Perry Rhodan 3110: Gators zweite Chance - Kai Hirdt - E-Book

Perry Rhodan 3110: Gators zweite Chance E-Book

Kai Hirdt

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Beschreibung

In der Milchstraße schreibt man das 6. Jahrtausend nach Christus, genauer das Jahr 5658. Das entspricht dem Jahr 2071 NGZ nach der galaxisweit gültigen Zeitrechnung. Über dreitausend Jahre sind vergangen, seit Perry Rhodan die Menschheit zu den Sternen führte und sie seither durch ihre wechselvolle Geschichte begleitet. Noch vor Kurzem wirkte es, als würde sich der alte Traum von Partnerschaft und Frieden aller Völker der Milchstraße und der umliegenden Galaxien endlich erfüllen. Terraner, Arkoniden, Gataser, Haluter, Posbis und all die anderen Sternenvölkern stehen gemeinsam für Freiheit und Selbstbestimmtheit ein, womöglich umso stärker, seit ES, die ordnende Superintelligenz dieser kosmischen Region, verschwunden ist. Als die Liga Freier Galaktiker erfährt, dass in unmittelbarer galaktischer Nähe ein sogenannter Chaoporter gestrandet sei, entsendet sie mit der RAS TSCHUBAI das größte Fernraumschiff der Liga, um den Sachverhalt zu klären. Denn es heißt, von FENERIK gehe eine ungeheure Gefahr für die Milchstraße aus. Während Perry Rhodan als Allianz-Kommissar in der Andromeda vorgelagerten Kleingalaxis Cassiopeia auf der Suche nach FENERIK ist, sind drei vorgebliche Deserteure des Chaoporters in terranischem Gewahrsam. Fieberhaft sucht die Liga nach Hinweisen und Erkenntnissen über die Gefährdungslage. Dadurch ergibt sich auch GATORS ZWEITE CHANCE ...

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Nr. 3110

Gators zweite Chance

Das Chaos greift nach Umbriel – ein einsamer Kampf um den Uranusmond

Kai Hirdt

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.

21.

Stellaris 80

Vorwort

»Der Intelligenztest« von Ulf Fildebrandt

Leserkontaktseite

Glossar

Impressum

In der Milchstraße schreibt man das 6. Jahrtausend nach Christus, genauer das Jahr 5658. Das entspricht dem Jahr 2071 NGZ nach der galaxisweit gültigen Zeitrechnung. Über dreitausend Jahre sind vergangen, seit Perry Rhodan die Menschheit zu den Sternen führte und sie seither durch ihre wechselvolle Geschichte begleitet. Noch vor Kurzem wirkte es, als würde sich der alte Traum von Partnerschaft und Frieden aller Völker der Milchstraße und der umliegenden Galaxien endlich erfüllen.

Terraner, Arkoniden, Gataser, Haluter, Posbis und all die anderen Sternenvölkern stehen gemeinsam für Freiheit und Selbstbestimmtheit ein, womöglich umso stärker, seit ES, die ordnende Superintelligenz dieser kosmischen Region, verschwunden ist.

Als die Liga Freier Galaktiker erfährt, dass in unmittelbarer galaktischer Nähe ein sogenannter Chaoporter gestrandet sei, entsendet sie mit der RAS TSCHUBAI das größte Fernraumschiff der Liga, um den Sachverhalt zu klären. Denn es heißt, von FENERIK gehe eine ungeheure Gefahr für die Milchstraße aus.

Während Perry Rhodan als Allianz-Kommissar in der Andromeda vorgelagerten Kleingalaxis Cassiopeia auf der Suche nach FENERIK ist, sind drei vorgebliche Deserteure des Chaoporters in terranischem Gewahrsam. Fieberhaft sucht die Liga nach Hinweisen und Erkenntnissen über die Gefährdungslage. Dadurch ergibt sich auch GATORS ZWEITE CHANCE ...

Die Hauptpersonen des Romans

Aurelia Bina – Die Posmi ist die stellvertretende Leiterin des Liga-Geheimdienstes.

Truman »Gator« Oudenkerk – Der TLD-Agent ergreift seine zweite Chance.

XXI – Der Whistler-Spross plant ein spektakuläres Geschäft.

Maryland

1.

Port Tanwalzen war ein Geheimdienststützpunkt, wurde aber mit militärischer Strenge geführt. Für alles gab es klar festgelegte Abläufe und Zuständigkeiten. Ordnung, so rief die Kommandantin stets und ständig ins Gedächtnis, war ein hohes Gut. Ordnung half, Krisen vorzubeugen.

Dieser Glaube wurde allerdings erschüttert, sobald man ins Büro von Truman Oudenkerk trat. Oudenkerk war zweifellos ein Meister seines Fachs, konnte sich aber nur selten aufraffen, sich um Belanglosigkeiten des Alltags zu kümmern – solche Dinge, wie alle paar Monate mal aufzuräumen.

Anderen gegenüber behauptete er, das kreative Chaos sei notwendig für Spitzenergebnisse. Seine Aufgabe war es schließlich, Ideen zu entwickeln: abwegige Bedrohungsszenarien zu erdenken, gegen die man sich in dieser geheimen Anlage des Terranischen Liga-Dienstes absichern konnte.

Übergroße Geradlinigkeit des Denkens und des Umfelds half dabei nicht. Im Gegenteil. Sie verführte dazu, Einfälle einfach deshalb abzutun, weil sie absurd erschienen. Nach Oudenkerks Erfahrung aber schätzte das Universum Absurditäten. Anders war es nicht zu erklären, dass er noch lebte.

Er schloss die Augen und konzentrierte sich auf eine Meditationsübung, die ihm die Mediker zur Entspannung beigebracht hatten. Seine Fußspitze wippte weiter, statt sich ganz der Entspannung hinzugeben. Oudenkerk achtete darauf, nicht den Stapel abgegessener Tabletts umzustoßen, die er irgendwann einmal in die Kantine zurückbringen würde.

»Gibt's Neuigkeiten vom Mars?«, fragte er.

Die warme, freundliche Stimme DIAVOLOS antwortete. »Bislang gibt es kein konkretes Anzeichen, dass die Macht hinter dem Tropfen feindlich gesinnt ist.«

Oudenkerk achtete auf Nuancen in der Stimme des Kontra-Computers. Die Maschine war geschaffen worden, möglichst unwahrscheinliche Szenarien zu durchdenken und all jenen Möglichkeiten eines Wahrscheinlichkeitsbaums nachzuspüren, die ein normaler Rechner als abwegig und Verschwendung von Rechenkapazität klassifizierte.

Perry Rhodan hatte vor anderthalb Wochen auf dem Mars ein unbekanntes Gebilde – wahrscheinlich ein Fahrzeug oder Raumschiff, was man so hörte – in Form eines Tropfens geortet. Nun war dieser Tropfen wieder aufgetaucht, und weil er bislang keinen Schaden angerichtet hatte, vermuteten die Medien und der Geheimdienst, dass der Tropfen und seine mutmaßliche Besatzung der Menschheit grundsätzlich wohlgesinnt oder mindestens neutral gegenüberstand.

DIAVOLOS Job war es, das anders zu sehen. Truman Oudenkerk wiederum hatte die Aufgabe, aus der Vielzahl finsterer Prognosen des Kontra-Computers jene herauszufiltern und weiterzugeben, die weitere Beachtung verdienten. Sie bildeten ein gutes Team.

Er schlug die Augen auf. DIAVOLOS Avatar war als Holo erschienen und saß ihm direkt gegenüber, ein perfektes Spiegelbild von Oudenkerks eigener Haltung. Allerdings sah DIAVOLO besser aus. Er war nach Oudenkerks Vorbild gestaltet, hatte aber noch das blonde, wellige Haar, die strahlend blauen Augen und den durchtrainierten Körper aus der Gator-Zeit ... damals.

»Spielen wir ein Spiel«, schlug Oudenkerk vor. »Der Tropfen ist böse. Begründung!«

»Synchronizität der Ereignisse«, gab DIAVOLO postwendend zurück. »Ein Raumschiff unbekannter Bauart reist auf unbekannte Weise ins gut geschützte Solsystem und materialisiert auf dem Mars. Das erfordert eine Transport- oder Tarntechnik, die jener der Menschheit weit voraus ist.«

»Gehe ich mit«, erklärte Oudenkerk. »Weiter.«

»Nahezu gleichzeitig kommt es im Tannhäusersystem zu einem Raumphänomen, das nur mit einer Technik zu erklären ist, die jener der Menschheit weit voraus ist. Ein Explorerschiff dringt vor und rettet drei Fremdwesen, die angeblich von den Chaotarchen zur Menschheit überlaufen wollen. Die Chaotarchen sind Feinde und den Terranern technologisch um Jahrmillionen voraus. Sie verfügen mit Sicherheit über die Möglichkeit, ein Tropfenschiff auf dem Mars erscheinen zu lassen.«

»Denkbar.« Oudenkerk schloss die Augen und rückte in eine bequemere Position. »Aber noch nicht überzeugend. Das Tannhäusersystem liegt fast dreitausend Lichtjahre entfernt.«

»Aber«, wandte DIAVOLO ein, »die Überläufer dort haben sich an die Terraner gewandt und um Asyl gebeten. Daraufhin wurden sie ins Solsystem gebracht. An den Ort des Tropfens.«

Oudenkerk strich sich über die lästigen Bartstoppeln. Er hatte die letzten paar Tage morgens keine Lust gehabt, sich zu rasieren. »Das gibt nur dann Sinn, wenn Tropfen und Überläufer in Beziehung stehen. Zum Beispiel: Der Tropfen hat ausgekundschaftet, und die Überläufer haben danach ihr Zielsystem ausgewählt.«

»Vollkommen im Bereich des Möglichen«, erklärte DIAVOLO.

»Warum ist der Tropfen dann jetzt wieder aufgetaucht? Er hat seine Aufgabe doch erfüllt.«

»Seine Aufgabe beschränkt sich vielleicht nicht aufs Kundschaften«, sagte DIAVOLO. »Jetzt, da die Chaosdiener im System sind, beginnt Phase Zwei des Plans.«

Oudenkerk entging es keineswegs, dass die Überläufer von vorhin auf einmal zu Chaosdienern geworden waren. Allmählich wurde der Gedankengang interessant, denn die drei Fremdwesen befanden sich nicht irgendwo im System, sondern nur wenige Hundert Meter entfernt: im Hochsicherheitstrakt von Port Tanwalzen, wo Geheimagenten und hochdekorierte Spezialisten von gleich drei Milchstraßenmächten versuchten, ihnen Geheimnisse zu entlocken.

»Woher weiß der Tropfen, dass die Überläufer hier sind? Ihr Transport ins Solsystem war streng geheim. Sie haben keinerlei Kommunikationsmöglichkeiten.«

»Keinerlei uns bekannte Kommunikationsmöglichkeiten«, präzisierte DIAVOLO. »Aber die Chaotarchen verfügen über technische Möglichkeiten, die jenen der Menschheit ...«

»... um Jahrmillionen voraus sind«, sprachen sie den Satz gemeinsam fertig. Oudenkerk setzte sich auf und rollte mit dem Stuhl an seinen Arbeitstisch heran. Allmählich bekam er ein mulmiges Gefühl bei der Sache. Die Theorie klang allmählich plausibel.

Das allerdings war bei fast allen Gedankengespinsten DIAVOLOS der Fall. Er musste tiefer bohren, bevor er die Stützpunktkommandantin in Kenntnis setzte. Oudenkerk mied Menschen generell, und Tabea Maryland insbesondere. Wenn er Kontakt mit ihr riskierte, brauchte das einen guten Grund.

Wie kommunizierten die Chaosdiener, sofern es noch welche waren? Wie konnte man das unterbinden? Welche Gefahr drohte, falls es nicht gelang?

Wie automatisch fuhr sein Finger die sanften Rundungen seines Strahlerkolbens entlang. Das Schulterstück der Waffe ragte ein wenig unter dem Tablettstapel hervor; eine Erinnerung an bessere Tage, da Oudenkerk persönlich im Undercovereinsatz gewesen war, statt nur Daten auszuwerten und zu warnen. Der kühle Kunststoff, die leichte Textur, die einen sicheren Griff ermöglichte – sie wirkten noch immer beruhigend auf ihn. Sie hatten schließlich mögliche Chaosagenten im Stützpunkt. Vielleicht war es gar nicht so falsch, eine Waffe parat zu haben ...

»Truman?«, fragte DIAVOLO sanft. »Sprechen wir noch miteinander?«

»Klar!« Abrupt kehrte Oudenkerk in die Realität zurück. Bislang war nichts gesichert und alles nur ein Gedankenspiel. »Auf welche Daten haben die Überläufer Zugriff, die sie an den Tropfen übermitteln können? Und wie kommen sie an diese Daten heran?«

Krachend flog die Tür hinter ihm auf.

Oudenkerk riss den Strahler unter den Tabletts hervor, ließ sich zu Boden fallen, rollte sich ab und kam hinter der Deckung seines Arbeitstisches wieder hoch, auf ein Knie abgehockt, schussbereit.

»Hey, Gator!«, rief die Gestalt in der Tür. »Überraschung! Weg mit dem Ding da! So empfängt man keine alten Kumpel!«

XXI.

Heimo Whistler XXI., genannt XXI. Oudenkerk hatte ihn seit dem Vorfall nicht gesehen, und er hatte nichts vermisst. Er ließ die Waffe sinken und stand auf. »Bist du verrückt?«, raunzte er. »Ich hätte dich umbringen können.«

XXI betrieb einige der windigeren Tochterfirmen des großen Whistlerkonzerns. Gut war er nur als Experte für interaktive Holosimulationen und Designer fiktiver Monsterjagden in Gleitern oder auf Skiern. Beides wurde auf Port Tanwalzen nicht benötigt. Was tat er also in Oudenkerks Allerheiligstem?

XXI grinste breit. »Der Gator, den ich kenne, war nicht so schreckhaft. Aber du reagierst genauso schnell wie früher, das ist doch was! Würde man gar nicht glauben.« Er schritt vor, griff ungefragt nach den überschüssigen Kilos an Oudenkerks Bauch und setzte sie in Wallung. »Hast zugelegt, was? Jetzt weg mit dem Ding und komm mit, ich muss dir was zeigen!«

Oudenkerk steckte die Waffe wieder ins Holster. »Niemand nennt mich mehr ›Gator‹. Das ist vorbei.«

»Unfug.« XXI winkte ab. Er war schon immer gut darin gewesen, Realitäten zu ignorieren, die nicht in sein Konzept passten. In gewisser Hinsicht ähnelte er darin einem Kontra-Computer. »Kommst du jetzt mit?«

Truman Oudenkerk hatte XXI seit Jahren nicht gesehen, aber anscheinend hatte sich der frühere Freund – anders als Oudenkerk selbst – nicht im Mindesten verändert. Das hieß, dass er ihn nicht loswerden würde, bis XXI seinen Willen bekommen hatte.

Am besten fügte er sich in sein Schicksal. Dann war es wenigstens schnell vorbei.

Sich zu fügen war schließlich etwas, das er seit Jahren trainierte.

*

Whistler führte ihn zu einer Außenschleuse und hielt ihm einen SERUN hin. Nicht das Standardmodell, sondern etwas aus den Werkstätten der Whistler-Company. »Deine Chefin will vielleicht meine Simulationsparcours als Trainingsmethode einführen«, erklärte er endlich den Grund seiner Anwesenheit. »Stell dir das vor, der Geheimdienst kauft meine Monsterjagden!«

Oudenkerk stellte es sich vor. Er brauchte keinen Kontra-Computer, um sich auszumalen, was bei einer Zusammenarbeit mit XXI alles schiefgehen konnte. Und wie er von seiner Loge aus genüsslich verfolgen konnte, wie Maryland ihre Schnapsidee um die Ohren flog. Sein Interesse war geweckt. »Schön und gut. Was hat das mit mir zu tun?«

Illustration: Swen Papenbrock

»Alter, ich kenne keinen besseren Jäger als dich! Als ich aufgeschnappt habe, dass du auf Port Tanwalzen bist, war klar: Ich brauche deine Meinung, bevor ich den Parcours präsentiere!«

Oudenkerks Magen zog sich zusammen. Er jagte seit Jahren nicht mehr, und XXI musste das wissen. Aber natürlich ignorierte XXI, was ihm nicht in den Kram passte.

»Meinetwegen«, sagte er. Er würde seinem Schicksal ohnehin nicht entkommen, und er hatte Schlimmeres durchgestanden als das. »Ich schaue mir den Plan und die Monster an.« Whistlers Schutzanzug ließ sich genauso schnell überstreifen und abdichten wie die Modelle, mit denen Oudenkerk vertraut war. Er saß wie angegossen – nicht selbstverständlich, immerhin war Oudenkerk mit über zwei Metern Körperlänge und sichtbarem Übergewicht nicht gerade terranischer Durchschnitt. Entweder hatte die Whistler-Company also einen erstaunlich dehnbaren und anpassungsfähigen SERUN-Stoff entwickelt, oder XXI hatte ihm ein maßgeschneidertes Modell mitgebracht.

Das passte nicht gut mit der Geschichte zusammen, dass Whistler nur zufällig von Oudenkerks Stationierung erfahren hätte.

Eigentlich ein weiterer Grund, umzudrehen. Er ging sowieso nicht gerne hinaus auf Umbriels Oberfläche. Der Uranusmond war einer der dunkelsten Orte des Solsystems. Die Kälte, die Finsternis ... Sie weckten Erinnerungen. Er spürte, wie sein Herzschlag sich beschleunigte.

»Schon aufgeregt?« Whistlers Grinsen traf exakt den schmalen Grat zwischen erwartungsfroh und manisch.

Ja, aber aus einem anderen Grund, als Whistler vermutlich meinte. Oudenkerk wollte nicht hinaus.

Früher hätte er darauf gebrannt. Als Gator war er der berühmteste Jäger des Solsystems gewesen. Aber das war alles Vergangenheit. Oudenkerk jagte nicht mehr im Dunkeln, und er wollte Heimo Whistler keineswegs den Grund dafür erklären. Er wollte nicht darüber sprechen. Nicht über den Vorfall. Nicht über die Jahre danach.

Genau das würde er aber tun müssen, wenn er sich jetzt weigerte mitzugehen. Oudenkerk quälte ein Lächeln auf sein Gesicht und öffnete die Schleuse.

*

Finsternis.

Hinter ihnen der dunkle Block des Stützpunkts mit nur wenigen Scheinwerfern und erleuchteten Panoramafenstern.

Vor ihnen die unglaublich lichtlose Schwärze Umbriels in Doppelnacht – abgewandt sowohl von der fernen Sonne als auch von der gewaltigen Masse des Uranus, die bei Halbnacht den Himmel dominierte.

Finsternis und Kälte. Gator steckt fest, hinabgerutscht in eine Spalte im Eis. Ein Bein und beide Arme gebrochen. Schmerzen. Der Helm gesprungen. Der lebensspendende Sauerstoff sickert aus dem System. Um Hilfe rufen darf er nicht, die Tefroder würden ihn entdecken und töten.

Kiri schweigt ebenfalls.

Eisbrocken regnen um ihn in die Tiefe, werden ihn bald unter sich begraben. Ein eisiges Grab, niemand wird seine Leiche je finden. Nur ein Vermerk in TLD-Datenspeicher: im Einsatz verschollen.

»Hey! Hey!« XXI hüpfte vor ihm in die Höhe und schnippte mit behandschuhten Fingern vor seinem Gesicht. Die Positronik des Whistler-SERUNS spielte die passenden Geräusche in Oudenkerks Ohren. »Aufwachen, Alter! Alles in Ordnung?«

»Alles in Ordnung«, log Oudenkerk. Er sah über die leere Fläche hinweg, soweit die Außenbeleuchtung von Port Tanwalzen sie erleuchtete – immerhin eine Distanz von anderthalb Kilometern in jede Richtung. Ganz am Rand des Sichtfelds sah er Staub aufwallen, als habe da etwas Schweres und Unsichtbares den Mondboden berührt.

Er halluzinierte also, und das früher als erwartet. Es wurde Zeit für sein Medikament. »Also, wo soll die Strecke langführen? Ich habe nicht viel Zeit.«

Was immer Whistler ihm zeigen wollte, es musste schnell gehen. Oudenkerk brauchte sehr bald die Sicherheit seiner vertrauten Umgebung – und seine Dosis Narcanin.

»Na, was schon, Mann?« Wieder zeigte XXI dieses halbirre Grinsen. »Wir sind schon am Start! Wir können loslegen und die Jagd beginnen! Wie früher!«

»Nein!«, rief Oudenkerk, lauter und aufgeregter, als er gewollt hatte. »Ich mache das nicht! Ich jage nicht mehr! Such dir einen anderen!«

Er wandte sich um, hieb auf den Aktivierungsknopf der Schleuse. Die Tür öffnete sich nicht sofort – im Innern musste erst wieder die Atmosphäre abgepumpt werden.

»Hey, gib mir eine Chance!«, rief Whistler. »Hör mich wenigstens an!«

»Nein, ich ...« Irgendetwas tat sich mit Oudenkerks SERUN. Seine Schuhe leuchteten und zogen sich in die Länge. Eine Spitze wuchs vorne heraus, eine rechteckige Verlängerung hinten. Skier.

»Nein!«, schrie Oudenkerk. Seit dem Vorfall hatte er keine Skier mehr getragen, aus gutem Grund.

Die Flucht. Der Sturz. Die Schmerzen. Die Dunkelheit.

Er kämpfte dagegen an.

»Was ist denn los, Gator? Was Besseres kann dir auf diesem Felsklumpen ...«

»Nenn mich nicht so!«, kreischte Oudenkerk. Endlich öffnete sich die Schleusentür. Er stapfte hinein, verhedderte sich mit den Skiern und stürzte zu Boden. Immerhin registrierte der SERUN die Gefahr und fuhr die Erweiterungen wieder ein, sodass er nicht hängen bleiben und sich etwas brechen konnte.

Nicht wie damals ...

2.

Aurelia Bina überließ den Landeanflug dem Autopiloten ihrer gut getarnten Space-Jet. Es gab keinen Grund, ihre eigenen Rechenkapazitäten mit dem Routinemanöver zu beanspruchen. Sie konzentrierte sich lieber auf die anspruchsvolle Aufgabe, mit einem Menschen zu kommunizieren – ein Vorgang, der sich erfahrungsgemäß binnen Sekunden von reiner Routine zu einer hochkomplexen und schwierigen Interaktion entwickeln konnte.

»Aurelia Bina, stellvertretende Leiterin des Terranischen Liga-Dienstes, erbittet Landeerlaubnis«, kündigte sie sich an. »Sende Autorisierung.«

Auf diese Nachricht hin dürfte es im Inneren von Port Tanwalzen hoch hergehen. Aurelia hatte den Stützpunkt auf Umbriel erst vor einem Tag verlassen, und ganz sicher hatte dort niemand mit ihrer so raschen Rückkehr gerechnet. Sie selbst eingeschlossen. Aber eine neue Faktenlage schuf neuen Handlungsbedarf.

»Erbitte Bestätigung«, setzte sie hinzu. Zeitgleich mit dem Funkspruch ließ Aurelia Bina den Ortungsschutz ihres Schiffs für eine Millisekunde fallen. Das würde die Funk- und Ortungszentrale zusätzlich ablenken. Alles in allem war so sichergestellt, dass niemand ein Auge für Aurelias zweites Schiff haben würde, das ebenso gut getarnt und ohne künstliche Aussetzer etwas abseits des Stützpunkts landete, ganz knapp außerhalb des beleuchteten Bereichs.

Das Ablenkungsmanöver war kein freundlicher Akt gegenüber den eigenen Leuten. In Aurelias komplexer Programmierung aktivierten sich die Routinen für Bedauern. Aber angesichts der unberechenbaren und womöglich hochgefährlichen Gäste in dem Komplex war diese Form der Vorsicht notwendig.

Zudem hatte die Kommandantin des Stützpunkts, Tabea Maryland, bei Aurelias erstem Besuch keinen Wert auf Freundlichkeit gelegt. Insofern war die unhöfliche Überrumpelung bei ihrer Rückkehr durchaus zu rechtfertigen.

Der Orter mochte sich außerdem freuen, dass er einen Reflex des getarnten Schiffs aufgefangen hatte. Es ließ Aurelia fehlbar erscheinen und somit menschlicher wirken. Nicht so sehr wie die hochleistungsfähige positronisch-semitronische Entität in menschlicher Gestalt, die sie nun einmal war. Kleine, strategisch eingesetzte Unzulänglichkeiten erleichterten vielen Menschen die Zusammenarbeit mit ihr.

Ohne unnötige Worte erteilte Port Tanwalzen ihr Landeerlaubnis und wies ihr einen Hangar zu. Der Boden bewegte sich und gab eine 50 Meter durchmessende Öffnung frei. Ein Leitstrahl führte Aurelias Space-Jet hinein.

Das Raumfahrzeug landete. Die Decke schloss sich, und Luft strömte in die Halle.

Aurelia wartete, bis der Vorgang abgeschlossen war, bevor sie die Jet verließ. Als robotisches Endoskelett mit biologischer Velamen-Hülle hätte sie sich problemlos sofort zum Hangarausgang bewegen können. Wieder einmal war das Ziel, Nähe zu den Menschen zu signalisieren. Sie benötigte eine vernünftige Arbeitsatmosphäre mit Maryland, und wenn der Weg dazu über eine Sauerstoffatmosphäre im Hangar führte, sollte es eben so sein.

Aurelias Routinen für Humor und Amüsement sprachen nicht auf das versuchte Bonmot an. Humor war etwas, das sich sehr schwer in Datenströme übersetzen ließ. Sie arbeitete seit Jahrzehnten an der Ausmerzung dieses Defizits, aber die Erfolge stellten sich nur langsam ein.

*

Maryland erwartete sie in ihrem Büro. Die Stationskommandantin, groß, dunkelhaarig, mit schmalem Gesicht und abwärts gezogenen Mundwinkeln, stand hinter ihrem Schreibtisch, der wie eine Trennmauer zwischen ihr und Aurelia aufragte.

Seitlich und etwas hinter Maryland stand ihr Stellvertreter Sebastian van Houten. Er reichte der Kommandantin nur bis an die Schulter. Obwohl er erst 37 war, war sein Haar schlohweiß. Es saß unbeweglich in einer seitengescheitelten Kurzhaarfrisur, die wesentlich roboterhafter wirkte als Aurelias blonde Mähne.

»Leiterin Bina«, sagte Maryland. »Ein unerwartetes Vergnügen.« Sie sah kein bisschen vergnügt aus.

Aurelia rief die Personalakte der Stationskommandantin auf und führte die Inhalte mit ihren persönlichen Eindrücken vom ersten Besuch zusammen. Tabea Maryland war eine Prinzipienreiterin, dabei aber nicht unkreativ. Sie hatte früh ihr erstes kleines Kommando erhalten und sämtliche Abläufe, von den Meldeketten über das Trainingsprogramm bis hin zum Ernährungsplan, so rigoros optimiert, dass sie sich mit den so erzielten Erfolgen für höhere Weihen empfohlen hatte.

Obwohl erst 42, kommandierte sie schon seit sechs Jahren Port Tanwalzen, einen streng geheimen Forschungs- und Analysestützpunkt des TLD auf Umbriel. In dieser Zeit war es nicht zu einem einzigen relevanten Sicherheitsvorfall gekommen. Das ging, so die Beurteilung ihres vorgesetzten Offiziers, darauf zurück, dass Maryland jedes erdenkliche Problem voraussah und sich entsprechend vorbereitete.

Dan Takahashi, Aurelias direkter Vorgesetzter und Leiter des Liga-Dienstes, zog aus dieser Konstellation andere Schlüsse, gleich zwei an der Zahl. Zum einen sagte er, Erfolg mache bequem. Angesichts der Wichtigkeit der Gäste auf Port Tanwalzen war deshalb eine externe Überprüfung der Sicherheit wichtig.

Zum anderen benötigten sie schnell Resultate, und Maryland dachte in wiederholbaren Prozessen. Wenn man allerdings drei Überläufer einer Chaotarcheneinheit beherbergte, konnte es durchaus zu unerwarteten Situationen kommen. Aurelia sollte überprüfen, ob die Kommandantin mit einer solchen Lage umgehen konnte.

Aurelia ließ Zeit verstreichen, bis das Schweigen unangenehm wurde. Erst dann behauptete sie: »Das Vergnügen ist ganz meinerseits.«

Maryland wies auf den Besucherplatz. »Setz dich. Was verschafft mir die Ehre?«

Aurelia folgte der Einladung. »Ein Auftrag von Dan Takahashi. Seid ihr über die jüngsten Ereignisse auf dem Mars informiert?«

Maryland setzte sich bedächtig und sah zu van Houten. Ihr Stellvertreter blieb stehen und ließ das allerleichteste Schulterzucken erahnen.

»Dieser Tropfen, den Perry Rhodan im Sirenenmeer gesucht hat, ist wieder aufgetaucht«, erläuterte Aurelia. »Es besteht Anlass zu der Vermutung, dass er einer Technik entstammt, die unserer eigenen weit voraus ist. Möglicherweise Superintelligenzenniveau, oder sogar von noch höheren Mächten. An dieser Stelle kommen die Überläufer ins Spiel.«

»Ihre Anwesenheit auf Umbriel lenkt eine Aufmerksamkeit aufs Solsystem, die wir lieber vermeiden möchten?«, riet van Houten.

»Das ist zumindest möglich«, stimmte Aurelia zu. »Andererseits gibt es kaum einen anderen so gut gesicherten Ort in unserem gesamten Einflussbereich. Deshalb möchten wir sie ungern verlegen, solange sie ihr relevantes Wissen nicht preisgegeben haben. Takahashi hat mir deshalb den Auftrag gegeben, die Informationsgewinnung zu beschleunigen, sofern das möglich ist.«

Maryland starrte sie verärgert an. »Ist es nicht. Du kennst die Probleme genau.«

»Die rechtliche Komponente ist in Arbeit«, versicherte Aurelia. »Ihr werdet sofort informiert, sobald eine Entscheidung gefallen ist.« Sie vernetzte sich mit der Positronik des Stützpunkts und schickte eine entsprechende Anfrage zur Erde, aber es gab nichts Neues. Noch immer war nicht entschieden, ob dem Asylantrag der drei Fremdwesen stattgegeben wurde. Das allerdings machten sie zur Voraussetzung, um ihr möglicherweise brisantes Wissen über den havarierten Chaoporter FENERIK zu teilen.

»Die medizinische Komponente ist ebenfalls in Arbeit«, erklärte Maryland ungehalten. »Du wirst umgehend informiert, wenn wir die Konditionierung geknackt haben, die ihnen das Teilen ihres Wissens verbietet. Um das zu erfahren, hättest du nicht zurückkommen müssen.«

»Korrekt.« Aurelia lächelte aufreizend freundlich. »Aber wenn ich diese Anfrage per Funk gestellt hätte und du mir das gesagt hättest, wäre es doch sehr unhöflich von mir gewesen, trotzdem persönlich zu erscheinen. Und da ich mich auf Takahashis Wunsch persönlich davon überzeugen muss, ist es so für alle Beteiligten viel weniger unangenehm, oder etwa nicht?«

Sie legte es zwar nicht unbedingt auf eine Konfrontation mit der Stützpunktleiterin an. Aber nach dem ersten Besuch ging sie davon aus, dass eine solche unvermeidbar kommen würde. Also konnte man sie auch schnell hinter sich bringen, damit danach alle wieder an die Arbeit gehen konnten.

Marylands Gesicht rötete sich leicht. »Misstraut mir die TLD-Führung?«

»Nein«, sagte Aurelia, »sonst wären die Überläufer gar nicht hier untergebracht. Trotzdem habe ich den Auftrag, mich davon zu überzeugen, dass alles optimal läuft. Betrachte mich als externen Berater. Ich bin hier, um dich bei deinem Steckenpferd zu unterstützen. Ich überprüfe die Prozesse und suche Optimierungspotenzial.«

»Das verzögert die Untersuchung, die du angeblich beschleunigen möchtest.«