Perry Rhodan 2872: Leccores Wandlungen - Michael Marcus Thurner - E-Book + Hörbuch

Perry Rhodan 2872: Leccores Wandlungen E-Book und Hörbuch

Michael Marcus-Thurner

4,3

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Beschreibung

Auf der Erde schreibt man das Jahr 1518 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ). Die Menschen haben mit der Liga Freier Terraner ein großes Sternenreich in der Milchstraße errichtet; sie leben in Frieden mit den meisten bekannten Zivilisationen. Doch wirklich frei ist niemand. Die Milchstraße wird vom Atopischen Tribunal kontrolliert. Dessen Vertreter behaupten, nur seine Herrschaft verhindere den Untergang – den Weltenbrand – der gesamten Galaxis. Perry Rhodan ist von einer Expedition in vergangene Zeiten in die Gegenwart zurückgekehrt. Diese wird nicht nur von der Herrschaft der Atopen bedroht, sondern auch durch die brutalen Tiuphoren, die durch einen Zeitriss aus tiefster Vergangenheit zurückgekehrt sind. Immerhin scheint mit dem ParaFrakt eine Abwehrwaffe gefunden zu sein. Zum Glück arbeitet Rhodan nicht allein, obwohl ihm ein wichtiger Bündnispartner noch fehlt: Vetris-Molaud. Doch wird er sich überzeugen lassen? Erste Anzeichen gab es – und nun ereignen sich zudem LECCORES WANDLUNGEN ...

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Veröffentlichungsjahr: 2016

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Zeit:3 Std. 43 min

Veröffentlichungsjahr: 2016

Sprecher:Andreas Laurenz Maier

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Nr. 2872

Leccores Wandlungen

Im Herzen des Tamaniums – eine Verschwörung soll verhindert werden

Michael Marcus Thurner

Auf der Erde schreibt man das Jahr 1518 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ). Die Menschen haben mit der Liga Freier Terraner ein großes Sternenreich in der Milchstraße errichtet; sie leben in Frieden mit den meisten bekannten Zivilisationen.

Doch wirklich frei ist niemand. Die Milchstraße wird vom Atopischen Tribunal kontrolliert. Dessen Vertreter behaupten, nur seine Herrschaft verhindere den Untergang – den Weltenbrand – der gesamten Galaxis.

Perry Rhodan ist von einer Expedition in vergangene Zeiten in die Gegenwart zurückgekehrt. Diese wird nicht nur von der Herrschaft der Atopen bedroht, sondern auch durch die brutalen Tiuphoren, die durch einen Zeitriss aus tiefster Vergangenheit zurückgekehrt sind. Immerhin scheint mit dem ParaFrakt eine Abwehrwaffe gefunden zu sein.

Zum Glück arbeitet Rhodan nicht allein, obwohl ihm ein wichtiger Bündnispartner noch fehlt: Vetris-Molaud. Doch wird er sich überzeugen lassen? Erste Anzeichen gab es – und nun ereignen sich zudem LECCORES WANDLUNGEN ...

Die Hauptpersonen des Romans

Attilar Leccore – Der Koda Aratier fühlt sich vielfältig.

Paqar Taxmapu – Der Orakel-Page fühlt sich als Tiuphore.

Ev-Pothennen – Der Agent fühlt sich unwiderstehlich.

Dekknotay – Der Krieger fühlt sich als Herr der Lage.

Maxal Xommot – Der Caradocc fühlt sich zurückgesetzt.

Accoshai

1.

Er war Paqar Taxmapu.

Attilar Leccore nutzte einen Schrägbalken, um in das Zwischengetürm zu gelangen. Eiszacken bildeten sich an den Wänden links und rechts, geformt durch exakt abgezirkelte Stöße kühler Luft, die durch geschickt ventilierende Windkanäle und Äolenpfeifen herangeleitet wurden.

Das Licht verlor an Stärke, angenehme Düsternis umfing ihn. Leccore stieg die Treppe mit den ungleich hohen Stufen in das nächste Zwischengetürm hinab, streifte sachte und liebevoll über die feuchte Decke und gelangte durch ein Grubenloch in das Hauptgeschoss.

Andere Tiuphoren kamen ihm entgegen. Manche vollführten Gesten der Ehrerbietung, andere waren zu sehr in ihre Kampfvorbereitung und in das Zwiegespräch mit der Kriegsbrünne vertieft. Es lief eine Bereitschaftsübung im Sterngewerk. Etwa dreißig Prozent der Besatzung waren in die großteils virtuelle Kampfsimulation mit einbezogen.

Oh, sie waren stark, mächtig, großartig! Lichtpünktchen flackerten auf und wanderten über die Kriegsbrünnen. Sie zeigten einen Teil der Erregung, die die Tiuphoren befallen hatte. Auch wenn es sich lediglich um eine Übung handelte – das Kriegsbukett der Mitstreiter war manchmal so stark, dass es selbst ihn erregte. Ihn, den Zwitter. Ihn, das zukünftige Orakel. Ihn, der dereinst als Verbindungsglied zum Catiuphat und damit zum Höchsten dienen würde ...

Attilar blieb stehen. In einem ersten Reflex wollte er sich an der buckligen, schiefen Wand festhalten und tief durchatmen.

Doch das durfte er nicht. Kein Tiuphore würde jemals ein Gefühl der Schwäche auf diese Weise zeigen.

Ich bin Attilar Leccore. Ich bin ein Koda Aratier, aber im Grunde meines Wesens bin ich Terraner.

Ach ja? War das denn wirklich so? Wie sehr hatte sein Wesen gelitten durch die vielen Wandlungen, die er im Laufe seines Lebens durchgemacht hatte? War nicht da und dort ein kleines Teilchen seiner moralischen Ansichten verloren gegangen und durch ein anderes ersetzt worden? Steckte in ihm nicht längst eine Mischung vieler unterschiedlicher Meinungen und Charakterbilder, die selbst er nicht mehr voneinander zu scheiden wusste?

Der Ysicc auf seiner rechten Schulter krächzte leise, als wollte er ihn mahnen, den Weg in die Zentrale der CIPPACOTNAL rasch fortzusetzen. Der Caradocc Maxal Xommot erwartete ihn.

Es war verdammt schwer, die Persönlichkeit eines Tiuphoren nicht beherrschend werden zu lassen! Diese Geschöpfe waren in vielerlei Hinsicht dominant. Nun, da er in die Rolle des Orakel-Pagen Paqar Taxmapu geschlüpft war, war Leccore mit dessen Wesen konfrontiert. Der junge Tiuphore war mit seiner völligen Hingabe zum Catiuphat präsent. Die mentale Stärke dieses Wesens stellte eine stete Herausforderung für Leccore dar. Tag für Tag, Minute für Minute musste er sich dieser Auseinandersetzung stellen.

Eine frei schwebende Energiekugel kreuzte seinen Weg. Sie löste sich aus einem Buckel in der Wand, umkreiste ihn und fuhr mit viel Wucht in den schwammigen Boden, ohne einen Abdruck zu hinterlassen.

War dies eine Warnung der Schiffsführung, sich zu beeilen? In seinem Gedächtnis – in dem des Orakel-Pagen – war nichts zu diesem Thema vermerkt. Manche Geschehnisse an Bord eines Sterngewerks blieben ungeklärt. Sie waren dazu da, die Sinne der Tiuphoren zu schärfen und ihnen zu zeigen, dass sie misstrauisch bleiben mussten.

Attilar machte sich wieder auf den Weg. Nur noch zwei Rutschen, eine Treppe, einige Kehrtrückwärtse und ein mit organischen Wegweisern versehener Gang trennten ihn von der Begegnung mit dem Caradocc.

*

Maxal Xommot lud ihn ein, die Abschlussarbeiten an der BRITOMARTIS gemeinsam mit der Schiffsführung zu beobachten. Attilar Leccore wurde aufgefordert, unter dem rotgoldenen Käfig Platz zu nehmen, in dem das Schiffsorakel hockte. Eines Tages, so war es bestimmt, sollte er dessen Platz einnehmen.

»Die BRITOMARTIS ist so weit«, sagte der Caradocc ohne ein Wort des Grußes. »Die Techniker ziehen sich aus dem Schiff der Terraner zurück. Es werden keinerlei Zeichen einer Manipulation zu erkennen sein.«

»Großartig.« Attilar Leccore zeichnete ein Symbol der Ehrerbietung in die Luft.

»Wie du vorgeschlagen hast, wird man auf Seiten der Terraner glauben, dass das Schiff dem Gefecht mit uns entkommen wäre. – Die beiden feindlichen Raumfahrer sind vorbereitet?«

»Selbstverständlich, Caradocc.« Leccore erhob sich. Moizen schmiegte sich an seinen Hals und gab einen müden Schrei von sich. »Ich habe sie erfolgreich manipuliert. Sie sind leicht zu durchschauen, ihre Geister simpel. Was sie so widerlich macht, ist der Mangel an Ausdünstungen.«

»Dennoch existieren sie und ihre Verwandten schon seit vielen Tausend Jahren in dieser Sterneninsel sowie einigen anderen.«

»Sie hatten viel Glück«, behauptete Leccore. »Und Hilfe. Stets dann, wenn sie nicht mehr weiterwussten, fanden sie fremde Unterstützung.«

»Du bist jung und urteilst entsprechend hart und auch vorschnell, Orakel-Page. Unter den Völkern dieses neuen Phariske-Erigon gibt es viele, gegen die es sich zu kämpfen lohnt. Aber das soll uns nicht weiter interessieren.« Der Caradocc deutete auf die Holowand zwischen zwei Säulen. »Die BRITOMARTIS wird der Beginn ihres Endes sein. Wir kennen ihre Geheimwaffe, dieses HÜSIV-System, das vorgeblich unsere Indoktrinatoren aufhalten kann.«

»Tut es aber nicht!«, rief einer der Offiziere von seinem Platz an einem Stehpult.

Einige Kameraden fielen in wildes, rasch ausuferndes Gebrüll ein, und für wenige Sekunden herrschte – vermeintliches – Chaos in der Schiffszentrale.

Das Durcheinander hielt nicht lange an. Die Tiuphoren ließen nur dann ihren Emotionen freie Bahn, wenn Zeit und Gelegenheit dazu da war. Auch wenn sie durch ihr Gehabe ein völlig anderes Bild vermitteln mochten, wusste Leccore mittlerweile, wie diszipliniert sie waren.

»Das HÜSIV-System der Terraner kann unsere Indoktrinatoren nur für kurze Zeit aufhalten«, sagte der Caradocc. »Wir werden die Flotten der Feinde vernichten. Vielleicht finden sich einige wenige unter ihnen, die es wert sind, in die Schiffsbanner aufgenommen und dem Catiuphat zugeführt zu werden. Lasst uns hoffen, dass die Ernte groß sein wird.«

»Ich zweifle daran«, sagte Leccore. »Die beiden Gefangenen zeigten nur wenig Widerstandkraft, als ich sie behandelte. Ihre Geister sind armselig, ihr Wesen langweilig.«

Auf dem Bildschirm waren Kolonnen von Tiuphoren zu sehen, die die BRITOMARTIS verließen. Hinter ihnen kamen Spezialisten in Anzügen, die selbst die geringsten Spuren verwischten und eine molekulare Reinigung der Atemluft im Inneren des Schiffs vornahmen. Doch damit nicht genug: Prüfroboter schwebten durch die BRITOMARTIS und führten eine dritte, vierte und fünfte analytische Kontrolle durch, bevor sie das terranische Schiff freigaben.

»Alles in Ordnung«, meldete der verantwortliche Offizier über Funk. »Die Gefangenen können an Bord gebracht werden.«

Weitere Befehle hallten durch die zentrale Halle. Eine transparente Kugel geriet ins Holobild. In ihr ruhten die beiden gefangenen Terraner. Sie waren sediert und würden erst in wenigen Stunden wieder zu sich kommen.

Leccore fühlte Hass und Gier gleichermaßen. Der Anblick der beiden erweckte die beiden Gefühle in ihm. Sie waren Feinde – und er wollte sich nur zu gerne mit ihnen in einem Kampf messen. Auch wenn er nicht das Gen eines Kriegers in sich trug, war er empfänglich für die tiuphorische Lust an der Jagd und am Tod.

Mühevoll besann sich Leccore seines eigentlichen Wesens. Der Kampf gegen die Dominanz der von ihm angenommenen Rolle war niemals zuvor so schwer gewesen. Diese Tiuphoren waren in jeglicher Hinsicht unglaublich stark ...

»Ich habe viel Arbeit in die Beeinflussung dieser minderen Gestalten gesteckt«, sagte er. »Auch wenn sie schwach sind, mussten viele Kleinigkeiten berücksichtigt werden. Feindliche Spezialisten werden sie untersuchen. Sorgt also dafür, dass die beiden Terraner nicht zu früh aufwachen. Was ich ihnen in ihre Köpfe eingepflanzt habe, muss sich setzen und sich verdichten. Es dauert, bis sie selbst die Gewissheit haben, dass sie tagelang in Bewusstlosigkeit an Bord der BRITOMARTIS dahingetrieben sind und dass sie niemals die CIPPACOTNAL betreten haben.«

»Das wissen wir, Paqar«, sagte der Caradocc. »Erwartest du noch mehr Lob, noch mehr Aufmerksamkeit?«

»Ich möchte sichergehen, dass alles glattgeht.«

Leccore zeigte Nervosität und beging Fehler. Er redete zu viel und wiederholte das Offensichtliche. Ein Tiuphore beschränkte sich auf Fakten. Nur, wenn er in die Schlacht zog, wenn er die Kriegsbrünne überzog und den Geruch des Kampfes aufnahm, lockerte sich seine Zunge.

Die Gefangenen heißen Thembinkosi John und Reeva Ntoni, sagte sich Leccore. Er ein Oxtorner, sie Terranerin. Sie sind gut ausgebildete Soldaten im Dienste der Liga Freier Terraner. Verbündete, die ich retten konnte und die an Bord der BRITOMARTIS in Sicherheit gelangen werden. Auch wenn ich ihnen mit dem Geschick eines Orakel-Pagen tatsächlich Lügen eintrichtern konnte. Sie werden glauben, dass ihre beiden Kameraden einem Unfall zum Opfer gefallen sind.

In Wirklichkeit waren es Tiuphoren gewesen, die die vernichtenden Schüsse abgefeuert hatten. Dies ist die Geschichte, die ich ihnen mitgegeben habe.

Der Plan, die Tiuphoren über die eigentliche Stärke ihrer gegen die Indoktrinatoren gerichteten Defensivwaffen im Ungewissen zu halten, ging auf. Caradocc Maxal Xommot und seine Mitstreiter würden glauben, dass die Terraner leichte Beute waren. Mit dem Abflug der BRITOMARTIS war dieser Teil seines Auftrags erledigt, ein gewichtiger Sieg errungen.

Die Transportblase senkte sich und glitt durch das offene Hauptschott des Achthundert-Meter-Raumers ins Innere. Winzige Kameras verfolgten den weiteren Weg der Gefangenen. Störsender würden alle terranischen Aufzeichnungen löschen. Alle Daten-Backups der terranischen Positronik waren eliminiert und durch gefälschte Aufzeichnungen ersetzt. Das biologische Plasma in Winterschlaf geschickt, die hypertoyktische Verzahnung unterbrochen worden.

Die Transportblase senkte John und Ntoni sachte ab und entfernte sich dann rasend schnell. Bildsonden zeigten letzte Aufnahmen der Bewusstlosen, dann zogen auch sie sich zurück und verließen die BRITOMARTIS.

»Punkt Null ist erreicht«, sagte ein tiuphorischer Offizier. »Die Abkopplung erfolgt jetzt.«

Weitere Minuten vergingen. Der Raumer der APOLLO-Klasse wurde aus der virtuellen Umklammerung der heimatlichen CIPPACOTNAL entlassen und auf den Weg geschickt. Das Schiff der Terraner nahm Fahrt auf.

Meiner Terraner!, verbesserte sich Leccore.

Noch arbeiteten von Tiuphoren bestimmte Programmvektoren. Sie würden bald vergehen, die Positronik der Terraner erwachen und die Herrschaft über das Schiff übernehmen. Auch sie hatte falsche Erinnerungen implantiert bekommen.

Stille herrschte. Leccore beobachtete den Caradocc, der angespannt die Manöver der BRITOMARTIS im Auge behielt. Erst, als die letzte Verbindung gekappt und der terranische Raumer in die völlige Freiheit entlassen worden war, atmete er durch.

Aus Xommots Sicht war eben das Ende aller gesellschaftlichen, politischen und militärischen Strukturen in der Milchstraße eingeläutet worden.

Leccore blieb ruhig. Er durfte sich nichts anmerken lassen. Nicht die Freude, nicht die Erleichterung.

2.

Er war Paqar Taxmapu.

Ein weiterer Tag, ein weiterer Kampf gegen Gedanken, Wesenszüge, Verhaltensweisen eines Tiuphoren.

Mühsam quälte sich Leccore von seinem Lager hoch und streckte den rechten Arm in Moizens Richtung. Der kaum mehr flugfähige Ysicc krallte sich an seinem Zeigefinger fest und kletterte behäbig über Unter- und Oberarm bis zu Leccores Schulter.

Das begrüßende Krächzen geriet ihm nur schwach. Es klang stolz, aber auch liebevoll. In den vergangenen Tagen hatte Leccore in seiner Rolle als Paqar Taxmapu ein außerordentlich gutes Verhältnis zu dem Geschöpf aufgebaut.

Er sichtete die neuesten Nachrichten im Licht der käferartigen Soccarca. Die Informationen waren selektiert worden, ein Teil blieb ihm verborgen. So war es nun mal im gesellschaftlichen Gefüge der Tiuphoren.

Er fühlte Stolz, als er von Erfolgen der Sterngewerke in anderen Bereichen der Milchstraße hörte – und drängte dieses Gefühl wieder beiseite, so gut es eben ging.

Die Oberfläche einer Siedlungswelt der Jülziish war vernichtet, mehr als drei Milliarden Lebewesen getötet worden. Kleine Raumgeplänkel hatten weitere Siege der Tiuphoren gebracht. Etliche Sextadim-Banner füllten sich. Ruhmreiche tiuphorische Krieger und tapfere Verteidiger der Milchstraße waren es, die für wert befunden worden, Zugang zum Catiuphat zu erhalten.

Für wenige Sekunden erlaubte sich Leccore, in die Rolle eines Terraners zurückzufallen. Die Tiuphoren kannten Tränen, also gab er seiner Verzweiflung nach und presste Sekret aus den Augen, um es so rasch wie möglich wieder beiseitezuwischen.

Es war riskant, was er tat. Doch er benötigte diese emotionalen Erinnerungen an sein Menschsein, wollte er nicht völlig in der Rolle als tiuphorischer Orakel-Page aufgehen.

Wieder einigermaßen gefasst, las Leccore den Rest der für ihn bestimmten Nachrichten.

Sieh an! Etwas später gibt es eine Einsatzbesprechung aller hochrangigen Offiziere unserer kleinen Flotte. Und das an Bord der XOINATIU!

War das seine Chance? Der Tomcca-Caradocc Accoshai hielt sich an Bord der XOINATIU auf. Accoshai war ein erklärtes Zielobjekt. Er stand in der Hierarchie der Tiuphoren ganz oben. Er war der militärische Oberbefehlshaber dieser Epoche. Wenn es Leccore gelang, in die Rolle dieses Mannes zu schlüpfen, erhöhten sich die Chancen, die Strukturen der tiuphorischen Mordmaschinerie noch besser kennenzulernen und letztlich zu zerstören.

Leccore blies sachte gegen die Flughäute des Ysicc und vollführte gemeinsam mit ihm die morgendlichen Gedankenübungen. Der betagte Moizen begleitete ihn auf sonderbare Art und Weise bei den mentalen Spaziergängen, die an das Reich des Catiuphats heranreichten.

Attilar beschäftigte sich intensiv mit seiner Rolle als Orakel-Page. Immer wieder überprüfte er sein Wissen, immer wieder gab er sich seinem Dasein als Tiuphore hin.

»Du wirst erwartet!«, hörte er die Anweisung über die Lautsprecher seiner Kabine. »Mach dich sofort auf den Weg.«

Kein Bitte, kein Danke, keine Höflichkeitsfloskeln. Die Tiuphoren begegneten einander direkt und beschränkten sich fast ausschließlich auf die Weitergabe von Informationen.

Leccore sicherte Moizen auf seiner Schulter und ging los. Es war nicht weit bis zur Zentralhalle. Auch an den Weg hatte er sich längst gewöhnt. Er kam problemlos vorwärts und musste bloß ein einziges Mal innehalten, als Borgos aus dem Boden entwichen und ihm den Weg versperrten. Borgos waren gasgefüllte Behältnisse, die das Schiffsgehirn da und dort auftauchen ließ und die auf eng begrenztem Raum ein verändertes Klima schufen. Manchmal zerbarsten sie und erhöhten die Temperatur um gut zehn Grad Celsius, ein anderes Mal sprühten feinste Eiskrümel unter großem Druck aus dem Behältnis und bombardierten seine Haut.

Attilar gelangte in die kuppelförmige Zentrale. Fünf Totlichter waren zu sehen, alle leuchteten blau. Die schlanken hohen Säulen standen für jeweils ein Schiff der kleinen Flotte. Jenes Totlicht, das das Sterngewerk XOINATIU repräsentierte, schillerte in aufregendem Kobaltblau.

Urccale sandte ihm einen Gruß. Das Orakel saß in seinem Käfig und träumte sich ins Catiuphat. Leccore winkte ihm zu. Der alte Tiuphore war ein erklärter Förderer von Paqar Taxmapu.

Leccore ließ sich auf einen der Besucherplätze im weitläufigen Raum nieder. Der Caradocc deutete ihm mit einer Handbewegung, dass er seine Ankunft registriert hatte, dann verschwand er hinter ihn umkreisenden Holos.

Leccore wartete. Seine Nerven waren angespannt wie so oft während der letzten Tage. Er fühlte sich in seinem Körper unsicher wie selten zuvor nach der Übernahme einer Rolle.

Auf dem Schiff der Tiuphoren begegnete er ständigem Misstrauen. Die Angehörigen des Kriegervolkes überprüften und überwachten sich gegenseitig. Sie steckten in einem permanenten Konkurrenzkampf und lauerten auf Schwächen oder Fehler ihrer Kameraden. Eine falsche Geste, ein falsches Wort – und Leccore steckte in Schwierigkeiten.

Es dauerte eine Weile, bis Maxal Xommot die anstehenden Arbeiten erledigt hatte und sich die Menge der ihn umschwirrenden Holos auf ein halbes Dutzend reduziert hatte. Der Caradocc wandte sich ihm zu.

»Du wolltest mich sehen?«, fragte Leccore.

»Ich möchte deinen Rat einholen, Orakel-Page.«

»Ich stehe wie immer zur Verfügung.«

»Natürlich tust du das. Manchmal frage ich mich, ob du nicht ein klein wenig zu begierig darauf bist, mir zu helfen.«

»Ich bin kein Krieger und könnte niemals deinen Platz einnehmen, Caradocc. Darüber hinaus tut ein kluger Anführer wie du gut daran, sich die besten Berater zu suchen.«

»Du bist schrecklich von dir eingenommen, Taxmapu. Und warum sollte ich auf das Wort eines Orakel-Pagen hören? – Natürlich stehst du im Austausch mit den ins Catiuphat eingegangenen Heroen unserer Geschichte. Doch was wissen die schon über die aktuellen Schwierigkeiten? Zählt heute noch, was an Bord eines Sterngewerks vor zweihundert oder zweitausend Zeitstrecken Gültigkeit hatte?«

Leccore fühlte, dass er in Gefahr war. Der Caradocc war durch und durch machtbesessen. Er sah überall Feinde und verfolgte seine Gegner erbarmungslos. Dennoch musste der Orakel-Page ihm mit Aggressivität begegnen. Eine andere Sprache verstand der Caradocc nicht.

»Selbstverständlich berate ich mich häufig mit mentalen Komponenten der Vorfahren. Aber ich bin noch nicht so weit, sie ausreichend gut zu verstehen. Was du von mir zu hören bekommst, ist das Resultat meiner Überlegungen.

Frag Urccale, was er von mir hält. Frag deine Kämpfer, deine Offiziere, frag die Niedersten an Bord der CIPPACOTNAL. Gibt es jemanden, der einen Vorwurf gegen mich vorbringen kann? Habe ich je falsche Ratschläge gegeben?«

Leccore atmete tief durch die Nasenschlitze und pustete dann durch. Schleim platschte auf den Boden. »Ich bin gut in dem, was ich tue, Caradocc. Ich bin loyal. Ich bin zutiefst von unseren Idealen überzeugt und vertraue auf das Catiuphat. Also nutze mich gefälligst, Maxal Xommot! Mach, dass dieses Sterngewerk bald zu einem der ruhmvollsten der Tiuphoren wird und man über die Besatzung der CIPPACOTNAL Loblieder singen wird!«

Der Caradocc erhob sich von seinem Platz. Langsam, kaum beherrscht. Er dampfte. Er roch nach erwachender Wut. Er glitt in den Kampfmodus.

Und plötzlich lachte Maxal Xommot. Laut, mit weit nach hinten gebogenem Oberkörper, aus vollem Herzen. Es schien, als wollte er gar nicht mehr aufhören, so sehr begeisterte sich der Caradocc an Leccores Worten.

»Du riskierst viel mit deinen Unverschämtheiten«, sagte der Kommandant der CIPPACOTNAL, nachdem er sich wieder beruhigt hatte. »Einem anderen hätte ich den Kopf abgerissen. Du aber amüsierst mich, Taxmapu. Du hast Mut und bringst mir eine Offenheit entgegen, die dich ehrt.«

Leccore senkte den Kopf, um seine Erleichterung verbergen zu können. Anschließend machte er eine Geste der Ehrerbietung und ließ es geschehen, dass sich der Ysicc an sein Gesicht schmiegte. So, als wollte auch Moizen ihm bestätigen, dass er das Richtige gesagt und getan hatte.

»Du wolltest meinen Rat zu einem Problem hören?«, erinnerte er den Caradocc.

»Richtig, Taxmapu.« Maxal Xommot setzte sich wieder. »Der Tomcca-Caradocc hat mich aufgefordert, an Bord seiner XOINATIU zu kommen, gemeinsam mit den Caradoccs der PEYZCAVVAL, der DENUPAXA und der YLLYTAXO.«

»Ich habe davon gelesen.«

Eine Stummblase entstand rings um Maxal Xommot und ihn. Sie schirmte sie beide von allen anderen Anwesenden in der Zentrale ab.

»Wie du weißt, stehen wir in einem steten Wettkampf. Welches Sterngewerk fügt die wertvollsten Bewusstseine seinem Banner hinzu, welches erreicht die meisten feindlichen Abschüsse, wessen Angriffspläne erweisen sich als bestgeeignet, wessen Truppen erzielen bei Auseinandersetzungen die wunderbarsten Tötungen?«

»Als Orakel-Page kann ich nicht alles zur Gänze nachvollziehen. Mir fehlt das Gespür dafür. Aber ich weiß, wovon du redest.«

»Natürlich weißt du das! Warum redest du immer wieder über das Offensichtliche?«

»Verzeih.« Leccore hatte einen weiteren Fehler begangen. Viele von dieser Art würde er sich nicht mehr leisten können. Smalltalk galt in den Augen der Tiuphoren als erbärmliche Schwäche, für die ein anderer längst gemaßregelt worden wäre.

»Der Tomcca-Caradocc und ich haben in vielerlei Hinsicht unterschiedliche Auffassungen. Um es deutlich zu sagen: Er ist ein Kretin.«

»Ich verstehe.« Und du bist ein herzensguter, liebevoller Schiffskommandant, der für die Probleme all seiner Untergebenen jederzeit zu sprechen ist.

»Ich möchte von dir einen Plan, wie ich mich dem Tomcca-Caradocc gegenüber verhalten soll. Auf meine militärischen Ratgeber kann ich mich in dieser Hinsicht nicht verlassen. Du jedoch, als Zwitter, der den Geruch der Aggressivität nur abgeschwächt wahrnimmt, weißt womöglich, was zu tun ist.«

»Strebst du Accoshais Position an?«

»Wer tut das nicht? Er ist auch unter den anderen Caradocc wenig beliebt.«

»Geht es um das übliche Konkurrenzverhalten – oder steckt mehr dahinter?«

»Es steckt immer mehr dahinter, als es den Anschein hat.« Maxal Xommot streckte einen Fuß aus und kreuzte nachdenklich die Arme. »Ein Kampf um die Vorherrschaft in einem Flottenverbund findet auf mehreren Ebenen statt. Auf der ästhetisch-künstlerischen. Auf einer der persönlichen Beziehungen. Auf der des Kampfes, auf der von Ansichten und Meinungen zum Catiuphat.«

»Du sprichst das Offensichtliche aus.«