PatchWords - a la carte - Britta Bendixen - E-Book

PatchWords - a la carte E-Book

Britta Bendixen

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Beschreibung

Nach "PatchWords" und "PatchWords - Reloaded" wird es nun kulinarisch. In "PatchWords - a la carte" gibt es leichte literarische Vorspeisen, fantasievolle Kreationen, kriminell scharf Angebratenes voller Spannung und überraschende Geschichten als Dessert Surprise. "PatchWords - a la carte" bietet unterhaltsame Geschichten und entführt den Leser in fremde Welten und andere Zeiten. Erfahren Sie, warum ein Superheld Hilfe bei einem Psychiater sucht, was eine Hausfrau von ihrem Schutzengel lernt und was Außerirdische von uns und unserem Planeten halten ... Eine Lektüre, die man wie ein gutes Essen am besten mit einem Glas Wein genießt ...

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PatchWords - a la carte

PatchWords - a la carteAMUSE GUEULE- Glückskeks-Günni- Straße des Schreckens- Erwischt!LEICHTE VORSPEISE- Antoia will Samba tanzen- Wenn die Planken schwanken- Wettbewerb mit NebenwirkungenPHANTASIEVOLLE KREATIONEN- Der Sohn des Rebellen- Zwischen Kap und Känguru- Maybergs Villa- Das Medaillon- Superheld mit DefizitenMIT LIEBE ZUBEREITET- Traumprojekt mit Schattenseiten- Pute, Punsch & Polizei- Alois, der WeihnachtsengelKRIMINELL SCHARF ANGEBRATEN- Charade- Mitten ins Herz- Für immer- Ein hochprozentiger FallDESSERT SURPRISE- Eis mit heißen Kirschen- Die Prophezeiung- Bäh!- Die Schrebergarten-DetektiveSCHLUSSWORT & DANKSAGUNGWEITERE BÜCHER DER AUTORINImpressum

Vorwort

Schriftsteller und Köche haben vieles gemeinsam.

Beide arbeiten mit Leidenschaft, Geschmäckern und Intuition. Sie probieren sich immer wieder neu aus, lieben es, Phantasievolles zu kreieren und freuen sich, wenn das, was sie geschaffen haben, positive Reaktionen hervorruft. Sie wünschen sich, dass derjenige, der in den Genuss ihrer Kreationen kommt, hinterher zufrieden ist und im besten Falle mehr verlangt.

Auch das Lesen und das Essen haben viele Gemeinsamkeiten. Beides spricht die Sinne an und ist perfekt für zwischendurch. Wenn es schmeckt, möchte man am liebsten gar nicht mehr aufhören und hinterher fühlt man sich so richtig behaglich.

Bei derart vielen Parallelen dachte ich mir, wäre es doch eine schöne Idee, meinem neuesten PatchWords-Band eine kulinarische Note zu geben. Also machen Sie es sich gemütlich – vielleicht mit einem guten Glas Wein – und lassen Sie es sich schmecken. A la carte!

Ihre

Britta Bendixen

AMUSE GUEULE

Liest man in einem Restaurant die Karte,

so ist die goldene Regel:

Wenn man es nicht aussprechen kann,

kann man es sich auch nicht leisten.

Frank Muir

- Glückskeks-Günni

Mitternacht. Bereits während der letzten Stunden konnten einige Ungeduldige es nicht abwarten und so knallte, zischte und donnerte es immer wieder mal im Laufe des Abends. Jetzt aber zieht es alle nach draußen und das Getöse erreicht seinen Höhepunkt.

Ich bleibe allein drinnen. Hier ist es weniger laut und stinkig, dafür warm und gemütlich. Die bun­ten Explosionen am Himmel sehe ich durchs Fenster, das reicht mir. Im Fernsehen läuft eine dieser Silvester-Shows.

Ich zappe ein bisschen und lande zuerst bei der x-ten Wiederholung von ›Dinner for one‹, um wenig später zum dritten Mal an diesem Abend Ekel Alfred zuzusehen, der lautstark »Das ist Punsch, du dusselige Kuh! Punsch! Punsch! Punsch!« brüllt.

Amüsiert nehme ich einen der chinesischen Glückskekse vom Esstisch, entferne die Plastikverpackung und knacke ihn auf. Während ich mir ein Stückchen Keks in den Mund schiebe, falte ich den kleinen Zettel auseinander, der im Keks verborgen war. Jedes Mal erwarte ich den bekannten Spruch »Hilfe, ich werde in einer Glückskeksfabrik gefangen gehalten!«.

Wieder nix. Scheinbar wird niemand gezwungen, Zettel in Kekse zu stopfen. Die machen das gerne.

Ich nippe an dem Sekt, mit dem wir gerade auf das Neue Jahr angestoßen haben und lese: ›Nach einer nötigen Trennung beginnt faszinierendes Neues‹.

Hm, ich soll mich also trennen. Von meinem Mann etwa? Um frei zu sein für einen anderen? Du liebe Güte! So eine Entscheidung von einem Keks abhängig zu machen, erscheint mir doch etwas zu krass.

Ich lege den Zettel auf den Tisch und zünde eine Tischbombe an einer Kerze an, während der von seinem selbstgebrauten Punsch benebelte Alfred im Fernsehen mit seinem Schwiegersohn anstößt.

Es knistert leise, die Lunte sprüht kleine Funken.

BUMM!

Der Knall ist viel lauter als sonst, es pufft und kracht, Rauch nebelt mich ein und Konfetti rieselt auf mich herab wie bunter Papierschnee. Dann höre ich zu meinen Füßen ein heiseres Husten.

Verdattert schaue ich nach unten und sehe einen Hund in der Größe eines Hamsters. Er hat braunes Fell, Schlappohren, eine putzige Schweinsnase und ein Ringelschwänzchen.

»Ach du dickes Ei!«, rufe ich und hebe ihn vom Boden auf. Er passt bequem in meine Hand. »Was bist denn du für ein Scherz der Schöpfung?«

»Ich bin Günni«, sagt er.

Die Stimme kommt mir bekannt vor.

»Dein innerer Schweinehund«, fügt er noch hinzu.

Verdattert starre ich das Wesen an, denn er spricht mit der deutschen Synchronstimme von George Clooney. Kein Wunder, dass ich ihm nie widerstehen konnte!

»Na los«, fordert er mich mit einem charmanten Lächeln auf. »Trink noch einen Schluck. Und die Chips sehen so lecker aus. Greif ruhig zu. Es ist schließlich Silvester.«

»Ich habe mir dich immer größer vorgestellt«, sage ich.

»Oh, das bin ich auch! Aber um in die Tischbombe zu passen musste ich schrumpfen. Setz mich doch mal ab.«

Ich tue ihm den Gefallen und schaue mit offenem Mund zu, wie er immer weiter und weiter wächst, bis die Schweinsnase größer ist als eine Steckdose.

Mein Mann kommt zur Tür herein, mit roter Nase von der Kälte und Schneeflocken in den Haaren.

»Haben wir noch irgendwo ein Feuerzeug?«, will er wissen. »Meins ist kaputt.«

»Oberste Küchenschublade«, sage ich automatisch und zeige mit dem Finger auf Günni. »Guck mal.«

Er wendet seinen Blick in Richtung meines inneren Schweinehundes, der jetzt offenbar mein äußerer Schweinehund ist, und schaut dann verwirrt zu mir. »Was meinst du?«

»Na, den Schweinehund. Siehst du ihn nicht?«

Er grunzt leise, was ich irgendwie passend finde. »Du hattest wohl zu viel Sekt«, vermutet er und geht kopfschüttelnd Richtung Küche.

»Er sieht mich nicht«, sagt der Schweinehund mit der sexy Stimme. »Niemand außer dir sieht mich.«

»Und was willst du von mir?«

»Gar nichts. Du sollst einfach so weitermachen wie bisher. Bei jeder Gelegenheit faulenzen, naschen und fünfe gerade sein lassen.«

»Aber genau das will ich doch nicht mehr!«, rufe ich. »Das sind doch meine Vorsätze für das neue Jahr.«

Er winkt ab, was ausgesprochen lustig aussieht.

»Papperlapapp. Fitness und gesunde Ernährung werden ebenso überbewertet wie übertriebener Ehrgeiz und Fleiß. Du lebst viel länger, wenn du es gemütlich angehst.

»Ja, genau«, sage ich sarkastisch. »Meine Knochen werden dann immer steifer, mein Bauch immer runder und in Nullkommanix bin ich Diabetikerin mit Arthritis in den Fingern und kann nicht mehr schreiben. Nee, nee, dann lieber ein kürzeres Leben ohne gesundheitliche Einschränkungen.«

Günni geht zum Naschteller meiner Jüngsten und fischt mit seiner rüsselartigen Schnauze eine in Stanniol verpackte Engelsfigur aus Nougat heraus. Damit kommt er zu mir und wedelt mit dem Ringelschwanz. Ich nehme den Engel und lege ihn auf den Tisch. »Nein, danke«, sage ich kühl.

»Ach, komm schon! Du weißt, wie sehr du Nougat liebst. Na los, leg die Füße hoch und genieße den sahnig-schokoladigen Geschmack auf der Zunge.«

Diese schmeichelnde Clooney-Stimme macht mich beinahe schwach.

Doch dann rufe ich mir ins Gedächtnis, wem die Stimme tatsächlich gehört, und zwar Detlef Bier-staedt, dem Synchronsprecher. Er ist gewiss ein sympathischer Mann, aber optisch kann er mit Clooney nicht mithalten. Zum einen trägt er Glatze und zum anderen - passend zu seinem Namen - einen Bierbauch.

Wenn ich an ihn und nicht an George denke, überlege ich, kann ich vielleicht in Zukunft meinem Schweinehund widerstehen.

Mein Blick fällt auf den Zettel aus dem Glückskeks. Trennung, denke ich und überlege.

Dann stehe ich auf und packe Günni an einem seiner Schlappohren. »Komm mal mit«, sage ich freundlich und ziehe ihn zur Terrassentür.

Er mustert mich misstrauisch. »Was hast du vor?«

»Gassi gehen«, erwidere ich knapp, öffne die Tür und schubse ihn nach draußen. Dann knalle ich die Tür wieder zu.

»So, im Neuen Jahr werde ich ohne dich klarkommen, kapiert? Mach’s gut, Günni!«

ENDE

- Straße des Schreckens

Norbert fröstelte hinterm Steuer.

Draußen setzte Nieselregen ein, der rasch stärker wurde. Er war noch nie hier gewesen, kannte sich nicht aus.

»Vielleicht hätten wir doch aussteigen sollen, als wir noch die Möglichkeit hatten«, meinte er mit unheilschwangerer Stimme.

»Hast du etwa Angst?«, spottete Melissa.

»Naja, Angst ...«, wiegelte er ab und bemühte sich, mutig zu wirken.

Der Regen wurde stärker. Wenig später prasselte das Wasser auf das Dach seines Wagens, trommelte dröhnend gegen die Windschutzscheibe - es schien von allen Seiten zu kommen.

Norbert stierte nach draußen, seine Augen wurden schmal. Was zum Teufel war das dort vorne? Etwas Großes, Breites kam immer näher. Auf beiden Seiten des Weges.

»Siehst du das auch?«, fragte er verzagt und verriegelte hektisch die Türen. Melissa sagte nichts. Schon geriet der Wagen mitten zwischen die beiden baumlangen Riesen, die gegen die Seitenscheiben donnerten, aufgebracht und aggressiv.

Sie schäumten regelrecht vor Wut.

Melissa stieß einen spitzen Schrei aus.

Norbert zuckte zusammen, umklammerte fest das Lenkrad und atmete auf, als sein Wagen die zwei passiert hatte.

Zu früh gefreut, die nächste Bedrohung kam von oben.

»Was zum Teufel ...?«, keuchte er, hörte Melissa kreischen und zog den Kopf ein, als das seltsame Etwas auf dem Autodach landete. Hoffentlich hielt es dem unverhofften Angriff stand.

Im nächsten Moment rutschte es vom Dach herunter und verschwand schließlich hinter ihm in der Dunkelheit. Norbert sah in den Rückspiegel. Das Monster war nicht zu sehen.

»Oh Gott, was ist das?«, rief Melissa plötzlich.

Etwas bespuckte und besprühte sie von beiden Seiten. Norbert brach der Schweiß aus.

»Wenn das eine ätzende Säure ist, sind wir geliefert«, presste er hervor. Melissa wimmerte.

Glücklicherweise wurde der Regen stärker, so dass die Säure abgespült wurde. Norbert wischte sich über die feuchte Stirn.

Vor ihnen lag noch immer ein ungewisses Stück Weg. Bisher hatten sie jede Attacke überstanden, doch würde das auch so bleiben?

Er hatte den Gedanken kaum zu Ende gedacht, als dutzende lange Arme nach dem Wagen zu greifen schienen. Nun geriet Norbert wirklich in Panik.

»Aaaahhh!!«, brüllte er und presste sich in seinen Sitz.

Wohin er auch sah, überall waren diese Arme. Melissas Hilfeschreie gellten durchs Auto.

Wind frischte auf, er brauste laut und heftig und fegte die Arme beiseite.

Norbert fühlte sich schwach vor Erleichterung. Vorn wurde es endlich heller, sie hatten offenbar das Ende dieser Horrorstrecke erreicht.

Sein Herzschlag beruhigte sich. Er ließ den Wagen ausrollen und entriegelte die Türen.

Ein Fehler, denn in der nächsten Sekunde wurde die Fahrertür aufgerissen. Mit weiten Augen starrte Norbert den Eindringling an.

Der brüllte gegen den Lärm an.

»So, Premium-Wäsche, wie jewünscht. Mit dem Zettel hier jeh’nse bitte zur Kasse.«

Vom Rücksitz krähte Norberts achtjährige Tochter Melissa: »Nochmal, Papa, das war echt lustig!«

ENDE

- Erwischt!

Sie kommt herein, atemberaubend schön.

 Kellner und Gäste sehen ihr verstohlen hinterher. Nach einem kurzen Rundblick bemerkt sie mich und kommt strahlend auf mich zu. Ich bin schon ein wenig stolz darauf, wie neidisch mich die anderen Männer mustern.

»Entschuldige, dass ich zu spät bin, meine Mutter hat noch angerufen, sie war mit ihrem Hund beim Tierarzt, doch der kann nicht herausfinden, was ihm fehlt, und obendrein hat ihre Schwester nächste Woche runden Geburtstag und Mama hat noch kein Geschenk und wollte ausgerechnet von mir wissen, was sie ihr schenken soll, dabei kenne ich die Frau kaum.«

Während Janine so vor sich hin plappert, zieht sie sich die elegante Jacke aus, hängt sie über den Stuhl, setzt sich mir gegenüber hin und beginnt, in der Speisekarte zu blättern. »Was nimmst du? Ich glaube, ich bestelle nur einen Salat. Heute Mittag war ich mit einer Kollegin beim Italiener um die Ecke, Spaghetti mit Pesto, die waren superlecker. Wie auch immer, jedenfalls habe ich deshalb gar nicht so viel Appetit.«

Der Kellner kommt und nimmt unsere Getränkewünsche auf.

Als er weg ist, greife ich über den Tisch nach Janines Hand und sehe ihr verliebt in die Augen.

»Also, ich habe einen Bärenhunger. Kein Wunder, der Sex letzte Nacht war unglaublich.«

Sie kichert. Mein Blick fällt über ihre Schulter zur sich öffnenden Eingangstür. Rasch ziehe ich meine Hand zurück. »Oh mein Gott.«

Janine sieht mich irritiert an. »Was ist?«

»Darling«, sage ich eindringlich, »was auch immer gleich geschieht, bitte vergiss nicht, dass ich dich anbete.«

Ihre blauen Augen blicken mich verständnislos an. Dann steht Sarah auch schon an unserem Tisch.

»Deine Sekretärin sagte mir, wo du bist«, faucht sie. »Du solltest ein bisschen vorsichtiger sein, wenn du beim Betrügen nicht erwischt werden willst.«

»Michael, wer ist diese Frau?«, fragt Janine und mustert mich wachsam.

»Janine, das ist Sarah.« Ich stocke kurz. »Sie ist ... Äh, nun ja, ich meine, wir sind ...«

Sarah schnaubt. »Na los, sag es, du jämmerlicher Feigling!« Sie wendet sich an Janine und hält ihr die rechte Hand entgegen. An ihrem Ringfinger glänzt ein schmaler Goldreif mit Diamant. »Damit Sie es wissen, ich bin seine Frau und zu Hause warten unsere beiden Kinder auf ihn. Übrigens sind Sie nicht die Erste, der er erzählt hat, er wäre Single.«

Janines Augen werden noch um einiges größer. »Michael, stimmt das?«

Ich winde mich unbehaglich. »Naja, also ...«

»Ich fasse es nicht. Du bist genauso ein Arsch wie alle anderen. Auf Nimmerwiedersehen, du elender Mistkerl!« Janine steht auf, schnappt sich vor Wut bebend Jacke und Handtasche und rauscht aus dem Restaurant. Wir sehen ihr schweigend nach, genau wie die Gäste und die Kellner. Als sie verschwunden ist, setzt Sarah sich seelenruhig auf ihren Platz und zieht den funkelnden Ring von ihrem Finger.

»Danke, dass du gekommen bist, ehe die Getränke gebracht wurden«, sage ich.

Sie lacht und lässt den Ring in ihr Täschchen fallen.

»Ja, ich erinnere mich noch an den Zwischenfall mit der heißen Tomatensuppe. Wie du siehst, habe ich daraus gelernt.«

»Das hat ganz schön weh getan.« Ich verziehe in Erinnerung an diesen unschönen Vorfall das Gesicht.

Sie schmunzelt und verschränkt die Unterarme auf dem Tisch. »Warum wolltest du sie eigentlich loswerden? Sie ist doch ganz dein Typ.«

Der Kellner bringt die Getränke und stellt sie vor uns ab. Seine Augenbraue ist indigniert nach oben gezogen, doch er sagt kein Wort über die Szene von eben oder darüber, dass nun eine andere Frau bei mir am Tisch sitzt. Kellner sind bekanntlich allerhand gewohnt. Als er wieder verschwunden ist, beantworte ich Sarahs Frage. »Sie ist eine tolle Frau, rein optisch gesehen. Doch sie redet wie ein Wasserfall. Sogar im Bett. Das kann ich auf Dauer einfach nicht ertragen.«

Sarah lacht, nickt aber verständnisvoll. »Dann ist sie das komplette Gegenteil von Paul. Der spricht gefühlt höchstens zehn Wörter am Tag.« Sie nimmt das Weinglas und hält es mir entgegen. »Morgen treffe ich mich mit ihm, um halb acht im ›Indigo‹. Dann bist du dran.«

»Versprochen«, erwidere ich und stoße mein Weinglas gegen ihres. »Dafür hat man schließlich gute Freunde, oder?«

ENDE

LEICHTE VORSPEISE

In der Literatur ist leichte Kost weit mehr gefragt,

als kräftige Nahrung.

Aleksander Swietochowski

- Antoia will Samba tanzen

Wie an jedem normalen Wochentag herrschte auch an diesem Morgen Chaos im Hause Schäfer.

»Mama, kannst du meine neue Jeans waschen?«

Das war Antonias Teenie-Tochter.

»Heute will ich kein Salamibrot«, quengelte Sohnemann Nr. 1. »Machst du mir ein Käsebrot?«

»Ich kann keine Schleife«, jammerte der Jüngste.

»Hilfst du mir, Mama?«

»Mein Anti-Schuppen-Shampoo ist alle, Schatz«, bemerkte wenig später Antonias Mann. »Besorgst du mir Neues?«

Antonia nickte, schmierte Brote, schrieb die Einkaufsliste, band Schleifen und schlug erleichtert drei Kreuze, als die ganze Bande aus dem Haus war. Dann ließ sie sich mit einem Stoßseufzer im Wohnzimmer auf die Couch fallen.

Endlich Ruhe!

Doch nach zwei Minuten rappelte sie sich wieder hoch. Sie musste Wäsche waschen, Betten machen, aufräumen, bügeln und einkaufen.

Sie hatte das Zimmer beinahe verlassen, als sie hinter sich ein lautes »Plopp« hörte.

Verwundert drehte sie sich um - und erstarrte zur Salzsäure.

Auf dem Lieblingssessel ihres Mannes saß eine Frau mit haselnussbraunen kurzen Haaren und zahlreichen Sommersprossen. Sie schnalzte mit der Zunge und schüttelte den Kopf.

»Wer ... wer sind Sie?«, fragte Antonia perplex. »Was tun Sie in meinem Wohnzimmer?«

»Ich konnte es nicht mehr ertragen«, sagte die Frau aufgebracht. »Du brauchst ganz offensichtlich meine Hilfe.« Sie stand auf und lächelte Antonia zu. »Ich bin Nelly, dein Schutzengel.«

Antonias Hand suchte Halt an der Kommode neben der Tür. »Mein .... Mein Schutzengel«, wiederholte sie mechanisch und kniff sich unauffällig in den Arm.

Nelly nickte. »Weißt du noch, letzte Woche? Als dich beinahe ein herabfallendes Stück Mauerwerk erwischt hätte? Ich hab ihm einen kleinen Schubs gegeben, damit es dich nicht trifft.«

Antonia nickte langsam. »Ich erinnere mich daran. Der Stein zerquetschte eine Taube.«

Nelly hob bedauernd die Schultern. »Das war ein bedauerlicher Kollateralschaden. Aber dich hab ich beschützt.«

»Danke«, sagte Antonia ehrlich.

»Gern geschehen. Und nun zu dem, was mir wirklich Sorgen macht. Schätzchen, du musst dich mal wehren! Ich höre dich immerzu ›Ja‹ sagen. Du springst für alle, das ist auf Dauer einfach nicht gesund.«

Sie machte eine kurze Pause und sah Antonia mit ernster Miene an. »Ich spreche aus Erfahrung.«

»Sie meinen, Sie sind ...«

»Herzinfarkt«, nickte Nelly. »Ich habe mich auch mein Leben lang für Familie und Freunde aufgeopfert. Bis die verflixte Pumpe irgendwann gestreikt hat.«

»Das tut mir leid«, murmelte Antonia.

Nelly winkte ab. »Schon gut. Jetzt ist es wichtig, dass wir uns um dich kümmern, denn du kommst ständig zu kurz, ich beobachte das schon lange genug. Was hast du für Hobbys?«

»Hobbys?« Antonia dachte nach. »Ich stricke gern.« »Ja ja, Pullover und Mützen für die Familie, ich weiß. Was noch?«

Diesmal dauerte das Nachdenken länger. Sie liebte es, zu backen, doch auch das war meist für die Familie. Zum Lesen kam sie kaum noch, abends fielen ihr immer die Augen zu, sobald sie sich in ein Buch vertiefen wollte. Und sonst ...?

»Was hast du gern gemacht, bevor du geheiratet hast?«, fragte Nelly ungeduldig.

»Getanzt«, antwortete Antonia. »Am liebsten Samba und Rumba.«

»Prächtig!« Nelly klatschte in die Hände, ihre Augen funkelten vergnügt. »Lass uns einen Kurs suchen und dich anmelden. Und sobald das erledigt ist, bringe ich dir bei, wie man ›Nein‹ sagt.«

»Das weiß ich längst«, erwiderte Antonia spitz, holte tief Luft und demonstrierte es. »Nein.«

»Ein guter Anfang«, nickte Nelly zufrieden. »Als nächstes lernst du, wann man es anwendet.«

Antonia wusste nicht wieso, doch instinktiv vertraute sie ihrem Schutzengel. Also meldete sie sich online für einen Samba-Kurs an, ließ die Jeans ihrer Tochter, die sie in dem Chaos in ihrem Zimmer nicht finden konnte, schmutzig dort zurück und machte sich dann mit Nelly an ihrer Seite auf zum Einkaufen.

»Wenn mich jemand fragt, wer Sie sind, was sage ich dann?«, fragte sie. »Ich kann kaum sagen, Sie wären mein Schutzengel.«

»Es wird niemand fragen«, antwortete Nelly gelassen. »Außer dir kann mich keiner sehen.«

Es stimmte. Die Verkäuferin an der Käsetheke nahm Nelly ebenso wenig zur Kenntnis wie Frau Schneider, die Antonia an der Kasse traf.

»Ach, Frau Schäfer, wie gut, dass ich Sie treffe! Ich organisiere eine Tombola für die Freiwillige Feuerwehr und könnte gut Unterstützung gebrauchen. Sie sind doch immer so engagiert. Würden Sie mir dabei helfen?«

»Eine Tombola?« Antonia hatte schon oft bei so etwas mitgemacht und wusste, dass es ein Haufen Arbeit war. »Mal sehen, also ich denke schon, dass ich...«

»Sag ›Nein‹«, raunte Nelly ihr zu.

Antonia zögerte und sah Frau Schneider an, die ihr optimistisch zulächelte. Sie fühlte sich plötzlich unbehaglich.

»Sag ›Nein‹«, wiederholte Nelly energisch.

Antonia holte tief Luft. »Es tut mir leid, Frau Schneider, aber ... nein.«

»Oh.« Frau Schneiders Lächeln verschwand und machte einer verschnupften Miene Platz. »Ich verstehe.«

Antonia schwankte.

»Du brauchst dich nicht zu rechtfertigen«, sagte Nelly. »Wir beide wissen genau, dass die alte Schachtel dir die meiste Arbeit aufdrücken und anschließend die Lorbeeren einheimsen würde. Sie ist Rentnerin und hat massig Zeit. Bleib hart, Antonia!«

»Dreiundzwanzigachtundvierzig«, mischte sich die gelangweilte Kassiererin ein. »Wollen Sie Ihre Sammelpunkte haben?«

»Sag ›Nein‹«, soufflierte Nelly.

»Nein, danke.« Antonia räumte ihre Einkäufe in die Tasche, zahlte und floh aus dem Supermarkt.

»Eigentlich sammle ich die Punkte«, zischte sie Nelly zu. »Da kann man nämlich Salatschüsseln gewin-nen.«

»Das war eine Übung«, sagte Nelly versöhnlich.

»Nächstes Mal nimmst du die Punkte wieder. Obwohl du eigentlich mehr als genug Schüsseln hast, meine Liebe.«

Mit der Zeit gewöhnte sich Antonia an ihren nein­sagenden Schatten und es fiel ihr immer leichter, die zahlreichen Bitten der Familie und ihrer Bekannten abzulehnen. Aber wohl fühlte sie sich damit nicht.

»Jeder reagiert beleidigt oder wütend«, klagte sie Nelly ihr Leid. »Bald kann mich niemand mehr leiden. Ich glaube, ich möchte lieber wieder die alte Antonia sein.«

»Natürlich sind sie erst einmal nicht begeistert«, gab Nelly zu. »Das ist doch klar. Du ziehst neue Grenzen und das gefällt nur wenigen.«

»Niemandem«, berichtigte Antonia.

»Schön, keiner mag das. Aber warte es noch ein Weilchen ab, dann haben sich alle daran gewöhnt, dass sie dich nicht mehr herumkommandieren können, und machen dir ein Geschenk.«

»Ach tatsächlich! Und was für ein Geschenk soll das sein?«

»Hab Geduld«, mahnte Nelly. »Dann wirst du es sehen.«

»Mama, ich hab meine schmutzigen Klamotten in den Waschkeller gebracht«, sagte Antonias Tochter am übernächsten Morgen. »Wäscht du heute noch?«

Sie hatte ihre Wäsche selbst zusammen gesammelt? Antonia war angenehm überrascht. »Ja, ich denke schon.«

Das brachte ihr einen Kuss auf die Wange ein. »Danke, du bist die Beste! Meine neue Bluse wäre perfekt für die Party morgen Abend.«

In der Küche war ihr Sohn dabei, sich etwas ungelenk ein Käsebrot zu schmieren.

»Das ist ja lieb von dir«, lobte Antonia. »Mach bitte eins mehr, das kann dann dein Bruder mit in die Schule nehmen.«

Er seufzte, nickte dann aber. »Okay.«

Ihr Mann räumte den Frühstückstisch ab. »Fängt dieser Samba-Kurs heute an?«, fragte er.

»Ja, ich freue mich schon drauf.« Antonia beo­bachtete verdutzt, wie er die schmutzigen Teller in den Geschirrspüler räumte. Ihr nächster Blick fiel auf Nelly, die ihr gegenüber saß und Antonia verschmitzt zuzwinkerte. 

Beim Einkaufen lief sie erst Frau Schneider über den Weg, die sie kühl grüßte.

»Wie läuft es mit der Tombola?«, erkundigte sich Antonia freundlich.

»Es ist viel Arbeit«, kam es knapp zurück. »Meine Schwiegertochter unterstützt mich glücklicher-weise.«

»Hat sie doch noch eine Dumme gefunden«, flüsterte Nelly gehässig.

»Das freut mich für Sie, Frau Schneider«, sagte Antonia. »Auf Wiedersehen.«

Bei den Milchprodukten traf sie auf ihre Nachbarin.

»Antonia, hallo! Sag mal, hättest du vielleicht heute

Nachmittag zwei Stunden Zeit? Ich muss dringend zum Friseur und habe keinen, der auf Luca-Joel aufpasst.«

»Tut mir leid, heute beginnt mein Samba-Kurs«, bedauerte Antonia. »Mach’s gut.«

»Danke, du auch. Und viel Spaß beim Samba!«

»Ich habe etwas für dich«, verkündete ihr Mann lächelnd, als er nach Hause kam und überreichte ihr ein flaches, quadratisches Geschenk.

Es war eine CD mit lateinamerikanischen Songs. Antonias Kinn zitterte vor Rührung. Sie wusste gar nicht, wie lange es her war, dass ihr Mann ihr spontan ein Geschenk gemacht hatte.

Sie gab ihm einen dankbaren Kuss und beschloss, die Musik im Auto auf dem Weg zum Kurs zu hören.

Während der Fahrt saß Nelly neben ihr und summte zufrieden mit. »Ich hab doch gesagt, dass du ein Geschenk bekommst«, meinte sie. »Allerdings habe ich dabei nicht an die CD gedacht.«

Antonia lächelte. »Ich weiß was du meinst. Das eigentliche Geschenk heißt Respekt, richtig?«

»Du hast es erfasst, Schätzchen.«

Auf dem Parkplatz blieb Nelly neben dem Auto stehen und folgte Antonia nicht zur Tür des Kursgebäudes. Die drehte sich irritiert um. »Was ist? Kommst du nicht mit?«

Nelly schüttelte den Kopf. »Du brauchst mich nicht mehr. Heute im Supermarkt musste ich dir nicht vorsagen, deine Familie weiß deine Arbeit zu schätzen ... Du kannst deinen Weg auch ohne mich weitergehen.«

Ihre Worte machten Antonia stolz - aber auch traurig. Sie hatte sich an Nelly gewöhnt.

»Du bleibst aber trotzdem in meiner Nähe, oder? Auch, wenn ich dich nicht mehr sehen kann?«

»Logisch! Und wenn du zurückfallen solltest in die Rolle der Ja-Sagerin, dann kneife ich dir fest in den Arm, einverstanden?«

Antonia lachte und drängte die Tränen zurück. »Danke, Nelly. Für alles.«

»Gerne. Und jetzt lauf, sonst fängt die Tanzerei ohne dich an. Ciao!«

Es ploppte vernehmlich, und schon war ihr Schutzengel verschwunden.

Antonia schluckte. »Ciao, Nelly«, flüsterte sie. Dann straffte sie die Schultern und machte sich lächelnd auf den Weg zu ihrem Sambakurs.

ENDE

- Wenn die Planken schwanken

Steuert ein Handelsschiff einen Hafen an oder verlässt ihn, kommt der Schiffsmakler zum Einsatz. Er kümmert sich um die Abfertigung der Schiffe gegenüber den Behörden und um einiges mehr. Während der frühen Achtziger Jahre hatten in einer norddeutschen Hafenstadt die Lehrlinge der Maklerfirma Schäfer & Dietrich die ehrenvolle Aufgabe, abwechselnd am heiligen Sonntag die Papiere der ankommenden Schiffe zu kontrollieren. Die jungen Stifte selbst sahen diese Tätigkeit jedoch eher als Strafe denn als Ehre an. Ein so zeitiges Aufstehen am freien Tag grenzte an Folter, vor allem, wenn man am Abend zuvor lange beim Tanzen gewesen war.

Eines frostigen Sonntagmorgens war Kai-Uwe zum ersten Mal dran. Als er sich anzog, dachte er an das, was ein älterer Kollege ihm am Freitag kurz vor Feierabend erzählt hatte.

»Ach, das ist eigentlich ganz entspannt. Rauf auf die Dampfer, Papiere fertig machen und wieder runter. In einer halben Stunde bist du fertig und kannst nach Hause.«

Die Augen des Kollegen funkelten vergnügt, doch das schob Kai-Uwe auf die Freude über das nahe Wochenende.

Guter Dinge schwang er sich also früh um sechs auf sein Fahrrad und radelte hinunter zum Hafen.

Als er ankam und seinen Drahtesel abstellte, war seine Nase rot von der Kälte und die Finger trotz der Handschuhe steifgefroren. Dennoch bestrebt, seinen Auftrag anständig zu erfüllen, erkletterte er das erste von mehreren Handelsschiffen, die am vergangenen Abend eingelaufen waren.

Der Käpt’n nahm den Siebzehnjährigen auf burschikose Weise in Empfang. »Moin Moin, mien Jung. Dich kenn ich noch gar nich.«

»Moin«, grüßte Kai-Uwe schüchtern. »Ich bin Lehrling bei der Schiffsmaklerfirma Schäfer & Dietrich. Würden Sie mir bitte die Papiere zeigen?«

»Dascha kein Problem nich!«, sagte der Käpt’n zu Kai-Uwes Erleichterung. »Denn komma mit, mien Jung.«

Durch eine niedrige und schmale Tür ging es eine enge Treppe hinab. Kai-Uwe beobachtete, wie das Wasser der Förde gegen die Bullaugen klatschte.

Wenig später saßen er und der Käpt’n, ein recht korpulenter Mann mit weißem Vollbart, sich in der Kapitänskajüte gegenüber.

Über den schlichten und mit allerlei Zeugs vollgestellten Schreibtisch schob der Käpt’n nun die Papiere, die Kai-Uwe sogleich überprüfte, so, wie er es gelernt hatte.

Als das Geschäftliche erledigt war, stand der Käpt’n auf. Kai-Uwe erhob sich ebenfalls, froh, dass alles so unkompliziert abgelaufen war. Nun konnte er sich das nächste Schiff vornehmen.

Er wollte sich gerade höflich verabschieden, als der Käpt’n um den Schreibtisch herumkam, dem Lehrling seinen Arm um die Schultern legte und leutselig verkündete: »So, denn soll’n wir ma ein’ ham.«

Kai-Uwe warf einen Blick auf seine Armbanduhr, wagte jedoch trotz der frühen Stunde nicht zu widersprechen, obwohl ihm wahrlich noch nicht der Sinn nach Hochprozentigem stand.

Der Käpt’n zwinkerte ihm zu und fischte eine halbvolle Flasche aus einer Schublade. Korn, registrierte Kai-Uwe mit Unbehagen. Nicht einmal bei einer Feier trank er gerne Korn. Aber etwas anderes stand wohl nicht zur Auswahl; die wasserhelle Flüssigkeit fand gluckernd den Weg in zwei mäßig saubere Gläser.

»Na, denn man Prost!«, rief der Käpt’n und hob das Glas. Kai-Uwe tat es ihm nach und stürzte den Inhalt todesmutig seine Kehle hinunter. Der Korn schien sich bis in seine Eingeweide zu brennen.

»Aaah!«, freute sich der Käpt’n und schmatzte genießerisch. Kai-Uwe dagegen zog eine Grimasse und bemühte sich, trotz des heißen Kratzens in seinem Hals nicht zu husten.

»Ich ... ich muss denn mal weiter«, krächzte er und legte die Hand auf die Türklinke. »Danke für den Schnaps und so. Tschüss!«

Der Käpt’n grinste breit. »Tschüss, mien Jung!«

Aufatmend verließ Kai-Uwe das Schiff und steuerte das nächste an.

Dort wartete der Käpt’n bereits am Bug.

Argwöhnisch betrachtete Kai-Uwe den großgewachsenen, kräftigen Kerl, der seine Pranke gut gelaunt auf die schmale Lehrlingsschulter krachen ließ.

Kai-Uwe sagte sein Sprüchlein auf, der Käpt’n reichte ihm die Papiere und als er sich wenig später erleichtert verabschieden wollte, dröhnte der Ältere:

»Man nich so eilig, mien Jung. Woll’n wir zwei nich ein‘ haben zur Feier des Tages?«

Nach einem Blick in die übermütig funkelnden und dennoch Autorität ausstrahlenden kleinen Augen wusste Kai-Uwe, dass es sich hierbei um keine Frage, sondern um ein Angebot handelte, dass er nicht ausschlagen durfte.

Also nickte er schweigend und unterdrückte einen tiefen Seufzer, als ihm erneut ein Schnapsglas in die Hand gedrückt wurde. Der Inhalt war diesmal goldbraun.

»Nich lang schnacken, Kopp in‹ Nacken«, befahl der Käpt’n mit tiefer Stimme, und ging sogleich mit gutem Beispiel voran.

Kai-Uwe schloss die Augen, setzte mit leichtem Unbehagen das Glas an seine Lippen und kippte das Zeug hinunter. Gleich darauf schnappte er keuchend nach Luft.

Das Gebräu war noch schlimmer als Korn!

Der Käpt’n lachte vergnügt. »Der macht wach, was?«

Kai-Uwe nickte, lächelte schwach und reichte das Glas mit einem heiseren »Danke« zurück.

Mit Schaudern dachte er an die Schiffe, die er noch abklappern musste.

Aber wie hieß es so schön? Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps. Hier fiel nun beides zusammen. Warum aber hatte sein Kollege dieses Trinkgelage mit keiner Silbe erwähnt?

Nach dem vierten Schiff respektive Schnaps war Kai-Uwes Gang bereits etwas unsicher, als er die Gangway zu Käpt’n Nr. 5 hinaufstieg, eine Hand am Geländer, das aus einem dicken, nachgiebigen Seil bestand.

»Moin«, grüßte er, als er glücklich an Bord ange­kommen war, und verkniff sich einen Rülpser.

»Ich ... hier, von der Makelei, äh, Malkerei Schäfer & Dings. Wo sind die ...« Er schlug sich gegen die Stirn. »Na! Die Pa ... die Papa … die Papiere?«

Die Überprüfung endete mit einem Schnaps und der Feststellung des Kapitäns, dass man so jung nie wieder zusammenkäme. Einen weiteren begründete er mit der Behauptung, dass man auf einem Bein schließlich nicht stehen könne.

Auch mit zwei Beinen fiel Kai-Uwe das Stehen mittlerweile etwas schwer. Doch bei Schiff Nr. 6 wollte er sich selbst beweisen, dass er noch Herr seiner Sinne war.

»Moin! Ich bin der Wai-Kuwe und komm von Däfer un Schittich ...« Er stutzte kurz und kicherte dann albern. »Na, Sie wissen schon - die Fischmakler.«

Der Kapitän, diesmal ein kleiner drahtiger mit großem, blondem Schnauzer und vielen Fältchen um die Augen, lachte.

»Na, du bist mir ja ‘n Bagalut. Grüß mir man den Herrn Schäfer, das is’n alter Kumpel von mir.«

»Klar grüß ich den Dings ..., äh, na, Sie wissen schon.« Kai-Uwe grinste. Ein Kumpel vom Chef würde ihn sicher nicht zum Trinken verführen.

Beruhigt lehnte er sich an die Reling. Von nun an kein Schnaps mehr, er hatte endgültig genug.

»Wenn ich denn nu die Papiere ...«, bat er und bemühte sich, seine Augen, die immer wieder zufallen wollten, offen zu halten.

Als der Kaptein ihm nach getaner Arbeit zu-zwinkerte und heiter ankündigte, nun wolle man aber einen haben, hob Kai-Uwe abwehrend die Hand. »Ich ... nein, danke. Nicht für mich.«

Die gerade noch so fröhlich funkelnden Augen des Seemannes wurden schmal. »Watt?«, knurrte er.

»Ich hatte schon ein paar ... Hicks! Und nun ...« Kai-Uwe brach ab und hielt sich eine Hand vor den Mund. Mit der anderen klammerte er sich an der Reling fest, um nicht umzukippen. Der Boden unter ihm schwankte bedrohlich. Dabei war die See ganz ruhig, wie er mit einem prüfenden Blick über das Schiffsgeländer feststellte. Das Wasser plätscherte sacht und beinahe gemütlich gegen die Bordwand. Merkwürdig.

Der Käpt’n hob das Kinn und verschränkte die Arme vor der Brust. Seine Stirn war faltig wie ein Schifferklavier.

»Dascha interessant«, brummte er verschnupft und wies mit dem Kinn zu dem Nachbarschiff hinüber, von wo Kai-Uwe gekommen war. »Mit dem trinkst du - und mit mir nicht.«

Ungläubig starrte der junge Lehrling den Käpt’n an. Den Kumpel des Chefs. Und er hatte doch gehofft ...

Nichts Gutes ahnend warf er einen Blick hinüber zu den Schiffen, auf denen er gewesen war und dann zu den beiden, die noch auf ihn warteten. Auf jedem Deck stand der zuständige Kapitän.

Alle beobachteten aufmerksam, was auf Schiff Numero sechs vorging. Dabei grinsten sie zufrieden.

Nun ergaben die funkelnden Augen von Kai-Uwes Kollegen einen Sinn. Die schwielige Hand des Käpt’n reichte ihm ein Schnapsglas. »Du bist doch wohl ‘n richtiger Kerl, oder etwa nicht?«, fragte er und hob sein Glas. »Prost!«

Dem jungen Lehrling wurde schwindelig.

Als Kai-Uwe am nächsten Freitag von einem jüngeren Stift gefragt wurde, wie das am Sonntag sei, diesmal sei er ja dran, antwortete der ältere Lehrling freundlich: »Ach, mach dir keinen Kopp. Das geht ganz fix. Rauf aufs Schiff, Papiere fertig machen und wieder runter. Nach einer halben Stunde bist du fertig.«

Er sah die Erleichterung im Gesicht des Jüngeren, zwinkerte ihm zu und fuhr fröhlich pfeifend in sein freies Wochenende.

ENDE

- Wettbewerb mit Nebenwirkungen

Sie sahen sich an.

»Also abgemacht?«, fragte Iris.

Tanya nickte. »Ich bin dabei!«

»Na schön«, seufzte Natascha. »Ich fasse noch einmal zusammen: Jeden Mittwochmorgen um halb neun, egal bei welchem Wetter. Und wer am Ende des Sommers...«

»Für das Protokoll: Am dreißigsten September«, warf Iris dazwischen.

»Stimmt«, nickte Natascha. »Wer an dem Tag das meiste Gewicht verloren hat, gewinnt.«

Die drei Freundinnen hatten sich wie jeden Donnerstagabend bei Tanya getroffen, da sie al­leinerziehend war und so keinen Babysitter für ihre siebenjährige Tochter organisieren musste.

Nun stand sie auf und holte aus ihrem Wohnzimmerschrank ein pinkfarbenes Plastikschwein mit einem Schlitz im Rücken.

»Hier, das habe ich besorgt. Jeder von uns steckt donnerstags fünf Euro hinein. Das ist sozusagen der Pokal für die Gewinnerin.«

Iris überschlug mit zur Decke gerichteten Augen die Summe, die dabei herauskommen würde.

»Das nenne ich doch mal einen Anreiz«, nickte sie, ohne zu verraten, ob bei ihren Rechenkünsten etwas herausgekommen war.

»Also los, auf die Waage«, rief Tanya unternehmungslustig und stand auf.

»Jetzt!?«, fragte Natascha entsetzt. »Ich hatte Pizza heute Mittag.«

»Egal«, winkte Iris ab. »Na los, steh auf.«

Nachdem Tanya das Gewicht von jeder einzelnen notiert hatte, prosteten sie sich mit Weißwein zu.

»Wo treffen wir uns?«, fragte Natascha.

»Bei der Schule«, schlug Tanya vor und stellte ihr Glas ab. »Von da kommen wir schnell in den Wald und auch die Umgebung ist gut zum Laufen.«

Am nächsten Mittwoch trafen sie sich pünktlich und begannen mit leichtem Walking bis sie den Wald erreicht hatten. Dort machten sie unter Tanyas Anleitung ein paar Dehnübungen. Schließlich liefen sie in gemächlichem Tempo los.

»Gott sei Dank ist es trocken«, sagte Natascha. »Bei Regen hätte ich keine Lust gehabt.«

»Du kennst die Abmachung.« Iris keuchte schon ein wenig. »Bei jedem Wetter.«

»Ich weiß. Aber bei schönem Wetter ist es ange­nehmer.«

»Das stimmt«, nickte Tanya, als sie eine Wegga­belung ansteuerten. »Hier nach links?«, fragte sie.

Iris nickte.

Ein einzelner Läufer kam ihnen entgegen und lief freundlich grüßend an ihnen vorbei. Tanya sah ihm nach. »Lecker«, grinste sie und ihre Freundinnen lachten.