz intensiver Erstversorgung keinerlei Reaktionen. Bei seinem Auffinden war er nicht bei Bewusstsein. Bis jetzt hat er das noch nicht wiedererlangt.

Erste Untersuchungen haben ergeben, dass er kollabiert ist. Was genau zu dieser körperlichen Reaktion geführt hat, ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht eindeutig bekannt. Wir haben ihn in ein künstliches Koma versetzt, um den Körper zu entlasten und das Risiko bleibender Schäden so gering wie möglich zu halten. Wann wir Herrn Butol wieder aufwecken und wie lange dieser Prozess dauern wird, lässt sich nicht abschätzen. Das hängt von zahlreichen Faktoren ab, die uns zurzeit nicht bekannt sind. Mehr kann ich Ihnen im Moment nicht mitteilen. Ich betone, das ist eine reine Vorsichtsmaßnahme. Eine angenehme Nacht. Sie werden von uns rechtzeitig darüber informiert, wenn sich eine Veränderung an seinem Gesundheitszustand ergibt. Ich empfehle, die Nacht in Ihrem eigenen Bett zu verbringen und sich die nicht hier um die Ohren zu schlagen. Aber das ist Ihre Entscheidung.“

 

In den sozialen Netzwerken verbreitete sich die Nachricht vom Auffinden Joachim Butols und seines Gesundheitszustandes ebenfalls wie im Fluge. Gerade am Samstagabend sind viele Nutzer online. Auch auf Facebook mit seinen zahlreichen Fangruppen herrschte Hochbetrieb. Warum das so ist, ist in Forscherkreisen nicht eindeutig geklärt. Man vermutet aber, dass das soziale Netz mit seinen zahlreichen Gruppen für Viele die Kommunikationsmöglichkeiten bietet, die im realen Leben nicht vorhanden sind. Das Internet als Multiplikator eines Wir-Gefühls nimmt in der Kommunikationswelt einen immer größer werdenden Stellenwert ein. Andererseits fand hier so manch eine gelebte Freundschaft ihren Anfang. Und das nicht nur am Rechner.

 

„JB ist gefunden worden. Er liegt im St. Franzikus Hospital Flensburg. Ihm geht es wohl nicht so gut. Ich fahre da jetzt hin. Tom T. Rendsburg.“

 

„Scheiße! Kannst du mich mitnehmen? Betty aus Eckernförde.“

 

„Ich würde auch gerne, wohne aber in Würzburg. Ist zu weit weg. Diese Nacht kann ich knicken. Pennen kann ich da sowieso nicht mehr. Rockpeter.“

 

Das Internet wurde an diesem Abend stark strapaziert. Zahlreiche Fans machten sich auf den Weg nach Flensburg. Sie wollten ihrem Idol ganz nahe sein. Viel zu sehr war ihr Leben durch JB und den Firewalls geprägt worden.

Auch die hatten die Mitteilung von der Auffindung ihres Freundes und Mitmusikers mitbekommen. Paul Simpson startete einen Rundruf.

„Hallo, Peter, hier ist Paul. Hast du wahrscheinlich auch schon mitgekriegt. Die haben Jo gefunden. Weißt du, wie es dem geht?“

Peter Plaun, der Rhythmusgitarrist der Firewalls, antwortete hörbar betroffen.

„Ich habe über Jürgen erfahren, dass es ihm scheiße geht. Der liegt wohl im Koma.“

„Verdammt, das hört sich nicht gut an.“

Jürgen Koller, der Bassist und Mitbegründer der Firewalls, hatte auch schon mit den anderen Bandmitgliedern telefoniert. Allen war klar, dass am nächsten Tag Flensburg auf dem Reiseplan stehen würde. Charly Stone, der Sologitarrist, verabredete sich mit dem Schlagzeuger Piet Drexler. Quasi eine Fahrgemeinschaft in unangenehmer Angelegenheit.

 

 

Kapitel 2

 

Sonntag, 8. Juni,

 

St. Franziskus Hospital Flensburg, 1 Uhr

 

Während der Nacht wurde Joachim Butol durch die diensthabende Nachtschwester Ulrike Paus, eine erfahrene Klinikmitarbeiterin, in besonderer Weise überwacht, ein Indiz dafür, dass sich die Ärzte des Klinikums durchaus Sorgen über seinen Gesundheitszustand machten.

Zudem hatte Professor Bode den diensthabenden Arzt, Doktor Tollkötter, persönlich angewiesen, im Falle des neu eingelieferten prominenten Patienten „nichts anbrennen“ zu lassen. Der fürchtete wohl ein wenig um die Außenwirkung, die dieser Fall höchstwahrscheinlich nach sich ziehen würde. Ein Promibonus spielte dabei sicherlich keine Rolle. Wer’s glaubt!

 

 

7 Uhr

 

Die ganze Nacht über hatte es geregnet. So, als würde sich der Himmel die letzten Tränen aus seinen traurig herabhängenden Drüsensäcken herausquetschen. Oder waren das schon Zeichen der Trauer um einen in der gesamten Bunten Republik geliebten Künstler, der mit seinem Werk etwas Unvergessliches geschaffen hatte? Unvorstellbar! An ein Ableben JB´s zu diesem Zeitpunkt wollte niemand glauben.

Auch am Morgen dieses, unter Umständen für das Weiterleben des Patienten entscheidenden Sonntags in dieser Welt oder dem, was am Horizont danach kommt, hatte sich der Gesundheitszustand des Promi-Musikers nicht verändert. JB lag da, angeschlossen an lebenserhaltende Gerätschaften, ohne die er höchstwahrscheinlich schon am Abend zuvor das Zeitliche gesegnet hätte.

Mit Technik verbunden zu sein, war für ihn nichts Besonderes.

Dass jeder auf der Bühne stehende Akteur während eines Konzertes Kabel an sich trug, dazu den Knopf im Ohr, gehörte dazu wie Gewürze beim Kochen, um ein köstlich schmeckendes Gericht zuzubereiten. Die gut abgestimmte Kontrolltechnik sorgte dafür, dass die Fans einen tollen Sound erleben, und die Musiker, eingehüllt in ein aufeinander abgespieltes Licht- und Tonspektakel, dem Publikum ein unvergessliches Hör- und Seherlebnis bereiten konnten. Das Gelingen eines Konzertes war nicht unwesentlich von der installierten Technik abhängig, die einer Band und den auf der Bühne agierenden Künstlern zur Verfügung stand.

Nur, bei der technischen Ausstattung für ein Musikkonzert handelte es sich um ein etwas anderes Equipment als bei den auf der Intensivstation eines Krankenhauses benötigten Überwachungsgeräten, an die Koma-Patienten angeschlossen wurden. Geräte, eingesetzt, um das nackte Überleben eines Menschen zu sichern. Ein Umstand, den man nicht einmal seinem ärgsten Feind wünscht. Da durfte nichts passieren. Jetzt war Joachim Butol betroffen. Er lag da. Wirkte, als sei er von der Bühne abgetreten, hilflos, angewiesen auf Maschinen mit Kontrollmonitoren. Er war bewusst in dieses für Außenstehende angsteinflößende künstliche Koma versetzt worden. Blutdruck und Herzfrequenz standen unter permanenter Kontrolle. Er wurde künstlich beatmet. Und das alles nur zu seinem Wohlergehen.

„Schwester Ulrike, hat es etwas Besonderes während der Nacht gegeben?“

„Wenn Sie damit meinen, ob die Kontrollwerte des Patienten auffällige Dimensionen annahmen, nein. Herr Butol war die gesamte Zeit über stabil.“

„Na, das hört sich doch gut an. Mal sehen, was uns der heutige Tag bringen wird.“

Doktor Vladimir Komanczik, der leitende Oberarzt der Station 3 N, informierte sich bei seinem Dienstantritt umgehend über den Gesundheitszustand seines prominenten Neuzuganges und wies die an diesem Sonntag diensthabende Krankenschwester ein. Er hatte erst seit kurzem diese Führungsposition in der Klinik inne und galt als gewissenhafter, fachkundiger und vor allen Dingen ehrgeiziger Mediziner.

„Frau Behrens, ich nehme an, Sie haben mal aus dem Fenster geguckt.“

„Natürlich, diese Menschenmenge vor dem Hauptportal ist doch gar nicht zu übersehen.“

„Ich gehe davon aus, dass das im Laufe des Tages immer mehr werden. Sie wissen um die Popularität unseres Patienten?“

„Aber Herr Oberarzt! Selbstverständlich! Wer kennt diesen Mann nicht in Deutschland?“

„Zugegeben, ich habe mich da erst einmal ein wenig kundig machen müssen. Wissen Sie, ich halte es mehr mit der Klassik. Dieses musikalische Durcheinander bei diesen Rockstars liegt mir nicht so.“

Doktor Komanczik antwortete, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen.

„Das verstehe ich gut. Ich kann auch bei klassischer Musik sehr gut abschalten. Aber trotzdem! Ein Konzert mit JB scheint wohl etwas ganz Besonderes zu sein. Das heutige Nachtprogramm im NDR 1 brachte zahlreiche Musikstücke von ihm und den Firewalls. Und ich muss sagen, einige haben sich in meinen Ohren festgefressen. Die Melodien und vor allen Dingen Texte fallen mir immer wieder ein. Ich werde mir auf jeden Fall mal eine Karte für ein Konzert von ihm kaufen.“

„Nicht so voreilig, Schwester Behrens. Dazu müssen wir ihn, gestatten Sie mir den Ausdruck, armen Kerl, erst mal wieder auf die Beine bringen. Und wir wissen ja auch nicht, was uns erwartet, wenn wir den Patienten wieder aufwecken. Ich denke, da haben Sie doch auch reichliche Erfahrungen gesammelt. Wie lange machen Sie diesen Job jetzt?“

„Im nächsten Jahr sind es fünfunddreißig Jahre.“

„Dann muss ich Ihnen nicht näher erläutern, wovon ich rede.“

„Davon können Sie ausgehen.“

„Wir wissen außerdem nicht, was das Ganze im Gehirn von Joachim Butol ausgelöst hat. Sorgen Sie dafür, dass sich alle Kollegen der Station zu einer Dienstbesprechung im Konferenzraum eins um 9 Uhr zusammenfinden. Dieser Fall bedarf einer besonderen Vorgehensweise.“

„Sie können sich ganz auf mich verlassen, Herr Oberarzt.“

 

Die Menschenansammlung vor der Klinik wuchs wie die Zahl von zusammenströmenden Fans vor einem Konzert von JB and the Firewalls. Unter den Pressevertretern machte sich Unruhe breit. Viele hatten damit gerechnet, früh am Morgen Neuigkeiten von der Klinikleitung zu erfahren. Dass da bis jetzt keine Rückmeldung kam, deutete auf nichts Gutes hin. Die Tür zum oftmals realitätsfremden ‚Haus der Spekulationen‘ wurde auf diese Art und Weise besonders weit geöffnet. Bekanntlich fühlen sich Vertreter des schreibenden und audiovisuellen Pressegewerbes darin pudelwohl.

Ein wirres Durcheinander an Kommentaren von gefrusteten Journalisten entwickelte sich zu einer nicht zu überhörenden Geräuschkulisse.

„Verdammt, die müssen doch was sagen können.“

„Natürlich! Aber die wollen nicht. Wir bleiben jedenfalls am Ball.“

„Vielleicht hat JB auch schon das Zeitliche gesegnet.“

„Kollegen, uns bleibt wieder einmal nichts Anderes übrig als zu warten.“

Der WDR berichtete live für die Frühnachrichten im Ersten vom Ort des Geschehens, auch wenn inhaltlich so gut wie gar nichts bei diesen Berichten herauskam. Andere Sendeanstalten strahlten ebenfalls ihre Livebeiträge ohne Ergebnis aus. Das Thema ‚Entführungsfall Joachim Butol‘ hatte bei den Medien eingeschlagen. Noch vor sonstigen politischen Berichten über im Moment die Welt bewegende Ereignisse.

Die wachsende Anzahl der Fans wollte kein Ende nehmen. Einmal mehr wurde deutlich, dass Joachim Butol über einen in die zigtausende reichenden Fan-Kreis verfügte. Menschen, die in nicht seltenen Fällen ihr eigenes Leben auf das ihres Idols abgestimmt hatten. Viele wirkten traurig, so, als wäre JB in der Nacht bereits gestorben. Viele der Angereisten kannten sich über das Internet. Zahlreiche Freundschaften entstanden auf diesem Wege. Man verabredete sich bei Konzerten und sonstigen Fan-Treffen, die es immer wieder in Deutschland gab. Zeit, um sich miteinander auszutauschen. Jetzt war wieder mal solch ein Moment gekommen. Einer, den sich niemand der Anwesenden gewünscht hatte. Jens aus Leipzig, Britta, die den weiten Weg aus Köln nicht gescheut hat, um ihrem Idol nahe zu sein, und Thorsten aus Hamburg steigerten sich in eine emotional geladene Diskussion.

„Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen und bin aus Leipzig hierher gedüst. Weiß jemand, wie es ihm geht?“

„Ne, Jens, bis jetzt haben die noch nichts verlauten lassen.“

„Wundert euch das? Schaut mal in die Runde.“

„Britta, wahrscheinlich müssen die Ärzte alles erst miteinander bequatschen, bevor sie diesen Pressegeiern Informationen zum Fraß vorsetzen.“

„Das könnt ihr doch sowieso vergessen, was die schreiben. Die sind doch nur drauf aus, mit dem Leid von JB Kohle zu machen.“

ThorstenK aus Münster, der JB wiederholt bei Konzerten in Hamburg gesehen hatte, versuchte das Hin- und Her-Spekuliere auf einen Nenner zu bringen.

Zum Glück war es an diesem Sonntagmorgen trocken. Sonst wäre die bedrückte Stimmungslage längst schon umgekippt. Die heizte sich unter den Fans und Journalisten unüberhörbar auf. Einige Zeitungsredakteure versuchten im Foyer des Krankenhauses über die sichtlich überforderte Mitarbeiterin an der Klinikauskunft an Infos heranzukommen.

„Tut mir leid. Ich kann und darf auch nichts zum aktuellen Gesundheitszustand des Patienten sagen. Das ist Sache der Ärzte.“

Die Zeitungsredakteure ließen sich mit dieser Auskunft nicht abspeisen. Zu ihrem Geschäft gehörte Hartnäckigkeit, ohne die sie manch einen Bericht nicht hätten verfassen können. Sie hakten nach. Spekulierten damit, dass die Mitarbeiterin an der Rezeption doch einknicken würde.

„Also! Sie wissen doch etwas. Lebt JB noch? Sie brauchen nichts zu sagen. Sie könnten doch auch zum Beispiel mit dem Kopf nicken.“

„Ich habe Ihnen doch gesagt, dass Sie von mir keinerlei Informationen bekommen werden. Wenn Sie jetzt keine Ruhe geben, bleibt mir nichts Anderes übrig, als die Klinikleitung zu informieren.“

„Tun Sie, was Sie nicht lassen können. Rufen Sie an.“

Kurze Zeit später stand Professor Bode vor den sich im Foyer befindenden Pressevertretern.“

„Meine Damen und Herren. Das hier ist ein Krankenhaus und keine Autogrammstunde für einen Rockmusiker.“

„Dann sagen Sie uns doch, wie es Joachim Butol geht. Dann sind wir auch schnell wieder verschwunden.“

„Wann wir etwas über den Gesundheitszustand eines Patienten im Rahmen solch einer Ansammlung von Pressevertretern und sonstigen Personen weitergeben, das müssen Sie schon uns überlassen. Sie haben mich übrigens gerade aus einer Besprechung mit dem verantwortlichen Behandlungsteam in diesem Fall geholt. Je länger ich hier unten bleibe, desto später erfahren Sie, was wir zum Gesundheitszustand von Herrn Butol sagen wollen und können. Und daran ist Ihnen doch allen gelegen.“

„Also können wir davon ausgehen, dass er lebt.“

Ein Reporter, der wohl eine große journalistische Chance auf eine Topmeldung erahnte, wobei er selber wie ein Volontär aussah, preschte vor.

„Haben Sie mich nicht verstanden, junger Mann? Sie müssen noch lernen, in Ihrem Geschäft Geduld mitzubringen. Aber ich darf Ihnen und allen anderen, die hier warten, dennoch mitteilen, dass wir um 11 Uhr vor dem Haupteingang des Klinikums eine Pressekonferenz abhalten werden. Gehen Sie in der Zwischenzeit einen Kaffee trinken. Der bei uns in der Kantine schmeckt besonders gut.“

„Köppler, WR Münster. Sie können uns hier nicht abspeisen. Es ist Ihre Pflicht, uns angemessen zu informieren. Sie wissen doch jetzt schon ganz genau, was Sie uns um 11 Uhr mitteilen werden. Also, was soll dieses ganze Theater drum herum? Oder haben Sie etwas zu verbergen und wissen nur noch nicht, wie Sie es der Presse mitteilen wollen?“

Wieder einmal fiel Karl der Redakteur der Westfälischen Rundschau aus Münster in Westfalen, unter den Pressevertretern besonders auf. In Münster hatte er diesen Fall zur Chefsache für ihn selber erklärt. Direkt, nachdem er erfuhr, dass JB im St. Franziskus Hospital Flensburg behandelt wird, machte er sich auf den Weg hoch in den Norden. Dieser Entführungsfall hatte in Münster begonnen und musste seiner Meinung nach auch von einem Münsteraner Redakteur weiterverfolgt werden. Das konnte nur er selbst sein.

Köppler besaß so etwas wie den sechsten Sinn, wenn es um Journalismus ging.

Wenn er auf der Fährte eines Sachverhaltes eine Sensation witterte, ließ er nicht mehr davon ab. Diese glaubte er in diesem Moment förmlich zu riechen. Wie Recht er mit seiner Vermutung behalten sollte, konnte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht erahnen.

Die unterschiedlichsten Meldungen wurden von den Journalisten zwischen 9 und 11 Uhr in der gesamten Republik unters Volk gestreut. In den aktuellen Nachrichtensendungen war JB mal kurz davor zu sterben. Bis hin zur Falschmeldung „Nach unseren jetzigen Erkenntnissen befindet sich Joachim Butol bei vollem Bewusstsein und auf dem Wege der Besserung.“

Auch die mittlerweile aus der gesamten Republik angereisten JB-Fans ließen ihrem Unmut freien Lauf. Viele fühlten sich nicht richtig informiert. Die hartgesottenen Fans wollten zu denen gehören, die als erste erfahren, wie es um den Gesundheitszustand ihres Musikidols bestellt war.

Den pfiffigen Presseleuten war nicht entgangen, dass die JB-Anhänger aus völlig unterschiedlichen Bundesländern kamen. Einige Journalisten nahmen das zum Anlass, einige von ihnen zu interviewen.

„Sie sind auch nicht von hier?“

„Nein, wir kommen aus München.“

„Das liegt ja nicht gerade vor der Tür.“

„Uns war das egal. Wir sind die ganze Nacht durchgefahren.“

„Nun sind Sie hier. Und jetzt?“

„Wir wollen dem Meister beistehen in dieser schweren Zeit seines Lebens. Auch wenn wir nicht wirklich etwas für ihn machen können. Das ist uns bewusst. Wir sind ja nicht naiv. Wir sind einfach nur da. Das ist Zeichen genug. Der Mann hat uns die letzten 30 Jahre unseres Lebens mit seiner Musik begleitet. Manche von uns schon länger Vielleicht können wir ihm auf diese spezielle Art und Weise ein wenig zurückgeben.“

Das Interview dieses Pärchens aus der eintausend Kilometer entfernten Landeshauptstadt Bayerns, wurde im NDR 1-Radio live gesendet.

Pünktlich traten Professor Bode und Doktor Komanczik vor die wartende Menge.

„Meine Damen und Herren, wir hoffen, dass Ihnen die Zeit nicht zu lange geworden ist. Sie alle werden sich fragen, wie geht es Joachim Butol? An seinem Gesundheitszustand hat sich nichts verändert. Die Nacht über gab es keine Komplikationen. Wir werden den Patienten noch für einige Zeit im künstlichen Koma halten. Wann wir ihn aufwecken, kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen. Das ist abhängig von der weiteren Entwicklung des Gesundungsverlaufes. Sollten Sie weitere Fragen haben, wenden Sie sich bitte an den behandelnden leitenden Oberarzt Doktor Komanczik.“

„Weshalb wecken Sie Joachim Butol nicht jetzt schon auf?“

„Wie schätzen Sie es ein, dass Ihr Patient wieder völlig gesundet?“

„Erwarten Sie Folgeschäden?“

Fragen über Fragen prasselten auf den in diesem Moment nicht zu beneidenden Mediziner ein. Der schlug sich mit Bravour, reagierte souverän. Nach wenigen Minuten hielten Professor Bode und Doktor Komanczik den Zeitpunkt für gekommen, diesem Journalistenspuk ein Ende zu bereiten.

Unter Murren einiger Journalisten verließen sie das Podium und begaben sich in die Klinik zurück. Nur langsam löste sich die versammelte Menschenmenge vor dem Klinikum auf. Nicht ganz! Die angereisten Fernsehanstalten zogen ihre Übertragungswagen nicht ab. Für alle Fälle. Die wollten vor Ort sein, falls etwas Unvorhergesehenes passieren würde.

 

 

 

Kapitel 3

 

Montag, 9. Juni

 

Erstes Kommissariat Münster, 8 Uhr

 

Pünktlich hatte sich das fast gesamte Soko-Team im Ersten Kommissariat eingefunden. Einige Kollegen fehlten noch. Die steckten höchstwahrscheinlich in irgendeinem Berufsverkehr-Stau fest. Morgens um diese Zeit war das keine Seltenheit. In Klöppels Büro wurde die aktuelle Sachlage erörtert. Die Kriminalbeamten standen mit nahezu leeren Händen da, spielten verschiedene Szenarien durch, die sich nur auf Vermutungen stützten. Dabei waren alle so im Fall vertieft, dass niemand mitbekam, dass Bettina Wuttke ein Telefonat entgegengenommen hatte, was ihr wohl zu schaffen machte.

 

 

Rückruf

 

Der eifrigen Sekretärin im Ersten Kommissariat der Kripo in Münster fiel vor lauter Schreck fast der Hörer aus der Hand. Sie blickte erregt zum gegenüberliegenden Büro ihres Chefs, versuchte, mit Gesten auf sich aufmerksam zu machen. Ohne Erfolg. Ihr blieb nichts Anderes übrig, als sich selber wieder ihrer Gesprächspartnerin zuzuwenden.

„Im Moment kann ich den Herrn Hauptkommissar nicht erreichen. Ich weiß aber, dass er im Hause ist.“

„Schon gut, dann bestellen Sie ihm von mir einen schönen Gruß. Ich melde mich wieder.“

Die Anruferin legte auf. Zurück ließ sie eine mit den Nerven am Ende befindliche Kommissariats-Sekretärin. Diese lief sofort zum Büro ihres Chefs und klopfte an seine Tür.

„Frau Wuttke, weshalb sind Sie so erregt? Sie wirken, als hätten gerade ein traumatisches Erlebnis gehabt.“

„Chef, traumatisch war es nicht. Aber es hat mein Blut in den Adern ganz schön in Wallung gebracht.“

„Also, doch etwas Traumatisches.“

„Sie hat gerade angerufen.“

„Hat die ‚sie´ auch einen Namen?“

„Sie hat mir ihren Namen nicht genannt. Aber ich bin mir hundertprozentig sicher, dass es sich um die Entführerin von Joachim Butol handelt.“

„Stopp, Sie wollen also sagen, dass Sie gerade Bärbel Brunner in der Leitung hatten?“

„Hundertprozentig! Ich kenne doch ihre Stimme. Mit der habe ich doch oft genug gesprochen.“

„Frau Wuttke, machen Sie es nicht so spannend. Hat sie Ihnen irgendetwas erzählt?“

„Nein, die wollte doch Sie sprechen. Ich habe ihr gesagt, dass Sie im Hause seien. Sie will zurückrufen. Eine Zeit hat sie allerdings nicht genannt.“

„Das haben Sie sehr gut gemacht. Dann warten wir mal ab, was passiert.“

Kurze Zeit später meldete sich die Anruferin erneut.

„Sie haben doch bestimmt Ihren Chef in der Zwischenzeit informiert. Dann darf ich Sie bitten, mich einmal zu ihm durchzustellen.“

Auf Bettina Wuttke wirkte die Anruferin wie eine Dazugehörige. So, als wäre das Erste Kommissariat ihr zu Hause, Frau Wuttke ihre Vertraute und Hauptkommissar Klöppel ihr Lebensgefährte. Das Ganze hatte einen gespenstisch privaten Charakter.

„Hauptkommissar Klöppel. Mit wem spreche ich?“

„Ach, Herr Hauptkommissar. Tun Sie doch nicht so. Sie wissen genau, mit wem Sie sprechen. Und bevor ich es vergesse, herzlichen Glückwunsch. Die erste Runde ist an Sie gegangen. Aber das Spiel ist noch nicht zu Ende. Sie kennen sicher das Sprichwort ‚man soll den Tag nicht vor dem Abend loben‘.“

„Sind Sie es, Frau Brunner?“

„Ich wiederhole mich ungerne. Sie müssen sich nicht verstellen. Sie haben mich doch längst an meiner Stimme erkannt. Ich freue mich übrigens auf unseren weiteren, ich darf Ihnen versprechen, regen Kontakt.“

Die Anruferin legte den Hörer auf, ohne dass Klöppel reagieren konnte. Der wirkte ein wenig irritiert, fing sich aber schnell.

In diesem Moment schossen dem Leiter der Mordkommission und erfahrenen Kriminalisten tausend Gedanken durch den Kopf. Bedeutete dieser Anruf der flüchtigen mutmaßlichen Entführerin von Joachim Butol eine Fortsetzung in dem Fall mit neuen von dieser Frau ausgeführten Straftaten? Der Inhalt des kurzen Telefonates deutete darauf hin und ließ großen Raum für Spekulationen von Horrorszenarien beim Leiter der Soko zurück.

Ein sofortiges Darauf reagieren war für Klöppel beschlossene Sache. Er bat Frau Wuttke, die die ganze Zeit gespannt zu ihm rüber geblickt hatte, zu sich.

„Sie hatten recht, das war sie. Frau Wuttke, ich brauche das gesamte Team. Am besten sofort! Versuchen Sie alle die noch nicht hier sind zu erreichen. Und stellen Sie bitte eine Leitung zu dem Kollegen Bruns aus Schleswig her. Ich glaube, den wird das interessieren. Und Sie wissen, nichts geht nach außen, bevor ich das nicht absegne.“

„Natürlich nicht, Chef. Ich kann schweigen wie ein Grab.“

Bettina Wuttke hatte den Leiter der Mordkommission Schleswig direkt an der Strippe. Hauptkommissar Bruns zeigte sich höchst erfreut über den Anruf seines Kollegen aus Münster.

„Guten Morgen, Herr Klöppel. Ich hätte Sie ohnehin heute noch angerufen. Ihre Dienststelle habe ich gestern bereits über den Gesundheitszustand von Joachim Butol informiert. Aber da waren Sie höchstwahrscheinlich auf dem Aasee und haben sich bei einer Bootstour erholt. Sollte ich auch mal machen. Vielleicht wir beide zusammen.“

„Sie scheinen sich gut bei uns auszukennen. Herr Bruns. Bei Ihnen sind die Möglichkeiten, den Tag auf dem Wasser zu verbringen, jedoch viel besser als in Münster. Sie haben die Schlei zur Verfügung. Die ist um Dimensionen größer als der Aasee. Dazu kommt die Nähe zur Ostsee. Wir behalten das aber im Hinterkopf.

Der Grund meines Anrufes jetzt ist jedoch viel dringlicher als unsere Ferienplanung. Bärbel Brunner hat sich gerade bei uns gemeldet. Ich habe mit ihr gesprochen. Ich spiele den kurzen Mitschnitt unseres morning talks mal ein. Dann sind Sie im Bilde.“

„Tja, Herr Klöppel, wie es sich anhört, geht der Fall in eine nächste Runde. Es scheint so zu sein, dass diese Psychopatin Münster wieder in den Fall einbinden möchte.“

„Das sind Vermutungen, Herr Bruns. Jetzt sollten wir erst einmal auf das reagieren, was diese Frau uns bisher als Happen vorgeworfen hat und höchstwahrscheinlich auch noch zukommen lassen wird.“

„Eines wird jedenfalls deutlich, Herr Kollege Klöppel. Die hat den Fall nicht zu den Akten gelegt. Sonst würde sie sich nicht erneut melden. Diese Frau will wieder an Joachim Butol ran.“

„Dann kann doch nur ihr Ziel sein, das zu vollenden, was ihr beim ersten Mal misslungen ist, ihn umzubringen.“

„Aber weshalb hat sie das nicht längst getan? Sie hatte doch in den letzten Wochen ungestört genügend Zeit dazu.“

„Das ist eine der Fragen, auf die wir bis jetzt keine greifende Antwort gefunden haben. Denken Sie an unterschiedliche Täterprofile. Bei Bärbel Brunner handelt es sich offensichtlich um eine Psychopatin, die Genuss verspürte, ihr Opfer schleichend verrecken zu lassen. Das hätte sie befriedigt. Das wäre auch passiert, wenn Sie ihn nicht gefunden hätten. Sie wollte ganz bewusst seinen schnellen Tod nicht.“

„Ich folgere daraus, dass sie diese Befriedigung erst erfährt, wenn sie ihr Werk vollendet hat.“

„So sehe ich das, Herr Bruns. Dass es ihr missglückt ist, bedeutet nicht, dass sie es nicht wieder versucht. Vielleicht sogar während der Zeit seines Klinikaufenthaltes.“

„Daran habe ich auch gedacht. Ich werde sofort veranlassen, dass er Personenschutz bekommt. Ein Kollege wird sich vor seinem Zimmer in der Klinik aufbauen und alles überwachen, was da passiert. Die Klinik sollte zudem sicherstellen, dass zu ihm ins Krankenzimmer außer dem eigenen Personal nur noch Besucher von außen mit Sondergenehmigung dürfen. Ohne Ausnahme.“

„Können Sie Gedanken lesen? Genauso hätte ich auch entschieden. Hat sich bis jetzt etwas im Fall der in Ihrer Gegend gefundenen kopf- und fingerlosen Leiche ergeben? Wir sind immer noch dabei zu überlegen, ob es zwischen Ihrem Fall und der Entführung von Joachim Butol einen Zusammenhang geben könnte.“

„Nein, bis jetzt noch nicht. Da sind wir dran.“

„Mein kriminalistischer Spürsinn sagt mir, irgendwie gehören diese Verbrechen zusammen. Aus welchem Grunde hat uns die Frau den abgeschnittenen Finger zugesandt? Das macht doch keinen Sinn. Das muss mit der Hütte zu tun haben, in der Butol gefunden wurde. Den Ort sollte die Spusi besonders gründlich ins Visier nehmen.“

„Glauben Sie, wir arbeiten in Schleswig-Holstein nicht so gründlich wie Sie in NRW?“

Bruns fühlte sich ein wenig auf den Schlips getreten.

„Nein, auf gar keinen Fall. Das war nur ein Tipp von Kollege zu Kollege. Sie verstehen mich. Wir hören voneinander.“

 

 

Lagebesprechung

 

Kurze Zeit später hatte sich das gesamte Soko-Team im Ersten Kommissariat versammelt. Klöppel informierte die Kolleginnen und Kollegen. Oberkommissar Karin Lau reagierte spontan.

„Ich habe es gewusst. Der Fall ist nicht zu Ende, nur weil JB aufgefunden wurde. Ich glaube, jetzt geht es erst richtig zur Sache.“

„Karin, wie meinst du das?“

„Birgit, glaubst du wirklich, dass die Ruhe gibt, bevor die nicht ihr Ziel erreicht hat? Chef, das hat sie Ihnen gegenüber doch auch deutlich zum Ausdruck gebracht.“

„Frau Hemmer, da stimme ich Oberkommissarin Lau zu. Die spielt erneut mit uns. Die letzten vierzehn Tage hat sie doch nichts Anderes getan. Klaus, wie siehst du das? Aber bitte kurz?“

Klaus Toppen, der sich selber gerne reden hörte, häufig aber den Nagel auf den Kopf traf, holte aus.

„Gehen wir einmal davon aus, dass Bärbel Brunner ihre Tat vollenden möchte. Dann muss sie dazu die Gelegenheit haben. Wird etwas schwierig. JB scheint in der Klinik sicher zu sein. Aber was ist danach? Er lebt doch nicht abgeschirmt wie der amerikanische Präsident. Wer an ihn ran will, schafft das. Es sei denn, der Mann wird überall wo er sich aufhält rund um die Uhr bewacht.“

Tim Thoelke galt im Team als Spezialist, der sich sehr gut in der Musikszene auskannte. Er fühlte sich aufgefordert, auch noch seinen Beitrag zu dieser allgemeinen Gesprächsrunde beizutragen.

„Notfalls muss er das. Er könnte wieder seinen alten Kumpel und Body Guard Otto Kreuzberg einstellen. Der hat ihn doch über 20 Jahre immer ausgezeichnet beschützt, bis die sich in die Haare gekriegt haben. Das ist aber eine längere Geschichte und nicht unser Problem.“

Hauptkommissar Klöppel übernahm.

„Fest steht: Bärbel Brunner ist nicht ausgestiegen. Sie sucht den Kontakt mit uns. Weshalb auch immer. Sie scheint irgendwelche Aktionen zu planen, die sich gegen den ihr verhassten Joachim Butol richten könnten. Klar ist aber auch, dass wir einmal mehr nichts Konkretes in der Hand haben. Wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht wieder in inhaltslosen Vermutungen verstricken.“

„Chef, die Gefahr besteht.“

Kommissar Deick, der Youngster im Ermittlungsteam, unterstrich die Feststellung seines Chefs. Der fuhr fort.

„Was ist bis jetzt passiert? Wir haben ein Telefonat mit Andeutungen. Mehr nicht! Uns bleibt nichts weiter übrig, als zu warten. Und – das ist jetzt eine Dienstanweisung – es geht nichts nach draußen.“

„Benno, das ist doch selbstverständlich. Diesen letzten Spruch hättest du dir sparen können. Wir haben in den letzten zwei Wochen gut zusammengearbeitet und werden das auch weiterhin machen. Hat jemand von uns bisher die Presse eigenmächtig informiert?“

„Nein, natürlich nicht.“

„Siehst du, damit ist alles gesagt.“

Oberkommissar Klute, der sich bisher zurückgehalten hatte, trug auch noch seinen Senf zu dieser Teamsitzung bei.

 

Wieder einmal klingelte das Telefon. Nicht selten kamen Anrufe bei der Kripo an, die da völlig fehl platziert waren. Mal beschwerte sich jemand über die seiner Meinung nach zu laute Musik seines Nachbarn, die seine Mittagsruhe störte. In einem anderen Fall fühlte sich jemand provoziert, weil ein anderer ihm ein Schimpfwort an den Kopf geknallt hatte. Darauf zu reagieren und die Ruhe zu behalten, war für Bettina Wuttke alltägliches Kleingeschäft.

Seit dem Anruf von Bärbel Brunner hatte sich dagegen ihr Telefonverhalten verändert. Bei jedem Klingeln zuckte sie ein wenig zusammen. Sie könnte ja wieder dran sein. Bettina Wuttke wollte dann auf gar keinen Fall einen Fehler begehen.

Dieses Mal war es nicht anders.

„Erstes Kommissariat Münster, Bettina Wuttke am Apparat. Was kann ich für Sie tun?“

„Peter Plaun, Redaktionsleiter der Westfälischen Rundschau. Ich hätte gerne Hauptkommissar Klöppel gesprochen.“

„Der ist im Moment leider nicht im Hause. Sie können mir Ihre Nummer hinterlassen. Dann wird er Sie zurückrufen, sobald es ihm möglich ist. Ich kann Sie natürlich auch mit Oberkommissar Thoelke verbinden. Ich nehme aber an, dass Sie mit dem Herrn Hauptkommissar persönlich sprechen wollen.“

„Das haben Sie richtig vermutet.“

Der Mitarbeiter der WR hinterließ seine Telefonnummer. Frau Wuttke gab die Information unverzüglich an ihren Chef weiter. Holte sich ihr Fleißkärtchen ab. Der wiederum hatte gefühlte Momente später Peter Plaun an der Strippe.

„Sie haben gerade versucht mich zu erreichen. Worum geht es?“

„Das kann ich noch nicht so genau sagen. Aber es dürfte Sie interessieren.“

„Na, dann bin ich ja mal gespannt.“

„Vor zirka einer Stunde erreichte uns in der Redaktion ein ominöser Anruf. Eine Frauenstimme frug einen Kollegen, ob wir Interesse an dem Fall Butol hätten. Wenn ja, dann sollten wir in der Zeitung vorsorglich den Platz für aktuelle Informationen freihalten. Sie beendete dann das Gespräch mit dem Satz 'Man weiß ja nie, was an solch einem Tag alles passieren kann'. Dann legte sie auf.“

„Einen Mitschnitt dieses Telefonates haben Sie nicht zufällig?“

„Nicht zufällig! Sondern selbstverständlich!“

„Wäre es möglich, dass Sie uns das Telefonat zukommen lassen? Es könnte in der Tat für uns Bedeutung haben.“

„Na ja, Herr Hauptkommissar. Möglich ist Vieles. Ich finde, wir sollten in dieser Angelegenheit zusammenarbeiten. Wenn ich das richtig einschätze, könnte es sich bei der Anruferin um diese vermeintliche Entführerin handeln.“

„Sehen Sie. Sie sagen es selber: ‚könnte‘. Um das herauszufinden brauchen wir das mitgeschnittene Telefonat. Ihnen muss ich ja auch wohl nicht erzählen, dass das Verheimlichen von Beweismitteln strafbar ist.“

„Herr Klöppel, lassen wir mal diese Formalitäten. Wir haben uns in der Vergangenheit in dem einen oder anderen Fall auch die Hand gegeben. Hat es uns geschadet? Ich glaube nicht.“

„Was hat das mit unserem jetzigen Fall zu tun?“

„Ich finde, wir sollten uns auch hier wieder entgegenkommen. Gegen einen kleinen, unbedeutenden Deal hätten Sie doch nichts einzuwenden. Oder?“

„Was schwebt Ihnen da vor?“

„Sie haben das Telefonat in zwei Minuten auf Ihrem Rechner und brauchen uns nur mitzuteilen, ob es sich um die Stimme der Entführerin handelt. Ein fairer Deal. Alles natürlich völlig freiwillig.“

„Natürlich!“

 

Minuten später hörte sich das gesamte Team im Ersten Kommissariat konzentriert das Telefongespräch an. Das war inhaltlich nicht sehr ergiebig, bis auf diese sprichwörtliche Aussage im letzten Satz des Telefonates. Die Soko begab sich daran, diesen kurzen Anruf zu analysieren.

„Eindeutig! Das ist sie. Spielt die jetzt zweigleisig? Die will doch etwas damit bezwecken.“

„Diese Frau macht das ganz bewusst. Sie will Unruhe streuen, sonst würde sie nur uns und nicht auch die Zeitung mit einbeziehen.“

Oberkommissar Toppen war der Erste, der sich zu dem Telefonmitschnitt äußerte. Eine lebhafte Diskussion unter den Mitgliedern der Soko begann.

„Das stimmt. Sie weiß genau, dass wir die Angelegenheit jetzt nicht mehr als ‚Geheimsache‘ behandeln können. Da hätte die Westfälische Rundschau sicher etwas dagegen.“

„Benno, ich denke, das sehen wir hier alle so. Ich würde mir gerne noch einmal die Textsequenz ‚Man weiß ja nie…‘ anhören.“

Thoelke schien etwas aufgefallen zu sein.

„Achtet einmal genau auf die Stimmlage der Anruferin.“

„Tim, Du hast recht. Das hört sich an wie eine Drohung. So, als würde sie ihre nächste Untat quasi schon ankündigen. Frau Lau, was ist Ihre Meinung?“

Klöppel wandte sich direkt an seine Assistentin.

„Ich glaube, die Frau spielt nicht mehr nur mit uns. Sie hat uns den Krieg erklärt. Wir sollten wieder Doktor Brösel hinzuziehen. Der hat uns doch schon in den letzten Wochen wichtige Erkenntnisse geliefert. Mal hören, wie er die Sachlage aktuell einschätzt.“

„Eine gute Idee. Frau Lau, Daran dachte ich auch schon und hätte der Runde denselben Vorschlag gemacht.“

Klöppel konnte immer noch nicht gut damit umgehen, dass ihm seine Assistentin in manchen Situationen einen Schritt voraus war.

Doktor Brösel erschien kurz darauf im Kommissariat, leicht grinsend. Ein gewisses Maß an Überheblichkeit konnte man ihm nicht absprechen.

„Herr Hauptkommissar, Sie benötigen meine Hilfe. Was kann ich für Sie tun? Wie mir mitgeteilt wurde, macht Ihnen wieder einmal Bärbel Brunner zu schaffen. Diese Dame scheint sehr aktiv zu sein.“

Der herbeigerufene Kriminalpsychologe hörte sich das kurze Telefongespräch wiederholt an, ging in sich, streichelte sich mit seiner rechten Hand über die Wange, stützte den rechten Arm auf dem Schreibtisch auf, legte sein Kinn in den gespreizten Daumen und Zeigefinger. Für einen Außenstehenden wirkte diese Gestik fast schon albern. Bei ihm gehörte sie dazu.

Klöppel leitete die Gesprächsrunde. Jeder im Kommissariat wusste, dass das Verhältnis zwischen ihm und Doktor Brösel nicht gerade herzlich war. Vielleicht war es auch nur das Getue, was ihm an dem Psychologen nicht gefiel.

„Herr Brösel, nach Möglichkeit bitte kurz und knapp. Wie schätzen Sie den Gefühlszustand dieser Frau ein?“

„Herr Hauptkommissar, erwarten Sie nicht von mir, dass ich aufgrund dieses spärlichen Materials in die tiefste Seele dieser Person blicken kann. Aber eines kann ich sicher sagen. Die Anruferin befindet sich in einem Zustand äußerster Erregung, was darauf schließen lässt, dass sie dort weitermachen wird, wo sie aufgehört hat. Herr Butol steht nach wie vor auf ihrer Abschussliste. Sie hält sich im Moment nur zurück, was ihr auch relativ gut gelingt. Höchst wahrscheinlich würde sie lieber aus sich herausbrechen.“

„Demnach gehen Sie davon aus, dass es in ihr aussieht wie in einem brodelnden Vulkan.“

„Wenn Sie es so beschreiben wollen, ja.“

„Wir müssen also nur noch warten, bis der ausbricht. Ich muss Sie dann wohl nicht weiter fragen, ob Sie diese Frau nach wie vor für gefährlich halten?“

„Sie haben sich die Antwort doch selber gegeben, Herr Klöppel. Ich halte Frau Brunner für entschlossener denn je. Sie scheint genau zu wissen, was sie will. Das wiederum erhöht den Faktor ihrer Unberechenbarkeit. Der nächste Akt in diesem Psychospiel muss in ihrem Denkmuster den Ermordungsprozess Joachim Butols zum Inhalt haben. Daran möchte sie möglichst viele Menschen teilhaben lassen. Sie scheint gierig nach der Erregung von großem Aufsehen zu sein.“

„Das ist dann auch vermutlich die Begründung dafür, dass sie der Zeitung einen Tipp gegeben hat?“ Karin Lau hakte nach.

„Sie verstehen mich. Sie will sagen‚ ›Ich kann die mediale Verbreitung von Inhalten lenken, wie ich möchte‹. Das gibt ihr das Gefühl von Macht und Überlegenheit.“

„Na ja, viel Neues haben Sie uns da ja nicht mitteilen können. Bis hierher waren wir auch schon gekommen. Aber wir wollen nichts auslassen, was uns in diesem Fall weiterhelfen könnte.“

„Herr Klöppel, Sie wissen, ich stehe gerne zur Verfügung. Gestatten Sie mir noch eine Anmerkung! Im Kommissariat erzählt man sich, Frau Brunner hätte Sie heute früh schon kontaktiert. Ich hätte mir den Mitschnitt da auch schon gerne angehört. Wissen Sie, wenn man sich einen O-Ton zehnmal hintereinander zu Gemüte führt, wird er zunehmend aussagekräftiger. Aber das nur am Rande.“

Doktor Brösel konnte es sich nicht verkneifen, Hauptkommissar Klöppel einen kleinen Wink mit dem Zaunpfahl in Form einer versteckten Kritik an seinem kriminalistischen Verhalten mit auf den Weg der Ermittlungen zu geben. Der wiederum ignorierte das, bedankte sich bei dem Kriminalpsychologen. Dennoch, die Mängelrüge an seinem Vorgehen war bei ihm angekommen.

„Verdammt, wie kann das sein, dass der davon wusste?“

Tim Thoelke schien sich angesprochen zu fühlen.

„Benno, reg' dich ab. Du weißt doch, wie das bei uns läuft. Etwas hier nur in unserem engen Raum zu verheimlichen, ist doch gar nicht möglich. Also, keine Panik! So würden es jetzt die JB-Fans sagen.“

Hauptkommissar Klöppel lenkte ab. Offensichtlich verspürte er keine Lust, auf Tim Thoelkes Vortrag einzugehen.

„Ich muss auf jeden Fall diesen Zeitungsfritzen anrufen. Der wird höchstwahrscheinlich schon auf heißen Kohlen sitzen. Aber so leicht werde ich dem das nicht machen.“

Für Peter Plaun war der Anruf längst überfällig.

„Hallo, Herr Hauptkommissar. Ich dachte schon, Sie wollten Ihr eigenes Süppchen kochen. Hätte uns überhaupt nicht geschmeckt. Und die Stimme? Gehört sie zu Bärbel Brunner?“

„Wir müssen davon ausgehen, dass es so ist. Ich weiß, dass Sie jetzt brennen. Sie sind doch heiß und wollen möglichst umgehend damit loslegen, Ihren Kunden die Fortsetzung in diesem Fall zu liefern. Am besten als eine Mördergeschichte. So etwas kommt bei den Lesern immer gut an. Ich muss Sie an dieser Stelle leider enttäuschen. Wir haben nichts in der Hand, was für Sie journalistisch betrachtet interessant wäre und uns der mutmaßlichen Täterin nur einen Millimeter nähergebracht hat. Wir sind noch dabei, die Bedeutung dieses Telefonats zu analysieren. Durch Ihren heutigen Bericht in der WR haben Sie ganz schön für Wirbel gesorgt. Eine Bitte zum Schluss! Könnten Sie für die morgige Berichterstattung kein Horrorszenario kreieren? “

„Wollen Sie damit sagen, dass wir es mit der Korrektheit unserer Berichterstattung nicht so genau nehmen? Wir haben dieses kurze Telefonat von einem unserer Sprachexperten analysieren lassen.“

„Und? Zu welchem Ergebnis ist der gekommen?“

„Das scheint Sie ja doch zu interessieren. Sagen wir es mal so. Der hält die letzte Aussage des Gespräches für sehr bedrohlich. Was immer das zu bedeuten hat. Da sind Sie der Experte.“

„Eben! Aus dem Grunde noch einmal die Bitte. Halten Sie sich bedeckt“, forderte Klöppel seinen Gesprächspartner auf.

„Die journalistische Aufarbeitung müssen Sie schon uns überlassen. Wir schreiben Ihnen ja auch nicht vor, wie Sie Ihr Kriminalgeschäft auszuführen haben. Sie kennen doch den ausgelutschten Spruch ‚Schuster, bleib bei deinen Leisten‘. Doch, wenn ich näher darüber nachdenke, ist dieses Sprichwort, was wir schon in der dritten Klasse gelernt haben, gar nicht so abgegriffen. Vielleicht war es ein Fehler, Sie sofort zu informieren. Andererseits kann unsere Zusammenarbeit gegenseitig befruchtend sein. Das liegt doch auch in Ihrem Interesse. Oder täusche ich mich da? Einen schönen Tag noch.“