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Das Ende des 21. Jahrhunderts Neuer Galaktischer Zeitrechnung ist angebrochen. Mehr als dreieinhalbtausend Jahre von unserer Zeit entfernt lebt die Menschheit in Frieden. Zwischen den Sternen der Milchstraße herrschen keine großen Konflikte mehr. Wie es aussieht, könnte Perry Rhodan, der als erster Mensch von der Erde auf Außerirdische gestoßen ist, sich endlich seinem großen Ziel nähern: der alte Traum von Freundschaft und Frieden zwischen den Völkern der Milchstraße und der umliegenden Galaxien. Die Angehörigen der Sternenvölker stehen für Freiheit und Selbstbestimmung ein, man arbeitet intensiv und gleichberechtigt zusammen. Bei ihrem Weg zu den Sternen hat ein geheimnisvolles Wesen die Menschen begleitet und unterstützt: Es trägt den Namen ES, man bezeichnet es als eine Superintelligenz, und es lebt seit vielen Millionen Jahren zwischen Zeit und Raum. Rhodan sieht ES als einen Mentor der Menschheit. Doch ES weilt nicht mehr in der Galaxis – das Geisteswesen scheint in ungezählte Fragmente zersplittert zu sein, die sich in verborgenen Fragmentrefugien ballen. Diese Refugien zu finden und die Fragmente wieder zu vereinen, ist Rhodans Ziel. Während der Nachforschungen zum ersten Fragment stößt er auf ein Transportmedium, das wie geschaffen dafür scheint, ihn auch in ferne Regionen des Kosmos und zu anderen Fragmentrefugien zu bringen. Sein Weg führt ihn auf DIE PURPURWELT ...
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Seitenzahl: 146
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Nr. 3231
Die Purpurwelt
Der Terraner erreicht Spaphu – und gerät in den Bann der Totenwelt
Susan Schwartz
Cover
Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
1. RA
2. Dom
3. Die Elf
4. Abtransport
5. Die Zitadelle
6. Kein Zurück
7. Neuer Plan
8. Unterwegs
9. Flora und Fauna
10. Erwischt
11. Am Ziel
12. Die Schempra
13. Omlirr Oscha
14. Der Pakt
Leserkontaktseite
Glossar
Risszeichnung Versorgungsschiff der MAGELLAN
Impressum
Das Ende des 21. Jahrhunderts Neuer Galaktischer Zeitrechnung ist angebrochen. Mehr als dreieinhalbtausend Jahre von unserer Zeit entfernt lebt die Menschheit in Frieden. Zwischen den Sternen der Milchstraße herrschen keine großen Konflikte mehr. Wie es aussieht, könnte Perry Rhodan, der als erster Mensch von der Erde auf Außerirdische gestoßen ist, sich endlich seinem großen Ziel nähern: der alte Traum von Freundschaft und Frieden zwischen den Völkern der Milchstraße und der umliegenden Galaxien. Die Angehörigen der Sternenvölker stehen für Freiheit und Selbstbestimmung ein, man arbeitet intensiv und gleichberechtigt zusammen.
Bei ihrem Weg zu den Sternen hat ein geheimnisvolles Wesen die Menschen begleitet und unterstützt: Es trägt den Namen ES, man bezeichnet es als eine Superintelligenz, und es lebt seit vielen Millionen Jahren zwischen Zeit und Raum. Rhodan sieht ES als einen Mentor der Menschheit.
Doch ES weilt nicht mehr in der Galaxis – das Geisteswesen scheint in ungezählte Fragmente zersplittert zu sein, die sich in verborgenen Fragmentrefugien ballen. Diese Refugien zu finden und die Fragmente wieder zu vereinen, ist Rhodans Ziel. Während der Nachforschungen zum ersten Fragment stößt er auf ein Transportmedium, das wie geschaffen dafür scheint, ihn auch in ferne Regionen des Kosmos und zu anderen Fragmentrefugien zu bringen. Sein Weg führt ihn auf DIE PURPURWELT ...
Perry Rhodan – Der Unsterbliche entdeckt die Totenwelt.
Shema Ghessow – Die Mutantin findet einen Weg in die Freiheit.
Antanas Lato – Der Wissenschaftler gerät in Gefangenschaft.
4-Paivar – Ein Grabwächter sucht nach Karrierechancen.
Omlirr Oscha
1.
RA
»Schon wieder finster?« Shema Ghessow richtete sich auf ihrer Liege auf und gähnte.
»Tja, sieht so aus.« Antanas Lato dehnte und streckte sich, bevor er aufstand.
Perry Rhodan hatte sich bereits erhoben. »Diesmal keine Albträume? Geht es euch gut?«, fragte er seine beiden Begleiter.
»Nichts. Ich fühle mich sogar sehr erholt, wie nach einem ausgiebigen Schlaf«, antwortete Ghessow.
Unwillkürlich tastete sie ihr Gesicht ab. Ob sich die hauchzarten Falten verstärkt hatten? Wurden sie vielleicht bald sichtbar?
Wenn sie – wie geplant – die letzten 44 Millionen Lichtjahre Distanz zurückgelegt hatten, hatte die Sextadim-Konverse sicher wieder ihren Obolus gefordert. Für Antanas und Perry mit ES-Rabatt, für Shema hingegen das Dreifache. Vermutlich, um einen Ausgleich herzustellen, wie sie selbstironisch im Stillen anmerkte.
»Ob wir am Ziel sind?«, fragte Antanas laut, da die Frage alle beschäftigte.
»Erst mal frisch machen, dann klären«, schlug Ghessow vor.
*
Das Gegenüber konnte nicht sonderlich viel aussagen. Sie waren in einer Art Dom herausgekommen, einer ebenmäßig gewölbten künstlichen Halle von 200 Metern Höhe mit maximal 88 Metern Durchmesser.
Der Dom war nach außen völlig abgeschirmt, sodass eine Orientierung nicht möglich war. Aber entsprechend der üblichen Altersbestimmungen und den unterwegs aufgenommenen, wenngleich spärlichen Messdaten schien es, als hätten sie diesmal ohne weitere Zwischenstation die letzten 44 Millionen der insgesamt 244 Millionen Lichtjahre ab Gruelfin zurückgelegt und ihr Ziel erreicht.
Nun ja, »Ziel« war ein wenig hochgegriffen. Spaphu war eine riesige Balkengalaxis mit 300.000 Lichtjahren Durchmesser, von Ende zu Ende der Hauptarme betrachtet. Die Milchstraße mit ihren rund 106.000 Lichtjahren würde darin geradezu verschwinden.
Konkrete Koordinaten zu dem nächsten Fragmentrefugium von ES hatten Rhodan und seine beiden Begleiter noch nicht ermittelt. Immerhin hatte die quasi-mentale Präsenz des Dunkelplaneten Crossd ihnen »das Verzeichnis« gegeben, den Strukturplan der gesamten Konverse, in dem auch die Fragmentrefugien zu finden waren. Denn tatsächlich hatte ES die Konverse genau dafür wieder in Betrieb gesetzt. Aber bisher war es weder Lato noch Ghessow oder gar Rhodan gelungen, die Handhabung der daumennagelgroßen Eisenkugel, in der sich das Verzeichnis befand, zu ergründen.
Vielleicht wäre nun die Gelegenheit dazu, aber Rhodan wollte die übliche Orientierungsweise beibehalten und zunächst feststellen, wo sie überhaupt waren. Zuerst mussten sie klären, mit wem sie es in Spaphu zu tun hatten: In welcher Einflusssphäre befanden sie sich? Gab es Hegemonialmächte? Existierten politische oder sonstige Tendenzen, die für eine gewisse Dynamik sorgten, oder handelte es sich um ein weitgehend geordnetes und stabiles Machtkontinuum? Wo lauerten Gefahren? Erst daraus konnte man ableiten, welchen Herausforderungen sie sich womöglich stellen mussten und sich darauf einrichten. Lediglich den Standort des Fragmentrefugiums zu bestimmen, reichte bei Weitem nicht aus. Keinesfalls konnten sie einfach dorthin spazieren, es an sich nehmen, sich artig bedanken und dann zur nächsten Position reisen.
Das war in Gruelfin nicht der Fall gewesen und würde bei dem zweiten Refugium ganz sicher nicht anders sein. Der erste Hinweis darauf war, dass sie an einem hoch gesicherten, wenngleich stockfinsteren und verlassen wirkenden Ort angekommen waren.
Die Informationen über Kondor, wie die Riesengalaxis in den Milchstraßenakten hieß, waren unbedeutend bis nicht vorhanden. Mehr als über die äußere Form und Ausdehnung gab es nicht in den Datenbanken, über die Strukturen und Völker gab es keinerlei Hinweise. Bis auf einen: Spaphu – Kondor – war die Heimat der Sorgoren. Und manche Sorgoren waren Diener der Kosmokratin Mu Sargai. Aber gewiss waren sie nicht das einzige Volk oder gar Hauptvolk in der Riesengalaxis. Und noch weniger, so nahm man allgemein an, wussten die in Spaphu lebenden Sorgoren Bescheid über die Mission Rhodans.
Immerhin: Nach außen war keine Ortung möglich, nach innen aber schon. Die RA befand sich innerhalb des Doms in einem Käfig, der noch für eine weitere Sextadim-Kapsel Platz geboten hätte. Diesmal stand sie aufrecht, die Spitze wie gewohnt nach unten, allerdings nicht knapp über dem Boden schwebend, sondern, »aus Sicherheitsgründen«, wie das Gegenüber mitgeteilt hatte, in einigen Metern Höhe.
Ebenso hatte die Kapsel laut Angabe umgehend nach der Ankunft den Deflektor- und Tarnmodus aktiviert.
»Das bedeutet, deine Systeme funktionieren diesmal?«, hakte Rhodan nach.
»Ja, ich kann lediglich die Abschirmung nicht durchdringen – noch nicht«, gab das Gegenüber Auskunft. »Ich denke, dass es mir früher oder später gelingen wird. Notfalls kann ich auch die Waffensysteme aktivieren, um mich aus dem Käfig zu befreien – alles ist einsatzbereit.«
»Das spricht einmal mehr dafür, dass wir in Spaphu angekommen sind und nicht abgefangen wurden. Dennoch ein ungewöhnlicher Ankunftsort ... aber bei der Konverse kann man eben nicht so genau wissen, wo sie uns hinführt.«
»Oder vielleicht hat uns doch schon das Verzeichnis hierhergeführt«, meinte Ghessow. »Crossd hatte es aktiviert. Vielleicht ist es nicht ganz abgeschaltet, oder die Koordinaten wurden übermittelt, bevor es wieder in den Ruhezustand ging.«
Rhodan überprüfte seinen SERUN. »Bleib zunächst im Käfig, Gegenüber, wir wollen nicht vorzeitig auf uns aufmerksam machen, auch nicht durch eine Befreiungsaktion. Was uns da draußen erwartet, müssen wir zuerst sondieren. Nicht dass wir in eine Falle geraten, aus der wir uns wegen womöglicher technischer Unterlegenheit nicht mehr befreien können.«
»Oder wo wir kurzerhand abgeschossen werden«, fügte Lato nüchtern hinzu.
Danke auch, dachte Ghessow. Das baut gleich so richtig auf. In der Hinsicht muss unser Freund ein bisschen was im Umgang mit anderen lernen, auch wenn er recht hat und ich eigentlich denselben Gedanken habe. Optimismus ist wichtig bei einer Unternehmung wie dieser. Wir drei allein in einem schlagkräftigen Schiff, das aber insgesamt betrachtet nicht mehr ist als eine Nussschale. Und das in einer dreihunderttausend Lichtjahre durchmessenden Galaxis, die uns noch absolut fremd ist.
Aber nein, führte sie dann den Gedanken fort. Sie waren im Auftrag einer Kosmokratin und dadurch auch im Auftrag der Superintelligenz ES unterwegs. Fragmente hin oder her, ES hatte es geplant, dereinst wieder zusammengesetzt zu werden, und entsprechende Schnipsel für die »Jagd nach den Refugien« hinterlassen. Es wäre nicht sinnvoll, alles so gut vorzubereiten, und dann die Mission schon auf der Suche nach dem zweiten Fragment scheitern zu lassen.
Und nicht nur das: Perry Rhodan stand in ganz besonderer Beziehung zu der Superintelligenz; sie waren, wenn man das so sagen konnte, Freunde. Und Rhodan unterstützte ES als Helfer, Erfüllungsgehilfe oder Bote, je nachdem, in welcher Mission er unterwegs war.
Dass es so kommen sollte, stand also für Ghessow außer Frage. Auch, dass die scheitern könnten, diese Option bestand immer. Aber nicht so, und noch nicht in einem so frühen Stadium, davon war sie fest überzeugt.
2.
Dom
Die RA setzte sie auf die übliche Weise unterhalb ihrer Spitze am Boden ab.
Die Helme hatten die drei Reisenden nicht geschlossen, da das Gegenüber eine zwar sehr abgestandene, aber immerhin atembare Atmosphäre gemessen hatte.
Der Käfig, in dem sich die RA befand, war offen, also nicht von einem Schutzschirm oder Energiegitter umgeben. Die Streben lagen so weit auseinander, dass die drei Terraner sie problemlos passieren könnten.
Ghessow rümpfte die Nase. »Oh Mann, das müffelt nach drei Wochen ungewaschenen Männersocken und eingetrockneten Pizzaresten.«
Auch Rhodan und Lato hatten mit dem Geruch zu kämpfen. Als moderne Raumfahrer waren sie saubere, angereicherte Luft gewohnt.
»Erinnert mich an die Studentenbude eines Freundes«, sinnierte Rhodan. »Es ist irgendwie ... wie zu Hause. Ich fühle mich in meine Jugendzeit versetzt. Und in Junggesellenwohnungen.«
»Na, hoffentlich ohne Albtraum«, spöttelte Ghessow und unterließ es, nachzufragen, ob Rhodan mit »Junggesellenwohnungen« seine eigene einschloss. »Und wieder einmal bin ich froh, keine Tefroderin zu sein.«
Antanas Lato schwieg, er war leicht grünlich im Gesicht. Schließlich verbrachte er die meiste Zeit in einem Raumschiff, und nun schon seit Längerem in der RA, hauptsächlich in der Kommandozentrale. Dort roch es höchstens nach dem ganz bestimmt-unbestimmten Maschinenstaub, jedenfalls nach nichts Organischem.
»Dafür, dass der Dom so groß ist, erstaunt mich dieser Mief«, stimmte Rhodan zu. »Eine Luftumwälzung findet wohl eher selten statt. Vielleicht wird diese Halle hier nicht sehr oft frequentiert.«
»Jedenfalls hat man uns kein Empfangskomitee geschickt. Ich weiß nicht, ob ich das gut oder schlecht finden soll.« Lato wiegte den Kopf.
»Es ist gut, weil sie sich verspäten«, sagte Rhodan. »Denn sie werden kommen. Dass etwas im Käfig aufgetaucht ist, wird unter Garantie gemeldet. Aufgrund der Abschirmung nach draußen herrscht hier technologisch mindestens galaktischer Standard.«
Ghessow ging auf die Streben zu. »Das sieht aus wie ... Pflanzen«, stellte sie erstaunt fest. »Das trägt sicher zu dem abgestandenen organischen Geruch bei.«
Illustration: Swen Papenbrock
Alle Käfigstreben waren umwunden und umschlungen – aber nicht von lebendiger Materie. Die Ranken mit ihren Blüten und Blättern waren verwelkt. Manches, das fleischig aussah, war nicht vertrocknet, sondern moderte und schimmelte vor sich hin, was kaum zur Verbesserung der Luft beitrug.
»Warum pflanzt man so etwas, wenn man es nicht pflegt?«, wunderte sich Ghessow.
»Vielleicht ist dieser Dom schon lange verlassen«, vermutete Lato. »Seit Jahrzehnten oder länger.«
»Möglich.« Ghessow streckte die nicht behandschuhte Hand nach einer siebenstrahligen Blume aus, die wohl einstmals gelb gewesen war, mit einem handflächengroßen Samenteller. Zum Teil fanden sich noch schwarz verschrumpelte Samen in den Hülsen.
Ghessow war versucht, ein paar dieser Samen mitzunehmen, aber schon bei der leichten Berührung ihrer Fingerspitze zerbröselte und zerfiel die Blüte zu Staub und rieselte in einem grünlichen Sporennebel zu Boden.
»Ich glaube, das hat Methode«, meinte Rhodan. »Irgendwie erinnert mich das an ...«
Er sprach nicht weiter.
»Ja?«, hakte Ghessow nach einer Weile nach.
»Unwichtig.« Er winkte ab.
»Zu morbid?«
»Vielleicht.«
Ghessow insistierte nicht weiter, sie kannte Rhodan lange genug, um zu wissen, wann er verschlossen war und erst zu gegebener Zeit mehr preisgeben würde. Er war ein relativ Unsterblicher mit über dreitausend Jahren Erfahrung. So menschlich er sich gab und es auch war, es trennte sie doch eine Menge, so wie Ghessows Mutantengabe sie von allen anderen abgrenzte. Auch sie hatte schon eine Menge Dinge gesehen, die den meisten Wesen verschlossen waren. Aber um zu verstehen, was Rhodan alles erblickt, erfahren und durchlitten hatte, fehlten ihr mindestens tausend, vermutlich eher zweitausend Jahre.
Ganz abgesehen davon hatte sie keinerlei Erfahrung, wie es so war, Freund einer Superintelligenz zu sein und sich über Kosmokratendiener – oder deren Avatare – mit Kosmokraten zu unterhalten. Immerhin war sie neuerdings die Freundin eines Dunkelplaneten und damit auf gutem Wege, wie sie fand.
Aber ernsthaft: Ghessow würde sich zurückhalten und Rhodans Überlegungen und Entscheidungen folgen. Er wusste am besten, was zu tun war.
Sie warf einen Seitenblick auf Lato, der alles andere als glücklich aussah. Auf der Dunkelwelt Crossd hatte er sich wohlgefühlt. Die Stellwerker der Konverse waren zwar sehr schrullig, aber vielleicht gerade deswegen seine Kragenweite gewesen. Mit den Avoiden hatte er sich über hyper-ultra-sexta-Dinge unterhalten können, die für Ghessow weit entfernt lagen. Natürlich hatte sie ebenfalls entsprechende Grundkurse im Rahmen ihrer Ausbildung durchlaufen, aber wirklich interessiert hatten diese sie nie. Sie war keine Denkerin oder Positronikspezialistin, und schon gar keine Dimensiologin oder Hyperphysikerin. Sie war Praktikerin.
Und wenn es ihr zu viel wurde, ging sie eben in ihre Hypersenke, ihren ganz eigenen privaten Raum, durch dessen farbige Schlieren sie sogar in den Normalraum schauen konnte. Verwaschen, undeutlich – aber sie hatte gelernt zu deuten.
Das Wichtigste aber: Keiner konnte sie dort erreichen oder sie gar herausholen.
*
Die drei Reisenden schlüpften zwischen den Stangen hindurch. Die RA schickte jedem eine Leuchtsonde mit, um eine größere Fläche zu erhellen. Zusätzlich benutzten sie Handlampen.
Sie gingen die wenigen Meter auf die hinter dem Käfig liegende nächstgelegene Wandung zu und schickten Spähsonden aus, um nach einem Ausgang zu suchen. Doch zumindest auf den ersten Blick und den Messdaten gemäß war nichts zu entdecken.
»Ich werde mal nachsehen«, verkündete Ghessow und zog wenige Sekunden später ein langes Gesicht.
»Hast du ernsthaft damit gerechnet?«, fragte Rhodan gleichmütig, während sie den Käfig umrundeten und tiefer in die Domhalle vordrangen.
»Nun, auf Crossd konnte ich es ja auch.«
»Da wurde die RA festgehalten. Hier werden wir festgehalten.«
»Ja, vielleicht haben wir eine entsprechende Schaltung ausgelöst«, überlegte Lato laut. »Andererseits ... dass die Systeme der RA alle frei sind, spricht dagegen, auch wenn sie in einem Käfig hängt.«
»Es hat also einen anderen Grund, und ich denke, wir werden die Erklärung bald finden.« Rhodan deutete auf den Boden und dirigierte die Sonden so, dass sie vor den drei Reisenden eine größere Fläche ausleuchteten.
*
Zu ihren Füßen fanden sich unregelmäßig verteilt halbschalenförmige Gruben von nicht mehr als fünfzig Zentimetern Tiefe. Die ausgeschickten beiden Kamerasonden zeigten den Galaktikern, dass das gesamte Fundament des Doms mit diesen Gruben übersät war, lediglich zu den Rändern hin wurden es weniger; hinter dem Käfig gab es gar keine, weswegen es ihnen bisher nicht aufgefallen war.
Die erhellten Gruben waren mit Staub befüllt, was Rhodan insofern erstaunte, als der restliche Untergrund völlig sauber schien. Am Rand der Gruben lag jeweils ein kleiner, nicht mehr als fünf Zentimeter Kantenlänge messender schwarz glänzender Würfel.
Und das war längst nicht alles. Die Gruben hatten einen dicken Rand, wie eine Rinne, in denen diverse kleine Gegenstände lagen: Schmuck – etwa Ringe, Armreifen, Stirnbänder – oder einzelne farbenprächtige, aufwendig geschliffene Kristalle. Dazu Figürchen und nicht definierbare Kunstgegenstände, Amulette, geschlossene Döschen. Bei manchen Gruben fanden sich auch kleine Rollen aus pergamentartigem Material oder Folien.
Ghessow konnte ihre Neugier nicht zurückhalten, löste das Band einer Folie und entrollte sie. »Das sieht aus wie eine zweidimensionale Karte, aber ich kann sie nicht lesen.«
»Der Staub«, sagte Lato langsam, während er seine Messgeräte frequentierte, »ist Asche. Aus überwiegend organischem Material.«
»Pflanzen?«, fragte Ghessow. Abgesehen von den Ranken an den Gitterstäben hatte sie nichts Pflanzliches entdecken können. Der Boden war völlig fugenlos und anorganisch, da konnte keine Flora gedeihen.
»Nein.« Lato war einsilbig, und Ghessow dämmerte etwas.
»In jeder Grube?«, wollte Rhodan wissen.
»Nein, die Kamerasonden haben freie Gruben aufgenommen, bei denen sich auch keine Würfel oder andere Gegenstände befinden.«
Ghessow überlief unwillkürlich ein Schauer, nun bestätigte sich die Vermutung. »Es ist wie ein Urnenfeld«, flüsterte sie. Hastig rollte sie die Karte wieder zusammen, band sie zu und legte sie fast ehrfürchtig ab.
»Also eine Begräbnisstätte?«, fügte Rhodan hinzu und wies auf die Würfel. »Dann wären das da vermutlich die Äquivalente für Grabsteine, die anderen Sachen Beigaben. Die Karte zeigt vielleicht einen Weg ins Jenseits.«
»Es ist wahrscheinlich, dass die Gruben nur den oberen Teil einer Tiefanlage, die Schale für die Asche darstellen«, erläuterte Lato weiter. »Ich messe darunter große, metallverkleidete Hohlkörper an, in die die Leichen wohl hinabgelassen und mit Kleidung, Waffen und dergleichen bestattet werden. Sie werden hochenergetisch verbrannt und die abgekühlte Asche anschließend nach oben transportiert. Der Hohlkörper schließt sich, und zurück bleibt die befüllte Grube.«
»Du hattest es bereits geahnt, mit diesem Friedhof, oder?«, fragte Ghessow Rhodan.
»Ja. Ich fühlte mich durch das Ambiente und den Geruch daran erinnert. Ein Mausoleum, das viele unterschiedliche Tote aufnimmt und deren Erinnerung in Form der Würfel bewahrt, wahrscheinlich als Epitaphe. Die weiteren Beigaben sollen sie vielleicht ins Jenseits begleiten oder dienen weiteren Erinnerungen, Lieblingsstücken oder Charakterisierungen.«
»Deswegen findet hier auch keine regelmäßige Lufterneuerung statt, weil das möglicherweise die Asche aus den Gruben bliese«, meinte Lato. »Die Zusammensetzungen sind übrigens sehr unterschiedlich; es ist nicht nur eine Spezies.«
»Also, ganz ehrlich – mir erschließt sich nicht, wieso uns die Konverse ausgerechnet an so einem Ort abgesetzt hat«, stieß Ghessow hervor. »Ganz sicher ist das hier auf seine Weise ein spiritueller Bereich, vielleicht sogar auf religiöse Art heilig. Und da der Platz begrenzt ist, gehe ich davon aus, dass hier nur besondere Persönlichkeiten ihre letzte Ruhestätte finden. Was kann das aber mit ES zu tun haben oder seinem Fragmentrefugium? Ich wiederhole, was ich vorher schon formuliert habe, und halte fest: Das ist morbide.«
*