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Das Ende des 21. Jahrhunderts Neuer Galaktischer Zeitrechnung ist angebrochen. Mehr als dreieinhalbtausend Jahre von unserer Zeit entfernt lebt die Menschheit in Frieden. Zwischen den Sternen der Milchstraße herrschen keine großen Konflikte mehr. Wie es aussieht, könnte Perry Rhodan, der als erster Mensch von der Erde auf Außerirdische gestoßen ist, sich endlich seinem großen Ziel nähern: der alte Traum von Freundschaft und Frieden zwischen den Völkern der Milchstraße und der umliegenden Galaxien. Die Angehörigen der Sternenvölker stehen für Freiheit und Selbstbestimmung ein, man arbeitet intensiv und gleichberechtigt zusammen. Bei ihrem Weg zu den Sternen hat ein geheimnisvolles Wesen die Menschen begleitet und unterstützt: Es trägt den Namen ES, man bezeichnet es als eine Superintelligenz, und es lebt seit vielen Millionen Jahren zwischen Zeit und Raum. Rhodan sieht ES als einen Mentor der Menschheit. Doch ES weilt nicht mehr in der Galaxis – das Geisteswesen scheint zwischen den Sterneninseln verschollen zu sein, zersplittert in Fragmente. Diese Fragmente zu finden und wieder zu vereinen, ist Rhodans Ziel. Während er dazu in die Galaxis Morschaztas reist, geht es in der Milchstraße politisch ruhig zu. Doch dann erscheint DAS NEUE VOLK ...
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Seitenzahl: 176
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Nr. 3208
Das neue Volk
Sie werden ins Solsystem verschlagen – Aliens als Opfer von Intrigen
Michael Marcus Thurner
Cover
Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
1. Funkgespräche
2. Die große Expedition
3. Kompetenzen
4. Fleischsäcke
5. Erstbegegnung
6. Schmerzhaftes Erwachen
7. Terrania!
8. Handeln, feilschen, streiten
9. Kurz davor: Die große Stadt und die kleinen Tiere
10. Einbruch
11. Der Ausritt auf Terra
12. Diplomatentreffen
13. Die Irreführung
14. Schmerzhaftes Einschlafen
Report
Leserkontaktseite
Glossar
Impressum
Das Ende des 21. Jahrhunderts Neuer Galaktischer Zeitrechnung ist angebrochen. Mehr als dreieinhalbtausend Jahre von unserer Zeit entfernt lebt die Menschheit in Frieden. Zwischen den Sternen der Milchstraße herrschen keine großen Konflikte mehr. Wie es aussieht, könnte Perry Rhodan, der als erster Mensch von der Erde auf Außerirdische gestoßen ist, sich endlich seinem großen Ziel nähern: der alte Traum von Freundschaft und Frieden zwischen den Völkern der Milchstraße und der umliegenden Galaxien. Die Angehörigen der Sternenvölker stehen für Freiheit und Selbstbestimmung ein, man arbeitet intensiv und gleichberechtigt zusammen.
Bei ihrem Weg zu den Sternen hat ein geheimnisvolles Wesen die Menschen begleitet und unterstützt: Es trägt den Namen ES, man bezeichnet es als eine Superintelligenz, und es lebt seit vielen Millionen Jahren zwischen Zeit und Raum. Rhodan sieht ES als einen Mentor der Menschheit.
Doch ES weilt nicht mehr in der Galaxis – das Geisteswesen scheint zwischen den Sterneninseln verschollen zu sein, zersplittert in Fragmente. Diese Fragmente zu finden und wieder zu vereinen, ist Rhodans Ziel. Während er dazu in die Galaxis Morschaztas reist, geht es in der Milchstraße politisch ruhig zu. Doch dann erscheint DAS NEUE VOLK ...
Seq – Ein Raumschiffskommandant reitet durch Terrania.
Bruno Boukarina – Ein Kosmopsychologe erweist sich als Ideallösung.
Suyemi Taeb – Eine Agentin folgt ihrem Gefühl.
Aurelia Bina
1.
Funkgespräche
»Wir haben eine MA-Achtundvierziger-Warnung«, sagte Sascha Liebkind.
»Die insgesamt fünfte heute, nicht wahr?«, fragte sein Vorgesetzter, Philomenus Art.
»Die sechste. Aber wer zählt schon mit?«
»Sieht es nach wirklicher Gefahr aus?«
»Die Positroniken laufen gerade über das Problem drüber und analysieren. Sieht aber nicht so aus.« Liebkind biss in sein Insektencremebrötchen und wischte einige Krümel vom Arbeitspult.
»Na, dann das übliche Prozedere. Meldung bei der MARTHA, Warnung an die Außentruppen et cetera.«
»Alles klar, Chef.« Liebkind schluckte den Rest des Brötchens herunter und nahm Kontakt mit der MARTHA auf ...
Eine neue Meldung. Eine Ergänzung. Eine, die Liebkind nun doch ein wenig irritierte. »Chef ...«
»Ja, ich sehe es. Sieht so aus, als wäre der MA-Achtundvierziger was fürs Flottenkommando. Wir lassen die MARTHA außen vor. Melde dich direkt bei der ZEPHYROS! Satou Bezpalky ist derzeit nicht in Terrania, sondern auf einem Routineflug unterwegs.«
Liebkind seufzte und gehorchte. Ausgerechnet Bezpalky. Ausgerechnet.
Er schob ein Holo beiseite, das eine verblüfft dreinblickende Funkerin der MARTHA zeigte, und kontaktierte stattdessen das Kommando der Solaren Flotte.
»Ich brauche Bezpalky«, sagte er, sobald die Verbindung zustande gekommen war.
»Admiralin Bezpalky«, korrigierte sein Gegenüber mit spitzen Lippen. Eine farblose Frau mit farblosem Lächeln.
»Meinetwegen. Admiralin. Es geht um einen Eindringling ins Solsystem.«
»Du weißt genau, dass du dich mit solchen Kleinigkeiten an einen direkten Vorgesetzten wenden und nicht die Admiralin belästigen sollst.«
Bürokratie. Hackordnungen. Leute mit spitzen Lippen, die einen belehrten.
Liebkind hatte mehrere Gründe, warum er einen Posten auf einem einsamen Beobachtungssatelliten jenseits des TERRANOVA-Schirms gewählt hatte. Der Kontakt mit bürokratischen, engstirnigen Terranern war einer davon. Und dennoch schien es kein Entkommen zu geben. Menschen, die einem auf den Nerv gingen, gab es überall.
»Wir haben etwas Ungewöhnliches entdeckt«, sagte er. »Wenn du mir nicht sofort eine Verbindung zur Bezpalky schaltest, bekommst du Probleme. Man wird dich zur Rechenschaft ziehen.«
»Unverschämt!«, schnaubte die Frau und legte Liebkind in eine Warteschleife.
Schreckliche Musik erklang. Er legte den Rest seines Brötchens beiseite, jeglicher Appetit war ihm vergangen.
Der Bildschirm erwachte wieder zum Leben. Eine Frau war im Profil zu sehen. Sie unterhielt sich mit jemandem außerhalb des Bildbereichs. Sehr helle Haut, neckische Sommersprossen, kastanienrote Haare in Hülle und Fülle. Dünne, zusammengepresste Lippen. Nicht mehr jung, aber auch nicht alt.
Eine Schönheit, die man niemals vergaß, wenn man sie einmal zu Gesicht bekommen hatte.
Sie wandte sich Liebkind zu. Kurz verengten sich ihre Augen, dann fragte sie ohne Begrüßung: »Du hast einen unbekannten MA-Achtundvierzig, Schasch?«
»Ja, Bezp... Ja, Admiralin.«
Satou Bezpalky ließ den Anflug eines Lächelns aufschimmern, wurde aber gleich wieder ernst. »Was sagen die Positroniken?«
»Es scheint keinerlei Gefahr von dem unbekannten Schiff auszugehen. Aber es gibt natürlich einen Unsicherheitsfaktor in den Berechnungen ...«
»Zeig mir ein Bild des Raumers!«
Liebkind wischte unbeholfen Cremespritzer von seinem Bedienpult und suchte nach den Aufnahmen, die die Beobachtungssatelliten vom fremden Schiff gemacht hatte. Er zupfte zwei aus den Untiefen seines Rechners und schickte sie an die Admiralin.
»Eintausendsechshundertfünfzig Meter breit, etwa achthundertdreißig Meter hoch«, sagte er knapp. »Diese Aufbauten und Auswüchse lassen das Schiff ein wenig wie ein Vogelnest aussehen, findest du nicht?« Liebkind redete weiter, bevor Bezpalky antworten konnte. »Die Positroniken haben Vergleiche angestellt. Sie haben dabei alle bekannten Fremdkontakte eingeschlossen, zurückreichend bis ins Jahr Eins Neuer Galaktischer Zeitrechnung. Könnte schließlich sein, dass es sich um Mitglieder einer Zivilisation handelt, mit denen der Kontakt verloren gegangen ist und die eine technisch-optische Weiterentwicklung ihrer Schiffe vollzogen haben ...«
»Ich weiß, wie Positroniken arbeiten.«
Und ich plappere, weil ich nervös bin, Bezpalky. »Jedenfalls ist uns die Bauweise des Schiffs völlig unbekannt. Auch eine Analyse der Emissionen deutet darauf hin, dass wir nie zuvor Kontakt mit den Fremden hatten.«
»Haben sie versucht, eine Funkverbindung aufzunehmen?«
»Jein.«
»Geht's ein wenig präziser?«
»Es gibt Anzeichen dafür, dass die Unbekannten zumindest Normalfunk besitzen und eine Richtfunknachricht ausgeschickt haben. Darüber hinaus reagieren sie nicht auf unsere Versuche zur Kontaktaufnahme.«
»Sehr rätselhaft. Aber immer noch kein Grund, mich direkt mit einzubeziehen.«
»Sie sind in unmittelbarer Nähe eines Kometenschwarms aufgetaucht. Auf Basis üblicher Transitionen, allem Anschein nach. Seitdem gibt es keinerlei Hinweis darauf, dass sie die Reise fortsetzen wollen. Sie haben allerdings vor wenigen Minuten zwei Kometen in unmittelbarer Nähe mit hochfunktionellen Thermostrahlern beschossen und zerstört. Ist dir das Grund genug, Admiralin?«
Bezpalky nickte zögernd. »Ja, das ist es. Gut gemacht. Danke, Schasch.«
Er wollte etwas sagen, doch die Darstellung im Holo fiel bereits in sich zusammen. Er war zu langsam gewesen.
»Sie nannte dich Schasch, nach deinem Spitznamen«, meinte Philomenus Art. »Kennt ihr beide euch etwa?«
»Mein Spitzname ist allgemein bekannt. – Komm jetzt! Wir müssen weitere Details über diese Fremden herausfinden. Ich bin mir sicher, dass in ihren energetischen Texturen mehr zu finden ist, als es auf dem ersten Blick scheint.«
»Das ist das erste Mal, dass du mit Arbeitseifer auffällst, Mann.«
»Ist ja auch das erste Mal, dass auf dieser langweiligen Außenstation etwas geschieht.« Liebkind konzentrierte sich auf seine Arbeit und versuchte, alle Gedanken an Satou Bezpalky so rasch wie möglich wieder zu verdrängen.
Was für ein böser Streich des Schicksals, dass sie vor einigen Jahren zur Kommandantin der Solaren Flotte ernannt worden war!
Seine heimliche Liebe. Die Frau, die ihm das Herz gebrochen hatte. Die ihn kalt abserviert hatte und wegen der er an den Rand des Solsystems geflüchtet war. Die er niemals bei ihrem Vornamen genannt hatte, weil sie schon damals rangmäßig weit über ihm gestanden hatte.
2.
Die große Expedition
Groß war das Lob, groß war der Jubel, als Seq an Bord der SCHWEIFAUGE 17 SCHIFF DER BANAQ ritt. Er vermittelte Stolz an Psü, indem er mit allen Daumen gegen dessen empfindliches Nackenfederkleid klopfte, unmittelbar unterhalb des geschmückten Halfters.
Hinter ihm jubelte Nomoq, Seqs Stellvertreter. Dahinter kamen Bilq, dessen Stellvertreter und Limm, der Vierte in der Struktur der Befehlshabenden.
Psü war wie immer zu stürmisch. Seq musste ihn ein wenig zurücknehmen und versammeln. Sein Reittier gehorchte willig und verfiel erneut in jenen weitgreifenden Watschelschritt, den Seq so sehr an seinem Katü liebte.
Der Jubel verhallte hinter ihnen, sobald sie in den Bauch der SCHWEIFAUGE eingeritten waren. Stallmeister warteten und nahmen die Katü in Empfang. Es war Tradition, dass die Befehlshabenden vor dem Jungfernflug in die Kommandozentrale krabbelten und dabei allen Besatzungsmitgliedern ihren Respekt erwiesen.
Also ließ sich Seq auf alle sechse fallen und setzte sich vorneweg in Bewegung. Er hörte die Chitinbeine seiner Stellvertreter hinter sich über den sorgfältig aufgerauten Boden kratzen. Noch war alles frisch, noch war alles neu an Bord der SCHWEIFAUGE. Am Ende der Reise würden sich überall Kratzer und Furchen zeigen, da und dort auch die Spuren improvisierter Schlafdickichte an den Decken der Gänge.
»Wir haben es tatsächlich geschafft«, zischte Nomoq und erhielt dafür Beifallsgeraspel von den anderen Stellvertretern. »Wir wurden als komplette Vierschaft auserwählt. So, wie wir es immer erhofft hatten.«
Ja. Seit gut zehn Jahren träumte Seq von der Chance, ins Irgendwo-Nirgendwo hinauszufliegen, wie das Weltall von vielen Bewohnern der Heimat genannt wurde. Er und seine kleine Gruppe, mit der er vom ersten Tag an trainiert und gearbeitet hatte. Um alle anderen Teams auszustechen, die diese Reise mit einer völlig neuen Generation von Antriebsaggregaten hatten mitmachen wollen.
Seq und seine Leute waren nun mal die Besten und verfügten über reichlich Erfahrung. Sie hatten alle drei Planetenkolonien besucht und dabei allesamt mehr als zweitausend Flugstunden angehäuft. Ohne einen einzigen Fehler zu machen. Ohne auch nur ein einziges Mal als Team zu scheitern.
Hinter sich hörte er ein sehnsuchtsvolles Schnattern von Psü, aber Seq wandte sich nicht um. Er würde seinen Katü bei nächstbester Gelegenheit besuchen und sich um ihn kümmern.
Das Licht in den Gängen war nur schwach, und genau deswegen angenehm für Seqs empfindliche Augen. Auch wenn ihre Facetten wie die aller Besatzungsmitglieder von Spezialisten gründlich gereinigt und mit einem Schutzgelee eingestrichen worden waren, gab es immer wieder Probleme mit der Sensibilität ihrer Sehorgane.
Dies war eines von vielen Hindernissen gewesen, mit denen sich Seqs Vorgänger in der Raumfahrt hatten auseinandersetzen müssen. Mit den Auswirkungen der kosmischen Strahlung, mit heftigen Beschleunigungswerten, mit komplexen Start- und Landemanövern, mit fehlerhaften Aggregaten und mit atheistischen Eiferern, die den Aufbruch ins All hatten verhindern wollen. Weil sie befürchteten, dass im Irgendwo-Nirgendwo Hinweise auf Gottheiten gefunden werden würden.
Seq krabbelte weiter. Grüßte nach links in die Navigationskammer und ließ sich in einer Höhle zu seiner Rechten von einer der wenigen Frauen an Bord über die empfindlichen Duftorgane streicheln.
Die Erregung, die ihn ergriff, war gering. Die Frau legte es nicht auf eine Verbindung an. Sie wusste ganz genau, dass sie die Vierschaft der Kommandierenden während der Reise nicht ablenken durfte. Also hatte sie ihm lediglich einen dezenten Hinweis gegeben. Eine Note, die er sich merken und an die er während der nächsten Tage immer wieder mal denken würde.
Illustration: Swen Papenbrock
Eine weitere Berührung, dann noch eine. Die Gerüche vermengten sich, blieben aber dennoch individuell. Als Kommandant des Schiffs war er ... interessant, ebenso wie seine drei Kollegen, denen hinter ihm ein ähnliches Ritual widerfuhr.
Ein Maschinenraum, eine Ausweichzentrale, ein Zuchtbereich für Katü und die dazugehörige Stallung. Eine Gartenanlage, in der moderne Zirpmusik gespielt wurde. Ein Vorratslager. Ein Schreckraum, in dem den Besatzungsmitgliedern archaische Urängste abtrainiert wurden. Auf sie warteten unbekannte Welten, die sie eine nach der anderen betreten würden. Um zu entscheiden, ob sie für eine Kolonialisierung geeignet waren oder nicht.
Seq war müde, als er endlich die Kommandozentrale erreichte. Seinen Kollegen ging es nicht viel besser. Sie ließen sich auf den Langbänken nieder und streckten die Körper aus. Bürsten und Gebläse sorgten für Erfrischung.
Ein Teil der Zentrale war wie ein Schrein eingerichtet. Dort stapelten sich Geschenke, die sie aus allen Teilen Saaqus erhalten hatten. Kostbare Relikte, Holz- und Metallarbeiten, uralte Spinnenteppiche, eine extraordinäre Vase, aus Spucke und Morast gefertigte Fruchtbarkeitssymbole, Flügelschoner aus Zinn und Zaumzeuge für die Katü aus wertvollem Wolframkarbid, ein Mamanq.
Ein Mamanq. Ausgerechnet. Sie stammen aus einer anderen Zeit. Aus einer Zeit, die wir längst hinter uns haben sollten.
Nun gut. Seq konnte es nicht ändern. Die Begeisterung auf Saaqu war groß. Sie waren Helden und wurden gefeiert, als hätten sie ihr großes Ziel bereits erreicht. Das machte Seq Sorgen, darum musste er sich vorrangig kümmern. Und nicht um diesen hässlichen Fetisch.
Sie hatten ein hartes Stück Arbeit vor sich. Sie durften sich nicht zu sehr von all diesen Vorschusslorbeeren beeinflussen lassen.
»Ihr seid pünktlich, meine Herrschaften«, sagte Laneqa, der autorisierte Zuchtmeister der Zentrale. Ein erfahrener Mann, der für Drill und Ordnung sorgte.
Seq ging nicht weiter auf Laneqas Worte ein. »Die Startvorbereitungen laufen nach Plan?«, fragte er stattdessen.
»Selbstverständlich.«
Er ließ sich einen Statusbericht liefern. Die Triebwerke wurden soeben einer letzten Prüfung unterzogen. Simulationsmodelle zeigten eine Startmöglichkeit unter besten Wetterbedingungen während der nächsten 15 Minuten. Auroq stand hoch am wolkenlosen Himmel. Auch von den um diese Jahreszeit so häufigen Pollenwolken aus den weiten Ebenen des Fruchtlandes war weit und breit nichts zu sehen. Die dünne Sichel des Mondes Pauq war bloß ein Schemen im fernen Westen.
»Die Zuseher und die Ehrengäste haben sich zurückgezogen«, meldete Laneqa und fügte aufgeregt hinzu: »Wir haben eine Nachricht erhalten. Von der ... von der ...«
»... der Banaq. Selbstverständlich. Unsere Herrscherin vergisst nie, die Besatzungen zu grüßen, bevor eines ihrer Schiffe auf große Fahrt geht. Sie möchte, dass wir die Botschaft erst öffnen, sobald wir im Irgendwo-Nirgendwo sind, nicht wahr?«
»Ja.«
»Dann werden wir es so machen. Und nun: Konzentration!«
Seq legte die Überprüfungsprotokolle beiseite. Alle Lichter erloschen rings um ihn, ein Duftalarm wurde an Bord der SCHWEIFAUGE ausgelöst. Der stechend scharfe Geruch würde alle Besatzungsmitglieder mahnen, mit voller Konzentration ans Werk zu gehen.
Seq wartete die übliche Sicherheitszeitspanne ab und gab dann dem Piloten Befehl, den Raumer vom Boden zu lösen. Hilfskraftwerke dröhnten los, die Schiffszelle vibrierte. Irgendwo fiel ein Futtertopf zu Boden, da und dort ertönte ein unruhiges Zirpen.
»Alle Werte stabil«, sagte sein Stellvertreter Nomoq. »Die Startstützen werden jetzt gekappt. Wir lösen uns von der Oberfläche.«
Seq dachte an jene Station im Orbit, die seit drei Jahren im Bau war. Man plante, in etwa 20 Jahren von dort aus starten und die behäbigen Bodenmanöver endgültig bleiben lassen zu können. Die vielen Auf- und Zubauten der Yaqanaschiffe sorgten für Statikprobleme bei zu hohen Geschwindigkeiten innerhalb des Atmosphärebereichs. Doch auf die Auslaufbereiche und die Stallungen für die Katü, die sich im Inneren der Zubauten befanden, zu verzichten – das kam niemals infrage.
Konzentriertes Zirpen übertönte den Lärm der Antriebsaggregate in der Zentrale. Laneqa tat sein Bestes, um die Besatzungsmitglieder unter Kontrolle zu halten. Er war universell ausgebildet und wusste über jeden Schiffsbereich ausreichend Bescheid. Er feuerte die jeweiligen Gruppen an, motivierte und steuerte sie mit all seiner Erfahrung. Irgendwann, so prognostizierten Soziologen, würden Yaqana wie er von Rechnern ersetzt werden. Noch aber war es nicht so weit. Noch war er wertvoller als jedes andere Besatzungsmitglied.
Seqs Stellvertreter kümmerten sich hauptsächlich um die Steuerung, während er selbst das große Bild im Auge behielt. Er musste Entscheidungen treffen. Entscheidungen, die letztlich über Wohl und Wehe von 2600 Besatzungsmitgliedern und noch mehr Katü bestimmten.
Die SCHWEIFAUGE durchstieß ein letztes, dünnes Wolkenband. Der Himmel verlor seinen blaugrünen Schimmer. Schwärze trat immer deutlicher in den Vordergrund, gesprenkelt mit weißen Pünktchen, die seit jeher wie eine Verlockung auf Seq gewirkt hatte.
Sein Herz pumpte vermehrt Blut durch den Haemocoel. Seqs darin lagernde Organe wurden ordentlich durchschwemmt, er fühlte positive Aufregung und Freude.
»Wunderbar«, sagte er.
»Wunderbar«, wiederholte ein gutes Dutzend Besatzungsmitglieder der Zentrale.
»Schutzschirme aus!«, befahl Nomoq.
Die Sicht nach draußen wurde noch deutlicher, noch klarer. Der Schirm hatte die SCHWEIFAUGE während des Atmosphäreflugs vor dem Auseinanderbrechen bewahrt. In der Schwerelosigkeit wurde er nicht mehr benötigt. Zumindest so lange nicht, bis sie die erste Transition in Angriff nahmen.
Nach und nach verstummten die Stimmen im Inneren der Zentrale. Erwartungsvolle Blicke richteten sich auf ihn.
»Dies war erst der Anfang unserer Reise«, sagte Seq. »Womöglich der leichteste Teil unseres Abenteuers. Ihr wisst allesamt, dass die SCHWEIFAUGE experimentellen Charakter hat. Mit den neuen Transitionstriebwerken wird es möglich sein, wesentlich größere Distanzen als bisher zu überbrücken. Unsere Reisen waren auf einen Radius von zwei-, maximal dreitausend Lichtjahre beschränkt. Dann waren die Transiterationstriebwerke ausgebrannt. Und je größer die Distanzen, desto ungenauer die Zielbestimmung.«
Er fasste zusammen, was ohnedies jedes Besatzungsmitglied wusste. Dennoch blickten die Gefährten wie gebannt auf sein Labium und auf die Mandibeln. Er dehnte sie so weit wie möglich nach außen, um den Klang seiner Stimme zu verstärken.
»Wir sind für die erste wirkliche Langstreckenexpedition der Raumfahrtgeschichte verantwortlich. Wir werden eines unserer neuen Triebwerke zur Gänze ausbrennen und hoffen, über eine Distanz von viertausendfünfhundert Lichtjahren transitieren zu können.«
Zustimmendes Gezirpe und Gereibe. Yaqana liebten Pathos – und nur zu gerne wollten sie etwas hören, das ihre Ängste vertrieb.
»Was bezwecken wir mit dieser Reise? – Nun, wir testen unser experimentelles Triebwerk. Wenn wir Erfolg haben, steht einer Serienfertigung nicht mehr viel im Weg. Weiterhin sind wir uns sicher, dass da draußen«, Seq deutete auf den Bildschirm, »andere Intelligenzwesen leben. Leben müssen. Die großen Ortungsstationen haben schon das eine oder andere Mal Strahlungswellen aufgeschnappt, die Teile von Nachrichten gewesen sein könnten.
Wir wollen uns Gewissheit verschaffen, indem wir uns bei der kommenden Transition in Richtung einer möglichen Strahlungsquelle orientieren. Drittens suchen wir nach potenziellen Siedlungsplaneten. Seit Jahrhunderten befolgen wir strenge Fortpflanzungsauflagen, um eine Überbevölkerung in der Heimat zu verhindern. Sollten wir geeignete Kolonialplaneten entdecken, könnten wir ein wenig Druck von uns nehmen. Ihr wisst, was ich meine.«
Tiefes, unbefriedigtes Brummen wurde fast unisono laut. Sie alle kannten die Qualen eines unerfüllten Liebeslebens. Die Sexualtherapeuten hatten bereits alle vier Beine voll zu tun, um die psychischen Sorgen der fortpflanzungstauglichen Frauen und Männer zu lindern. Es ging nach Meinung der bedeutendsten Wissenschaftler nicht mehr darum, ob man den unterdrückten Fortpflanzungstrieb weiterhin unter Kontrolle halten konnte, sondern wie lange, bevor die Psyche der meisten Yaqana unwiderruflich geschädigt wurde.
»Es steht viel auf dem Spiel. Ich möchte, dass wir unsere Aufgabe bestmöglich erledigen. Man soll uns als Helden empfangen. Als jene Raumfahrer, die unser Volk ein bedeutendes Stück vorangebracht haben.« Seq rieb die vier Daumen gegeneinander. »Seid euch eurer Verantwortung bewusst und gebt euer Bestes. Seid ihr bei meinen Beinen?«
»Wir sind bei deinen Beinen!«, zirpten die Besatzungsmitglieder mit höchster Lautstärke.
Sie alle kamen näher. Betasteten ihn, berührten ihn, ließen die Haarsensillen über ihn gleiten. Ebenso, wie er es tat.
Sie fanden sich zu einem Knäuel zusammen, fast so intensiv wie in einem Schlafdickicht. Nomoq, so fühlte Seq, schüttete in seinem Überschwang sogar ein wenig klebriges Körpersekret aus.
Seq ließ diese Sekunden purer Freude zu. Die Schiffsrechner zeigten keinerlei Anomalien. Alles war so, wie es sein sollte. Also genossen sie diesen Augenblick der Verbindung.
Bis sie sich wie auf Befehl voneinander lösten. Die Stimmungslage kippte zurück zur nötigen Nüchternheit. Der geplante Transiterationspunkt war nicht mehr allzu weit entfernt. Sie mussten sich vorbereiten.
*
Mehrere Stallmeister meldeten sich über Bordfunk. Sie berichteten, dass die Katü unruhig wurden. Die Freundtiere schienen zu begreifen, dass etwas Besonderes, etwas Beängstigendes, bevorstand.
Die Katü waren schlau und lernten. Von früheren Raumsprüngen wusste man, dass der Stress, dem die Reittiere ausgesetzt waren, einen sprachlichen Leistungsschub provozierte, wodurch ins Irgendwo-Nirgendwo reisende Katü ihren Wortschatz vergrößerten, auf bis zu hundert Wörter.
Nur zu gerne wäre Seq zu Psü gekrabbelt, um ihn zu beruhigen und vielleicht ein paar Minuten durch das Schiff zu reiten. Es hätte ihnen beiden gutgetan. Doch in diesen entscheidenden Minuten war sein Platz auf seinem Streckplatz in der Zentrale.
Laneqa bediente sich seiner Trommel und gab einen Arbeitsrhythmus vor. Körper schwangen vor und zurück, hin und her, auf und nieder. Seqs Glieder machten wie von selbst mit. Die Herzschläge gingen beinahe synchron, wie ein Blick auf die Biowerte der Zentralemitglieder bewies.
Die meiste Zeit des Tages waren sie ausgeprägte Individualisten. Doch in diesen entscheidenden Minuten an Bord der SCHWEIFAUGE mussten sie zusammenarbeiten und die Hierarchien bedingungslos akzeptieren.
»Noch vierzig Sekunden«, zirpte Nomoq und zählte den Countdown weiter hinab.
Die technischen Werte sahen gut aus. Auch die der Schiffsbesatzung. Alles war im Einklang. Alles war bestens.
»Zwanzig Sekunden.«
Die Schiffszelle vibrierte wieder. Die künstliche Schwerkraft setzte aus. Seq fühlte sich beschwingt und leicht, fast berauscht. Nach nur wenigen Sekunden setzte die Schwerkraft wieder ein. Dieser Fehler in der positronischen Steuerung kam immer wieder unmittelbar vor Iterationssprüngen zustande, ohne dass die Hintergründe geklärt werden konnten. Seq war nicht weiter beunruhigt. Dafür war er viel zu erfahren.
»Acht Sekunden ...«
Das Gebrüll mehrerer Katü war durch die offenen Türen der Zentrale zu hören. Eine Duftwolke breitete sich aus. Schweiß, Angst, Not, Hoffnung ... Dies alles war darin verpackt. Die Anspannung war spürbar und gut zu riechen.
Es würde alles gut gehen. Seq war zuversichtlich. Er hatte sich lange mit den Entwicklungsingenieuren unterhalten, die die verstärkten Sprungaggregate eingebaut hatten.
»Null. Sprungserie beginnt.«
Transition reihte sich an Transition. Die einzelnen Sprünge waren kaum voneinander zu unterscheiden. Die neuen, verbesserten Dämpfer verringerten den Druck auf die Psyche und ließen bloß die Ahnung eines schwachen, unkontrollierbaren Zitterns zu.
»Alles klappt so, wie es klappen soll«, meldete Nomoq. »Zurückgelegte Distanz: etwa fünfzig Lichtjahre.«