Perry Rhodan 170: Strangeness-Rhapsodie (Silberband) - Perry Rhodan - E-Book

Perry Rhodan 170: Strangeness-Rhapsodie (Silberband) E-Book

Perry Rhodan

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Beschreibung

Tarkan gilt als sterbendes Universum – es ist dem Untergang geweiht. Einige seiner Bewohner haben offenbar einen unglaublichen Plan geschmiedet: Sie wollen ganze Planetensysteme in die Nähe der Milchstraße transferieren, vielleicht sogar eine komplette Sterneninsel. Dabei nehmen sie keine Rücksicht. Es kommt zu bewaffneten Konflikten mit den Menschen und anderen Raumfahrern, die teilweise sofort angegriffen werden. Die sogenannte Strangeness eines fremden Kosmos' verwirrt zusätzlich Raumfahrer und Technik. Zur gleichen Zeit hält sich Perry Rhodan in dem anderen Universum auf. Der Terraner steckt in Nöten, man will ihm helfen. Eine Hilfsflotte soll die Grenzen zwischen den Universen überwinden …

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Seitenzahl: 536

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Nr. 170

Strangeness-Rhapsodie

Cover

Klappentext

1. Brennpunkt Pinwheel

2. Iruna

3. Die Gegenwart der Vergangenheit

4. Erstflug

5. Die Rückkehr des Kaisers

6. Planungen – und eine Spur

7. Die Verräterin

8. Eirenes Alleingang

9. Dämmerung über Kartan

10. Amoklauf der Wissenden

11. Der Königstiger

12. Erkenntnisse und Reflexionen

13. Die Spur der Hauri

14. Im Chaos von Tarkoon

15. Im System des Roten Riesen

16. Projekt Septembermorgen

17. Vira

18. Fremdes Land Hangay

19. Ränke auf Doguang

20. Zwölf Raumschiffe nach Tarkan

Nachwort

Zeittafel

Impressum

Tarkan gilt als sterbendes Universum – es ist dem Untergang geweiht. Einige seiner Bewohner haben offenbar einen unglaublichen Plan geschmiedet: Sie wollen ganze Planetensysteme in die Nähe der Milchstraße transferieren, vielleicht sogar eine komplette Sterneninsel.

Dabei nehmen sie keine Rücksicht. Es kommt zu bewaffneten Konflikten mit den Menschen und anderen Raumfahrern, die teilweise sofort angegriffen werden. Die sogenannte Strangeness eines fremden Kosmos' verwirrt zusätzlich Raumfahrer und Technik.

1. Brennpunkt Pinwheel

Tovari Lokoshan war halb tot, als auf den Bildschirmen der Panoramagalerie seines Raumschiffs wieder Sterne zu sehen waren.

Der Cybermed seines SERUNS ließ jedoch nicht zu, dass er starb. Er stellte mithilfe seiner zahlreichen Sensoren eine Diagnose und leitete ohne Verzögerung die Behandlung ein.

Die türkisfarbene Statuette, die auf dem Hauptschaltpult vor dem Kamashiten stand, schien keinerlei Funktionen zu erfüllen. Sie stand einfach nur da und wirkte geheimnisvoll; vielleicht, weil ihre Formen leicht verschwommen aussahen und sich keine Einzelheiten des Gesichts sehen ließen.

Anders der zwei Meter große, hominid geformte Roboter, der rechts neben dem Kontursessel Lokoshans stand. Seine Augenzellen glühten kirschrot, und die beweglichen Finger der stählernen Hände tippten unablässig auf Sensorpunkte des Hauptschaltpults.

Die Folge davon war, dass die Ortungssysteme der BANSHEE zu hektischer Tätigkeit erwachten und ihre Messergebnisse des Hauptrechners übermittelten, der sie auswertete und auf Daten- und Bildschirmen sichtbar machte.

Noch konnte Tovari nichts damit anfangen. Erst allmählich erholte sich sein Körper so weit, dass die Bewusstlosigkeit wich und der Geist wieder aufnahmefähig wurde. Tovari Lokoshan öffnete die Augen und nahm das Abbild des Sternengewimmels in sich auf, das sich ihm auf dem Frontsektor der Panoramagalerie bot.

Er brachte ein schwaches Lächeln zuwege, als er vor sich die Statuette sah, die ihm den Rücken zuwandte und ebenfalls den Frontsektor der Panoramagalerie zu mustern schien.

Lullog!

Er erinnerte sich daran, dass er mit seiner Kogge – er betrachtete sie in seiner unkomplizierten Art als seinen Besitz, obwohl sie rechtmäßig dem PIG-Außenposten Hitchi in M 33 gehörte – von dem Gigantschiff KLOTZ beziehungsweise NARGA PUUR gestartet war. Der Arkoniden Atlan hatte ihn beauftragt, die Rückkehr aus dem Dunklen Himmel in der Mächtigkeitsballung ESTARTU zur Galaxis M 33 in der Lokalen Gruppe zu versuchen.

Mehr als ein Versuch hätte das normalerweise nicht sein können – und er wäre mit großer Wahrscheinlichkeit zum Scheitern verurteilt gewesen, denn eine Kogge war kein intergalaktisches Verkehrsmittel. Doch die Trurthar-Kolonie der NARGA PUUR hatte ihre unbegreiflichen Fähigkeiten mit denen Lullogs verbunden, um seine »Nussschale« über die Abgründe von Raum und Zeit zu katapultieren.

Der Kamashite empfand Bewunderung für die Leistung der Natur, eine solch außergewöhnliche Lebensform wie die Trurthar-Kolonie hervorgebracht zu haben. Er hatte auf der NARGA PUUR nur so etwas wie hauchdünne schwarze Schleier von ihr gesehen, aber sofort gespürt, dass hinter dieser Erscheinung ein Wesen steckte, das eine Art Kondensat war, entstanden bei der Berührung der immateriellen Schranken zwischen zwei Universen.

Er erschauderte, als er daran dachte, was Atlan ihm über das sterbende Universum Tarkan und über den Galaxientransfer von dort ins Standarduniversum erklärt hatte. Es war nur ein stichwortartiger Bericht gewesen, denn die turbulenten Ereignisse im Dunklen Himmel und im Garten ESTARTUS hatten keine Zeit für eine ausgiebige Kommunikation gelassen, und doch begriff Tovari, dass eine Zeit ungeheuerlicher Vorgänge angebrochen war.

In der Mächtigkeitsballung von ESTARTU herrschte das Chaos, ausgelöst durch die explosive Deflagration gewaltiger Mengen von Paratau und durch die dadurch hervorgerufene Abwehrreaktion des Kosmonukleotids DORIFER. Die Destabilisierung des Psionischen Netzes hatte die in den zwölf Galaxien von ESTARTU auf Enerpsi basierende Raumfahrt zusammenbrechen lassen und damit den Kollaps aller raumfahrttreibenden Zivilisationen eingeleitet.

In der Lokalen Gruppe sollte sich das nicht so schlimm auswirken, denn dort war man nicht abhängig vom Enerpsi-Antrieb und vom Psi-Kom. Dafür waren Teile der Galaxis Hangay aus dem Universum Tarkan materialisiert – und sie hatten ihre eigene Raum-Zeit mitgebracht und dadurch die Raum-Zeit-Struktur des betroffenen Raumsektors erschüttert.

Tovari hatte das zu spüren bekommen, bevor er mit der BANSHEE in den KLOTZ und damit in die Mächtigkeitsballung ESTARTU verschlagen worden war. Er fragte sich, ob die Zustände innerhalb von M 33 sich inzwischen gebessert hatten.

Falls er sich überhaupt in M 33 befand, denn noch wusste er nicht, ob der Versuch gelungen war.

»Wie ich sehe, bist du fleißig gewesen«, bemerkte Tovari, an David gewandt, den Roboter, den er auf der NARGA PUUR erbeutet hatte. »Weißt du schon, zu welcher Galaxis dieses Sternengewimmel gehört?«

»Der Bordrechner sagt aus, dass wir uns in der Galaxis Pinwheel befinden«, antwortete der Roboter. »Demnach ist unser Versuch fehlgeschlagen, denn wir wollten ja nach M 33.«

»Pinwheel und M 33 sind identisch, du taube Nuss!«, entgegnete der Kamashite vergnügt. »Es ist also gelungen!« Er rieb sich die Hände. »Jetzt muss ich nur herausbekommen, wo ich Iruna finden kann. Vielleicht wissen die Kartanin etwas über sie. Fliegen wir also nach Kartan! «

Als die BANSHEE in den Normalraum zurückfiel, hatte sie eine Strecke von rund 600 Lichtjahren zurückgelegt und befand sich im sternenlosen Raum zwischen dem Kugelsternhaufen Natuum im Halo von M 33 und der sogenannten galaktischen Ebene. Absolut sternenlos war dieses Gebiet allerdings nicht; der rote Riesenstern, den Tovari Lokoshan in einer Entfernung von höchstens zehn Lichtstunden ausmachen konnte, bewies dies.

Die nächste Entdeckung bestand aus der Sichtung von drei Großraumschiffen, die in einer lockeren Formation flogen und zwischen denen die BANSHEE in den Normalraum zurückgekehrt war.

Es waren Schiffe, wie der Kamashite sie nie zuvor gesehen hatte. Er erschrak.

Den Besatzungen der fremden Schiffe schien es ähnlich zu gehen. Jedenfalls stoben sie jäh nach drei verschiedenen Richtungen auseinander. Sie eröffneten jedoch nicht das Feuer.

»Neue Überlichtetappe einleiten!«, befahl Tovari dem Syntron seines Schiffes.

Während die BANSHEE beschleunigte, ließ er sich ein Ortungsbild eines der drei fremden Schiffe auf einen Schirm seines Schaltpults projizieren. Nachdenklich musterte er die seltsame, dreifach untergliederte Konstruktion.

Insgesamt betrug die Länge 300 Meter und der größte Durchmesser 40 Meter. Der Bugteil war 75 Meter lang und verjüngte sich nach vorn bis auf 15 Meter Durchmesser an der abgeplatteten Bugspitze. Das Mittelschiff war ebenso lang und hatte die Form eines sich nach hinten verjüngenden Zylinders mit 30 Meter größtem und zehn Meter kleinstem Durchmesser. Der Heckteil war ebenfalls ein konisch geformter, sich nach hinten verjüngender Zylinder, der mit 150 Metern Länge so groß war wie die beiden anderen Teile zusammen.

»Das sind weder Kartanin noch Maakar«, stellte der Kamashite fest. Und als die BANSHEE kurz darauf in den Hyperraum ging, sinnierte er: »Ich bin gespannt darauf, ob wir die Fremden wiedersehen werden. Wie denkst du darüber, Lullog?«

»Sie sind nicht absolut fremd, Gebieter«, erklärte der Erbgott. »Die Auren ihrer Zellkernstrahlung sind verwandt mit der entsprechenden Aura des Humanoiden auf der NARGA PUUR, der mit den Pterus von Etustar paktierte.«

»Was?«, entfuhr es Tovari. »Das war im Dunklen Himmel, rund vierzig Millionen Lichtjahre entfernt! Es kann sie doch nicht hier wie dort geben!«

»Darüber will ich nicht urteilen«, erwiderte Lullog. »Ich habe dich nur über eine Feststellung informiert. Übrigens habe ich noch etwas anderes festgestellt.«

»Und das wäre?«, fragte Tovari wissbegierig.

»Du musst jetzt sehr stark sein, Gebieter!«, verlangte Lullog.

Der Kamashite wurde blass. »Sehr stark? Was soll das heißen? Hast du eine schlechte Nachricht für mich, du Figur?«

»Vermutlich ja«, erklärte Lullog. »In einem der fremden Schiffe habe ich die Restemissionen der Zellkernstrahlung einer Person aufgespürt, die mit Iruna von Bass-Teth identisch gewesen sein muss.«

»Gewesen sein muss?«, wiederholte Tovari entsetzt. »Bedeutet das, sie lebt nicht mehr?«

»So ist es, Gebieter«, antwortete der Erbgott. »Iruna von Bass-Teth ist tot, und ihr Körper scheint sich tiefgefroren an Bord eines der fremden Schiffe zu befinden.«

»Sie ist tot!«, flüsterte Tovari Lokoshan fassungslos. »Die kleine Bansheeroom ist tot! Wie soll ich das nur Atlan beibringen? Er wird vor Schmerz den Verstand verlieren.«

Plötzlich stutzte er, packte die türkisfarbene Statuette mit beiden Händen und schrie sie an: »Wenn sie tot ist, warum bewahren die Fremden sie dann tiefgefroren auf? Vielleicht ist noch eine Spur von Leben in ihr.«

»Das ist nicht auszuschließen«, erwiderte Lullog. »Meine psionischen Wahrnehmungen wurden zu früh unterbrochen, als die BANSHEE in den Hyperraum ging.«

»Dann müssen wir die Fremden wiederfinden!«, sagte Tovari mit grimmiger Entschlossenheit. »Und du musst mir dabei helfen, du Erzgnom!«

»Das will ich gern tun, Gebieter, aber wie wir die Fremden wiederfinden können, weiß ich nicht.«

»Irgendwie!«, entgegnete Tovari und stellte die Statuette so hart auf den Schalttisch zurück, dass die Platte einen Sprung bekam.

Als die BANSHEE diesmal in den Normalraum zurückfiel, befand sie sich inmitten des Sternengewimmels der galaktischen Ebene von M 33.

»Nähe des Zentrumssektors«, stellte Tovari nach einem sachkundigen Blick über die gesamte Panoramagalerie fest. »Dann dürfte es nicht mehr allzu weit bis zum Guunensystem mit dem Planeten Kartan sein. Wir kommen ganz schön herum, Lullog.«

Er kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen, als der Ortungsalarm durch die Zentrale gellte. »Drei Schiffe in vierzehn Lichtsekunden Entfernung auf Annäherungskurs«, meldete der Syntron.

»Ausschnittvergrößerung!«, verlangte Tovari.

Als er sie in der Vergrößerung sah, erkannte er Schiffe vom gleichen Typ wie die drei Schiffe, denen Tovari erst kürzlich begegnet war.

Drei!

Es riss den Kamashiten vom Sessel, als er begriff, dass die Trimaran-Schiffe nicht nur vom gleichen Typ waren wie die, denen er bereits begegnet war, sondern dieselben. Und auf einem von ihnen befand sich Iruna von Bass-Teth!

»Was soll ich tun?«, wandte er sich an Lullog. »Kannst du Iruna herüberholen?«

»Es ist ein Funken Leben in ihr«, teilte ihm Lullog mit. »Unter diesen Umständen wäre es zu riskant, sie räumlich oder zeitlich zu versetzen. Sie befindet sich in einem Tiefkühlbehälter, in dem Prozesse ablaufen, die ich nicht alle durchschaue. Nein, Gebieter, ich werde sie nicht herüberholen.«

»Schiffe unterschreiten unsere Sicherheitsentfernung«, meldete der Syntron. »Paratronschirm wird aktiviert. Schiff ist klar zum Gefecht.«

»Nein!«, schrie Tovari aufgebracht. »Nicht kämpfen! Wir dürfen Iruna nicht gefährden. David, stelle Funkkontakt zu den Schiffen her!«

Der Roboter gehorchte.

Nur wenige Sekunden später erhellte sich der Bildschirm des Hyperkoms, und das Abbild eines humanoiden Wesens wurde sichtbar, das auf den ersten Blick mit jenem identisch zu sein schien, das der Kamashite an Bord der NARGA PUUR gesehen hatte, und das weitgehend dem »Goldenen« ähnelte, den Tovari vor rund einem halben Jahr in einem Sarkophag unter der Oberfläche des Eisplaneten Mushak entdeckt hatte.

Schnell trat Tovari in den Erfassungsbereich der Aufnahmeoptik des Hyperkoms und sagte auf Sothalk – und damit in der Sprache, die der Hominide auf der NARGA PUUR ebenso wie die Pterus von Etustar verwendet hatte – zu dem Fremden: »Tovari Lokoshan an Bord des Schiffes BANSHEE. Ich würde gern friedlichen Kontakt zu euch aufnehmen und Informationen austauschen. Seid ihr dazu bereit?«

»Wir sind dazu bereit «, erklärte der Fremde in derselben Sprache. »Mein Name ist Shazar tum Reel, und ich spreche von Bord des Schiffes SETNAR-METEM. Woher kennst du diese Sprache, die Sothalk genannt wird?«

»Das ist eine Sprache, die die Sothos in meine Heimatgalaxis mitbrachten«, beantwortete er Shazars Frage.

»In diese Galaxis?«, fragte Shazar.

»Nein, in eine andere Galaxis«, erwiderte Tovari.

»Nennt man sie Milchstraße?«, fragte Shazar weiter.

Dem Kamashiten gefiel diese Ausfragerei nicht, aber noch wollte er nicht abweisend reagieren. »So ist es!«, sagte er darum.

»Von dort stammen unsere Gegner, die sich Galaktiker nennen«, erwiderte Shazar. »Und sie besitzen Raumschiffe, wie du eines besitzt. Du siehst so ähnlich aus wie sie. Bist du auch ein Galaktiker?«

»Ich bin ein Kamashite«, erklärte Tovari. »Wir Kamashiten leben zwar in derselben Galaxis wie diese Galaktiker, haben uns jedoch nie mit ihnen verbrüdert. Wir sind unabhängig. Und ich besitze ein Raumschiff der Galaktiker, denn ich habe es aus ihren Beständen organisiert. Deswegen sind sie hinter mir her. Ich hoffe, sie haben inzwischen meine Spur verloren.«

»Es scheint dir niemand zu folgen«, erwiderte Shazar. »Aber uns hast du nicht abhängen können.«

»Das wollte ich gar nicht«, sagte Tovari. »Welchem Volk gehörst du eigentlich an – und wo ist eure Heimat?«

»Ich bin ein Hauri!«, erklärte Shazar stolz und legte eine Hand auf das »Sonnensymbol«, das die rechte Brustseite seiner kakifarbenen Raumkombination zierte, eine Halbkugel, aus der sechs Strahlenzacken hervorragten, deren Größe von links nach rechts zunahm.

Zum ersten Mal fiel dem Kamashiten die tiefe und volltönende Stimme Shazars auf – und er erinnerte sich wieder daran, dass auch der Hauri auf der NARGA PUUR so gesprochen hatte.

»Eure Heimat ist nicht die Galaxis M 33«, stellte Tovari fest.

»Wir kommen aus der Galaxis Hangay«, erwiderte Shazar. »Genug der Förmlichkeiten! Ich lade dich auf mein Schiff ein, Tovari Lokoshan. Sei mein Gast!«

Tovari warf einen schnellen Blick auf Lullog und schob seine Bedenken gegen die Annahme der Einladung Shazars beiseite, als er das Farbenspiel n-dimensionaler Energien über die Oberfläche des Erbgotts geistern sah, das ein »Charakteristikum von Zeitkind« gewesen war. Es erlosch sofort wieder, aber Tovari wusste, dass Lullog ihm damit signalisiert hatte, dass er sich auf ihn verlassen konnte und deshalb furchtlos an Bord der SETNAR-METEM gehen durfte.

»Ich nehme die Einladung an«, sagte er.

Die Schleusenkammer war groß. Das musste sie sein, denn sonst hätten die 36 haurischen Raumsoldaten, die ein Spalier bildeten und Furcht einflößende Strahlgewehre präsentierten, kaum Platz darin gefunden.

Tovari Lokoshan fürchtete sich allerdings nicht, denn er trug den Erbgott der Lokoshans unter dem linken Arm. Aufmerksam musterte er die Hauri, während er durch das Spalier ging. Sie trugen kakifarbene Raumkombinationen wie Shazar tum Reel und auf den rechten Brustseiten das Symbol der sechsfach gezackten Sonne.

Und sie waren alle circa zwei Meter groß und unglaublich dürr. Ihre Haut, die das Aussehen von zundertrockenem, dunkelbraunem Leder hatte, schien unmittelbar auf den Knochen zu liegen, und ihre Gesichter ähnelten den Gesichtern menschlicher Totenköpfe. Dieser Eindruck wurde verstärkt durch die großen, tiefen Augenhöhlen, auf deren Grund kleine Augen saßen.

»Willkommen an Bord!«, begrüßte Shazar tum Reel seinen Gast, als Tovari das Spalier durchschritten hatte.

»Danke!«, erwiderte Tovari und blickte zu dem Hauri auf, der ihn mit seinen zwei Metern um rund 50 Zentimeter überragte.

»Bitte, folge mir!«, sagte Shazar, machte kehrt und verließ die Schleusenkammer durch das offene Innenschott. Andere Hauri, anscheinend Schiffsoffiziere, schlossen sich den beiden ungleichen Wesen an.

Zuerst ging es zur Hauptzentrale, wo Shazar seinen Gast mit dem Kommandanten bekannt machte. Shazar war demnach nicht Kommandant der SETNAR-METEM, sondern Kommandeur des Dreierverbands. Doch das hatte sich Tovari längst selbst zusammengereimt.

Der Besichtigung der Hauptzentrale folgte eine Besichtigung anderer Schiffssektionen. Doch Tovaris Hoffnung, dabei Iruna von Bass-Teth zu sehen, erfüllte sich nicht, obwohl sie sich an Bord der SETNAR-METEM befand, wie der Erbgott ihm mitteilte.

Nach der Schiffsbesichtigung führte Shazar den Kamashiten in eine große, mit gelbem Licht erfüllte Halle, in der Tische und Bänke aufgereiht standen. Auf jedem Tisch standen zwei Reihen von Schüsseln und großen Bechern.

Ahnungsvoll sog Tovari die Luft ein. Sie roch verbrannt und säuerlich und gar nicht appetitanregend.

Als Shazar stehen blieb, blieb auch Tovari stehen und schöpfte neue Hoffnung, dass die Tische nicht seinetwegen gedeckt worden seien.

Seine Hoffnung schmolz indes dahin, als ein Hauri in bläulich schillerndem, togaähnlichem Gewand aus dem Korridor, durch den sie in die Halle gekommen waren, schritt und sich feierlich auf den mittleren Tisch zubewegte.

Dort blieb er stehen, streckte beide Arme waagerecht nach vorn und sagte etwas, das wie »Vanu allam« klang und kein Sothalk-Wort zu sein schien, sondern wahrscheinlich der haurischen Sprache entstammte. Tovari vermutete, dass der Hauri etwas Ähnliches wie »guten Appetit« gesagt hatte, aber er revidierte sich, als der Buntgekleidete die Arme senkte und zu sprechen anfing.

Wieder benutzte er eine andere Sprache als das Sothalk – und obwohl Tovari Lokoshan sofort die Positronik seines SERUNS beauftragte, ihre Translatorfunktion aufzunehmen, kam keine Übersetzung zustande. Der aufgenommene Wortschatz war offensichtlich zu klein für eine Computeranalyse.

Nachdem der Buntgekleidete geendet hatte, murmelten die Hauri hinter Tovari ein Wort, das er ebenfalls nicht verstand, dann drängten sie in den Saal.

Der Kamashite bemerkte, dass ihre Zahl unterdessen auf circa 60 Personen angewachsen war und dass sie sich auf die Bänke verteilten. Shazar ging ebenfalls auf einen der Tische zu – und wieder folgte ihm Tovari –, und als Shazar sich auf einer Bank niederließ, setzte Tovari sich neben ihn.

Als alle Plätze belegt waren, setzte sich der Buntgekleidete ebenfalls. Als hätte er damit ein Kommando gegeben, ergriffen alle Hauri die neben den Schüsseln liegenden zweizinkigen Gabeln und fielen damit über den Inhalt der Schüsseln her, als hätten sie seit Tagen gefastet.

»Iss und trink!«, forderte Shazar den Kamashiten auf.

Tovari starrte auf den Inhalt seiner Schüssel, der eine fatale Ähnlichkeit mit nassem Heu hatte und auch so roch. Dann hängte er sein Gesicht über den großen Becher und schnüffelte an der Flüssigkeit von milchig grüner Konsistenz, mit der er angefüllt war. Sie roch säuerlich und muffig. Angewidert wich der Kamashite zurück.

»Du musst essen!«, flüsterte ihm Shazar ins Ohr. »Die Einnahme der Mahlzeit ist eine heilige Handlung, die nicht gestört werden darf. Außerdem sind unsere Speisen allen nicht absolut fremdartigen Lebewesen zuträglich.«

Tovari zwang seinen Magen dazu, nicht in seinen Mund zu steigen. »Was ist das?«, flüsterte er. »Habt ihr kein Petersiliengelee oder so etwas?«

»Wir haben nur zwei Speisen«, antwortete der Hauri. »Urkhiitu und Ponaa. Urkhiitu schärft den Verstand und befähigt dazu, das gewaltige Geschehen der Vollendung zu verstehen. Ponaa stärkt den Körper und gibt ihm die Kraft, die er braucht, um den Willen des Herrn Heptamer erfüllen zu können. Andere Nahrungsmittel gibt es nicht, und wer die heilige Handlung der gemeinsamen Mahlzeit stört, begeht einen unverzeihlichen Frevel.«

Widerwillig nahm Tovari Lokoshan seine Gabel, stocherte in dem »nassen Heu« herum, brachte es aber nicht über sich, etwas davon in den Mund zu nehmen.

Rote Grütze!, dachte er verbittert. Dieser ganze abscheuliche Fraß soll sich in rote Grütze verwandeln – und das Gesöff soll zu Bier werden!

»Wie du befiehlst, Gebieter!«, sagte Lullog auf seine unnachahmliche Art, die seine Worte nur die hören ließ, die sie hören sollten.

Tovari merkte plötzlich, dass er mit der Gabel in roter Sagogrütze herumstocherte, über die dickflüssige Sahne ausgegossen war. Schnell beugte er sich vor und überzeugte sich davon, dass sein Becher nun Bier statt der ekelhaften »Flüssigkeit« enthielt.

Die essenden Hauri merkten es etwas später, als sie schon etwas rote Grütze gegessen und an dem Bier genippt hatten. Entsetzensschreie ertönten. Mehrere Hauri steckten die Köpfe unter die Tische und schienen sich absichtlich zu erbrechen.

Der Hauri in dem bläulich schillernden, togaähnlichen Gewand schleuderte seine Gabel in heller Wut auf den Tisch, erhob sich abrupt und ging mit großen, hastigen Schritten aus dem Saal.

Alle übrigen Hauri hörten zu essen auf, dann starrten sie Tovari feindselig an und gingen ebenfalls hinaus. Nur Shazar tum Reel blieb sitzen und bewahrte seine Fassung.

Tovari wunderte sich darüber, bis er bemerkte, dass der Kommandeur unverwandt den Erbgott anstarrte. Der Kamashite fröstelte. Noch nie hatte jemand die Rolle Lullogs in voller Konsequenz durchschaut, denn dazu gehörte mehr als einfaches logisches Denken und durchschnittliches Kombinationsvermögen. Shazar tum Reel hatte sich als gefährlicher Gegenspieler entpuppt.

Hastig erhob sich Tovari.

»Sitzen bleiben!«, befahl Shazar leise, aber eindringlich.

»Die Mahlzeit ist beendet«, stellte Tovari fest. »Warum darf ich nicht gehen?«

»Die Mahlzeit wurde durch einen beinahe unglaublichen Zwischenfall unterbrochen«, sagte Shazar. »Durch einen Zwischenfall, der sich nur erklären lässt, wenn man die gezielte Einwirkung quasi omnipotenter psionischer Kräfte unterstellt.« Er deutete auf Lullog. »Ich habe gleich erkannt, dass das keine gewöhnliche Statuette ist, sondern eine Art Kraftzentrum.«

»Lullog ist kein Lebewesen, sondern ein Produkt von Super-Hightech«, protestierte der Kamashite. Er presste die Lippen zusammen, als er merkte, dass er sich ungewollt verraten hatte.

»Lullog heißt dieses Kraftzentrum also«, stellte Shazar tum Reel selbstzufrieden fest. »Wie funktioniert es?«

»Ich sage gar nichts mehr«, erklärte Tovari.

Er wollte hinzufügen, dass jeder Versuch des Hauri, sich den Erbgott der Lokoshans anzueignen, von Lullog vereitelt werden würde, doch er unterließ es, als er hörte, dass Lullog ihm sagte: »Er denkt, ich könnte von großem Wert für ihn sein. Da bin ich sicher, obwohl mir seine Gedanken ansonsten verschlossen bleiben. Warum nutzt du nicht die Gelegenheit, die sich dir anbietet? Tausche mich gegen Iruna von Bass-Teth ein!«

Ich darf den Erbgott meiner Familie nicht an jemanden hergeben, der Missbrauch mit seinen Fähigkeiten treiben will!, begehrte Tovari auf.

»Deswegen bleibst du nach wie vor mein Gebieter«, gab Lullog zurück. »Ich werde auch in Shazars Besitz nichts tun, was gegen deine ethischen und moralischen Prinzipien verstößt, und ich werde irgendwann zu dir zurückkehren.«

Tovari konnte der Versuchung nicht länger widerstehen. »Du begehrst Lullog?«, wandte er sich an den Hauri. »Welchen Preis würdest du für ihn bezahlen?«

»Meine ewige Freundschaft zu dir und meinen Schutz vor den Galaktikern«, antwortete Shazar. »Vorausgesetzt, du verrätst mir, wie ich Lullog benutzen kann.«

»Du brauchst ihm nur zu sagen, was er tun soll – und er wird zu dir sprechen, ohne dass Unbefugte mithören können«, erwiderte Tovari. »Vorausgesetzt, ich befehle Lullog, dir zu dienen.«

»Dann befiehl es ihm – jetzt!«, sagte Shazar in drohendem Ton.

»Überstürze nichts!«, warnte der Kamashite. »Lullog gehorcht mir nur dann, wenn ich ihm aus freiem Willen befehle. Aber es ist gar nicht notwendig, dass du mich zu zwingen versuchst. Auf deinem Schiff befindet sich eine Galaktikerin, nicht wahr?«

Shazars Haltung versteifte sich. »Wie kommst du darauf?«, zischelte er.

»Lullog weiß alles«, behauptete Tovari. »Diese Galaktikerin wäre für mich sehr wertvoll, wenn ich mit den führenden Galaktikern verhandle, um freies Geleit zu meiner Heimatwelt zu erhalten.«

»Das denke ich nicht«, meinte Shazar. »Iruna von Bass-Teth wurde so schwer verletzt, dass sie sterben muss, obwohl wir sie in Tiefschlaf versetzt und kybernetische Überlebensapparaturen zugeschaltet haben.«

»Selbst tot wäre sie wertvoll für mich«, entgegnete Tovari Lokoshan trotz seiner Bedrückung über Irunas Lage. »Wenn du willst, dass ich dir Lullog freiwillig überlasse, gib mir Iruna von Bass-Teth!«

Shazar tum Reel kämpfte sichtlich mit sich selbst. Es fiel ihm offenkundig nicht leicht, einzusehen, dass er sich Lullog nicht einfach nehmen durfte, ohne einen angemessenen Preis dafür zu bezahlen.

Schließlich kam er zu einem Entschluss. »Der Handel gilt«, erklärte er. »Ich werde die Tiefschlafkammer und die angeschlossenen Apparaturen mit Iruna von Bass-Teth auf dein Schiff bringen und an die Energieversorgung anschließen lassen, wenn du Lullog befiehlst, mir zu dienen und zu gehorchen.«

»Einverstanden!«, sagte Tovari.

Er ahnte allerdings, dass der Hauri beabsichtigte, ihn hereinzulegen. Doch das war ihm nur recht, denn es würde ihm eine moralische Rechtfertigung dafür geben, in absehbarer Zeit wieder vom Handel zurückzutreten.

Er stand auf und stellte Lullog auf den Tisch vor Shazar. »Shazar tum Reel ist dein neuer Herr, Lullog«, sagte er. »Diene und gehorche ihm künftig so, wie du jedem dienen und gehorchen wirst, der nicht zur Familie der Lokoshans gehört!«

»So will ich ihm dienen und gehorchen«, erwiderte Lullog – und Tovari sah an Shazars Gesicht, dass der Hauri die Worte des Erbgotts diesmal ebenfalls verstanden hatte.

Gierig griff Shazar zu und klemmte sich Lullog unter den Arm, dann schaltete er sein Armbandfunkgerät ein ...

2. Iruna

»Mann, o Mann!«, flüsterte Tovari Lokoshan ergriffen, als er vor dem gläsernen »Sarg« stand und darin auf einem energetischen Polster Iruna von Bass-Teth ruhen sah.

Die Akonin erweckte den Eindruck, als schliefe sie. Sie trug die gleiche SERUN-ähnliche Raumkombination, die sie im Tiefenland und danach getragen hatte. Ihr Druckhelm war geöffnet und hatte sich im winzigen Wulst der hinteren Halspartie zusammengerollt. Dadurch lag der Kopf bloß, sodass der Kamashite das edel geschnittene Gesicht, die samtbraune Haut mit dem goldfarbenen Schimmer und die schwarzen Augen deutlich zu sehen vermochte, ebenso das kupferrote Haar, was ihn zu seinem gedämpften Ausruf veranlasst hatte.

Tovari besann sich darauf, dass Iruna von Bass-Teth nicht friedlich schlummerte, sondern wahrscheinlich in den Tod hinüberdämmerte. Es stimmte nicht, was der Kamashite dem Hauri gegenüber behauptet hatte, dass Iruna selbst tot wertvoll für ihn sei: Er hatte Atlan versprochen, sie für ihn wiederzufinden und dafür zu sorgen, dass sie wieder mit ihm zusammenkam. Falls sie stürbe, würde er dem Arkoniden nie wieder unter die Augen treten können.

Natürlich gab er sich nicht der Illusion hin, er könnte Iruna allein heilen. Zwar verstand er viel von biologischen Vorgängen und einiges von alter und neuer Medizin, doch mehr als das, was die cybermedtechnischen Apparaturen des Tiefschlafbehälters und seiner Nebenaggregate schafften, konnte auch er nicht leisten.

Deshalb war es sein Ziel, Iruna ohne Zeitverlust auf der BANSHEE in die Milchstraße zu bringen und den Medogenies von Tahun zu übergeben. Wenn sie gerettet werden konnte, dann dort.

Er ging langsam um den sargähnlichen Behälter herum, überprüfte die Energieanschlüsse und die Anzeigen der Überlebensapparaturen – die er allerdings erst nach längerem Bemühen seiner SERUN-Positronik zu entziffern vermochte. Seine Hoffnung sank, als er feststellte, dass die Akonin tatsächlich klinisch tot war.

Wahrscheinlich hätte er Irunas Zustand besser beurteilen können, wenn er eine Hand auf ihre bloße Haut gelegt hätte, denn als Kamashite, der als Bestandteil der Gemeinschaftsintelligenz eines ganzen Planeten aufgewachsen war, vermochte er die vielfältigen Strömungen und Unterströmungen allen Lebens zu spüren, aber dazu hätte er den Überlebensbehälter öffnen müssen – und das damit verbundene Risiko erschien ihm zu groß.

Tovari seufzte, dann presste er das Gesicht gegen das transparente Material des Überlebensbehälters und versuchte zu erkennen, welche Verletzungen die Akonin erlitten hatte. Shazar hatte von schwerwiegenden gesprochen. Er konnte jedoch nichts erkennen, sodass er zu dem Schluss kam, es müsse sich um innere Verletzungen handeln.

Behutsam legte er eine Hand auf den Behälter. »Ich tue alles, um dich zu retten, Iruna«, versprach er.

Danach begab er sich in die Hauptzentrale der Kogge, fragte vom Syntron die Position ab, die dieser inzwischen mithilfe der Ortungssysteme ermittelt hatte, und beauftragte ihn, einen Kurs zur Milchstraße zu berechnen, und zwar so, dass er mit der BANSHEE nicht erst in die Ebene dieser Galaxis einflog, sondern direkt das Tahsystem oberhalb der Ebene ansteuerte, dessen dritter Planet das Medo-Center der ehemaligen USO war.

Dabei verfolgte er über die Ortung die Bewegungen der drei haurischen Raumschiffe. Sie hielten sich noch 17 Minuten in der Nähe der BANSHEE, dann schwenkten zwei von ihnen steil nach unten und beschleunigten. Es sah aus, als wollten sie ein Überlichtmanöver einleiten und die Galaxis Pinwheel verlassen.

Das störte ihn nicht weiter, bis seine Ortung anhand der Energiemuster der haurischen Schiffe feststellte, dass eines der beschleunigenden Schiffe die SETNAR-METEM war, und bis der Kursrechner ermittelte, dass die Bewegungsrichtung der beiden Schiffe genau auf die Sternenmassen aus der Galaxis Hangay zielte, die vor rund sechs Monaten in der Lokalen Gruppe materialisiert waren, wie er aus zahlreichen Hyperfunkgesprächen wusste.

Die Wahrscheinlichkeit, dass die SETNAR-METEM und das andere Schiff beabsichtigten, das diesseitige Hangay aufzusuchen und in deren Sternenmassen einzufliegen, erschien dem Kamashiten folglich außerordentlich groß – und damit die Wahrscheinlichkeit, dass der Große Erbgott der Lokoshans hinter die Strangeness-Barriere entführt wurde, die die Sternenmassen aus dem Universum Tarkan allseitig umgab und außerdem erfüllte. Tovari musste demnach befürchten, dass Lullog nach dem Einflug ins diesseitige Hangay keine Möglichkeit mehr haben würde, zu ihm zurückzukehren.

Angesichts der Verehrung, die der Erbgott bei allen Angehörigen des Lokoshan-Clans genoss, war diese Aussicht dazu angetan, Tovari in Panik geraten zu lassen. Zwar war er keineswegs bereit, Iruna wieder herzugeben, um Lullog den Lokoshans zu erhalten, aber er war entschlossen, alles zu tun, um den Flug der SETNAR-METEM nach Hangay zu verhindern.

Als Erstes eilte er zum Hyperkom, schaltete das Gerät ein und rief nach der SETNAR-METEM, dann erteilte er dem Bordsyntron die Anweisung, mit der BANSHEE die Verfolgung der beiden haurischen Schiffe aufzunehmen.

Es dauerte fast anderthalb Minuten, bis sich die Funkzentrale der SETNAR-METEM meldete. Unterdessen hatte die BANSHEE ihren Kurs geändert und beschleunigte mit Maximalwerten. Derweil war auch das dritte haurische Schiff, das sich bisher in der Nähe der Kogge gehalten hatte, war auf einen anderen Kurs eingeschwenkt und folgte der BANSHEE in beinahe konstant acht Lichtsekunden Entfernung.

»Bitte Shazar tum Reel!«, sagte Tovari zum diensthabenden Funker der SETNAR-METEM auf Sothalk.

»Ich schalte um«, erwiderte der Hauri in derselben Sprache.

Im nächsten Moment tauchte das »Totenkopfgesicht« des haurischen Kommandeurs auf dem Bildschirm des Hyperkoms auf.

»Was willst du, Tovari Lokoshan?«, fragte Shazar – und Tovari vermeinte einen lauernden Tonfall herauszuhören.

»Ich muss noch einmal an Bord deines Schiffes kommen«, erklärte der Kamashite. »Es genügt aber auch, wenn du an Bord meines Schiffes kommst. Wir haben etwas Wichtiges zu besprechen.«

In den tief liegenden Augen des Hauri glommen Lichtpunkte auf. »Geht es um Lullog?«, erkundigte er sich.

»Das auch«, gab Tovari zu. »Doch vor allem muss ich mit dir über eine Entdeckung sprechen, die ich kürzlich auf einer Eiswelt dieser Galaxis machte. Ich fand dort, unter der Oberfläche, ein energetisch konserviertes oder im Tiefkühlschlaf liegendes Lebewesen, das ganz genau wie du aussah, nur dass es einen goldenen Raumanzug trug.«

»Einen goldenen Raumanzug?«, schrie Shazar tum Reel. »Bei Heptamer! Das muss Nadar-Metem gewesen sein, der seit Langem verschollen ist. Ich stoppe. Du wirst andocken und herüberkommen und mich zu seinem Aufenthaltsort führen!«

»Er existiert nicht mehr«, erwiderte der Kamashite. »Das Versteck des Goldenen wurde beschädigt, als ein Fremder sich ihm näherte und eine Sicherheitsschaltung auslöste – und als wenig später heftige Raum-Zeit-Verwerfungen auftraten, wurde es mitsamt Inhalt zerstört.«

Vorsichtshalber erwähnte Tovari Lokoshan nicht, dass sein Gewaltstart mit der BANSHEE erheblich zur Zerstörung des Tiefschlafverstecks des Goldenen beigetragen hatte.

»Er ist tot!«, schrie der Hauri auf. »Und du hast nichts getan, um ihn zu retten, Tovari Lokoshan. Zwischen uns gibt es nichts mehr außer dem Tod.« Er hob seine Stimme und rief: »Luman jat Zoor, vernichte das fremde Schiff und seinen Piloten!«

Tovari erkannte, dass er zu mitteilsam gewesen war. Doch das änderte an der verfahrenen Lage nichts mehr. Anhand der Ortungssysteme stellte er fest, dass die SETNAR-METEM stärker beschleunigte und ihn abzuhängen versuchte, während ihr Begleitschiff abbremste und wendete und der BANSHEE die Breitseite zudrehte.

»Paratronschirm aktivieren!«, rief Tovari dem Syntron des Schiffes zu, dann schaltete er den Feuerleitsektor seines Kommandopults ein.

Er duckte sich unwillkürlich, als schräg von oben und hinten ein Energiestrahl in den Paratronschirm schlug und ihn zum Flackern brachte. Das der BANSHEE gefolgte dritte haurische Schiff hatte das Feuer eröffnet.

Ein paar Sekunden später blitzte es auch an der Bordwand des haurischen Schiffes auf, das sich der BANSHEE in den Weg gelegt hatte. Das hatte der Kamashite geahnt und so rechtzeitig vorher ein strukturzermürbendes Abtauchmanöver eingeleitet, dass die gegnerischen Kampfstrahlen sein Schiff knapp verfehlten und bei seinem Verfolger einschlugen.

Tovari zog die BANSHEE wieder hoch und schoss eine Transformbombe auf den Gegner ab, der sich quer gelegt hatte. Er hatte das größte verfügbare Energiekaliber gewählt, denn er war vom Zorn übermannt worden, und dem war der Schutzschirm des haurischen Schiffes nicht gewachsen. Es verging im expandierenden Glutball einer künstlichen Sonne.

Erneut musste der Kamashite ein hartes Ausweichmanöver fliegen, um nicht in den Glutball zu geraten. Das schien der Feuerleitoffizier des Verfolgerschiffs vorausberechnet zu haben, denn er schickte der BANSHEE einen ungeheuer dichten Hochenergiestrahl nach, der sie genau mittschiffs oben traf und den Paratronschirm für den Bruchteil einer Zehntelsekunde aufriss. Das genügte, um schwere Schäden in der Kraftwerksektion hervorzurufen, durch die wiederum Explosionen erzeugt wurden, die die BANSHEE in ein halbes Wrack verwandelten.

Tovari Lokoshan saß wie erstarrt hinter seinem Kommandopult und schien vor Schreck handlungsunfähig geworden zu sein. Aber das war ein Irrtum. Mit eiskalter Ruhe wartete Tovari auf seine Gelegenheit.

Und die kam, als die BANSHEE während ihres unkontrollierten Herumwirbelns mit ihrer Transformkanone exakt auf das Verfolgerschiff zeigte, das sich bemühte, Tovaris Schiff den Gnadenstoß zu versetzen.

Die Transformbombe der BANSHEE bereitete den Gegnern ein schnelles Ende ...

Der BANSHEE selbst drohte ein ähnliches Schicksal.

Aus dem Gravitraf-Speicher des Metagrav-Triebwerks entwich mehr Hyperbarie, als von den Energieverbrauchern an Bord verwertet werden konnte. Dadurch entstanden unkontrolliert sogenannte wilde Mini-Black-Holes, die entsprechend den Naturgesetzen zerfielen und sich eruptiv in Gammastrahlung auflösten. Die damit frei werdende Energie schwoll lawinenartig an und musste über kurz oder lang weitere Verheerungen innerhalb des Schiffes anrichten, die es entweder in einer einzigen gewaltigen Explosion vernichteten oder durch viele kleinere Explosionen auseinanderfallen lassen würden.

Nur mit allergrößter Mühe und mit Unterstützung durch seinen Roboter David gelang es dem Kamashiten nach schweißtreibenden 20 Minuten, durch Umprogrammierungen fast der gesamten intakten Speicher- und Antriebssysteme den Hypertrop umzupolen, sodass aus dem Zapfer ein Abstrahler wurde, der die Hyperenergie, die durch Umkehrung des Vorgangs der Frequenztransformierung innerhalb des Gravitraf-Speichers entstand, an das energetisch übergeordnete Kontinuum, den Hyperraum, abgab.

Als nur noch ein geringer Rest an Hyperbarie im Speicher war, beendete Tovari Lokoshan den Vorgang. Anschließend begab er sich in schwerer Strahlenschutzkleidung gemeinsam mit David in die Metagrav-Sektion des halben Wracks, das die BANSHEE geworden war, suchte nach den Lecks in der Umhüllung des Resonators, in dem die monochromatische Hyperbarie gespeichert wurde, und dichtete sie ab. Das war längst nicht so einfach, wie es sich anhörte, denn in diesem Fall waren die Lecks nicht einfach Löcher in einer Wandung aus fester Materie, sondern Aussparungen in einer instabil gewordenen Wand aus niederfrequenter Hyperenergie.

Deshalb dauerte es fast zwei Tage, bis diese Arbeiten beendet waren. Immerhin bestand danach die Aussicht, dass die BANSHEE, falls es gelang, den Hypertrop abermals umzupolen und mit ihm Energie aus dem Hyperraum abzuzapfen und im Gravitraf-Speicher als stehende Welle zu akkumulieren, wieder manövrierfähig wurde und sich mit Unterlichtgeschwindigkeit durch den Raum bewegen konnte. Wenn es hoch kam, würde sie vielleicht sogar ein paar Lichtmonate im Hyperraum zurücklegen.

Tovari kehrte nicht sofort in die Hauptzentrale zurück, sondern begab sich, nachdem er die Dekontamination durchlaufen und den Strahlenschutzanzug gegen seinen SERUN ausgetauscht hatte, in den Lagerraum, in dem der Überlebensbehälter mit Iruna stand.

Er war besorgt, denn die Auswirkungen des Raumgefechts auf die BANSHEE hätten ernste Folgen für die Akonin haben können. Er hatte sich jedoch zuallererst um die Sicherheit des Schiffes kümmern müssen, da alles andere sonst vergeblich gewesen wäre.

Als er den Lagerraum betrat und den Überlebensbehälter äußerlich unversehrt mitten im Raum stehen sah, umrahmt von seinen speziellen Überlebensaggregaten, atmete der Kamashite auf.

Doch nachdem er die Kontrollen überprüft hatte, überfiel ihn tiefe Niedergeschlagenheit. Denn er musste feststellen, dass durch Beschussschäden oder Explosionen im Energieversorgungsbereich des Schiffes eine kurzfristige Unterbrechung der Energiezufuhr zu den Überlebensaggregaten stattgefunden hatte.

Sie war zwar innerhalb von rund 20 Sekunden behoben worden – dafür gab es Sicherheitsschaltungen und Reserveaggregate –, aber die kurze Unterbrechung hatte gereicht, um Iruna noch tiefer ins ewige Dunkel zu befördern. Wenn kein Wunder geschah, war Iruna von Bass-Teth endgültig verloren.

Und es konnte kein Wunder geschehen, denn Lullog befand sich an Bord der SETNAR-METEM und würde wahrscheinlich nach vier bis fünf Standardtagen die Strangeness-Barriere von Hangay passieren. Viel länger konnte der Flug nicht dauern, denn Tovaris fachkundige Blicke hatten bei der Besichtigung der Aggregate der SETNAR-METEM festgestellt, dass das haurische Schiff einen dem Metagrav verwandten Antrieb besaß und wahrscheinlich Überlichtfaktoren zwischen 60 und 70 Millionen erzielen konnte.

Tahun war ebenfalls in unerreichbare Ferne gerückt.

In diesem Stadium der Ereignisse entsann sich Tovari Lokoshan wieder Hildas, wie er den Hauptcomputer seines SERUNS nannte. Hilda war zwar nur eine einfache Positronik, doch sie hatte durch einen geheimen Zusatz, der auf Anweisung von Perwela Grove Goor in sie integriert worden war, eine Quasipersönlichkeit erhalten, die wahrscheinlich von seiner Chefin und Leiterin ihres Freien Wirtschaftsimperiums zu seiner Konditionierung in ihrem Sinn und zu seiner Überwachung gedacht gewesen war. Seit der unfreiwilligen »Abnabelung« von ihr hatte sie sich als sehr brauchbar für seine eigenen Zwecke erwiesen. Vielleicht wusste Hilda Rat.

»Hörst du mich, Hilda?«, fragte er.

»Was für eine Frage!«, spottete die Positronik. »Ich höre dich immer, wenn du es mir nicht ausdrücklich verbietest, Shaggy.«

Unwillkürlich stieg ihm das Blut in den Kopf, als er sich daran erinnerte, dass seine Kollegen von der Zunft der Astral-Fischer ihn wegen seines schwarzen Zottelhaares mit dem Spitznamen Shaggy, der Zottelige, bedacht hatten. Dabei war sein schwarzes Haar ebenso wie seine rotbraune Haut, seine elfenbeinfarbenen Zähne und seine rosa Finger- und Zehennägel nur »Maske«, erzeugt durch molekularbiologische Manipulationen, die seine Identifizierung verhindern sollten.

Es war alles ganz anders gekommen – und alle Maskerade hatte ihm nichts genützt, weil er zu vorwitzig gewesen war und sich einmal in seinem Leben auf ein unkalkulierbares Risiko eingelassen hatte. Allerdings hätte er ohne dieses leichtsinnige und profitgierige Wagnis niemals Atlan und Iruna kennengelernt, sagte er sich.

»Kannst du unsere Situation beurteilen, Hilda?«, fragte er weiter.

»Sie ist hoffnungslos, aber nicht ernst«, setzte die Positronik ihren Spott fort. »Du wirst die nächstbeste Welt ansteuern müssen, auf der du wenigstens eine Weile überleben kannst – es sei denn, du kannst Hilfe herbeirufen.«

Daran hatte Tovari nicht gedacht, allerdings, wie er sich klarmachte, weil sein Unterbewusstsein die Schäden an der Sektion registriert hatte, in der sich die Hyperfunkantennen befanden.

Dennoch erkundigte er sich beim Bordsyntron, dessen Kommunikationselemente in jedem Raum und jedem Schacht der BANSHEE allgegenwärtig waren, nach der Funktionsfähigkeit des Hyperkoms.

»Totalausfall«, antwortete der Syntron. »Ein Wiederaufbau der Hyperfunkanlage ist ohne Ersatz-Howalgoniumkristalle sinnlos. Sie könnten zwar durch Kristalle aus anderen Bordsystemen ersetzt werden, doch dann müssten so wichtige Systeme wie die Steuerung der Maschinen und des Schiffes stillgelegt werden.«

»Das geht nicht, mitten im Weltraum«, erwiderte Tovari.

»Aber es ginge, wenn du irgendwo landen würdest, wo du ohne Bordsysteme überleben könntest«, wandte Hilda ein.

»Gibt es eine solche Welt, Syntron?«, fragte der Kamashite.

»In dreiundvierzig Lichttagen befindet sich eine kleine rote Sonne, die von zwölf Planeten umkreist wird«, antwortete der Bordsyntron. »Planet Nummer zwei hat eine sauerstoffhaltige Atmosphäre, deren durchschnittliche Temperatur bei fünfzehn Grad Celsius liegen dürfte, was einer mittleren Tagestemperatur von rund vierundzwanzig Grad entsprechen sollte. Außerdem weist die Spektralanalyse große Mengen chlorophyllhaltiger Substanzen aus.«

»Pflanzen!«, jubelte Tovari. »Pflanzen, Wärme und atembare Luft! Das ist ja fast ein Paradies!«

Er senkte betrübt den Kopf, als er an Iruna dachte.

»Das hilft Iruna nichts, Hilda«, sagte er kläglich.

»Vielleicht doch, wenn du es schaffst, dort zu landen und die Hyperfunkanlage wiederaufzubauen und funktionsfähig zu machen«, entgegnete die SERUN-Positronik. »Dann könntest du ein Raumschiff der PIG oder der Kartanin herbeirufen und Iruna von Bass-Teth nach Tahun bringen lassen.«

»Die Chancen, dass in ihr die ganze Zeit über wenigstens ein Fünkchen Leben bleibt, sind verschwindend gering«, stellte der Kamashite deprimiert fest. »Aber eine bessere Möglichkeit gibt es nicht. Syntron, bringe das Schiff in kürzestmöglicher Zeit zu diesem Planeten!«

Der Syntron bestätigte und fragte, ob er die BANSHEE selbstständig landen sollte.

»Nein«, lehnte Tovari ab. »Das will ich selbst tun – und ich will auch selbst den Landeplatz aussuchen.«

Er warf einen Blick auf das maskenhaft starr wirkende Gesicht der Akonin, dann fügte er hinzu:

»Bis es so weit ist, bleibe ich hier.«

Anderthalb Stunden später war es so weit.

Die zweite Umpolung des Hypertrops hatte geklappt – und der Gravitraf-Speicher war zu zehn Prozent mit Energie aus dem Hyperraum angefüllt worden. Danach hatte der Bordsyntron die BANSHEE auf Kurs gebracht, beschleunigt und die rund 43 Lichttage bis zum System der kleinen roten Sonne mit geringem Überlichtfaktor zurückgelegt.

Der vom Syntron informierte Kamashite eilte in die Hauptzentrale, setzte sich auf den Platz des Kommandanten und musterte die Panoramagalerie, auf die der Bordsyntron die von ihm verarbeiteten und auf Menschensicht zubereiteten Ortungsergebnisse eingeblendet hatte.

Tovari sah, dass die BANSHEE sich in einem 900-Kilometer-Orbit um eine grüne Welt mit regelmäßig verteilten weißen Wolkenfeldern und einem blauen Himmel befand. Die Oberfläche schien nur aus festem Land zu bestehen, denn es gab keine Lücken in ihrem üppigen Grün; weder Ozeane noch Flüsse oder Seen waren sichtbar. Er ging allerdings davon aus, dass sich unter dem Grün eine Vielfalt von Rinnsalen und Mooren verbarg, denn eine so üppige Vegetation konnte sich nur in wassergetränktem Boden entwickelt haben.

»So ähnlich muss Kamash in grauer Vorzeit einmal ausgesehen haben«, kommentierte Tovari den Anblick, während er mit steigender Unruhe nach einem geeigneten Landeplatz suchte. »Ich werde den Planeten Greenhouse nennen – Gewächshaus – und seine Sonne Redfire. Verflixt, wenn ich nur ein Stück baumloses Land finden würde!«

»Es gibt dort unten nicht nur Baumbestand, sondern zudem sumpfige Wasserflächen, auf denen miteinander verflochtene Wasserpflanzen gleich riesigen Flößen schwimmen«, teilte der Bordsyntron mit. »Sofern dieser Untergrund durchschnittlich fünfzehn Meter hoch ist und eine Fläche von mindestens zweihundertfünfzig Quadratkilometern bedeckt, vermag er die Masse der BANSHEE zu tragen, ohne dass die Innenzelle durch die Lecks überflutet würde.«

»Warum suchst du dann nicht eine solche Stelle?«, erkundigte sich Tovari ungeduldig.

»Die Ortung hat bereits eine ausgemacht«, erwiderte der Syntron. »Ich blende das aufbereitete Bild als Ausschnittvergrößerung in Schirmsegment sieben.«

Tovari blickte zu dem angegebenen Segment der Panoramagalerie und sah eine Fläche, die sich auf den ersten Blick nicht wesentlich von allen anderen Flächen auf Greenhouse unterschied. Als der Kamashite genauer hinsah und als der Syntron die Auflösung verbesserte, erkannte er, dass die Planetenoberfläche an dieser Stelle auf viele Tausende von Quadratkilometern in Hunderte kleinerer, unregelmäßig geformter Areale unterteilt war, deren Ränder allerdings so gut zueinander passten, dass es zwischen ihnen nur kaum sichtbare Zwischenräume gab.

»Wir landen auf der größten Fläche und nennen sie Raft – Floß!«, entschied Tovari. »Ich übernehme die Manuellsteuerung.« Er bremste ab und errechnete die Flugdaten für eine weitere Umkreisung des Planeten mit stetigem Sinken und schlussendlichem Aufsetzen auf Raft.

Es fiel ihm nicht schwer, alle Kontrollen im Auge zu behalten und die notwendigen Schaltungen durchzuführen, denn das war längst Routine für ihn. Dennoch spürte er hin und wieder »bockbeinige« Reaktionen der Schiffssysteme. Er bekam das Schiff allerdings immer wieder unter seine Gewalt – wenn er auch argwöhnte, dass der Bordsyntron ihm dabei einige Male heimlich half –, und schließlich senkte sich die BANSHEE weich wie eine Flaumfeder auf die verfilzte grüne Oberfläche von Raft nieder.

Tovari verringerte die Leistung des Metagravs und schaltete im Ausgleich allmählich die Antigravprojektoren höher. Zwar betrug die Schwerkraft von Greenhouse nur 0,74 Gravos, aber immerhin hatte die Kogge eine Masse von rund drei Millionen Tonnen. Falls Raft keinen festen Stand im Grund der sumpfigen Wasserfläche hatte, die sie bedeckte, sondern nur gleich einem Floß schwamm, würde sie ohne Unterstützung der Antigravs unter dieser Last sinken. Der Kamashite atmete auf, als er die BANSHEE gravotechnisch ausbalanciert hatte.

Seine Freude darüber hielt nicht lange an, denn Sekunden später schlug die Ortung Alarm. »Drei Objekte aus Richtung Redfire in rund hundertzehn Millionen Kilometern Entfernung im Anflug auf Greenhouse«, meldete der Bordsyntron. »Silhouetten und Energiemuster lassen mit großer Wahrscheinlichkeit auf Schiffe der Hauri schließen, die typgleich mit der SETNAR-METEM sein dürften.«

»Beim Urvater aller Gnomen!«, entfuhr es dem Kamashiten. »Haben sie uns geortet, Syntron?«

»Das ist unwahrscheinlich, obwohl sie möglicherweise nach uns suchen, falls die SETNAR-METEM sie alarmiert und über unsere im Gefecht davongetragenen Schäden berichtet hat«, antwortete der Syntron. »Zweifellos werden sie uns mit der Energieortung erfassen, wenn sie ein paar Millionen Kilometer näher an Greenhouse herangekommen sind. Ich empfehle dringend, alle Energieverbraucher auf der BANSHEE sofort zu desaktivieren und alle sonstigen Emissionsquellen zu beseitigen.«

»In Ordnung«, gab Tovari zurück. »Obwohl wir dann womöglich mit Raft und dem Schiff untergehen werden. Aber wir können ja notfalls schwimmen und eine andere Insel erreichen.«

Plötzlich erschrak er so, dass sein Gesicht grau wurde und seine Hände zitterten.

»Wenn wir alle Energieerzeuger abschalten, bekommt Irunas Überlebenstank keine Energie mehr – und wenn er beim Untergang von Raft und der BANSHEE nur den kleinsten Riss bekommt, wird er geflutet.«

»Eine Todesursache reicht, Shaggy«, warf Hilda ein. »Es ist jedoch noch eine dritte möglich, dann nämlich, wenn du nicht tust, was der Bordsyntron empfohlen hat. In dem Fall wirst du zusammen mit Iruna im Strahlkanonenbeschuss der Hauri sterben.«

»Ich weiß«, pflichtete Tovari seiner Positronik niedergeschlagen bei. »Aber ich kann Iruna nicht aus dem Überlebenstank herausholen und irgendwo an Land bringen.«

»Natürlich nicht; du musst sie erst auftauen«, entgegnete Hilda. »Wenn das schnell genug geht, besteht vielleicht Hoffnung. Möglicherweise erholt Iruna sich an frischer Luft schneller als tiefgefroren in einem Überlebenstank.«

»Unmöglich!«, wandte Tovari ein.

»Nicht völlig undenkbar«, meinte Hilda. »Erinnere dich daran, dass Iruna nicht nur eine Akonin ist, sondern zudem eine Sarlengort. Das hast du jedenfalls im Tiefenland behauptet.«

»Und es stimmt!«, trumpfte der Kamashite auf.

»Dann solltest du auf bisher unbekannte Kräfte der Sarlengort hoffen, Shaggy!«, ermahnte ihn die SERUN-Positronik. »Etwas anderes bleibt dir gar nicht übrig.«

»Das werde ich!«, erwiderte der Kamashite grimmig. »Bordsyntron, alle Systeme, bis auf die Energieversorgung des Überlebenstanks, desaktivieren! David und ich schleppen Iruna mitsamt dem Tank mit Muskelkraft aus dem Schiff, sobald das Wrack geflutet ist und die Kontrollen anzeigen, dass die Energiespeicher für die letzte Auftau- und Erweckungsphase ausreichen. Der Auftrieb des Wassers wird uns helfen – und den Rest müssen die Götter für uns tun.«

Raft sank sehr schnell, nachdem die meisten Bordsysteme sowie die Antigravs der BANSHEE desaktiviert waren. Immerhin wog das Schiff trotz der mit 0,74 Standardgravos relativ niedrigen Schwerkraft noch 2,2 Millionen Tonnen.

Tovari und David, die sich im Lagerraum befanden und den Überlebenstank mit Stahlplastikseilen festgezurrt hatten, mussten sich selbst anbinden, um nicht von der Gewalt des vehement hereinstürzenden Wassers herumgewirbelt und gegen Wände oder gar Aggregatkanten geschleudert zu werden.

Der Roboter war selbstverständlich wasserfest – auch für hohe Drücke in größeren Tiefen –, und Tovari Lokoshan wurde hinreichend durch seinen SERUN geschützt, den er geschlossen hatte. Dennoch war die Situation nicht ungefährlich, denn die von zwei Seiten hereinschießenden Wassermassen bildeten Strudel und Wirbel, die alle nicht festgezurrten Gegenstände unkontrolliert durch den Lagerraum schleuderten. Ein Treffer konnte durchaus den Druckhelm des SERUNS zerschmettern oder schwere Schäden am Aggregatepack anrichten.

»Mögen die Black Holes alle Hauri-Schiffe verschlingen!«, schimpfte Tovari, während er sich mit einer Hand an einer Wandverstrebung festhielt und mit der anderen große Ballen verfilzten Pflanzenmaterials wegzuschieben versuchte, die das Wasser mitgebracht hatte. »Wenn du mich hörst, Lullog, dann hilf mir!«

Doch nichts deutete darauf hin, dass der Erbgott der Lokoshans ihn hörte. Er war keineswegs allmächtig.

Tovari wurde von einer mächtigen Ladung mit Steinen durchsetzten Pflanzenmaterials platt auf den Boden des Lagerraums gedrückt und sah überhaupt nichts mehr. Er zwang sich zu einer fatalistischen Geisteshaltung, um sich nicht dazu hinreißen zu lassen, den Paratronschirm und den Gravopak seines SERUNS zu aktivieren.

Es reichte schon, dass das kombinierte Auftau-Erweckungs-Aggregat des Überlebenstanks eine schlecht abgeschirmte Quelle energetischer Emissionen war und noch für rund 45 Minuten bleiben würde. Diese Quelle hatte nicht desaktiviert werden dürfen, denn die Rückführung eines komplizierten und empfindlichen »tierischen« Organismus aus dem Unterkühlungs-Tiefschlaf in normale Lebensfunktionen erforderte trotz modernster technischer und medizinischer Hilfsmittel eine bestimmte Menge Energie und Zeit. Andernfalls waren irreversible Schädigungen vor allem des Zentralnervensystems nicht zu vermeiden.

Tovari Lokoshan atmete auf, als die Außenmikrofone seines SERUNS ihm ein immer stärker abklingendes Gurgeln der Wassermassen vermittelten. Anscheinend war der Flutungsvorgang so gut wie abgeschlossen.

Er stemmte sich hoch, um sich von dem auf ihm lastenden Pflanzenmaterial zu befreien. Es gelang ihm erst, als David zu ihm kam und ihn mit seinen robotischen Kräften unterstützte.

»Danke!«, sagte Tovari über die auf geringste Reichweite geschaltete Helmfunkverbindung. »Dann wollen wir uns mal die Kontrollen des Tanks ansehen.«

Das ins Schiff eingedrungene Wasser war trübe von mitgeführten Schwebeteilchen, sodass Tovari ziemlich dicht an die Kontrollanzeigen herangehen musste, um etwas zu erkennen. Aufatmend stellte er fest, dass die letzte Auftau- und Erweckungsphase angebrochen war. Für sie würde erheblich weniger Energie benötigt als für die Anlauf- und Steigerungsphase. Dazu würde die in den Speichern des Tanks enthaltene Energie genügen, sodass der Tank von der bordeigenen Energieversorgung abgekoppelt werden konnte.

Das verminderte die Ortungsgefahr weiter bis auf eine Ebene, auf der die Hauri nur durch das Zusammenwirken mehrerer besonderer Umstände diese schwache Emissionsquelle aus dem Weltraum zu orten vermochten.

»Wir müssen den Tank hinausbringen, David!«, sagte der Kamashite.

Sie lösten die Verzurrungen, was wiederum sehr mühsam war, weil sie kein energetisches Schneidwerkzeug einsetzen durften. Ohne die tatkräftige Hilfe des physisch haushoch überlegenen Roboters hätte Tovari diese Arbeit niemals geschafft.

Anschließend bugsierten sie den Überlebenstank durch die Öffnung, die eine Explosion in die Außenwandung des Lagerraums gerissen hatte. Das ging relativ leicht, weil der Tank wegen seiner luftgefüllten Hohlräume einen statischen Auftrieb besaß, der die Gewichtskraft des Objekts geringfügig überstieg. Dadurch schwebte der Tank nicht nur, sondern stieg sehr langsam nach oben. Wenn David mit seinem Gewicht den Überschuss des Auftriebs nicht hätte ausgleichen können, hätte der Tank bald an der Decke des Lagerraums festgehangen.

Außerhalb des Schiffes schalteten der Roboter und Tovari ihre starken Helmscheinwerfer ein und sahen sich um.

Die Lichtkegel enthüllten eine nicht gerade vielversprechende Umgebung. Das Wrack der BANSHEE hatte die Insel Raft durch sein ungleichmäßig verteiltes Gewicht und durch die von den eindringenden Wassermassen hervorgerufenen Schaukelbewegungen zerdrückt und war auf den Grund des Sumpfmeers gesunken. Die zerrissenen Pflanzenmassen hatten sich danach über dem Schiff zusammengeschoben, sodass Tovari und David eine schwimmende Insel von rund 250 Quadratkilometern über sich hatten, die durchschnittlich 15 Meter dick war und mit physischer Kraft nicht durchstoßen werden konnte.

»Es hilft nichts, wir müssen zum Rand von Raft und durch den Spalt zwischen ihr und der benachbarten Insel nach oben«, stellte Tovari Lokoshan fest. »Hilda, kannst du die Hauri-Schiffe orten? Nur Passivortung einsetzen!«

»Wofür hältst du mich, Shaggy?«, entgegnete die SERUN-Positronik in gekränktem Tonfall. »Nein, ich kann sie nicht orten.«

»Gut, dann sag mir, in welche Richtung wir schwimmen müssen, um am wenigsten Zeit zu verbrauchen!«

»Nach Osten«, antwortete Hilda. »Dort ist der Rand von Raft nur knapp fünf Kilometer entfernt.«

»Immer noch mehr als genug«, murrte der Kamashite, dem die bisherigen Anstrengungen schon gereicht hatten. »Wir riskieren es, die Pulsationstriebwerke unserer Aggregatepacks zu verwenden. Glücklicherweise hat meine frühere Chefin diesen Antrieb, der seit Beginn des Hanse-Zeitalters fast überall als antiquiert abgelehnt worden war, in die SERUNS ihrer Mitarbeiter wieder einbauen lassen. Sie emittieren keine fünfdimensionalen Energien wie die Gravojet-Triebwerke.«

David gehorchte – und so bewegten sich die beiden mit dem Überlebenstank Irunas gleich darauf durch das trübe Wasser unter dem Pflanzeninseldickicht von Raft.

Nach etwa 20 Minuten erreichten sie den Rand der Insel. Zur selben Zeit meldete Hilda, dass die passiven Ortungssysteme des SERUNS die Energiemuster der drei Hauri-Schiffe angemessen hätten und dass sie sich in weit auseinandergezogenen Spiralbahnen über der Atmosphäre um den Planeten bewegten.

»Aufsteigen!«, befahl Tovari. »Wir müssen versuchen, in den Pflanzendschungel oberhalb der Wasserlinie zu kommen. Nicht in den von Raft, sondern in den der Nachbarinsel. Dann sind wir nicht so schlimm dran, falls die Hauri unser Schiff trotz der desaktivierten Systeme finden sollten.«

Er schaltete sein Pulsationstriebwerk aus und beobachtete, wie David von der Oberfläche des Tanks glitt, der daraufhin sofort nach oben stieg. Der Roboter musste sein PST allerdings benutzen, um fortzukommen, aber nur mit minimaler Intensität, sodass die Ortungsgefahr praktisch gleich null war.

Dennoch ließ Tovari David das PST ausschalten, als das mittlere der drei Hauri-Schiffe ihren Standort in nur 160 Kilometern Höhe überflog.

Als der Hauri wieder hinter dem Horizont verschwunden war, setzten Tovari und David ihre Bemühungen fort – und eine halbe Stunde später hatten sie den Überlebenstank in den über dem Meeresspiegel liegenden Pflanzendschungel der Nachbarinsel befördert, die der Kamashite Neighbor nannte.

Allerdings war diese Phase des Unternehmens nur mit dem Einsatz der Gravopaks zu meistern gewesen, da der Überlebenstank außerhalb des Wassers seine Auftriebskraft verlor. Aus demselben Grund konnten David und sein Herr und Meister den Tank nur rund 100 Meter tief in den Dschungel hineinschleppen. Danach mussten sie die Gravopaks überstürzt abschalten, da die Hauri-Schiffe bei der zweiten Umkreisung des Planeten wieder auftauchten – und diesmal innerhalb der Atmosphäre in nur gut 30 Kilometern Höhe.

Am Rand einer Panik kontrollierte Tovari den Stand der Wiedererweckung – und stellte zu seiner Erleichterung fest, dass sie abgeschlossen war.

Die Erleichterung betraf allerdings nur die Tatsache, dass der Überlebenstank keine Streuenergie mehr emittierte und deshalb von den Hauri nicht geortet werden konnte. Etwas anderes war der Zwang, den Überlebenstank öffnen zu müssen, da seine Systeme sich automatisch abgeschaltet hatten und die Atemluft nicht mehr regenerierten. Der Gedanke daran, Iruna auf einem fremden Planeten medizinisch sich selbst überlassen zu müssen, flößte dem Kamashiten neue Furcht ein. Doch ihm blieb nichts anderes übrig, als das Notwendige zu tun.

Er betätigte den Öffnungsmechanismus – und das Oberteil des Tanks halbierte sich, glitt auseinander und klappte dann an beiden Enden nach außen.

»Schiffe der Hauri gehen tiefer!«, meldete Hilda in dieser kritischen Phase. »Sie setzen Landekapseln ab!«

»Lullog, steh mir bei!«, entfuhr es Tovari.

Er wusste, dass dieser Stoßseufzer ungehört verhallte. Deshalb stellte er sich sofort auf die neue Lage um. Er befahl dem Roboter, sich zu desaktivieren, klappte seinen Druckhelm nach hinten, ließ ihn sich zusammenrollen und in den Halswulst »kriechen« und kletterte danach vorsichtig über den Rand der Überlebenskammer.

Dicht neben dem Oberkörper der Akonin ging er in die Hocke und musterte ihr Gesicht. Es sah noch immer aus, als schliefe sie, doch die samtbraune Haut hatte einen wächsernen Schimmer, der einen Hauch des Todes vermittelte.

Zögernd streckte der Kamashite eine Hand aus und berührte mit der Innenfläche ganz sanft die Stirn der Akonin.

Im nächsten Moment holte er tief Luft, denn da hatte er das Gefühl, als schöben sich haarfeine Würzelchen zwischen die Zellen seiner Großhirnrinde und drohten einen lautlosen Sturm zwischen seinen Synapsen zu entfachen.

Erschrocken zog er die Hand wieder zurück. Und stellte fest, dass der Eindruck materieller Haarwurzeln erloschen, aber das Gefühl, dass etwas zwischen den Zellen seiner Großhirnrinde eingedrungen war, geblieben war.

Er lauschte in sich hinein, und alte, längst vergessen geglaubte Erinnerungen, beziehungsweise solche, die er selbst früher hatte löschen lassen, tauchten in seinem Bewusstsein auf.

Kamash!, dachte er.

Und begann zu ahnen, dass er soeben nicht nur Kontakt mit etwas von Irunas innerstem Wesen gehabt hatte, sondern mit etwas, was sich in der Natur des Planeten Greenhouse verbarg – und sein Herz schlug ihm in neu erwachter Hoffnung bis zum Hals.

3. Die Gegenwart der Vergangenheit

Viele Tausend Jahre waren wie ein Tag.

Das stolze Sarlengort war verbrannt, die Macht der Träumer war gebrochen.

Länger als zehn Jahrtausende hatten die Sarlengort mit der Waffe des Zerotraums über die Galaxis Narzesch geherrscht. Im Schutz ihrer unzerstörbaren weißen Türme hatten sie geträumt, sich im Zerotraum mit ihren Bewusstseinen von den eigenen Körpern gelöst, in Nullzeit gewaltige Entfernungen überbrückt und im Traum die Schicksale von zahllosen Zivilisationen, Planeten und Sonnensystemen ihrer Galaxis dirigiert.

Später hatten sie die scheinbar unendlichen Weiten des intergalaktischen Leerraums durchmessen, Nachbargalaxien und ganze Galaxiencluster erkundet und sich neue Ziele gesetzt – denn in Narzesch hatte es keine Gegner mehr gegeben, die stark und intelligent genug waren, um den Sarlengort einen befriedigenden Kampf zu liefern, bis sie unterlagen.

Das hatte den Zeroträumern keine Ruhe gelassen. Zu Milliarden und Abermilliarden hatten ihre Bewusstseine im Traum die intergalaktischen Abgründe überquert und sich zum Ziel gesetzt, die benachbarte Blaue Galaxis in ihr Reich einzugliedern.

Zu spät hatten sie erkannt, dass die Blaue Galaxis den Wi'n gehörte und dass die Wi'n durch einen intergalaktischen Krieg, den sie über Jahrhunderte hinweg geführt hatten, kampferprobt und mit technischen Kampfmitteln gerüstet waren, denen stärkere Gegner als die Träumer nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen hatten.

Überall in der Blauen Galaxis hatten die Wi'n ihren »Limes« gebaut, hatten sie ihre Wächter stationiert: gigantische Maschinen, die nur für den Krieg konstruiert, erbaut und programmiert waren. Die Wächter entdeckten die Invasionsflotte, in der die Sarlengort ihren Traum von der Eroberung der Blauen Galaxis träumten – und sie vernichteten sie bis auf das letzte Schiff, den letzten Mann und die letzte Frau.

Lähmendes Entsetzen hatte sich in der Galaxis Narzesch und in den Türmen von Sarlengort ausgebreitet, in denen jene Träumer saßen, die nicht an der Invasion teilgenommen hatten, weil sie in ihren Träumen die Macht über alle anderen Völker Narzeschs bewahren mussten.

Dann war das geschehen, wovor sich die zurückgebliebenen Träumer am meisten gefürchtet hatten: Die Wi'n hatten mit geballter Kraft zurückgeschlagen.

Heuschreckenschwärmen gleich waren ihre Patrouillen über Narzesch hergefallen: Millionen schneller, schwer bewaffneter Raumschiffe mit einer Technik, die alle anderen Kampfschiffe ihres Galaxienclusters zu Tontauben degradierte.

Zu riesigen Flotten formiert, hatten die Patrouillen der Wi'n zuerst die Satellitenreiche der Sarlengort zerschlagen, jeden Widerstand mit kompromissloser Brutalität gebrochen und waren dann am Himmel von Sarlengort erschienen.

Vier Tage und vier Nächte hatten sie den Himmel verdunkelt und mithilfe der ewigen Feindschaft zwischen Materie und Antimaterie einen Glutteppich über dem Planeten ausgebreitet, der alles in Asche verwandelte und jede noch so kleine Spur von Leben in härtester Strahlung verkochen ließ.

Bis auf die weißen Türme der Schläfer und die Sarlengort, die in ihnen träumten und den Wi'n anfangs so heftigen Widerstand geleistet hatten, dass ihre unbesiegbaren Flotten schwere Verluste hatten hinnehmen müssen.

Die weißen Türme hatten sich als unzerstörbar auch für die Wi'n erwiesen. Sie hatten sich an ihnen die Zähne ausgebissen, bis sie einsehen mussten, dass sie unangreifbare Festungen waren.

Doch die Wi'n hatten ihre Erfahrungen, ihre technischen Hilfsmittel und ihre Sklavenwesen von vielen Tausend unterworfenen Welten, die ihre Paragaben skrupellos im Sinn ihrer Herren einsetzten. Und so verwandelten sich die Türme in Kerker und die Träume der Schläfer in Albträume ohne Anfang und ohne Ende, aus denen es kein Ausbrechen gab.

Und hoch über allem gingen das rote und das weiße Auge des Doppelgestirns auf und unter und wieder auf und beschienen die weißen Gebeine der Türme unter dem in purpurner Glut immer neu aufflackernden Himmel und die Asche, die jeden Quadratzentimeter des Planeten bedeckte ...

Nur zweimal wurden die Albträume der Sarlengorts gestört, die mehr und mehr dem Irrsinn verfielen – bis auf wenige Ausnahmen.

Das erste Mal vom letzten Vertreter des Alten Volkes, dem Herrn der Negasphäre. Er kam wie aus dem Nichts auf Wegen, die kein normales Geschöpf beschreiten konnte, mit uralten Plänen und mit großer Macht.

Diese Macht reichte aus, um mit unwiderstehlicher Gewalt einen der weißen Türme aufzubrechen und einen der wenigen Sarlengort, dessen Verstand sich noch nicht unrettbar verwirrt hatte, aus dem Traumgefängnis der Wi'n zu befreien.

Der Herr der Negasphäre handelte allerdings nicht uneigennützig. Er hatte den Sarlengort befreit, weil er einen neuen Lenker für seinen Dekalog der Elemente brauchte, einen Ersatz für den vorherigen, dessen Verstand ausgebrannt war.

Ein Zeroträumer war dem Chaotarchen als idealer Nachfolger dieses Versagers erschienen. Als Lohn für seine Gefolgschaft bot er dem Sarlengort nicht nur die Freiheit aus dem Bannkreis der Träume, sondern zudem die Möglichkeit, sich an den Wi'n zu rächen und sich durch gute Dienste für die Mächte des Chaos das ewige Leben zu verdienen.

Der Sarlengort ging nicht sofort auf das Angebot des Chaotarchen ein, denn er ahnte, dass er damit seine Seele verlieren würde. Doch die Furcht davor, wieder in den Kerker der Albträume zurückkehren zu müssen und hoffnungslos dahinzuvegetieren, war schlussendlich größer als die Furcht vor dem Verkauf seiner Seele.

Er trat einen Schritt in die Finsternis – und musste einsehen, dass er zum Werkzeug des Chaotarchen geworden war, dem kein eigener Wille mehr zugestanden wurde und der keine eigene Entscheidung mehr treffen durfte.

Bis auf eine. Und die wurde ihm vorgeschrieben. Der Herr der Negasphäre nahm ihm seine Identität und Vergangenheit und gestattete ihm dafür, sich einen neuen Namen und eine neue Identität zu wählen.

Und so nannte er sich Kazzenkatt, Kazzenkatt der Träumer.

Denn Kazzenkatt war ein Wort aus der Sprache der Sarlengort und aus einer Zeit, als sie noch akustisch miteinander verkehrten anstatt nur in ihren Träumen.

Kazzenkatt hieß: Ich will leben.

Und so nahm der Herr der Negasphäre Kazzenkatt hinweg von Sarlengort ins Nichts und von dort aus zu den Basen des Dekalogs der Elemente. Niemand sonst schien von alledem etwas gespürt, geträumt oder gesehen zu haben. Das hingegen war ein Irrtum.

Sie hatte für kurze Zeit den Zirkelschluss ihrer sich in ewigem Kreislauf wiederholenden Albträume durchbrochen und mit ihren träumenden Augen erlebt, was mit dem einsamen Sarlengort geschehen war. Es war ihr nur deshalb möglich gewesen, weil ein starkes emotionelles Band zwischen ihr und ihm war, ein Band, das bereits vor ihrer gleichzeitigen Geburt existiert hatte. Denn sie waren Bruder und Schwester, genauer gesagt zweieiige Zwillinge.