Pferdeinternat Inselglück - Ein Sommer mit Herz - Emma Norden - E-Book

Pferdeinternat Inselglück - Ein Sommer mit Herz E-Book

Emma Norden

5,0

Beschreibung

Mila ist überglücklich: Endlich kann sie jede Menge Zeit mit Jan verbringen! Doch als ihre beste Freundin Charly plötzlich für längere Zeit das Internat verlässt, ohne Mila zu sagen, wohin sie geht und wann sie wieder zurückkommt, bricht eine Welt für sie zusammen. Welches Geheimnis verbirgt Charly vor ihr? Um sich von ihren Sorgen abzulenken, stürzt sich Mila in die Vorbereitungen für die Reitprüfungen. Doch ist das der richtige Weg? Die spannende Pferdebuch-Reihe für Mädchen ab 10 Jahren mit jeder Menge Ponys, Reitturnieren, Freundschaften und natürlich der ersten Liebe – mit viel Herz und Humor erzählt. Lesespaß für alle Ostwind- und Pferdefans.

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Seitenzahl: 150

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Inhalt

Und ständig klopft das Herz

Training ist das A und O

Die Neue

Ein Schwan unter Fischen

Reiten hilft immer

Trost für Mila

Alles echt ätzend

Charlys Geheimnis

Anziehungskräfte

Jetzt reicht’s!

Die Prüfung

Weglaufen ist einfach

Zurückkommen ist nicht so einfach!

Ein hartes Abschlusstraining

Die Pressekonferenz

Jakobs Entschluss

Abschied und Vorfreude

Und ständig klopft das Herz

„Lauf, Adesso, lauf!“, flüsterte Mila und genoss den kühlen Wind, der ihr beim Galopp um die Ohren pfiff. Strandritte waren einfach wundervoll. Und wenn man dabei noch so ein tolles Ziel hatte wie sie, klopfte das Herz gleich doppelt so schnell.

Kurz darauf zügelte sie den dunkelbraunen Hengst und lenkte ihn nach links, um auf dem Dünenweg ins Dorf zu reiten. Adessos Hufe klackerten auf den Holzbohlen. Als Mila den Garten der kleinen Pension Strandmuschel erreichte, stieg sie ab und führte Adesso zu dem Wassereimer, den die nette Besitzerin für ihn schon bereitgestellt hatte.

„Ach, hallo Mila“, rief Frau Ahmsen ihr entgegen. „Deine Eltern sitzen auf der Terrasse. Ich bring dir gleich auch noch zwei, drei Möhren für dein Pferdchen.“

Mila bedankte sich und wickelte eilig die Zügel um den Holzzaun. Sie fand es zu komisch, dass Frau Ahmsen immer „Pferdchen“ sagte – schließlich war Adesso ein großgewachsener Oldenburger, zu dem das „chen“ so gar nicht passte.

Dann hastete sie zu ihren Eltern. Chris und Bella Hofer saßen auf der Terrasse und frühstückten in der warmen Morgensonne. Mila umarmte sie stürmisch.

„Hi ihr beiden! Zum Glück seid ihr schon wach!“

Bella lachte. „Guten Morgen, mein Schatz. Was dachtest du denn? Wir schlafen doch nicht aus, wenn wir stattdessen Zeit mit dir verbringen können. Wie nett von Frau Steinbach, dass sie dich heute vom Unterricht freigestellt hat. Schließlich ist es unser letzter gemeinsamer Tag.“

Mila nickte und ihr Magen zog sich ein wenig zusammen. Der letzte Tag. Morgen schon würden ihre Eltern wieder nach Afrika fliegen, wo sie als Ärzte ein Jahr arbeiteten. Im normalen Internatsalltag hatte sich Mila daran gewöhnt, ohne ihre Eltern zu sein, aber jetzt, nach ihrem Besuch, konnte sie sich nicht vorstellen, dass sie bald schon wieder fort sein würden. Mila kuschelte sich traurig in die Arme ihres Vaters.

„Kopf hoch, Mäuschen“, sagte er leise. „Die letzten Wochen bis zu den Ferien werden dich auf Trab halten, da ist für Sehnsucht gar nicht so viel Platz.“ Mila lächelte tapfer und wischte sich die Träne ab, die sich auf ihre Wange geschlichen hatte. Chris schmunzelte. „Und gibt es da nicht auch noch diesen einen Jungen, der dafür sorgen wird, dass du gar nicht unglücklich sein kannst?“

Mila wurde rot. „Ähm, ja …“, nuschelte sie.

Bella lachte. „Chris, ärgere sie nicht damit. So etwas möchte man still genießen.“

Mila warf ihr einen dankbaren Blick zu.

„Aber er ist wirklich nett“, fand Chris. „Ich würde gern mal mit ihm angeln gehen.“

Milas Augen wurden schlagartig größer. Leicht panisch quiekte sie: „Was?“

Ihre Mutter lachte. „Keine Angst, dafür ist sowieso keine Zeit mehr. Heute haben wir doch noch jede Menge vor, oder nicht?“

Mila nickte erleichtert. In der Tat hatte sie sich viel überlegt, um jede Minute der wenigen Tage, die sie mit ihren Eltern hatte, auszukosten. Natürlich hatte sie ihnen das gesamte Internat gezeigt und all ihre Freunde vorgestellt. Und alle Pferde. Sie hatten im Speisesaal gegessen und im Gemeinschaftsraum einen Film gesehen. Mila hatte sie sogar durch den kleinen Inselort Ritteck geschleift und mit ihnen eine Kutterfahrt gemacht. Da der Sommer in diesem Jahr früh begonnen hatte, waren sie natürlich auch schon im Meer baden gewesen und hatten lange am Strand gelegen. Für heute standen noch zwei Möglichkeiten zur Auswahl: Entweder sie konnten Jan auf dem Isländerhof besuchen, der am Ende der Insel lag, oder sie würden eine Wattwanderung machen. Und Mila hatte sich soeben entschieden: Auf keinen Fall wollte sie peinliche Situationen vor Jan – deshalb würden sie Wattwandern.

„Genau, wir haben jede Menge vor! Wir wandern nämlich heute durchs Watt“, sagte Mila entschlossen.

Bella seufzte. „Oh, ich erinnere mich, dass wir das früher auf einer Klassenfahrt mal gemacht haben.“ Sie runzelte die Stirn. „Ich glaube, ich fand es schrecklich!“

Doch die gemeinsame Wattwanderung war überhaupt nicht schrecklich. Nachdem Mila Adesso mit den leckeren Möhren von Frau Ahmsen gefüttert hatte, war sie zunächst zum Internat zurückgeritten und hatte ihn versorgt. Kurz darauf traf sie sich mit ihren Eltern beim Kurhaus, von wo aus die Wanderung starten sollte. Der Wattführer war ein waschechter Friese und plapperte lustig vor sich hin. Mila lief zwischen ihren Eltern und genoss es sehr, sie bei sich zu haben. Immerhin war sie in den letzten Monaten sehr selbstständig geworden und brauchte niemandem mehr zu beweisen, dass sie auch ohne ihre Eltern klarkam.

Fröhlich und bis zu den Knien voller Schlick erreichten sie nach zwei Stunden wieder das Kurhaus. Während sie an einem Wasserhahn versuchten, den hartnäckigen Schlamm wieder abzuspülen, meldete sich Milas Magen erneut.

„Jetzt sind es nur noch eineinhalb Stunden, bis die Fähre geht“, seufzte Mila.

Ihre Mutter drückte sie stumm an sich. Mila merkte, wie schwer auch ihr der Abschied fiel. Bella schob sie von sich und sagte: „Eineinhalb Stunden traurig oder fröhlich verbringen, was meinst du?“

„Fröhlich“, entschied Mila. Gemeinsam holten sie die Koffer aus der Pension und setzten sich dann ins Hafencafé, wo es die allerbesten Windbeutel der Welt gab. Sie nannten sich Zuckerbrise und machten süchtig – fand zumindest Mila.

„Mmh, ich könnte glatt noch einen dritten verdrücken“, seufzte sie.

Chris stöhnte. „Auf keinen Fall. Ich platze gleich. Nicht nur, dass das Essen im Internat verflixt gut ist, nein, du kannst hier auch noch solch leckere Dinge bekommen – ich beneide dich.“

Bella stieß ihm den Ellbogen in die Seite. „Soll das heißen, du magst meine Kochkünste nicht?“

Chris lachte. „Nein, Schatz, du kochst fürchterlich. Aber zum Glück werden wir in Kenia gut versorgt, ohne dass du dich darum kümmern musst …“ Er küsste sie quer über den Tisch hinweg.

Mila kicherte. Kochen gehörte wirklich nicht zu den Stärken ihrer Mutter.

„Schade, dass wir nicht mehr von deinen Reitkünsten bewundern konnten“, meinte Bella.

„Ja, bis auf das eine Training war keine Gelegenheit mehr, dir beim Springen zuzuschauen“, ergänzte Chris.

„Aber ihr habt gesehen, wie gut ich war“, sagte Mila stolz.

„Und wie“, gab Bella zu. „Obwohl ich anfangs ja nicht sehr glücklich war, dass du Springreiten lernen willst.“ Sie zog die Nase kraus. „Aber das haben wir uns wohl selbst zuzuschreiben – wenn man sein Kind auf ein Reitinternat mit super Ruf schickt, muss es früher oder später vom Ehrgeiz ergriffen werden.“

„Warum wart ihr eigentlich so entsetzt darüber?“, wollte Mila es nun genauer wissen.

Chris zögerte. „Naja, Springreiten ist einfach …“

„… gefährlich“, fuhr Bella fort.

Mila schüttelte den Kopf. „Aber nein. Hier ist noch nie was passiert.“

„Das kann schneller geschehen, als man denkt“, murmelte ihr Vater gedankenverloren.

Mila sah ihn verwirrt an. Wollte er ihr das Springreiten nun doch wieder madigmachen? Oder gar verbieten? Der Gedanke ließ sie erschrocken zusammenzucken.

Bella griff beruhigend ihre Hand. „Keine Angst, du darfst weiterreiten. Nur achte darauf, dass der Ehrgeiz nicht die Zügel in die Hand nimmt, okay?“

Mila nickte.

„Warum hast du damals eigentlich aufgehört zu reiten, Papa?“, fragte sie.

Chris schwieg.

Stattdessen antwortete Bella: „Weißt du, irgendwann ist es einfach an der Zeit, sich dem Beruf zu widmen. Gerade als Arzt …“ Sie verstummte.

Mila spürte zwar die seltsame Stimmung, die nun zwischen ihnen herrschte, wusste aber nicht, woher sie so plötzlich gekommen war.

„Ist denn mal was passiert? Ich meine, weil du doch eben gesagt hast, dass sowas schneller geschehen kann, als –“

„Die Fähre“, rief ihr Vater auf einmal und sprang auf. „Kommt, wir müssen los. Ich geh mal zahlen.“

Verwirrt ließ Mila sich von der Hektik anstecken und raffte Jacken, Koffer und Taschen zusammen.

Und dann ging alles ganz schnell: Mila umarmte ihre Eltern und drückte sie fest an sich, aber da zogen und schoben die vielen anderen Tagesgästen sie mit sich auf das Schiff, das wenige Minuten später ablegte. Mila winkte ihnen lange nach, während die Fähre Kurs aufs Festland nahm.

„Das war jetzt irgendwie seltsam“, murmelte sie leise vor sich hin. Dann zuckte sie mit den Schultern. Sicher war das nur dem Abschied geschuldet. Sie drehte sich um und lief zurück zum Internat, das inzwischen ihr neues Zuhause geworden war.

Nach einiger Zeit erreichte Mila den gepflasterten Weg, der zum Internat führte. Das große Schild mit der verschnörkelten Aufschrift „Willkommen im Pferdeinternat Inselglück“ löste den Knoten in ihrem Magen ein wenig. Und als sie entdeckte, wer auf der Bank am Wegesrand auf sie wartete, war endgültig jedes trübe Gefühl verschwunden.

„Jan“, rief sie strahlend und lief auf ihn zu.

Nach dem Theaterstück vor ein paar Tagen, in dem sie beide Romeo und Julia gespielt hatten, hatte Jan ihr in einem Brief seine Liebe gestanden. Doch im nächsten Augenblick waren Milas Eltern überraschend zu Besuch gekommen und seitdem hatten sie sich kaum gesehen. Jetzt fühlte sich ihr Magen an, als ob tausend kleine Luftbläschen darin umherwirbelten. Wie würde Jan sich verhalten, nun, wo sie das erste Mal allein waren?

Jan breitete im Sitzen seine Arme aus. Mila setzte sich zuerst etwas verlegen neben ihn – doch als er sie in die Arme schloss und seine Wange gegen ihre lehnte, war sie nur noch glücklich. Tief sog sie seinen Duft ein.

„Was machst du denn hier?“, fragte sie.

„Auf dich warten“, antwortete Jan. „Ich weiß doch, wann die Fähre fährt.“

Ach ja, natürlich. Das hatte Mila nicht bedacht. „Wie lieb von dir“, flüsterte sie.

„Hm, nett von mir, dass ich dich über deinen Abschiedsschmerz hinwegtrösten will“, grinste Jan. „Vielleicht ist auch ein ganz klein wenig Eigennutz dabei, denn ich habe dich in den letzten Tagen kaum zu Gesicht bekommen.“ Er hob die Hand und strich Mila sanft über die Wange. „Du hast mir gefehlt.“

Milas Magen schlug Purzelbäume. „Du mir auch.“

Jan beugte sich vor und Mila schloss die Augen. Oh, jetzt würde er sie küssen …

„Hey ihr Turteltauben“, unterbrach sie plötzlich eine energische Stimme.

Erschrocken zuckte Mila zusammen und sah auf. Es war Nele. Mila seufzte. Nele war – speziell. Am Anfang hatte sie Mila das Leben im Internat zur Hölle gemacht – bis Mila geholfen hatte, Neles Pferd Fairy ins Internat zu holen. Inzwischen war sie eigentlich ganz nett zu Mila, aber manchmal kam die alte Nelezicke wieder hervor. Meistens, wenn sie neidisch war.

„Hi Nele“, grüßte Mila sie.

„Hi“, sagte auch Jan und stand auf. „Du Arme, so viele Papiertüten – soll ich dir tragen helfen?“

Hektisch zog Nele die Tüten zur Seite. „Nein, danke“, zischte sie, warf ihm einen bösen Blick zu und wandte sich in Richtung Internat. „Ich gehe.“

Jan fing an zu kichern.

„Ich gehe“, wiederholte er mit heller Stimme. „Wie eine Prinzessin, die ihren Untergebenen eine Ankündigung macht. Nele ist echt eine Marke.“

Jetzt musste auch Mila lachen. „Warum hat sie sich bloß so erschreckt, als du das mit den Tüten gesagt hast?“, fragte sie.

Jan grinste. „Ich hab sie schon öfter dabei ertappt, wie sie tütenweise Süßigkeiten in Ritteck einkauft. Sehr vernascht, die liebe Nele“, erzählte er.

„Ach, dann hat sie also doch eine Schwäche?“, staunte Mila. Nele war sonst stets perfekt.

„Hm“, murmelte Jan. Dann zog er sie von der Bank hoch und legte ihr den Arm um die Schultern. „Komm, wir gehen auch. Bald gibt es Abendessen bei euch und ich muss auch zurück zum Hof.“

Mila kuschelte sich an ihn. Schade. Einen Kuss bekam sie vermutlich heute nicht mehr. Dabei hätte sie zum Abendessen nichts Anderes gebraucht …

Training ist das A und O

Am nächsten Morgen schlüpfte Mila als Letzte durch die Speisesaaltür und setzte sich rasch auf ihren Platz. Ihr Magen knurrte. Doch er würde sich gedulden müssen, denn in der Mitte des Raumes stand Frau Steinbach und bat um Ruhe.

„Was ist denn?“, fragte Mila ihre beste Freundin Charly, die neben ihr saß. Doch die zuckte mit den Schultern.

„Liebe Schülerinnen und Schüler“, begann die Direktorin. „Bald beginnen die großen Ferien, dann könnt ihr mal so richtig entspannen und durchatmen. Noch aber haben wir drei ereignisreiche Wochen vor uns. Nach dem letzten offiziellen Turnier in Bolsenbüttel stehen nun noch die schulinternen und individuellen Reit-Abschlusstests an. Wie ihr wisst, sind diese nicht zeugnisrelevant. Dennoch möchte ich alle darauf hinweisen, dass bei diesen Prüfungen auch schon Eltern anwesend sein werden sowie neue Schüler und Interessenten. Daher bitte ich euch im Namen der Schule, euch anzustrengen und gute Leistungen zu präsentieren.“ Frau Steinbach blickte streng in die Runde. Dann hielt sie einen Zettel hoch. „Außerdem möchte ich euch noch zwei Neuigkeiten mitteilen. Zum einen habe ich Nachricht von Herrn Erpenbeck. Wie ihr alle wisst, ist er der Talentscout vom Landeskader und hält regelmäßig auf Turnieren nach kommenden Reittalenten Ausschau. In diesem Jahr vermittelt seine Organisation zwei Plätze für ein besonderes Reittrainings-Wochenende in den Sommerferien an Schüler, die eine besondere Begabung aufweisen. Die Auswahl bezog sich auf den siebten Jahrgang. Und auserwählt hat er …“ Frau Steinbach machte eine Pause und lächelte. „Jakob und Charlotte!“

Alle Schüler jubelten. Jakob und Charly waren allen so sympathisch, dass es ihnen jeder gönnte. Jakob lächelte schmal und winkte kurz. Charly hielt den Atem an und starrte ungläubig in die Runde. Ihr war vor Überraschung die Kinnlade heruntergefallen. Nele übrigens auch – allerdings vor Eifersucht.

Mila nahm Charly begeistert in den Arm. „Mensch Charly, das ist der Hammer!“

Charly drückte sie glücklich. Sie strahlte. „Meine Güte, ausgerechnet ich – wer hätte das gedacht?“

„Na, ich nicht“, zischte Nele. Normalerweise war sie das Ausnahmetalent, auf das jedes Scheinwerferlicht fiel. Doch beim letzten Turnier hatte sie keine besonders gute Leistung gezeigt – Charly hingegen schon.

„Timing ist alles“, konnte Mila sich nicht verkneifen zu sagen.

Nele warf ihr einen giftigen Blick zu – und verließ den Speisesaal.

„Aber deswegen sollte doch keiner sauer sein“, sagte Charly bekümmert.

„Jetzt genieß mal dein Glück“, rief Franzi.

„Ja, freu dich einfach“, meinte auch Isa.

Die beiden Freundinnen lächelten Charly aufmunternd zu.

Charly beugte sich vor und wandte sich an Jakob. „Freust du dich?“

Jakob blickte nur kurz auf. „Es gibt nichts zum Freuen“, sagte er knapp. Dann stand auch er auf und ging.

Charly seufzte. „So macht das echt keinen Spaß.“

Mila strich ihr mitfühlend über den Arm. Sie konnte Jakob allerdings gut verstehen. Vor einigen Wochen hatte sein Zwillingsbruder Mark das Internat verlassen müssen, weil er aus Neid und Hass ein Pferd schlecht behandelt hatte. Seitdem war Jakob nicht mehr derselbe. Sonst lachte er stets, machte viele Scherze und heiterte alle auf. Doch nun schlich er stumm durch die Gänge und war extrem verschlossen.

„Wie eine Auster“, murmelte Mila leise.

„Was?“, fragte Charly. „Du magst Austern? Die sind doch total glibberig und schmecken nur nach der Zitrone, die man drüberkippt.“

Mila sah sie verwundert an. „Also, äh, keine Ahnung – woher weißt du denn, wie die schmecken? Ich hatte noch nie welche. Schmecken die nicht nach Fisch?“

Charly wurde rot. „Ach, da gab’s mal so eine Gelegenheit … ist ja auch egal. Sag mal, ist es nicht schade, dass wir zwei nicht das Wochenende gewonnen haben? Das wäre doch supercool geworden.“

Mila nickte. Das wäre natürlich das Genialste gewesen.

Charly stieß ihr in die Seite. „Die Steinbach hat noch was.“

Die Direktorin hatte gewartet, bis sich die allgemeine Aufregung gelegt hatte. Nun räusperte sie sich und fuhr fort: „Dann wollte ich nur noch kurz verkünden, dass bereits in wenigen Tagen eine neue Schülerin für die siebte Klasse eintreffen wird. Sie übernimmt den freien Platz von Mark, der uns vor Kurzem verlassen hat. Ich erwarte, dass ihr sie freundlich aufnehmt – wie immer. Vielen Dank und guten Appetit.“ Sie lächelte und setzte sich.

Endlich! Mila griff sich zwei Brötchen auf einmal. „Hunger!“, quietschte sie.

„Warum kommt die Neue denn jetzt noch?“, fragte Franzi. „Das lohnt doch nicht mehr so kurz vor den Sommerferien.“

Isa zuckte mit den Schultern. „Vielleicht war es ja so eine Schnell-schnell-Entscheidung wie damals bei Mila.“ Sie biss in ihr Brötchen. Dann grinste sie und nuschelte mit vollem Mund: „Dir ischschon klar, dasch die auf dein Tschimmer kommt, oder? Ischa ’n Mädschen.“

Franzi starrte sie entgeistert an. „Zu mir?“

Mila lachte. „Vielleicht mag sie Rosa, wie Isa. Das würde dein Zimmer ganz schön aufpeppen, was?“

Franzi war das komplette Gegenteil von Isa. Während bei Isa alles rosa, plüschig und voller Glitzer war, hüllte Franzi sich stets in Schwarz. Nicht nur ihre Kleidung, auch ihr Zimmer war düster – ebenso wie ihr Musikgeschmack.

„Na, da wird die Neue vielleicht nur kurz bleiben – dann muss sie mit Depressionen in eine Klinik“, ärgerte Charly Franzi, die ihre Augen immer noch weit aufgerissen hatte.

Da lachte Franzi laut auf und hob ihre Kakaotasse. „Auf eine lustige Restzeit in der siebten Klasse.“

„Prost!“

Ein paar Stunden später stand Mila bei Adesso im Stall und striegelte ihn kräftig.

„Steh still, Süßer“, mahnte sie. „Du bist heute ein echter Zappelphilipp. Das wird ja eine lustige Trainingsstunde.“ Nachdem sie ihm mühsam die Hufe ausgekratzt hatte, führte Mila den Hengst zum Reitplatz, auf der ein neuer Parcours aufgebaut war. Die meisten anderen Schüler ritten ihre Pferde schon warm.

„Hallo Mila“, rief Tamara, ihre Springreitlehrerin. „Fehlt nur noch Jakob. Hat ihn jemand gesehen?“

„Da kommt er“, sagte Charly und wies in Richtung Stall, von wo Jakob mit hängendem Kopf herüberschlich.

Mila beobachtete, wie Tamaras Gesicht vor Sorge ganz ernst wurde. Schon in den letzten Trainingsstunden hatte Jakob stark nachgelassen, er tat Mila wirklich sehr leid. Normalerweise wurde trotz der strengen Art von Tamara immer viel gelacht und gewitzelt. Aber inzwischen schwiegen alle lieber – als fürchteten sie, das Lachen könne Jakob noch trauriger machen.

In dieser Stunde widmete Tamara sich ganz den Paraden. Zuerst ritten Michel und Nele, bei ihnen klappte alles gut. Mila jedoch war etwas nervös – und bekam prompt die Quittung.

„Mila, achte bitte auf deine Haltung. Erst den Rücken aufrichten. Wie soll Adesso denn reagieren, wenn du dich so verkrampfst?“

Mila richtete sich auf. Sie versuchte, durch tiefes Atmen ihren Oberkörper zu stabilisieren.