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Das Ende des 21. Jahrhunderts Neuer Galaktischer Zeitrechnung ist angebrochen. Mehr als dreieinhalbtausend Jahre von unserer Zeit entfernt lebt die Menschheit in Frieden. Zwischen den Sternen der Milchstraße herrschen keine großen Konflikte mehr. Wie es aussieht, könnte Perry Rhodan, der als erster Mensch von der Erde auf Außerirdische gestoßen ist, sich endlich seinem großen Ziel nähern: der alte Traum von Freundschaft und Frieden zwischen den Völkern der Milchstraße und der umliegenden Galaxien. Die Angehörigen der Sternenvölker stehen für Freiheit und Selbstbestimmung ein, man arbeitet intensiv und gleichberechtigt zusammen. Bei ihrem Weg zu den Sternen hat ein geheimnisvolles Wesen die Menschen begleitet und unterstützt: Es trägt den Namen ES, man bezeichnet es als eine Superintelligenz, und es lebt seit vielen Millionen Jahren zwischen Zeit und Raum. Rhodan sieht ES als einen Mentor der Menschheit. Die Superintelligenz ist in Fragmente zerfallen, die sich in sogenannten Refugien verbergen. Manche dieser Rückzugsorte befinden sich in weit entfernten Galaxien. Eines dieser Refugien befand sich in der Kondor-Galaxis, wurde offenbar aber bereits geborgen – oder entführt. Die Fährte führt Perry Rhodan in ein fremdes Universum. Atlan begleitet derweil ein anderes Fragment zurück in die Milchstraße. Und der Mausbiber Gucky sucht ein weiteres im STERNENSAND ...
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Seitenzahl: 154
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Nr. 3263
Sternensand
Auf der Suche nach einem ES-Fragment – Gucky stößt an seine Grenzen
Michael Marcus Thurner
Cover
Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
1. Barun der Lügner (1)
2. Vor jedem Abenteuer steht eine Besprechung
3. Barun der Lügner (2)
4. Reise, Langeweile und doch ein wenig Spannung
5. Barun der Lügner (3)
6. Wie man also ankommt
7. Barun der Lügner (4)
8. Sand in der Station
9. Barun der Lügner (5)
10. Stadt ohne Leben
11. Barun der Lügner (6)
12. Das Hohe Land
13. Keine Spaziergänge
14. Im Wrack
15. Kampf um alles
16. Nach jedem Abenteuer steht eine Besprechung an
Leserkontaktseite
Glossar
Risszeichnung Explorerschiff der GALILEI-Klasse
Impressum
Das Ende des 21. Jahrhunderts Neuer Galaktischer Zeitrechnung ist angebrochen. Mehr als dreieinhalbtausend Jahre von unserer Zeit entfernt lebt die Menschheit in Frieden. Zwischen den Sternen der Milchstraße herrschen keine großen Konflikte mehr. Wie es aussieht, könnte Perry Rhodan, der als erster Mensch von der Erde auf Außerirdische gestoßen ist, sich endlich seinem großen Ziel nähern: der alte Traum von Freundschaft und Frieden zwischen den Völkern der Milchstraße und der umliegenden Galaxien. Die Angehörigen der Sternenvölker stehen für Freiheit und Selbstbestimmung ein, man arbeitet intensiv und gleichberechtigt zusammen.
Bei ihrem Weg zu den Sternen hat ein geheimnisvolles Wesen die Menschen begleitet und unterstützt: Es trägt den Namen ES, man bezeichnet es als eine Superintelligenz, und es lebt seit vielen Millionen Jahren zwischen Zeit und Raum. Rhodan sieht ES als einen Mentor der Menschheit.
Die Superintelligenz ist in Fragmente zerfallen, die sich in sogenannten Refugien verbergen. Manche dieser Rückzugsorte befinden sich in weit entfernten Galaxien. Eines dieser Refugien befand sich in der Kondor-Galaxis, wurde offenbar aber bereits geborgen – oder entführt. Die Fährte führt Perry Rhodan in ein fremdes Universum. Atlan begleitet derweil ein anderes Fragment zurück in die Milchstraße. Und der Mausbiber Gucky sucht ein weiteres im STERNENSAND ...
Gucky – Der Mausbiber gibt alles für die anderen.
Suyemi Taeb – Die Agentin zweifelt nicht nur an sich selbst.
Bouner Haad – Der Haluter verfolgt seine eigene Agenda.
Diva Wintersturm
1.
Barun der Lügner (1)
Es gibt keine Hotels in der Stadt. Wozu auch? Schon lange ist kein Fremder mehr bei uns gelandet. Ihr seid die ersten seit vielleicht zwanzigtausend Jahren. Oder seit 15 Jahren, was weiß denn ich. Mit Zahlen hab ich's nicht so.
Ihr müsst mit mir vorliebnehmen. Ich bin der Jannerwin, Enkel des Jannerwan und Stiefbruder des Jannerwun, aber ihr könnt mich gerne Barun nennen. Meine Mutter wollte mir den Namen Jannerwon geben, aber mein Vater hatte was dagegen. Also steht in meinen Unterlagen Barun, obwohl ich mich gar nicht wie Barun fühle. Verstanden?
Mein Gasthaus ist das beste, schönste und größte weit und breit. Vermutlich im Umkreis von einigen Lichtjahren. Weil es das einzige ist. Nun ja, die Hayelen haben ihre Staubhäuser, in die sie sich zum geselligen Beisammensein zurückziehen. Dort schlürfen sie große Mengen von Kayod-Nektar, und drei Monate später werfen ihre Weiblinge jede Menge Eier. Die Staubhäuser dienen also zur Fortpflanzung und nicht zum geselligen Trinken.
Ihr glaubt mir nicht? Dann beweist dem alten Barun mal das Gegenteil!
Weswegen seid ihr überhaupt gekommen? Helft mir auf die Sprünge! Ich bin alt und vergesse das eine oder andere Detail. Vorgestern habe ich den 114. Geburtstag gefeiert. Oder war es der 96.? – Wie gesagt: Mit Zahlen hab ich's nicht so.
Ach ja. Ihr wolltet mehr über die Stadt wissen. Über ihre Bewohner, über die Lebensumstände und über die Ebene. Dann trinkt mal schön. Diese Runde geht nicht auf mich. Ich hoffe, ihr könnt bezahlen!
2.
Vor jedem Abenteuer steht eine Besprechung
Langweilig.
Es war wohl die zwölfte Zusammenkunft während des vergangenen Monats. Suyemi Taeb hatte das Gefühl, als würde das Redebedürfnis der Gesprächsrunde exponentiell zunehmen, je weniger Zeit ihnen bis zum Abflug der THORA zur Verfügung stand.
Der 31. Oktober 2097 Neuer Galaktischer Zeitrechnung war der herbeigesehnte Stichtag. An diesem Tag würde eines der bekanntesten Schiffe der terranischen Flotte samt einigen Begleitraumern aufbrechen. Mit ihr an Bord. Weil Gucky es so wollte. Der Mausbiber, der ihr gegenübersaß und sich der Mohrrübenvöllerei hingab, während Cascard Holonder die Ziele der Expedition zusammenfasste.
Zum zwölften Mal.
»Das Ziel ist die Galaxis Wolf-Lundmark-Melotte. Wir haben uns darauf geeinigt, sie WLM zu nennen. Ist das auch in eurem Sinn?«
Einige Leute nickten. Der Haluter im Raum, Bouner Haad, klopfte sich bestätigend mit einem der Handlungsarme auf die Brust. Auch wenn Haluter halslos waren, hatten sich viele von ihnen an das Gestenspiel und die Gepflogenheiten lemuroider Völker angepasst.
»Die Herrschaften Wolf, Lundmark und Melotte mögen mir nicht böse sein«, fuhr Holonder fort, »dass ich sie zusammenkürze. Aber wenn ich diese Namen noch einmal aussprechen muss, bekomme ich einen Knoten in der Zunge.«
Niemand lachte. Holonder hatte diesen seichten Witz bereits bei der letzten Zusammenkunft gemacht.
Taeb schätzte den Residenten sehr. Er war ein gewiefter Taktiker, verstand ungemein viel von Organisation, war empathisch und gab jedem seiner Gesprächspartner das Gefühl, ihm genau zuzuhören.
Außer, wenn er mit einem Holonderianum, mit einer Kritzelei, beschäftigt war und geistesabwesend wirkte.
»WLM spielte in galaktopolitischen Strategien stets eine untergeordnete Rolle«, sagte er. »Wir kennen die Grunddaten, es gab den einen oder anderen Besuch, auch die Hanse war präsent. Perry Rhodan hat selbst einmal kurz in WLM vorbeigeschaut. Du warst ebenfalls schon in der Gegend, nicht wahr, Gucky?«
»Ist mir nicht sonderlich in Erinnerung geblieben«, sagte Gucky und schmatzte.
»Dann ist es ja gut, dass ich sie mit den Grunddaten auffrischen kann.«
Jemand stöhnte gequält auf. Es dauerte einige Sekunden, bis Taeb merkte, dass sie selbst es gewesen war.
Holonder starrte sie konsterniert an, setzte aber rasch fort: »WLM liegt am Rand der Lokalen Gruppe. Es handelt sich um eine irreguläre Balkengalaxis vom Typ IB. Die Entfernung zur Milchstraße beträgt etwa drei Millionen Lichtjahre. Was bedeutet, dass die THORA und ihre Begleitschiffe mehr als sechs Monate unterwegs sein werden.«
»Was wiederum bedeutet, dass ich nach unserer Rückkehr endlich den Dienst quittieren kann«, warf Admiral Holger Bendisson ein, Kommandant der THORA. »Dann bin ich einhundertacht Jahre alt und vielleicht nicht mehr ganz in der Blüte meines Lebens.«
»Darüber sprechen wir zu gegebener Zeit, Holger. Du weißt, dass die Flotte auf einen altgedienten und kompetenten Soldaten nicht so einfach verzichten kann.« Holonder klopfte mit der flachen Hand auf den runden Tisch, die Gläser und Teller mit den Häppchen hoben sich ein wenig an und fielen klirrend zurück auf die Platte. »Weiter im Text: WLM liegt von uns aus gesehen im Sternbild Walfisch und fast senkrecht unterhalb der Milchstraßenhauptebene. Deshalb hat dieses Unternehmen den Codenamen Walfisch erhalten.« Holonder räusperte sich. »Im ausgedehnten Halo von WLM wimmelt es nur so von alten, lichtschwachen rötlichen Sternen, die Sonnen im Zentralbereich sind deutlich jünger.«
»Wir sollten das Datenmaterial nochmals sichten und die großen Positroniken Querverbindungen ziehen lassen«, sagte Aurelia Bina, die Chefin des Terranischen Liga-Dienstes und damit Taebs unmittelbare Vorgesetzte. »Mir ist das alles viel zu vage und undefiniert. Wir schicken Tausende Galaktiker auf eine Reise, über deren Ziel wir so gut wie nichts wissen.«
»Das haben Expeditionen ins Unbekannte nun mal so an sich, Aurelia. Du weißt selbst, dass die meisten Informationen aus der Zeit vor der Erhöhung der Hyperimpedanz stammen und damit Hunderte von Jahren alt sind. Was hätte es für einen Sinn, mit Wissen zu arbeiten, das längst nicht mehr relevant ist?«
»Dennoch«, sagte Bina kurz und knapp. Sie lehnte sich zurück und wirkte eingeschnappt.
Selbstverständlich konnte das nicht zutreffen, wie Taeb nur zu gut wusste. Aurelia Bina war eine Posmi und damit in gewisser Weise ein Roboter, der menschliche Gefühle imitierte und beschlossen hatte, sich als weiblich zu identifizieren.
Holonder fuhr fort: »Wir wissen seit Kurzem, dass WLM der Standort eines weiteren ES-Fragments ist. Also wird die THORA die Lage in der Zielgalaxis sondieren und gegebenenfalls einen Stützpunkt errichten. Danach soll das ES-Fragment gesucht werden. Expeditionskommandant ist Gucky.«
»Natürlich bin ich das.«
»Befehlshaber über die THORA ist Admiral Holger Bendisson. Bouner Haad und seine beiden halutischen Kollegen Kro Ganren sowie Madru Bem werden ebenfalls an der Reise teilnehmen. Ihnen wird ein eigener Bereich an Bord der THORA überlassen, der ihnen ausreichend Auslauf gewährleistet.«
»Wir danken Ihnen für Ihr Entgegenkommen«, grollte der Haluter mit der für sein Volk typisch gestelzten Redeweise. »Wir hoffen, bei dieser Expedition von Nutzen sein zu können.«
»Davon bin ich überzeugt.« Holonder blickte Taeb direkt an. »Womit wir bei einem ganz besonderen Gast sind, der mit auf die Reise gehen wird. Suyemi, wenn ich dich bitten darf ...«
Meine Güte, wie sie es verabscheute, in den Mittelpunkt gerückt zu werden!
»Nun ja«, sagte sie. »Wie ihr alle wisst, hat uns der Club der Lichtträger während der letzten Monate gehörig Sorgen bereitet. Die Krakenarme dieser ganz und gar nicht ehrenwerten Gesellschaft reichen bis in die höchsten Führungsspitzen auf Terrania und, ganz allgemein gesagt, in die der wichtigsten galaktischen Völker.«
Alle Teilnehmer der kleinen Konferenzrunde wussten über die Lichtträger Bescheid. Dennoch waren sie begierig darauf, Taebs Worte zu hören.
»Wir wissen mittlerweile, dass Achill Maccao der nominelle Anführer dieses Clubs ist«, sagte Taeb. »Die Nachricht von der RAS TSCHUBAI und der Bericht Lordadmiral Monkeys haben uns darüber aufgeklärt. Euch allen muss bewusst sein, dass wir zwar einige Fakten auf dem Tisch liegen haben, uns aber auch ins Reich der Spekulation begeben müssen. – Es ist weiterhin bekannt, dass der faktische Anführer, der Irreführer Kmossen, einen Gestaltwandler als Mitarbeiter hat. Was aus unseren Informationen nicht eindeutig hervorgeht, ist, ob dieser Helfer vor längerer Zeit die Gestalt von Achill Maccao angenommen hat – oder ob er gar der Admiral ist. Das mag ein kleiner, aber nicht unbedeutender Unterschied sein.«
Bouner Haad hob einen Brustarm, wie ein Schüler, der brav aufzeigte. »Weiß man zumindest, welcher Spezies der Gestaltwandler angehört? Ein Koda Ariel zum Beispiel unterscheidet sich eklatant von einem Cyno.«
»Es tut mir leid. Darüber wissen wir nichts.« Taeb lieferte einige präzise Informationen zu Monkeys Bericht, gab Allgemeinplätze von sich und war froh, als keine weiteren Fragen zu Achill Maccao kamen.
»Nun wurde ich eingeladen, die Reise nach WLM mitzumachen. Wir rechnen damit, dass sich ein Vertrauensmann der Lichtträger an Bord der THORA befindet. – Und warum tun wir das?« Taeb sah sich in der kleinen Runde um und beantwortete sich die Frage selbst: »Weil die Lichtträger nun mal bestens informiert sind. Weil die Auswertungen unserer Positroniken eine fast hundertprozentige Wahrscheinlichkeit dafür berechnet haben. Weil Aurelia und ich davon überzeugt sind, dass zumindest ein Spion unserer Feinde diese Reise mitmacht. Schließlich geht es um ein ES-Fragment, und die Lichtträger wollen der Superintelligenz bekannterweise nichts Gutes.«
Taeb nickte in Richtung der TLD-Chefin. »Ich bin vermutlich die Person mit dem meisten Wissen über den Club der Lichtträger. Ich habe ihre Methoden kennengelernt, habe ihre Gefährlichkeit erlebt und ihren Fanatismus erfahren müssen.«
»Suyemi hat in den zurückliegenden Wochen mehrere kleine Zellen unserer Gegner gesprengt«, fuhr Bina an ihrer Stelle fort. »Sie hat deren Methoden gründlich erforscht, ist mit überaus gefährlichen Mitgliedern zusammengekracht und hat Informationen zusammengetragen, die bei der vollständigen Zerstörung der Organisation entscheidend sein können. Diese Informationen helfen dem Terranischen Liga-Dienst enorm weiter. Insofern ist es für mich sehr schmerzhaft, auf Suyemi verzichten zu müssen. Aber der Kampf gegen die Lichtträger wird nicht nur auf Terra ausgetragen. Deshalb habe ich Guckys Bitte entsprochen und Suyemi für ihre Reise in die WLM-Galaxis vom Dienst freigestellt. Sie wird als Sonderoffizierin geführt werden. Mit sehr weitreichenden Handlungsbefugnissen.«
»Danke für diese Informationen.« Holonder nickte und fuhr zögernd fort: »Ihr werdet euch dennoch fragen, warum wir schon wieder zusammensitzen. Eine ähnliche Besprechung hatten wir schließlich erst vor Kurzem.«
Taeb nickte eifriger als die anderen Teilnehmer der kleinen Runde.
Holonder schob eine Folie mit einer Skizze von sich, die vage an einen mit Schrauben gefüllten Apfelstrudel erinnerte. Eine weiteres Holonderianum, das keinerlei tiefere Bedeutung zu haben schien.
Illustration: Swen Papenbrock
»Das Solsystem hat gestern unangekündigten Besuch von außerhalb erhalten. Nähere Informationen dazu werden in den Abendstunden der Öffentlichkeit präsentiert. Ich freue mich schon auf die Fragen der nervigen Verschwörungstheorie-Journalisten von Alltäglich Alles und Wissen schadet.« Holonder schnaubte laut. »Fakt ist, dass eine Posbi-Box gelandet ist.«
»Was ist daran so außergewöhnlich?«, fragte Taeb. »Soviel ich weiß, ist der Kontakt zur Hundertsonnenwelt niemals abgerissen. Es befinden sich meist hundert bis zweihundert Schiffe unserer blechernen Freunde im Solsystem.«
»Es handelt sich um die BOX-29.«
Taeb dachte nach. Irgendetwas klingelte bei ihr. Aber was?
»Natürlich! Die BOX-29 ist eine der Ersten Dreißig!«
»Richtig, Suyemi. Eines der ältesten Schiffe der Roboterzivilisation. Es gibt unseres Wissens nur noch ganz wenige von ihnen. Sie halten sich kaum mal nahe der Hundertsonnenwelt auf und werden deswegen als Streuner bezeichnet.«
Holonder aktivierte den Holokopf im Zentrum des Tisches. Ein annähernd würfelförmiger Schiffskörper tanzte vor ihrer aller Augen auf und nieder. Er drehte sich darüber hinaus und zeigte sich von allen Seiten.
»BOX-29 ist vergleichsweise klein geraten«, sagte Holonder. »Im Würfelgrundriss sind es bloß siebzehnhundert mal siebzehnhundert Meter. Ihr werdet die älteren Bauelemente von den neueren mit bloßem Auge unterscheiden können.«
Taeb nickte. Einige Teile der Schiffshülle waren abgeschmirgelt und aufgeraut. An manchen Stellen meinte sie so etwas wie Ausbesserungen zu erkennen; Metallplatten, die über noch ältere gelegt oder gar angenietet worden waren.
Nein. Unmöglich. Die Posbis erlaubten sich dann und wann kleine Scherze. Aber schlampig genietete Schiffshüllen, waren schlichtweg ein Ding der Unmöglichkeit.
Oder?
»Die Schiffskommandantin und gleichermaßen Gesandte der Hundertsonnenwelt hat mich darum gebeten, die BOX-29 nach WLM mitzunehmen.«
»Warum?«, fragte Aurelia Bina.
»Das soll sie euch am besten selbst erklären.« Holonder machte eine abgezirkelte Bewegung mit seinem rechten Zeigefinger, das Holo erlosch.
Gleichzeitig öffnete sich die einzige Tür zum Besprechungsraum. Herein trat ein Roboter, dem Taeb augenblicklich das Attribut »weiblich« zuordnete.
Sie bemerkte, wie Aurelia Bina ihren Oberkörper starr aufrichtete und die Posbi misstrauisch beäugte.
»Darf ich euch Diva Wintersturm vorstellen?«, fragte Holonder. »Sie ist ...«
»... eine Posmi. Wie ich«, sagte Bina merklich unterkühlt.
*
Nun, so langweilig war diese Besprechung auf einmal gar nicht mehr. Diva Wintersturm war ein zusätzlicher Farbklecks in dieser kleinen Runde. Auch wenn ihre Hülle tiefschwarz war und einen leichten Stich ins Bläuliche aufwies. Sie trug keine sichtbare Kleidung, äußerliche Geschlechtsmerkmale fehlten. Und dennoch strahlte sie Weiblichkeit aus.
Taeb ließ ihre Blicke zwischen Aurelia Bina und Diva Wintersturm hin und her wandern. Beide waren Posmis – und hätten unterschiedlicher nicht sein können. Bina, die scheinbar klein gewachsene Blondine, die eine gewisse Strenge ausstrahlte und manchmal auch spröde wirkte, stand im krassen Gegensatz zu der 30 Zentimeter größeren Wintersturm.
Wintersturm war unbehaart, die Augen bloß zwei weiße, schräg stehende Ovale mit schwarzen Pupillen. Sie dachte nicht daran, ihre Herkunft zu verbergen. Sie stellte sich als das dar, was sie war: ein Robotwesen ohne Plasmaanteil, aber mit einem Bewusstsein, das auf einer semitronischen Simulation beruhte. Der angedeutete Mund zeigte ein Lächeln, das niemals zu verschwinden schien, während Wintersturm sprach.
»Um es kurz zu machen«, sagte sie, »ich wurde von Jawna Togoya gebeten, die Reise in Richtung Wolf-Lundmark-Melotte mitzumachen. Jawna als Sprecherin der Union Positronisch-biologischer Zivilisationen hatte über Cascard Holonder von dieser Expedition erfahren. Es wäre logisch, Kräfte zu bündeln und uns gemeinsam in Wolf-Lundmark-Melotte umzusehen.«
Holonder stöhnte in ertrusischer Lautstärke. »Ich bitte dich, die Abkürzung WLM zu verwenden.«
»Es widerspricht mir zwar, aber bitte schön!«
Etwas stimmte nicht mit Wintersturms Stimme. Taeb hörte genau zu, konnte aber nicht sagen, was es war. Was die Posmi sagte, klang mal laut und mal leise, war einmal stark prononciert und dann wieder in einem verschliffenen Ton gesprochen. Aber warum? Und wie?
»Was für Gründe hat die Union, sich für WLM zu interessieren?«, fragte Bina.
»Würdest du dich mehr für unsere Arbeit interessieren, wüsstest du es, Schwester.«
Taeb fühlte die Spannung, die in der Luft lag. Diese beiden Wesen mochten dieselbe Herkunft haben, aber sie waren grundverschieden. Bina galt als eine unbestechliche Figur im Spiel der Mächtigen. Sie wirkte für Terra, hatte aber auch stets das Wohl aller Galaktiker vor Augen. Die Posmi Diva Wintersturm hingegen stand für ein Bündnis nicht-biologischer Wesen, dessen Ziele und Ambitionen weitgehend unbekannt waren.
Ich ahne, dass hinter diesen Spannungen noch etwas anderes steckt. Taeb betrachtete Bina, ihre Chefin, die wie ein Raubtier kurz vor der entscheidenden Attacke auf ihr Opfer wirkte. Es gibt so etwas wie ... Eifersucht zwischen den beiden. Kennen sie sich etwa? Haben sie eine gemeinsame Vorgeschichte?
Wintersturm sagte: »Die Hundertsonnenwelt hat vor geraumer Zeit eine BOX im Bereich von WLM verloren. Ich wurde beauftragt, nach deren Schicksal zu forschen.«
»Ist das der einzige Grund für dein Hiersein?«, fragte Bina. »Das wäre banal. Im Laufe der Jahrzehntausende sind jede Menge Posbischiffe aus unbekannten Gründen verschollen.«
»Du hast selbstverständlich recht, Schwester.« Wintersturm nickte. Ihr Halsgelenk quietschte leise, kaum wahrnehmbar. »Ich möchte diese Reise auch aus persönlichen Gründen antreten. Als Berufene.«
»Das bedeutet?«
»Darüber bin ich mir selbst nicht so recht im Klaren. Falls ich es jedoch wäre, würde ich in diesem Kreis nicht darüber sprechen.«
Die Spannung im Raum nahm weiter zu. Diva Wintersturm verheimlichte etwas. Etwas, das womöglich nicht mit den Zielen der Expeditionsleitung kompatibel war.
Erstmals meldete sich Gucky zu Wort. »Wenn ich das richtig verstehe, möchtest du die Reise an Bord der THORA mitmachen, während die BOX-29 als Begleitschutz zur Verfügung steht. Richtig?«
»Richtig, Mausbiber.«
»Können wir uns auf deine Loyalität verlassen?«
»Wurdet ihr jemals von der Hundertsonnenwelt im Stich gelassen?«
Nicht nur Taeb fiel auf, dass die Posmi einer direkten Antwort auswich. Ein einfaches »Ja« hätte die Lage entspannt. So aber blieb ein Restzweifel übrig. Hatte Wintersturm persönliche Ziele, die sie verfolgte, und welche Rolle spielte Jawna Togoya in diesem Spiel?
»Müssen wir noch etwas über die Interessen der Hundertsonnenwelt wissen?«, hakte Taeb nach.
»Das griffe zu kurz. Ich trete immerhin als Repräsentantin der Union Positronisch-biologischer Zivilisationen auf. An Bord der BOX-29 befinden sich folgerichtig auch Zain-Konstrukte.«
Das Lächeln wirkte auf einmal ein wenig breiter, ein Holo entstand unmittelbar vor ihr. Es zeigte zwei wie aus Bernstein geschliffene Statuen. Humanoid, mit einer Vielzahl von – vermutlichen – Einschlüssen technischer Natur im Inneren, deren Funktionen unklar blieben.
»Vederloh und Schell mögen für euch kaum körperliche Unterschiede aufweisen«, ergänzte Wintersturm. »Sie treten stets zu zweit auf, werden sich aber großteils auf die Rolle als Beobachter zurückziehen.«
»Großteils?«, hakte Gucky nach.
»Sie sind sehr zurückhaltend und verlassen die BOX-29 nicht.«