Perry Rhodan 165: Tod aus der Unendlichkeit  (Silberband) - Perry Rhodan - E-Book

Perry Rhodan 165: Tod aus der Unendlichkeit (Silberband) E-Book

Perry Rhodan

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Beschreibung

Die Milchstraße wird seit über 16 Jahren von den Ewigen Kriegern aus der Mächtigkeitsballung Estartu unterdrückt. Doch die Menschen und ihre Verbündeten leisten immer stärkeren Widerstand gegen die Besatzer.   Auch an anderen Orten des Universums bahnen sich wichtige Entscheidungen in diesem Kampf an. Fast überall bröckelt die Macht der Krieger. Aber besiegt sind sie deshalb keineswegs.   Dies zeigt sich besonders deutlich in der Milchstraße: Sotho Tyg Ian, der Statthalter der Ewigen Krieger, droht, die Galaxis mit all ihren Bewohnern zu vernichten. In einem verzweifelten Versuch setzt der Widerstand alles auf eine Karte ...

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Nr. 165

Tod aus der Unendlichkeit

Cover

Klappentext

1. Der Weg des Kriegers

2. Bully macht Maske

3. Erinnerungen eines Kriegers

4. Unter Kartanin

5. Ijakors letzte Schlacht

6. Der Spion von Kumai

7. Geheimnisse der Kartanin

8. Sprung nach Phamal

9. Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft?

10. Die Geheimnisse der NARGA SANT

11. Die Gruft der Erleuchtung

12. Der Schläfer erwacht

13. Götzensturm

14. Entscheidung im Raumfort 3201

15. Am Ereignishorizont

16. Vorboten der Hölle

17. Galaktischer Winter

Nachwort

Zeittafel

Impressum

Die Milchstraße wird seit über 16 Jahren von den Ewigen Kriegern aus der Mächtigkeitsballung Estartu unterdrückt. Doch die Menschen und ihre Verbündeten leisten immer stärkeren Widerstand gegen die Besatzer.

Auch an anderen Orten des Universums bahnen sich wichtige Entscheidungen in diesem Kampf an. Fast überall bröckelt die Macht der Krieger. Aber besiegt sind sie deshalb keineswegs.

1. Der Weg des Kriegers

Die Augen des Zwerges leuchteten in mattem Grün. Der Krieger sah es mit Verwunderung, und auch das war erstaunlich; denn in letzter Zeit hatte er sich nicht oft gewundert. Seine Gefühle waren abgestumpft. Aber Grün war die Farbe des Wohlwollens. Und wohlwollend hatte der Krieger den Zwerg noch nie erlebt.

»Du hast die richtige Entscheidung getroffen, mein Krieger«, sagte der Zwerg und streichelte mit der rechten Hand den langen, kahlen Schwanz, den er unter dem linken Arm geborgen hatte. »Der Atem ESTARTUS wird dir neue Zuversicht geben. Du brauchst Zuversicht, das weißt du, nicht wahr?«

Natürlich wusste es der Krieger. Es war ihm oft genug klargemacht worden in diesen trübsinnigen Tagen seit der Zerstörung der Heraldischen Tore.

»Geh also und erinnere dich, dass eine große Aufgabe dich erwartet. Die Weltraumrebellen müssen gezüchtigt werden. Du wirst Cursaafhar vernichten.«

»Ich werde Cursaafhar vernichten«, murmelte der Krieger. Er konnte nicht anders. Es lag etwas in der Stimme des Zwerges, das keinen Widerspruch zuließ.

»Gut so«, lobte Srolg. »Und jetzt geh!«

Der Krieger wandte sich dem Ausgang zu. Er schritt einen Korridor entlang, dessen Wände in wirbelnden Farbenspielen leuchteten. Hin und wieder materialisierte aus den tanzenden Lichtwolken eine Szene aus der Vergangenheit. Sie erschien plastisch und lebensecht. Ijarkor sah sich selbst: bei der Einweihung des Königstors, auf dem Thron, an Bord seines Flaggschiffs SOMBATH, eine ehrenvolle Huldigung der Quliman-Kolonie auf Wenqin entgegennehmend. Szenen ewigen Ruhms, von ophalischen Künstlern in Holografien gegossen, damit der Ewige Krieger sich erbaue, wenn er von seinem Privatquartier zu den Amtsräumen schritt.

Aber der Krieger war jenseits aller Erbauung. Seine große Niederlage zeigten die Holografien nicht: den Sturz der Heraldischen Tore, die Vernichtung der Großen Kalmenzone von Siom Som.

Die Bilder, die ihm aus den leuchtenden Wänden entgegentraten, hatten alle erbauende Wirkung verloren. Er versuchte, ihnen keine Beachtung zu schenken. Aber die Szenen der Vergangenheit ließen sich nicht ignorieren. Er schloss die Augen und tastete sich an der Wand entlang bis zu der Öffnung jenes Antigravschachts, den nur der Krieger zu benutzen das Recht hatte.

Er sank in die Tiefe. Wohltuendes Halbdunkel umgab ihn. Die Beleuchtung des Schachtes war darauf abgestimmt, den Krieger in den Zustand entspannter Gelassenheit zu versetzen. Denn am unteren Ende des Schachtes lag das Dashid, das Allerheiligste, und wer das Dashid betrat, um sich am Atem ESTARTUS zu laben, brauchte ein Bewusstsein, das frei von belastenden Gedanken war.

Der Schacht endete vor einem kurzen Gang. Ijarkor tat ein paar Schritte, dann glitt vor ihm die Wand auseinander, und er sah in die kleine Kammer des Dashid. Sie war kahl bis auf den Projektor, der das Prallfeld erzeugte, das der Krieger wie eine Liege benützen würde, den Auslass des Gebläses, aus dem der Atem ESTARTUS kam, eine Deckenleuchte und die Statue des Attar Panish Panisha, des Ersten aller Lehrerslehrer, der den Namen Oogh at Tarkan getragen hatte.

Ijarkor sah das leise Flimmern des Prallfelds. Er tastete es ab und bettete sich darauf. Oogh at Tarkans Bildnis war so angebracht, dass er es aus liegender Haltung bequem sehen konnte. Zum tausendsten Mal musterte der Krieger die Gestalt des Ehrwürdigen, die nichts Pterisches an sich hatte. Oft hatte Ijarkor sich gefragt, wer Oogh at Tarkan gewesen sein möge, zu welcher Zeit er gelebt habe und welches seine Lehre in Wirklichkeit gewesen sei. Denn dass man die ursprüngliche Philosophie des Dritten Weges in reiner Form über die Jahrtausende hinweg überliefert habe, daran waren dem Krieger schon früh Zweifel gekommen.

Er hörte, wie das Gas aus dem Gebläse strömte. Er atmete tief und spürte alsbald, wie der Atem ESTARTUS sein Bewusstsein glättete.

Er schloss die Augen.

Nach einer Zeit, die ihm unbestimmbar lang vorkam und an die er keine konkreten Erinnerungen hatte, öffnete er sie wieder. Für einen kurzen Moment schien ihm, als habe er Einblick erhalten in seine Vergangenheit, ganz so, als sei er nicht immer ein Ewiger Krieger gewesen. Aber es waren nur Bruchstücke geblieben, die er kaum fassen konnte. Das leise Zischen des Gebläses war verstummt. Auf ihrem Podest stand die Statue des Attar Panish Panisha, und die großen Augen Oogh at Tarkans schienen den Ewigen Krieger spöttisch zu mustern.

Ijarkor lag eine Zeit lang still. Er erinnerte sich an vergangene Stunden, die er im Dashid zugebracht hatte. Er erinnerte sich, wie ESTARTUS Atem ihn mit frischer Kraft und neuer Zuversicht erfüllt hatte. Von alledem spürte er nichts.

Die Droge wirkte nicht mehr auf ihn. Dass es eine Droge war, die dem Süchtigen den Eindruck vermittelte, er stehe in unmittelbarer Verbindung mit der mächtigen ESTARTU, wusste Ijarkor inzwischen. Srolg, direkter Nachkomme in der 200. Generation jenes Scharrolk, der ihn einst von seiner Heimat Tiffoon nach Etustar gebracht hatte, kannte ihm gegenüber keine Geheimnisse mehr, seit er jüngst seinen letzten Besuch im Dunklen Himmel absolviert hatte. Wer Kodexgas einatmete, glaubte an die Weisheit des Permanenten Konflikts, fühlte sich mit ESTARTU verbunden.

Er glitt von der Prallfeldliege. Das Erlebnis hatte ihn nachdenklich gestimmt. Er wusste nicht, woran es lag, dass das Kodexgas nun anders auf ihn wirkte als früher. Er hielt es für möglich, dass die Niederlage, die ihm von den Gängern des Netzes zugefügt worden war, eine Änderung der Struktur seines Bewusstseins bewirkt hatte. Etwas anderes dagegen war ihm völlig klar: Srolg durfte von dieser Sache nichts erfahren. Er musste in dem Glauben gelassen werden, dass der Atem ESTARTUS weiterhin in der Lage war, dem Ewigen Krieger Stärke und Zuversicht zu vermitteln.

Seine Niedergeschlagenheit war gewichen. Es gab etwas für ihn zu tun. Es gab eine Vergangenheit zu erforschen. Merkwürdig, dass ihm während all der Jahrtausende seines Daseins als Ewiger Krieger nie aufgefallen war, wie kurzfristig seine Erinnerung war. Hatte das Gas sein Urteilsvermögen untergraben?

Welch eine Frage! War er nicht als Kor, der Gedichteschreiber und Liedermacher, in die Halle der Singuva gegangen? Hatte er nicht den Namen, der ihm von Scharrolk, dem kleinwüchsigen Pterus, aufgedrängt worden war, als widerwärtig empfunden? Und war er nicht, noch bevor auf einer paradiesischen Welt namens Etustar eine Stimme zu ihm gesprochen hatte, während er im Bannkreis eines Lichtkegels vor sich hin schritt, plötzlich anderen Sinnes geworden? Hatte er nicht die Kraft zu spüren geglaubt, die ESTARTU in seinen Körper strömen ließ? War er nicht auf einmal überzeugt gewesen, dass er zum Kämpfer geboren sei, zum Ewigen Krieger, der eine von zwölf Galaxien beherrschen sollte? Er, der er doch nur ein einfacher Schichtführer auf Tiffoon gewesen war, ein Techniker ohne große Bedeutung? War dies seine wahre Vergangenheit?

Er verließ das Dashid und kehrte durch den Antigravschacht in die oberen Bereiche des Palasts zurück. Srolg beäugte ihn misstrauisch.

»Der Schlag gegen die Weltraumnomaden muss ohne Zögern geführt werden«, erklärte Ijarkor mit Nachdruck. »Die Herausforderung des Desotho muss beantwortet werden.«

Da erschien der grüne Schimmer des Wohlwollens in den Augen des Animateurs. »Ich wusste, dass es dir gut bekommen würde, ESTARTU einzuatmen«, sagte er. »Du fühlst die Kraft, nicht wahr? Du kennst dein Ziel?«

»Ja, ich kenne es«, antwortete der Ewige Krieger.

Man nannte sie Weltraumnomaden, auch Weltraumrebellen. Sie waren diejenigen, die sich nicht mit der Philosophie des Permanenten Konflikts hatten beglücken lassen. Als Ijarkor den Völkern, die er unterworfen hatte, das Prinzip des ultrahochfrequenten Feldantriebs für interstellare Raumschiffe zum Geschenk machte, waren sie misstrauisch gewesen und hatten an ihren altmodischen Transitionstriebwerken festgehalten. Später, als die Heraldischen Tore die große Kalmenzone von Siom Som erzeugten, die die Ultrahochfrequenzantriebe wirkungslos machte, waren sie die Einzigen, die sich im psionischen Leerraum noch mit Überlichtgeschwindigkeit bewegen konnten – neben den Gorim-Jägern, versteht sich.

Sie stellten keine Gefahr dar, obwohl die Kalmenzone nicht mehr existierte und die Schiffe mit den Ultrahochfrequenztriebwerken wie in alten Zeiten wieder jeden Punkt innerhalb der großen Galaxis Siom Som anfliegen konnten. Die ideologische Halsstarrigkeit der Weltraumnomaden würde nicht auf die abfärben, die mit ihnen in Berührung kamen. Und selbst wenn – es spielte keine Rolle mehr. Die Lehre vom Permanenten Konflikt war in Misskredit geraten. Der Ruf der Unantastbarkeit der Ewigen Krieger war dahin. Ijarkor hatte eine vernichtende Niederlage erlitten, und Pelyfor war tot.

Aber der Anführer der Nomaden, der sich als Desotho, als Antikrieger, ausgab, hatte eine Herausforderung erlassen. Er hatte in einer Funkbotschaft den Ewigen Krieger Ijarkor als Marionette der geschwänzten Zwerge bezeichnet und die Völker von Siom Som aufgefordert, das Joch des Kriegerkults abzustreifen. Die Botschaft war in weiten Teilen der Galaxis empfangen worden. Srolg hatte erklärt, der Krieger müsse darauf sofort und mit aller Kraft reagieren. Wenn er den Desotho ungestraft solche Äußerungen tun ließ, war es mit seiner Macht endgültig vorbei.

Ijarkor kümmerte weder Macht noch Ansehen, und was der Nomadenführer über das Verhältnis zwischen Ewigen Kriegern und den geschwänzten Zwergen ausgesagt hatte, entsprach der Wahrheit. Aber er konnte sich Srolgs Anordnung nicht widersetzen. Wenn Srolg befahl, Ijarkor müsse seine Ehre verteidigen, blieb diesem keine andere Wahl, als zu gehorchen.

Srolgs gleichsam hypnotische Befehlsgewalt erstreckte sich allerdings nicht auf Einzelheiten. Die Art, wie er den Desotho zur Rechenschaft zog, bestimmte Ijarkor selbst. Srolg würde ihn beschimpfen und umzustimmen versuchen, wenn er erfuhr, was der Ewige Krieger vorhatte. Aber daran brauchte Ijarkor sich nicht zu stören.

Sein Plan war gemacht. Sein letzter Plan.

Es war ein Anblick, wie ihn die Somer seit Tausenden von Jahren nicht mehr zu sehen bekommen hatten. In der Nacht, wenn die beiden Monde Culio und Ijarkor am Himmel standen, gewahrte man zwischen ihnen, jedoch näher an Ijarkor als an Culio, einen schimmernden Nebel, eine Lichtwolke, die sich bei näherem Hinsehen als aus Tausenden winziger Leuchtpunkte bestehend entpuppte. Das war Ijarkors Flotte, die sich zum Zug gegen die Weltraumnomaden rüstete.

Die Somer starrten in den Nachthimmel und empfanden Ehrfurcht angesichts der Macht des Ewigen Kriegers. Gewiss, vor Kurzem hatte er eine Niederlage erlitten. Die Gänger des Netzes hatten ihn übertölpelt, indem sie ein Spiel des Lebens auf dem Mond Ijarkor veranstalten ließen, angeblich dem Krieger zur Ehre, und dafür sorgten, dass der Gesang der Ophaler mit der psionischen Struktur der Heraldischen Tore interferierte. Die Heraldischen Tore, das estartische Wunder der Galaxis Siom Som, und die große Kalmenzone existierten nicht mehr.

Aber noch war Ijarkor nicht geschlagen. Sein Berater, Srolg, hatte verkündet, dass der Krieger einen Feldzug gegen die Weltraumnomaden unternehmen werde, um sie für die frevelhafte Botschaft zu züchtigen, die ihr Anführer über Hyperfunk hatte ausstrahlen lassen.

Die Nomaden mussten die Ankündigung gehört haben. Denn das Zentrum ihrer Macht, die riesige Ansammlung von Wracks, die von ihnen Cursaafhar genannt wurde, befand sich nicht weit von Som entfernt im System der Sonne Ephytra. 64 Som-Standardjahre brauchte eine Lichtwelle, um von Som aus das Ephytrasystem zu erreichen. Die Schiffe des Trosses würden die Entfernung in wenigen Minuten bewältigen. Insgesamt 8000 Raumschiffe waren es, die Ijarkor dort im Bereich zwischen den beiden Monden versammelt hatte: 7900 Einheiten der Leibgarde des Kriegers, 99 elfahdische Kugelsegmentschiffe und die SOMBATH selbst, das Flaggschiff des Ewigen Kriegers. Man wusste auf Som, dass man von den Weltraumnomaden nur noch einmal hören würde: wenn Ijarkor sie mit geballter Macht auslöschte – und danach nie mehr.

Das war die Meinung der meisten Somer, vor allen Dingen der Veteranen in den Schlackestädten des zweiten Planeten der Sonne Siom. Der Ewige Krieger würde als Sieger von seinem Feldzug zurückkehren, und in 64 Som-Standardjahren würde man den Lichtpunkt der Sonne Ephytra in klaren Nächten für kurze Zeit von einer glühenden Wolke umgeben sehen: Das waren die atomisierten Überreste des Weltraumfriedhofs Cursaafhar.

Aber es gab auch solche, die anders dachten. Gewiss, sie waren bei Weitem in der Minderzahl. Aber sie glaubten, die Zeichen der Zeit zu sehen, und die Zeichen standen auf Sturm – nicht nur für den Ewigen Krieger Ijarkor, sondern für den gesamten Kriegerkult. Seit Jahrtausenden war von den verfluchten Gorims die Rede gewesen, von den Gängern des Netzes, die gegen die Krieger und die Lehre des Permanenten Konflikts arbeiteten. Sie waren gejagt worden. Man hatte sie eingefangen und in die Orphischen Labyrinthe von Trovenoor gesperrt, zur Ergötzung der Kalydonischen Jäger, die dort den Monstren, angeblichen Fehlschöpfungen der Natur, nachstellten und sie zur Strecke brachten. Es war deutlich geworden, dass die Ewigen Krieger die Gorims als ernst zu nehmende Bedrohung ansahen. Aber wer auf Som hatte jemals einen Gorim zu Gesicht bekommen?

Mittlerweile jedoch hatten sie ihre Zurückhaltung aufgegeben. Sie führten offen Krieg gegen die Krieger, und wenn die Anhänger der Philosophie des Permanenten Konflikts sie früher gefürchtet hatten, als sie noch im Verborgenen arbeiteten, wie musste ihnen zumute sein, da die Gorims ganz unverhohlen zur Offensive antraten? Es war schließlich nicht nur das estartische Wunder der Heraldischen Tore zerstört worden; in einer fernen Galaxis, die von ihren Bewohnern Milchstraße genannt wurde, hatte Pelyfor, einer der Ewigen Krieger, den Tod gefunden. Man hörte davon, dass ESTARTU hier nicht mehr lebte, dass die Mächtige die schützende Hand nicht mehr über ihre Kinder hielt.

Zwei Lichttage vor Cursaafhar brachte der Ewige Krieger seine Flotte in Position.

»Was zögerst du?«, keifte Srolg voller Zorn. »Du hast die Möglichkeit, sie mit einem Schlag auszulöschen. Warum wartest du hier?«

»Ich habe die Ehre eines Ewigen Kriegers zu verteidigen«, antwortete Ijarkor gleichmütig. »Ich lösche keine Unschuldigen aus. Ich finde die Übeltäter und bestrafe sie.«

»Seit wann hast du ein so empfindliches Ehrgefühl?«, höhnte der Animateur. »Jahrtausendelang hast du mit aller Macht zugeschlagen, wo sich eine Spur von Unbotmäßigkeit zeigte. Es war dir gleichgültig, ob du die Unschuldigen mit den Schuldigen vernichtetest.«

Ijarkor ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Er suchte keinen Streit mit dem Animateur. Es lag ihm im Gegenteil daran, Srolg bei guter Laune zu halten.

»Du musst mich verstehen«, versuchte er einzulenken. »Ich habe einen schweren Schlag erlitten. Meine Selbsteinschätzung ist eine andere geworden. Ich denke darüber nach, ob ich den Begriff der Ehre in der Vergangenheit vielleicht falsch interpretiert habe. Der Desotho ist mein Ziel. Ihn werde ich züchtigen. Ich habe nicht die Absicht, wie ein Verrückter um mich zu schlagen.«

»Du musst die Völker der Galaxis Siom Som beeindrucken«, verharrte Srolg auf seinem Standpunkt. »Du musst deine Macht und deine Unerbittlichkeit zeigen, nur so kannst du die Scharte auswetzen, die die Gänger des Netzes geschlagen haben.«

»Hab Geduld mit mir«, bat Ijarkor. »Ich werde meinen Ruf zurückerlangen. Aber ich darf nichts überstürzen.«

Der Animateur musterte ihn mit nachdenklichem Blick. »Vielleicht«, sagte er, »brauchst du wieder eine Dosis von ESTARTUS Atem.«

Der Vorschlag kam dem Ewigen Krieger nicht ungelegen. »Es mag sein, dass du recht hast«, antwortete er. »Es hat mir das letzte Mal gutgetan.«

Srolg wies auf die große Videofläche, die die Sonne Ephytra als grellen Glutpunkt zeigte. »Du hast Zeit«, sagte er. »Solang die Flotte hier liegt, geht dir nichts verloren.«

Das Dashid des Flaggschiffs lag in unmittelbarer Nähe der Privatunterkunft des Ewigen Kriegers. Es konnte nur von Ijarkors Räumen aus betreten werden. Natürlich gab es noch mehr Dashid-Räume an Bord der SOMBATH. Schließlich bestand die Besatzung des Schiffes ausnahmslos aus Kodextreuen, die einen Anspruch darauf hatten, ESTARTUS Atem in regelmäßigen Abständen zu inhalieren. Aber das Dashid war dem Ewigen Krieger vorbehalten.

Ijarkor streckte sich auf der Prallfeldliege aus. Er hatte den Standort der Flotte nicht ohne Absicht gewählt. Die Sonne Ephytra war ein harter Fünf-D-Strahler. Ihr hyperenergetisches Spektrum enthielt einen hohen Bestandteil an ultrahochfrequenter Energie. Ijarkor hatte errechnet, dass die Wirkung des Kodexgases dadurch verstärkt werden würde. Er war sicher, dass er heute ein größeres Stück seiner Erinnerung aufdecken würde als beim letzten Mal.

Er schloss die Augen und versuchte, sich zu entspannen. Mangel an Gelassenheit störte den Effekt des Gases. Er verdrängte die unruhigen Gedanken aus seinem Bewusstsein, und als ihm dies einigermaßen gelungen war, gab er den Befehl: »Der Atem ESTARTUS möge mich berühren.«

Das Gas begann zu strömen. Er nahm den eigenartigen Geruch wahr und spürte, wie mit seinem Bewusstsein eine Veränderung vor sich ging. Wie oft hatte er in den vergangenen 40.000 Som-Standardjahren diese Prozedur über sich ergehen lassen, und wie selten – wenn überhaupt jemals – war ihm der Gedanke gekommen, zu analysieren, wie die Wirkung des Gases ihn überkam? Er, der Ewige Krieger, kannte sämtliche Tricks und Kniffe der psionischen Beeinflussung. Seine Verhörmethoden waren in ganz Siom Som gefürchtet. Warum hatte er nie erkannt, dass auch der Atem ESTARTUS weiter nichts war als eine bewusstseinsändernde Droge – nur dass diese Droge nicht wahllos in die Struktur seines Bewusstseins eingriff, sondern gesteuert, programmiert? Es war eine überaus wirksame Konditionierung, denn wer das Kodexgas einmal eingeatmet hatte, musste es immer wieder zu sich nehmen. Er war süchtig geworden. Der Glaube an den Permanenten Konflikt ließ ihn nicht mehr aus den Klauen. Warum hatte er sich dazu nie Fragen gestellt?

Die Antwort war ihm klar: Das Programm, das in der Struktur der Kodexmoleküle niedergeschrieben war, erteilte seinem Bewusstsein die Anweisung, allen Zweifel zu vergessen. Er mochte oft hier gelegen haben und voller Ungewissheit gewesen sein. Aber er konnte nicht auf den Genuss des Kodexgases verzichten; dazu war die Sucht zu stark. Und wenn er den Atem ESTARTUS zu sich genommen hatte, war die Ungewissheit verschwunden – selbst die Erinnerung daran, dass er Fragen und Zweifel gehabt hatte.

Er war schon immer ein Zweifler gewesen, er, Kor, der eigentlich hatte Gedichte schreiben und Lieder komponieren wollen. Aber man hatte ihm die Zweifel immer wieder genommen. Ijarkor ... der Sieger ... das war der neue Name, den Scharrolk ihm gegeben hatte. Ijar Kor – der kämpfende Starke.

Und er erinnerte sich ...

Das Reich der Zwölf Galaxien existierte seit Jahrtausenden. Die Ewigen Krieger waren seine unbestrittenen Herrscher, jeder Herr über eine Galaxis. Die Lehre des Dritten Weges, die Philosophie des Permanenten Konflikts, war die offizielle Religion des Reiches. Hohe Schulen, Upanishada genannt, existierten auf allen zivilisierten Welten und bildeten Kodextreue aus, die sich den Ewigen Kriegern als Leibgardisten und Soldaten und in hunderterlei anderen Funktionen zur Verfügung stellten.

An die 100.000 raumfahrende Völker zählte man in den zwölf Galaxien, davon allein 28.000 in der Riesengalaxis Erendyra, die dem Ewigen Krieger Kalmer unterstand. Nicht alle hatten sich dem Gebot des Kriegerkults gebeugt. Bis zur Unterwerfung des letzten Volkes würden noch Jahrzehntausende vergehen. Aber der Sieg war abzusehen. Wenn es zu Schwierigkeiten größeren Ausmaßes kam, wenn ein besonders mächtiges Volk sich mit aller Kraft gegen die Propheten des Kriegerkults stemmte, oder wenn eine bereits unterworfene Zivilisation vom rechten Weg abwich, schuf ESTARTU in ihrer endlosen Weisheit einen Sotho, einen Kriegerskrieger, stattete ihn mit noch größerer Macht aus, als sie die Herren der einzelnen Galaxien bereits besaßen, und schickte ihn aus, die Unbotmäßigen zu züchtigen, die Abtrünnigen zu vernichten. Solche Fälle ereigneten sich selten. Zu groß war die Furcht vor der Macht ESTARTUS und derer, die in ihren Diensten standen. In 2500 Som-Standardjahren hatte es erst vier Sothos gegeben, davon zwei während der ersten 500 Jahre.

Der ehemalige Kohortenführer Ayan herrschte als Ewiger Krieger über die Galaxis Absantha-Shad und hieß nun Ayanneh. Der Wissenschaftler K'Almer war zu Kalmer geworden und zum Herrn von Erendyra. Die Beamtin Shu-Fu, das einzige weibliche Wesen im Kreis der Ewigen Krieger, herrschte über die Galaxis Shufu; die Namensgleichheit war rein zufällig. Andere Krieger hießen Yarun und Granjcar, Nastjor und Pelyfor, Muccor, Shargk, Krovor und Traicy, und alle ihre Namen waren Zusammensetzungen, deren zweiter Bestandteil von den Singuva hinzugefügt worden war und Bedeutungen wie »Kampf«, »Stärke«, »Sieg«, »Ehre« und »Streit« hatten.

Die Krieger waren einander wohlbekannt. In unregelmäßigen Abständen trafen sie zusammen, um Dinge zu besprechen, die das gesamte Reich der Zwölf Galaxien betrafen. In längeren, aber regelmäßigen Abständen erreichte den einen oder anderen Krieger der Ruf ESTARTUS. Es galt als Ehrung, einen solchen Ruf zu erhalten. Dem tat der Umstand keinen Abbruch, dass die Ewigen Krieger den Ruf der Mächtigen in feiner Reihum-Manier erhielten.

Man folgte ESTARTUS Ruf, indem man sich nach Etustar, der Welt im Dunklen Himmel, begab. Was dort geschah, war das Geheimnis des jeweils Betroffenen. Zuletzt hatte Ijarkor den Ruf erhalten. Er befand sich an Bord seines Flaggschiffs, der SOMBATH, die ihm, wie Scharrolk damals vor 2500 Jahren versprochen hatte, zur Verfügung gestellt worden war, nachdem ihn der Rat der Statthalter zum Ewigen Krieger und Herrscher von Siom Som bestimmt hatte.

Er hatte keine Erinnerung an seine Besuche auf Etustar. Niemand wusste, was während der Besuche auf Etustar geschah. Nur daran, dass man auf Etustar gewesen war, erinnerte man sich. Und dass man seelisch gestärkt von dort zurückkehrte. Die seelische Stärkung konnte nur daher rühren, dass es einen Kontakt mit dem Überwesen ESTARTU gegeben hatte; denn niemand anders vermochte die Seele eines Ewigen Kriegers zu berühren. Aber wie die Begegnung mit ESTARTU stattgefunden hatte, welches das Aussehen der Mächtigen war: Davon wusste niemand etwas. Selbst die planetarische Umwelt war nur als matter Eindruck gespeichert. Ijarkor hatte die vage Vorstellung einer Welt mit tropisch üppigen Pflanzen und friedlichen Tieren. Irgendwo inmitten des parkähnlich gelichteten Dschungels standen ein paar Gebäude, welche die Anlage genannt wurden.

In 2500 Jahren war Ijarkor 31 Mal auf Etustar gewesen, und seine gesamte Erinnerung an die Aufenthalte auf der Welt im Dunklen Himmel ließ sich in ein paar Hundert Worten zusammenfassen.

Die durchschnittliche Lebenserwartung eines Pterus betrug 180 Som-Standardjahre. Ijarkor dagegen war weit über 2500 Jahre alt. Woher kam die Langlebigkeit? Er kannte die Antwort: Eines der Geschenke, die die Mächtige ihren Kriegern machte, war die relative Unsterblichkeit. Aber wie machte sie das? Es war nicht leicht, organisches Leben vor dem natürlichen Verfall zu bewahren. Er erwartete nicht, dass ESTARTU das Geheimnis des ewigen Lebens mit anderen teilte, nicht einmal mit Ewigen Kriegern. Aber er wollte spüren, wie sein Leben verlängert wurde. Er wollte den Augenblick, in dem ESTARTU den Verjüngungsvorgang an ihm vollzog, bewusst erleben.

Noch etwas gab es, worüber er gerne Aufklärung erhalten hätte. Es gab Wesen, die auf Etustar wohnten und offensichtlich pterischer Herkunft waren. Auch an sie erinnerte er sich nur undeutlich, obwohl er sicher zu sein glaubte, dass er ihnen bei jedem seiner 31 Aufenthalte begegnet war. Sie waren von wesentlich kleinerem Wuchs als der durchschnittliche Pterus, und sie besaßen einen Schwanz. Wenn er sich Mühe gab, seine Gedanken auf sie zu konzentrieren, verschwammen die Bilder der Erinnerung vor seinem geistigen Auge, und Begriffe wie Singuva und Statthalter schwirrten ihm durchs Bewusstsein. In ferner Vergangenheit hatten sie, so glaubte er sich zu erinnern, zum alltäglichen Sprachgebrauch gehört. Aber heute wurden sie nicht mehr verwendet.

Im Vergleich dazu war seine Erinnerung an Scharrolk ungetrübt. Aber er hatte den Kleinwüchsigen seit jener ersten Begegnung nie mehr wiedergesehen, und es gab für ihn keinen Zweifel, dass der Fettsteiß längst das Zeitliche gesegnet hatte. Scharrolk war ein Singuva gewesen. Wohin waren die Singuva verschwunden? Warum sprach niemand mehr über sie?

Es gab in seiner Erinnerung Lücken. Er hatte das Gefühl, dass er sich über solche Dinge nicht mehr den Kopf zerbrechen würde, wenn er erst auf Etustar gewesen war. Aber in diesem Augenblick kannte er kein dringenderes Anliegen, als dass ihm Aufklärung über Zusammenhänge gegeben werde, die er nicht verstand, obwohl sie ihn unmittelbar betrafen. Es entstand in ihm der Verdacht, dass der Aufenthalt auf Etustar unter anderem dem Zweck diene, ihn mit Sicherheit und Selbstvertrauen zu erfüllen, die er eigentlich nicht hätte empfinden dürfen, weil er so wenig über die Dinge wusste, die in seinem Dasein eine Rolle spielten. Er würde besänftigt von Etustar zurückkehren, und das wollte er nicht. Er brauchte Klarheit, nicht Besänftigung.

»Privater Code!«, forderte er.

Die Stimme eines der vielen Prozessoren des Bordcomputers antwortete: »Privater Code ist vorgeschaltet.«

Ijarkor zögerte einen Atemzug lang. Dann sagte er entschlossen: »Folgende Aufzeichnung ist vorzunehmen:

Hast du Antwort auf diese Fragen erhalten:

Warum besitzt der Ewige Krieger, der von Etustar zurückkehrt, keine Erinnerung an seinen Aufenthalt dort?

Hast du ESTARTU gesehen?

Wie hat ESTARTU dich verjüngt?

Wer sind die geschwänzten Zwerge, und welche Funktion versehen sie?

Was ist aus den Singuva und den Statthaltern geworden?

Ende der Aufzeichnung.«

»Die Aufzeichnung ist vorgenommen«, sagte der Computer. »Was soll mit ihr geschehen?«

»Wenn ich von Etustar zurückkehre, wenn ich an Bord bin und das Schiff schon die Hälfte der Entfernung zwischen Etustar und dem Siomsystem zurückgelegt hat, wirst du mir diese Aufzeichnung vorspielen. Nicht als Daten, sondern so, wie ich sie gesprochen habe – mit meiner eigenen Stimme.«

»So soll es geschehen«, antwortete der Computer.

»Ende des privaten Codes«, sagte der Ewige Krieger.

Die SOMBATH ging in einen hohen Orbit über Etustar. Ijarkor war allein an Bord des Beiboots, das auf der Welt ESTARTUS landete. Ferngesteuert ging er auf einer weiten, von Wald umgebenen Fläche nieder, nur ein paar Kilometer von der Gebäudeansammlung entfernt, die man die Anlage nannte. Das Boot hatte kaum den Boden berührt, da schoss vom Rand der Fläche ein Gleiter herbei. Ijarkor verließ das Boot durch die Kleinschleuse am Bug. Der Gleiter war zum Stillstand gekommen. Zwei große, gläserne Luken fuhren auf. Aus dem Sitz am Steuer löste sich einer der Geschwänzten. Seine Körpergröße betrug etwa drei Viertel der des Kriegers, und der kahle Schwanz reichte fast bis zum Boden hinab.

»Willkommen auf der Welt der Wahrheit, Krieger!«, sagte der Kleine. »Ich bin Sh'rolk, und während des Aufenthalts auf Etustar werde ich dein Betreuer sein.«

Ijarkor musterte den Geschwänzten misstrauisch und mit Widerwillen. Er, der Ewige Krieger, war gewohnt, dass man ihm mit unterwürfigem Respekt begegnete. Der Kleine legte für seinen Geschmack zu viel Selbstbewusstsein an den Tag.

»Ich hatte einst einen Betreuer«, sagte der Krieger mürrisch, »der Scharrolk hieß. Wie kommt es, dass dein Name dem seinen so ähnlich ist?«

»Scharrolk ist mein Urahn, viele Generationen entfernt«, antwortete Sh'rolk. »Von ihm haben alle seine Nachkommen ihre Namen. Im Lauf der Zeit hat sich unsere Sprache weiterentwickelt. Laute haben sich abgeschliffen oder verändert. So wurde aus Scharrolk Sh'rolk.«

»Wie alt bist du?«, fragte Ijarkor.

»Dreißig Jahre«, antwortete Sh'rolk ohne Zögern; aber er sagte nicht, welche Art von Jahr er meinte: das Som-Standardjahr, das Jahr der Welt Etustar oder vielleicht das Mardakaan-Jahr, das knapp neun Som-Standardjahre dauerte. »Und falls damit deine Wissbegierde befriedigt ist, dann erlaube mir, dass ich dir dein Quartier zeige.«

Das klang schon respektvoller. Ijarkor stieg in den Gleiter und ließ sich von Sh'rolk zur Anlage fahren. Die Anordnung der Gebäude war ihm vertraut; aber beim Anblick der mit allem Komfort ausgestatteten Unterkunft hätte der Krieger nicht sagen können, ob er schon einmal dort gewesen war oder nicht.

»Wie geht es weiter?«, erkundigte er sich. »Wann wird ESTARTU mich empfangen?«

Die Augen des Geschwänzten schimmerten wohlwollend. »Es freut mich zu hören, dass du begierig bist, die Mächtige zu sehen«, lobte er. »Wenn du willst, fangen wir mit den Vorbereitungen sofort an.«

»Ich will«, bestätigte der Krieger.

Sh'rolk führte ihn quer durch einen mit viel Sorgfalt angelegten Garten in ein anderes Gebäude und dort in einen kleinen, kahlen Raum, der Ijarkor an das Dashid in seinem Palast erinnerte. Nur gab es hier bescheidenes, aus zwei steifen Sesseln bestehendes Mobiliar, und die Statue des Attar Panish Panisha fehlte.

»Nimm Platz!«, forderte Sh'rolk den Krieger auf. »Wer ESTARTU gegenübertreten will, muss reinen Gewissens sein. Darauf zielen die Vorbereitungen.«

»Ich bin reinen Gewissens«, behauptete Ijarkor.

Das Gebläse in diesem Raum arbeitete anders als das in seinem Dashid. Es gab kein Geräusch von sich. Aber Ijarkor spürte, dass die Luft plötzlich den Atem ESTARTUS enthielt. Der Atem drang ihm ins Bewusstsein. Seine Gedanken wurden träge.

»Bist du das wirklich?«, fragte Sh'rolk in einem Tonfall, der Zweifel ausdrückte.

Der Krieger hätte aufbrausen mögen. Wie durfte der Zwerg es wagen, sein Wort anzuzweifeln? Aber der Zorn, den er eigentlich hätte empfinden müssen, materialisierte nicht. Er empfand lediglich dumpfe Verwunderung über die Unverschämtheit des Geschwänzten.

»Stell eine Verbindung mit dem Bordcomputer her!«, befahl Sh'rolk.

Ijarkor war unfähig, sich zu widersetzen. Niemand erteilte dem Ewigen Krieger einen Befehl. Und dennoch musste er tun, was der Geschwänzte von ihm verlangte. Er aktivierte das kleine Kommunikationsgerät, das zur technischen Ausstattung seiner aus einem Umhang und einem Beingewand bestehenden Kombination gehörte.

Der Computer an Bord der SOMBATH, eine Zehntellichtsekunde über Etustar, meldete sich sofort. »Womit kann ich dir dienen?«, fragte er respektvoll.

»Sag ihm, du möchtest die Aufzeichnung abrufen, die du als letzte unter privatem Code angefertigt hast!«, befahl Sh'rolk.

Ijarkor gehorchte abermals.

»Der Zeitpunkt, den du mit mir vereinbart hast, ist noch nicht gekommen«, antwortete der Computer. »Möchtest du die Aufzeichnung trotzdem hören?«

»Ja«, sagte Ijarkor und wunderte sich darüber, wie leicht ihm das Wort über die Lippen kam.

»Ich lese«, erklärte der Computer.

»Hast du Antwort auf folgende Fragen erhalten:

Warum besitzt der Ewige Krieger, der von Etustar zurückkehrt, keine Erinnerung an seinen Aufenthalt dort?

Hast du ESTARTU gesehen ...?«

Als der Computer geendet hatte und die Verbindung getrennt worden war, herrschte lange Zeit Schweigen in dem kleinen, kahlen Raum. Ijarkor wusste nicht, ob das, was er zu erleben glaubte, wirklich geschah. Ihm fehlte die Fähigkeit, die Ereignisse zu beeinflussen. Er hatte keinen eigenen Willen mehr.

»Wer zweifelt«, sagte da plötzlich Sh'rolk, »frevelt an der Majestät ESTARTUS. Du zweifelst, sonst hättest du deinem Bordcomputer nicht diesen Auftrag gegeben. ESTARTU verleiht dir Kraft und Selbstvertrauen, langes Leben obendrein. Aber mit Zweiflern hat sie keine Geduld. Einmal sei dir verziehen. Solltest du aber ein zweites Mal zweifeln, verwirkst du Amt und auch Leben. ESTARTU hat keine Geheimnisse. Es gibt Dinge, die sie dir nicht mitteilt, weil dir solche Kenntnisse keinen Nutzen bringen. Diesmal noch sollst du Antwort auf deine Fragen erhalten. Aber hüte dich, nochmals unnötig zu fragen ...«

»Der Zweck deines Aufenthalts auf Etustar ist zweifach«, sagte Sh'rolk. »Erstens wirst du in deinem Glauben an die Weisheit ESTARTUS, an die Richtigkeit des Dritten Weges und an die Unabdingbarkeit des Permanenten Konflikts gestärkt. Zweitens werden die Zellen deines Körpergewebes verjüngt; du erhältst eine Dusche ultrahochfrequenter Strahlung, die den natürlichen Alterungsprozess neutralisiert. Denn die Ewigen Krieger haben zu leben, bis das endgültige Ziel erreicht ist, und das endgültige Ziel heißt: die Lehre vom Permanenten Konflikt so weit zu verbreiten, wie unsere Raumschiffe reichen.«

Der Zwerg schwieg. Ijarkors Gedanken mochten verwirrt sein; aber er hörte wohl, was zu ihm gesagt wurde. Die Worte sanken in sein Bewusstsein, und er hatte das Gefühl, er würde sie nie mehr vergessen.

»Es gibt keinen Grund – außer einem –, die Erinnerung an den Aufenthalt auf Etustar in deinem Gedächtnis aufrechtzuerhalten. Sie würde dich nur verwirren und unsicher machen. Deshalb werden die Eindrücke, die dein Verstand hier sammelt, vor der Abreise gelöscht. Dies geschieht während des Prozesses, der dich verjüngt. Des Weiteren fragst du dich: Hast du ESTARTU gesehen? Nein, Krieger, du hast sie nicht gesehen. Denn ESTARTU lebt hier nicht mehr. Sie hat uns vor langer Zeit verlassen. Uns blieb nur ihr Erbe: eine hoch entwickelte Technik und der Glaube an den Dritten Weg. Deshalb muss deine Erinnerung an den Besuch auf Etustar gelöscht werden. Dass ESTARTU hier nicht mehr lebt, muss ein Geheimnis bleiben. Würde offenbar, dass die Mächtige uns verlassen hat, gäbe es Zweifel an der Lehre des Permanenten Konflikts.«

Abermals machte der Geschwänzte eine Pause. Der Ewige Krieger bebte innerlich. Welch fürchterliche Wahrheit war ihm soeben offenbart worden! Die Mächtige, von der er geglaubt hatte, dass sie über jeden seiner Schritte wachte, lebte nicht mehr. Die Weisheit ESTARTUS existierte nur noch in ihrer Hinterlassenschaft. Die Aufgabe, weise zu sein, fiel denen zu, die ESTARTUS Erbe verwalteten! Instinktiv spürte Ijarkor, dass Sh'rolk recht hatte. Niemand durfte jemals erfahren, dass es ESTARTU in Wirklichkeit gar nicht mehr gab.

»›Wer sind die geschwänzten Zwerge, und welche Funktion versehen sie?‹, fragst du. Wir, die du mit einem solch unfreundlichen Namen belegst, sind die wahren Erben ESTARTUS. Uns hat die Mächtige ihre Hinterlassenschaft anvertraut. Wir sind die Statthalter des Überwesens. Aufgrund unseres Wissens und unserer technischen Mittel sind wir die Singuva, die wahren Herrscher des Reiches der Zwölf Galaxien. Die Ewigen Krieger sind vorgeschobene Gestalten, die unsere Befehle ausführen. Wir halten es für opportun, aus dem Hintergrund zu agieren. Deswegen sind wir bemüht, durch schrittweise Mutation die Gestalt von geschwänzten Gnomen anzunehmen, bei deren Anblick niemand auf die Idee kommt, sie könnten im Machtgefüge des Reiches auch nur die geringste Rolle spielen.«

Der Ewige Krieger war kaum noch fähig zu denken. Zu niederschmetternd waren die Eröffnungen des Zwerges. Dass er nur eine Marionette der Geschwänzten war, hatte er nicht ahnen können. Die Erkenntnis schmerzte in der Tiefe der Seele. Er hasste den selbstgefälligen Zwerg, der ihm die unglaubliche Wahrheit so schonungslos mitgeteilt hatte. Er hätte sich auf ihn stürzen und ihn in Stücke zerreißen mögen. Aber inzwischen hatte sich ESTARTUS Atem so fest in Ijarkors Bewusstsein eingenistet, dass er keiner selbstständigen Handlung mehr fähig war.

»Nachdem ich dir alle Antworten gegeben habe«, sagte der Geschwänzte, »wirst du die Aufzeichnung im Speicher deines Computers löschen und den erteilten Auftrag rückgängig machen.«

Ijarkor gehorchte, ohne zu murren. Es blieb ihm keine andere Wahl.

»Und jetzt«, begann Sh'rolk ein zweites Mal, nachdem der Krieger die Verbindung mit dem Bordcomputer der SOMBATH wieder getrennt hatte, »erweist die mächtige ESTARTU dir die Gnade, dir eine besonders große Dosis ihres Atems zu schenken.«

2. Bully macht Maske

Endlich würde er Irmina Kotschistowa, die zierliche Metabio-Gruppiererin mit dem tiefschwarzen Haarschopf, wiedersehen. Reginald Bull freute sich schon darauf. Manchmal dachte er, dass ihnen, den beiden potenziell Unsterblichen, alle Zeit der Welt blieb. Dann aber sah er jedes Mal, wie selten sie einander über den Weg liefen. Es war nicht zu ändern, dachte er resigniert.

»Du kannst den Helm ablegen, Bully!«

Die Stimme riss ihn aus seiner Träumerei. Beiläufig ließ er den transparenten Kopfschutz des SERUNS zurückgleiten und im Halskragen sich zusammenfalten. Straquus, das war der Name dieser Welt. Sie lag am Rand von Absantha-Shad und beherbergte eine Station der Netzgänger. Hier sollten Jennifer Thyron, Demeter und ihre drei siganesischen Begleiter aus dem pflanzlichen Gefängnis befreit werden, mit dem sie seit langer Zeit verwachsen waren.

Das Schleusenschott öffnete sich. Vor ihm lagen nüchterne Stationswände, und auf einer fast meterhohen Sitzbank am Ende des Korridors wartete ein Mann.

»Hallo, Bully!«

»Tek! Wie lange ist es her ...?«

»Lass uns nicht davon reden.« Der große Mann mit dem pockennarbigen Gesicht wurde übergangslos ernst. Schließlich existierte der Kriegerkult in den zwölf Galaxien ESTARTUS nach wie vor und mit ihm ein wahrer Berg von Problemen. »Du bist wegen Irmina hier?«

»In erster Linie; ich brauche ihre Hilfe, Tek. Es geht um die Kartanin.« Bull gewahrte den fragenden Blick des anderen und grinste schief. »Wir haben uns einen netten Trick ausgedacht. Irmina soll helfen, die Sache ins Rollen zu bringen.«

»Ist es eilig? Du musst wissen, dass sie ständig die Hybride bearbeitet. Sie wird Jenny, Demeter und die drei Siganesen herausholen, aber ...«

»Aber was?«

»Nun, die Symbiose ist weit fortgeschritten. Irmina operiert sehr behutsam, und sie braucht alle Aufmerksamkeit. Trotzdem bin ich sicher, dass sie bald auch für dein Problem Zeit findet.«

»Ich kann warten, Tek. Zumindest das haben wir alle mehr oder minder gelernt, nicht wahr?«

Fast sieben Stunden später weckte ihn eine sanfte Stimme. »Hallo, Bully!«

Er war im Sessel eingeschlafen. »Irmina! Du hast Zeit für mich? Entschuldige, dass ich eingenickt bin.«

»Vielleicht wirst du langsam alt«, meinte die Frau.

»Na ja!« Bull klopfte ironisch auf die eiförmige Ausbuchtung über seiner Brust, wo der Zellaktivator hing. »Hauptsache, du bist noch fit. Ich brauche dein Können nämlich.«

»Worum geht es?«

»Gerade kommen wir mit der EXPLORER aus Absantha-Gom, von einer wenig bekannten Welt namens Pinnafor. Es gibt eine Menge zu erzählen.« Er berichtete detailreich von den letzten Ereignissen, wie sie 500 Kilogramm Paratau erbeutet und zwei monströs verformte Kartanin-Esperinnen in ihre Hand gebracht hatten.

»Worin bestand die Aufgabe der beiden?«

»Du weißt ja«, antwortete Bull, »dass die Kartanin keine Paratronschirme erzeugen können. Deshalb muss jede größere Paratau-Konzentration von Espern am Verpuffen gehindert werden – und das unter Einsatz ihrer Gesundheit.«

»Ich verstehe.« Irmina schaute ihn müde, aber konzentriert an. »Wer für die Abschirmung der Tropfen herhält, ist ständig schädlicher Strahlung ausgesetzt. Daher die Verformungen.«

»Verformungen ist noch milde ausgedrückt. Ich habe eine Holoaufzeichnung mitgebracht.« Bull schob einen Speicherkristall in das kleine Terminal neben seinem Sessel. Zwischen ihnen entstand ein exaktes Miniaturabbild zweier Feliden. Beide Gestalten waren von grauenhaften Zell- und Hirnwucherungen entstellt.

»Den ganzen Tag reden sie wirres, unverständliches Zeug. Nicht einmal Gucky vermochte ihre Gedanken zu deuten. Mit einem Wort: Sie sind vollkommen unidentifizierbar.«

Irmina merkte auf. »Ich kenne dich, Bully. Du planst doch etwas.«

»Stimmt«, gab er zurück. Ein geheimnisvolles Lächeln erschien auf seinem breiten, von Sommersprossen bedeckten Gesicht. »Die Gelegenheit ist zu günstig. Wir haben nur zwei Kartanin, aber wir werden ihnen drei zurückgeben. Deshalb sollst du mir eine Maske bauen.«

Eine Weile schaute die zierliche Frau verständnislos. Dann jedoch erwiderte sie das Lächeln ihres Gegenübers. »An sich gibst du bloß einen dicken Kater ab. Aber unter diesen Umständen ...«

»Nicht wahr?«, kommentierte Bull. »Das wird hinhauen.«

Am nächsten Tag ließ Bull die beiden Kartanin in die Station schaffen. Beide waren um die 1,70 Meter groß, aber darüber hinaus erinnerte kaum etwas an ihre ursprüngliche Gestalt. Die Schädel wiesen einen Umfang von fast 80 Zentimetern auf. Eine hornartige Substanz bedeckte, teilweise durchbrochen von Pelzfragmenten, die gesamte Haut. Nase, Ohren und Augen waren im verquollenen Gesicht nur ansatzweise zu erkennen. Die Gliedmaßen muteten ebenfalls deformiert, ja fast unförmig an. Manchmal gewahrte Bull konvulsivische Bewegungen innerhalb der Körper, als wirke der unheilvolle Paratau-Einfluss weiterhin fort.

Irmina fand wiederum erst gegen Abend Zeit für ihn. »Ich fürchte, den beiden bleibt nur noch kurze Zeit zu leben. Aber für deinen Plan hat das Vorteile. Wie die Dinge liegen, wird auch der beste medizinische Einsatz sie nicht retten können. Du kommst vermutlich um eine genaue Untersuchung herum.«

»Es geht also? Du kannst mir eine Biomaske herstellen, die genauso aussieht?«

»Jedenfalls wird es ziemlich ähnlich, und vielleicht kommst du sogar ohne Schlankheitskur aus ... Zunächst fertigen wir einen Konturguss deines Körpers an, dann lasse ich um das Modell Biomasse wuchern. Du musst nicht einmal dabei sein. Und schließlich, wenn das Ganze lebt und den Deformationen der Kartanin ähnlich sieht, kannst du hineinschlüpfen.«

Es dauerte elf Tage. Dann war ein scheinvitaler Abdruck seines Körpers erstellt und von Biomasse bedeckt. Irmina arbeitete täglich kaum mehr als eine Stunde daran, und doch erwuchs aus der Gallertsubstanz bald eine Masse, die den mutierten Kartanin halbwegs ähnlich sah.

»Noch zwei, drei Tage«, kündigte Irmina an, »dann sind wir so weit.«

Wie angekündigt, nahm die Feingestaltung drei Tage in Anspruch. Als er Irmina an diesem Abend begegnete, hatte Bull fast Mitleid mit ihr. Die Frau sah mitgenommen und übermüdet aus, und er konnte sich lebhaft ausmalen, welche Konzentration ihr die Arbeit mit Demeter, Jennifer Thyron und den drei Siganesen abverlangte. Aber auch sein Anliegen war wichtig. Er ahnte, dass die Lösung des Kartanin-Rätsels von eminenter Bedeutung sein würde.

»Das ist es, Bully!«

Gemeinsam mit Irmina stand er vor einem Körper, der, von Nährstoffen und Heilwuchskonzentrat umspült, große Ähnlichkeit mit den beiden deformierten Kartanin aufwies.

»Hervorragend!«, lobte er. »Genau so habe ich es mir vorgestellt. Soll mich der Teufel holen, wenn die Kartanin das durchschauen!«

»Ich weiß zwar nicht, was du vorhast, Bully, aber wenn sie es durchschauen, wird genau das passieren. Und nun muss ich versuchen, der Sache den letzten Schliff zu geben.«

Bull schaute wie gebannt auf den künstlich belebten Körper. Vom Schädelkamm bis abwärts zu den Fußklumpen entstand eine haarfeine Nut im Gewebe. Er begriff, dass die Frau ihre Mutantenfähigkeit einsetzte. Mit ihm unverständlicher Präzision griff sie in die Zellverbände der Kartanin-Maske ein, gruppierte sie nach ihrem Willen um und ließ so ohne chirurgischen Eingriff eine lang gestreckte Öffnung entstehen.

»Jetzt sieht es wie ein Faschingskostüm aus«, bemerkte er heiser.

»Warte nur, Bully! Sobald der Riss geschlossen ist, wird niemand dich von den beiden anderen Kartanin unterscheiden können.« Sie entnahm einem Behältnis zwei Bioplaststreifen und verklebte damit die Schlitzkanten. »Achte darauf: Sobald du die Streifen abreißt, entwickelt das Gewebe darunter Gerinnungsstoffe. Du hast dann fünf Minuten Zeit, in die Maske hineinzukommen. Anschließend presst du die Ränder gegeneinander. Sie werden nahtlos zusammenwachsen. Ich habe ein Bioprogramm angelegt, das innerhalb einer halben Stunde die Narbe verheilen und verpelzen lässt.«

»Perfekt, Irmina! Und die Lebensdauer?«

Die Frau rümpfte zweifelnd die Nase. »Fünf Wochen? Nein – eher vier. Dann zerfällt das Gewebe. Hoffentlich bleibt genügend Zeit, deinen Plänen nachzugehen. Dafür allerdings ist die Maske vollkommen lebensecht.«

Bull wusste, dass vier Wochen mehr als ausreichend waren. Er würde seine Rolle nicht annähernd so lange spielen können. »Hast du genügend Platz für meine kleinen Spielereien vorgesehen?«

Irmina lächelte. Mit einer fahrigen Bewegung strich sie ein paar schwarze Haarsträhnen aus der Stirn. »Natürlich. Du kannst die Hautfalten spüren, sobald du in die Maske schlüpfst.«

Am nächsten Morgen verließ er Straquus.

Das kleinste aller derzeitigen EXPLORER-Segmente, die LOVELY & BLUE, war auf einer Freifläche nahebei gelandet. Es war 30 Meter lang, ungefähr 20 breit und verfügte über eine Höhe von nicht mehr als sechs Metern. Seine Form ähnelte einem vieleckigen, unregelmäßigen Puzzleteil. An zwei entgegengesetzten Enden hingen einfach lichtschnelle Beiboote.

»Zurück in den Orbit!«, bat er, als er den Kommandoraum erreicht hatte. »Wir koppeln an die EXPLORER an.«

»Und hinterher?« Die schrille Stimme gehörte Elskalzi, dem blueschen Mentor der LOVELY & BLUE. Wie bei allen Blues saß auf seinen kurzen Stummelbeinen ein lang gestreckter Rumpf, der in den schlauchförmigen, biegsamen Hals überging. Sein Kopf erinnerte an einen unbehaarten, blassrosa gefärbten Diskus. Als einzig hervorstechendes Merkmal hatte sich Bull Elskalzis ungewöhnliche Größe gemerkt: Immerhin maß der Blue fast 2,20 Meter.

»Anschließend nehmen wir Kurs auf den nördlichen Zipfel von Absantha-Gom.«

»Nach Kumai?«

»Nach Kumai«, bestätigte Bull. »Ins Branderksystem. Es geht los.«

Vor sechs Wochen hatte er gemeinsam mit dem Mausbiber Gucky auf Pinnafor einen »Flugschreiber« erbeutet, worin die Koordinaten einer Kartanin-Welt in Absantha-Gom niedergelegt waren: Kumai. Die Entfernung von dort bis zum Planeten Chanukah bezifferte die Virenintelligenz ihres Schiffes auf lediglich 4,9 Lichtjahre. Diesem Anhaltspunkt wollte er nachgehen. Wenn er Glück hatte, kam er dort dem Rätsel der Lao-Sinh, wie sich die Kartanin in ESTARTU nannten, auf die Spur.

»Komm schon, Mensch!«

Er schaute erschrocken auf.

»Du bist eingedöst. Wir haben den EXPLORER-Verbund längst erreicht. Zeit für eine Konferenz.«

Elskalzi und er verließen als einzige Besatzungsmitglieder das LOVELY & BLUE-Segment. Die übrigen 17 Vironauten, von denen nur zwei Terraner waren, würden sich den Maßgaben der Konferenz anschließen. Zumindest hoffte Bull das – schließlich hatten alle Segmente die Möglichkeit, für sich allein ihrer Wege zu gehen.

Sie erzielten schnell Übereinkunft in allen Sachfragen. Auf Bulls Vorschlag hin wurde Absantha-Gom von »Norden« her angesteuert.

»So ist es das Sicherste«, stimmte Stronker Keen, Mentor aller derzeit verbundenen Segmente, bei. »Unsere Route meidet alle Patrouillen. Und auf einen Kontakt mit Kriegerschiffen sind wir schließlich nicht scharf.«

Bull wusste, dass der Hinweis in erster Linie ihm galt. Er war ein Toshin. Das Mal an der Stirn kennzeichnete ihn als Ausgestoßenen, der sich noch 85 Jahre lang der Willkür der Ewigen Krieger unterwerfen musste. Dann erst konnte er mit Irmina Kotschistowa die Mächtigkeitsballung ESTARTU verlassen.

»Bitte, entschuldigt mich«, bat er. »Stronker, du weißt ja, wohin es geht.«

»Was willst du tun?«

»Ich war zwei Wochen lang auf Straquus. Es ist an der Zeit, wieder einmal den Netzcoder abzufragen.«

Zuvor allerdings schaute er nach den gefangenen Kartanin. Beide saßen in einer Schleusenkammer, die Bull ihnen hergerichtet hatte. Meist gingen ihre Blicke teilnahmslos ins Leere. Zu anderen Zeiten wiederum tappten die deformierten Kartanin ziellos in der begrenzten Räumlichkeit umher. Dazu kamen dann gestammelte Sätze, manchmal auch nur Wortfetzen, und nicht einmal das künstliche Hirn der EXPLORER entdeckte Verstand darin.

»Nun zum Netzcoder«, murmelte Bull abwesend.

Der Netzcoder war ein Psi-Funk-Gerät, das er von den Gängern des Netzes erhalten hatte. Bull konnte damit die Informationsknoten des Psionischen Netzes sowohl abfragen als auch mit Daten beschicken. Der Netzcoder war starr eingebaut und reagierte ausschließlich auf Bulls Psi-Muster. Darüber hinaus würde eine Selbstvernichtungsschaltung ansprechen, sobald ein Unbefugter sein Geheimnis zu enträtseln suchte.

»Lässt du mich zusehen?«

Bull fuhr herum. Hinter ihm stand Stronker Keen, der Mentor der EXPLORER.

»Wenn du möchtest. Dies hier geht dich genauso an wie mich.«

Auf einem Bildschirmdisplay grenzte Bull den Kreis der interessanten Meldungen ein. Viele Lageberichte stellten die Situation in Siom Som nach dem Zusammenbruch der großen Kalmenzone dar. Andere lieferten Details zum neuen Verhältnis zwischen Animateuren und Ewigen Kriegern.

»Das ist alles nichts ... Aber hier! Eine Meldung von Testare. Sie betrifft das Kartanin-Rätsel.«

Per Knopfdruck ließ er den Text ausdrucken. So erfuhr er, dass der Psycho-Symbiont Alaska Saedelaeres sich verselbstständigt und Ernst Ellert, einen lange verschollenen Freund, getroffen hatte. Beide waren in erster Linie auf der Suche nach einem neuen Körper. Nebenher allerdings hatten sie die Koordinaten zweier weiterer Lao-Sinh-Welten aufgetan und abgespeichert.

»Da ist eine weiterführende Analyse, Bully.«

Erst in diesem Augenblick fiel ihm der Vermerk ins Auge, den offenbar sabhalische Analytiker hinzugefügt hatten. Die erste Welt, genannt Bansej, war offenbar mit Chanukah identisch. Bull hatte letztere Daten schon vor geraumer Zeit ins Informationssystem der Netzgänger gegeben. Die zweite »Neuentdeckung« namens Shallej befand sich wiederum von Kumai nur 5,5, von Bansej/Chanukah nur 5,2 Lichtjahre entfernt.

»Ich bin ein Esel!«, fluchte er. »Warum habe ich nicht genauer hingesehen, als wir Chanukah besuchten? Ich hätte wissen müssen, dass da ein ganzes Nest ist!«

»Beruhige dich, Bully«, meinte Stronker Keen, ohne eine Gemütsregung zu zeigen. »Schließlich ist keiner von uns darauf gekommen. Wie denn auch?«

»Ganz einfach: Die Kartanin haben weder Metagrav noch Virenschiffe. Deshalb wird die Entfernung für sie zum kritischen Faktor. Ist es nicht logisch, dass sie ihre Stützpunkte nahe beieinander anlegen?«

»Nicht unbedingt.«

Bull knurrte nur. Ein weiterer Knopfdruck ließ Zusatzanalysen erscheinen. Alle Informationen zusammengenommen deuten auf eine vierte Lao-Sinh-Welt im gleichen Sektor hin, stand dort. Dabei handelt es sich voraussichtlich um die bisher unentdeckte Zentralwelt der Lao-Sinh-Kartanin in ESTARTU.

»Siehst du das, Stronker?«, fragte Bull erregt. »Jetzt haben wir sie!«

»Vielleicht. Aber noch etwas ... Hast du dir angeschaut, wie die Kartanin ihre Systeme nennen? Shallej im Argonsystem, Kumai im Branderksystem. Und Bansej?«

»Shantsystem«, vervollständigte Bull grübelnd. »Das verstehe, wer will. Weshalb benannten die Kartanin eines ihrer Systeme nach dem Kleidungsstück, das alle Upanishad-Schüler zu tragen gewohnt sind? Wie dem auch sei – ich fühle, dass wir ganz nah dran sind, Stronker!«

Am 1. November 446 NGZ erreichten sie Absantha-Gom. Es hatte keinerlei Zwischenfälle gegeben. Darin lag einer der Hauptvorteile ihres engen Kontakts zu den Netzgängern: Sie waren stets über alle wichtigen Bewegungen der Gegenpartei informiert.

»Wie lange noch?«, fragte Bull. Einer der Bildschirme hatte das Branderksystem mit seiner fast winzigen weißen Sonne bereits eingeblendet. Es handelte sich um ein Simulationsbild. Sichtkontakt war noch unmöglich.

»Eine halbe Stunde«, gab Lavoree, Stronker Keens Gefährtin und Vertreterin, Auskunft. Sie hielt engen Kontakt zur Virensubstanz der EXPLORER.

»Dann bleibt Zeit genug.« Bull verließ die Zentrale und suchte einen kleinen Lagerraum auf. In der Mitte stand ein Container aus durchsichtigem Panzerplast, der eine unüberschaubare Menge winziger Kügelchen enthielt. Es handelte sich um 500.000 Paratau-Tropfen – exakt die Anzahl, die er mit Gucky auf Pinnafor erbeutet hatte. Sie bildeten den Köder in seinem Plan.

Das grüne Leuchten inmitten des Containers stammte von Paratronfeldern. Ohne Vorrichtungen dieser Art wäre die Substanz spontan verpufft, und dabei hätte sie unkontrollierbare Energien freigesetzt. Deflagration lautete der Fachbegriff. Hier lag das hauptsächliche Problem der Kartanin: Sie verfügten nicht über Paratronschirme. Deshalb waren sie gezwungen, Mitglieder ihrer eigenen Art als Wächter zu verheizen.

Mühelos schob Bull einen Antigravschlitten unter den Container. Seines Eigengewichts beraubt, hob das Behältnis ab und kam in 20 Zentimetern Höhe über dem Boden zum Stillstand. Bull musste nur noch dessen Trägheit überwinden und ihn vor sich her in die Zentrale dirigieren.

»Hallo, Bully! Was willst du hier mit dem Zeug?«

»Verhandeln, Stronker. Du wirst schon sehen. Haben uns die Kartanin bereits entdeckt?«

»Kaum. Wir sind zu weit entfernt.«

»Dann gib mir Daten über das Branderksystem.«

»Okay ... Vier Planeten, nichts Außergewöhnliches. Kumai ist Nummer zwei, eine Eiswelt ohne atembare Atmosphäre, zu wenig Sauerstoff für Menschen und Kartanin. Durchmesser: zwanzigtausendvierhundert Kilometer, Schwerkraft: null Komma zwei über Terranorm. Der Mond ähnelt Luna, auch im Durchmesser. In diesem ›Flugschreiber‹ von Pinnafor steht, dass er Maikum heißt.«

»Das reicht, Stronker. Ich denke, wir funken auf der Lao-Sinh-Welle, bevor die Kartanin uns in die Ortung bekommen. Vielleicht nützt uns der psychologische Vorteil. Sie sollen von unserer technologischen Überlegenheit wissen.«

Er gab Anweisung, zunächst sein Bild nach Kumai zu funken. Das künstliche Virenbewusstsein der EXPLORER sollte dabei alle prägnanten äußeren Merkmale herausfiltern. So würde auf den Bildschirmen der Lao-Sinh nur ein idealisiertes Terranergesicht erscheinen. Bull war schon zu häufig persönlich aufgetreten – er konnte es sich nicht leisten, aufgrund seiner Statur oder des Toshin-Mals erkannt zu werden. Im Hintergrund des Bildes hatte er die Paratau-Tropfen platziert.

»Jetzt!«

Er wusste nicht, ob er in diesen Sekunden auf Kumai empfangen wurde. Trotzdem erklärte er Sinn und Zweck ihrer Anwesenheit: »Wir verfügen über fünfhunderttausend Tropfen Paratau. Außerdem befinden sich drei Kartanin-Esper an Bord unseres Schiffs. Vielleicht kommen wir damit ins Geschäft.«

Weitere Erklärungen sparte er aus. Er beabsichtigte, die Kartanin auf Kumai über die Herkunft ihrer Artgenossen und des Parataus im Unklaren zu lassen. In groben Umrissen würden sie sich selbst einen Reim machen. Schließlich mussten bereits mehrmals Raumer aus Pinwheel verloren gegangen und gestrandet sein.

»Wir warten ab.«

Er musterte der Reihe nach die Vironauten, die sich im zentralen Steuerraum dieses Segments eingefunden hatten. Von über 100 Besatzungsmitgliedern waren es lediglich ein Dutzend. »Macht euch keine Sorgen darum«, meinte er, »außer mir begibt sich niemand in Gefahr.«

»Sag das nicht, Bully!«

Er fuhr herum. Stronker Keen stand an einem der Ortungsdisplays. 24 rote Punkte glommen dort auf und umgaben schließlich das grüne Licht in der Mitte mit einem Ring.

»Es sind kartanische Diskusraumer! Ich projiziere auf den Hauptbildschirm ...«

Unvermittelt fand sich Bull von einem nachtschwarzen Panorama umgeben. Aus der Dunkelheit erwuchsen simulierte, diskusförmige Umrisse. Farbige Blitze umhüllten die elf EXPLORER-Segmente und prallten ab, ohne Schaden anzurichten.

»Sie können uns nicht gefährden«, beruhigte Bull. »Trotzdem fliegen wir ein Ausweichmanöver, Stronker. Nicht mit voller Beschleunigung – aber schnell genug, dass sie von solchen Triebwerken nur träumen können.«

»Wird gemacht.«

Der Bildschirm war plötzlich wie leer gefegt. Statt der diskusförmigen Umrisse schälten sich ferne Sterne aus dem Dunkel.

»Sie können uns nicht folgen, Bully. Der Abstand reicht schon. Aber da ist ein Anruf per Hyperkom.«

»Vielleicht sind sie nun verhandlungsbereit. Auf den kleinen Bildschirm damit!« Er traf mithilfe der Virenintelligenz, der »Seele« des Schiffs, noch einmal das gleiche Arrangement wie vor drei Minuten. Im Vordergrund saß er selbst. Im Hintergrund stand neben ein paar Mitgliedern der Besatzung das Paratau-Behältnis.

»Hier ist die EXPLORER«, begann Bull. Sein Abbild erschien ausreichend verfremdet. »Weshalb werden wir beschossen? Haben wir nicht friedliche Verhandlungen angeboten?«

»Es handelt sich um ein Missverständnis. Mein Name ist Dri-Mei-H'ay. Ich bin die Protektorin des Planeten Kumai.«

Bull spürte die Skrupellosigkeit hinter diesen Worten. Wenn es um übergeordnete Belange ihres Volkes ging, hatten die Lao-Sinh-Kartanin schon oft hart durchgegriffen. Welche Motivation steckte dahinter?

»Wir haben es nicht anders erwartet«, log er ebenso unverfroren. »Dann nehmen wir also Verhandlungen auf?«

»So lautet unsere Absicht, Fremder. Ich lasse euch einen Orbit um Kumai anweisen.«

»Einen Orbit?« Bull erkannte den Gedanken dahinter. Im Orbit war die EXPLORER in Reichweite planetarer Waffensysteme. Trotzdem durften sie die Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen lassen. Eine Warteposition nahe bei Kumai kam seinen Plänen optimal entgegen.

»Wir benötigen kurze Bedenkzeit«, stellte er fest.

»Keine Bedenkzeit!« Dri-Mei-H'ays Ausruf kam hastig, als suche sie unter allen Umständen ihre angeschlagene Souveränität zu wahren.

»Das entscheiden wir. Ich rufe zurück.« Mit diesen Worten ließ Bull den Bildschirm verlöschen. »Was meinst du, Stronker?«

Der kräftige Mann zögerte nur kurz. »Ich bin dafür«, sprach er dann. »Eigentlich kann dem EXPLORER-Verbund nicht viel passieren. Die Virenschutzschirme sind vermutlich stärker als alles, was die Kartanin in Planetennähe einsetzen dürfen.«

»Lavoree?«

»Keine Einwände. Wir sind so weit gekommen; ich will wissen, was dahintersteckt.«

Ganz ähnlich äußerten sich, soweit im Steuerraum anwesend, auch die übrigen Vironauten.

»Dann werde ich also zusagen«, schloss Bull. Er wandte sich an die »Seele« des Virenschiffs: »Noch einmal Verbindung zu Dri-Mei-H'ay. Und sorge dafür, dass ich nicht erkannt werde!«

»He, Bully, schau mal!«, rief Lavoree. Während Stronker Keen die EXPLORER in den angewiesenen Orbit gelenkt hatte, war sie an den Orterschirmen geblieben. »Hier haben wir den Grund, weshalb die Kartanin so nervös sind.«

Auf dem Panoramaschirm zeichnete sich eine schattenhafte Kontur ab. Sie war fast 800 Meter lang und in langsamer Kreiselbewegung begriffen.

»Eine UMBALI-Endstufe«, staunte Bull. »Demnach ist gerade eine neue Ladung Paratau aus Pinwheel eingetroffen. Und wir kommen ihnen dabei in die Quere ... Eine ideale Gelegenheit zur Spionage!« Er rieb zufrieden seine Hände.

»Ein neuer Anruf von Dri-Mei-H'ay!« Das war der Mentor der EXPLORER.

»Übernimm du, Stronker«, erwiderte Bull. »Was bei den Verhandlungen herauskommt, ist mir egal. Hauptsache, ich werde mit den beiden Kartanin hinuntergebracht.«

Und, Lavoree zugewandt: »Ich könnte Hilfe brauchen. Wie ist es mit dir?«

»Warum nicht?«, antwortete die Frau zögernd. »Stronker kommt hoffentlich ohne mich klar.«

»Keine Angst. Das regelt er spielend.«

Gemeinsam suchten sie den Schleusenraum auf, worin Bull die beiden Esperinnen untergebracht hatte. Die »Seele« des Virensegments hatte ihnen gerade eine Schlaf-/Dunkelheit-Phase geschaltet. Trotzdem gewahrte Bull ziellose Bewegungen – die Kartanin litten Schmerzen.

Ein Lagerraum nebenan beherbergte ein simples Gestell. Darin lag die Maske aufgebahrt, in der er sich bei den Kartanin von Kumai einschleichen wollte.

»Du musst aufmerksam sein, Lavoree. Es bleiben nur fünf Minuten. Ich will in der Hälfte fertig sein. Zunächst ziehen wir den Füllkörper aus der Hülle.«

Er schob die versiegelten Ränder des Mittelschlitzes beiseite. Darunter kam sein Körperabdruck zum Vorschein. Bull griff mit beiden Händen zu. Lavoree schob indessen den Maskenstoff beiseite. Nach kurzem Zerren und Rücken lag nur noch ein schlaffer Lappen im Gestell – den Abdruck hatte er achtlos beiseitegelegt.

»Hinein mit mir ...«, murmelte er. »Hoffentlich hat Irmina gute Arbeit geleistet.«

»Ich glaube nicht, dass du dir darum Sorgen machen musst«, antwortete Lavoree.

Bull gab ihr im Stillen recht. Etwas zuversichtlicher legte er seine Kombination ab. Nur mit leichter Unterwäsche bekleidet, schob er zunächst die Beine vor und ertastete einen möglichst korrekten Sitz. Das Innenmaterial der Maske lag sanft haftend am Körper und würde weder erschlaffen noch Falten werfen.

Anschließend unterzog er sich mit Armen, Schultern und Rumpf der gleichen Prozedur. Eine Minute.

»Du hast deine Geräte vergessen, Bully. Ich werde die Innentaschen nicht finden.«

Fluchend zog er den rechten Arm zurück. Lavoree reichte ihm nacheinander den kleinen Paralysator, den er unter der linken Achselhöhle verstaute, dann den Psi-Kom, der über dem Kehlkopf Platz fand, und zuletzt einen Vocoder, der seine Stimmlage verzerren würde. Nahrungsbehältnisse waren bereits in den Fußsohlen eingebaut. Sie konnten ihn, falls notwendig, per Infusion mit allem Nötigen versorgen.

»Das ist alles, Bully.«

Wortlos schloss er die Maske über seinem Kopf. Die Sauerstoffzufuhr war okay. »Kannst du mich hören?«

»Perfekt! Jetzt klingst du wie eine der Kartanin.«

»Dann können wir die Maske schließen. Du musst die Bioplaststreifen abziehen. Anschließend sorgst du dafür, dass beide Schlitzkanten aufeinanderliegen.«

Die Frau folgte seiner Anweisung. Innerhalb weniger Augenblicke hatte sich der Riss geschlossen. Bull verfolgte auf einer spiegelnden Fläche, wie Pelz über die Narbe wuchs und sie schließlich spurlos verhüllte.

»Steh auf, Bully!«

Mühsam erhob er sich. Er tat ein paar stelzende Schritte. Bis zur Übergabe musste er gewohnt sein, die Maske zu bewegen. Ein großes Problem sah er nicht darin, waren doch auch die beiden Kartanin in ihrer Bewegungsfähigkeit stark eingeschränkt.

»Also dann: auf in die Zentrale!«, meinte er. Von der Maske verborgen, schaute er lange in Lavorees schwarze, mandelförmige Augen. Ein wenig erinnerte sie ihn an Irmina. Auch die langen schwarzen Haare waren ganz ähnlich ...

Mit einem Kopfschütteln verscheuchte er den Gedanken. »Du könntest mir Glück wünschen, Lavoree.«

»Das werde ich, Bully.«

Eine knappe Stunde später befand er sich an Bord der LOVELY & BLUE.

3. Erinnerungen eines Kriegers

Ijarkor sah sich um. So lebendig war die Vergangenheit vor seinem geistigen Auge geworden, dass er sich in der Gegenwart erst wieder orientieren musste. Er befand sich im Dashid an Bord der SOMBATH, und die SOMBATH stand in Begleitung einer aus insgesamt 8000 Einheiten bestehenden Flotte zwei Lichttage außerhalb des Ephytrasystems.

Er hatte eine gehörige Dosis Kodexgas eingeatmet, und ein wesentlicher Teil seiner bisher für verloren gehaltenen Erinnerungen war wieder an die Oberfläche des Bewusstseins gespült worden.

Als er damals Etustar verließ, hatte er sich an nichts mehr erinnern können. Er hatte das Feuer ESTARTUS in sich gespürt. Er war überzeugt, dass die Mächtige ihm ihre besondere Gunst geschenkt habe. Er hatte sich voller Eifer in ein neues Projekt stürzen wollen, zu dem ihm die Idee von ESTARTU selbst eingegeben worden war: In der Kernzone von Siom Som würde er ein Netz gigantischer Transmitterstationen errichten. Die Stationen gedachte er Heraldische Tore zu nennen, und sie würden das estartische Wunder von Siom Som sein.

Die doppelte Dosis ESTARTU-Atem, die Sh'rolk ihm hatte angedeihen lassen, war lange Zeit wirksam gewesen. Über Jahrtausende hinweg hatte Ijarkor keine Zweifel an der Existenz des Überwesens oder an der eigenen Berufung zum Herrscher einer ganzen Galaxis gekannt. Aber dann war die Ungewissheit zurückgekehrt. Daran erinnerte er sich – undeutlich nur, weil sein Gedächtnis noch nicht so weit reaktiviert war, dass er die Einzelheiten dieser weitaus späteren Epoche hätte erkennen können. Aber noch ein oder zwei Sitzungen im Dashid, und er würde sich an alles Wesentliche erinnern, was in seinem Leben je geschehen war.

Vom Dashid kehrte er in sein Privatquartier zurück und wechselte die Kleidung. Er legte eine Kombination an, die er früher gerne getragen hatte. Sie war einteilig aus schwarzen und silbernen Stoffen gearbeitet. Der Kragen wölbte sich steil nach oben, als suche er mit dem Kinn Kontakt. Auf dem Brustteil prangte das Symbol des Dritten Weges: das Dreieck mit den drei Pfeilen. Über die Hüfte schnallte er sich einen breiten Gurt, der mit Mikrogeräten und ihren Bedienungselementen gespickt war.

So ausgestattet, kehrte er in den Raum zurück, in dem Srolg auf ihn wartete. Er schritt zu dem Podest, das sich im Mittelpunkt der Halle aus dem spiegelnden Boden erhob, und nahm in dem wuchtigen Sessel Platz, der vom Umfang und der Ausstattung her eher einem Thron glich.

Srolg kauerte an der Wand. Den langen Schwanz hatte er sich um den Arm gewickelt. Wie er so dahockte und den Ewigen Krieger mit nachdenklichem Blick musterte, bot er den Eindruck vollendeter Harmlosigkeit.

»Wir greifen an«, sagte der Krieger.

»Gut«, lobte Srolg. »ESTARTUS Atem hat seine Wirkung getan. Wo wirst du angreifen?«

»Cursaafhar, wo sonst?«, erwiderte Ijarkor knapp.

»Mit der konzentrierten Feuerkraft der gesamten Flotte.«

»Ich suche den, der gegen die Majestät des Ewigen Kriegers gelästert hat«, erklärte Ijarkor mit gelassener Würde. »Ich will ihn bestrafen und die, die mit ihm zusammenarbeiten.«

»Du willst Cursaafhar nicht vernichten?«, fragte Srolg ärgerlich.

Ijarkor gab ein verächtliches Zischen von sich. »Cursaafhar ist eine Ansammlung von Wracks«, sagte er. »Was gibt es da zu vernichten?«

»Du bist ein Weichling, Krieger!«, schrie der Zwerg. »Du verstehst das Prinzip des Kampfes nicht mehr.«