Partnerwechsel - Károly Gerner - E-Book

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Gerner, Károly

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Beschreibung

Mario Wolf, Hauptakteur des Geschehens, ist ein gut aussehender und sehr charmanter junger Mann. Der Gymnasiallehrer liebt das Leben, seinen Beruf und das Abenteuer. Vor allem aber liebt er die Frauen und folgt ohne Argwohn ihren verführerischen Reizen. Dabei pflegt er die Abwechslung und gerät unverse-hens in die Fänge einer raffinierten Domina, die ihn das Fürchten lehrt. Zudem ersinnt der betagte Herr Chamäleon einen teuflischen Plan gegen den Her-zensbrecher. Denn wie der triebhaft gesteuerte Casa-nova verehrt auch er die hübsche und kluge Sabine Blume, bis sich die Situation bedrohlich zuspitzt und in eine Katastrophe mündet. Das Werk ist durchdrungen von knisternder Erotik und enthält nebenher auch fruchtbare Impulse für glückliche Partnerschaften.

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Seitenzahl: 165

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Leitgedanken

Fragt man gezielt nach dem Sinn des Lebens, unseres flüchtigen Aufenthaltes auf Erden, dann gibt es verschiedene, zuweilen auch gegensätzliche Reaktionen. Das Glücklichsein mitsamt seinen nahezu unendlichen Eigenarten empfindet der Verfasser dieses Buches als die am ehesten einleuchtende Antwort.

Eine vollkommene, weil zutiefst humane Gesellschaft hat es bisher nicht gegeben. Sie ist auch künftig nicht zu erwarten. Doch wegen bestimmter Probleme auf sozialer oder privater Ebene gleich in Wehmut fallen oder gar auf ein vermeintlich paradiesisches Jenseits hoffen, wäre kein guter Rat. Stattdessen sollten wir lieber öfter und konsequenter aus den sich bietenden Chancen das Beste machen! Ein jeder auf seine Art.

Klar, das Leben geht auch ohne uns weiter. Da sollte man keinerlei Illusionen hegen. Aber wir existieren nun mal als denkfähige Wesen. Folglich treibt es uns gelegentlich fast schon zwanghaft zu Erkundigungen nach dem Wert, Ziel und Zweck, eben nach dem Sinn menschlichen Daseins.

Ein Phänomen, das uns bisweilen Flügel verleihen oder auch völlig aus der gewohnten Lebensbahn werfen kann, heißt Liebe. Mit einem höheren Gefühl inniger Zuneigung wird vermutlich kaum jemand beschenkt. Sie ist der Edelstein des Herzens, ein Zauber höchster Gefühle, das Göttliche in uns.

Ihr ist der Hauptteil dieser Lektüre gewidmet.

Möge sie der verehrten Leserschaft gefallen!

Inhaltsverzeichnis

Kapitel I

Kapitel II

Kapitel III

Kapitel IV

Kapitel V

Kapitel VI

Kapitel VII

Kapitel VIII

Kapitel IX

Kapitel X

Kapitel XI

I

Die Luft war brütend heiß und staubgeschwängert. Eine beängstigende Gewitterfront entfachte sich über Dresden, begleitet von furchterregenden Blitzen und Donnerschlägen. Obendrein begann ein Sturm zu wüten, dass man schon fast den Eindruck hatte, als stünde die biblisch prophezeite Apokalypse, quasi der Weltuntergang unmittelbar bevor. So grausam wirkte das außergewöhnliche Grollen, Wüten, Krachen und Leuchten der wachgerufenen Naturkräfte. Nicht gerade das ideale Wetter für überschwängliche Lobgesänge und erst recht keins, um gegebenenfalls Helden zu zeugen. Oder vielleicht doch? Immerhin herrschte der am meisten umschwärmte Wonnemonat Mai, wenngleich vorübergehend besonders rabiat als unverkennbarer Aufruhr der Elemente.

In jener Stunde lief Mario Wolf extra flotten Schrittes von der Straßenbahnhaltestelle Dahlienweg zu seiner Geliebten, die ihn bereits sehnsüchtig erwartete, um mit ihm abermals einen nahezu unglaublichen Sinnenrausch zu genießen.

Als er schon an der Eingangspforte ihres Domizils stand und am Klingelknopf drücken wollte, überschüttete ihn ein bejahrter Herr, der im Schatten eines riesigen Nussbaumes auf einer abgenutzten Holzbank saß, mit höchst merkwürdigen Äußerungen. Den freundlichen Gruß des Heraneilenden hatte er zwar nicht erwidert, doch umso bedrohlicher waren seine Worte, indem er trotz seines hohen Alters stimmgewaltig sagte:

„O weh, junger Mann, da braut sich etwas Ungeheuerliches zusammen“, wobei er mit beiden erhobenen Armen seine Krücke nervös fuchtelnd zum Himmel richtete. „Noch nie habe ich solch grauenvolle Bilder am Firmament vernommen. Das wird fürchterlich enden, vielleicht sogar mit dem Jüngsten Gericht, wie es in der Heiligen Schrift angekündigt wird. Ganz sicher folgt aber bald die gerechte Strafe Gottes für das lasterhafte Verhalten vieler Subjekte, zu denen offenbar auch du zählst, bedauernswerter, armseliger Sünder. Das wirst du büßen, Jüngling. Mach dich auf das Schlimmste gefasst!“

Mario ließ den Greis mit ungemein durchfurchtem Gesicht, dessen schlohweißes Haar ihm um sein mageres Haupt flatterte, kommentarlos schwafeln. Obwohl er solcherart boshafte Ankündigungen zutiefst verabscheute, lauschte er dennoch gebannt dem wundersamen Väterchen. Dabei schoss ihm unwillkürlich die Frage durch den Kopf, wie es denn zu erklären sei, dass ein Mensch nach einem doch relativ langen irdischen Dasein, was ja bei diesem Methusalem gewiss zutraf, dergestalt törichtes Zeug redet.

Und doch blieben dessen absonderliche Worte wie zäher Kleister in Marios Hirnzellen haften. Womöglich ein böses Omen?

Der hutzelige Senior, dessen stark herausstehenden Augen sich fortwährend bedächtig im Kreise drehten, wetterte ohne Unterlass, und Mario verharrte reglos, ließ die völlig unerwarteten Schmähungen über sich ergehen, widersprach mit keiner Silbe. Ihm schwante, dass in seinem Gegenüber etwas Hinterlistiges, wenn nicht gar Bestialisches stecken könnte. Der Hassprediger erschien ihm zumindest nicht geheuer.

Als sich jedoch der Sturmwind zusehends entfesselte und dem Hochbetagten beinahe das spärliche Haar vom Kopf riss, packte der vermeintliche Schwächling jählings die gewichtige Holzbank, um sie einige Meter weiter an die Hauswand zu stellen. Mario war sprachlos, erstaunt und verblüfft darüber, wie flott und kraftvoll der befremdliche Kauz zu Werke ging. Anscheinend verfügte er noch über eine beachtliche Menge Energie. Sodann griff der Alte zu seinem Sitzkissen, nahm hurtig die Gehhilfe sowie einen Schlüsselbund zur Hand und öffnete die Tür, worauf auch der unverhofft gescholtene Besucher endlich ins Haus gelangte.

Kurz darauf umarmte und küsste Sabine Blume inbrünstig ihren heiß begehrten Liebhaber, der sie gleichermaßen ungestüm begrüßte. Indessen befiel ihn gleich darauf der Wissensdrang zu erfahren, welch einem seltenen Vogel er da unten begegnet wäre, zumal er ihn bisher noch niemals gesehen hatte, obwohl er mittlerweile doch schon reichlich zwanzig Mal hier eingekehrt war.

Sabine konnte seiner Neugierde halbwegs nachkommen, indem sie plausibel antwortete:

„Ach, unser Herr Chamäleon! So nennen wir ihn wegen seiner eigentümlichen Augen, die er, ähnlich der kleinen Echse, meist auffällig langsam im Kreise und manchmal sogar entgegengesetzt bewegt. Allein das reichte offenbar einem Pfiffikus, ihn spitzbübisch mit dem eindrucksvollen Tier zu vergleichen, denn er verfügt weder über eine übermäßig lange Zunge noch lebt er auf Bäumen. Allenfalls kann er seine Gesichtsfarbe bei Gefahr rasch ändern.

Dem Vernehmen nach hat er sich längst an die ulkige Bezeichnung gewöhnt, findet wahrscheinlich sogar Gefallen daran, denn er pflegt vor allen Leuten emsig seinen kauzigen Ruf. In Wirklichkeit heißt er mit Familiennamen Schulze. Aber den benutzt kaum noch jemand aus der näheren Umgebung.“

„Es leuchtet mir ein, was du sagst, mein Täubchen“, entgegnete Mario. „Aber mehr noch als sein ungewöhnliches Erscheinungsbild befremden mich seine garstigen Worte, die er wie aus Kübeln über mich ausschüttete. Sie brennen jetzt noch in meiner Brust. Ich kann mir einfach keinen passenden Reim darauf machen, was er damit bezwecken will.“

„Das verstehe ich, wer den Mann nicht kennt, erschrickt unwillkürlich infolge seiner oft irritierenden Äußerungen. Doch er ist bestimmt vollkommen harmlos, soweit ich sein exzentrisches Verhalten einzuschätzen vermag“, erklärte Sabine, fügte jedoch vorsorglich hinzu: „Freilich wäre demgegenüber auch zu bedenken, dass ‚die Linie, die Gut und Böse trennt, quer durch jedes Menschenherz verläuft’, wie es Solschenizyn dereinst schrieb. Wahrscheinlich hatte der Literaturnobelpreisträger damit sogar recht, denn im Grunde genommen schlummert doch in jedem von uns ein potenzieller Mörder, selbst wenn wir das nicht vorbehaltlos wahrhaben wollen. Ob das launenhafte Monster erwacht und in welchem Maße es aktiv wird, hängt wohl in erster Linie von den jeweiligen Umständen ab, wie human einer auch erzogen und gebildet sein mag. Ich bin nicht schicksalsgläubig. Aber das Tier wohnt in uns!“

Das war ein ziemlich harter Schlag für Mario. Sabines Logik machte ihn betroffen, und eine düstere Ahnung von einem möglichen Unheil stieg in ihm auf, noch reichlich nebulös, nichtsdestoweniger als gefährlicher Keim schon in seiner Innenwelt spürbar.

Allzu gern hätte er das Thema sofort beendet, denn er hatte anderes im Sinn, nämlich ein erquickliches Schäferstündchen mit seiner vertrauensseligen Gespielin. Allein darauf zielte sein Begehren. Das Einzige, was er diesmal tatsächlich von ihr wollte, war ein heißer Liebesakt, vielleicht auch zwei, eben leidenschaftlicher Sex, um seine triebhafte Begierde umgehend zu befriedigen.

Indessen verkündete eine Kirchenglocke mahnend vier Schläge. Es war also bereits sechzehn Uhr.

Mario bedauerte schon, Sabine überhaupt nach dem wundersamen Alten befragt zu haben. Ihm blieben noch knapp zwei Stunden, dann würde er aufbrechen müssen, um einer anderen verheißungsvollen Verabredung zu folgen, was er allerdings eisern für sich behielt. Hätte er das amouröse Vorhaben leichtfertig preisgegeben, wäre garantiert im Nu eine hochdramatische Situation mit völlig ungewissem Ausgang eingetreten. Das musste auf jeden Fall vermieden werden. Die Katastrophe, welche er selbstverschuldet wiederholt heraufbeschwört, käme ohnedies noch früh genug, und sie wäre bei Weitem nicht die erste noch die letzte ihrer Art.

Während ihn solche Überlegungen plagten, schob Sabine überraschend nach, indem sie sagte:

„Herr Chamäleon wohnt übrigens Parterre. Also hat er dich bestimmt schon oft gesehen und beobachtet. Aber das hat nichts zu bedeuten, denn er ist gewiss frei von jeglicher Ruchlosigkeit.“

Mario war von dieser wohlgemeinten Charakteristik nicht überzeugt. Vielmehr wurde er instinktiv vom Gedanken beschlichen, dem arg mysteriösen Typen, wie er ihn spontan empfand, eines Tages völlig unverhofft woanders nochmals zu begegnen, und zwar auf höchst bedrohliche Weise. Er wähnte sich leidlich unterrichtet und nicht minder gewarnt.

Obwohl ihn das mulmige Gefühl zunehmend aufwühlte, behielt er es streng für sich.

Nunmehr ergriff Sabine erneut das Wort:

„Dass du unseren drolligen Mitbewohner erst jetzt auf der Bank vor dem Haus angetroffen hast, ist nicht verwunderlich: Früher saß er öfter dort. Doch unartige Kinder haben ihn wegen seines nicht gerade salonfähigen Aussehens immer mal gefoppt und genarrt. Als er die ständige Hänselei ein für alle Mal satthatte, kaufte er eine kleinere Sitzbank, die er hinterm Haus aufstellte, wo sich unser Mister Chamäleon nun offenbar pudelwohl fühlt, denn man sieht ihn bei günstigem Wetter fast täglich stundenlang in beschaulicher Position, üblicherweise mit einem Buch in seinen Händen. Er liest augenscheinlich sehr gern, vorwiegend Kriminalliteratur.

Zudem absolviert er dort auch regelmäßig seine Körper- und Atemübungen, darunter Hatha-Yoga. Das Wissen dazu erwarb er sich aus einschlägigen Fachbüchern. Er beendet seine Bewegungsabläufe stets mit dem ‚Gruß an die Sonne‘, auch wenn diese gerade mal nicht am Himmel steht. Du weißt, ich kenne mich auf dem Gebiet mittlerweile einigermaßen aus, weil ich doch an einem Yoga-Lehrgang teilgenommen habe. Schließlich hatte ich dir gegenüber in dieser Hinsicht großen Nachholbedarf. Seither übe ich täglich – wie auch unser Chamäleon – wenigsten eine viertel Stunde, und es tut mir zunehmend gut …“

„Ja, das sehe ich, mein Täubchen, du wirkst zweifellos entspannter und obendrein vitaler als vorher. Das sanfte Training bekommt dir ausgezeichnet. Wie schön für dich und natürlich auch für mich!“, unterbrach Mario jählings, aber nett ihren Redefluss.

Doch sie ließ sich nicht beirren und sprach gleich weiter, indem sie noch unbedingt hinzufügen musste: „Wer Herrn Schulze bei solcherlei Aktivitäten noch niemals beobachten konnte, dürfte kaum glauben, wie quicklebendig sich der greise Mann zeigt, sichtlich topfit und voller Lebensenergie. Er braucht trotz seiner fünfundachtzig Jahre noch keinerlei Hilfe, ist vollkommen selbstständig. Man mag ihm zwar das Alter ansehen, nicht hingegen seine geistige und körperliche Vitalität. Da können viel jüngere Zeitgenossen sicher kaum mithalten. Darum ist es mir rätselhaft, warum er ständig einen Spazierstock bei sich hat. Den braucht er eigentlich nicht. – Nun, wie dem auch sei, mein wissbegieriger Charmeur, deine heutige Begegnung mit ihm ist gewiss eine seltene Ausnahme, wenngleich mit unglücklichem Verlauf. Aber nimm das bitte nicht sonderlich ernst! Es würde dein Gemüt nur unnötig belasten.“

Mario, gemeinhin ein sehr geduldiger Zuhörer, vernahm zwar seelenruhig Sabines Redefluss samt ihrem leutseligen Wortschwall, glaubte aber nicht vorbehaltlos an dessen Inhalt, was er ihr gegenüber jedoch verschwieg. Und die Gehhilfe des mysteriösen Alten war ihm sowieso arg seltsam vorgekommen.

Herkömmliche Krücken sahen anders aus, ohne jeglichen Drücker am Knauf. Dies war Mario erst beim Öffnen der Haustür aufgefallen, als ihm der Senior den Griff des Stocks direkt unter die Nase gehalten hatte. Ob das Absicht oder Zufall gewesen war, vermochte er nicht zu beurteilen. Gleichwohl behielt er auch das für sich und starrte beiläufig wie gebannt auf den kleinen Tischventilator, der leise surrend für ein bisschen Kühlung sorgte.

Tatsächlich wurde Mario das mulmige Gefühl nicht mehr los, dass mit dem besagten Herrn irgendetwas nicht stimmte und er möglicherweise verdammt gefährlich werden könnte. Aber es war nur eine düstere Vermutung, die sich unweigerlich in seinen wachsamen Hirnzellen festsetzte.

Sabine argwöhnte zwar seit Längerem, von ihrem rätselhaften Mitbewohner fortwährend belauert und eventuell sogar leibhaftig verehrt zu werden, war sich aber nicht völlig sicher. Darum verschwieg sie diese Annahme Mario gegenüber.

Als müsste sie ihre einschlägigen Überlegungen schärfen, drängten sich unaufhaltsam Erinnerungen in ihr Bewusstsein, darunter folgende:

Eines Tages, als sie hinterm Haus ihre frisch gewaschenen Kleidungsstücke an die Leine klammerte und dabei Herrn Chamäleon beobachtete, der ausnahmsweise recht stumpfsinnig auf seiner Holzbank saß, nahm sie dort zum ersten Mal neben ihm Platz.

Der Alte war sofort hellwach und voller Freude. Am liebsten hätte er sie wohl spornstreichs fest umarmt, was er allerdings vorsichtshalber unterließ. Trotzdem vernahm sie deutlich seine entfachte Begeisterung, obschon mit gemischten Gefühlen.

Diese verstärkten sich unweigerlich, als er sie bald darauf mit einer pfirsichfarbenen Rose überraschte. Auffallend schick gekleidet sowie erhobenen Hauptes und trotzdem merklich verunsichert ihr gegenüber, hielt er die Blume für eine kurze Weile hinterm Rücken mit beiden Händen fest, bevor er sie ihr unter funkelnden Augen überreichte.

Sabine nahm zwar diese nette Gabe dankend entgegen, vermochte jedoch ihre Verlegenheit dem Bewunderer gegenüber nicht zu verbergen.

Da sie sich in der Blumensprache hinreichend auskannte, wusste sie sofort, dass er durch seine gewiss absichtliche Wahl der Farbe sowohl Anerkennung als auch Dankbarkeit und Sympathie vermitteln wollte. Das machte sie ebenso glücklich wie befangen. Hätte er ihr dagegen ein Bukett mit roten Rosen oder auch nur eine einzige davon dargeboten, wäre sie bestimmt arg verblüfft gewesen über das Sinnbild für entbrannte Liebe, namentlich in erotischer Hinsicht.

Von solcherlei intimen Gefühlen und Absichten ließ sich Herr Chamäleon jedoch nicht leiten. In ihm war vielmehr eine Art Beschützerinstinkt erwacht.

Gleichwohl offenbarte die ritterliche Geste ein deutliches Zeichen großer Zuneigung.

Sodann entfachte sich eine weitere, ebenso markante Begebenheit in Sabines Gedächtnis wie folgt:

Im vergangenen Winter, als sie eines Tages von der Arbeit heimkehrte, blieb sie mit ihrem rechten Stiefelabsatz am Rande des Fußabstreifers hängen.

Der metallene Vorleger war nicht ebenerdig angebracht worden, sondern lag trotz seiner beachtlichen Höhe von rund vier Zentimetern einfach vor der Eingangstür. Zudem war er gerade vom frisch gefallenen Schnee bedeckt.

Sabines kurzzeitige Unaufmerksamkeit gereichte ihr prompt zum Schaden. Sie verstauchte sich den Fuß derart massiv, dass sie infolge des plötzlichen Schmerzes unwillkürlich laut aufschrie. Doch es währte nur wenige Sekunden und Herr Schulze, der sie von seinem Wohnzimmer aus, wie so oft hinter einer Gardine lauernd, aufmerksam beobachtet hatte, war zur Stelle geeilt, um ihr liebend gern beizustehen.

Da sie mit ihrem verletzten Bein nicht mehr auftreten konnte, fasste er sie rechtshändig behutsam um die Hüfte, während sie sich mit ihrer linken Hand an seiner Schulter festhielt. So gelangten beide vorsichtig in seine Stube, um das Ausmaß des Gebrechens zu prüfen, nachdem Sabine in einem alten Sessel Platz genommen hatte. Als sie sich im Raum umsah, war sie erstaunt darüber, wie aufgeräumt er sich darbot, ehrsam ordentlich und sauber.

Der Senior zog ihr sanft den Stiefel und Strumpf vom Fuß, und schon war eine starke Schwellung zu sehen, worauf sich der betagte Kavalier sehr besorgt zeigte, denn es könnte ja etwas gebrochen sein.

Weil abends die Arztpraxen geschlossen sind, wollte er sofort den Notdienst rufen oder mit ihr selbst ins Friedrichstädter Krankenhaus fahren, das sich ganz in der Nähe befindet und am schnellsten erreichbar wäre. Sie entschied sich indessen für den Rettungswagen, und so ward das Malheur bald behoben. Es handelte sich um eine mittelschwere Verstauchung.

Dass er sie im Verlauf seiner Hilfsaktion notgedrungen berühren musste und durfte, hatte er sicher als ein himmlisches Geschenk empfunden. Wahrlich kein Hexenwerk, wenn sich dabei seine Pulsschläge rasant beschleunigten und nicht nur die Segelohren zum Glühen brachten.

Wohl kaum ein anderer hätte sich damals so fürsorglich um Sabines Genesung gekümmert wie Herr Schulze, denn er tat es mit bewundernswerter Hingabe. Dabei hatte sie ihm am Rande anvertraut, wie sehr sie Mario Wolf liebe und dass sie ihn vielleicht schon in naher Zukunft heiraten werde, um möglichst bald eine eigene Familie zu gründen.

Das hatte der selbstlose Helfer mit quälender Sorge vernommen, denn er hegte ernsthafte Zweifel, ob es jemals dazu kommen würde, sprach aber nicht darüber. Möge sie doch weiterhin hoffen und ihre überströmende Wonne genießen! Das Schicksal würde ihr unseligerweise solcherlei Hochgefühle nicht mehr lange bieten können. Darin war sich der alte Mann vollkommen sicher, denn er berief sich auf seine enorme Erfahrung in mannigfacher Hinsicht.

Seit jenem zufälligen Ereignis grüßten sich das spleenige Väterchen und Sabine auffallend freundlich. Derweil unterhielt man sich mitunter auch recht eingehend über verschiedene Themen. Doch zu seiner Vergangenheit verlor ihr Mitbewohner kein Sterbenswörtchen. Folglich konnte sie nicht wissen, woher er kam, ob er Familienangehörige hatte, wie sein Lebenslauf war. Buchstäblich nichts wurde ihr davon anvertraut. Da Sabine beizeiten merkte, dass er darüber nicht sprechen wollte, zähmte sie ihre Neugier. Das minderte aber nicht den ansonsten netten Gedankenaustausch.

Erst viel später, als Sabine von großem Kummer geplagt wurde und zu Depressionen neigte, verriet Herr Schulze beiläufig, dass er jahrzehntelang in einem Forschungslabor als Biologe gearbeitet habe, wo er hauptsächlich mit Pflanzengiften beschäftigt war. Vielleicht könne er ihr auf seine Weise helfen, ihre Plagegeister wieder loszuwerden.

Ihr war allerdings zeitlebens verborgen geblieben, was genau er damit meinte.

Hin und wieder schenkten sich beide einander sogar kleine Aufmerksamkeiten. Ungeachtet dessen zeigte sich der Senior ihr gegenüber niemals aufdringlich, bewahrte standhaft gebührenden Respekt, was Sabine besonders an ihm schätzte, denn sie war aus unerfindlichen Gründen nach wie vor auf eine gewisse Distanz bedacht.

Selbstredend hatte er schon weit früher die bildhübsche junge Frau gezielt in Augenschein genommen, wann immer sich eine passende Gelegenheit dafür ergab, obwohl noch zwei weitere blühende Schönheiten im Hause wohnten. Doch allein auf Sabine Blume richtete sich sein ganzes Wohlwollen. Am liebsten hätte er sie ohne Unterlass wie das eigene Kind beschützt. Für sie würde er buchstäblich alles tun, auch unter Einsatz seines Lebens, denn er verehrte sie wie eine zauberhafte Göttin. Nie hätte er ihr auch nur das geringste Leid zugefügt. Ihr nicht! Demzufolge sollte es auch kein anderer wagen, ihr Böses anzutun!

Da er Frühaufsteher war, konnte er sie jederzeit beobachten, wie sie beschwingt zur Arbeit ging und feenhaft dahinschwebte, was er stets als Hochgenuss empfand. Zudem wartete er gemeinhin nicht minder sehnsüchtig auf ihre Heimkehr, um sich erneut an ihrer betörenden Erscheinung zu berauschen. Sobald sie in sein Blickfeld trat, ging für ihn die Sonne auf, voller Pracht und Erhabenheit, und er fühlte sich namenlos glücklich. Dagegen wurde ihm schwer ums Herz, wenn er sie zusammen mit ihrem Liebhaber weggehen oder heimkehren sah.

Von alledem wussten freilich weder Sabine noch Mario. Dennoch tauchten beiläufig gerade jetzt solcherart Gedanken bei ihr auf, während Mario immer noch wie gebannt auf den Lüfter stierte, als könne das technische Gebilde Wunder vollbringen.

Wie aus dem Nichts erwachten in Sabines Kopf Erinnerungen an Gespräche, die sie zwischenzeitlich mit Herrn Schulze zu mancherlei Fragestellungen geführt hatte. Und wieder fiel ihr auf, dass er dabei sein früheres Leben konsequent aussparte. Höchst seltsam! Was mochte dahinterstecken? –

Diese nebulösen Eingebungen behielt Sabine jedoch weitgehend für sich. Lediglich ein paar verschwommene Andeutungen ließ sie sich entlocken, womit Mario allerdings nichts anzufangen wusste. Was war nur plötzlich mit ihr los? Sie wirkte befangen, irgendwie beunruhigt und mit vernehmbarer Sorge erfüllt.

Endlich raffte sie sich forsch aus den störenden Tagträumen und fragte jählings ihren Freund:

„Magst du etwas trinken?“

„Ja, gerne!“, war postwendend seine Reaktion, und er fühlte sich wie von Zauberhand spontan befreit vom langen Erörtern einer fatalen Angelegenheit.

„Den italienischen Dunkelroten?“, hakte Sabine nach.

„Mit Vergnügen, der ist preisgünstig und mundet uns beiden doch vorzüglich“, antwortete Mario erleichtert, zumal er hoffnungsfroh vernahm, wie Sabine faunisch ihrem Namen alle Ehre machte und wie eine auserwählte Blume prachtvoll erstrahlte.

„Ich bereite uns noch fix ein paar Happen“, äußerte sie unverkennbar lüstern und lief in ihre Miniküche, worauf Mario erwartungsvoll eine vertraute Weinflasche mit der Aufschrift „RUBINAIA“ öffnete.

Er beabsichtigte, sich davon höchstens zwei Gläschen zu genehmigen, denn er musste unbedingt einen klaren Kopf behalten. Obendrein mahnte die extreme Wärme zur Vorsicht. Und was sich Mario einmal fest vornahm, wurde auch konsequent eingehalten. Darin war er durchweg außerordentlich diszipliniert.

Bald danach kuschelten die innig Verliebten zärtlich miteinander in der kleinen, eher spartanisch als üppig, aber durchaus sinnvoll eingerichteten Mansardenwohnung der hübschen Lehrerin, während draußen bereits die monströsen Gewalten tobten. Und je stärker der Regen aufs Dach prasselte, desto tiefer empfanden sie ihre Zweisamkeit, denn es war Sonntag, und sie hatten ihn buchstäblich herbeigesehnt.