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In der Milchstraße schreibt man das Jahr 2072 Neuer Galaktischer Zeitrechnung. Dies entspricht dem Jahr 5659 nach Christus. Über dreitausend Jahre sind vergangen, seit Perry Rhodan seiner Menschheit den Weg zu den Sternen geöffnet hat. Noch vor Kurzem wirkte es, als würde sich der alte Traum von Partnerschaft und Frieden aller Völker der Milchstraße und der umliegenden Galaxien endlich erfüllen. Die Angehörigen der Sternenvölker stehen für Freiheit und Selbstbestimmtheit ein, man arbeitet intensiv zusammen. Doch entwickelt sich in der kleinen Galaxis Cassiopeia offensichtlich eine neue Gefahr. Dort ist FENERIK gestrandet, ein sogenannter Chaoporter. Nachdem Perry Rhodan und seine Gefährten versucht haben, gegen die Machtmittel dieses Raumgefährts vorzugehen, bahnt sich eine unerwartete Entwicklung an: FENERIK stürzt auf die Milchstraße zu. Was das genau bedeutet, weiß noch keiner. Die Völker der Galaxis beschließen unter dem Druck der Gefahr und der Erkenntnis ihrer eigenen Bedürfnisse, sich enger zusammenzuschließen. Bei dieser Entwicklung außen vor bleibt allerdings Reginald Bull, Perry Rhodans ältester Freund und bis vor Kurzem Resident der Liga. Er wird allmählich der FREMDE IN ZEIT UND RAUM ...
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Seitenzahl: 151
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Nr. 3161
Fremde in Zeit und Raum
In der Geheimstation – die USO kämpft um Reginald Bull
Susan Schwartz
Cover
Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
1. RATBER TOSTAN
2. Entscheidungen
3. Versagen
4. Aktivatorträger unter sich
5. Pathonid
6. Gen Nordpol
7. In der Station
8. Small Talk
9. Der Plan
10. Die Durchführung
11. Das Gespräch
12. Kosmische Enthüllungen
13. Der Untergang
14. Abzug
15. Eine letzte Frage
Fanszene
Leserkontaktseite
Glossar
Impressum
In der Milchstraße schreibt man das Jahr 2072 Neuer Galaktischer Zeitrechnung. Dies entspricht dem Jahr 5659 nach Christus. Über dreitausend Jahre sind vergangen, seit Perry Rhodan seiner Menschheit den Weg zu den Sternen geöffnet hat.
Noch vor Kurzem wirkte es, als würde sich der alte Traum von Partnerschaft und Frieden aller Völker der Milchstraße und der umliegenden Galaxien endlich erfüllen. Die Angehörigen der Sternenvölker stehen für Freiheit und Selbstbestimmtheit ein, man arbeitet intensiv zusammen.
Doch entwickelt sich in der kleinen Galaxis Cassiopeia offensichtlich eine neue Gefahr. Dort ist FENERIK gestrandet, ein sogenannter Chaoporter. Nachdem Perry Rhodan und seine Gefährten versucht haben, gegen die Machtmittel dieses Raumgefährts vorzugehen, bahnt sich eine unerwartete Entwicklung an: FENERIK stürzt auf die Milchstraße zu.
Was das genau bedeutet, weiß noch keiner. Die Völker der Galaxis beschließen unter dem Druck der Gefahr und der Erkenntnis ihrer eigenen Bedürfnisse, sich enger zusammenzuschließen. Bei dieser Entwicklung außen vor bleibt allerdings Reginald Bull, Perry Rhodans ältester Freund und bis vor Kurzem Resident der Liga. Er wird allmählich der FREMDE IN ZEIT UND RAUM ...
Reginald Bull – Der Zellaktivatorträger versucht den endgültigen Befreiungsschlag.
Monkey – Der Lordadmiral der USO muss misstrauen.
Sälsinde – Die Chaosessentia droht freizukommen.
Sad Pochon – Der Haluter verstärkt die USO.
Antha Samtmund
1.
RATBER TOSTAN
4. Januar 2072 NGZ
Einen Moment lang fragst du dich, ob der Albtraum nie mehr aufhört, doch dann bist du plötzlich wach, siehst die vertrauten Wände eines Raumschiffs um dich und bist beruhigt. Es ist alles in Ordnung.
»Nein, nichts ist in Ordnung! Nicht einmal dieser Gedanke – er ist lediglich eine Wiederholung aus lange zurückliegender Zeit. Ungebeten an die Oberfläche geschwappt, nachdem durch die Extraktion alles in mir umgestülpt worden war.«
Ihm wurde nur am Rande bewusst, dass er laut gesprochen hatte. Aber da er allein in seiner Unterkunft war, würde sich niemand außer ihm darüber wundern
Reginald Bull musterte im Holospiegel die Schatten unter seinen Augen, den müden Blick, die eingefallenen, schlaff und grau wirkenden Wangen.
Am 1. Januar war er nach viertägigem Koma zu sich gekommen – vor drei Tagen also. Ein wahrhaftiger Neujahrsbeginn, denn trotz Zellaktivator war sein Überleben keineswegs garantiert gewesen.
Besorgt lauschte er in sich. Tastete über die Haut seines Gesichts. Glaubte immer noch nicht so recht daran und war misstrauisch. Konnte es wirklich wahr sein ...? Immerhin waren vier Tage vergangen, und er spürte es weiterhin nicht auf der Brust ...
Vyna Nachgrund hatte ihm versichert, dass er frei sein würde. Bevor ... sie gestorben war. Die Yodorin hatte den Kampf gegen Sälsinde nicht überlebt. Aber hatte sie mit ihrer Aussage recht behalten?
Sälsinde, jenes unbeschreiblich fremde Wesen, das sich das Aussehen eines zerbrechlichen Trox gegeben hatte. Es war in einem Chaoversum gewesen und als etwas anderes zurückgekehrt, das man vielleicht als »Chaoessentia« bezeichnen konnte.
Die Yodorin hatte Bull beschrieben, dass sie Sälsinde als eine Art Staub empfunden hatte, der wie eine Spiralgalaxis um seinen Kopf rotiert war. Das entsprach dem, als das Sälsinde sich selbst bezeichnet hatte: Sternenstaub.
Vyna Nachgrund war eine Fallenstellerin gewesen, von der Yodor-Sphäre ausgesandt, um chaotarchische Agenten aufzuspüren und gefangen zu setzen.
In Bulls Fall mit dem Hypersexta-Modulparstrahlungs-Extraktor, oder auch – bildlicher ausgedrückt – dem Seelenkäfig. Ein Gerät, das als unwiderstehlicher Köder und gleichzeitig Falle dazu diente, chaotarchische Agenten anzulocken – wie es bei Sälsinde funktioniert hatte – und dann darin einzusperren, was ebenfalls gelungen war. Das Wesen saß nun fest in dem Seelenkäfig.
Salopp ausgedrückt, im Sockel darunter, in der Urne, dachte Bull. Das entsprach mehr seiner Ausdrucksweise, doch er verwendete sie besser nicht öffentlich. Seine Umgebung war ohnehin befremdet genug über seine aktuelle Entwicklung und würde das nicht als Galgenhumor werten.
Sälsinde war gefangen, ob tot oder »lebendig«, falls man das bei einer Chaoessentia sagen konnte, war derzeit nicht bekannt. Vyna Nachgrund hatte ihr Leben gegeben, um den chaotarchischen Agenten zu fangen und im selben Zuge Bull von ihm zu befreien.
Und so fühlte er sich derzeit ... gewissermaßen. Zumindest körperlich. Kein Druck auf der Brust, der ihm die Atmung abschnürte. Kein klebriges Gespinst im Gesicht. Obwohl es während des Befalls keinen Sinn gehabt hatte, es wegwischen zu wollen, hatte er es immer wieder versucht, wenn das Gefühl aufgetaucht war. Wie ein Reflex. Derzeit überzeugte er sich mehrmals am Tag, ob es auch wirklich fort war.
Ich muss mir das abgewöhnen, sonst wird meine Umgebung noch mehr verunsichert. Ich stehe unter intensiver Beobachtung. Alles kommt auf die Waagschale und kann gegen mich ausgelegt werden. Es mag keiner zugeben, aber im Grunde ist jeder besorgt, dass ich mich innerhalb einer Sekunde von Jekyll in Hyde verwandle und jeden niedermetzle, der in greifbarer Nähe ist. Sie wissen daher nicht, wie sie mit mir umgehen sollen.
Es fiel ihm selbst schwer genug, mit der Situation zurechtzukommen. Am meisten hielt ihn aufrecht, dass er unsterblich war und selbst sein gegenwärtig nahezu untragbarer Zustand wie alles im Universum eines Tages vorübergehen würde. Dass er darauf hoffen und es abwarten konnte, weil er alle Lebenszeit hatte. Allerdings schien ihm dieser Trost so schal wie abgestandenes Bier.
Ich hatte den tiefsten Fall, vom höchsten Amt in den Untergrund. Der allgemeine Verdacht, dass ich mich den Chaosmächten zuwenden würde, verstärkt sich durch mein Untertauchen. Ich kann es noch so sehr beteuern, es gibt keine Garantie dafür, dass ich nicht die Seiten wechseln werde, ob nun freiwillig oder nicht, ob bewusst oder nicht. Ich habe derzeit den Status des Staatsfeinds Nummer eins, auch wenn es niemand laut ausspricht.
Bitterkeit stieg gallig in ihm hoch.
Nicht nur, dass er, noch vor wenigen Monaten Resident der Liga, auf der Flucht war, dass ihm so gut wie niemand mehr vertraute – er war auch noch ein Gefangener gewesen. Daran war nichts zu rütteln, trotz aller schönen Worte Sälsindes, dass dem nicht so sei. Der Pseudo-Trox hatte behauptet, es müsse lediglich festgestellt werden, ob Bull überhaupt kompatibel sei mit FENERIK. Deswegen solle der Agent des Chaos ihn testen. Anders ausgedrückt, die Chaoessentia hatte rings um den Verstand ihres »Zertifikatsziels« gelauert, sich physisch und psychisch ausgebreitet, ihm unerwünschte Ratschläge und Weisheiten erteilt und ihn unsicher werden lassen, ob sein Verstand denn noch allein wäre.
»Ich bin die Lösung«, hatte Sälsinde ihn überzeugen wollen, was Bull bestreiten konnte, so viel er wollte. Die Chaoessentia hatte neben dem fortgesetzten Versuch der Verführung auch noch alle seine Gedanken und Erinnerungen sezieren wollen.
Aber ich habe den Segen der Mentalstabilisierung.
Dennoch hatte Sälsinde immer wieder Bruchstücke an Erinnerungen erhascht, die an die Oberfläche gestiegen waren, und für seine Zwecke missbraucht. Das sei unerlässlich, hatte er deutlich gemacht. Schließlich solle Bull nicht »irgendwer« an Bord des Chaoporters werden.
FENERIK wollte ihn als Quintarchen haben, was einer der höchsten Positionen an Bord entsprach, weit oben in der Kommandoführung. Der Agent hatte sich gut darauf verstanden, ihm das Angebot schmackhaft zu machen. Für einen anderen wäre das ein Karrieresprung ohnegleichen gewesen. Bull wäre es aber wie ein vollständiger Paradigmenwechsel vorgekommen, den er nicht mit seiner Grundhaltung hatte vereinbaren können.
Sälsinde konnte allerdings nicht schönreden, dass FENERIK den Reginald Bull, der er seit über 3600 Jahren war, vernichten würde. Musste, weil ein dauerhafter Aufenthalt in dem Chaoporter anders nicht möglich war. So wie die Chaofakta in den Chaoversen gesät und geerntet wurden, so sollte Sälsinde mit dem künftigen Quintarchen verfahren. Ihn auf seine Aufgabe vorbereiten, die Saat einpflanzen, ihn »anpassen« und zuletzt »ernten«, damit er »kompatibel« war. Was bedeutete, dass er von innen her komplett zersetzt und neu zusammengebaut werden würde.
Für so manchen mochte ein derartiges Angebot durchaus seinen Reiz haben, versprach es doch eine gewaltige Machtfülle. Nur war der chaotarchische Agent bei Bull an der falschen Adresse.
Seit Bull mit Perry Rhodan als Erster zum Mond geflogen war, hatte er jede Menge Machtpositionen eingenommen, zuletzt war er Resident gewesen. Diese Macht hatte er aber nicht autokratisch, sondern demokratisch genutzt. Ihm lag nichts daran, als Unterdrücker zu herrschen. Und keinesfalls würde er einen Chaotarchen darin unterstützen, diese Macht auszuüben.
Sälsinde hatte dennoch einige Argumente gebracht, die durchaus überlegenswert waren. Es war interessant gewesen, zu erfahren, wie die Chaosmächte sich selbst empfanden, als was sie sich sahen – durchaus als Vernichter, aber nur, um eine neue, veränderliche Ordnung zu schaffen.
Eine umfassende Philosophie, die Sälsinde seinem »Gastgeber« oberflächlich nahebrachte, um zu erläutern, weshalb FENERIK so handelte und dass der Chaoporter eben nicht »böse« war, wie die Menschheit jahrhundertelang geglaubt hatte.
Reginald Bull hatte es nicht vermeiden können, gegen gewisse Zweifel kämpfen zu müssen, je intensiver er mit der Chaoessentia diskutierte und sich austauschte. Zweifel an sich selbst und an der kosmokratischen Ordnung – speziell dem, was die Kosmokraten vor den Galaktikern in der Milchstraße verbargen. In der Yodor-Sphäre wurde an einem Projekt gebaut, das FENERIK zu zerstören trachtete. Worum es sich dabei handelte, war Sälsinde nicht bekannt, aber es war als höchste Bedrohung eingestuft worden.
Galt das demnach auch für die Heimatgalaxis?
Und wieder einmal könnte die Milchstraße im Kampf der Hohen Mächte zerrissen werden.
Vor allem eine Frage hatte sich wie eine fortwährend stichelnde Pfeilspitze in Bull gebohrt: Warum verschwiegen die Kosmokraten, was sie in der Milchstraße unternahmen? Wenn die Chaosmächte bereits davon wussten – wieso hatten die betroffenen Bewohner nichts erfahren? Kam das, was gebaut wurde, tatsächlich den Völkern dieser Galaxis zugute?
Ja, die Yodorin hatte ihn gerettet. Und befreit. Aber aus welchen Motiven genau? Um ihn, Bull, war es dabei nicht ursächlich gegangen, er hatte lediglich Sälsinde zu der Falle transportiert.
Beide Seiten hatten den Terraner benutzt. Dass dies mit der Extraktion beendet war, bezweifelte er stark.
Ich bin in abgedroschenem Sinn ein Spielball der Mächte. Die einen wollen mich haben, die anderen wollen das verhindern, und auf meinen Rücken tragen sie ihre Rivalität aus. Oder vielmehr, in meinem Kopf.
Bull strich über ein Sensorfeld des Automaten in seiner Gastkabine. Kurz darauf hielt er einen arkonidischen Fruchtsaft namens Gosam in Händen, der seine Übelkeit vertreiben und die Bitterkeit nehmen sollte. Da er neben den gesunden und aufbauenden Inhaltsstoffen auch hilfreich gegen Alkoholüberschuss im Blut war, hatte ihn praktisch jedes große Raumschiff zur Verfügung.
Und was wird aus mir?, setzten sich ungebeten seine Gedanken fort, während er trank. Ich bin zwischen zwei Stühlen eingeklemmt. Ich, einst die Stabilität in Person, das polternde, aber ehrliche Raubein, das immer für das Gute steht. Ich soll Quintarch werden, und manche scheinen zu glauben, dass es auch so kommen wird. Seither bin ich kein Resident mehr, obwohl ich alles für das Wohlergehen der Liga getan habe, auch während der Cairanischen Epoche, als Perry als tot galt. Ich habe alles am Laufen gehalten, und nun wurde ich praktisch fortgejagt.
Illustration: Swen Papenbrock
Aber welche Wahl hatte ich? Ich musste gehen, bevor sie mich in aller Form zum Rücktritt gezwungen hätten. Meine Verweigerung hätte nur die politische Stabilität und Sicherheit bedroht, und die Lage ist akut schon übel genug.
Ich bin nur froh, dass Sichu an meine Stelle getreten ist.
Die tryptophanhaltige Fruchtessenz beruhigte ihn allmählich und förderte den Serotonin-Ausstoß. Er fühlte sich besser.
Kaum hatte er ausgetrunken, als der Türsummer losging.
Bull öffnete nicht gleich und stellte auch keine Sichtverbindung her. »Ja, bitte?«
»Joseph Andalous?«
»Eben derselbe.« Bull schmunzelte leicht. Wer sollte sich wohl sonst in seiner Kabine aufhalten? Aber diese Frage war eben auch im 21. Jahrhundert NGZ noch Standard.
»Ich bin Andrat Malcolm, Sicherheitsbeauftragter. Ich soll dich abholen, die Kommandantin wünscht dich zu sprechen.«
Beinahe hätte Bull sich verplappert und gefragt, ob die RATBER TOSTAN demnach nicht mehr von dem Halboxtorner Daan Gudati kommandiert wurde. Das war zum einen 25 Jahre her, und zum anderen, woher sollte ein Joseph Andalous einen USO-Kommandanten kennen?
»Eine Minute, bitte«, bat Bull. »Ich bin gerade dabei, mich anzukleiden.«
Man hatte ihm eine graue Bordkombination gegeben, die einen Gast kennzeichnete. Bull war bereits fertig angezogen, aber nun musste noch ein wenig Verkleidung her. Die ursprüngliche Ausstattung, die ihm vor dem Aufbruch von Terra ein Medorobot verpasst hatte, samt der Schuhe, die ihn um sechs Zentimeter größer erscheinen ließen, existierte nicht mehr. Aber damit war zu rechnen gewesen, deswegen hatte er – wie es traditionell gerne hieß – »Maske gemacht«.
Kleine kosmetische Eingriffe, da und dort etwas Biomolplast, Pigmente in der Haut, farbige Kontaktlinsen und eine Färbung des Haars zum Blauschwarzen hin, Alterungszeichen, die ein Zellaktivatorträger nicht kannte – und natürlich der Vitalimpuls-Tarner, der die Signaturen seines Zellaktivators verbarg. Aus dem Spiegel blickte ihm ein fremder Mann ins Gesicht.
Mit einem absichtlich leicht unsicher wirkenden Lächeln berührte »Joseph Andalous« den Türöffner – und sah sich einem Ertruser gegenüber.
*
Das Nomadenschiff VASE VOLL STÄHLERNER ROSEN hatte den Seelenkäfig und Reginald Bull in dessen Tarnidentität als Joseph Andalous wie verabredet bei einem Rendezvous im Raum an die RATBER TOSTAN übergeben.
Der halbferronische Hyperphysiker Uecker London, Stellvertreter der Matriarchin, arbeitete gelegentlich als Informant für USO und TLD – und verschaffte so dem Nomadenschiff lukrative Aufträge. Über seine Kontakte hatte London darum gebeten, den Seelenkäfig und einen »wissenschaftlichen Kollegen« zur USO zu bringen, weil man sich damit einen entscheidenden Fortschritt im Kampf gegen die chaotarchischen Agenten in der Milchstraße erhoffte. Der geheime Begleitcode, den er seiner Botschaft unterlegt hatte, hatte dazu geführt, dass kein x-beliebiges Raumschiff, sondern die RATBER TOSTAN entsendet worden war.
Während Joseph Andalous sofort nach seiner Ankunft per Personentransmitter zu seiner Unterkunft begleitet wurde, fand der Transport des seltsamen Geräts unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen und unter Londons Aufsicht in eine Laborsektion statt, die komplett abgeriegelt werden konnte.
Der Transport von Schiff zu Schiff erfolgte über einen Gleiter, da London es nicht wagen wollte, einen Transmitter zu benutzen. Vor der Trennung waren sie übereingekommen, dass die Aufmerksamkeit der USO-Leute sich auf das Gerät richten und Bull zunächst unsichtbar bleiben sollte. Je weniger seine Anwesenheit mitbekamen, desto besser.
Bull hatte die Pause genutzt, um sich weiter zu erholen. Er wollte sich nicht ausmalen, in welchem Zustand er gewesen wäre, hätte er keinen Zellaktivator besessen.
Wahrscheinlich wäre ich Asche in einer anderen Urne, dachte er mit einem weiteren Anflug von Galgenhumor.
Andrat Malcolm betrachtete ihn neugierig, als er leicht schleppenden Schrittes und in schlampiger Haltung die Unterkunft verließ. Nicht zu auffällig, um im Gedächtnis zu bleiben, aber auch nicht in Verbindung zu bringen mit seinem gewohnten Gangwerk und dem sonst durchgedrückten Rücken.
»Ich hoffe, du hast alles zu deiner Zufriedenheit vorgefunden«, sagte der Ertruser unterwegs, dem sicherlich ganz andere Fragen auf der Zunge lagen.
Wer war Joseph Andalous? Das war die für die USO-Leute dringlichste aller Fragen. Doch der Ertruser schwieg dazu, zu solchen Nachforschungen war er nicht befugt. Die Befehlskette in der USO war straff geregelt. Die Kommandantin würde die Fragen stellen und ihrer Mannschaft die Informationen weitergeben, die benötigt wurden.
»Der Komfort ist ausgezeichnet, vielen Dank«, antwortete Bull höflich. Seine Stimme war ebenfalls leicht verfremdet und um eine halbe Oktave höher. »Offengestanden, habe ich mit einer ... spärlicheren Ausstattung gerechnet. Dies ist schließlich kein Touristenraumer.«
»Weshalb sollten wir auf Komfort verzichten?«, fragte Malcolm verwundert.
»Du solltest mal auf einem Forschungsschiff reisen«, witzelte Bull. »Dort sind die wissenschaftlichen Einrichtungen im Fünf-Sterne-Format, aber die Unterkünfte bescheiden. Wahrscheinlich, weil uns der Ruf vorauseilt, dass wir ohnehin kaum Schlaf benötigen und wenn doch, auch diese Zeit in unserem Labor verbringen.«
»Dann ist es ja gut, dass ich kein Wissenschaftler geworden bin.« Der Ertruser lachte dröhnend.
Damit sollte der Joseph-Andalous-Charakterisierung »nett und harmlos« Genüge getan sein.
Sie erreichten einen kleinen Transmitterraum, der für die schnelle Fortbewegung innerhalb des Schiffes gedacht war. Diese Transmitter wurden zwar eher selten in Anspruch genommen, da auch die übrigen Verbindungen schnell waren, aber man wollte wohl weiterhin dafür sorgen, dass so wenige wie möglich von dem Passagier Kenntnis bekamen.
So gelangten sie auf dem kürzesten Wege in den komplett abgeriegelte Kernbereich der RATBER TOSTAN. Diese entsprach der UMBRA-Klasse und war mit 500 Metern Durchmesser das größte Beiboot des Flaggschiffs der USO, der NIKE QUINTO.
*
Der Sicherheitsbeauftragte führte seinen Gast durch zwei Hochsicherheitsschotte und wies dann den Weg. »Gleich vorne rechts, die Tür steht offen.« Damit verabschiedete er sich.
Die offene Tür führte zu einem Vorraum, hinter dem ein mehrfach abgeriegeltes und mit Energieschirmen gesichertes Labor lag.
Hell erleuchtet, völlig kahl, fand sich darin nur ein einziger Gegenstand – der Seelenkäfig.
Er bestand aus einem Sockel, der aus vier- bis sechseckigen Teilen zusammengesetzt war und zwischen 25 und 45 Zentimeter durchmaß. In diesem Sockel, der eigentlichen »Urne«, saß Sälsinde – hoffentlich – gefangen. Aus dem Sockel ragte eine Transfersäule, die von einem bis vier Meter höhenverstellbar war, und darauf befand sich der Extraktor, die »Trockenhaube«, eine offene Haube aus schwarzem Material mit einer kleinen Sensorbedienfläche und Monitor.
In dem Vorraum stand nur eine einzige Person, eine mittelgroße, schlanke Terranerin mit schwarzen Haaren, die sie als Bob-Frisur trug. Sie machte auf Bull den Eindruck einer energiegeladenen, tatkräftigen Frau, die ihren Kommandoposten ernst nahm.
»Ich bin Giniver Manoli«, stellte sie sich vor.
Bull zuckte bei der Erwähnung des Nachnamens innerlich kurz zusammen, rief sich aber sogleich zur Ordnung. Es war nahezu ausgeschlossen, dass sie etwas mit Dr. Eric Manoli zu tun haben konnte, der 1971 als Mediziner und Geologe mit auf den Mond geflogen war. Manoli war vor über 3000 Jahren gestorben und hatte zwar Nachkommen hinterlassen, aber im Verlauf der folgenden Jahrtausende war zu viel mit Terra und vor allem der Menschheit geschehen, als dass die Linie noch nachverfolgbar gewesen wäre.
Dennoch weckte der Name viele Erinnerungen, die Bull energisch verbannte. Das hatte nichts mit der Gegenwart zu tun.
»Joseph Andalous«, stellte er sich knapp vor. »Terra-Geborener und zurückgekehrt.« Das war zum Teil die Wahrheit und gleichzeitig eine Erklärung dafür, dass Recherchen zu ihm nur wenig brachten. Er stammte laut der Tarnidentität aus dem anderen Zweig des Dyoversums.