Puppenspiel mit Dame - Britta Bendixen - E-Book

Puppenspiel mit Dame E-Book

Britta Bendixen

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Beschreibung

Als die junge Schauspielerin Jasmin Tyler die Hauptrolle im neuesten Steve-Conelly-Film erhält, ist sie überglücklich. Allerdings hat sie nicht damit gerechnet, dass der Regisseur so charmant und attraktiv ist. Die verwirrenden Gefühle, die sie für Steve zu entwicken beginnt, bringen die Beziehung zu ihrem Verlobten in Gefahr. Steve erwidert Jasmins Gefühle, erfährt jedoch, dass die ehrgeizige und erfolgreiche New Yorker Geschäftsfrau Linda Cooper, mit der eine kurze Affäre hatte, ein Kind von ihm erwartet, für das er auf jeden Fall Verantwortung übernehmen will. Während die Dreharbeiten in London und Rom fortgesetzt werden, vertieft sich die Beziehung zwischen ihm und Jasmin, sie steht jedoch unter keinem guten Stern... Auch Jasmins Freundin, die junge Sängerin Gina de Marco, hat Probleme. Sie bekämpft die Dämonen ihrer Kindheit, allerdings mit den falschen Mitteln. Das hat fatale Folgen...

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Britta Bendixen

Puppenspiel mit Dame

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

Impressum neobooks

1. Kapitel

Die Mittagssonne schien direkt durch das kleine Fenster, so dass man ihm genau ansehen konnte, dass es dringend geputzt werden musste. Jasmin wünschte sich einen Lappen, einen Eimer mit Wasser und ein Reinigungsmittel. Um sich von der schmutzigen Scheibe abzulenken sah sie sich in dem Raum um, in dem sie mit fünf anderen jungen Schauspielerinnen saß. Jedes einzelne dieser Mädchen war jung, hübsch und vermutlich auch talentiert, sonst wären sie nicht in der Endauswahl. Alle waren in ihren Text vertieft, um die geforderte Szene ohne Patzer spielen zu können.

Auch Jasmin senkte wieder den Blick und ging noch einmal den Dialog durch, obwohl sie das Gefühl hatte, dass inzwischen jedes einzelne Wort in ihr Hirn eintätowiert war – vermutlich für den Rest ihres Lebens.

Drei der Mädchen lasen leise, zwei andere jedoch murmelten halblaut vor sich hin, was die leise Lesenden irritierte und zu ärgerlichen Blicken und gerunzelten Stirnen führte.

„Jasmin Tyler!“

Sie zuckte kurz zusammen als ihr Name durch den Raum hallte, dann stand sie auf und folgte der korpulenten Frau mit dem weißblonden Igelhaarschnitt, die ihren Namen gerufen hatte.

Sie gingen durch die Tür, einen neonbeleuchteten Flur entlang und eine schmale Treppe hinab. Jasmins hohe Schuhe klapperten auf den gefliesten Stufen, die gummiartigen Sohlen der Igelfrisur vor ihr erzeugten nur ein schüchternes Schmatzen. Schließlich öffnete die Frau eine schwere Tür und ließ Jasmin an sich vorbeigehen ohne etwas zu sagen oder auch nur ein Lächeln anzudeuten.

Die hat ja wirklich Freude an ihrem Job! dachte Jasmin, zog unauffällig eine Grimasse und trat ein.

Rechts war die Bühne, links von ihr saßen zwei Männer und eine Frau an einem Tisch, alle mit Kugelschreiber, Klemmbrett und einem ernsten Gesichtsausdruck ausgestattet.

Jasmin ging lächelnd auf sie zu und gab jedem die Hand.

„Hallo, schön, Sie wieder zu sehen“, sagte sie höflich.

Vor dem Mann in der Mitte lag ihr Foto, auf deren Rückseite ihre bisherigen Rollen und ihre persönlichen Angaben standen. Er nickte ihr kurz zu.

„Können wir?“ Seine Stimme klang rau, als wäre sie vor kurzem arg strapaziert worden.

„Natürlich.“ Sie drehte sich um und stieg die drei Stufen zur beleuchteten Bühne hinauf. Fast wäre sie dabei gestolpert, konnte sich jedoch rechtzeitig fangen. Ihr Herz schlug noch ein paar Takte schneller.

Auf der Bühne wartete bereits ein dünner junger Mann mit einem kleinen Ziegenbart. Jasmin stellte sich ihm gegenüber auf und sah hinab zu den drei Menschen, die darüber entscheiden würden, ob sie am Ende die Rolle bekommen würde oder nicht.

Der Mann mit der rauen Stimme hob eine Hand. „Sind Sie bereit?“

Sie nickte. „Ja.“

Er streckte die Hand nach vorn. „Und – bitte!“

Schon kam der Ziegenbart mit schnellen Schritten auf sie zu, blieb vor ihr stehen und stemmte die Hände in die Seiten. „Was fällt dir eigentlich ein?“

„Was mir einfällt?“ fragte sie empört und trat einen weiteren Schritt auf ihn zu. Mit dem ausgestreckten Zeigefinger deutete sie auf ihn. „Du belügst und hintergehst mich, und wenn ich dir auf die Schliche komme, machst du mir Vorwürfe! Du bist der schäbigste Mistkerl, dem ich je begegnet bin!“

Zwanzig Minuten später war Jasmin auf dem Weg nach Hause und ging im Taxi noch einmal jedes Wort, jede Betonung und jede Geste durch, die sie gesagt, gemacht und unterlassen hatte. War sie gut genug gewesen? Hatte sie überzeugen können? Eine Antwort würde sie erst dann bekommen, wenn der Anruf ihres Agenten kam. Sie seufzte und begann, auf ihrem Daumennagel zu kauen. Das Warten war viel schlimmer als das Vorsprechen selbst.

Der offenbar aus Indien stammende Taxifahrer schimpfte lautstark und mit schwer verständlichem Akzent über das Wetter. Jasmin ließ die Hand sinken und sah aus dem Fenster. Es begann wieder zu schneien. Die Sonne, die gerade noch geschienen hatte, war hinter den dicken Wolken verschwunden, die ihre weiße Pracht auf die Straßen, die Autos und die Menschen herab rieseln ließen. Im Nu sah alles aus wie mit Puderzucker bestäubt. Seit Tagen gab es immer wieder Schneeschauer. Zu Weihnachten dagegen hatte es pausenlos geregnet. Jasmin wünschte sich die Rolle schon deshalb, weil die Dreharbeiten in Kalifornien stattfinden würden. Wenn es klappte hätte sie ab dem nächsten Monat wieder Sommer. Ein verträumtes Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht.

Los Angeles

Der Regisseur Steve Conelly öffnete den oberen Knopf seines Hemdes. Es war verdammt heiß in Charles’ Büro, obwohl es erst neun Uhr morgens war. Offensichtlich war mal wieder die Klimaanlage ausgefallen. Steve war nicht der Einzige, dem die Schweißtropfen auf der Stirn standen. Er griff sich seine Unterlagen und wedelte sich damit etwas Luft zu. Viel brachte es nicht.

Während er sich bemühte, Charles’ Ausführungen zu folgen, trank er sein Wasserglas leer. Seine Gedanken schweiften ab und landeten bei dem vergangenen Abend, an dem er sich in einem italienischen Restaurant von Mary getrennt hatte. Die Immobilienmaklerin war zwar attraktiv und intelligent, allerdings auch furchtbar anstrengend. Sie hatte ihm kaum Luft zum Atmen gelassen, so dass er nach zwei Monaten genug von ihr gehabt hatte. Stocksauer hatte sie ihm ihren Weißwein in den Schoß gekippt und war aus dem Lokal gerauscht.

„Also, Beginn wie gesagt am 13. Februar", holte Charles' Stimme ihn wieder in die Gegenwart zurück . "Einen Monat vorher, am 14. Januar, treffen wir uns mit den weiteren Produzenten und Geldgebern, den Hauptdarstellern und so weiter bei George White. Er hat sein Penthouse in Manhattan zur Verfügung gestellt. Für die Hauptrolle ist Tom Becker verpflichtet worden, die abschließenden Castings für die weibliche Hauptrolle laufen noch, werden aber in diesen Tagen abgeschlossen.“

Charles fuhr sich mit der Hand über seine sommersprossige Glatze. Die wenigen Haare, über die er rund um den Kahlkopf noch verfügte, schimmerten feucht. Er wandte sich an Steve. „Ich hoffe, du wirst am nächsten Samstag ebenfalls durch Anwesenheit glänzen.“

 Steve grinste. „Manhattan im Januar? Klar, wieso nicht? Das klingt ausgesprochen reizvoll.“ Er zog eine leichte Grimasse.

Charles blätterte in den Papieren auf dem Tisch und nickte. „Gut. Der Regisseur sollte nun mal dabei sein.“

Er wandte sich wieder sämtlichen Mitarbeitern zu, die sich rund um den großen Besprechungstisch versammelt hatten.

„Das Drehbuch ist fertig, die Arbeiten am Storyboard werden rechtzeitig zu Drehbeginn abgeschlossen sein, wurde mir jedenfalls versichert.“ Er verdrehte leicht die Augen und grinste Steve an. Dann nickte er seiner Assistentin Wendy zu, die daraufhin aufstand, aus einem Karton einen Stapel Bücher holte und an die Anwesenden verteilte.

Steves Blick fiel auf seine Assistentin Leslie Hershkowitz, die neben ihm saß und die letzten Tropfen Wasser aus ihrem Glas mit der Zunge auffing. Ihr enttäuschter Blick zeigte, dass ihr Durst noch längst nicht gestillt war. Kein Wunder! dachte Steve und wandte sich an Wendy, die noch immer die Drehbücher verteilte.

„Sag mal, habt ihr noch etwas Wasser in dieser Sauna?“ fragte er und hob sein leeres Glas. „Bei dieser Hitze vertrocknen meine grauen Zellen.“

Wendy schmunzelte. „Davon hast du noch welche?“ fragte sie kess.

„Nicht mehr allzu viele, also sei so lieb, und besorge uns etwas zu trinken, ja?“ bat Steve und zeigte sein charmantestes Lächeln.

Wendy zwinkerte ihm fröhlich zu. „Für dich tue ich doch alles.“ Damit verließ sie den Raum.

Leslie grinste ihn an und formte mit dem Mund ein „Danke“.

Steve grinste zurück. „Gern geschehen“, flüsterte er und schlug das Drehbuch auf.

Als die Besprechung endlich zu Ende war fuhr Steve erleichtert nach Hause. Er hatte sich vor drei Jahren einen Bungalow in Pasadena geleistet und freute sich immer wieder, wenn er die Kiesauffahrt hinauffuhr. Heute munterte ihn besonders der Gedanke an seinen Pool auf, er hatte eine Abkühlung dringend nötig.

Doch vorher musste er in New York anrufen. Dort war es jetzt früher Nachmittag, das bedeutete, dass seine Mutter hoffentlich noch ansprechbar war. Nach fünf Uhr nachmittags war sie meist schon so angetrunken, dass ein Telefonat mit ihr zur Qual wurde.

Seufzend ging Steve in sein Arbeitszimmer, warf das Drehbuch auf den überfüllten Schreibtisch und setzte sich. Dann ergriff er den Hörer und wählte die bekannte Nummer.

„Hallo?“

„Hi Mom, ich bin’s.“

„Steve! Endlich meldest du dich mal wieder. Wie geht es dir, mein Junge?“

„Danke, sehr gut. Und wie geht es dir?“

„Ach, wie immer. Ich warte gerade auf Alex. Er hatte einen Termin bei seinem Arzt und müsste jeden Moment zurück kommen.“

„Wie geht es ihm?“

„Nicht besonders. Er wiegt nur noch 69 Kilo.“

Steve fuhr sich mit der freien Hand über das Gesicht. Alex war sein Zwillingsbruder und er selbst wog ungefähr 88 Kilo. Die Sorge um seinen Bruder schnürte ihm den Magen zusammen.

„Ich wollte dir nur sagen, dass ich euch schon sehr bald besuchen kann“, teilte er seiner Mutter mit. „Am 14. komme ich nach New York und werde ein bis zwei Wochen bleiben.“

„Oh, das ist schön!“ freute sich Louise Conelly. „Du wirst doch hier bei uns wohnen?“

„Tut mir leid, nein. Charles Lancaster hat bereits ein Hotelzimmer für mich reserviert“, log er. „Die Gesellschaft bezahlt, das muss man ausnutzen.“

Die Wahrheit war, dass er den Anblick seines kranken Bruders und seiner trinkenden Mutter nur in Maßen ertragen konnte.

„Verstehe“, sagte Louise. „Ich freue mich trotzdem auf dich, mein Junge.“

„Ich freue mich auch auf euch. Grüß Alex schön von mir. Wir sehen uns dann nächste Woche.“

„Gut. Oh, da kommt dein Bruder gerade. Bleib mal kurz dran, ja?“

Steve hörte, dass sich die Wohnungstür schloss und dann die Stimme seiner Mutter. „Und? Was hat der Arzt gesagt?“

Steve konnte die Antwort nicht verstehen, sein Bruder war zu weit entfernt. Dann drang ein lautes Poltern, Krachen und Knacken an sein Ohr, so dass er den Hörer mit einer hastigen Bewegung vom Kopf wegriss. Er glaubte, einen Schrei gehört zu haben. Was war da los? Es klang, als hätte seine Mutter den Hörer fallen gelassen.

Ein kurzer Wortwechsel folgte, dann hörte er laut und deutlich die Stimme seines Bruders.

„Steve? Bist du noch dran?“

„Ja, klar. Was ist denn los bei euch?“

„Es ist soweit.“ Alex seufzte vernehmlich.

Steve schluckte. „Du meinst…?“

Alex Stimme zitterte leicht. „Ja. Ich habe AIDS. Die Krankheit ist ausgebrochen.“

New York

Die Cooper Enterprises nahmen die gesamte 45. Etage des Nordturmes des World Trade Centers ein. Der Ausblick von hier oben war überwältigend, besonders wenn sich die Mittagssonne im Hudson River spiegelte und das Wasser so hell glitzern ließ, dass es fast blendete.

An diesem Tag tat sie das allerdings nicht. Der Himmel war hinter vielen Wolken verschwunden und vor dem großen Eckfenster tanzten immer mehr und immer dickere Schneeflocken.

Linda hatte ohnehin keine Muße, aus dem Fenster zu sehen. Sie studierte die Presse. Auf ihrem Schreibtisch stapelten sich die Tageszeitungen und alle waren voll von Nachrufen und Beileidsbekundungen. Scheinbar jedes Blatt im Land berichtete über den plötzlichen Tod von Adam Cooper, den erfolgreichen Geschäftsmann, den Tycoon, den Milliardär. Linda jedoch dachte an den Ehemann und Vater Adam Cooper.

Ihren Vater.

Sie hatte ihn geliebt. Sie hatte auch Angst vor ihm gehabt, ihn manchmal sogar verachtet, dennoch hatte sie ihn, wie so viele junge Mädchen es mit ihren Vätern tun, auf ein Podest gehoben und zu ihm aufgesehen.

Schon als sie noch sehr klein war bemerkte sie, dass das Verhalten ihrer Mutter sich änderte, sobald ihr Vater nach Hause kam.

War Jo-Anne Cooper gerade noch liebevoll und fröhlich gewesen, sorgte allein die Anwesenheit ihres Mannes dafür, dass sie still wurde und bedrückt wirkte. Sie schien förmlich zu schrumpfen, als versuche sie, unsichtbar zu sein. Linda war fast sechs Jahre alt, als ihr klar wurde, warum das so war. An jenem Abend bekam sie das erste Mal mit, dass ihr Vater ihre Mutter schlug.

Sie hatten sich wie an fast jedem Abend zum Dinner im Esszimmer eingefunden, einem großen hellen Raum mit glänzendem Parkettboden, Perserteppichen, Mahagonimöbeln und geschmackvollen Antiquitäten. Hierbei handelte es sich um Erbstücke von Jo-Annes Vorfahren, zum Teil mehrere hundert Jahre alt und ausgesprochen wertvoll. Das einzige, was Linda zu dem Zeitpunkt über diese Bilder mit den verschnörkelten Goldrahmen, riesigen bemalten Vasen und zierlich wirkenden Vitrinen wusste, war, dass es ihr streng verboten war, sie auch nur zu berühren. Gerade anschauen durfte sie sie.

Das große Erkerfenster zeigte auf den kleinen Vorgarten hinaus, der im Licht der langsam untergehenden Julisonne aussah wie in Gold getaucht. Die wenigen Wolken schimmerten bewegungslos in altrosa, orange und hellgrau. Vögel flatterten zwitschernd von Ast zu Ast, ein Pärchen führte einen jungen Collie an der Leine spazieren und lachte vergnügt über seine tollpatschigen Bewegungen.

Jenseits des Fensters hätte die Stimmung nicht gegensätzlicher sein können. Adam war mürrisch und kurz angebunden. Selbst Linda, die anfangs fröhlich von ihren Erlebnissen berichtete hatte, verstummte bald, angesichts der Laune ihres Vaters. Jeder aß still vor sich hin. Linda warf vorsichtige Blicke zu ihren Eltern und freute sich auf das Ende der Mahlzeit.

Schließlich tupfte Adam sich den Mund mit der gestärkten Serviette ab und gab Martha, dem Hausmädchen, mit einer Handbewegung das Zeichen, dass der Tisch abgeräumt werden konnte. Linda wischte sich ebenfalls den Mund ab und legte die Serviette auf ihren leeren Teller.

Nachdem der Tisch abgeräumt war gab Adam Martha für den Rest des Abends frei und wartete, bis sie verschwunden war. Dann wandte er sich an seine Tochter.

„Geh auf dein Zimmer. Ich möchte mit deiner Mutter allein reden.“ Sein Ton duldete keinerlei Widerspruch.

Linda warf ihrer Mutter einen kurzen Blick zu. Jo-Annes Kopf war gesenkt, die Hände hatte sie auf ihrem Schoß ineinander verschränkt. Der zierliche Körper drückte Ergebenheit aus.

Linda stand auf, verließ gehorsam den Raum und schloss die Tür hinter sich. Sie ging jedoch nicht hinauf in ihr Zimmer, sondern blieb am Fuße der Treppe stehen und wartete. Sie wusste nicht genau worauf, doch irgendetwas – Neugier? Eine Ahnung? – hinderte sie daran, weiterzugehen. Stattdessen spitzte sie die Ohren.

Die Stimme ihres Vaters war zu hören. Er klang aufgebracht, wütend und regelrecht aggressiv. Sie konnte keine einzelnen Worte verstehen. Die Türen in der alten Villa waren solide gebaut und ließen kaum einen Ton nach außen dringen. Es klang dennoch beängstigend und Linda entfernte sich instinktiv ein wenig weiter von der Tür.

Ganz leise war ihre Mutter zu hören. Beschwichtigend, beruhigend, mit einem entschuldigenden Unterton. Dann wieder die Stimme ihres Vaters. Sie klang sarkastisch und gemein. Jo-Anne erwiderte etwas. Linda erkannte selbst durch die geschlossene Tür die Angst in der Stimme ihrer Mutter.

Und dann, so unerwartet wie ein plötzlich auftretendes Sommergewitter, ein kräftiger Schlag, ein Poltern, ein spitzer Schrei. Linda zuckte erschrocken zusammen und kauerte sich zitternd in die kleine Ecke unter der Treppe.

Sie hörte noch einen heftigen Schlag, einen weiteren Schrei, das Klirren von Porzellan und kurz darauf meinte sie, ein klägliches Wimmern zu vernehmen. Sie senkte den Kopf, kniff die Augen zusammen und presste die Hände fest auf ihre Ohren. Die Geräusche wurden so zwar noch leiser, doch nach wie vor hörte sie ihre Mutter schreien, vernahm die bedrohliche Stimme ihres Vaters, die noch lauter geworden war. Jedes Wort, das er sagte, schien von einem weiteren Schlag begleitet zu werden.

Irgendwann konnte Linda die angsterfüllten Schreie ihrer Mutter nicht mehr ertragen. Mit klopfendem Herzen kam sie vorsichtig aus ihrem Versteck und lief so schnell sie konnte die Treppe hinauf, verfolgt von den brutalen Geräuschen im Esszimmer, die wie ein Echo in ihrem Kopf widerhallten.

Kaum hatte sie ihr Zimmer betreten schlüpfte sie schwer atmend unter die Bettdecke. Dort blieb sie, zitternd, weinend und den schnellen Schlägen ihres Herzens lauschend, bis sie irgendwann schluchzend einschlief, ihren Lieblingsteddy fest an sich gepresst.

Jahre später hatte sie sich gefragt, warum sie an dem Abend nicht eingegriffen hatte. Weshalb war sie nicht zurück gegangen ins Esszimmer und hatte ihren Vater beschworen, aufzuhören?

Sie wusste es nicht. Schon früh hatte man ihr eingeimpft, dass sie sich nicht einzumischen hatte, wenn Erwachsene etwas besprachen oder auch stritten. Möglicherweise war es auch die intuitive Angst davor, ebenfalls Prügel zu beziehen.

Von dem Tag an jedenfalls beobachtete sie ihre Eltern genauer als vorher. Sie registrierte die blauen Flecken an den Armen und Beinen ihre Mutter, über die sie sich bis dahin nie Gedanken gemacht hatte. Linda war voller Mitgefühl für sie.

Als sie älter wurde, nahm sie jedoch immer mehr eine andere Haltung ein. Ihre Mutter war schwach. Warum wehrte sie sich nicht? Wieso um alles in der Welt ließ sie sich diese Misshandlungen gefallen? Linda konnte das passive und duldsame Verhalten ihrer Mutter nicht begreifen und begann, sie für ihre Schwäche und Willenlosigkeit immer mehr zu verachten.

Ich werde mir so etwas nie gefallen lassen, schwor sie sich. Niemals!

Zu seiner Tochter war Adam Cooper nie anders als liebevoll und fürsorglich. Sie bekam alles, was sie sich wünschte. Bereits mit vier Jahren hatte sie Berge von Spielzeug und immer die hübschesten und modernsten Kleider, Schuhe und Taschen. Fast täglich brachte er ihr ein neues Geschenk mit.

Adam hatte nie viel Zeit für die Familie, da er hart arbeitete. Selbst an den Wochenenden verschwand er häufig für einige Stunden im Büro. Zudem war er beruflich oft auf Reisen. Der Aufbau von Hotels in Florida und Kalifornien, Spielcasinos in Las Vegas und Autofabriken in Detroit nahm eine Menge Zeit in Anspruch.

Linda war beinahe elf Jahre alt als sie an einem heißen Sommertag begriff, dass nicht die Arbeit allein ihren Vater veranlasste, viel Zeit im Büro zu verbringen. An diesem frühen Abend im Juni besuchte sie ihn dort spontan, da sie bei einer Schulkameradin in der Nähe gewesen war und hoffte, ihr Vater könne sie in seinem Jaguar nach Hause mitnehmen.

Sie fuhr mit dem Fahrstuhl hinauf in den 45. Stock, passierte eine Glastür und wandte sich dann nach rechts, wo das Büro ihres Vaters lag. Das Vorzimmer war leer, worüber sie sich aber nicht wunderte. Es war bereits nach sechs Uhr, sämtliche Angestellten waren auf dem Weg nach Hause.

Sie durchquerte das Vorzimmer und ging am Schreibtisch der Empfangssekretärin vorbei zum Büro ihres Vaters, als sie merkwürdige Geräusche hörte. Ein Stöhnen und Keuchen.

Linda erschrak und blieb einen Moment wie angewurzelt stehen. War ihr Vater gestürzt? Hatte er sich verletzt? Sie wollte gerade nach ihm rufen als sie eine heisere Frauenstimme hörte: „Oh Gott, Adam! Ja! Jaa!“

Vorsichtig schlich Linda näher und spähte durch die angelehnte Tür. Ihr Vater stand etwa drei Meter von ihr entfernt mit heruntergelassenen Hosen vor seinem gewaltigen Schreibtisch. Um seine Hüften schlangen sich zwei schlanke Frauenbeine, die genauso rhythmisch zuckten wie der Hintern ihres Vaters. Er stöhnte laut und warf den Kopf zurück. Seine Bewegungen wurden schneller, das Keuchen aus beiden Kehlen lauter.

Lindas Magen hob sich, sie musste würgen. Leise, die Augen vor Entsetzen geweitet und beide Hände vor den Mund gepresst, wandte sie sich ab und verließ fluchtartig das Büro. Im Fahrstuhl nach unten musste sie sich festhalten, weil ihre Beine zitterten, doch die Welle der Übelkeit ließ langsam nach.

Sie ging den weiten Weg nach Hause. Die ganze Zeit, während sie mechanisch Fuß vor Fuß setzte, dachte sie darüber nach, was sie gesehen hatte. Aufgeklärt war sie bereits. Doch sie hatte sich die körperliche Liebe immer völlig anders vorgestellt, zärtlich und schön. So wie in den Liebesfilmen, die sie heimlich sah. Das, was ihr Vater und seine Sekretärin taten, fand sie dagegen ekelhaft. Geradezu abstoßend.

Dann überlegte sie, ob ihr Vater in seine Sekretärin verliebt war. Würde er ihre Mutter für sie verlassen? Und was würde das für sie selbst bedeuten? Einen Umzug? Eine Stiefmutter?

Nichts dergleichen geschah. Linda fand bald heraus, dass Adam Cooper es generell mit der ehelichen Treue nicht sehr genau nahm. An der Situation zu Hause änderte sich dadurch nichts.

Linda behielt ihre Kenntnisse für sich. Sie fand, das ging niemanden etwas an. Auch mit ihrer Mutter sprach sie nie über das, was sie über deren Ehe wusste.

In den letzten Jahren ihres kümmerlichen Lebens war Jo-Anne nur noch ein Schatten ihres früheren Selbst. Sie magerte immer mehr ab und bekam einen verbitterten Zug um den Mund. Vor etwas mehr als einem Jahr war sie schließlich gestorben.

„Es war ihr Herz“, sagten die Ärzte.

Ja, das ist richtig, hatte Linda damals gedacht. Ihr Herz ist gebrochen. Mein Vater hat es zerstört.

Obwohl sie sich über ihren Vater in persönlicher Hinsicht keinerlei Illusionen machte bewunderte sie ihn grenzenlos, wenn es um das Geschäft ging. Während der Ferien und nach Beendigung ihrer Ausbildung am College nahm er seine Tochter unter seine Fittiche und brachte ihr alles bei, was er wusste. In vielen Dingen war sie ihm ähnlich: Sie war unwahrscheinlich ehrgeizig und hatte den richtigen Riecher für Erfolg versprechende Projekte.

In den letzten paar Jahren hatte Adam ihr immer mehr die Verantwortung für sein gewaltiges Unternehmen übertragen und sie hatte sich der Herausforderung gestellt und bewiesen, dass sie sein Vertrauen rechtfertigte. Oft genug hatte er ihr gesagt, wie stolz er auf sie war und auf das, was sie geleistet hatte.

Sie lehnte sich zurück, sah das Foto von ihm an, das auf ihrem Schreibtisch stand und verschränkte locker die Hände in ihrem Schoß.

„Du hast mich verdammt früh allein gelassen, Vater“, murmelte sie halblaut und strich sich eine Strähne ihres schwarzen glatten Haares hinter das Ohr. „Ich werde alles tun, um dich nicht zu enttäuschen, aber ein bisschen länger hättest du schon noch an meiner Seite bleiben können.“ Sie seufzte tief und lang anhaltend.

Die Obduktion hatte ergeben, dass Adam Cooper nach dem Genuss von etwa einer Flasche Rotwein versehentlich die Treppe in seiner Villa herabgestürzt war. Am nächsten Morgen hatte das Hausmädchen ihn leblos und merkwürdig verkrümmt auf dem Boden vor der Treppe gefunden. Er hatte sich das Genick gebrochen.

Und am kommenden Donnerstag sollte er beigesetzt werden.

Linda schloss die Augen. Zum wiederholten Mal dachte sie daran, was sie getan hatte, während ihr Vater in den Tod gestürzt war.

Sie war eigentlich mit ihm zum Abendessen verabredet gewesen, doch sie hatte ihm abgesagt und stattdessen eine leidenschaftliche Nacht mit Henry Parker verbracht.

Wenn ich die Verabredung eingehalten hätte, würde Vater vermutlich noch leben, dachte sie schuldbewusst. Schließlich schlug sie die Augen wieder auf, setzte sich gerade hin und straffte die Schultern.

Es war tragisch, aber nicht zu ändern. Und es hatte kein Sinn, sich mit Vorwürfen zu überschütten. Sie würde jetzt an Adams Stelle weiter machen, so, wie er es gewollt hätte. Die Verantwortung, die auf ihren 25jährigen Schultern lastete, schreckte sie nicht. Sie wusste, dass sie es schaffen würde.

Während sie auf ihre goldene Dior-Armbanduhr sah drückte sie die Taste, die sie mit ihrem Vorzimmer verband.

„Susan, ist Mr. Lancaster schon da?“

„Nein, Miss Cooper. Noch nicht.“

„Schicken Sie ihn rein, sobald er kommt.“

„Selbstverständlich, Miss Cooper.“

Linda ließ die Taste los und sah aus dem Fenster. Charles Lancaster war Filmproduzent und ein alter Bekannter ihres Vaters. Auch Adam hatte sich manchmal an Filmproduktionen beteiligt, und das Projekt, wegen dem Charles Lancaster einen Termin mit ihr vereinbart hatte, schien rentabel zu sein. Er hatte zumindest behauptet, Steve-Conelly-Filme wären immer rentabel. Linda hatte diesen Namen zwar noch nie gehört, wusste aber, dass sie sich in diesen Dingen voll und ganz auf Charles verlassen konnte. Heute wollten sie die finanziellen Einzelheiten besprechen.

Das Telefon klingelte, sie hob den Hörer ab. „Ja?“

„Mr. Parker ist auf Leitung eins.“

Linda seufzte. „Also gut, stellen Sie ihn durch. Aber geben Sie mir trotzdem gleich Bescheid, wenn Mr. Lancaster erscheint.“

„Natürlich, Miss Cooper.“

Lindas Fingernägel trommelten auf die Schreibtischplatte. Es klickte in der Leitung.

„Hallo Henry.“

„Guten Morgen, Liebling. Ich habe gerade gehört, was passiert ist. Es tut mir schrecklich leid.“

„Danke. Nett, dass du dich meldest.“

„Wie geht es dir denn?“

„Ach, inzwischen ganz gut. Ich war am Wochenende in den Hamptons. Dort kann ich am besten zur Ruhe kommen. Ich musste eine Weile für mich sein.“

„Verständlich. Wann ist die Beerdigung?“

„Am Donnerstag. Wo bist du jetzt?“

„In Chicago. Noch bis zum Wochenende. Hier ist ein Kongress, über den ich berichte. Ich hab dir doch davon erzählt.“

Sie hörte Stimmengewirr und Telefonklingeln im Hintergrund. Vermutlich rief er aus der Hotelhalle an.

„Ja, richtig.“

„Ich kann deshalb nicht früher weg“, bedauerte Henry. „Es tut mir ehrlich leid, dass ich jetzt nicht bei dir sein kann.“

Linda drehte die Augen zur Decke. „Das ist schon in Ordnung, Henry. Es geht mir ganz gut, wirklich.“

Das vereinbarte Signal ertönte. Charles Lancaster war eingetroffen.

„Hör zu, ich habe jetzt eine wichtige Besprechung“, sagte sie kurz angebunden. „Am Wochenende melde ich mich bei dir.“

„Schön. Ich freue mich auf dich.“

„Bis dann.“

Sie legte auf und seufzte leise. Henry Parker. Sie hatte ihn vor drei Monaten anlässlich eines Interviews kennen gelernt, das er mit ihr für seine Zeitung geführt hatte. Die Finanzwelt wollte, so die zuständige Redakteurin, die Tochter und spätere Nachfolgerin von Adam Cooper näher kennen lernen. Linda war nicht begeistert gewesen, doch ihr Vater hatte ihr zugeredet.

„Mach das, Engel. Das kann durchaus nützlich sein“, hatte er ihr zugeredet. „Sei einfach du selbst.“

Und wie üblich war sie seinem Rat gefolgt.

Das Interview fand eines Vormittags in ihrem Büro statt. Es war unspektakulär. Ein vollbärtiger Fotograf machte einige Bilder von ihr an ihrem Schreibtisch und der Journalist stellte mehrere Fragen zu ihrer Person und ihrem Werdegang.

Henry Parker war auffallend attraktiv, ausgesprochen freundlich und intelligent. Linda gefielen sein kurzes schwarzes Haar, sein markantes Gesicht und sein warmes Lächeln.

Sie hatten sich gut verstanden, waren nach dem Interview gemeinsam essen gegangen und bereits nach kurzer Zeit hatte sie sich auf ihn eingelassen. Er war ein unersättlicher und raffinierter Liebhaber und sie genoss die unbeschwerte Zeit mit ihm. Zunächst.

Inzwischen langweilte er sie. Es war mit ihm so wie mit den Jungs vom College, mit denen sie kurze Beziehungen gehabt hatte; sie verliebten sich in sie, taten alles, um ihr zu gefallen und eben das gefiel ihr nicht.

Sie wollte einen Mann, der seinen eigenen Kopf hatte, der selbstbewusst war und ihr die Stirn bieten konnte. Jemanden, der stark war. Nicht schwach wie ihre Mutter.

Diese Voraussetzungen erfüllte Henry Parker nun einmal nicht. Wenn er zurück nach New York kam würde sie ihm klarmachen müssen, dass die Geschichte zwischen ihnen zu Ende war.

Als Jasmin die Wohnungstür aufschloss kam ihr ein leicht muffiger Geruch entgegen.

„Ben, bist du da?“ rief sie.

Keine Antwort. Vermutlich war er bereits auf dem Weg zur Probe. Jasmin zog ihren braunen Stoffmantel aus und hängte ihn und ihre Handtasche an die Garderobe.

Als sie das schmutzige Frühstücksgeschirr in der Küche, die Kleidungsstücke auf dem Boden des Schlafzimmers und das zerwühlte Bett sah runzelte sie verärgert die Stirn. Dass Ben es aber auch nie schaffte, die Wohnung ordentlich zu hinterlassen. Sein Hang zur Unordnung vertrug sich so gar nicht mit ihrer Ordnungsliebe und war der einzige wirklich wunde Punkt in ihrer ansonsten meist harmonischen Beziehung.

Immerhin wusste sie jetzt, womit sie sich am besten würde ablenken können. Sie öffnete die Fenster, um frische Luft hereinzulassen und begann, Bens Hosen, Socken und T-Shirts vom Boden aufzuheben.

Wenn du nicht bald ordentlicher wirst, Benjamin Summers, überlege ich mir das mit der Hochzeit noch mal, dachte sie grimmig.

Am Silvesterabend, kurz nach Mitternacht, hatte Ben sie auf der Dachterrasse ihrer Eltern gebeten, seine Frau zu werden. Es war zwar eisig kalt aber auch sehr romantisch gewesen, denn während er ihr den Antrag machte fielen dank der Feuerwerksraketen Sterne und bunte Lichter vom Himmel.

Er hatte so schüchtern und verlegen gewirkt, erinnerte sie sich lächelnd. Ständig war er sich mit der Hand durch die blonden Haare gefahren, und als sie ihm glücklich um den Hals gefallen war hatte sie an seiner Erleichterung gemerkt, wie aufgeregt er gewesen war.

Nachdem sie das Bett gemacht und abgewaschen hatte nahm sie ein Staubtuch und begann, die Bilder auf dem Kaminsims abzustauben. So richtig ablenken konnte das Aufräumen und Putzen sie jedoch nicht. Ständig fiel ihr Blick auf das Telefon, das beharrlich schwieg. Das einzige Geräusch kam vom Ticken der Uhr an der Wand, ein Ton, der ihre Nervosität noch steigerte. Sie stellte das Radio an, nicht zu laut, damit sie keinesfalls das Klingeln des Telefons überhörte.

David, ruf endlich an! dachte sie entnervt. Ich halte diese Ungewissheit nicht mehr aus!

Das Staubtuch fuhr über das Bild ihres älteren Bruders. Wieder einmal staunte sie über die Ähnlichkeit, die Jonathan und sie aufwiesen. Beide hatten sie kastanienbraunes Haar und große dunkle Augen. Wenn sie lächelten sahen sie beinahe wie Zwillinge aus, dabei war Jonathan drei Jahre älter als sie.

Er war siebenundzwanzig und stand kurz vor dem Abschluss seines Jurastudiums. Seit er in Harvard studierte hatten sie wenig Kontakt. Ihr letztes Telefonat war allerdings erst wenige Tage her. Jonathan hatte angerufen, um ihr zum Geburtstag zu gratulieren. Es war ein Gespräch gewesen, wie es zwischen ihnen typisch war.

„Alles Gute zum Geburtstag, du alte Schachtel!“

„Sehr witzig. Aber trotzdem danke, du Greis.“

„Immerhin sehe ich jünger aus als du“, hatte Jonathan behauptet.

„In deinen Träumen!“ hatte sie lachend erwidert. „Kämmst du dir die Haare eigentlich schon nach vorn auf die hohe Stirn?“

Gelächter war an ihr Ohr gedrungen. Er hatte gut lachen, denn sein Haar war nach wie vor üppig.

„Wie geht’s Mom und Dad?“

„Bestens, wie immer. Und was treibst du so?“

„Na, was wohl?“ stöhnte er. „Lernen, lernen und dann noch ein wenig lernen.“

„Das glaubst du doch wohl selbst nicht. Eine faule Socke wie du? Mich wundert, dass sie dich überhaupt in Harvard zugelassen haben.“

„Mit jedem Jahr, das du älter wirst, wirst du frecher“, beschwerte sich ihr Bruder. Jasmin überhörte den Vorwurf, aber nur, weil sie ihm ihre Neuigkeiten erzählen wollte. Sie ließ sich auf die Couch fallen, strich ihre widerspenstige Haarsträhne hinter das rechte Ohr und legte die Füße hoch.

„Brüderchen, stell dir vor, Ben und ich sind verlobt!“

„Gratuliere! Hat er sich endlich getraut, dich zu fragen?“

„Oh ja“, lächelte sie verträumt. „Es war sehr romantisch.“

„Ich freue mich für euch. Wann wollt ihr heiraten?“

„Das wissen wir noch nicht genau. Vielleicht im Herbst.“

„Da möchte ich auf jeden Fall dabei sein.“

„Na gut, dann schicken wir dir eben doch eine Einladung“, grinste sie.

Er tat empört. „Ziege!“

Dann berichtete sie ihm von dem Vorsprechen.

„Mein Agent hat mir einen Castingtermin besorgt für die weibliche Hauptrolle im neuesten Steve-Conelly-Film. Ich bin jetzt in der Endauswahl. Nächste Woche ist das entscheidende Vorsprechen. Drück mir bitte die Daumen.“

„Ja, klar. Und was für ein Film soll das sein?“

„Eine romantische Komödie. Ich bin total nervös.“

„Du schaffst das schon. Ich denk an dich. Sag mir Bescheid, wie es gelaufen ist.“

„Klar, mach ich.“

„Sorry, aber ich muss Schluss machen, die Vorlesung fängt in zehn Minuten an. Liebe Grüße an Mom und Dad. Und dir viel Glück, Kleine!“

Als sie gerade das Waschbecken im Badezimmer schrubbte klingelte das Telefon. Für einen Moment blieb Jasmin das Herz stehen. Sie hielt mitten in der Bewegung inne und sah kurz in den Spiegel.

„Okay“, murmelte sie, „dies ist die Stunde der Wahrheit.“

Sie atmete tief durch und eilte ins Wohnzimmer, wobei sie sich die Gummihandschuhe von den Händen streifte. Ihre Hand zitterte leicht, als sie nach dem Hörer griff.

„Hallo?“

„Jasmin, hier ist David.“

„David! Na endlich!“

„Ed Carpenter hat angerufen“, berichtete David.

Ed Carpenter war der Leiter des Castings. David fuhr fort. „Sag mal, raucht der Mann Kette? Seine Stimme klang heute noch schlimmer als sonst, als müsste sie dringend geölt werden.Verglichen mit ihm steht Joe Cocker noch vor dem Stimmbruch. “

Jasmin setzte sich vorsorglich auf einen Sessel.

„Keine Ahnung. Jetzt sag schon, David. Hab ich die Rolle?“

Das Café Condesa in Greenwich Village war ein kleines, kubanisch angehauchtes Café, in dem es mittags eine große Auswahl an köstlichen Omelettes gab und außerdem die besten Weine. Anne Tyler liebte dieses Café besonders wegen der leckeren Salate. Sie und Leon aßen häufiger hier.

Ihre Füße wippten im Rhythmus der karibischen Musik während sie auf ihre Tochter wartete. Jasmin hatte vor einer halben Stunde angerufen und sie gebeten, sich mit ihr zu treffen. Sie habe interessante Neuigkeiten hatte sie gesagt.

Nach zehn Minuten und einem heißen starken Kaffee sah Anne ihre Tochter vor der Eingangstür aus einem Taxi steigen. Sie hatte sich das Haar hochgesteckt und trug ihren langen braunen Mantel. Um den Hals hatte sie sich gegen die Kälte einen dicken roten Schal geschlungen, so groß, dass er aussah wie ein kommunistisches Statement.

Als sie durch die Eingangstür trat sah sie sich suchend um, bis sie ihre Mutter entdeckte. Sie trat auf ihren Tisch zu, beugte sich zu Anne hinab und gab ihr einen Kuss auf die Wange.

„Hi Mom. Schön, dass du Zeit hattest.“

„Die habe ich mir gern genommen. Aber nun setz dich hin und sag mir, was los ist. Ich platze gleich vor Neugier.“

Jasmin hing seelenruhig ihren Mantel und den Schal an den in der Nähe stehenden Garderobenständer. Dann drehte sie sich wieder zu ihrer Mutter um. „David hat vor einer halben Stunde angerufen“, sagte sie betont beiläufig.

„David?“

„Jasmin rollte mit den Augen. „Mein Agent! Es geht um die Rolle in dem Steve-Conelly-Film.“

„Oh ja, richtig.“ Annes Augen wurden größer. Gespannt sah sie zu ihrer Tochter auf, die immer noch neben dem Tisch stand. „Und? Was hat er gesagt? Hast du die Rolle?“

Jasmin behielt ihren ernsten Gesichtsausdruck noch einen kurzen Moment bei, doch dann hielt sie die Maskerade nicht mehr durch und strahlte über das ganze Gesicht. „Ich habe die Rolle!!“

Mit einem spitzen Schrei sprang Anne auf und nahm sie in die Arme. Beide kreischten vor Freude, doch als sie die vielen anderen Gäste bemerkten, die sich mit missbilligenden Blicken zu ihnen umgedreht hatten, dämpften sie rasch die Lautstärke und setzten sich hin.

„Das ist großartig, Engel“, jubelte Anne. „Ich freue mich ja so für dich!“ Sie winkte dem Ober. „Zwei Gläser Champagner, bitte.“ Und an Jasmin gewandt: „Das muss begossen werden! Und jetzt erzähl!“

Jasmin lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander. „Ich hatte den Text so intensiv gelernt, dass ich ihn sogar aufsagen könnte, wenn du mich aus der Tiefschlafphase holen würdest“, behauptete sie. „Trotzdem hatte ich total weiche Knie, als es endlich soweit war. Ich habe mich so gut ich konnte in die Figur hineinversetzt, habe versucht, an alles zu denken, was ich auf der Schauspielschule gelernt habe. Es hat auch gut geklappt. Anschließend waren die anderen Mädchen dran und für mich hieß es warten. Ich fuhr also nach Hause und wartete auf Davids Anruf.“

Der Ober brachte den Champagner. Sie prosteten sich lächelnd zu und tranken.

„Als er endlich anrief erzählte er, Ed Carpenter hätte ihm gesagt, ich wäre genau das, was sie gesucht hätten“, fuhr Jasmin strahlend fort. „Sie sind sicher, ich bin die perfekte Besetzung für die Rolle. Laut David wollen sie jemanden mit Pfeffer im Hintern.“ Sie grinste über das ganze Gesicht.

„Übersetzt heißt das, jemanden mit Temperament, stimmt’s?“ fragte Anne leicht irritiert.

„Genau.“ Jasmin nickte. „Ich wäre vor Glück und Stolz fast geplatzt.“

„Das kann ich mir vorstellen!“ lachte Anne.

Ihre Tochter atmete tief durch und lächelte selig vor sich hin. „Für das kommende Wochenende ist eine Besprechung angesetzt worden. Bei der Gelegenheit soll das Team sich kennen lernen. Wir treffen uns bei George White, einem der Geldgeber. Es kommen die Leiter des Castings, die Haupt- und Nebendarsteller, der Regisseur, die Produzenten, Autoren und so weiter.“

Ihre Augen funkelten. „Stell dir vor, ich lerne Steve Conelly kennen! Und mein Filmpartner ist Tom Becker. Er war bereits für einen Oscar nominiert. Ich bin ja so aufgeregt!“

„Tom Becker?“ fragte Anne begeistert. „Oh, den mag ich gern. Er ist soo männlich.“

Jasmin nickte grinsend. „Stimmt. Er ist aber auch soo schwul.“

„Das ist nicht wahr!“ Anne starrte sie entgeistert an.

„Doch. Zumindest geht in der Branche dieses Gerücht um.“ Sie strahlte immer noch. „Ich freue mich ja so! Schon Mitte Februar beginnen die Dreharbeiten.“

„In Hollywood?“

„Ja, die Studio- und einige Außenaufnahmen. Aber wir drehen auch in Europa.“

Sie trank noch einen Schluck Champagner und verschluckte sich fast vor Aufregung. „Ich werde nach London und Rom fliegen, ist das nicht einfach irre?“

Anne musste lachen. „Wie schön, dass du dich trotz deiner Flugangst darauf freust. Ich beneide dich. Ich war noch nie in Europa.“ Dann fügte sie hinzu. „Da wirst du ziemlich oft weg sein. Was sagt Ben denn dazu?“

Jasmin lehnte sich wieder zurück und seufzte. „Na ja, begeistert wird er sicher nicht sein. Aber er weiß ja, wie das ist. Schließlich ist er hin und wieder auf Theatertournee. Dann ist er manchmal für sechs bis acht Wochen unterwegs, je nachdem, wie gut das Stück ankommt.“

Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Außerdem werden wir hauptsächlich während der Woche drehen. An den Wochenenden kann ich bestimmt nach Hause fahren. Zumindest, solange wir in den Staaten sind.“

Die Kirche war bis auf den letzten Platz besetzt, selbst davor hatte sich eine gewaltige Menge versammelt: Bewunderer, Schaulustige, Reporter, Fernsehteams.

Adam Coopers Sarg war geschlossen und mit roten Rosen und weißen Nelken geschmückt. Ein großes Bild von ihm stand seitlich im Altarraum, flankiert von mehreren dicken weißen Kerzen. Auf dem Bild sah er so stark und gesund aus, dass er beinahe präsent wirkte. Es kam Linda vor, als würde er sie ansehen und ihr Mut zusprechen.

Der Gottesdienst war würdevoll. Der Pfarrer berichtete von Adams Anfängen, von der Zeit, als er in den frühen fünfziger Jahren jede Gelegenheit genutzt hatte, um sich beruflich zu etablieren. Adam kam aus eher ärmlichen Verhältnissen und hatte schon früh beschlossen, diesen zu entkommen und ein reicher Mann zu werden.

„Der junge Adam Cooper war ausgesprochen einfallsreich“, erzählte der Geistliche. Seine sonore Stimme hallte vernehmlich durch das Kirchenschiff, so dass auch die Zuhörer in den letzten Reihen jedes Wort verstehen konnten.

„Er bot seine Dienste als Fensterputzer an, schwatzte seinen Kunden dabei Dinge ab, die sie nicht mehr benötigten, restaurierte und verkaufte sie. Mit zwanzig Jahren machte er sein erstes eigenes Geschäft auf, bereits mit fünfundzwanzig war er Besitzer einer erfolgreichen Ladenkette und gründete bald darauf eine Familie mit der jungen Jo-Anne Mitchell. Mit Mut, Entschlossenheit und ungewöhnlichem Ehrgeiz wurde er immer erfolgreicher, bis er schließlich zu einem angesehenen Bürger New Yorks avancierte, der sich sehr für wohltätige Zwecke engagierte und mehrere Stiftungen ins Leben rief.“

Der Pfarrer sah nun zu Linda.

„Adam Cooper wird dieser Gemeinde zweifellos sehr fehlen. Doch in seiner Tochter hat er eine Nachfolgerin, die ihrem Vater sicher das Wasser reichen kann und genau wie alle, die heute hier sind, sein Andenken stets in Ehren halten wird.“

Linda schluckte, nickte dem Pfarrer kurz zu und senkte den Kopf.

Edward I. Koch, der amtierende Bürgermeister von New York, sprach ebenfalls ein paar bewegende Worte. Er betonte, wie freundlich, großherzig und überaus beliebt der Verstorbene gewesen war.

Seine brutale, herrschsüchtige und betrügerische Seite hat er nur der Familie offenbart, dachte Linda zynisch.

Nach dem Gottesdienst stand sie mit den engsten Freunden, Bekannten und Geschäftspartnern ihres Vaters auf dem Friedhof. Es war Zeit, endgültig Abschied zu nehmen.

Es war klirrend kalt und windstill an diesem Januartag. Das tiefe Blau des Himmels wurde nur durch wenige kleine Wolken unterbrochen. In der Nacht zuvor hatte es erneut geschneit und die Grabsteine, Bäume und Büsche auf dem Friedhof hatten dicke Mützen aus Watte auf. Einige übermütige Sperlinge hinterließen kleine, kaum sichtbare Spuren im Schnee, ein Eichhörnchen huschte lautlos einen Eichenstamm hinauf, ließ sich auf einem dicken Ast nieder und sah auf sie herab, doch Linda, in einem knielangen schwarzen Kleid und einem Nerzmantel, sah nichts davon, nahm ihre Umwelt kaum wahr.

„Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub.“ Der Pfarrer bekreuzigte sich und nickte ihr zu. Sie nahm eine Schaufel voll Erde und ließ sie auf den Sarg sechs Fuß unter ihr fallen. Dann steckte sie die Schaufel zurück und warf eine langstielige rote Rose in die Grube.

Gute Reise, Vater. Du wirst mir fehlen.

Mit gesenktem Kopf trat sie ein paar Schritte zurück. Ihre Augen waren während des gesamten Gottesdienstes trocken geblieben, was die anderen Trauergäste teils verwundert, teils missbilligend registriert hatten. Linda spürte die Blicke, wusste aber selbst nicht, warum sie nicht weinen konnte. Der Tod ihres Vaters traf sie tief, sie wusste, sie würde ihn vermissen, sehr sogar. Dennoch konnte sie keine Tränen vergießen.

Adams Sekretärin trat neben sie und berührte sie sacht am Arm. Mariah Moore war eine junge Schwarze, Mitte Zwanzig, schlank, hübsch anzusehen und kompetent. Das war der Typ Sekretärin, den Adam Cooper stets bevorzugt hatte.

Einmal hatte er unvorsichtigerweise einem Reporter gegenüber behauptet, er könne nur dann gut arbeiten, wenn seine Sekretärin eine Augenweide sei, weil ihn der Anblick eines knackigen Hinterns, eines üppigen Dekolletés und langer Beine inspirieren und zu Höchstleistungen anspornen würde.

Die allgemeine Empörung nach Veröffentlichung dieser Aussage war erdbebengleich gewesen. Sämtliche Frauenrechtlerinnen waren auf die Barrikaden gegangen und die Presse hatte ihn unbarmherzig angegriffen, bis Adam Cooper öffentlich die Aussage widerrief. Zudem hatte er unauffällig für die sofortige Entlassung des Reporters gesorgt.

Linda erwiderte Mariahs Blick und lächelte vage. Mariah sah sie besorgt an. „Geht’s Ihnen gut, Miss?“

„Ja, danke, Mariah. Es wird schon wieder.“

„Natürlich. Sie sind stark. Sie schaffen das.“

Adams Sekretärin lächelte sie ermutigend an. Da ihr Chef verstorben war gab es für sie - abgesehen von der Abwicklung und Verteilung der laufenden Projekte - nichts mehr zu tun.

Linda selbst und der stellvertretende Geschäftsführer Harvey Daniels hatten ihre eigenen Sekretärinnen und keine Verwendung für eine weitere. Sämtliche adäquaten Stellen in der Firma waren derzeit besetzt.

Doch Linda hatte sich umgehört und eine gute Stellung bei einem befreundeten Immobilienmakler gefunden, der seine Büros ebenfalls im Nordturm des Trade Centers unterhielt. Ab dem nächsten Monat würde Mariah Moore bei ihm arbeiten.

Nach der Beisetzung und den Beileidsbekundungen trafen sich die Trauernden in einem Restaurant. Adam hatte, abgesehen von Linda, keinerlei Familie, so dass die Gemeinschaft, die sich in dem separaten Raum traf, hauptsächlich aus Geschäftspartnern, Freunden, Nachbarn und Politikern bestand. Alle waren inzwischen durchgefroren und freuten sich sichtlich, endlich ins Warme zu kommen.

Nach dem Essen kam Mariah Moore zu Linda und verabschiedete sich.

„Nochmals vielen Dank, dass Sie mir geholfen haben, eine Stellung zu finden, Miss Cooper. Das war wirklich sehr anständig von Ihnen.“

Linda lächelte ihr freundlich zu. „Das habe ich gern gemacht, Mariah. Schließlich sind Sie eine sehr gute Kraft. Es war nicht schwierig, etwas Passendes für Sie zu finden. Ich wünsche Ihnen alles Gute.“

Mariah drückte ihre Hand. Sie hatte Tränen in den Augen. „Das wünsche ich Ihnen auch, Miss Cooper. Auf Wiedersehen.“

Als die Gesellschaft sich aufgelöst hatte ließ Linda sich zu der Villa fahren, die jetzt ihr gehörte, in der sie jedoch schon lange nicht mehr lebte. Sie wohnte inzwischen allein in einer schönen Penthousewohnung in der Nähe der Fifth Avenue.

Langsam schritt sie durch alle Räume des großen Hauses. Ihr früheres Zimmer war nach ihrem Auszug in ein weiteres Gästezimmer umgewandelt worden. Hier gab es nichts, was an ihre Kinderzeit erinnerte. In der geräumigen Küche aber musste sie lächeln. Als Kind hatte sie viel Zeit hier verbracht und der Köchin Sophia, einer resoluten und barschen Spanierin mit goldenem Herzen, bei der Arbeit zugesehen. Ihre geringen Kochkenntnisse und die paar Brocken Spanisch, die Linda beherrschte, hatte sie von ihr gelernt.

Als sie im Esszimmer stand hatte sie das Gefühl, wieder die wütende Stimme ihres Vaters und die ängstlichen Schreie ihrer Mutter hören zu können. Sie rieb sich die Arme und runzelte unwillig die Stirn. Das war nun endgültig vorbei. Wahrscheinlich würde sie die Villa und viel von der Einrichtung verkaufen. Sie hing nicht daran.

Als sie bald darauf die Tür zu ihrer eigenen Wohnung aufschloss atmete sie erleichtert durch, zog ihren Mantel und die Schuhe aus und ließ sich in ihren altmodischen Ohrensessel fallen, der herrlich gemütlich war und mit dem passenden großen Fußhocker direkt vor dem Wohnzimmerfenster stand. Hier saß sie so oft es ihr möglich war und blickte auf die vielen Hochhäuser und das kleine Stück vom Himmel, das sie sehen konnte.

Auch jetzt schaute sie aus dem Fenster, nahm jedoch nichts von dem wahr, was jenseits der Glasscheibe zu sehen war. Sie dachte an ihre Eltern. An ihre traurige, schwache Mutter und ihren brutalen, aber erfolgreichen Vater. Sie waren nicht mehr da. Innerhalb von eineinhalb Jahren hatten beide sie verlassen. Sie war völlig allein. Ganz und gar auf sich gestellt.

Linda spürte ihre Augen feucht werden und kurz darauf kullerte langsam eine Träne ihre Wange hinunter. Dann noch eine und noch eine.

Endlich konnte sie weinen!

Sie zog die Beine an, schlang die Arme um die Knie und weinte, wie sie seit vielen Jahren nicht mehr geweint hatte.

In dem großen, im Art-Deco-Stil eingerichteten Wohnzimmer hatten sich an diesem Samstagabend Produzenten, Schauspieler, Drehbuchautoren und viele andere eingefunden, die auf die eine oder andere Weise an der Entstehung des neuesten Steve-Conelly-Films beteiligt waren. Jeder hatte ein Getränk in der Hand und plauderte angeregt.

Georges Whites Frau Katherine unterhielt sich mit Charles Lancaster und Tom Becker. Ihr herzliches Lachen drang durch das Stimmengewirr an Georges Ohr. Jedes Mal, wenn sein Blick auf Katherine fiel, lächelte er zufrieden. Trotz ihrer inzwischen vierundfünfzig Jahre war sie eine attraktive Frau. Sie war füllig – was er schätzte – und fast immer gut gelaunt. Seit mehr als dreißig Jahren waren sie ein Paar und verstanden sich noch immer hervorragend. George wusste, das würde auch so bleiben, bis der liebe Gott einen von ihnen zu sich holte.

Im Hintergrund spielte ein Pianist Songs von George Gershwin, Irving Berlin und Cole Porter, Georges bevorzugte Musik. Zufrieden sah er sich um und entdeckte Steve Conelly, der allein an der Bar stand, Bier trank und das Treiben um sich herum interessiert beobachtete.

Steve Conelly war für George ein Phänomen. Die Frauen liebten ihn, was nicht weiter verwunderlich war, denn er war sehr charmant und sah unverschämt gut aus.

Was George aber faszinierte war die Tatsache, dass es nicht einen einzigen Mann gab, der ihn nicht mochte. Er jedenfalls kannte keinen. Die Männer schätzten an ihm nicht so sehr seinen Charme sondern in erster Linie seine Ehrlichkeit und seinen Humor. George hatte in seinem Leben nur selten erlebt, dass andere Männer für einen Frauentyp, wie Steve es eindeutig war, in diesem Maße bewundernde Sympathie aufbrachten.

Er schlenderte hinüber zur Bar und begrüßte ihn.

„Guten Abend, Steve.“

„Hallo George. Nette Party.“ Steve stieß mit seinem Glas an das des Gastgebers und trank einen Schluck.

„Du siehst aber nicht gerade aus, als würdest du dich amüsieren“, konstatierte George, während er sein Rotweinglas an die Lippen hob.

„Ich habe einfach nur großen Hunger. Dann steht mir nicht der Sinn nach Konversation. Wann gibt es endlich etwas zu essen?“

Steve drückte seine freie Hand in den Magen und machte ein leidendes Gesicht.

„Es geht gleich los“, beruhigte ihn George mit einem kurzen Blick auf seine protzige Armbanduhr. „Es gibt Steaks, Hummer, Lachs, frisches Brot und verschiedene Saucen und Salate. Aber noch sind nicht alle Gäste da, du wirst dich also etwas gedulden müssen.“

Er zwinkerte Steve grinsend zu. „Geh einfach in die Küche und lass dir ein Stück Brot geben, wenn du nicht mehr warten kannst.“

„Danke“, lächelte Steve. „Ich überlege es mir. Wer fehlt denn noch?“

„Lass mich nachdenken…“ George blickte sich im Raum um.

„Ach ja, richtig, Linda Cooper fehlt noch, Adam Coopers Tochter. Adam war ein guter Freund von mir und auch von Charles. Charles erzählte mir, dass Linda auch ein paar Dollar in unseren Film investieren wird, sei also freundlich zu ihr.“

Steve sah ihn fragend an und George schüttelte fassungslos den Kopf. „Hast du denn noch nie von Adam Cooper gehört?“

Als er sah, dass Steve ratlos mit den Schultern zuckte gab er sich selbst die Antwort. „Natürlich nicht, du kommst ja von der Westküste und kennst nur alle aus dem Filmbusiness.“

Steve lächelte ihm zu. „Nicht alle“, schwächte er ab.

„Der Name Cooper kommt mir zwar irgendwie bekannt vor, aber…“ Er schnalzte bedauernd mit der Zunge.

„Ihm gehörten jede Menge Hotels, Casinos und, und, und“, berichtete George.

Der Ton seiner Stimme senkte sich ein wenig, als er weiter sprach. „Vor etwa einer Woche ist er gestorben. Betrunken die Treppe heruntergefallen, wie man hört. Dabei trank er, soviel ich weiß, nicht viel.“ Er schüttelte betroffen den Kopf. Einen Moment wirkte er gedankenverloren, dann wandte er sich wieder Steve zu und fuhr fort.

„Tja, seine Tochter hat jedenfalls alles geerbt. Sie ist eine richtig gute Partie, mein Lieber. Und unverheiratet.“

„Hübsch?“ fragte Steve.

„Mir ist sie zu mager. Aber doch, sie ist eine attraktive Frau, keine Frage. Du wirst sie ja gleich kennen lernen. Oh, und dann fehlt noch die Kleine, die die weibliche Hauptrolle spielen soll, wie mir Ed Carpenter erzählte. Wie heißt sie noch? Jamie oder Janine Irgendwas – mir fällt der Name nicht ein.“

„Meinst du vielleicht Jasmin Tyler?“ erkundigte sich Steve. Auch er hatte bereits mit Ed gesprochen.

„Ja, genau! Tyler, Jasmin Tyler. Ich habe noch nie von ihr gehört. Vermutlich irgend so ein junges Starlet.“

„Jung ist sie, das stimmt“, bestätigte Steve und trank sein Glas leer. Sein Gesicht drückte Anerkennung aus als er fort fuhr. „Ich habe einen Film mir ihr in einer Nebenrolle gesehen und muss sagen, sie ist wirklich gut. Ich glaube, sie hat Potential.“

„Du musst es ja wissen“, lenkte George ein.

Seine Frau trat zu ihnen und George lächelte ihr zärtlich zu. Katherine drückte kurz seine Hand, dann wandte sie sich an Steve.

„Hier versteckst du dich, mein Junge! Ich habe schon nach dir gesucht.“ Sie breitete die Arme aus. „Nun nimm mich endlich in den Arm, wir haben uns ja ewig nicht gesehen.“

Steve lächelte und tat ihr den Gefallen. Er hatte Katherine White sehr gern, sie war die herzlichste Person, die er kannte.

„Wie geht es dir, Katie?“

„Oh, hör auf, mich so zu nennen, du weißt, ich hasse das. Aber danke der Nachfrage, es geht mir sehr gut. Obwohl ich es kaum erwarten kann, wieder nach Kalifornien zu kommen. Die Temperaturen hier sind einfach nichts mehr für mich und meine alten Knochen.“

Katherine und George lebten, seit sie im Ruhestand waren, viele Monate im Jahr in ihrem Haus in Santa Monica. George war früher Chefarzt in der Orthopädie des Mount Sinai Hospital gewesen und Katherine eine sehr erfolgreiche Anwältin. Inzwischen beteiligten sie sich finanziell an der schillernden Welt des Filmbusiness.

„Nun mal langsam, Katherine, du bist doch nicht alt“, widersprach Steve charmant. „Für deine vierzig Jahre siehst du noch sehr knackig aus.“

Katherine lachte herzlich. „Du bist unverbesserlich, mein Junge! Von niemandem lasse ich mich so gern auf den Arm nehmen wir von dir.“

Steve legte ihr den besagten Arm um die Schulter und drückte sie kurz an sich. George blickte zur Tür und bemerkte seinen neusten Gast.

„Ah, da ist Linda ja endlich. Ich gehe sie eben begrüßen. Katherine, du kommst doch mit? Und keine Angst, Steve, gleich gibt es etwas zu essen. Trink doch solange noch ein Bier, das füllt den Magen.“

Lachend wandte er sich der Eingangstür zu.

Katherine lächelte zu Steve hoch, der sie um einiges überragte. „Wir sprechen uns später, ja?“

„Gern“, nickte er und sah beiden lächelnd nach.

Er beobachtete, dass George eine schlanke junge Frau mit schulterlangen schwarzen Haaren begrüßte und sie mit Katherine bekannt machte.

Linda Cooper war allem Anschein nach allein auf die Party gekommen. Ihr schwarzes Kleid mit dem leicht schwingenden Rock, der auf der Höhe ihrer Knie endete, betonte ihre schlanken Beine mit den rehartigen Fesseln.

Steve sah sie sich genauer an. Schrägstehende, ernste Augen, volle Lippen und ein charmantes Lächeln. Mimik und Gestik drückten Selbstbewusstsein aus. Ihre Bewegungen waren fließend und elegant wie die einer Tänzerin. Sie war zweifellos eine sehr schöne Frau.

Katherine redete gerade ernst und leise auf sie ein, vermutlich sprach sie ihr Beileid aus. Linda Cooper nickte und lächelte milde.

Der Pianist stimmte „It had to be you” an, als eine weitere Frau an der Seite eines unscheinbaren Mannes mit grauen Schläfen das Penthouse betrat. Bei dem Anblick ihres langen, glänzenden Haares musste Steve unweigerlich an eine Kastanie denken, die aus ihrer frisch geöffneten, stacheligen Schale lugte.

Obwohl er bereits einen Film mit Jasmin Tyler gesehen hatte und durchaus an schöne Frauen gewöhnt war schlug sein Herz bei ihrem Anblick ein paar Takte schneller. Sie war in natura noch hinreißender als auf der Leinwand. Ihre Augen waren dunkel und so strahlend, dass sie das lebhafte Gesicht dominierten. Ihr schön geschwungener Mund war ein klein wenig zu breit, die Nase zierlich. Sie erschien ihm nicht so mager wie viele andere Schauspielerinnen in ihrem Alter. Sie war zwar schlank, doch ihre Figur wirkte fraulich. Steve beobachtete sie gebannt. Seinen Hunger hatte er völlig vergessen.

Jasmin Tyler schien aufgeregt zu sein, sie schaute sich genau um und tuschelte dann mit dem Mann an ihrer Seite. Vermutlich war er ihr Agent. Beide lachten. Ihr Lachen war tief und fröhlich. Jetzt begrüßte George White seine neuesten Gäste und machte Jasmin und ihren Begleiter mit Linda Cooper bekannt. Die Frauen gaben sich die Hand und lächelten sich freundlich zu.

Während des Essens saß Linda zwischen einem der Autoren und dem Gastgeber. Sie trank einen Schluck von ihrem Chardonnay und stieß George White vorsichtig mit dem Ellenbogen an. Kauend wandte er sich ihr zu. „Hmm?“

„George, sag mir, wer ist der Mann dort drüben?“

Sie deutete mit dem Kinn unauffällig an das andere Ende des Tisches, wo ein großer, durchtrainiert wirkender Mann von etwa dreißig Jahren saß und sich lebhaft mit Jasmin Tyler unterhielt. Seine dunkelbraunen Haare waren ein wenig zu lang, was ihm zusammen mit dem Drei-Tage-Bart einen etwas verwegenen Anstrich gab. Die dunklen Augen im braun gebrannten Gesicht wirkten lachbereit und erschienen Linda ausgesprochen sexy. Vereinzelte Pockennarben auf seinen Wangen verhinderten, dass er zu gut aussah, machten sein Äußeres aber umso interessanter.

George folgte Lindas Blick und schluckte den Bissen, den er noch im Mund hatte, hinunter. Das Steak war perfekt gelungen und zerging ihm auf der Zunge.

„Wer das ist? Das ist Steve Conelly, der Regisseur. Habe ich euch noch nicht bekannt gemacht?“

„Nein, bedauerlicherweise nicht.“

„Ein großartiger Regisseur und ein wirklich feiner Kerl. Ich schätze ihn sehr.“

„Vielleicht stellst du ihn mir später vor?“ Ihre schmal gewordenen Augen waren nach wie vor auf Steve gerichtet.

George musterte sie und hob verstehend eine Augenbraue. „Ja, das sollte ich wohl tun“, nickte er.

Jasmins Unterhaltung mit Steve Conelly war ausgesprochen kurzweilig. Sie hatte bereits einige seiner Filme gesehen und bewunderte seine Arbeit sehr. Auf die Zusammenarbeit mit ihm war sie gespannt.

Er hatte das Drehbuch bereits vollständig durchgearbeitet und erzählte ihr einige wichtige Details, wobei er nicht mit amüsanten Kommentaren sparte. Dabei sah er ihr immer wieder ein paar Sekunden zu lange in die Augen.

Sie genoss es. Er war ein gut aussehender Mann und mit ihm zu flirten machte ihr Spaß. Sie mochte sein Lächeln. Es schien sein Gesicht von einem Moment zum anderen auf faszinierende Weise zu verändern.

So wie sich eine Landschaft verwandelt, sobald die Sonne aufgeht, dachte sie und wunderte sich im gleichen Moment über sich selbst. Solch lyrische Gedanken hatte sie sonst nie.

Fast unbewusst erwiderte sie Steves Blick und verspürte den Anflug eines schlechten Gewissens. Ben war im Theater und sie hatten sich vorhin noch geliebt. Aber egal! Dies war schließlich nur ein Flirt.

Sie stieß ihr Weinglas an seines und bemerkte ein beunruhigendes Kribbeln im Bauch als er sie anlächelte und ihr über den Rand seines Glases hinweg tief in die Augen sah.

Das Essen war mittlerweile beendet. Diskret umher huschende dienstbare Geister brachten die leeren Teller in die Küche oder schenkten Getränke nach.

Einige Leute saßen noch am Tisch, andere standen an der Bar oder hatten es sich in der eleganten Sitzgruppe bequem gemacht. Hier und da drehten sich Rauchsäulen mit eleganter Leichtigkeit in die Höhe. Vereinzeltes Lachen und lebhafte Unterhaltungen erfüllten die Luft und vermischten sich den gefühlvollen Klängen des Klaviers.

Jasmin sah sich leicht verwirrt um.

„Ich dachte, es ginge um eine geschäftliche Besprechung, als ich die Einladung zu diesem Dinner erhielt“, wunderte sie sich.

Steve lachte. „Oh, das ist auch eine“, bestätigte er vergnügt.

„Bei solchen Zusammenkünften wird mehr über das Geschäft geredet als in sämtlichen Studios und Büros der Welt. Es geht nur sehr viel zwangloser zu.“

Mit seinem Glas deutete er diskret auf Charles Lancaster, der sich mit George White unterhielt. „Da geht es gerade um Millionen, darauf wette ich.“

Sie folgte seinem Blick. Er hatte Recht, das Gespräch wirkte ernst. „Sieht tatsächlich so aus“, stimmte sie ihm zu.

„Tja“, sagte er lapidar, „so ist das bei diesen Partys. Sie werden sich mit der Zeit schon daran gewöhnen.“

Wieder warf er ihr diesen Blick zu, der die Schmetterlinge in ihrem Bauch Saltos schlagen ließ. Sie senkte den Blick und wurde nervös. Dieser Mann hatte eine unwahrscheinliche Ausstrahlung. Wenn er sie ansah gab er ihr das Gefühl, das hinreißendste Wesen auf der Erde zu sein.

Ganz ruhig, Jasmin! sagte sie sich. Dieses Gefühl gibt er mit Sicherheit noch sehr, sehr vielen anderen Frauen!

Sie zuckte kurz zusammen als sein Bein unter dem Tisch wie zufällig das ihre berührte. Ihr Herz klopfte schneller und eine eigentümliche Hitze stieg in ihr auf, die schließlich ihr Gesicht erreichte und ihm eine sanfte, hellrote Tönung verlieh.

George White stellte Steve und Linda einander vor.

„Steve, das ist Linda Cooper. Sie wird uns bei der Finanzierung des Films unterstützen. Linda, das ist Steve Conelly, der Regisseur. Du hast sicher schon von ihm gehört.“

Sie reichten sich die Hand und lächelten sich zu.

George zwinkerte Linda unauffällig zu. „Entschuldigt mich bitte, ich bin gleich wieder da.“ Im nächsten Moment war er verschwunden.

„Ich habe gerade von Ihrem schweren Verlust gehört“, sagte Steve. „Es tut mir sehr leid für Sie.“

Sie lächelte ein wenig gequält. „Vielen Dank.“

„Ihr Vater war eine Legende, sagt man. Und Sie treten jetzt sozusagen in seine Fußstapfen?“

„Das habe ich vor. Ich habe in den letzten Jahren viel von ihm gelernt und meine Arbeit macht mir großen Spaß.“

„Darauf kommt es an, denke ich“, nickte Steve. „Mit Spaß zu arbeiten. So geht es mir glücklicherweise auch. Ich liebe meinen Job und könnte mir nicht vorstellen, je etwas anderes zu machen.“

„Ich muss gestehen, dass ich von Ihrer Arbeit nicht sehr viel weiß“, gab Linda mit einem schüchternen Lächeln zu. „Ehrlich gesagt habe ich bisher keinen einzigen Ihrer Filme gesehen.“

„Ich bin schockiert“, grinste er. „Das wird sich aber hoffentlich ändern, wenn Sie sich an unserem neuesten Projekt beteiligen.“

Sie lächelte kokett. „Vermutlich.“

Für einen Moment trafen sich ihre Augen. Er bemerkte, dass die ihren von einem faszinierenden Grün waren.

Linda leerte ihr Glas und stellte es auf den Stehtisch neben ihr. „George hält große Stücke auf Sie, wissen Sie das? Auch Charles Lancaster betonte, dass Sie ein wirklich guter Regisseur sind. Ich habe sogar gehört, Sie werden mit Sicherheit der jüngste oscarpremierte Regisseur aller Zeiten sein.“

Steve musste lachen. „Wer sagt denn so etwas?“

„Das weiß ich nicht mehr.“ Linda schmunzelte. „Aber Ihre Filme sind bisher ziemlich erfolgreich gewesen, nicht wahr?“

Steve hielt nichts von falscher Bescheidenheit. „Das stimmt schon. Ich liebe meine Arbeit und ich denke, dass die Zuschauer das merken und entsprechend honorieren.“

Er machte eine kurze Pause, trank einen Schluck und sah sie lächelnd an. „Eine Oscar-Nominierung fehlt allerdings noch.“

„Die kommt bestimmt. Ich bin sicher, Ihre Frau ist sehr stolz auf Sie.“

Er hielt ihrem forschenden Blick stand. „Ich bin nicht verheiratet.“

„Na, dann ist eben Ihre Freundin sehr stolz.“

Steve lächelte still in sich hinein und sondierte unauffällig den Raum. Jasmin Tyler war nirgends zu sehen. Vermutlich war sie bereits gegangen. Bedauerlich.

„Eine Freundin gibt es zurzeit auch nicht“, sagte er und erwiderte ihren Blick.

Ein Kellner kam vorbei, in den Händen ein Tablett mit gefüllten Weingläsern. Linda hielt ihn mit einer kurzen Geste an, nahm sich ein volles Glas und bedeutete ihm dann mit einem Blick, dass er gehen könne. Er verschwand. Während Linda an ihrem Wein nippte ließ sie ihr Gegenüber nicht aus den Augen.

„Und was ist mit Ihnen?“ wollte Steve wissen. „Sind Sie verheiratet oder…?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, nichts dergleichen.“ Ihre grünen Augen funkelten. Kurz musste sie an Henry Parker denken, aber wirklich nur sehr kurz.