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Das Leben plätschert dahin, der triste Alltag ist immer gleich. Den Mensch erfüllen Sehnsüchte nach Beziehung, Sinn und einem gelungenen Leben. Die Antworten auf solche Fragen sind nicht klar und eindeutig. Es sind verschwommene Träume, die sich einer klaren Deutung verschließen, aber wahr werden, wenn man mit dem Fragen weitermacht.
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Seitenzahl: 101
Veröffentlichungsjahr: 2017
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Thomas Holtbernd
Per Email in den Himmel
Erzählung
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel
John
Umbruch
Die Email
Alles wie immer
Gewohnheit
Kontaktversuch
Wieder Alltag
Beginn
Das Gute?
Einsamkeit
Kontakt: zweiter Versuch
Der Traum
Die Tür geht auf
Impressum neobooks
Thomas Holtbernd
Per Email in den Himmel
Roman
John war ein Mann. Jedenfalls war er sich dieser Bestimmung seiner sexuellen Ausrichtung sicher gewesen. Seine Gewissheit hatte sich in eine Form von Orientierungslosigkeit verwandelt, die wie bei einem Kippbild ihn mal das eine und mal das andere sehen ließ. John fühlte sich wie ein Wandler zwischen den Welten. Er wollte eine Sicht der Realität festhalten und die anderen Möglichkeiten ausblenden. Das ständige Hin und Her ermüdete ihn. Sicherlich kannte er auch vorher schon die Schwierigkeit, mit den Ambivalenzen in seiner Sicht der Welt umzugehen. Ambiguitätstoleranz, so hatte er irgendwo einmal gelesen, hieß die Fähigkeit, solche Spannungen auszuhalten. Doch es war für John bislang mehr ein intellektuelles Problem gewesen. Angefangen hatte alles mit einer Email. Vor einigen Wochen bekam er diese Email, die er öffnete, obwohl er den Absender nicht kannte. Normalerweise löschte er Mails mit einem unbekannten Absender sofort, weil er keinen Wurm oder Trojaner auf seinem PC haben wollte. John kam es nun so vor, als hätte sich ein Wurm in seinem Hirn eingerichtet. Er fühlte sich in allem, was er bislang gedacht und gefühlt hatte, verunsichert. Nach wie vor hatte er keine Zweifel daran, dass er biologisch ein Mann ist. Das Mannsein war für ihn jedoch fürchterlich anstrengend geworden. Wäre er ein richtiger Mann, müsste er doch Spaß an seinem Mannsein haben. Immer häufiger wünschte er sich, eine Frau zu sein. Obwohl er auch das nicht wirklich wollte. Frauen schienen es in vielen Alltagssituationen einfacher zu haben. Sie können die Hilflose spielen und schon sind irgendwelche Kerle da, die ihre Hilfe anbieten. Frauen nimmt man es weniger übel, wenn sie launisch sind. Dann heißt es, die hat halt ihre Tage. Männer, die Stimmungsschwankungen haben und auch zeigen, werden gleich mit dieser typischen Handbewegung kommentiert, die angeblich viele Schwule haben: „Ach Du, hat er wieder seine Tage. Lass uns mit Wattebäuschchen werfen!“ Ihm ging das alles ziemlich auf die Nüsse. Ständig dieser Konkurrenzkampf, dieses Machogehabe, dieses männliche Getue im Geschlechterkampf. Es war ihm schlichtweg zu beschwerlich, seinen Mann zu stehen. Überhaupt hatte er das Gefühl: Das Leben ist anstrengend. John war das Leben im Ganzen zu schwer geworden. Jeden Morgen aufstehen, seinen Job machen, abends nach Hause kommen, das bisschen Haushalt erledigen, irgendeinen Schwachsinn in der Flimmerkiste anschauen, im Bett noch ein wenig lesen, einschlafen und am nächsten Morgen wieder rein in den ewig gleichen Alltagstrubel. Er sehnte sich nach der Unbeschwertheit seiner Kindertage zurück. Zumindest glaubte er, dass er als Kind ein leichtes Leben gehabt hatte und ohne Mühe die Tage verbrachte. Ein fröhliches Kind war er gewesen, so wollten es seine Erinnerungen. Von all dieser Fröhlichkeit war ihm nur wenig geblieben. Manchmal hielt er seinen Zynismus und Sarkasmus für den Ausdruck von Lebensfreude. Aber John hatte nicht nur einmal von anderen zu hören bekommen, dass seine „witzigen“ Bemerkungen ganz und gar nicht lustig seien. Manche fühlten sich sogar verletzt und hatten den Kontakt zu ihm abgebrochen. John fand nichts dabei, jemandem ironisch seine Schwächen und Gebrechen entgegen zu schleudern. Bei Männern fand er mit dieser Art durchaus Gleichgesinnte. Frauen fühlten sich sofort verletzt oder nahmen Partei für die Angegriffenen ein. Dann machte es keinen Spaß mehr. Ihn nervte es, wenn mal wieder so eine Emanze seine anzüglichen Bemerkungen als vermutete Impotenz kritisierte. Gleich kam dann auch die übliche Bemerkung über sein Auto: „Du brauchst wohl diese Schwanzverlängerung.“ Er fuhr einen Daimler, den er bei einem Autotuner ein wenig hatte veredeln lassen. Wobei die Kosten für das Tuning das Jahreseinkommen so mancher in Brot und Arbeit stehender Menschen überschritt. Natürlich brauchte er so viel PS nicht, doch es war ein tolles Gefühl zu wissen, welche Power er unter der Motorhaube hat. Die Frauen fanden seinen Schlitten im Allgemeinen ziemlich scharf. Doch auch das hatte einen Haken. Die Frauen, die er in den Discos abschleppte und die sich vor lauter Staunen über seinen Wahnsinnsschlitten schon auszogen, wenn er den Motor aufheulen ließ, erwiesen sich meist schon nach einer Nacht als BMW mit der Ausstattung für einen Fiat Panda. Der Sex mit diesen Silikonpuppen, wie er sie oft nannte, war wie Selbstbefriedigung bei einem dieser Pornostreifen, die man aus dem Netz holen konnte, nur schlechter. John versprach nach einem solchen One-night-stand anzurufen, doch er tat es nie. Wenn die Frauen bei ihm anriefen, hatte er immer einen wichtigen Termin in der Firma oder er ließ einfach irgendeine Gemeinheit los. Darin war er gut, er wusste genau, wie er die Frauen verletzen konnte. Er traf ins Schwarze und die Frauen waren geschockt fürs Leben. Sie ließen ihn in Ruhe. Die Frauen mit ein bisschen Grips dagegen wollten dann darüber reden. Das war ihm einfach zu anstrengend und er spielte den prolligen Macho mit Muskeln ohne Hirn. Dann war er auch die Frauen mit mehr als zwei Hirnwindungen los.
Überhaupt war ihm das mit den Frauen und ihrer Psyche zu beschwerlich geworden. Dass Frauen „ja“ meinen, wenn sie „nein“ sagen, stimmte nur manchmal und verlässlich war diese Strategie nicht. Oft war das Gegenteil richtig und manchmal etwas ganz anderes. Ihm war es einfach zu beschwerlich, den Frauen ihre Wünsche von den Augen abzulesen. Sowieso lag er mit seinen Vermutungen meist falsch. Auch das mit den richtigen Geschenken wäre, wenn er es schaffen würde, eine Glanzleistung. Als Mann wäre er gezwungen das ganze Jahre aufpassen wie ein Luchs, um die versteckten Andeutungen mitzubekommen. Kurz vor dem Verschenkungstermin müsste er dann eine Prioritätenliste dieser von der Frau angedeuteten Wünsche machen und entscheiden, welchen Wunsch die Frau am meisten favorisiert. Zudem müsste das Geschenk auch noch einen Überraschungseffekt haben und beweisen, wie sehr er sich Gedanken gemacht hat und sensibel für die Wünsche der Partnerin ist. Zum Schluss war es dann meist so, dass sich seine Freundinnen ausgesprochen freuten, wenn er das Richtige getroffen hatte und dann nach dem Kassenbon fragten, weil es vielleicht doch noch etwas gab, was besser passt oder doch noch mehr den Geschmack trifft.
Er hatte sich nach diesen Erfahrungen angewöhnt, Gutscheine zu verschenken. Dann musste er jedoch mit zu einer dieser Einkaufstouren, weil seine Meinung angeblich gefragt war. Zum guten Schluss entschied sich die Frau sowieso nach Kriterien, die er nicht nachvollziehen konnte und bei denen er kaum das Gefühl hatte, seine Anregungen wiederfinden zu können. Die Partnerinnen wählten nur sehr selten das, was er besonders schön fand.
Es hätte alles so weiter gehen können. Ab und zu eine Bettgeschichte mit so einer Silikonpuppe, ein wenig für den Geist bei einem guten Buch oder bei Gesprächen mit seinen Freunden. Später, wenn die Zeit dafür reif ist, wollte er sich mal nach einer Frau umschauen, mit der er eine feste Beziehung eingehen könnte. Im Alter ist das halt besser, da stehen die jungen Dinger nicht mehr auf so einen alten Knacker. Wenn man dann eine feste Beziehung eingeht, ist man nicht so allein und wird auch noch versorgt, wenn es nicht mehr geht. John hielt sich für einen solchen Schritt jedoch noch für zu jung und das mit einer festen Beziehung hatte noch Zeit. Kinder wollte er sowieso nicht. Und die Partnerbörsen im Netz boten genug Material, um die richtige Frau zu finden. Einige seiner Freunde waren dort schon fündig geworden und schwärmten ihm vor, wie einfach es wäre, für jede Gelegenheit etwas Passendes zu finden.
Vor vielen Jahren hatte er eine längere Beziehung gehabt, vielleicht war es seine erste große Liebe gewesen. Diese Frau war hübsch, allerdings kein Model. Sie träumte von einem glücklichen Leben mit ihm und gemeinsamen Kindern. Damals waren sie beide jung, hatten spinnerte Vorstellungen von der Zukunft, doch sie liebten sich. Zumindest ergriff ihn ein wenig Sehnsucht nach dieser Zeit, wenn er an diese Frau dachte. Er hatte sie verlassen, weil er im ersten Semester an der Universität die Tochter eines Unternehmers kennen gelernt hatte und sich erhoffte über die Beziehung zu ihr die nötigen Kontakte für eine Karriere nach dem Studium zu bekommen. Doch diese Liebesbeziehung zerbrach ziemlich schnell. Denn da er sie nicht liebte, vergnügte er sich auch noch mit anderen Kommilitoninnen. Sie machte ihm ständig Szenen, wenn er mal wieder bei einer anderen Frau sein Glück versucht hatte. Es kam natürlich zum großen Knall, seine große Liebe machte endgültig Schluss und ging zum Studium ins Ausland, weil sie ihn nicht mehr sehen wollte. Sie waren sich nie wieder begegnet. John überwand diesen Schock sehr schnell und tröstete sich mit den Schönsten aus seinem Semester. Er vergaß seine große Liebe. Nur manchmal, wenn er seine depressiven Stunden hatte, dachte er an sie. Dann surfte er im Worldwideweb herum, um vielleicht einen Hinweis auf sie zu finden. Doch sie hatte wahrscheinlich geheiratet und den Namen des Mannes angenommen, sodass er keine Spur fand, die zu ihr führte. Irgendwie tröstete es John, dass er sie nicht finden konnte.
Der Erfolg bei den Frauen war für John eine Bestätigung für sein Mannsein gewesen. Bekannte beneideten ihn, weil er immer irgendeine Freundin hatte. Und die Frauen, die er hatte, waren Güteklasse A. Mit Mädels, die zu dicke Beine, zu viel Speck, keinen knackigen Hintern oder zu wenig Busen hatten, gab er sich nicht ab. Und er fand immer eine, die aussah wie ein Model und um die ihn andere beneideten. Auch beruflich konnte er zufrieden sein. Freunde bewunderten ihn, weil er die besten Frauen hatte und einen Riesenerfolg in seinem Job. Seine Karriere verlief wie geschmiert und ihm machte sein Job auch noch Spaß. Sein Chef war ihm wohl gesonnen und die Kollegen waren - bis auf wenige - nette Leute. Nur das Gehalt hätte besser sein können, denn in den meisten Monaten waren seine Ausgaben höher als seine Einnahmen.
Vor einigen Wochen nun hatte John diese merkwürdige Email bekommen, die ihn aus seiner Alltagslethargie aufweckte. Obwohl er nicht wusste, wer ihm diese Mail geschickt hatte, öffnete er sie und fand einen einfachen Satz: „Sie suchen den Kitzel und wünschen sich den Himmel auf Erden. Finden Sie Ihren Meister und beginnen Sie eine wunderbare Freundschaft. Mailen Sie Ihre Fragen: Jetzt!“ John dämmerte es, vor einiger Zeit hatte er in einer Zeitschrift eine Annonce gelesen. Es ging darin um Life-Coaching oder so etwas Ähnliches. Genau konnte er sich nicht mehr erinnern. Irgendwas hatte ihn angesprochen. Jedenfalls hatte er wohl eher aus Langeweile an die angegebene Adresse eine Mail geschickt.
Jetzt dachte er nur, warum nicht? Doch was wollte er wissen? Welche Fragen sollte er diesem Meister stellen? Genau! Er schrieb: Welche Fragen soll ich stellen? Und schickte die Mail ab. Mal gespannt, was dieser große Meister ihm antworten würde? Auch wenn er die Geschichte für schwachsinnig hielt, vielleicht machte es ja Spaß, so einen großen Meister hinters Licht zu führen. Er war auch gespannt, wie lange ihn ein solcher Meister auf die Antwort warten ließ.
John stellte seinen PC aus und hatte sich vorgenommen, noch ein wenig zu lesen. Aber er war mit seinen Gedanken nicht bei der Sache, er las eine Seite und wusste am Ende der Seite nicht mehr, was er gelesen hatte. John legte das Buch zur Seite und machte den Fernseher an. Vielleicht lief ja mal was Gescheites. Es war zum bekloppt werden. Was bildeten sich diese Fernsehfuzzis eigentlich ein, so einen blöden Mist zu senden? Da diskutierten irgendwelche abgehalfterten Politiker über Dinge, von denen sie keine Ahnung hatten. Auf dem anderen Sender sprachen, wenn man das überhaupt sprechen nennen kann, selbsternannte Promis über Dinge, die niemanden interessieren. Auf einem anderen Sender liefen Filme, die älter waren als er selbst. Waren denn die Zuschauer alle so blöd, sich diesen Mist anzuschauen?