Perry Rhodan 3116: Flug in die Freiheit - Kai Hirdt - E-Book

Perry Rhodan 3116: Flug in die Freiheit E-Book

Kai Hirdt

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Beschreibung

In der Milchstraße schreibt man das Jahr 2071 Neuer Galaktischer Zeitrechnung. Dies entspricht dem 6. Jahrtausend nach Christus, genauer dem Jahr 5658. Über dreitausend Jahre sind vergangen, seit Perry Rhodan seiner Menschheit den Weg zu den Sternen geöffnet hat. Noch vor Kurzem wirkte es, als würde sich der alte Traum von Partnerschaft und Frieden aller Völker der Milchstraße und der umliegenden Galaxien endlich erfüllen. Terraner, Arkoniden, Gataser, Haluter, Posbis und all die anderen Sternenvölker stehen gemeinsam für Freiheit und Selbstbestimmtheit ein, womöglich umso stärker, seit ES, die ordnende Superintelligenz dieser kosmischen Region, verschollen ist. Als die Liga Freier Galaktiker durch drei Deserteure erfährt, dass in der Nachbarschaft der Milchstraße ein sogenannter Chaoporter gestrandet sei, entsendet sie unverzüglich ihr größtes Fernraumschiff, die RAS TSCHUBAI. Denn von FENERIK geht wahrscheinlich eine ungeheure Gefahr für die Galaxis aus. Während sich Perry Rhodan in Cassiopeia auf die Suche nach dem Chaoporter macht, entsendet dieser eine seiner Meuten, um der Deserteure im Solsystem habhaft zu werden. Sie entert einen Medoraumer – es wird ihr FLUG IN DIE FREIHEIT ...

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Nr. 3116

Flug in die Freiheit

Die CLAUDIA CHABROL auf ihrer letzten Reise – die große Täuschung der Terraner droht zu scheitern

Kai Hirdt

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.

Report

Leserkontaktseite

Glossar

Impressum

In der Milchstraße schreibt man das Jahr 2071 Neuer Galaktischer Zeitrechnung. Dies entspricht dem 6. Jahrtausend nach Christus, genauer dem Jahr 5658. Über dreitausend Jahre sind vergangen, seit Perry Rhodan seiner Menschheit den Weg zu den Sternen geöffnet hat.

Noch vor Kurzem wirkte es, als würde sich der alte Traum von Partnerschaft und Frieden aller Völker der Milchstraße und der umliegenden Galaxien endlich erfüllen.

Terraner, Arkoniden, Gataser, Haluter, Posbis und all die anderen Sternenvölker stehen gemeinsam für Freiheit und Selbstbestimmtheit ein, womöglich umso stärker, seit ES, die ordnende Superintelligenz dieser kosmischen Region, verschollen ist.

Als die Liga Freier Galaktiker durch drei Deserteure erfährt, dass in der Nachbarschaft der Milchstraße ein sogenannter Chaoporter gestrandet sei, entsendet sie unverzüglich ihr größtes Fernraumschiff, die RAS TSCHUBAI. Denn von FENERIK geht wahrscheinlich eine ungeheure Gefahr für die Galaxis aus.

Während sich Perry Rhodan in Cassiopeia auf die Suche nach dem Chaoporter macht, entsendet dieser eine seiner Meuten, um der Deserteure im Solsystem habhaft zu werden. Sie entert einen Medoraumer – es wird ihr FLUG IN DIE FREIHEIT ...

Die Hauptpersonen des Romans

Jochzor – Der Meutenführer vertritt die Freiheit des Chaos.

Aurelia Bina – Die Posmi vertritt die Interessen der Menschheit.

Bekim Ballard – Der Raumschiffkommandant vertritt die Interessen seiner Mannschaft.

Fedor Grimm

1.

Aurelia Bina erwachte in stiller Finsternis. Sie fühlte keine Wärme oder Kälte, nahm keine charakteristischen Düfte in der Atmosphäre wahr, keine geschmacklichen Reize durch die Rezeptoren ihres Mundraums. Sie war nichts als ein Bewusstsein ohne Kosmos um sie herum.

Die Analyse ihres Systemlogs erklärte diesen außerweltlichen Zustand auf enttäuschend profane Weise. Ihre Sensorphalanx war gestört, konkreter: die Verbindung zwischen der Kernpositronik in ihrem Brustkorb und der peripheren Sensorik. Und das war nur einer von einem Dutzend schwerer Schäden.

Immerhin funktionierte ihre Autoreparatur, was angesichts der gemeldeten Probleme einem Wunder gleichkam. Sowohl ihr Mikroreaktor als auch die Hauptpositronik waren bereits instand gesetzt. Das war im Grunde unmöglich, denn wer hatte die Energie bereitgestellt und die Mängelbeseitigung koordiniert, wenn nicht diese beiden defekten Komponenten?

Aurelia Bina war die Stellvertretende Leiterin des Liga-Geheimdienstes. Sie würde dieses Rätsel lösen – das gehörte zu ihrem Beruf. Und zwar sofort, sobald ihre Sinne wieder funktionierten und ihr Informationen über die Außenwelt vermittelten.

Bis dahin konnte sie einer anderen, genauso wichtigen Frage nachgehen: Wie war sie so schwer beschädigt worden?

Ihre Erinnerungen endeten im Archiv des Terranischen Liga-Dienstes auf dem Uranusmond Ariel. Sie hatte dort auf den Angriff der chaotarchischen Attentäter gewartet, um sie in eine Falle zu locken. Dabei war offenkundig etwas schiefgelaufen. Aber was?

Für den Einsatz hatte sie ihr robotisches Skelett in einem künstlich erzeugten Körper verborgen, der dem chaotarchischen Überläufer Hookadar aus dem Volk der Laichkangen glich. Ihn wollte die Meute der Munuam entführen oder töten. Wäre alles nach Plan gelaufen, hätten diese Attentäter per Transmitter fliehen müssen und wären im TLD-Schiff HEATHA NEROVERDE gelandet – inmitten eines schwer bewaffneten Empfangskommandos, das jeden Widerstand sofort niedergeschlagen hätte.

Das war augenscheinlich nicht passiert. Aber was dann? Zu einem bestimmten Zeitpunkt riss die Erinnerung ab. Danach war nichts. In einem Moment hatte Aurelia den Feind erwartet. Im nächsten kam sie im Nichts zu sich.

Mein Arbeitsgedächtnis.

Aurelia verstand das Problem. Sie war so konstruiert, dass die Sinneswahrnehmungen der vergangenen acht Minuten in einem separaten Hochleistungsbereich ihres künstlichen Hirns vorgehalten wurden. Was länger als acht Minuten zurücklag, wurde in den Langzeitspeicher überführt. Dieses Arbeitsgedächtnis war offenbar bei ihrer Beschädigung nicht korrekt gesichert worden. Sie hatte, anders ausgedrückt, einen Filmriss von präzise acht Minuten. Ihr Zusammentreffen mit dem Gegner, die möglicherweise unersetzbaren Informationen, die sie dabei gesammelt hatte – unwiederbringlich dahin.

Oder?

Da sie aktuell keine neuen Sinneseindrücke sammelte, wurde der Arbeitsspeicher nicht überschrieben. Möglicherweise ließen die Daten sich also retten!

Nein.

Alles, was sie vorfand, war ein Rauschen, irreguläre Datenspuren, bis zur Unlesbarkeit korrumpiert. Ein Zeichen, dass sie von einer Energiewaffe getroffen worden war, wahrscheinlich ein Thermostrahl. Extreme Temperaturschwankungen in kurzer Zeit konnten diese Art Störung hervorrufen.

Das war zumindest ein kleiner Hinweis darauf, was ihr passiert sein mochte. Besonders beruhigend war diese Erkenntnis jedoch nicht. Sie bedeutete, dass sie sich wahrscheinlich in Feindeshand befand.

Also verharrte Aurelia Bina und gab keinerlei Bewegungsimpulse an ihre künstlichen Gliedmaßen, bis die Autoreparatur abgeschlossen war und sie die aktuelle Lage wieder sinnlich erfassen konnte.

2.

Bekim Ballard saß auf dem Kommandantenplatz der CLAUDIA CHABROL, aber das Schiff gehörte nicht mehr ihm. Ein Fremdwesen namens Jochzor hatte die Befehlsgewalt. Ballards Stellvertreterin, Ungu Jachzeva, hatte das nicht wahrhaben wollen und Jochzor widersprochen. Ihre Leiche lag nun auf dem Boden der Zentrale.

»Wir haben das Solsystem verlassen«, meldete Ballard seinem neuen Herrn. »Der TERRANOVA-Schirm liegt hinter uns. Linearetappe Richtung Vindonnussystem beginnt in drei ... zwei ... eins ...«

Die CHABROL verließ den Einsteinraum und rastete überlichtschnell auf das 308 Lichtjahre entfernte System zu, das Jochzor als Ziel vorgegeben hatte. Ballard hatte keine Ahnung, was der Fremde dort wollte, aber er würde den Teufel tun und die Anweisung infrage stellen.

»Gut, gut«, sagte Jochzor nur und schaukelte an seinen Schulterfäden. Er war in einem Metallkubus von knapp drei Metern Kantenlänge unterwegs. Die Wände waren geöffnet und an den Kanten war die Führung für Lamellen zu sehen, mit denen man das Gefährt komplett verschließen konnte. Auf jeder Seite ragte genau in der Mitte ein kleiner Aufbau empor. Ein Energiegeschütz, wie Ballard seit Jachzevas Tod wusste.

Der Besitzer schwebte in der Box umher wie in einer Sänfte. Allerdings saß oder stand er nicht, sondern hing an der Decke. Seine physische Erscheinung war für menschliche Augen höchst eigenartig: Von der Hüfte aufwärts war er humanoid, mit stark definierten Konturen unter der eng anliegenden Kleidung, wobei Ballard nicht sagen konnte, ob sich dort übermäßig trainierte Brustmuskeln oder flache Brüste abzeichneten. Die sichtbare Haut war violett und völlig haarlos. Stattdessen bedeckten silbrige Schuppen die Oberseite des Kopfes.

Von der Hüfte an verschwand die Ähnlichkeit mit menschlichen Spezies: Statt zweier Beine hatte Jochzor neun Tentakel, jeder am Ansatz so dick wie ein menschlicher Oberarm. Es war offenkundig, dass diesen Muskelsträngen einige Kraft innewohnte.

Trotzdem achtete Jochzor penibel darauf, sie nicht zu belasten. Er vermied jede Bodenberührung. Dazu benötigte er keinen Antigrav, sondern hielt sich mit neun weiteren Muskelsträngen – deutlich dünneren allerdings – an der Decke seiner Sänfte fest. Dort gab es ein enges Gitter von zentimeterdicken Stangen, wie dafür gemacht, sich daran entlangzuhangeln.

Nein, korrigierte sich Ballard, nicht wie dafür gemacht. Sondern genau dafür gemacht.

»Werden wir verfolgt?«, fragte Jochzor beiläufig. Seine Stimme klang seltsam dumpf.

»Wie ...« Ballard sah schnell zu Edmon si Massala, seinem Chefingenieur. Massala war kreidebleich und zitterte. Von ihm war keine sinnvolle Antwort zu erwarten.

Aber Ballard wusste schließlich auch selbst, was sein Schiff konnte und was nicht. »Die CLAUDIA CHABROL hat keine Ortungsgeräte, die im Linearraum funktionieren«, gestand er ein. »Wir würden einen möglichen Verfolger nicht bemerken.«

»Linearetappe abbrechen!«, befahl Jochzor.

»Was?«, rutschte es Ballard heraus. »Wir sind ...«

Der Waffenturm der ihm zugewandten Sänftenseite schwenkte in Ballards Richtung.

Ballard brachte sie eilig zurück ins Standardkontinuum und meldete Vollzug.

»Nottransition«, befahl Jochzor.

Ballard befolgte auch diesen Befehl. Eine weitere Rückfrage hätte womöglich sein Ende bedeutet.

Die CLAUDIA CHABROL sprang ungezielt durch den Hyperraum und kam im selben Moment in der Leere zwischen den Sternen wieder hervor. Der Zufall hatte sie zurückgeführt in die Nähe des Solsystems. Sie standen im Niemandsland zwischen Sirius und Prokyon, gerade mal zehn Lichtjahre von der Heimat entfernt.

Auch Jochzor sah die Position. »Zu nah«, sagte er irritiert. »Linearetappe. Ich übermittle die Zielkoordinaten.«

Das Ziel, das er vorgab, lag sogar noch näher am Solsystem. Es war ein Punkt im Leerraum, gerade ein Lichtjahr von der Oortschen Wolke entfernt, dafür weit abseits aller stark frequentierten Routen.

»Was tun wir dort?«, traute Ballard sich zu fragen.

»Warten«, erklärte Jochzor ungerührt.

Ballard reimte sich den Sinn des Manövers zusammen. Trotz der dramatischen Vorfälle, in die sie verwickelt gewesen waren, hatte man sie ungehindert aus dem Solsystem ausfliegen lassen. Falls sich jemand an ihre Fersen geheftet und sie durch den Linearraum verfolgt hatte, hatten sie ihn abgeschüttelt. Auf den unerwarteten Rücksturz musste ein Verfolger erst einmal reagieren. Dank der Transition waren sie bis dahin schon längst an einem anderen Ort. Und bis jemand diese nächste Stelle gefunden hatte, um die Verfolgung erneut aufzunehmen, war die CHABROL längst wieder im Linearraum, ihre Spur vergangen und verweht.

Nur drei kleine Manöver, aber eventuelle Verfolger hatten keine Chance mehr. Vermutlich flog Jochzor nun zum Treffpunkt mit seinem Mutterschiff, in dreister Nähe zu Sol. Entdecken würde man ihn trotzdem nicht. Ballard war wider Willen beeindruckt von so viel Kühnheit.

Zwei weitere Munuam flogen in die Zentrale. Ihre Sänften glichen der Jochzors. Wie waren diese Wesen überhaupt an Bord gelangt? Wo hatten sie sich bisher versteckt?

»Davnipur!«, wandte sich Jochzor an einen der beiden Neuankömmlinge. Wohl der Name, vermutete Ballard. »Was sagst du nun? Zweifelst du immer noch?« Nach seinen Worten zog Jochzor die Lippen weit auseinander, die furchtbare Karikatur eines Grinsens, und präsentierte eine Reihe weißer, spitzer Zähne.

Illustration: Swen Papenbrock

»Nein, Meutenführer.« Die Stimme war höher als die Jochzors, klang aber genauso eigenartig dumpf. »Es ist wirklich amüsant, wie einfach Terraner sich täuschen lassen. Trotzdem bevorzuge ich eine echte Jagd.«

»Ich auch«, sagte Jochzor. »Keine Bange. Wir bekommen auch wieder einen Auftrag, der uns mehr fordert als diese belanglose Übung.«

Ballard zwang sich, nicht zu Jachzevas Leichnam zu sehen. Sie war gestorben für etwas, das die Meute eine »belanglose Übung« titulierte. Nichts sagen, mahnte er sich. Gib ihm keinen Anlass, noch jemanden zu töten.

3.

Nach elf Minuten und 54 Sekunden – sofern ihr interner Chronometer korrekt funktionierte – war es so weit: Die Sensoren meldeten Betriebsbereitschaft. Aurelia schaltete ihre Augen an.

Es blieb schwarz.

Ihre Positronik reagierte und rief die Subroutine für Erschrecken auf. Sie imitierte Angst, ein emotionales Grundgefühl, das Organismen zum Selbsterhalt motivierte, indem sie den Auslöser der Empfindung beseitigten.

Aurelia erkannte eine Übereinstimmung. Ihr Gefühl, ausgedrückt in Nullen und Einsen, ähnelte einem Muster aus ihrem korrumpierten Arbeitsgedächtnis. Hatte sie in der verlorenen Zeit Angst empfunden?

Sie wusste es nicht. Zudem war die Gegenwart wichtiger als die Vergangenheit. Sie analysierte: Die Wahrnehmung von Dunkelheit musste keine Fehlfunktion bedeuten. Sie konnte den völlig banalen Grund haben, dass es tatsächlich dunkel war.

Aurelia tastete nach ihrer Laichkangenhaut. Sie wollte sie beiseite ziehen, um mit den Abstrahlfeldern ihrer internen Bewaffnung für Licht zu sorgen. Nur: Die Haut war fort! Aurelia Bina lag in ihrer robotischen Urgestalt in der Finsternis, als Skelett aus hochbelastbarem Verbundstoff. Ein weiterer Punkt auf der Liste zu lösender Mysterien.

Sie aktivierte eine kleine Beleuchtungseinheit, sodass sie ihre Umgebung mit ihren voll und ganz funktionstüchtigen Kameraaugen wahrnahm. Die Angst ebbte ab.

Aurelia war sich im Klaren, dass ein Mensch sich möglicherweise nicht so leicht beruhigt hätte, denn ihr Umfeld ähnelte bedrückend stark dem Innern eines Sargs: ein langer, schmaler und flacher Kasten, gerade groß genug, um einen Körper von humanoiden Proportionen aufzunehmen. Allerdings bestand er nicht aus Metall oder Holz, wie die Terraner es bei ihren Bestattungsriten bevorzugten, sondern aus ... gepresstem Zellstoff, ergab ihre haptische Analyse.

Sie steckte nicht in einem Sarg, sondern in einem großen Pappkarton. Wie ein Haushaltsgerät. Die Erkenntnis aktivierte die Subroutine für Ärger.

Aurelia regulierte ihre Emotionen und beruhigte sich. Sie musste weiterhin Informationen über die Außenwelt sammeln. Sie hörte ein dumpfes Brummen, wie von Raumschiffsaggregaten. Ohne Wissen, wo an Bord sie sich befand, konnte sie allerdings nicht auf den Schiffstyp zurückschließen.

In ihrer optischen Wahrnehmung wechselte sie auf Infrarot. Sie befand sich in einer kühlen Umgebung, bei zwölf Grad Celsius. Das sprach dafür, dass sie sich in einer Lagersektion befand, die auf für Menschen erträglicher Temperatur gehalten wurde, ohne aber die Energie für ein ausgesprochenes Wohlfühlklima zu verschwenden.

In der Kühle hätten warmblütige Lebewesen sich auch durch die Kartonwand deutlich abgezeichnet. Das war nicht der Fall. Demnach war Aurelia allein.

Allerdings konnte sie nicht ausschließen, dass ein Kampfroboter nur auf ein Lebenszeichen von ihr wartete. Also prüfte sie ihre Beweglichkeit, ohne den Karton um sie noch einmal zu berühren oder gar zu verschieben. Sie bereitete sich auf einen überraschenden Ausbruch vor. Ohne das verschwundene Laichkangen-Velamen musste sie sich nicht um Tarnung bemühen, sondern konnte ihre ganze Leistungsfähigkeit ausspielen. Sie war schnell. Sie war stark.

Sie war beschädigt.

Aurelia tastete über ihre Rippen. Im Licht der Waffensysteme schimmerten sie rotgolden, bis auf eine deutlich schwarz verfärbte Stelle über dem rechten Rippenbogen. Da musste der Energiestrahl sie getroffen haben.

Nur eine sehr leistungsstarke Waffe konnte Aurelias Material auf diese Weise beschädigen. Wieder hatte sie etwas mehr über ihren Gegner erfahren. Und wieder war die Information nicht sehr ermutigend.

An der linken Seite ihres Brustkorbs entdeckte sie eine weitere Unregelmäßigkeit. Etwas, das nicht dorthin gehörte: ein Komarmband, Standardmodell des TLD. Wo kam dieses Gerät her?

Die Energiezelle war völlig erschöpft. Aurelia verband sie mit ihrem Reaktor, lud sie auf und fand endlich einige Antworten: Liga-Agent Fedor Grimm hatte seine Finger im Spiel. Mitunter zweifelte Aurelia an den Methoden des Mannes, aber diesmal war ihm ein Kunststück gelungen.

Laut seiner kurzen Nachricht vermutete er, dass sie lädiert war, und hatte jemanden geschickt, der mit dem Armband ihre Reparaturroutine überbrückte. Das hatte offenkundig funktioniert, und es erklärte, woher Steuerung und Energie gekommen waren, um ihre Autoreparatur in Gang zu setzen. Beides war von dem Armband geliefert worden, das sich dabei völlig verausgabt hatte.

Grimm ließ ihr auch einen Kurzbericht zukommen: In seiner üblichen Bescheidenheit erklärte er, dass er den gemeinsamen Plan verworfen und durch etwas Besseres ersetzt hatte. Die Munuam waren auf das Sanitätsschiff CLAUDIA CHABROL transmittiert, statt auf der NEROVERDE aufzutauchen.

Grimms neuer Plan war nun, sie an einen erfolgreich erfüllten Auftrag glauben zu lassen: Er gaukelte ihnen vor, sie hätten alle Überläufer erfolgreich getötet. Wenn das gelang, würden sie sich zu ihrem Auftraggeber zurückziehen und melden, dass es nichts Relevantes mehr im Solsystem gab. Der Stammsitz der irdischen Menschheit wäre wieder sicher.

Das war, wie Aurelia anerkennen musste, tatsächlich ein gutes Konzept. Eigentlich hatten sie die Attentäter verhaften und verhören wollen. Aber das hätte unweigerlich weitere Nachforschungen ihrer Gegner nach sich gezogen. Grimms Ansatz löste das Problem stattdessen schnell und hoffentlich dauerhaft.

Grimm stand einige Ränge unter ihr. Dennoch nahm er sich heraus, über das Armband dreist ein neues Missionsziel anzuordnen: Ging es nach ihm, sollte Aurelia sich nun darum kümmern, seine Illusion aufrechtzuerhalten.

Das musste sie gründlich überdenken. An dieser Stelle war ihr der Agent zu siegesgewiss. Sie wusste nicht, was zwischen der Aufzeichnung seiner Nachricht und ihrem Erwachen geschehen war. Ob alles sich so entwickelt hatte wie von Grimm erwartet.

Und ihre Mission definierte Aurelia Bina immer noch selbst. Das war ein Privileg, das mit ihrem Rang als Stellvertretender Leiterin des Terranischen Liga-Dienstes einherging.

Viel Spielraum hatte sie dabei zwar nicht: Sie musste die Liga Freier Galaktiker und ihre Bewohner schützen, die drei chaotarchischen Überläufer und die Besatzung des Schiffs, auf dem sie sich befand. Dazu galt es, Informationen über die Munuam zu sammeln und wenn möglich einen von ihnen gefangen zu nehmen und zu verhören. Grimm forderte nun, mindestens die letzte dieser Prioritäten über Bord zu werfen.

Aurelia Bina sperrte sich nicht gegen Vorschläge von einem untergeordneten Agenten, aber sie mussten gut begründet sein. Um das einzuschätzen, brauchte sie Informationen, was auf diesem Schiff los war. Und die fand sie nicht an der Stelle, an der sie aufgewacht war.

4.

»Orten«, befahl Jochzor.

Wieder sah Ballard zu Massala herüber. Mit dem Kopf gab er das Zeichen, dass der Ingenieur Jachzevas verwaisten Platz an der Funk- und Ortungsstation übernehmen sollte.

»Nichts«, sagte der Ingenieur mit zitternder Stimme. »Außer uns ist niemand in der Nähe. Im Umkreis von einem Lichtmonat.«

»Hrmpf.« Jochzor brummte. »Pakunod wartet bestimmt ab, ob die Situation unter Kontrolle ist, bevor er mit der DUTMUTEV kommt.«

»Ist sie das denn?«, fragte Davnipur unschuldig.

»Unterstellst du mir einen Fehler?« Jochzors Ton wurde sofort scharf.

»Was hast du wegen Aurelia Bina unternommen?«, gab Davnipur unverhältnismäßig freundlich zurück.

Jochzor starrte das andere Meutenmitglied an, dann lachte er dumpf und zeigte wieder seine Zähne. »Du hast recht. Dieses potenzielle Problem sollten wir ausschließen.«

Die Box drehte sich flink in der Luft, bis Jochzor Ballard frontal anstarrte. »Aurelia Bina«, herrschte Jochzor ihn an. »Was weißt du über sie?«

»Wer soll das sein?« Ballard hatte den Namen nie zuvor gehört.

Die Waffe von Jochzors Box richtete sich auf Ballards Brust. »Die Stellvertretende Chefin des terranischen Geheimdienstes. Willst du mir wirklich erzählen, dass du ihren Namen nicht kennst?«

»Woher denn?«, ereiferte sich Ballard. Vielleicht war es nicht klug, Jochzor Widerworte zu geben. Aber zu duckmäusern würde ihm auch nicht helfen, wenn er dadurch in den Verdacht geriet, Informationen zurückzuhalten.

»Er lügt«, stellte das dritte Meutenmitglied fest, das bislang noch gar nicht gesprochen hatte. »Die Informationen zu Binas Identität sind frei verfügbar, wir haben sie in kürzester Zeit gefunden. Wie sollte das jemandem unbekannt sein, der den Großteil seines Lebens im Solsystem verbringt?«

»Da leben Milliarden von Menschen! Und nicht nur Menschen! Die meisten haben ihr Leben lang nie etwas mit dem Geheimdienst zu tun!« Ballard musste Luft holen, um weiter zu schimpfen. »Ich fliege Verletzte von Raumunfällen ins nächste Hospital. Was interessiert mich der verdammte TLD? Bis dieser Drecksack Grimm mir gestern diese Patientin aufs Auge gedrückt hat, habe ich nie einen Agenten getroffen!«

Jochzor starrte ihn durchdringend an.

»Soweit ich weiß«, schob Ballard kleinlaut hinterher. »Geheimagenten sagen ja nicht immer, was sie beruflich machen.«

»Interessant«, murmelte der Meutenführer und wandte sich wieder an den letzten der drei Eindringlinge. »Gassgamal, hattest du nicht in deinem Informationspaket erwähnt, dass die Terraner eine Art Kadavergehorsam gegen ihre Führungsfiguren auszeichnet? Wie erklärst du diese unflätige Beschimpfung einer Regierungsorganisation?«

Gassgamal sagte etwas in einer fremden Sprache.

»Tss«, machte Jochzor. »Bitte so, dass alle Beteiligten mitreden können.«

»Ein Täuschungsmanöver«, sagte der Angesprochene.

Selbst Ballard, der sich kaum mit der Ausdrucksweise dieser Wesen auskannte, hörte die Unsicherheit.

Jochzor wartete.

Gassgamal haderte offenkundig mit dem Erwartungsdruck. Sie zitterte an ihren Haltefäden. Es wurde nicht besser dadurch, dass in diesem Moment zwei weitere Boxen mit Munuam in die Zentrale schwebten. Wie viele dieser Wesen waren an Bord?

»Möglicherweise habe ich mich ungenau ausgedrückt«, gab Gassgamal schließlich zu. »Langfristig sind die Terraner immer wieder derselben Handvoll unsterblicher Wesen nachgelaufen wie Kosmokratenknechte, denen man ein paar neue Vorschriften verspricht. Aber das lässt sich nicht für alle Zeiten und für alle Individuen behaupten. Es gibt durchaus Terraner, die zu eigenständigem und kritischen Denken fähig sind.«

Auf eine verquere Weise war das wohl ein Kompliment für Ballards Spezies. Im Moment war er froh über jeden Punkt, den er irgendwie sammeln konnte.

»Du hast mich also falsch informiert«, stellte Jochzor fest.

»Oberflächlich trifft es besser«, wand sich Gassgamal. »Ausreichend zur Erfüllung unserer Mission. Mehr Details hätten mehr Vorbereitungszeit bedeutet, ohne die Erfolgsaussichten zu verändern.«

Jochzor antwortete nicht. Stattdessen zeigte er wieder sein fürchterliches Grinsen. »Wie unhöflich von mir«, sagte er unvermittelt. »Ich habe meine Begleiter noch nicht vorgestellt. Davnipur ist Mitglied meiner Triade und die beste Jägerin, die ich kenne. Rou ist der beste Jäger. Uja ist unser Techniker. Er gehört natürlich nicht zur Triade, aber er ist gut. Wenn etwas an Bord nicht so funktioniert, wie du es wünschst, dann weil Uja die Kontrolle darüber hat.«

Er machte eine Pause. »Gassgamal ist Kulturinterpretin und nur für diese Mission Teil unserer Meute. Und offensichtlich keine völlig verlässliche Unterstützung dabei, Informationen über fremde Völker zu gewinnen.«

Trotz des freundlicheren Tons blieb Jochzors Geschützmündung auf Ballard gerichtet. »Deshalb setze ich darauf, dass du meine Kenntnisse erweiterst. Was weißt du über den Terranischen Liga-Dienst?«

»Nichts.« Der Widerspruch zu seinen früheren Aussagen fiel Ballard zum Glück rechtzeitig auf, bevor Jochzor nachhaken konnte. »So gut wie nichts. Ein Agent namens Grimm hat uns gestern eine Patientin gebracht, aus deren Kopf unser leitender Arzt ein paar von euren Maschinen zur Verhaltenssteuerung herausoperiert hat. Den Arzt müsstet ihr kennen. Ihr habt ihn umgebracht.«

»Das haben wir delegiert«, korrigierte Jochzor beiläufig. »Und warum deine Antipathie gegen diesen Grimm?«