Perry Rhodan 3111: Die Glasregenwelt - Hubert Haensel - E-Book

Perry Rhodan 3111: Die Glasregenwelt E-Book

Hubert Haensel

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Beschreibung

In der Milchstraße schreibt man das Jahr 2071 Neuer Galaktischer Zeitrechnung. Dies entspricht dem 6. Jahrtausend nach Christus, genauer dem Jahr 5658. Über dreitausend Jahre sind vergangen, seit Perry Rhodan seiner Menschheit den Weg zu den Sternen geöffnet hat. Noch vor Kurzem wirkte es, als würde sich der alte Traum von Partnerschaft und Frieden aller Völker der Milchstraße und der umliegenden Galaxien endlich erfüllen. Terraner, Arkoniden, Gataser, Haluter, Posbis und all die anderen Sternenvölker stehen gemeinsam für Freiheit und Selbstbestimmtheit ein, womöglich umso stärker, seit ES, die ordnende Superintelligenz dieser kosmischen Region, verschollen ist. Als die Liga Freier Galaktiker erfährt, dass in der Nachbarschaft der Milchstraße ein sogenannter Chaoporter gestrandet sei, entsendet sie unverzüglich ihr größtes Fernraumschiff, die RAS TSCHUBAI. Denn eine Warnung besagt, dass von FENERIK, diesem chaotarchischen Gebilde, eine ungeheure Gefahr für die Galaxis ausgehe. Während Perry Rhodan als Allianz-Kommissar in Cassiopeia, einer Andromeda vorgelagerten Kleingalaxis, auf der Suche nach dem Chaoporter FENERIK ist, tun sich in der Milchstraße befremdliche Dinge: Ein Kastellan von ES – mehr als diesen Titel weiß man bisher nicht – erscheint auf Terra. Dann rückt das Messiersystem ins Zentrum der Aufmerksamkeit, genauer: DIE GLASREGENWELT ...

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Nr. 3111

Die Glasregenwelt

Sie sind Glasfischer – und sie begegnen einem Galaktischen Kastellan

Hubert Haensel

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1. Vorbereitungen

2. Ein Konkurrent

3. Jäger und Gejagter

4. Abgestürzt

5. Gemeinsam

6. Der Fremde

Leserkontaktseite

Glossar

Risszeichnung Kreuzer der ERTRUS- und EPSAL-Klasse

Impressum

In der Milchstraße schreibt man das Jahr 2071 Neuer Galaktischer Zeitrechnung. Dies entspricht dem 6. Jahrtausend nach Christus, genauer dem Jahr 5658. Über dreitausend Jahre sind vergangen, seit Perry Rhodan seiner Menschheit den Weg zu den Sternen geöffnet hat.

Noch vor Kurzem wirkte es, als würde sich der alte Traum von Partnerschaft und Frieden aller Völker der Milchstraße und der umliegenden Galaxien endlich erfüllen.

Terraner, Arkoniden, Gataser, Haluter, Posbis und all die anderen Sternenvölker stehen gemeinsam für Freiheit und Selbstbestimmtheit ein, womöglich umso stärker, seit ES, die ordnende Superintelligenz dieser kosmischen Region, verschollen ist.

Als die Liga Freier Galaktiker erfährt, dass in der Nachbarschaft der Milchstraße ein sogenannter Chaoporter gestrandet sei, entsendet sie unverzüglich ihr größtes Fernraumschiff, die RAS TSCHUBAI. Denn eine Warnung besagt, dass von FENERIK, diesem chaotarchischen Gebilde, eine ungeheure Gefahr für die Galaxis ausgehe.

Während Perry Rhodan als Allianz-Kommissar in Cassiopeia, einer Andromeda vorgelagerten Kleingalaxis, auf der Suche nach dem Chaoporter FENERIK ist, tun sich in der Milchstraße befremdliche Dinge: Ein Kastellan von ES – mehr als diesen Titel weiß man bisher nicht – erscheint auf Terra. Dann rückt das Messiersystem ins Zentrum der Aufmerksamkeit, genauer: DIE GLASREGENWELT ...

Die Hauptpersonen des Romans

Stashiu Bondarenko – Der Glasfischer bricht zu einem großen Kristallzug auf.

Ahab – Der Glasfischer beschafft sich Informationen.

Bonella Krueger – Die Glasfischerin kennt ihre Konkurrenz.

Kokuloón

1.

Vorbereitungen

Ich schreckte auf und wusste nicht, was geschehen war. Alles um mich schien sich zu drehen. Ich fühlte mich leer und ausgelaugt.

Hatte ich geschlafen?

Geträumt?

Ich atmete hastiger. In meinen Schläfen rauschte das Blut. Jäh kippte ich mit dem Oberkörper nach vorn, versteifte mich – und schreckte vollends auf.

Sekundenschlaf!

Mir wurde bewusst, wie sehr ich mich gegen die aufkommende Erschöpfung gesträubt hatte. Es hatte mich trotzdem erwischt. Nur für Sekunden? Oder hatte ich länger im Sessel geschlafen?

Ich blinzelte gegen das Brennen in den Augen an.

Im Holoschirm vor mir wirbelte ein Meer von Farben. Sie markierten Strömungslinien, Gravofronten, schwankende Atmosphäredichte und Druckgefälle – alles zusammen eine psychedelische Qual, der man sich besser nicht aussetzte. Zumindest würde jeder halbwegs auf sich achtende Mensch die grafische Umsetzung der Messwerte als Pein ansehen. Für mich waren sie bedeutungsvoll. Sogar unerlässlich.

Ich zwang mich, die Lider offen zu halten. Ein zweites Mal durfte mich die Müdigkeit nicht so hinabziehen wie eben. Selbst wenn es nur wenige Momente gewesen waren, ein solcher Kontrollverlust konnte im Sturm-Trawler meinen Tod bedeuten.

»Mann, Stashiu ...«, brachte ich im Selbstgespräch über die Lippen. »Du solltest wissen, was du dir zumuten kannst und was nicht.«

Ich hob beide Arme und massierte mit kräftigem Fingerdruck meine Schläfen. Ich war schlicht und einfach während der Arbeit am Bildschirm eingeschlafen. Dabei waren das erst Vorbereitungen und nichts im Vergleich zu dem, was mich in einigen Tagen erwartete.

Vor mir lag ein neuer Flug, tief hinunter in die Atmosphäre des Planeten Tarhuwant, in die Hölle der tobenden Stürme, der sengenden Hitze und des Glasregens.

Alle Berechnungen lagen vor. Ich versprach mir viel von ihnen. Es musste mir lediglich gelingen, die Koordinaten unbeschadet zu erreichen.

Meine Hände wanderten von den Schläfen in den Nacken. Das stundenlange Starren auf die Holos hatte mich fast mehr angestrengt als der letzte Flug mit dem Trawler. Ich eignete mich nicht als Positronikspezialist, der abgeschieden in einer kleinen Wohnung arbeitete. Ich brauchte den Reiz und den Nervenkitzel der grenzenlosen Freiheit.

Mehr als drei Wochen lag der letzte Höllenritt zurück. Drei Wochen, in denen ich nahezu jede Minute genutzt hatte, die gewonnenen Daten auszuwerten und zu extrapolieren. Immer mit dem Teufel im Nacken, der mich antrieb und mir einredete, ein Konkurrent würde letztlich schneller sein.

Den 70. Geburtstag hatte ich seit Monaten hinter mir. Niemand wusste davon. An dem Tag hatte ich mir einen besonders ausgedehnten Flug durch die Atmosphäre des inneren Planeten gegönnt und das Toben der entfesselten Elemente genossen. Schon deshalb stellte ich mir nicht die Frage, wie lange ich die Strapazen des Gasriesen würde wegstecken können. Mit 100, hieß es, kämen die besten Jahre. Vielleicht würde ich dann darüber nachdenken, ob ich immer noch gegen die Naturgewalten antreten wollte ...

Mit einem unwilligen Kopfschütteln verscheuchte ich diese Gedanken. Ich musste raus und abschalten, durfte mich für zwei, drei Stunden nicht mehr mit Tarhuwant und dem Glasregen befassen. Inmitten aller Datenfülle, den Aufzeichnungen einiger meiner Flüge und den vielfältigen neuen Hochrechnungen war mir Entspannung schlicht unmöglich.

Mit einer knappen Handbewegung löschte ich den Holoschirm und stemmte mich aus dem Sessel. In Augenhöhe vor mir entstand prompt ein greller Schriftzug.

Keine Absicherung, Stashiu?

Ich stutzte und kniff die Brauen zusammen. Es war richtig, dass die Positronik intervenierte, denn ich hatte dem Projekt höchste Priorität zugewiesen.

»Ja, schon«, sagte ich. »Komplette Zugriffssperre!«

Du verlässt die Wohnung für längere Zeit?

Manchmal irritierte mich die Neugierde der Positronik. Ich lebte allein, weil ich niemanden brauchte, der mir in meine Planungen reinredete und mich bevormundete. Auf die Positronik konnte ich allerdings nicht verzichten.

»Ich lasse mir den künstlichen Wind von Nuuma um die Nase wehen«, antwortete ich. »Mit den Vorbereitungen bin ich weit genug, etwas Abwechslung wird mir also kaum schaden.«

Ich brauchte die Rechtfertigung für mich selbst, anders hätte ich mich nur schwer aus dem Zwang der Perfektion lösen können. Etwas dem Zufall zu überlassen, lag mir nicht. Jedenfalls soweit es meine Arbeit betraf.

Ich stopfte das halb aus der Hose gerutschte Hemd in den Gürtel zurück und zog den Kragen zurecht. Mit beiden Händen fuhr ich mir durchs Haar und über den seit zwei Wochen nicht gestutzten Bart. Die umfangreichen Berechnungen waren mir wichtiger gewesen als die Rasur. Falls alles stimmte – wovon ich ausging –, konnte ich den Coup meines Lebens landen.

Aber träumte nicht jeder, der sich nach Tarhuwant wagte, von einer besonders ertragreichen Ernte?

*

Eine sonderbare Stimmung lag über der Siedlung Nuuma. Ich erkannte die Veränderung, kaum dass ich aus dem Antigravlift des Wohnkomplexes auf den Vorplatz trat. Stimmt: Der Termin war mir bekannt, nur hatte ich wegen meiner angespannten Arbeit nicht mehr darauf geachtet.

Ich empfand einen magischen Hauch von Zeitlosigkeit, wie er der sprichwörtlichen blauen Stunde auf Terra anhaftete – jener kurzen Spanne der Dämmerung, während der die Sonne so dicht unter dem Horizont stand, dass ihr blaues Lichtspektrum am Himmel dominierte. Wie auf Terra, war es auf Tausenden ähnlicher Welten – auch wenn nicht jede den gleichen Begriff verwendete –, aber der Mond Euponia hatte seine eigene Definition.

Mir war bewusst, dass die Sonne Messier viel weniger zu dieser Aura beitrug als Sol über Terra. Messier gehörte in die Spektralklasse K und war ein gelbrötlicher Stern. Er hatte nur acht Zehntel der Masse von Sol, wies aber eine Oberflächentemperatur von knapp über 5000 Grad Celsius auf und war damit für einen K-Stern ungewöhnlich heiß; eine recht junge Sonne.

Ich hatte den Vergleich parat, weil das Solsystem die Heimat meiner Vorfahren war. Die halbe Milchstraße trennte beide Sonnen. Sol lag mehr als 43.000 Lichtjahre entfernt, ziemlich genau auf der anderen Seite des galaktischen Zentrums.

Auch Euponia selbst hatte wenig Anteil an dem aufziehenden Flair. Die Atmosphäre des Mondes war zu dünn, um das Sonnenlicht zu brechen oder gar Strahlungsanteile herauszufiltern. Sie wies lächerliche acht Prozent Sauerstoff auf, überwiegend Stickstoff, etwas Ammoniak und Edelgase. Der Sauerstoff stammte von frühen Versuchen, den Mond zu terraformen. Warum es bei den Versuchen geblieben war, entzog sich meiner Kenntnis.

Nuuma lag jedenfalls unter einer schützenden Kuppel. Sie war ein filigran gewobenes Meisterstück der Architektur und nur an wenigen neuralgischen Punkten von Gravoprojektoren gestützt. Von außen wurde die Kuppel durch einen energetischen Schutzschirm gesichert, der im Fall des Falles die Atmosphäre der Siedlung am Entweichen hindern würde.

Stimmen erklangen in meiner Nähe, teils schon begeisterte Rufe. Immer mehr Menschen hielten inne und blickten in die Höhe. Die Sonne stand so tief, dass die Kuppel über der Siedlung scheinbar flirrte. Zudem hatte sich die Mutterwelt Themis weit über den Horizont erhoben.

Weniger mächtig, jedoch intensiver leuchtend, war Tarhuwant annähernd münzgroß zu sehen. Der innere Planet des Systems, ein heißer Gasriese, strahlte in tiefem Kobaltblau. Viele Bewohner des Messiersystems hielten ihn für einmalig in der Galaxis. Für mich klang das übertrieben, allerdings zählte er schon allein wegen seines Glasregens zu den Besonderheiten der Milchstraße.

Auf seinem schnellen Lauf um die Sonne war der Planet zu bestimmten Zeiten mit dem bloßen Auge zu verfolgen. Als Heranwachsender hatte ich den Riesenstern oft beobachtet. Vor allem meine Faszination damals war schuld daran, dass ich zu einem Glasfischer geworden war. Ich hatte mir damit den Traum meiner Jugend erfüllt.

Wobei, hin und wieder geriet die Jagd nach Tar-Splittern durchaus zum Albtraum, denn Tarhuwant war alles andere als ein zahmer Planet. Wer das nicht am eigenen Leib erlebt hatte, konnte nicht im Mindesten mitreden ...

Ich hatte gerade rechtzeitig den Wohnblock verlassen und sah, wie das kräftige Blau des inneren Planeten auf die Kuppel übersprang. Vom Zenit ausgehend, schwappte die Farbe in sanften Wogen nach allen Seiten. Es war ein Chamäleoneffekt, der erst bei sehr hoher Farbintensität eintrat. Im Kuppelmaterial eingebettete Pigmente reagierten entsprechend. Allerdings mussten, wie in diesen Minuten, mehrere Faktoren zusammentreffen.

Die nächste Welle schwappte über wie ein gigantischer Wasserfall und ließ die Begrenzung der Kuppel deutlich werden. Das Schauspiel bekam gerade deshalb etwas Erhebendes. Ich empfand es jedenfalls so, weil die Flut, kaum dass sie den Mondboden erreichte, gischtend wieder in die Höhe brandete.

*

Im Gegensatz zur Mutterwelt Themis, auf der bald nach der Gründung der Kosmischen Hanse eine kleine terranische Siedlung errichtet worden war, blieb der Mond Euponia zunächst unbeachtet. Erst in der Zeit der Sternwehs, als die Hanse die zwölf Galaxien Estartus für sich entdeckte, war Euponia in der innergalaktischen Bedeutung aufgerückt und zum Umschlagplatz für Handelsgüter mit der Eastside aufgewertet geworden. Keineswegs im großen Stil, aber es hatte genügt, damit einiges Kapital nach Themis geflossen war.

Neben einem halben Dutzend Warendepots war auf dem Mond mit der Zeit eine kleine Reparaturwerft entstanden. Der Bedarf an mehr menschlichem Personal vor Ort hatte schließlich erste, noch durch Energieschirme geschützte Wohnungen nötig gemacht.

Danach stagnierte die Entwicklung über Jahrhunderte. Die Siedler im Messiersystem konnten ihre Position zwar auf dem erreichten Niveau festigen, aber nicht weiter ausbauen. Der Handel mit der galaktischen Eastside war wieder auf vermeintlich interessantere Routen ausgewichen.

Nennenswert anders wurde die Situation erst nach dem Jahr 1331 NGZ, seit die erhöhte Hyperimpedanz galaxisweit den technologischen Standard zurückgeworfen hatte und viele früher ergiebige Hyperkristalle allzu schnell auslaugten. Zu jener Zeit erlebte der innere Planet Tarhuwant eine Renaissance der Beachtung.

Bereits im ersten Jahrzehnt nach der Besiedlung von Themis hatten Forschungsteams nicht nur den äußeren Planeten, Winterwelt, sondern auch den heißen Gasriesen Tarhuwant nach Besonderheiten abgesucht. Der Riese mit der 1,15-fachen Masse des solaren Jupiters umlief seine Sonne in einer durchschnittlichen Entfernung von 14,5 Millionen Kilometern. Das entsprach nicht mehr als einem Viertel des Abstands zwischen Merkur und Sol. Tarhuwant war zudem ein Schnellläufer, der das Zentralgestirn in 12,10 Standardtagen umrundete.

Illustration: Swen Papenbrock

Schon bei den ersten Analysen war der Glasregen entdeckt worden. Die in der Atmosphäre tobenden Stürme peitschten Silikatpartikel vor sich her – mit anderen Worten: Glas. Diese Silikate streuten blaues Licht und verliehen der Atmosphäre, die vor allem Wasserdampf, Methan und Kohlendioxid enthielt, ihre markante blaue Farbe.

Nach anfänglichem wissenschaftlichem Interesse verlor Tarhuwant schnell wieder an Bedeutung. Nur etwa 0,2 Prozent des Glasregens wiesen Einschüsse eines Schwingquarzes auf, waren also hyperkristallin. Hunderte Tonnen Tarhuwant-Glas waren nötig, um ein einziges Gramm Hyperkristall zu gewinnen. Ein kalkulatorisches Desaster. Schon deshalb unterblieb der Versuch, eine Hyperkristallproduktion aufzubauen. Der zweite Grund war, dass die aufbereiteten Hyperkristalle industriell so gut wie nicht verwertbar gewesen waren.

Aber die Erhöhung der Hyperimpedanz hatte binnen weniger Monate die Voraussetzungen auf den Kopf gestellt. Obwohl nach wie vor qualitativ wenig ertragreich, war der Glasregen zum Auslöser eines gewissen Kristallrauschs im äußeren Zentrumsbereich der Eastside geworden. Innerhalb von 20 Jahren entstand aus den wenigen Gebäuden auf Euponia die Mondsiedlung Nuuma. Zugleich wurden die angrenzenden Werftanlagen enorm erweitert.

Nach Jahrzehnten folgte dem Rausch die Ernüchterung. Anderer, besserer und einfacher zu gewinnender Ersatz lief den mühevoll aufbereiteten Hyperkristallen den Rang ab. Der Weltenbrand und alle damit zusammenhängenden Geschehnisse ließen schließlich den Glasregen des inneren Planeten nahezu in Vergessenheit geraten – bis im Verlauf der Cairanischen Epoche die vielleicht wichtigste Eigenschaft der Tar-Splitter entdeckt wurde: Sie wirken positiv auf die Psyche intelligenter Wesen ...

*

Ein Aufleuchten am Firmament ließ mich die Überlegungen beiseiteschieben. Das von der Kuppel potenzierte Blau verflüchtigte sich binnen weniger Augenblicke und wich dem gelb-rötlichen Widerschein der sinkenden Sonne.

»He, es ist vorbei!« Zwei jugendliche Jülziish kamen auf mich zu. »Haben dich die optischen Tricks tatsächlich fasziniert, Terraner? Du stehst da wie von der Kreatur der Starre berührt. Was soll's, in knapp vier Planetenjahren gibt es diese Konstellation wieder.«

»Geht es dir nicht gut?« Der andere fuchtelte mit seinen dürren Armen vor meinem Gesicht. »Hörst du überhaupt, was wir sagen?«

Ich hatte dem schnell weiterziehenden, schon an Leuchtkraft verlierenden Stern nachgesehen. Die Augen leicht zusammengekniffen, betrachtete ich den Jülziish, der mich seinerseits aus allen vier Augen anstarrte. Jedenfalls hatte er den flachen, linsenförmigen Kopf leicht nach vorne geneigt.

»Etwas technisches Spektakel, schon sind die Terraner hin und weg!«, rief der andere. »Lass den Mann in Ruhe, Jillügyrim!«

Der Angesprochene verdrehte den langen Hals mit dem Tellerkopf. »Vor einigen Hundert Jahren war das Spektakel vielleicht sogar etwas Besonderes«, sagte er. »Heute lockt es keinen Muurt-Wurm mehr aus der Suppe. Was soll das ganze Gewese um den inneren Planeten? Schickt endlich Roboternter hinüber, das wäre logisch, konsequent und vor allem effektiv!«

Ich hielt den Atem an. Unqualifizierte Bemerkungen wie diese weckten meinen Unmut, fast schon meinen Zorn. Eigentlich gab es keinen Grund, mich aufzuregen. Niemand verlangte, dass ich mich mit den Jülziish befasste; ich brauchte mich nur umzuwenden und zu gehen. Keiner der beiden schien älter zu sein als 18, höchstens 19 Jahre. Ihr zarter Pelzflaum, soweit er nicht von Kleidung bedeckt war, wirkte jedenfalls recht schütter.

»Was habt ihr überhaupt für eine Vorstellung?«, herrschte ich sie an. »Macht den Mund erst auf, sobald ihr versteht, worüber ihr redet! Erntemaschinen? Warum nicht gleich alle Intelligenzen gegen Roboter austauschen? Was wollt ihr mit eurem Leben eigentlich anfangen? Pure Langeweile schieben?«

Für einen Moment glaubte ich, schrillen Widerspruch zu hören, der aber nach den ersten Lauten in den Ultraschallbereich abglitt. Sollte ich mit den Jugendlichen über etwas diskutieren, das sie sowieso nicht nachvollziehen konnten? Ich ging weiter und sprang auf das nächste Transportband.

Maschinen als Glasfischer ... Allein die Vorstellung war für mich wie ein rotes Tuch! Was blieb uns Menschen, wenn wir uns alles wegnehmen ließen? Nur ein Leben, wie es die Arkoniden geführt hatten, als Perry Rhodan und Reginald Bull ihnen einst auf dem terranischen Mond begegnet waren: Fiktivspiele, Müßiggang, Degeneration. Dann schon lieber ein täglicher Kampf ums Überleben.

Mir war klar, dass meine Überlegungen extrem polarisierten. Ich griff mit der rechten Hand in die Außentasche meiner Hose und tastete nach den beiden Tar-Splittern, die ich ständig bei mir trug. Sie waren Andenken an meinen ertragreichsten Flug mit dem Sturm-Trawler. Ich schloss die Finger um die Glastropfen aus Tarhuwants Atmosphäre und atmete tief durch.

Alles halb so schlimm. Meine Ruhe kehrte zurück.

Das Leben war gut so, wie es war.

*

Eastside-Flair ...

Ich hatte die Woge optischer, akustischer und olfaktorischer Wahrnehmungen schon erwartet. Sie brandete mir entgegen, kaum dass ich auf eines der langsameren Innenstadtbänder wechselte, und hüllte mich vollends ein, als ich den Basar erreichte.

Schrille Hochtonmusik der Mantam-Jülziish hing in der Luft. Ihr Kreischen übertönte viel, doch sobald sie in den Bereich des Unhörbaren abglitt, drängte vielfältiges Stimmengewirr in den Vordergrund. Der historische Markt war seit Jahrhunderten weitgehend unverändert, als hätte sich eine schützende Hand über dieses Areal gelegt. Die moderne Technik war in weitem Bogen drum herum gewachsen, abgesehen von dem einen oder anderen Roboter, der Besorgungen für seine Besitzer erledigte. Zumindest die Händler sahen Roboter nicht gerne; mit den sturen Maschinen zu feilschen war ein undankbares Geschäft.

Ich verließ das Transportband und hielt kurz vor der Einmündung auf den großen Platz inne. Prompt wurde ich von hinten angerempelt. Ein schweißnasses Gesicht wandte sich mir zu, eindeutig einer der vielen Themis-Terraner, die den Weg herauf zum Mond nicht scheuten. Es war viel los in diesem Bereich, stellte ich fest. Die »blaue Stunde« hatte dazu beigetragen.

Nicht genug damit, dass der ziemlich füllige Mann mir unsanft in die Fersen getreten war, er glaubte zudem, heftig gestikulierend auf mich einreden zu müssen. Ich ignorierte die Schimpftirade, alles darüber hinaus wäre den Aufwand nicht wert gewesen. Eigentlich lächelte ich nur, um ihm den Wind aus den Segeln zu nehmen, aber gerade das reizte ihn weiter.

»Das ist kein Benehmen!«, prustete er. »Was soll dein impertinentes Grinsen? Seit Jahren glaubt jeder Jugendliche, die Überheblichkeit der Cairaner nachahmen zu müssen ...«

»Was hältst du von einer Entschuldigung?«, unterbrach ich ihn.

Der Mann hatte mit Widerspruch gerechnet, das verriet mir sein Gesichtsausdruck. Und überhaupt, wenn ich seine verhärmte Miene in Abzug brachte: Er konnte kaum nennenswert älter sein als ich.

»Na also«, ächzte er. »Deine Entschuldigung ist das Mindeste, was ich erwarten darf.«

Ich stutzte. »Du hast mich falsch verstanden. Ich wollte dir das Wort in den Mund legen. Du hast mich angerempelt, nicht umgekehrt. Trotzdem danke für das Kompliment.«

»Für welches ...?«

»Für die ›Jugend‹.«

»Willst du das abstreiten? Wir damals ...«

»Wann bist du geboren?«, fiel ich ihm ins Wort.

Er blickte mich entgeistert an. »Kurz nach der Jahrtausendwende. Zweitausendvier.«

Ich nickte, weil ich meine Vermutung bestätigt sah. »Dann hast du völlig recht, der Jugend fehlt jedes Benehmen«, sagte ich. »Wie gut, dass ich drei Jahre älter bin als du. Denk drüber nach!«

Ich eilte weiter. Ohne mich nur einmal umzuwenden, tauchte ich in die Geschäftigkeit des Basars ein.

*

Ein matter, unter der mehr als zehn Kilometer durchmessenden Kuppel künstlich erzeugter Windhauch trug ätherische Aromen mit sich.

Ich sah mich nach den Jülziish um, bei denen ich gelegentlich einkaufte. Der Bereich, den sie meist belegten, war diesmal mit mannsgroßen Skulpturen bestückt. Naive Schnitzereien. Durchaus möglich, dass ein Händler sie von einer neu entdeckten Welt importiert hatte.