Perfektion - Fabrice Rebers - E-Book

Perfektion E-Book

Fabrice Rebers

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Beschreibung

Seit Jahren treibt ein Serienmörder sein Unwesen in den Vereinigten Staaten von Amerika. Er hinterlässt keinen Spuren. Kein Muster ist zu erkennen. Der Fall landet auf Eis. Und dann kehrt er zurück, um seiner Perfektion genüge zu tun.

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Seitenzahl: 234

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Ähnliche


Fabrice Rebers

Perfektion

Thriller

© 2023 Fabrice Rebers

Lektorat und Korrekturat: Katrina Flamann

Druck und Distribution im Auftrag des Autors: tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Germany

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: Fabrice Rebers, Verdener Bergstraße 23b, 28832 Achim, Germany.

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Der Autor

Danksagung

Perfektion

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Prolog

Danksagung

Perfektion

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Prolog

Diese unerträgliche Stille.

Diese undurchdringliche Dunkelheit.

Beth spürte das Blut in ihren Adern fließen. In ihren Ohren hörte sie es rauschen. Es machte sie beinahe verrückt. Sie wurde wahnsinnig. Irgendetwas blockierte ihre Stimme. Ihre Hände, ihre Füße, selbst ihr Unterleib schienen erstarrt zu sein. Sie konnte sich nicht rühren. Keinen Zentimeter.

Ihre Gedanken waren das Einzige, was sie hatte, um sich von dieser unerträglichen Stille und der grausamen Dunkelheit abzulenken. Doch auch ihre Gedanken waren still geworden. Wie lange war sie hier?

Stunden?

Tage?

Waren es schon Wochen?

Sie erinnerte sich nicht.

Alles war verschwommen.

Das Letzte, woran sie sich erinnern konnte, war der Kaffee, den sie sich in einem kleinen, niedlichen Café an der Ecke besorgt hatte, als sie sich auf dem Weg zu ihrem Workspace befand. Ab dann war alles schwarz.

Diese Dunkelheit. Und diese Stille.

Als sie aufwachte – vorhin, gestern, vor ein paar Stunden – sah sie nichts. Sie hörte nichts. Sie spürte, dass ihre Arme nach oben gedreht lagen, die Schultergelenke begannen zu schmerzen, ihre Hände waren in irgendetwas gehüllt. Es fühlte sich weich an. Und warm. Ihre Hände konnte Beth nicht bewegen.

Ihre Beine und Füße waren ebenfalls starr. An den Füßen spürte sie gar nichts. Ihre Beine wirkten stumpf, kalt und warm zugleich. Als sie versuchen wollte, ihr Becken zu bewegen, zog ein stechender Schmerz durch ihren Rücken. Etwas blockierte sie. Sie hielt still. Wenn sie stillhielt, gab es keinen Schmerz. Und dann versuchte sie es erneut.

„Ahhh!”, schrie sie. Aber sie schrie nicht. Ihre Stimme war stumm. Ihr Mund öffnete sich nicht. Nichts an ihrem Körper schien zu funktionieren.

Verdammt, was ist das hier? Wo bin ich?, doch ihre Gedanken durchbrachen die Stille nicht. Das Rauschen in ihrem Ohr klang wie das Meer, doch sie wusste, dass es nur ihr Blut war. In diesem Raum war es so still, dass jedes Geräusch in ihrem Schädel reflektiert wurde. Selbst ihre Gedanken schienen eine Frequenz zu haben, denn je mehr sie nachdachte, desto stärker wurden ihre Kopfschmerzen.

Beth schloss ihre Augen. Doch es wurde nicht dunkler. Der Raum war von einer solch tiefen Finsternis durchzogen, dass ihre Augen keinen Schimmer Licht wahrnehmen konnten.

Der Schmerz in den Schultergelenken wurde weniger. Nicht weil er nachließ, sondern weil die Nerven begannen einzuschlafen und keine Signale mehr an das Gehirn sendeten. Beths Arme wurden kalt und fingen an zu kribbeln. Dann war der Schmerz vorbei.

„Beth?”

„Er ist da.”

„Wer ist da?”

„Oder sie. Oder es”, Beth starrte aus dem großen Panoramafenster in die Wolken. Die Praxis von Doktorin Dorothy Staffort befand sich im 17. Stockwerk eines imposanten Gebäudes mitten in der Stadt. Seit Monaten kam Beth zu ihr. Es hatte Wochen gedauert, ehe sie einen Termin bekam. Und eigentlich wollte sie gar keinen Seelenklempner an sich heranlassen. Es würde sie sowieso niemand verstehen. Wie sollte man auch? Wie sollte jemand einen Menschen verstehen, wenn dieser Jemand nicht in derselben Lage gewesen war wie man selbst? Und auch heute, nach Monaten, glaubte Beth nicht daran, dass Dr. Staffort ihr helfen konnte. Angeblich würden Fortschritte erzielt, meinte sie. Doch Beth sah keine.

„Wer ist da, Beth?”, fragte Dr. Staffort noch einmal.

„Diese Person … die mir das angetan hat. Sie wartet auf mich”, sagte Beth, ohne ihren Blick vom Fenster abzuwenden.

„Was macht Sie da so sicher?”

„Weil ich sie sehe. Jede Nacht”, sie schob sich eine Strähne aus dem Gesicht und strich sie hinter ihr Ohr.

„Sie träumen immer noch davon? Ich dachte, Sie könnten wieder schlafen.”

Beth lachte kurz auf. „Oh, ich schlafe. Dank Ihrer Tabletten. Ohne die würde ich vermutlich nie schlafen. Aber ich träume auch. Jede Nacht sehe ich diesen dunklen Raum. Ich sehe ihn nicht wirklich. Dafür ist er zu dunkel. Aber ich spüre ihn. Ich wache jede Nacht in diesem gottverdammten Raum auf und höre mein Blut. Ich höre, wie es in meinem Kopf rauscht, ich höre, wie es in meinen Adern fließt. Und kurz bevor ich aufwache …”, Beth unterbrach sich, „ … höre ich, wie Zellen platzen und Gewebe stirbt. Ich höre, wie meine Gedanken versuchen, aus meinem Kopf auszubrechen und sich einen Weg durch meinen Mund zu bahnen, der sich nicht öffnen lässt. Ich spüre keinen Schmerz. Aber ich höre ihn. Ich höre dieses gottverdammte Messer meinen tauben Körper aufschneiden.” Tränen liefen ihr die Wangen hinunter. Ihr hellblaues Shirt färbte sich dunkelblau, als das kleine Rinnsal an ihrem Kinn durchbrochen wurde und ein Tropfen nach dem anderen hinunterfiel.

„Sie sind in Sicherheit, Beth. Sie wurden gerettet”, versuchte Dr. Staffort sie zu beruhigen und reichte ihr ein Taschentuch aus der Box, die auf dem kleinen Beistelltisch neben ihrem Sessel stand.

Zum ersten Mal seit Beginn der Sitzung drehte Beth den Kopf zu ihrer Therapeutin.

„Sie sind in Sicherheit, Dr. Staffort. Sie sind es.“

1

Einige Tage später …

Mel konnte an diesem Morgen keine Worte in ihrem Hirn zusammenspinnen. Sie war glücklich, dass in den letzten Stunden niemand versucht hatte, sie zu erreichen. Es hatte schon lange keine Nacht mehr gegeben, in der sie durchschlafen konnte, ohne von einem Anruf geweckt zu werden, der ihre volle Aufmerksamkeit beanspruchte.

Heute Morgen fühlte sie sich ausgeschlafen und fit. So wie schon lange nicht mehr, denn die letzten Wochen waren die reinste Tortur.

Mel goss sich gerade einen frischen Kaffee in eine Tasse, als das Telefon klingelte. Stumpf ließ sie ihr Kinn auf die Brust sinken, ihre Haare fielen nach vorne, woraufhin ein paar Strähnen im heißen Kaffee landeten.

„Na toll …”, sagte sie, als sie ihren Kaffee von ihren Haaren befreite. „Es wäre ja auch zu schön gewesen.” Sie ging ein paar Schritte hinüber zum Küchentisch, auf dem ihr Smartphone lag.

Connor ruft an stand darauf. Wer sollte es auch sonst sein, dachte sie, als sie das Smartphone in die Hand nahm und den Hörer zur Seite wischte.

„Kannst du mich nicht mal einen Tag in Ruhe lassen?”, maulte Mel ernst ins Telefon.

„Mach den Fernseher an”, befahl Connor, ohne eine Reaktion auf Mels Stimmung zu zeigen.

„Warum?”, wollte sie wissen.

„Mach es einfach.”

Mel verdrehte die Augen und griff zur Fernbedienung, die ebenfalls auf dem Küchentisch lag. Sie schaltete den kleinen Fernseher an, der in ihrer Küche stand. CNN war der erste Sender, der angezeigt wurde..

„… der Hausmeister. Er war schockiert von dem, was er sah und benötigte selbst medizinische Hilfe. Bisher ist unklar, wer die Person ist. Unseren Quellen nach handelt es sich aber um eine junge Frau, vielleicht Mitte zwanzig. Ob es um ein Tötungsdelikt geht oder ob die junge Frau sich selbst das Leben nahm, ist bisher nicht eindeutig. Die Polizei steht uns derzeit nicht für ein Statement zur Verfügung. Sollten wir mehr erfahren, werden Sie es als Erste erfahren”, sagte eine Frau mittleren Alters in die Kamera. Das Bild veränderte sich leicht und die Reporterin verschwand. Zu sehen war nun ein Gebäudekomplex, bei dem Mel nicht genau einschätzen konnte, wo er sich befand. Im Hintergrund waren Stimmen zu hören – Officer die versuchten, eine Traube Menschen hinter den Absperrbändern zu halten. Wenig später wurde eine Trage, die mit einem weißen Tuch abgedeckt war, aus dem Gebäude geschoben und verschwand in einem Transporter mit der Aufschrift Gerichtsmedizin.

„Warum schaue ich mir das an?”, wunderte sich Mel, obwohl sie eigentlich wusste, warum sie es tat.

„Ich bin davon überzeugt, dass es sich bei der Toten um Beth handelt”, erklärte Connor.

Mel stockte.

„Mel?”

„Ja – wie kommst du darauf?”

„In diesem Gebäudekomplex befindet sich ihre Wohnung. Du weißt doch, dass sie sich verschanzt hat, nachdem wir sie gefunden haben. Sie hat ihre Wohnung kaum noch verlassen. Die Einzige, die einen gewissen Zugang zu ihr hatte, ist – war – ihre Therapeutin. Sie hat ihr Haus aufgegeben, um in einer vollkommenen Anonymität zu existieren. Kaum einer wusste, wohin sie gegangen ist. Sie hat nur wenigen, zu wenigen, ihre neue Adresse gegeben. Wir haben sie nur, weil wir sie befragen mussten”, erklärte Connor seinen Verdacht.

„Hm …“

„Ich habe sie nicht erreicht, Mel. Und auch ihren gestrigen Termin bei Dr. Staffort hat sie ausfallen lassen, ohne sich zu melden, und das sieht ihr, betonte Dr. Staffort, gar nicht ähnlich. Ich finde, wir sollten dem nachgehen.“

„Dieser Fall ist nicht in unserer Zuständigkeit“, meinte Mel.

„Noch nicht. Du weißt doch, wie das Spiel läuft. Die örtliche Polizei ermittelt, wir kommen dazu, werden angefeindet und gehasst, und am Ende bekommen wir entweder den Fall komplett, weil sich eine Zuständigkeit herausstellt, oder wir bekommen zumindest die Erlaubnis, einmal reinzuschauen.“

„Und wo müssen wir hin?“, fragte Mel. Sie musste sich zusammenreißen, nicht zu sehr zu zeigen, wie genervt sie war.

„Boston“, antwortete Connor.

„Natürlich“, erwiderte Mel.

„Wann kannst du hier sein?“

„Darf ich meinen Kaffee austrinken?“

„Nein.“

„Zwanzig Minuten“, sagte Mel und legte auf. Idiot, dachte sie, als sie nach ihrer Tasse griff und einen großen Schluck nahm.

Nur widerwillig stieg Mel in ihr Auto. Sie hatte keine Lust. Sie wollte einfach zu Hause bleiben und den Tag mit ungemachten Haaren und im Schlafanzug auf dem Sofa verbringen, sich sinnlose Fernsehsendungen anschauen und ihre Ruhe haben. Seit Monaten hatte sie keinen freien Tag und in letzter Zeit kämpfte sie beinahe täglich mit dem Gefühl der Abgeschlagenheit und der Liebe zu ihrem Beruf. Ihr ganzes Leben hatte sie darauf hingearbeitet, und während andere die Hochzeit, das erste Kind oder ein eigenes Haus als glücklichsten Moment in ihrem Leben betrachteten, war ihr Moment der, als sie einen Anruf bekam und das Angebot erhielt, ein Federal Agent zu werden. Nun machte sie diesen Job schon beinahe zwei Jahre, von denen sie keinen Tag bereute. Doch es gab auch jene, an denen sie einfach nur Ruhe wollte.

Keine Toten.

Kein Blut.

Keine kranken Menschen, die das Leben von friedliebenden Menschen zerstörten.

Aber diese Welt war nicht friedlich. Sie war krank. Nicht tödlich krank. Wäre sie tödlich krank, würde es ein Ende geben. Es könnte einen Neubeginn oder wenigstens Hoffnung geben. Die Welt war chronisch krank. Sie blieb es und wird es immer bleiben. Und doch hatte Mel sich in den Kopf gesetzt, diese Krankheit zu besiegen, zahlte jedoch mittlerweile selbst einen hohen Preis dafür. Ihre Freunde wandten sich von ihr ab. Tom, ihr langjähriger Freund – bester Freund – hatte sie verlassen, weil er es nicht mehr aushielt, dass sie ununterbrochen am Arbeiten war und keine Zeit mehr für ihn hatte. Alles, was sie geplant hatten, war nicht mehr und würde nie mehr sein. Er war weg. Und würde es bleiben.

Ihre Gedanken kreisten trotz aller Widrigkeiten um den Bericht, den sie eben im Fernsehen gesehen hatte. Ihr wurde klar, dass sie nur zwei Möglichkeiten hatten. Wenn Beth die Tote war, die in den Transporter der Gerichtsmedizin gebracht wurde, konnte es nur bedeuten, dass sie es nicht mehr ausgehalten hatte oder – und das wäre fast noch schlimmer – es zurück ist.

Sie spürte, wie sie Gänsehaut bekam.

Beth … Beth … BETH!

Beth rührte sich nicht. Sie versuchte, sich klein zu machen. In die hinterste Ecke krümmte sie sich, in der Hoffnung, sie würde nicht gesehen werden.

Diese Stimme. So brutal. So laut. So angsteinflößend.

Sie wusste nicht, was passierte. Sie konnte keinen klaren Gedanken fassen. Sie hatte Todesangst. Früher oder später würde man sie finden. Noch kleiner konnte sie sich nicht machen. Man würde sie sehen. Man würde ihren Atem hören. Man würde ihre Angst riechen.

Woher kannte dieser Mensch ihren Namen? Wie kam er in das Haus?

Ein lautes Knallen ließ Beth zusammenzucken. Instinktiv versuchte sie, sich noch kleiner zu machen, sich noch weiter in die Ecke zu drängen. Wäre doch nur diese Wand nicht, dann könnte sie sich noch weiter verstecken. Aber die Wand war da. Und deswegen würde man sie finden.

2

Mel fuhr ihren Wagen direkt auf die Rollbahn des Flughafens, wo es einen eigenen Bereich für FBI-Flugzeuge gab. Ein Mitarbeiter parkte ihren Wagen auf einem Stellplatz, während Mel sich nach Connor umsah. Aber sie konnte ihn nirgends entdecken.

Sie war genervt. Genervt davon, an ihrem freien Tag – wer weiß, wann sie wieder einen haben würde – nun am Flughafen zu stehen und zu einem Fall zu fliegen, der vielleicht gar keiner war. Und dann war Connor nirgends zu sehen. Wütend kramte sie in ihrer Manteltasche nach ihrem Smartphone. Gerade als sie es herausholen wollte, hörte sie eine Stimme hinter sich.

„Mel“, sagte Connor, „schön, dich zu sehen. Gut, dass du so schnell kommen konntest.“

„Du hast mir ja auch nicht wirklich eine Wahl gelassen“, giftete Mel zurück und steckte das Smartphone wieder in ihre Tasche.

„Ist der Flieger wenigstens startklar?“, wollte sie wissen.

„Es müsste jeden Moment so weit sein.“

„Wie hast du überhaupt so schnell die Genehmigung für diesen Flug bekommen?“

„Du weißt doch, wie nervig ich sein kann. Stone war am Ende vermutlich einfach nur froh, dass er mich so loswerden konnte“, lachte er. Mel verdrehte die Augen.

„Hast du nicht gut geschlafen oder warum bist du so gereizt?“, wollte Connor wissen, als ihm im selben Moment klar wurde, dass er die Frage lieber nicht hätte stellen sollen. Mel schaute ihn an. Ihr Blick war starr, ihre Augen leicht zusammengekniffen und kleine Dolche schossen aus ihnen heraus, direkt in Connors Herz.

„Ja, ich verstehe schon. Du hattest heute frei.“

Mel sagte nichts.

„Da es offenbar keinen wirklich guten Zeitpunkt gibt, es dir zu sagen, mache ich es einfach frei heraus“, meinte Connor, nachdem er ein paar Sekunden mit seinen Händen an seinem Mantel herumgenästelt hatte. Mel drehte sich zu ihm um und schaute ihn fragend an.

„Wir fliegen nicht allein. Stone war der Meinung, dass wir Unterstützung gebrauchen könnten, sofern sich mein Verdacht bestätigt. Wenn es Beth war, die da gestorben ist, und sie keinen Suizid begangen hat, schaffen wir es nicht ohne Hilfe.“

„Oh Connor.“ Mel hörte eine innere Glocke schlagen, die das Zeichen dafür gab, einen Grad erreicht zu haben, an dem ihre Nerven nur noch an einem seidenen Faden hingen. Sie hasste es, wenn sich jemand in ihre Ermittlungen einmischte. Connor war anfangs ein notwendiges Übel gewesen, weil das FBI nun einmal vorsieht, dass Agents im Außendienst paarweise auftreten müssen – aus Sicherheitsgründen. Mittlerweile war er ein guter Freund und nur diesem Status hatte er es zu verdanken, dass sie ihm so viel durchgehen ließ.

Mel konnte nichts mehr sagen, denn eine Frau, höchstens Mitte zwanzig, kam zielstrebig auf sie und Connor zu. „Versuch, dich zusammenzureißen“, flüsterte Connor Mel noch schnell zu, bevor die unbekannte Frau bei ihnen stehen blieb.

„Giulia, schön, dass du da bist“, Connor ging ein paar Schritte auf sie zu. Sie umarmten sich und Mel kam nicht umher, die Augen erneut zu verdrehen.

„Darf ich dir meine Partnerin vorstellen? SSA Mel Marlborough. Genauer gesagt: Doktorin Marlborough“, stellte Connor sie vor. „Mel, das ist Giulia Monte, Special Agent und forensische Biologin.“

„Es freut mich, Sie kennenzulernen, Dr. Marlborough“, Giulia streckte die Hand aus, die Mel widerwillig entgegennahm.

„Gleichfalls“, sagte sie nur.

„Auf welchem Gebiet haben Sie promoviert?“

„Biopsychologie. Mein Spezialgebiet ist die menschliche Psyche. Ich hinterfrage das Verhalten und wie es entstanden ist – alles hat einen Grund. Wir tun nichts ohne Grund“, erklärte Mel und sagte mehr, als sie eigentlich wollte.

„Sehr interessant“, lächelte Giulia. Mel lächelte zurück. Sie hoffte – für Connor –, dass ihr Lächeln echt aussah.

„Agents!“, rief einer der Mitarbeiter. „Ihr Flugzeug ist startklar.“

„Na endlich“, stöhnte Mel und ging an Connor und Giulia vorbei zum Flieger, ohne sie weiter zu beachten. Giulia schaute Connor an, der einfach nur abwinkte. Er hätte sie vorher über Mel informieren müssen, damit sie es versteht.

Als sie in der kleinen Privatmaschine des FBI Platz genommen hatten, schaute Mel aus dem Fenster und ignorierte die anderen. Sie wollte nicht hier sein und hatte auch keine Lust zu arbeiten. Ihr war klar, dass sie sich gerade in etwas hineinsteigerte, aus dem sie so schnell nicht mehr herauskam. Immerhin war sie es selbst, die ihren Studierenden begreiflich machen wollte, dass es immer einen Grund für das Verhalten gab, das der Mensch an den Tag legt – ob es nun ein gutes oder schlechtes Verhalten ist, spielt dabei keine Rolle.

Ihr Verhalten gerade war schlecht und sie wusste das. Und eigentlich tat es ihr auch leid, aber das würde sie nicht zugeben. So war sie nicht. Zugeben musste sie es nur dann, wenn ihr Verhalten durch sie selbst ausgelöst wurde. Aber das war hier nicht der Fall. Ihr Verhalten wurde durch Connor ausgelöst, mit einer Prise von Giulia. Also war sie auch nicht schuld. Sie musste nichts zugeben.

Connor bemerkte die unerträgliche Stimmung und musste etwas unternehmen. Er fühlte sich zwar ein wenig, als würde er in einem Kindergarten sitzen und den Streit zwischen zwei Freundinnen schlichten, die sich um eine imaginäre Freundin stritten, aber so war es nun mal.

„Mel, würdest du Giulia zu dem Fall briefen?“, fragte Connor, um ein wenig Professionalität in den Flieger zu bringen.

„Zu welchem Fall? Wir haben keinen Fall.“

„Wir haben noch keinen Fall. Aber du weißt, was ich meine.“

„Natürlich. Ich komme gleich“, sagte Mel und stand auf, um auf die Toilette zu gehen. Connor folgte ihr.

„Entschuldige mich einen kleinen Moment“, sagte er noch an Giulia gewandt.

Kurz vor der Flugzeugtoilette packte Connor Mel am Arm. Er musste leise sprechen, denn der Flieger war nicht besonders groß und er wollte nicht, dass Giulia alles mithörte.

„Mel, was ist los? Du benimmst dich wie ein kleines Kind“, begann er. Mel entriss sich seinem Griff und schaute ihn wütend an.

„Du reißt mich aus meinen ersten freien Tag seit Wochen und schleppst mich zu einem Fall, der bisher noch keiner ist und von dem wir nicht mal wissen, ob wir die Zuständigkeit bekommen, mit einem Verdacht, von dem wir nicht mal wissen, ob er existiert, nur weil du jemanden nicht erreichen konntest, der gar nicht erreicht werden will.“ Ihr gereizter Ton klang noch wütender durch das Flüstern, in das sie einstimmte. „Und wäre das nicht schon nervig genug, setzt du mir eine Frau vor, die uns bei diesem Fall“, sie hielt die Hände hoch und deutete Anführungszeichen an, „helfen soll. Ich habe diese Frau noch nie gesehen, wieso ist sie hier? Wieso setzt Stone sie mir vor die Nase? Er weiß, dass ich sowas hasse.“ Mel atmete einmal tief durch. Sie wusste, dass sie sich beruhigen musste.

„Stone will uns helfen. Er möchte, dass wir den Fall klären, wenn es einer ist. Und wenn es einer ist, dann haben wir wesentlich größere Probleme als Giulia“, gab Connor zurück.

„Ich hasse es, wenn du recht hast“, erwiderte Mel und betrat die Flugzeugtoilette. „Ich komme gleich und erzähle ihr alles“, rief sie noch durch die geschlossene Tür, als Connor bereits zu seinem Platz zurückging.

3

„911, wie kann ich helfen?“

„Äh … hier liegt eine Frau.“

„Wo liegt eine Frau?“

„Hier in der Wohnung. Main Street Ecke Seventeen, Appartement 73. Ich weiß nicht, was mit ihr ist. Sie sieht nicht gut aus.“

„Ist sie bei Bewusstsein, Sir?“

„Nein. Sie ist tot.“

„Sind Sie sicher?“

„Wenn Sie sie sehen könnten, würden Sie mich das nicht fragen.“

„Ich schicke Ihnen Hilfe.“

Detective Candle war die erste Person am Tatort, nachdem die Rettungskräfte das Appartement verlassen hatten und nichts mehr für das Opfer tun konnten.

Die Leiche einer jungen Frau lag im Flur einer kleinen Wohnung, die nur spärlich eingerichtet war. Viel Mühe konnte man sich bei der Einrichtung nicht gegeben haben. Ungewöhnlich war das in diesem Viertel jedoch nicht. In den Wohnkomplexen lebten überwiegend Menschen, die man gemeinhin als sozial schwach bezeichnete. Candle vermutete genau das auch bei der Toten. Es roch unangenehm. Eine Mischung aus Essen, Parfum und Ausscheidungen – die Leiche musste sich entleert haben. An den wenigen Fenstern hingen schwere, dunkle Vorhänge. Sie waren zugezogen. Licht fiel kaum hinein, nur durch kleine Schlitze schafften es die Sonnenstrahlen in den Raum.

„Ich brauche hier mal etwas Licht“, rief Candle einem der Officer zu, die dabei waren, Spuren zu sichern. Sofort wurde eine Halogenlampe neben ihr aufgestellt, sodass Candle das Gesamtbild sehen konnte. Ihr war nicht klar, was hier passierte. Diese junge Frau lag auf dem Boden, ihre Extremitäten von sich gestreckt, am Hals sah man Strangulationsmerkmale. Es waren jedoch keine Abdrücke von Händen, so viel hatte Candle im Laufe ihrer Karriere gelernt. Einen Strick konnte sie nicht sehen – woher also kamen diese Male? Und noch eine Sache fiel Candle auf, die sie irritierte. Die Leiche war nackt. Die Augen der jungen Frau waren aufgerissen, als hätte sie einen Geist gesehen und sei erstarrt. Der Schreck und der Schock standen ihr noch förmlich ins Gesicht geschrieben. Ihr Mund – die Lippen blassblau mit einem Hauch von Weiß – waren leicht geöffnet. Ihre weißen Zähne blitzten hindurch.

Candle hockte sich neben die Leiche und begutachtete sie ganz genau. Sie sah ihr in die Augen, die noch so lebendig wirkten. Flehend. Hilfesuchend. Sie ging etwas tiefer, um sie noch genauer betrachten zu können. Der erstarrte Blick ließ sie erschaudern. Keine Petechien. Das war ungewöhnlich bei einer Strangulation. Die Skleren der Augen waren blütenweiß. Keine einzige Ader schien geplatzt zu sein. So starr, wie die Pupillen waren, sahen sie aus, als wären sie gemalt.

Candle ließ ihren Blick weiter über den nackten Körper der Toten wandern. Sie musste sich zusammenreißen die Hände und Arme nicht anzufassen, um sie genauer untersuchen zu können. Sie durfte die Leiche nicht bewegen, solange der Gerichtsmediziner sie nicht freigab.

Die Haut der Toten war makellos. Candle hatte selten eine so reine und glatte Haut gesehen. Sie war sicher, dass sie ebenso weich war, wie sie aussah. Keine Tattoos, keine Piercings. Nicht einmal künstliche Nägel schien die Tote jemals gehabt zu haben. Kein Dreck unter den Fingern, keine Rückstände von Blut – vielleicht minimale Reste von Hautpartikeln, aber das konnte sie nicht sagen. Nichts sah danach aus, als hätte sie sich gewehrt.