Religiöse Spuren - Holtbernd Thomas - E-Book

Religiöse Spuren E-Book

Holtbernd Thomas

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Beschreibung

Die Welt der Religionen hat sich grundlegend im 21. Jahrhundert verändert. In den westlichen Ländern scheint eine Kirchenferne eingetreten zu sein, die jedoch nicht gleichzeitig mit dem Schwinden von "religiösen Bedürfnissen" einhergeht. Wer den Alltag unter der Perspektive von Religion anschaut, entdeckt, wie hilfreich gerade das theologische oder religiöse Handwerkszeug seien kann, um den Menschen in seiner Ganzheit zu verstehen. Die Kolumnen sind ein solcher Blick auf die Wirklichkeit, der möglichst offen sein will. Die Wirklichkeit soll dabei nicht gedeutet oder erklärt werden, vielmehr wird ein Phänomen kritisch zu erfassen versucht.

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Holtbernd Thomas

Religiöse Spuren

Versuche über das, was uns nicht alltäglich erscheint

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort

Der Krieg ist vorbei und die Religion wurde zur Illusion

Die Spur des Schönen

Kapitalismus als entwurzelte Religion

Spuren ins Nirgendwo

Da, wo ich nicht hinkomme

Brauchen wir noch Themen?

Die Enthierarchisierung religiöser Sprache

Fußballliturgie, Arenen und spirituelle Räume

Der ständige Nachrichtenstrom macht Information zur Unterhaltung

Der Trugschluss der Digitalisten

Die Mönche und Nonnen vom Orden der digitalen Neobenediktiner

Wein und der Blick aufs Nackte

Die Liebe vergisst ihre Liebe nicht

Macht Glauben reich?

Die Neurosen im Niemandsland oder von der Unwirtlichkeit unserer Städte zur city of fear

Das Leid mit dem Leid

Der Krieg ist vorbei und Religion wurde zur Illusion

Soundtrack, die Spur für nebenbei

Die Unerträglichkeit besinnlicher Zeiten

Religiöse Spuren bei Glühwein und dicken Engeln

Festlich vollgefressen

Die religiösen Spuren sind verwischt

Bildung oder Vermittlung von Wissen

Je ne suis pas Charlie

Rufer in der Wüste

Ein Witz ist ein Witz

Der Segen des Fluchens

Impressum neobooks

Vorwort

Menschen haben zu allen Zeiten eine höhere Macht gesucht, angebetet, sich damit auseinander gesetzt. Religion gab es oder gibt es, weil Menschen in ihrer Angst einen Beschützer suchen. Unterschiedliche Religionen und Konfessionen haben sich im Laufe der Geschichte herausgebildet. Religionskritiker halten aus unterschiedlichen Gründen Religion für eine vernunftwidrige Sache. Und viele Menschen interessiert so etwas gar nicht mehr. Allerdings ist die Art und Weise, wie Menschen Religion sehen, sehr stark von den Institutionen geprägt. Und gerade hier scheint sich ein Wandel zu vollziehen. Die Menschen definieren Religion und Glauben unabhängig von einer Theologie und einer Kirche. Alte und gewohnte Muster sind aufgebrochen und funktionieren nicht mehr. Dennoch lässt es sich nicht bestreiten, dass das Thema Religion ein Thema ist.

Die in diesem Buch gesammelten Kolumnen sind der Versuch, religiösen Spuren nachzugehen. Im Sinne einer Phänomenologie werden einzelne Situationen oder Symptome beschrieben. Es ist der Versuch, bestimmte Auffälligkeiten in den Gesellschaften der westlichen Hemisphäre etwas gründlicher zu betrachten. Dabei ist keine Vollständigkeit oder tiefgehende Analyse angestrebt, sondern die Fokussierung des Blicks auf religiöse Phänomene. Aus einigen Kolumnen könnten wahrscheinlich längere Abhandlungen geschrieben werden, doch es bleibt bei einem Anreißen. Ziel ist nämlich die Sensibilisierung für religiöse Spuren und nicht eine wissenschaftliche Auseinandersetzung damit.

Die Kolumnen sind zum größten Teil bereits auf www.hinsehen.net erschienen. Sie wurden eine wenig überarbeitet und ergänzt. Und weil es so viele religiöse Spuren gibt, wird auch weiterhin jede Woche eine Kolumne auf der genannten Homepage erscheinen.

Ganz religiös und ohne Illusionen

Thomas Holtbernd

Der Krieg ist vorbei und die Religion wurde zur Illusion

Die Not lehrt den Menschen das Beten, in Kriegen werden die Menschen fromm und wenn es den Menschen gut geht, dann brauchen sie keinen Gott. Religion ist eine Illusion und ähnelt einer Zwangsneurose. Solche Gedankenmuster prägen das Denken über Religion und Religionskritik. Die Entwicklungen nach dem Zweiten Weltkrieg scheinen die These zu bestätigen, dass Menschen im materiellen Wohlstand die „Prothese Gott“ nicht mehr brauchen. Selbst in einem katholischen Land wie Polen verliert die katholische Kirche an Bedeutung und der Glaube wird zu einem Randphänomen. Bedeutung hat Religion in armen Ländern, da wachsen die Kirchen. Arme und ungebildete Menschen glauben noch an einen Gott, manche reichen und gebildeten Menschen gönnen sich den Luxus Religion oder sehen ihn als Wellnessfaktor an. In existenziell bedrohlichen Situationen oder Übergangskrisen werden religiöse Riten vielleicht noch in Anspruch genommen. Doch im Großen und Ganzen scheint Religion als ein fauler Zauber entlarvt zu sein. Mit der Vernunft lässt sich Gott, Glaube und Spiritualität nicht mehr rechtfertigen.

Die neue Dimension des Krieges

Kriegerische Auseinandersetzungen hat es in der Menschheitsgeschichte immer gegeben. Sinnloser Tod, unvorstellbare Misshandlungen und Qualen sind zynisch formuliert die typischen Beigaben eines Krieges. Mit 1914 setzt jedoch eine neue Dimension der Kriegsführung ein. Auf der einen Seite kämpft nun nicht mehr Soldat gegen Soldat, der Krieg wird industrialisiert und damit anonymisiert. Gleichzeitig ist die Bevölkerung einbezogen und es wird in Kauf genommen, dass Bombardierungen ganze Städte zerstören und deren Bevölkerung hinwegraffen, wie die Bombardierung Dresdens. Auf der anderen Seite verändert sich die Sichtweise der Kriegshandlungen. Der Architekt und Philosoph Paul Virilio hat eindrücklich aufgezeigt, wie die zeitliche Verfügbarkeit eine andere wurde. Kriegshandlungen konnten im 20. Jahrhundert live verfolgt werden. Schon im ersten Weltkrieg waren die Flugzeuge mit Kameras ausgestattet, so wurde nicht erst von einem stattgefundenen Angriff berichtet, es entstand die Gleichzeitigkeit von Bericht und Geschehen. Im späten 20. und deutlich im 21. Jahrhundert wurden solche Berichte dann manipuliert, um militärische Aktionen der Kriegsgegner vorzutäuschen. Was tatsächlich geschehen war oder gerade geschieht, konnte mit großer Gewissheit niemand mehr sagen. Die strategischen Operationen wurden konkret verfolgbar wie bei einem Spiel am Computer und die Welt schaut zu, wie der amerikanische Präsident zuschaut und sich über die Erschießung Osama bin Ladens freut, so als hätte er das Computerspiel gerade gewonnen.

Religion in den Zeiten des Krieges

Die konkrete Gestalt der Religionen steht in einem Wechselverhältnis zu den gesellschaftlichen Verhältnissen. Das Volk sucht nach einem solchen Opium und diese Kompensation von Leid oder Unterdrückung ist sicherlich ein Teil von Religion. Es lässt sich jedoch auch anders fragen. Wenn Religion nicht als etwas Statisches betrachtet wird, sondern als etwas, was sich durch geschichtliche oder gesellschaftliche Verhältnisse verändert und dies nicht nur in seinen Erscheinungsformen, sondern auch in seinem Wesen, dann dürften die Erfahrungen eines Vernichtungskrieges und des Holocausts im Menschen etwas auslösen, was nicht mehr mit der Theodizeefrage zu diskutieren ist. Die Frage nach Gott, der so etwas zulässt, ist nicht mehr die Frage im 21. Jahrhundert. Der Mensch hat die Maschinerie in Gang gesetzt und die Frage ist nun nach dem Menschen, der zu solchen bewusst kalkulierten Massenvernichtungen in der Lage ist.

Die Leere

Insbesondere Schriftsteller und Künstler haben eingefangen, was diese Veränderungen des Krieges im Menschen bewirkt haben. Es wurden keine Schlachten mehr gemalt, die wie ein Ritterspiel aussehen mögen. Einzelne Menschen werden mit leeren Gesichtern dargestellt und darin spiegelt sich die Unfähigkeit, noch Fragen zu stellen. Schriftsteller halten verkrampft die Illusion aufrecht, dass es ja doch nicht so ist, wie sie es tatsächlich mitbekommen. Und auch ein Mann wie Sigmund Freud schaut der Wahrheit nicht ins Gesicht und verlässt erst 1938 Wien, um sich dann in London niederzulassen. Die Realität ist unerträglich geworden, was Heinrich Mann folgendermaßen formuliert: „Ich glaube nicht, dass der Sieg irgendeiner Sache noch der Rede wert ist, wo wir Menschen untergehen.“ Kriegspsychiater bekämpfen die Realität, sie diagnostizieren bei den traumatisierten Soldaten Simulation und Willensschwäche. Nach dem Krieg kommt es zu einer Dekonstruktion des Menschen, Michel Foucault erklärt den Mensch als beendet. Das Konkrete ist eine Erscheinung von Entwicklungen und Deutungen, doch die Erfahrungen in den Kriegen machen das Konkrete zu einer absurden Leere. Die Realität ist nicht erstrebenswert, da sie den Menschen gegen sich selbst kehrt und damit Ort der Nichtbestimmung des Menschen wird.

Illusion als Ermöglichung

Die Realität kann nicht mehr der Möglichkeitsrahmen von gewollter Erfahrung sein und auch Religion verliert den Glauben an die Realität. Gotteserfahrung kann nicht mehr in dieser Realität gemacht werden, denn es wäre eine contradictio in adiecto, ein Widerspruch, der schon da ist und verhindert, dass es zu einer Lösung kommen kann. Jean Baudrillard dagegen behauptete noch: „Der Glaube an die Realität gehört zu den elementaren Formen des religiösen Lebens.“ Diese Form der Religiosität ist mit Auschwitz beendet. Wer jetzt noch an die Realität glaubt, kann nur als ein zynischer Misanthrop gelten. Die Wirklichkeit ist jenseits dessen, was wir sehen und erleben können, im Krieg wurden nicht nur Städte vollständig zerstört, sondern auch die Bilder, die sich Menschen von der Welt und den Menschen gemacht hatten. Die wiederaufgebauten Städte sind nicht die Städte, die sie einst waren und die Erklärungen zu Auschwitz und den anderen Gräueln sind nicht mehr das Bild von sich streitenden Mächten. Selbst mit Gott und Teufel lässt sich die Wirklichkeit nicht erklären. Deutungen treffen ins Leere und es stellt sich die Frage, ob J. B. Metz mit seiner Erwiderung auf Th. W. Adorno das Ausmaß richtig erfasst hat. „Beten trotz Auschwitz“ und die Forderung einer anderen Theologie nach Auschwitz verbleiben noch im Glauben an eine Realität, die durch eine „gnadenlos“ gestellte und verschärfte Theodizeefrage korrigiert werden soll. Die Antwort auf die Provokation Freuds von der Religion als Illusion steht vor der Theodizeefrage, also vor der Frage: Wie kann man Gott angesichts des Leids noch rechtfertigen? Theologie kann sich nach Auschwitz nicht mehr auf die Realität beziehen, sie muss die Illusion in den Fokus stellen und verstehen, dass der Glaube an die Realität gewissermaßen als Religion von den Naturwissenschaften und der Ökonomie übernommen wurde. Die Illusion kann von der Realität nicht eingeholt werden, sie ist kein Gegenmodell zur Realität, sondern eine mit Sinn gefühlte Sehnsucht, die völlig realitätsfern ist. Und Religion ist das Wissen darum, dass es eine Illusion ist. Hier gibt es keine Theodizeefrage, denn die stellt sich nur dort, wo eine Realität angenommen wird.

Die Spur des Schönen

Ist etwas schön, weil jemand entzückt ist? Gibt es nachvollziehbare Kriterien für das Schöne? Warum sind sich bei manchen Kunstwerken Menschen über verschiedene Zeitepochen und Kulturen hinweg einig in ihrem Urteil über ihre Schönheit? Die Sache mit dem Schönen oder der Schönheit ist nicht ganz so einfach. Dem Problem einer Bestimmung zu entgehen, indem es als Geschmackssache definiert wird, wäre jedoch allzu einfach.

Der Blick auf die Kunst, die im religiösen Raum geschaffen wurde, könnte ein Hinweis darauf sein, was als schön gelten, bzw. wie man Schönheit verstehen kann. Sakralkunst, die Darstellung religiöser Themen und Inhalte weist zunächst einmal darauf hin, dass sehr viel Zeit und Geld investiert wurde für einen Zweck, der keine offensichtliche Rendite bringt. Hierin scheint ein gewisser Sinn zu liegen, dass man für etwas investiert, was als solches nicht von Nutzen ist. Die horrenden Preise, die manche Kunstwerke erzielen, sind auch wohl dadurch zu erklären, dass es keinen Bezug zu einem Zweck gibt. Kunst ist natürlich auch eine Handelsware und Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis.

Dass Kunst teuer sein kann, ist noch kein Kriterium für das Schöne. Doch auf der anderen Seite scheinen Menschen bereit zu sein, für etwas sehr viel Geld auszugeben, weil sie es für schön halten. Es scheint demnach ein wesentliches Kriterium des Schönen zu sein, dass sich in ihm etwas zeigt, was sich der Sprache entzieht, es lässt sich lediglich in Annäherungen beschreiben, intuitiv jedoch besteht eine Gewissheit für das Schöne. Es entzieht sich einer normalen Realität, es Transzendenz zu nennen, wäre jedoch auch nicht ganz richtig, denn ein Kunstwerk ist ja real. Das Schöne ist dabei meist etwas von Menschen Geschaffenes. Zwar kann eine Landschaft schön sein, doch löst eine solche Naturschönheit andere Assoziationen aus. Bei einem Kunstwerk denkt man mit, dass ein Mensch dieses Werk geschaffen hat und fragt sich, wie dieser Mensch das schaffen konnte.

Ein Künstler beherrscht zunächst einmal sein Handwerk, er ist besser als andere, die es amateurhaft versuchen. Auf der einen Seite ist es Erfahrung und Kunstfertigkeit, auf der anderen Seite gehen wir von einer besonderen Begabung des Künstlers aus. Doch Begabung und Kunstfertigkeit reichen noch nicht aus, um Schönheit denken zu können. Es kommt etwas Drittes hinzu und das ist unberechenbar. Es entzieht sich der genaueren Definition und Begrifflichkeit. Dennoch sind wir davon überzeugt, dass es ein weiteres Element gibt. Eingebung nennen manche dieses Dritte. Doch was ist eine Eingebung? Woher kommt eine solche Eingebung?

Nun kann man sich fragen, ob gesellschaftliche Verhältnisse einen Einfluss auf die Empfindung für das Schöne haben. Gab es vielleicht Epochen in der Kulturgeschichte, die das Schöne in besonderer Weise verehrten und entstehen ließen? Und hat die Entwicklung der Technik einen Einfluss auf die Herstellung des Schönen. Andy Warhol steht vielleicht für die massenhafte Produktion des Schönen und möglicherweise ist er gleichzeitig der Protagonist für den Untergang des Schönen. Denn irgendwie ist etwas Schönes immer auch singulär, es hebt sich heraus.

Kapitalismus als entwurzelte Religion

Banken, große Unternehmen, Unternehmensberater, Manager und all die Macher in der Wirtschaft bilden eine enge und geschlossene Gemeinschaft. Wer Kritik äußert, wird einer Inquisition unterzogen, ihm werden die Dogmen des Kapitalismus entgegen gehalten und er hat mit der Exkommunikation zu rechnen. Das Weltbild solcher Wirtschaftsmenschen ist enger und dogmatischer als man sich das von kirchlichen Traditionalisten vorstellen könnte. Es mag sein, dass solche geschlossenen Weltbilder im hintersten Winkel pietistisch geprägter Landstriche existieren, da ist es allerdings offensichtlich. Die Wirtschaftswelt verdeckt das Simple ihres Tuns und die Enge ihres Denkens mit einer scheinbar großartigen äußeren Form.

Schlichtheit der Formen

Die Liturgie und die Zeremonien der Wirtschaftswelt zeichnen sich jedoch nicht durch Glanz und Vielseitigkeit aus, es ist alles schlicht, aber viel und wuchtig. Eine protestantische Kirche ist karg, ein Bankgebäude schlicht und groß. Die Bankentürme in Frankfurt sind nicht schön oder glanzvoll, sie sind einfach nur viel. Die Hochhäuser könnten auch andere Firmen beherbergen, lediglich das Logo macht darauf aufmerksam, wer in diesen Häusern waltet. Die Messgewänder der Hohen Priester des Geldes sind graues Einheitsdesign. In den Bahnhöfen und auf den Flughäfen sind sie sofort an ihrer langweiligen Kleidung zu erkennen. Selbst wenn sie mit ihren Limousinen vorfahren, bleibt das Bild dasselbe. Nichts Besonderes, aber dafür viel. Selbst ihre Sprache kennt keine Poesie wie liturgische Gebete oder Gesänge in einer Kirche. Allerdings ist in der Wirtschaftswelt das, was in der kirchlichen Liturgie das Latein war, weiterhin die Norm. Das Kauderwelsch aus Anglizismen und angeblicher Fachsprache wirkt wie das Murmeln eines Schamanen, der seine Zeremonie hygienisch und steril als eine Werbeveranstaltung vorführt. Und die Messe wird immer noch im tridentinischen Ritus gelesen, denn Wirtschaftsleute schauen auf das Wesentliche, also das Geld, und nicht die Menschen an. Der Blick ist auf die Bilanzen und Renditen gerichtet, vom Verlust der Arbeitsplätze wird nur geredet.

Arbeiter im Weinberg

Manager, Unternehmensberater und Führungskräfte haben lange Arbeitstage, sie dienen der Firma, dem Unternehmen, der Sache. Für sie gibt es eine besondere Form des Zölibats, sie leben zwar nicht ehelos, doch ist der Arbeit alles untergeordnet, die Frau oft eher eine Mätresse und die Kinder werden auf ein internationales Internat geschickt, damit sie die notwendigen Voraussetzungen haben, weil es ja immer schwieriger wird. Und weil sie so schwer arbeiten, genehmigen sie sich ein wenig Luxus, den sie allerdings auch nur gelegentlich genießen können. Sehr viel mehr genehmigen sie sich eine richtige Meinung. Dogmenhaft werden ex cathedra die Mechanismen der Wirtschaft erklärt. Kritiker werden als Neider entlarvt und mit einer unverständlichen Terminologie als Laien degradiert. Ihre Beteuerungen über Wirtschaftsabläufe klingen wie eine liturgische Sprache, entpuppen sich oft jedoch als Worthülsen.

Kleriker und Laien

Im Geldberg ist nicht jeder Arbeiter auf der gleichen Stufe. Unternehmensberater z. B. gehören zu den niederen Weihen, haben jedoch eine wichtige Bedeutung für den Ablauf der Zeremonien. Sie schleudern das Weihrauchfass mit immer neuen Konzepten und Strategien, die einen wohlriechenden Duft verbreiten. Sie dürfen bei der Liturgie mitspielen, die Manager jedoch leiten die Liturgie. Und wäre da nicht der Küster oder die Chefsekretärin, die alles im Blick hat, gäbe es ein heilloses Chaos. In den Bänken sitzen die Laien, sind beeindruckt von der Zeremonie und benebelt vom Weihrauch der Unternehmensberater. Unter den Managern gibt es Violette und Rote, ganz normale Priester, Bischöfe und Kardinäle. Die Banken sind der Vatikan, was hinter den Mauern geschieht, weiß niemand. Sie bestimmen darüber, wer in den Markt eintreten darf, wer würdig ist, das Heiligtum zu betreten, um einen Kredit zu bekommen für sein Geschäftsmodell oder eine neue Anschaffung.

Die Theologie der Wirtschaft