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Das Ende des 21. Jahrhunderts Neuer Galaktischer Zeitrechnung ist angebrochen. Mehr als dreieinhalbtausend Jahre von unserer Zeit entfernt lebt die Menschheit in Frieden. Zwischen den Sternen der Milchstraße herrschen keine großen Konflikte mehr. Wie es aussieht, könnte Perry Rhodan, der als erster Mensch von der Erde auf Außerirdische gestoßen ist, sich endlich seinem großen Ziel nähern: der alte Traum von Freundschaft und Frieden zwischen den Völkern der Milchstraße und der umliegenden Galaxien. Die Angehörigen der Sternenvölker stehen für Freiheit und Selbstbestimmung ein, man arbeitet intensiv und gleichberechtigt zusammen. Bei ihrem Weg zu den Sternen hat ein geheimnisvolles Wesen die Menschen begleitet und unterstützt: Es trägt den Namen ES, man bezeichnet es als eine Superintelligenz, und es lebt seit vielen Millionen Jahren zwischen Zeit und Raum. Rhodan sieht ES als einen Mentor der Menschheit. Doch ES weilt nicht mehr in der Galaxis – das Geisteswesen scheint in ungezählte Fragmente zersplittert zu sein, die sich in verborgenen Fragmentrefugien ballen. Diese Refugien zu finden und die Fragmente wieder zu vereinen, ist Rhodans Ziel. In der Zwischenzeit macht auf Terra eine mysteriöse Vereinigung von sich reden: Was der Club der Lichtträger erreichen will, bleibt im Dunkeln. Dann kommt DIE NACHT DER ANUUPI ...
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Seitenzahl: 179
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Nr. 3228
Die Nacht der Anuupi
Ein Festtag in Terrania – doch ein Attentäter schlägt zu
Michael Marcus Thurner
Cover
Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
1. Böse ist gut
2. Sub-103
3. Nervosität
4. Eine Landpartie
5. Eine Ansprache
6. Abgepasst
7. Der Lokalisator
8. Maccaos Auftritt
9. Unter Kollegen
10. Unordnung ordnen
11. Die Nacht der Anuupi
12. Der Coup
13. Hausbesuch
Report
Leserkontaktseite
Glossar
Impressum
Das Ende des 21. Jahrhunderts Neuer Galaktischer Zeitrechnung ist angebrochen. Mehr als dreieinhalbtausend Jahre von unserer Zeit entfernt lebt die Menschheit in Frieden. Zwischen den Sternen der Milchstraße herrschen keine großen Konflikte mehr. Wie es aussieht, könnte Perry Rhodan, der als erster Mensch von der Erde auf Außerirdische gestoßen ist, sich endlich seinem großen Ziel nähern: der alte Traum von Freundschaft und Frieden zwischen den Völkern der Milchstraße und der umliegenden Galaxien. Die Angehörigen der Sternenvölker stehen für Freiheit und Selbstbestimmung ein, man arbeitet intensiv und gleichberechtigt zusammen.
Bei ihrem Weg zu den Sternen hat ein geheimnisvolles Wesen die Menschen begleitet und unterstützt: Es trägt den Namen ES, man bezeichnet es als eine Superintelligenz, und es lebt seit vielen Millionen Jahren zwischen Zeit und Raum. Rhodan sieht ES als einen Mentor der Menschheit.
Doch ES weilt nicht mehr in der Galaxis – das Geisteswesen scheint in ungezählte Fragmente zersplittert zu sein, die sich in verborgenen Fragmentrefugien ballen. Diese Refugien zu finden und die Fragmente wieder zu vereinen, ist Rhodans Ziel. In der Zwischenzeit macht auf Terra eine mysteriöse Vereinigung von sich reden: Was der Club der Lichtträger erreichen will, bleibt im Dunkeln. Dann kommt DIE NACHT DER ANUUPI ...
Homer G. Adams – Das Finanzgenie begibt sich nach Terrania.
Suyemi Taeb – Die Agentin jagt den Club der Lichtträger.
Nording Gollokai
1.
Böse ist gut
Nording Gollokai lachte, obwohl ihm überhaupt nicht danach zumute war.
Die Nachrichtensender betätigten sich in marktschreierischer Laune mit dem tagespolitischen Geschehen. Kleine Affären wurden künstlich aufgebauscht, andere unter den Tisch gekehrt. Der Einfluss von nimmermüden Robot-Lobbyisten auf den Bau einer neuen, leistungsfähigen Transmittertrasse innerhalb des Solsystems war deutlich zu erkennen, wenn man das schmückende Beiwerk einer Pressemitteilung beiseiteschob.
Es war alles wie immer – aber nichts so, wie es sein sollte.
Nun, er hatte längst anderes auf der Agenda. Er war im Club der Lichtträger mit Themen beschäftigt, die den Lauf der Dinge grundlegend verändern sollten.
Gollokai wischte mit der Hand durch die Luft, die angenehm modulierte Stimme des Sprechers verstummte. Stattdessen war wieder das leise Brummen schlecht gedämmter Energiekonverter zu hören. Bewohner dieses Teils von Terrania City mochten diesen Ton kaum mehr wahrnehmen. Er schon. Er hatte große Teile seines Lebens auf Luna verbracht und war eine völlig andere Lärmkulisse gewöhnt. Auch die Schwerkraft bereitete ihm manchmal Probleme, obwohl er, wann immer es ihm möglich war, kreislauf- und muskelfördernde Übungen einlegte.
»Guten Morgen.« Uvid Toxner betrat den Raum. Zwei Meter groß, breitschultrig, muskulös, mit einem markanten, stets von Schweißtropfen besprenkelten Kahlkopf.
»Guten Morgen. Du bist spät.«
»Nein. Du bist zu früh dran, Nording. Wie immer.« Toxner, ein Gen-Kompositum, stand Gollokai seit der Vernichtung des Ylanten Pasch zur Seite.
Er platzierte sich neben einem der Interpretationsgeräte, um die sich seit Tagen alles drehte, und erweckte seinen Arbeitsplatz zum Leben. Die auf Toxner zugeschnittene Positronik aktivierte sich, einige Filmameisen setzten sich in Bewegung und ließen sich unmittelbar neben ihrer Arbeitsstätte nieder. Die Winzmaschinen gaben als Zeichen ihrer Einsatzbereitschaft einen leisen Summton von sich.
Gollokai bewunderte die Geschmeidigkeit und die Selbstverständlichkeit, mit der sich Toxner bewegte. Er trug Genmaterial von Oxtornern und Báalols in sich und vereinte damit Eigenschaften, die Gollokai in den nächsten Tagen gute Dienste leisten würden. Er hatte die physische Stärke und das Gemüt eines Oxtorners, der sich unter widrigsten Bedingungen behaupten konnte. Und er verfügte über die Gabe der Individualaufladung, mit deren Hilfe er Schutzschirme deutlich verstärken konnte.
Seine hypnosuggestiven Fähigkeiten waren zu Gollokais Bedauern nicht so stark ausgeprägt wie von ihm erhofft. Einen Gegner mit starker Moral würde er nicht manipulieren können.
Die wichtigste Tugend aber, die Uvid Toxner aufwies, war, dass er Gollokai – trotz mancher Respektlosigkeit – bedingungslos gehorchte. Ohne Wenn und Aber. Er war ein willfähriges Werkzeug, mit dem man außerordentlich gut arbeiten konnte.
»Womit möchtest du dich heute beschäftigen?«, fragte Toxner, nachdem er eine Halblitertasse brühend heißen Tees in sich hineingeschüttet hatte.
»Mit Van Moders Aussagen.« Gollokai öffnete einige Holos, die sich zum Teil überlappten.
»Schon wieder? Ich dachte, wir wären durch damit?«
»Wir haben uns einen groben Überblick verschafft, aber wir sind längst nicht in jedes Detail gegangen.«
»Wenn ich mich recht erinnere, haben wir die diversen Aussagen Van Moders aus den Wanderer-Akten insgesamt viermal durchgearbeitet.«
»Dann wird es heute eben ein fünftes Mal werden.«
»Selbstverständlich, Nording. Gibt es etwas, worauf ich besonders achten soll?«
»Wir kümmern uns um dieses Wesen namens Stätter, dem er begegnet ist.«
Gollokai wandte sich seinen eigenen Bildaufzeichnungen zu. Sie zeigten den Robotiker Van Moders aus mehreren Perspektiven. Dazu gab es getrennte Audiospuren und schriftliche Protokolle. Die Aufnahmen waren darüber hinaus in Tausende Einzelbilder zerlegt worden.
Die Filmameisen würden sich damit beschäftigen und nach Fehlern in den uralten Darstellungen suchen. Sie waren darauf geschult, winzige Details aufzunehmen und zu analysieren. Mit ihrer Hilfe würde Gollokai Schnittfehlern auf die Spur kommen.
In manchen Dateien der Wanderer-Akten hatten sie bereits geringfügige Manipulationen entdeckt. Passagen, manchmal bloß zwei bis drei Sekunden lang, waren herausgeschnitten worden. Vielleicht ein Seufzer, ein Räuspern, eine unflätige Bemerkung. In Bereichen der Unterhaltung eines gewissen Ruediger Bonfire mit der Mutantin Anne Sloane fehlte, wenn die Anzeichen richtig gedeutet wurden, mehr als eine halbe Stunde Unterhaltung.
Gollokai konzentrierte sich auf seine Arbeit. Er hatte sich eingehend mit Van Moders beschäftigt. Der vierschrötige Mann hatte sich immer wieder über sein unrasiertes Kinn gerieben, wenn ihm unbehaglich zumute gewesen war – und in dieser einen, ganz besonderen Filmszene war er mehr als unruhig gewesen.
Gollokai schloss die Augen und ließ die kräftige Stimme Van Moders' auf sich wirken. Der begann in den uralten Aufzeichnungen zu erzählen: »Das Wesen namens Stätter sagte also: Die Maschinenstadt ist in gewisser Weise perforiert. Das gehört zur Verteidigungsstrategie. Sicher ist Ihnen, Moders, auch schon aufgefallen, dass es Dinge gibt, die zu klein sind, um zu zerbrechen. Selbst bei einem Sturz aus großer Höhe. Oder etwas in der Art.«
»Stopp!«, befahl Gollokai seiner Arbeitspositronik. »Diese Passage nochmals. Nebengeräusche verstärken! Wie hat der Interviewer auf Van Moders' Worte reagiert? War er erstaunt, hat er die Luft angehalten? Gab es Brüche in der Erzählung?«
Die Positronik bestätigte und spielte dieselbe Bild- und Tonspur nochmals vor. Und nochmals und nochmals und nochmals.
Worte verloren ihren Sinn. Die Stimmlage veränderte sich scheinbar, der monotone Klangteppich wirkte einschläfernd.
»Noch einmal!«, befahl Gollokai.
Er achtete auf die Augen Van Moders'. Auf ein Zwinkern, auf hastig weggeblinzelte Tränenflüssigkeit, ein Stirnrunzeln.
»Noch einmal!«
Das Wort perforiert war entscheidend. Van Moders sprach es aus, als hätte er es niemals zuvor verwendet. Er hörte sich überrascht an und wirkte angewidert. So, als hätte er es nicht hören wollen. Als hätte er niemals erfahren wollen, dass irgendetwas in der Maschinenstadt Ambur-Karbush nicht perfekt funktionierte.
»Stopp!« sagte Gollokai und rieb sich die Augen. »Ich mache eine Pause.«
Toxner ihm gegenüber blickte ihn überrascht an. »Jetzt schon? Wir haben erst vor zwei Stunden begonnen.«
»Hast du etwas Neues entdeckt?«
»Ich höre mir so wie du dieselbe Tonspur wieder und wieder an. Es gibt einige Unreinheiten und einen Schnitt von etwa einer Sekunde. Unmittelbar, nachdem Van Moders über Stätter berichtet hat.«
Das war ihm entgangen – und auch seiner Positronik. Gollokai fühlte einen Anflug von Eifersucht.
Er lehnte sich zurück. »Es stellt sich die Frage, wer oder was Stätter war. Warum hat er diese eine besondere Information an Van Moders weitergegeben? Die Robotwesen in Ambur-Karbush waren niemals redselig. Stätter muss eine bestimmte Aufgabe gehabt haben. Er hat etwas weitergegeben, das für die Menschheit relevant war – oder noch immer ist.«
Toxner pustete kräftig über die Folie vor ihm. Die winzigen Filmameisen versammelten sich daraufhin in einer Ecke des Blattes und erstarrten. »Dieser Ruediger Bonfire sprach in einer seiner Analysen davon, dass die Zellaktivatorträger so etwas wie Informationsträger einer vertikal-temporalen Botschaft wären ...«
»Daran dachte ich soeben, ja. Aber wenn dem so war, sind die meisten dieser Botschafter mittlerweile verstummt. Die Unsterblichen, die aus dieser Zeit stammen und noch leben, lassen sich an einer Hand abzählen. Noch weniger von ihnen sind derzeit verfügbar.«
Toxner nickte. »Unsere Gedanken drehen sich im Kreis.«
»Und deshalb müssen wir unseren eigentlichen Plan weiterverfolgen. Ob wir nun wollen oder nicht. Um an Homer G. Adams heranzukommen.«
»Ist es die Sache denn wert?«
Gollokai lächelte müde. »Adams könnte sich an viele Details dieser Befragungen erinnern. Er könnte dieses Filmmaterial analysieren und uns weitere Erkenntnisse liefern. Wir müssen erfahren, was es mit der Perforation der Maschinenstadt auf sich hat. Hier geht es um eine möglicherweise entscheidende Schwäche der Superintelligenz ES, die bis in die Gegenwart relevant sein könnte.«
»Und damit wären wir beim Daseinszweck des Clubs der Lichtträger.«
»Womöglich.« Gollokai streckte seine Arme weit von sich und gähnte. »Ich möchte nichts vorwegnehmen. Vorerst kümmern wir uns weiter um die Detailanalyse des gestohlenen Materials. Ich bin mir sicher, dass wir noch mehr wertvolle Informationen ausgraben, wenn wir uns nur intensiv genug damit beschäftigen.«
Toxner nickte, zögerte sichtbar und fragte dann: »Hast du denn niemals Gewissensbisse, Nording?«
»Nein.«
»Wir zerstören. Wir töten. Wir bekämpfen ein System. Unschuldige verlieren ihr Leben.«
»Es gibt keine Unschuld. Wer das bestehende System unterstützt, hat sie längst verloren.«
Toxner wirkte so, als wollte er noch etwas sagen, schwieg dann aber und konzentrierte sich wieder auf die Arbeit. Seine Filmameisen setzten sich in Bewegung, der Genmanipulierte kümmerte sich erneut um das Bildmaterial.
Gut so.
Gollokai wollte diese Diskussionen nicht auswalzen. Toxner war kein Eingeweihter. Er wusste nur wenig von dem, worum es den Spitzen des Clubs der Lichtträger wirklich ging. Es war gut und richtig, dass die Gruppe der Eingeweihten klein gehalten wurde.
Auch er selbst wusste nicht alles im Detail. Aber er wusste, dass es auf ihn und seine Arbeit ankam. Er war ein ganz besonderes Werkzeug des Clubs, das Drecksarbeit erledigte. Ohne moralische Hemmungen, ohne Angst.
Was er tat, war richtig.
So einfach war das.
Illustration: Swen Papenbrock
2.
Sub-103
»Aufpassen!«
Homer G. Adams hielt mühsam das Gleichgewicht, als ihn der jugendliche Onryone anrempelte. Der Knabe stürzte zu Boden und landete unsanft auf seinem Hintern. Die Sonnenbrille verrutschte, leuchtend goldene Augen musterten ihn erschreckt. Das Emot-Organ an der Nasenwurzel wechselte die Farbe zu einem tiefen Orange, Zeichen seiner Verunsicherung.
»Entschuldige, ich ... ich ... habe nicht aufgepasst«, stammelte der Junge und streifte vorsichtig über seine Gleitschuhe. Sie leuchteten kurz auf und desaktivierten sich dann.
Adams reichte ihm die Hand, half ihm auf die Beine und rückte ihm die Brille zurecht. »Schon gut, Laddie.«
»Ich heiße Merric und nicht Laddie«, sagte der, während sein Emot-Organ zu einem Ozeanblau wechselte, der Farbe der Neugierde.
»Natürlich, Merric. Ich bin schon ein wenig älter. Ich bin mit einer anderen Sprache aufgewachsen. Laddie heißt so viel wie Bursche.«
»Ich verstehe.«
Nein, tat er nicht. Das Emot-Organ wechselte erneut seiner Farbe. Merric war zu jung, um seine Gefühle unter Kontrolle zu haben.
»Warum hattest du's denn so eilig?«, fragte Adams und betrachtete die Gleitschuhe seines Gegenübers.
»Unsere Schulklasse besucht heute ein Anuupi-Gehege!«, platzte es aus Merric heraus. »Ich bin zu spät dran, weil ... weil ...«
»... weil du verschlafen hast?« Adams grinste.
Merric senkte bedrückt den Kopf.
Es ist interessant zu beobachten, wie sich die Bewohner Terras aneinander anpassen. Eine derartige Geste der Bedrücktheit ist typisch menschlich. Die Onryonen übernehmen unsere Verhaltensweisen, so, wie jugendliche Terraner die Farbcodes unserer ehemaligen Feinde ins Repertoire ihrer Gewänder übertragen. Schon seit Jahrzehnten gibt es Jacken und Hosen, die auf einfache Gesten hin die Farbe wechseln und dabei den Emotionsbildern der Onryonen ähneln.
»Wir feiern bald die Nacht der Anuupi, nicht wahr?«, fragte Adams, obwohl er die Antwort kannte.
»Ja. Vom dritten auf den vierten September. Ich darf einem der wichtigsten Hüter von Karakoto beim Auftrieb helfen. Und stell dir vor: Die Ryotarin kommt!«
»Ich habe davon gehört. Sie ist die oberste Onryonin?«
»Ja!« Merric streckte die Arme weit nach den Seiten aus. »Sie ist die Chefin von sooo vielen Welten!«
»Angeblich sind es zwölf«, sagte Adams.
»Sag ich ja: Es sind unglaublich viele.« Merric aktivierte mit einigen Griffen seine Gleitschuhe. »Wenn ich mich gut anstelle, lässt mich Meister Eryl eine Woche lang bei der Pflege der Anuupi helfen. Ich will selbst mal ein Hüter werden. Der beste von allen.« Merric zappelte unruhig hin und her.
»Ich verstehe. Dann will ich dich nicht länger aufhalten.«
Kaum hatte Adams die Worte ausgesprochen, zischte der Junge davon. Zweimal mit den Gleitschuhen aufstampfen, und der Junge schoss vorwärts. Wackelig, aber doch. Merrics Schritte waren die eines ungeübten Gleiters. Kein Wunder, war er doch eigentlich gar nicht alt genug, um sie tragen zu dürfen.
Sie verhalfen ihrem Besitzer zu einem horizontalen Vorschub mit jedem Schritt, den er tat. Die Schuhe lösten sich vom Boden, man schwebte zentimeterhoch dahin. War man geschickt genug und kannte die Bewegungsabläufe, glitt man wie ein Eisschnellläufer über die Straßen und Wege Terranias mit bis zu vierzig Stundenkilometern. Viel zu rasch für einen Jungen wie ihn. Kein Wunder, dass die Gleitschuhe erst ab einem Alter von 14 Jahren erlaubt waren.
An der nächsten Kreuzung, an der ein kugelförmiger Roboter soeben einen geschützten Wildtierkorridor schuf und eine Giraffenherde passieren ließ, hielt Merric taumelnd an, wandte sich nochmals um und winkte Adams zögerlich zu.
Adams erwiderte den Gruß, während der Verkehrsroboter das Holo einer Werbebotschaft über selbstreinigende Unterwäsche ausstrahlte.
Adams verzog missmutig den Mund über die omnipräsenten Werbeholos und musste dann wehmütig lächeln. Wie lange war es her, dass sich sein Körper jung angefühlt hatte? Dass er diese unbändige Lust an Bewegung gespürt, dass er völlig neue und unbekannte Gerüche und Geschmäcker kennengelernt hatte?
Der erste Rausch, die ersten Drogenerfahrungen. Die ersten Prügeleien im Hillsborough, dem Stadion der Owls, wie die Spieler von Sheffield Wednesday genannt worden waren.
Der erste Diebstahl.
Die erste große Liebe.
Adams schüttelte den Kopf, als könnte er damit all die Gedanken an seine Jugend verjagen.
Wie lächerlich dies alles war! Die Jahre der Pubertät lagen weiter als eine Ewigkeit zurück – und dennoch waren sie immer noch so frisch in seiner Erinnerung, als wären sie erst gestern passiert.
Denn er konnte nicht vergessen. Was in seinem Kopf abgespeichert war, blieb dort für immer haften. Dies war der Fluch seines fotografischen Gedächtnisses.
Nur noch wenige Hundert Meter bis zum Tekener-Tower. Er war etwas früher als abgemacht in Terrania City eingetroffen, um einen ausgedehnten Spaziergang durch die breiten Straßen machen zu können. Er liebte die Weiße Stadt in all ihren Facetten – und kehrte doch immer wieder gerne zurück nach Tunbridge Wells, an seinen eigentlichen Wohnsitz.
Er setzte seinen Weg fort, unbeachtet von vielen anderen Terranern, Arkoniden, Onryonen und Gatasern, die durch die begrünten Straßen der Stadt streiften und deren Wunder bestaunten.
*
Homer G. Adams betrat den Tower, grüßte freundlich nach links und rechts, ließ die Sicherheitsüberprüfungen gelassen über sich ergehen und einen Besucherchip an den Unterarm kleben. Er nickte wie immer in Richtung von Ronald Tekener; in Richtung der übermannsgroßen Statue, die die Empfangshalle beherrschte.
Er hatte den Eindruck, als würde Tekener mit seiner Rechten in Adams' Richtung zurückwinken, aber natürlich täuschte er sich. Der Smiler, wie er genannt worden war, hatte vor weit mehr als fünfhundert Jahren sein Leben verloren. Im Dienste der Menschheit.
Für die meisten Terraner war er eine Figur aus der bewegten Geschichte ihrer Heimatwelt. Für die Agenten des Terranischen Liga-Dienstes, in dessen Hauptquartier Adams sich befand, war er eine der wichtigsten Identifikationsfiguren. Tekener stand für Wagemut, Risikobereitschaft, strategisches Denken und viele andere Tugenden, die einen guten Agenten auszeichneten.
Tek hat stets alles richtig gemacht, dachte Adams. Bis zu dem Tag, an dem er nicht mehr alles richtig gemacht hat.
Er schob die Erinnerungen an den hageren Mann mit den prägnanten Gesichtsnarben beiseite. Es war niemals gut, sich allzu sehr mit der Vergangenheit zu beschäftigen. Ein Unsterblicher wie er tat gut daran, stets vorwärts zu blicken.
Adams stieg in einen der abwärts fahrenden Antigravlifte. Weitere Terraner betraten die Kabine, trieben eine Weile neben ihm her und verließen den Schacht irgendwann wieder. Sie grüßten ihn, warfen ihm manchmal scheue Blicke zu. So, wie er es gewöhnt war. Man wusste, wer er war.
Stockwerk Sub-103, tief unten in der Erde. Adams stieg aus. In diesem Bereich herrschte kaum Betrieb. Wer so weit in die Tiefe fuhr, hatte einen bestimmten Grund. Die einzelnen Fachabteilungen befanden sich näher zur Erdoberfläche. Dort wurden Einsätze geplant und beschlossen, Ausrüstungen optimiert, Teams zusammengestellt, Lagebesprechungen durchgeführt. Fast immer mit KENNON als Berater und Supervisor, einem der großen Rechner Terras.
Mehrere TARAS, die entlang des breiten Gangs schwebten, richteten ihre Sehlinsen auf ihn aus. Die biegsamen Arme bewegten sich unruhig. Die Kampfroboter hätten genauso gut stillhalten können, aber sie waren darauf programmiert, unruhig zu bleiben.
Es hat etwas mit Verhaltenspsychologie zu tun, erinnerte sich Adams, ließ diesen Gedanken aber gleich wieder los. Er konzentrierte sich stattdessen auf das Bevorstehende.
Ein Schott zu seiner Linken glitt leise schmatzend auf, er trat in den dahinterliegenden Raum. Resident Cascard Holonder und Admiralin Satou Bezpalky blickten ihm erwartungsvoll entgegen. Die Chefin des Terranischen Liga-Dienstes, Aurelia Bina, war zu seiner Überraschung nicht anwesend.
Adams begrüßte die beiden und ließ sich auf einen der Sessel fallen, die rings um einen nierenförmigen Tisch angeordnet waren. Beschriftete Folien lagen für ihn bereit, er kümmerte sich nicht weiter darum. Er wusste, worum es ging.
»Danke, dass du gekommen bist, Homer.«
»Du schuldest mir etwas, Cascard. Ich war mit wichtigen Problemen beschäftigt.« Er dachte an die Arbeit an seiner Rosenzucht. An die Senior Blue, eine historische und besonders zähe Sorte, deren Steckhölzer er für viel Geld von Olymp importiert hatte. Adams verbrachte viel Zeit in seinem Landhaus. Er saß dort zwar in einem goldenen Käfig, der von Schutzschirmen umgeben war und den er zu einer uneinnehmbaren Festung ausgebaut hatte, aber es war immerhin sein goldener Käfig.
»Ich schulde dir bereits eine ganze Menge. Leider.« Holonder seufzte. »Ich befürchte, ich werde meine Schulden niemals zurückzahlen können.«
»Es geht um die ZYLINDER-X, nicht wahr? Um das Aufsehen, das deren Start erregt hat.«
»Unter anderem.« Holonder ließ sich ebenfalls an einem Platz nieder, nahm einen Stift zur Hand und bekritzelte das dicht beschriebene Folienblatt, ohne einen Blick auf seine Zeichnungen zu werfen. »Wir hatten gehofft, den Start des Schiffs vor der Öffentlichkeit verbergen zu können. Aber leider ...«
»... leider hat uns meine Schwester einen Strich durch die Rechnung gemacht«, sagte Satou Bezpalky. »Ich hätte ihr in unserer gemeinsamen Jugend die Flausen austreiben sollen. Einige deftige Ohrfeigen hätten vielleicht geholfen.«
Adams lächelte. Er wusste um das angespannte Verhältnis der beiden Bezpalky-Schwestern. Die eine, ehrgeizig bis zum Gehtnichtmehr, hatte sich im militärischen Rahmen hochgearbeitet, um als Admiralin der Solaren Flotte den Zenit ihrer Karriere zu erreichen. Höher hinauf ging es militärisch nicht mehr. Allerdings stellte sich die Frage, ob sie nicht eines Tages in die Politik wechseln würde. So, wie es Holonder ebenfalls vor einigen Jahren getan hatte.
Die andere, Claire Bezpalky, hatte sich Meriten als freie Journalistin verdient. Wenn sie eine Schlagzeile roch, ließ sie sich von nichts und niemandem davon abhalten, die dazugehörige Spur zu verfolgen. So lange, bis sie ihr Ziel erreicht hatte. Wie im Fall der ZYLINDER-X, jenes speziellen Schiffs aus einer Kosmokratenwerft, mit dem Alaska Saedelaere und Gry O'Shannon aufgebrochen waren.
Claire hatte herausgefunden, dass Saedelaere, seine Begleiterin und einige weitere Besatzungsmitglieder das kobaltblaue Walzenschiff in die Kondor-Galaxis alias NGC 6872 gelenkt hatten. Und sie hatte die Öffentlichkeit darüber informiert. Alle Geheimhaltungsversuche waren obsolet geworden, sehr zum Leidwesen der Militärs und der Politik.
»Hast du mit Claire über das Thema geredet, bevor sie die Nachrichten zu Alaska publik machte? Hast du versucht, sie zu stoppen?«, fragte Adams die Admiralin.
»Ich hätte mich genauso gut mit einem Hasen unterhalten und ihn auffordern können, auf die Fortpflanzung zu verzichten. Meine reizende Schwester will nicht verstehen, dass sie mit dem, was sie Arbeit nennt, Leben gefährdet. Dass es gute Gründe gibt, manche Dinge geheim zu halten. Wie du weißt, sind wir, galaktopolitisch gesehen, nicht nur von Freunden umgeben.«
Adams nickte. Er verzichtete darauf, den alten, weisen Mann hervorzukehren und die Admiralin zu belehren, dass es noch nie anders gewesen war. Seitdem Perry Rhodan als erster Mensch den Mond betreten hatte und dort auf Arkoniden gestoßen war, hatten sie sich stets mit Neidern, Konkurrenten und Feinden herumschlagen müssen. Die Milchstraße war ein Platz, der niemals zur Ruhe kam. In dem man ständig mit den Ellbogen arbeiten musste, um nicht in der Auseinandersetzung mit anderen Mächten unterzugehen.
Die Liga Freier Galaktiker mochte Regeln für den Umgang der einzelnen Völker miteinander festlegen. Doch Theorie und Praxis lagen bei diesem Regelwerk manchmal deutlich auseinander. Immer wieder spülte die Politik irgendwelche Potentaten hoch, die meinten, eine größere Rolle im politischen, wirtschaftlichen oder militärischen Getriebe der heimatlichen Sterneninsel spielen zu müssen.
Adams zuckte mit den Achseln, Er hielt sich, so gut es ging, aus Intrigen und Machtspielen heraus. Er war, nun ja, Privatmann, der sich nur einmischte, wenn er um seine Meinung gebeten wurde.
So jedenfalls die offizielle Version. Aber wem machte er damit etwas vor? Jeder, der ihn kannte, wusste genau: Er genoss