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In der Milchstraße schreibt man das Jahr 2072 Neuer Galaktischer Zeitrechnung. Dies entspricht dem Jahr 5659 nach Christus. Über dreitausend Jahre sind vergangen, seit Perry Rhodan seiner Menschheit den Weg zu den Sternen geöffnet hat. Noch vor Kurzem wirkte es, als würde sich der alte Traum von Partnerschaft und Frieden aller Völker der Milchstraße und der umliegenden Galaxien endlich erfüllen. Die Angehörigen der Sternenvölker stehen für Freiheit und Selbstbestimmtheit ein, man arbeitet intensiv zusammen. Doch entwickelt sich in der kleinen Galaxis Cassiopeia offensichtlich eine neue Gefahr. Dort ist FENERIK gestrandet, ein sogenannter Chaoporter. Nachdem Perry Rhodan und seine Gefährten versucht haben, gegen die Machtmittel dieses Raumgefährts vorzugehen, bahnt sich eine unerwartete Entwicklung an: FENERIK stürzt auf die Milchstraße zu. Während Rhodan dem Chaoporter nacheilt, versucht er, mehr über dieses Gebilde herauszufinden, und hat über den Quintarchen Farbaud bereits tiefe Einblicke erhalten. Farbaud indessen ist längst wieder an Bord von FENERIK. Hier halten sich auch einige Terraner auf: Anzu Gotjian, Alaska Saedelaere und Gry O'Shannon. Während Gotjian ein neues Leben als Sextadim-Kanonierin beginnt, suchen Saedelaere und O'Shannon einen Weg hinaus. Diesen finden sie womöglich IM PRIMORDIALEN KORRIDOR ...
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Seitenzahl: 150
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Nr. 3183
Im Primordialen Korridor
Zwei Terraner mit besonderen Fähigkeiten – unterwegs in einem gefährlichen Kosmos
Michael Marcus Thurner
Cover
Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
Tshekdars Pamphlet
1. Im Primordialen Korridor
2. Die Begegnung mit dem Aufgeblasenen
3. Die Völker des Korridors
4. Der Oblus
5. Gondeltratsch
6. Die Begegnung
7. Dimensionen
8. Mehr Dimensionen
9. Neuer Pakt
10. Hinter der Blende
Leserkontaktseite
Glossar
Risszeichnung Ylanten – die Kinder NATHANS
Impressum
In der Milchstraße schreibt man das Jahr 2072 Neuer Galaktischer Zeitrechnung. Dies entspricht dem Jahr 5659 nach Christus. Über dreitausend Jahre sind vergangen, seit Perry Rhodan seiner Menschheit den Weg zu den Sternen geöffnet hat.
Noch vor Kurzem wirkte es, als würde sich der alte Traum von Partnerschaft und Frieden aller Völker der Milchstraße und der umliegenden Galaxien endlich erfüllen. Die Angehörigen der Sternenvölker stehen für Freiheit und Selbstbestimmtheit ein, man arbeitet intensiv zusammen.
Doch entwickelt sich in der kleinen Galaxis Cassiopeia offensichtlich eine neue Gefahr. Dort ist FENERIK gestrandet, ein sogenannter Chaoporter. Nachdem Perry Rhodan und seine Gefährten versucht haben, gegen die Machtmittel dieses Raumgefährts vorzugehen, bahnt sich eine unerwartete Entwicklung an: FENERIK stürzt auf die Milchstraße zu.
Während Rhodan dem Chaoporter nacheilt, versucht er, mehr über dieses Gebilde herauszufinden, und hat über den Quintarchen Farbaud bereits tiefe Einblicke erhalten. Farbaud indessen ist längst wieder an Bord von FENERIK. Hier halten sich auch einige Terraner auf: Anzu Gotjian, Alaska Saedelaere und Gry O'Shannon. Während Gotjian ein neues Leben als Sextadim-Kanonierin beginnt, suchen Saedelaere und O'Shannon einen Weg hinaus. Diesen finden sie womöglich IM PRIMORDIALEN KORRIDOR ...
Alaska Saedelaere – Der Maskenträger sucht die Chaotekten.
Gry O'Shannon – Sie ist mehr als nur eine Begleiterin.
Tshekdar – Ein Doomoide, der sich mit Geschlechtern auszukennen glaubt.
Perneter Horizont
Tshekdars Pamphlet
Du bist so unsäglich dumm. Kein Wunder. Ist es doch belegt, dass Wesen mit Halswirbeln und beweglichem Kopf unter psychischer Instabilität leiden, die sich bei eurer Art auch auf die Denkleistung auswirkt. Das Gehirn bei euch Halswirblern ist derart schlecht geschützt, dass es vermutlich beim geringsten Schlag Schäden davonträgt.
Du hast die Falle gesehen und bist dennoch blindlings hineingestolpert. Auch das wundert mich nicht. Mit bloß zwei Sehorganen ist das Wahrnehmungsvermögen deutlich schlechter als bei einem Doomoiden wie mir. Wobei bei dir nicht sicher zu sein scheint, ob du überhaupt Augen hast.
Es ist allgemein bekannt, dass wir dank unserer Facettenaugen deutliche Vorteile haben. Mag sein, dass wir unsere Umgebung ein wenig schlechter wahrnehmen als du und deine Begleiterin. Aber Bewegungen erkennen wir viel schneller und können deshalb auch schneller handeln und reagieren. Und dann erst eure Sprachbehinderung: unterschiedliche Geschlechter auf unterschiedliche Individuen verteilt, überpräzise Pronomina und sprachliche Eitelkeiten, um Unterschiede zu zelebrieren, wo doch eigentlich alle das Gegenteil fordern.
Du konntest deine Arme nicht richtig einsetzen, als ich dich in die Verbannung gestoßen habe. Auch daran erkennt man deine körperlichen Nachteile. Ich hätte mich mit meinen vier Beinen und zwei Armen rechtzeitig verspreizt und den Sturz verhindert. Außerdem hätte ich mein Schädelgeweih einsetzen können, um mich zu verhaken und zusätzlich abzusichern.
Reden wir erst gar nicht weiter über deine weiche Haut, die ohne Schutzanzug nichts wert wäre. Sie schützt dich bloß wie ein Sack, der verhindert, dass die Innereien formlos aus dir herausquellen. Deine anderen Sinnesorgane liegen offen und ungeschützt, dein Sichtfeld ist deutlich geringer als meines, dein Bewegungsradius ebenfalls, dein Geschlechtsorgan ist stets ausgefahren und ungeschützt.
Erlaube mir, dass ich vor Lachen mit dem Schädelgeweih über den Boden kratze. Sagtest du vorhin wirklich, dass dein Fortpflanzungsvermögen eingeschränkt sei? Du kannst nicht öfter als zwei-, dreimal innerhalb kurzer Zeit laichen? Und alles, was dabei herauskommt, sind bestenfalls zwei, drei Nachkommen?
Ich bleibe dabei: Du bist nichts und kannst nichts.
1.
Im Primordialen Korridor
Der Anzug der Verheißung versprach in der Tat viel. Allerdings war Alaska Saedelaere noch nicht dazu gekommen, all seine Funktionen auszuprobieren.
Ja, er fühlte dank der Handschuhe mehr als mit seinen Fingern. Ja, er hatte das Gefühl, dank der Oberflächenbeschaffenheit geschickter zu sein. Auch war sich Saedelaere sicher, damit Wehwehchen, Verletzungen und Erkrankungen ertasten zu können. Und der kleine, nun ja, Zeitvorteil, den ihm der Anzug der Verheißung gewährte, hatte ihm in der Auseinandersetzung mit Farbaud einen gehörigen Vorteil verschafft.
Welche Geheimnisse verbirgt der Anzug noch vor mir? Er offenbart sich mir nicht so recht. Es scheint, als müsste ich erst die richtigen Worte oder Gedanken finden, um ihn endgültig zu aktivieren.
Der Anzug der Verheißung bescherte ihm in vielerlei Hinsicht eine gesteigerte Sensibilität, nur in einer Angelegenheit nicht: Saedelaere hatte nach wie vor keine Ahnung, wie er mit seinen Gefühlen für Gry O'Shannon umgehen sollte. Sie riss seinen mühsam errichteten Wall der Unnahbarkeit Stück für Stück ein. Wie es schien mühelos.
»Hast du noch etwas zum Essen bei dir?«, fragte er Gry.
»Ja«, antwortete sie. »Ich habe mich in Neu Khellende versorgt.« Sie klatschte mit den Händen gegen die ausgebeulten Hosentaschen ihres reichlich ramponierten SERUNS. »Viel mehr Sorgen als unsere Nahrungssituation macht mir die Eintönigkeit des Primordialen Korridors.«
»Ich finde die Bilder und Sequenzen, die wir zu sehen bekommen, durchaus spannend.« Saedelaere deutete auf die kristalline Wandung des Ganges, dem sie seit Stunden folgten.
Er blieb stehen und konzentrierte sich auf eine Darstellung. Auf eine Szene, die in einem vermeintlichen Dahinter geschah. Sie wussten nicht, ob es sich dabei um Fiktionen handelte, um Wunschvorstellungen des Erbauers des Primordialen Korridors, um Aufzeichnungen, um vergangene oder gar zukünftige Geschehnisse ...
Saedelaere erblickte mehrere einander ähnelnde Gestalten. Sie erinnerten ihn an die Androiden der UFOnauten, die als Hilfsvolk der Kosmokraten den einen oder anderen Berührungspunkt mit den Terranern gehabt hatten. Die geschlechtslosen Kunstwesen hatten blaue Haut und zarte Gesichter gehabt. Die Gebilde hinter dem Spiegel waren den UFOnauten ähnlich, wirkten aber wie ... Fehlkonstruktionen. Ihre Gesichter waren meist wie zersplittert, die Körper verschlissen, die Bewegungen oft unkontrolliert.
Die mutmaßlichen UFOnauten feierten hinter der Glaswand des Korridors, lachten und feixten. Sie hatten Spaß miteinander, auch wenn ihre körperlichen Beeinträchtigungen schwerwiegend schienen. Aber sie zeigten eine unbändige Lust am Leben. Ganz anders, als die Roboter kosmokratischer Hilfskräfte sonst wirkten.
Mir scheint, als handelte es sich um Ausschussware. Was, wenn die Chaotarchen beschädigte Exemplare der Kosmokraten in Sicherheit gebracht haben, bevor sie eingestampft werden konnten? Wir dürfen niemals vergessen, dass die Chaotarchen die Individualität in den Vordergrund stellen und das Leben an sich womöglich mehr schützen als die Kosmokraten. Die Chaotarchen stehen für unendliche Vielfalt, für ein kunterbuntes Durcheinander – und die Konsequenzen daraus. Wandel durch Zerstörung, Rücksichtslosigkeit.
»Kennst du diese Gestalten?«, fragte Gry.
Saedelaere spürte, wie sie ihn von der Seite her musterte. Er drehte sich weg von ihr. Er mochte es nicht, wenn ihm jemand auf die Maske starrte. Schon gar nicht Gry.
»Mag sein, dass ich ihnen in einem früheren Leben bereits einmal begegnet bin«, sagte er ausweichend.
Er hörte, wie seine Begleiterin gegen das vermeintliche Glas klopfte, und wandte sich ihr wieder zu. Sie wollte Kontakt aufnehmen, unvorsichtig, wie sie war. Seiner Meinung nach war es gut, dass es keinerlei Verbindung zur anderen Seite gab. Die Bilder spiegelten trotz aller Ausgelassenheit eine Aggression, die Alaska nicht behagte.
Die UFOnauten reagierten nicht auf das Klopfen. Sie lachten und redeten und sangen weiter, ohne auf Gry zu achten.
»Die Wände sind nicht dazu gedacht, Kontakt herzustellen«, behauptete er. »Sie dienen der Betrachtung, nicht der Interaktion.«
»Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du manchmal redest, als hättest du einen Stock verschluckt?«
»Ja.«
»Und? Willst du nichts daran ändern?«
»Ich bin, was ich bin.« Nein, war er nicht. Gry tat etwas mit ihm. Sie veränderte ihn auf eine Weise, die er sich nicht erklären konnte.
Er ging weiter, zum nächsten Schaubild. Diesmal war Saedelaere mit einer Szene konfrontiert, die keinerlei Assoziationen in ihm heraufbeschwor. Die Darstellung war einzig und allein einem chaotischen Kreislauf des Lebens gewidmet, der wie in Zeitraffer vor seinen Augen ablief.
Die Bilder waren nicht ganz so klar wie jene mit den UFOnauten. Der Großteil der Geschehnisse erschien wie gewaschen, wie hinter einem Regenvorhang verborgen. Fette Schlieren durchbrachen die Szenen. Nur wenige Details wurden deutlich erkennbar. Vor allem zum Rand der Darstellung hin wurden die Bilder schlechter.
Eine Gruppe von Kaulquappen wuchs rasant heran, während Saedelaere über die technischen Hintergründe dieser Lebenswelt grübelte. Sie wurden zu Amphibien und entwickelten eine Art Stammesintelligenz. Die Wesen, einstmals aus einem einzigen Laich stammend, strebten auseinander, bildeten Clans, grenzten sich voneinander ab, verbündeten sich, verzettelten sich in Streitigkeiten. Auseinandersetzungen wurden zu Kriegen. Reiche fielen, neue Zweckbündnisse wurden geschlossen.
Die Amphibischen wirkten wie Kleinstlebewesen in einer Petrischale, die ihre Existenz in völliger Hektik vor Alaska offenbarten. Mal stießen sie einander ab, mal wurden sie voneinander angezogen.
Ihm war klar, dass diese Wesen ganz nach dem Geschmack der Chaotarchen waren. Sie waren wild und urtümlich, nichts hatte in ihrem Lebenskreislauf für längere Zeit Bestand.
Nach wenigen Minuten erschöpften sich alle Bemühungen. Die Amphibien veränderten sich körperlich, wurden träge und desinteressiert am Schicksal ihrer Clans. Jeglicher Zusammenhalt ging verloren – und in rasanter Weise verringerte sich ihre Zahl.
»Wir müssen etwas tun!«, sagte Gry, die völlig in den Bildern gefangen war. »Siehst du denn nicht, dass sie sich selbst zerstören? Wir müssen sie retten, zumindest einige von ihnen ...«
»Wir haben keinen Zugriff auf sie.«
Gry achtete nicht auf seine Worte. Sie trat mehrere Schritte zurück, hin zur anderen Seite des Primordialen Korridors, nahm Anlauf und warf sich gegen die vermeintlich gläserne Wand, erreichte aber nichts. Die Barriere zwischen ihnen bestand aus mehr als aus Glas oder Kristall. Selbst mit einem Handstrahler hätten sie diese Grenze nicht zerstören können, davon war Saedelaere überzeugt. Hier wirkten andere Kräfte als jene, die Gry und er kannten.
Und ich habe schon mehr wundersame Dinge gesehen als die meisten Lebewesen des Kosmos.
So schnell, wie Grys Nerven durchgegangen waren, so schnell beruhigte sie sich. Sie stellte sich erneut neben Saedelaere. Gemeinsam sahen sie dabei zu, wie die Zivilisation der Amphibienwesen endgültig zusammenbrach.
Für einige Sekunden blieb alles ruhig in dem winzigen Weltenbereich jenseits des Primordialen Korridors. Bis sich da und dort neue Gestalten sich zu regen begannen.
Sie ähnelten ihren Vorgängern, wiesen aber einige andere körperliche Merkmale auf: Körperpanzer umhüllten sie, ihre Glieder waren schwächer als jene ihrer Vorfahren ausgeprägt. Das Temperament und ihr Lebenstempo allerdings waren gleich geblieben.
»Als ob jemand Gott spielen würde und von einer Versuchsreihe zu nächsten springt«, sagte Gry.
»Oder wir sehen bloß eine virtuelle Simulation, die von einem leistungsfähigen Roboter durchgespielt wird. Um bei wechselnden körperlichen Gegebenheiten die idealen Wesen für die Besiedlung einer bestimmten Welt zu finden.«
»Ich finde beide Möglichkeiten widerlich.«
»Die Bewertung widerlich spielt für Kosmokraten und Chaotarchen höchstwahrscheinlich keinerlei Rolle.«
»Manchmal bist du so schrecklich nüchtern, Alaska.«
Illustration: Swen Papenbrock
»Ich bin, was ich bin.« Er überlegte und fasste seine Gedanken zu ihrer Reise knapp zusammen. »Wir folgen einem Gerücht. Wir glauben, dass die beiden Chaotekten Perneter und Haretemir Horizont den Primordialen Korridor geschaffen haben. Um aus dem Chaotender zu entkommen, nachdem sie ihn fertiggestellt hatten. Aber warum wollten sie weg? Was steckt hinter ihrer Flucht? Was ist dieser Korridor eigentlich?«
»Das sind Fragen, die mich seit unserem Abschied aus Neu Khellende quälen. Ich hasse diese Unsicherheit.«
»Ach ja? Du bist doch der chaotarchischen Seite des Lebens zugeneigt, wie wir beide wissen.«
»Nicht, dass ich es so gewollt hätte.« Sie lächelte. »Hast du tatsächlich versucht, witzig zu sein?«
»Sarkasmus kann ich. Das solltest du mittlerweile wissen, Chaotarchenmagd.«
Gry lächelte erneut, wurde aber rasch wieder ernst. Sie wandte sich von der verspiegelten Wand des Korridors ab und setzte ihren Weg fort, ohne auf Saedelaere zu warten. Das Volk der Chitinkrieger hatte sich mittlerweile gegenseitig ausgerottet, eine weitere Ruhephase begann.
Als Saedelaere seiner Begleiterin folgte, entdeckte er aber bereits neue Zeichen von Leben in den schlierigen Bildern jenseits der gläsernen Wand. Wesen ohne Chitinschalen, aber mit breiten und schillernden Flügeln. Sie stürzten sich wie wild aufeinander und brachten sich gegenseitig um.
*
Sie blieben immer wieder stehen und ließen neue, andere Bilder auf sich wirken. Während der vergangenen Stunden waren sie mehrmals mit Szenen konfrontiert worden, die möglicherweise Auszüge aus dem Bau des Chaoporters FENERIK zeigten. Sie waren von unzähligen Materialproben, von Unfällen an werftähnlichen Anlagen und von Auseinandersetzungen zwischen Helfern geprägt gewesen.
Saedelaere nahm die Bilder zur Kenntnis und versuchte, sie in einem Zeitstrahl einzuordnen. Es gelang ihm nicht. Was er zu sehen bekam, waren jeweils Arbeiten an Teilbereichen FENERIKS. Nach wie vor wussten sie kaum etwas über die tatsächliche Dimension des Chaoporters. Der Bau des Objekts war mit den Sinnen eines Menschen nicht zu erfassen.
Saedelaere tastete über seine Maske, wie so oft. Nur zu gerne hätte er verstanden, was das darunter liegende Cappin-Fragment eigentlich war und was es mit ihm anstellte. Wahrscheinlich verunstaltete es ihn und verursachte Schmerzen, die kein anderes Wesen des Universums kannte.
Aber es unterstützte ihn auch. Es verhalf ihm zu einer geistigen Klarheit, die er als Mensch nicht gekannt hatte. Ganz gewiss half es ihm bei der Leitung seines Raumschiffs, der LEUCHTKRAFT.
»Warum so grüblerisch, Alaska?«
»An dieser Frage merkt man, wie wenig du mich kennst, Gry. Ich gebe nur selten den Spaßmacher. Wobei, eines schönen Silvesterabends im 36. Jahrhundert alter Zeitrechnung ...«
»Du willst mir nicht wieder einen Schwank aus deinem Leben erzählen, um mich zum Lachen zu bringen?«
»Wo denkst du hin?«, log Saedelaere.
»Schade. Ich hätte etwas zum Lachen gebraucht ...« Gry verstummte abrupt und blieb stehen. »Merkst du es? Siehst du es?«
Sie redete leise und angespannt. Saedelaere richtete den Blick nach vorne, auf den ewig gleichen Korridor mit seinen ewig gleichen metallenen Laufgittern und den virtuellen Szenen, die über die Seitenwände geisterten.
»Die Krümmung des Weges«, sagte er. »Sie verändert sich.«
Die Veränderung war so gering, dass sie unter normalen Umständen nicht aufgefallen wäre. Doch nach ihrem tagelangen Trott wäre Saedelaere sogar eine Verbreiterung der Trittgitter um einen tausendstel Millimeter aufgefallen
Langsam und auf der Hut gingen sie weiter. Mit jedem Schritt, den sie taten, weitete sich das Sichtfeld ein wenig.
»Eine Ausbuchtung«, sagte Saedelaere und schwieg dann wieder, bis sie ihr Ziel erreicht hatten.
Tatsächlich: eine Art Kaverne. Zu beiden Seiten war der Korridor ausgeweitet, auf etwa 100 Meter. Die Kaverne reichte in die umgebende Szenerie jenseits der Primordialität.
Er machte einen zögerlichen Schritt nach rechts. Die Bilder rings um ihn zeigten eine Art Arbeitstanz. Wesen, die sich mithilfe mächtiger Flossen durch die Luft vorwärtsbewegten, reichten Technikelemente weiter. Jedes der Geschöpfe leckte mit einer metallenen Zunge darüber hinweg. Dabei blieb glänzender Firnis an den Gegenständen hängen. Eine Schicht, die dicker und dicker wurde, je weiter und öfter sie herumgereicht wurde.
Saedelaere meinte, inmitten der Gruppe zu stehen. Auch wenn die Tänzer gut und gerne 50 Meter entfernt waren, stand er doch in deren Mitte. Er wartete nur darauf, dass einer von ihnen sein Technikelement an ihn weitergab.
»Sie reichern diese Gegenstände an«, behauptete Gry.
»Das bedeutet?«
»Ist nur so eine Idee.« Sie zuckte mit den Achseln. »Sie geben ihr Wissen oder ihre Erfahrung weiter und sorgen dafür, dass ihre Maschinen dazulernen. Vielleicht tun sie's im Auftrag der Chaotarchen.«
»Oder die Bilder, die wir sehen, ergeben gar keinen Sinn. Es könnte ja sein, dass wir künstlerische Interpretationen zu sehen bekommen.«
»Nein. Die Tänzer erfüllen eine Aufgabe. Sieh hin: Einige sinken zu Boden, völlig erschöpft. Sie sind ausgebrannt, weil sie zu viel von sich selbst hergegeben haben.«
Saedelaere widersprach nicht. Gry war so jung. Wenn sie Glück hatte, würde sie nicht mehr als zwei, drei Jahrhunderte alt werden. Denn mit jedem Jahrhundert oder gar mit jedem Jahrzehnt, das er alterte, stellten sich ihm mehr Fragen.
Die Wunder des Universums würden nie zu fassen sein. Einzelne Rätsel ließen sich auflösen – und sie hinterließen tausend neue. Saedelaere hatte es so satt.
»Du bist wieder mal grüblerisch«, sagte Gry.
»Das haben wir alten Leute nun mal so an uns.« Er sparte die Arbeitstänzer aus seiner Wahrnehmung aus und konzentrierte sich auf die eigentliche Kaverne. Er entdeckte mehrere Sitz- und Liegegelegenheiten auf der anderen Seite des Ganges. Dazu kamen vollverschalte Kastenelemente.
»Ein Ort der Ruhe«, behauptete er.
»Eine Loge.« Gry hatte die Sitzgruppen ebenfalls entdeckt und steuerte darauf zu. Zwei von ihnen ließen auf überaus exotische Nutzer schließen. Das eine Möbel war wellenförmig, das andere mit zwei messerscharfen Trennwänden versehen.
»Sie zerfallen in drei Teile, bevor sie schlafen«, behauptete Saedelaere. »Um eine lebensnotwendige Reinigung ihrer inneren Organe vornehmen zu können. Nach der Ruhephase wachsen sie wieder zusammen.«
»Wie hast du das alles herausgefunden?«, wunderte sich Gry.
»Gar nicht. Ich erfinde bloß irgendeine Geschichte, um dich zu beeindrucken.«
»Ich vermute, du warst in den letzten fünfzig Jahren noch nie so nahe dran, einen Witz zu machen?«
»Da siehst du mal, was für einen humorvollen Einfluss du auf mich ausübst.« Saedelaere ließ sich auf einem kreisrunden Sitz mit einem Loch in der Mitte nieder. Das Material unter ihm fühlte sich warm, weich und angenehm an.
Gry besah indes einen der Kästen. Nachdem sie da und dort herumgedrückt und herumgerückt hatte, schob sich auf halber Höhe eine Lade auf. Gry blickte neugierig hinein – und schreckte abrupt zurück.
Alaska sprang alarmiert auf, wollte auf seine Begleiterin zustürzen, sie zurückreißen von der Gefahr.
Sie machte eine abwehrende Armbewegung. »Es ist nichts«, sagte sie schwer atmend. »Es ist bloß Nahrung. Zumindest glaube ich das. Nahrung, die in einer Art Gelee treibt und die mindestens dreitausend Augen hat.«
Ich hatte schon Schlimmeres zum Essen, wollte Saedelaere sagen, ließ es aber bleiben. Stattdessen schlug er vor: »Such weiter! In den anderen Kästen und Regalen. Vermutlich sind sie ebenfalls mit Lebensmitteln gefüllt. Dies ist also offenbar tatsächlich ein Ruheort.«
»Was im Umkehrschluss bedeutet, dass auch andere Wesen im Primordialen Korridor unterwegs sind und dass sie unterschiedlichen Völkern angehören.«
»Andernfalls hätte dieser Gang keinen Sinn«, sagte er und bereute es gleich darauf, diese Worte ausgesprochen zu haben. Sie klangen Gry gegenüber abwertend.
Saedelaere sah sich weiter um. Suchte nach Anzeichen dafür, dass die Loge tatsächlich mitunter besucht wurde.