Pferdeinternat Inselglück – Milas großer Traum - Emma Norden - E-Book

Pferdeinternat Inselglück – Milas großer Traum E-Book

Emma Norden

5,0

Beschreibung

Die neue Pferdebuch-Reihe für Mädchen ab 10 Jahren mit jeder Menge Ponys, Reitturnieren, Freundschaften und natürlich der ersten Liebe – mit viel Herz und Humor erzählt. Lesespaß für alle Ostwind- und Pferdefans! Springturniere, Schleifen und Pokale? Das alles braucht Mila nicht – denkt sie jedenfalls. Doch als sie ungewollt Schülerin im Pferdeinternat Inselglück wird, findet sie heraus, dass sie ein echtes Naturtalent ist. Auch ihrem Pferd Adesso macht das Springreiten Riesenspaß. Doch Mila hat mit neidischen Mitschülern und einem schwierigen Parcours zu kämpfen. Wird sie sich im Internat behaupten können?

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Pferdeduft und Trostkekse

Mila lehnte sich an Adesso und schnupperte am warmen Hals des Pferdes. „Warum?“ Dieses Wort hämmerte ununterbrochen in ihrem Kopf und zwar so laut, dass sie alle anderen Gedanken nicht mehr hören konnte. Vor einer Stunde – einer einzigen Stunde – war ihr Leben noch völlig in Ordnung gewesen. Und jetzt? Hatten ihre Eltern alles durcheinandergebracht. Wie konnte man nur so egoistisch sein? War ihren Eltern eigentlich gar nicht klar, was sie mit dieser blöden Entscheidung angerichtet hatten?

Den ganzen Weg zu Aurelies Reiterhof hatte Mila gegen die Wut- und Traurigkeits-Tränen gekämpft, doch Adesso hatte sie noch nie etwas vorspielen können. Er spürte immer ganz genau, was mit Mila los war. Sie vergrub ihre Nase noch ein wenig tiefer in sein Fell und ließ die Tränen einfach laufen, ohne sie abzuwischen.

Adesso knabberte vorsichtig am Kragen von Milas blauer Steppjacke. Dabei streiften die Tasthaare an seinem Maul ihre Wange, die mit Sommersprossen übersät war. Mila musste kichern, obwohl ihr eigentlich überhaupt nicht danach war.

Renate, Milas geschecktes Mini-Appaloosa-Pony, kam quer über die Koppel angetrabt, legte den Kopf schief und wieherte.

„Ihr ahnt ja nicht, was passiert ist“, flüsterte Mila leise und streichelte Renate über den Rücken. „Die absolute Obersupermega-Katastrophe!“

Adesso und Renate sahen Mila neugierig an und spitzten die Ohren.

Mila musste schon wieder grinsen. Sie hatte einfach die besten Pferde der ganzen Welt. Und vor allem die klügsten!

„Ihr wisst sofort, wenn ich jemanden zum Reden brauche, stimmt’s?“, sagte sie traurig. Sie setzte sich mitten auf die Koppel und begann zu erzählen: „Eigentlich hätte ich sofort wissen müssen, dass etwas faul ist. Hamburger mit Pommes! Es roch nach Hamburger mit Pommes! Das gibt es bei uns nie. Viel zu ungesund und fettig! Obwohl das mein absolutes Lieblingsessen ist. Und ich freu mich auch noch darüber und fange an zu mampfen, bis ich merke, dass Mama und Papa überhaupt nichts anrühren und sich immer so komisch ansehen. Irgendwann hab ich gefragt, was los ist. Und dann hat Mama rumgedruckst, dass sie mir etwas sagen müssen. Sie haben nämlich beschlossen, zusammen für ein Jahr als Ärzte ohne Grenzen in Afrika zu arbeiten. Ich bin erst total erschrocken, weil ich dachte, ich muss jetzt mit. Aber von wegen!“

Mila stampfte wütend mit dem Fuß auf. Adesso und Renate wichen ein paar Schritte zurück.

„Nein, die beiden haben sich noch was viel Bescheuerteres für mich ausgedacht. Ich soll für ein Jahr auf ein bescheuertes Pferdeinternat auf einer bescheuerten Insel mit oberbescheuerten Pferdetussis, die bestimmt nur ein Thema haben: trainieren, trainieren, trainieren“, fuhr sie fort.

Adesso warf den Kopf nach hinten, so als ob er diese Idee auch ziemlich abwegig fände.

„Ich will weder nach Afrika noch auf dieses Internat. Ich will hierbleiben. Basta. Die werden schon sehen, dass sie mich nicht zwingen können. Dann ziehe ich eben zu euch in die Pferdebox.“

„Das wird aber dann ziemlich kuschelig“, hörte Mila eine fröhliche Stimme hinter sich. Sie drehte sich um.

Es war Aurelie, die Besitzerin des Reitstalls, in dem Adesso und Renate untergebracht waren. Mila kannte sie, seit sie sich erinnern konnte. Sie war eine gute Freundin ihrer Eltern und oft bei ihnen zu Besuch. Früher, als Mila noch kleiner war, hatte sie jeden Mittwoch auf sie aufgepasst, wenn ihre Eltern zusammen ins Kino oder ins Theater gegangen waren. Im Lauf der Zeit war Aurelie wie eine große Schwester für Mila geworden. Eine Schwester, mit der man über alles reden konnte. Auch jetzt war Mila heilfroh, Aurelie zu sehen.

Sie ging auf Aurelie zu. „Hast du das gewusst?“

„Was meinst du?“ Aurelie zwinkerte Mila zu. „Dass du zu Adesso und Renate in die Box ziehen willst? Nö, hab ich nicht gewusst.“

Dann bemerkte sie, dass Milas Augen rot und verweint aussahen. Sie streckte ihre Arme aus. „He, du weinst ja! Komm mal zu mir, meine Kleine! Und dann erzählst du mir in aller Ruhe, was los ist. So schlimm wird es doch nicht sein.“

Dankbar lehnte sich Mila an Aurelie und sagte mit erstickter Stimme: „Doch, es ist sogar noch viel schlimmer.“

Aurelie stellte eine Kanne dampfenden Rotbuschtee auf den Holztisch der Reiterstube. Dann reichte sie Mila, die in einem altmodischen Ohrensessel saß, eine karierte Wolldecke. „So, jetzt kuschel dich da erst mal rein“, sagte sie mit weicher Stimme. „Gegen Kummer jeder Art hilft die bewährte Aurelie-Kur. Bestehend aus: Tee, Schokokeksen, warmen Decken und der natürlichen Duftmischung Ledersattel meets Pferdeapfel.“ Sie wedelte mit den Händen in der Luft herum. „Die ist allerdings immer da. Schließlich ist das hier eine Reiterstube“, meinte sie.

Mila musste grinsen. Das klang zwar total verrückt, aber Aurelie hatte recht. Mit der warmen Tasse zwischen den Händen und den Keksen vor der Nase ging es ihr schon etwas besser.

Aurelie setzte sich auf die Eckbank und legte den Kopf in die Hände. Dabei fielen ihr einige braune Haarsträhnen ins Gesicht. Genervt kramte sie in der Tasche nach einem Haargummi und band die wuscheligen Locken zu einem Dutt zusammen. Dann blickte sie Mila auffordernd an. „Also schieß los, Schnecke. Was ist passiert?“

Und Mila begann zu erzählen. Vom vermeintlichen Hamburger-Glück bis zu den Tränen auf der Pferdekoppel.

Aurelie war währenddessen immer blasser geworden. „Nein, das habe ich nicht gewusst“, sagte sie, als Mila geendet hatte. „Bella hat mir zwar erzählt, dass sie davon träumt, als Ärztin nach Kenia zu gehen. Aber ich habe das gar nicht so ernst genommen. Ich hätte niemals gedacht, dass sie das umsetzt, wenn du noch so klein bist.“

„Lustig, dass du das sagst“, schniefte Mila. „Das war ihr stärkstes Argument: dass ich ja jetzt schon groß genug bin, um das zu verstehen.“

Aurelie strich Mila über das lange braune Haar. „Sie hat ja recht. Du bist schon groß. Und selbstständig. Ich sehe eben immer noch die kleine Mila vor mir, die stolz auf Renate geklettert und mit ihr über die Koppel galoppiert ist.“

Mila senkte den Blick. „Ach, das hab ich noch vergessen. Renate darf gar nicht mit nach Marum. In dieser blöden Pferdeschule darf jeder Schüler nur ein Pferd mitbringen. So sind die REGELN dort. Scheißregeln sind das! Ein Jahr ohne Renate. Das halte ich nicht aus und Adesso erst recht nicht!“

Aurelie nickte, nippte an ihrem Tee und dachte nach. Dann stellte sie die Tasse so unsanft auf den Tisch, dass heißer Tee über ihre Finger schwappte. „Au!“, schimpfte sie und steckte sich die schmerzenden Finger in den Mund. „Kennscht du dasch Sprichwort mit den Schitronen?“

Mila schüttelte den Kopf.

„Es lautet folgendermaßen: ‚Gibt dir das Leben Zitronen, dann mach Limonade daraus‘“, erklärte Aurelie, deren Mund mittlerweile wieder fingerfrei war.

„Kapiere ich nicht“, sagte Mila. „Was hat das denn mit mir zu tun?“

„Pass auf“, meinte Aurelie. „Deine Eltern haben dir ein paar ziemlich große supersaure Zitronen in die Hand gedrückt: Du sollst mitten im Schuljahr auf eine fremde Schule gehen, die weit weg von zu Hause ist. Und das für ein ganzes Jahr! Zusätzlich musst du dich von Mama und Papa und deinem süßen Mini-Appaloosa trennen, das ist richtig hart. Und das Allerhärteste kommt noch.“ Sie lächelte traurig. „Du wirst auch ein Jahr nicht hier bei mir im Reitstall sein können …“

„Verstehe. Ja, alles ungenießbare Zitronen“, stimmte Mila zu.

„So und jetzt suchen wir nach dem Zucker für die Limonade“, schlug Aurelie vor und Mila sah ein zuversichtliches Funkeln in ihren Augen.

„Also: Zuerst mal sehe ich ganz viel Freiheit und Abenteuer für dich. Welches Mädchen in deinem Alter hat denn schon die Chance, für ein Jahr ins Internatsleben hineinschnuppern zu können? Mit Rückfahrkarte sozusagen. Und du wirst viel mehr Zeit mit Adesso verbringen können, denn du musst nicht immer erst zum Stall fahren. Stall, Schule und dein Bett sind an einem Fleck.“

Mila musste sich eingestehen, dass sie daran noch gar nicht gedacht hatte. Es stimmte. Im Internat konnte sie jederzeit nach Adesso schauen. Das war ein echter Vorteil.

„Außerdem bist du dort auch nicht ohne Familienanschluss“, fuhr Aurelie fort. „Schließlich unterrichtet deine Tante Caro im Pferdeinternat Inselglück Mathe. Und deine Cousine Tini wohnt auch dort. Und jetzt kommt der Superknüller: Marum ist eine wunderschöne Insel. Und was haben Inseln so drumherum? Na? Genau. Strand! Ich beneide dich und Adesso jetzt schon um die vielen Strandausritte, die ihr beiden machen werdet.“

Mila merkte, wie die Wut aus ihrem Bauch floss und ein wenig Neugierde und Zuversicht hereinschwappten. Das fühlte sich zwar immer noch nicht wieder gut an, aber zumindest spürte sie eine deutliche Verbesserung.

Was Aurelie da für sie ausmalte, klang tatsächlich gar nicht so schlecht. Doch plötzlich musste sie an Renate denken. Konnte sie das Pony wirklich hierlassen? Auf der anderen Seite …

Mila blickte auf und sah Aurelie fest in die Augen. „Aber du musst mir hoch und heilig versprechen, dass du dich gut um Renate kümmerst, ja?“

„Ich gebe dir mein Hufeisenehrenwort“, sagte Aurelie ernst und nahm Mila fest in die Arme.

Zusatzgepäck

In den nächsten zwei Wochen passierte so viel auf einmal, dass Mila kaum zum Nachdenken kam. Ihre Eltern wuselten unruhig hin und her und überall in der Wohnung lagen Packlisten oder schon gestapelte Dinge, die auf keinen Fall vergessen werden durften – schließlich war Milas Abreise schon für das nächste Wochenende geplant. Ihre Eltern würden sie nach Marum begleiten; sie selbst würden dann ein paar Tage später nach Kenia fliegen.

Mila wusste nicht so richtig, was sie davon halten sollte. Auf der einen Seite war es gut, etwas zu tun zu haben. Noch dazu etwas so Spannendes. Auf der anderen Seite ging ihr das alles viel zu schnell. Ein Jahr ohne ihre Freunde und ohne Aurelie? Ohne Mama, mit der man sich so wunderbar aufs Sofa kuscheln und zum mindestens 287. Mal Bibi & Tina – Der Film ansehen konnte? (Obwohl Mila eigentlich schon viel zu alt dafür war …) Und ohne Papa – den besten Quatschmacher und Englischvokabel-Abfrager der Welt.

Zumindest eines war klar: Sie würde sie schrecklich vermissen.

Aurelie hatte es zwar geschafft, dass Mila sich mit dem Gedanken an das Pferdeinternat Inselglück hatte anfreunden können, aber je näher die Abreise rückte, desto größer wurde der dicke Knubbel in ihrer Magengegend.

Mila beobachtete ihre Eltern, die ein Bild aus dem Regal nahmen und es versonnen ansahen. Sie umarmte ihre Mutter von hinten und legte den Kopf in ihre Halsgrube. Bella neigte zärtlich den Kopf, deutete auf das Bild und sagte: „Kannst du glauben, dass aus dieser niedlichen Dreijährigen so ein tolles Mädchen geworden ist? Ich bin so stolz auf dich, weißt du das?“

Mila betrachtete das Bild. Sie selbst war darauf zu sehen in einem schrecklichen rosa-blau-gestreiften Schneeanzug und einem roten Reithelm, unter dem ein langer brauner Zopf hervorguckte. Breit grinsend saß sie auf Renate, die Zügel fest in der Hand.

Sie konnte sich noch erinnern, wie froh sie damals gewesen war, endlich reiten lernen zu dürfen.

„Ach, Mama. Das ist so lange her“, flüsterte Mila. „Da war ich noch furchtlos.“

„Und genau das bist du heute auch. Ein bisschen älter, aber dafür umso mutiger.“ Ihr Vater lachte und drückte Milas Hand. „Komm her zu mir, meine kleine Große!“, sagte er dann und warf sich auf das große bunte Bodenkissen.

Mila und ihre Mutter sprangen hinterher und alle schmiegten sich eng aneinander. „Aber wir skypen jeden Abend, oder? Und wenn ich es so gar nicht aushalte auf Marum, dann kommt ihr wieder?“

„Was denkst du denn?“, meinte Bella entrüstet. „Glaubst du, ich will vor Sehnsucht vergehen? Natürlich skypen wir, sooft wir können. Du beugst dich dann ganz nah zur Kamera und ich gucke, ob du neue Sommersprossen bekommen hast, ja? Und wenn du es wirklich ganz schrecklich finden solltest, dann kommen wir wieder. Ich will auf keinen Fall, dass mein kleines Mädchen unglücklich ist.“

„Na, dann ist ja gut“, meinte Mila und kuschelte sich noch fester an ihre Eltern. Sie musste schließlich Kuscheleinheiten für ein Jahr im Voraus auftanken!

„Hier sind noch Adessos Unterlagen“, sagte Aurelie und reichte Mila einen grünen Ordner. „Impfpass, Untersuchungsergebnisse und alle anderen wichtigen Dokumente.“

Mila war ganz schlecht. Kotzschlecht. Denn jetzt wurde es ernst. Der Tag der Abreise war gekommen. Der Kofferraum des schwarzen Kombis war randvoll mit Milas Sachen und ihr Vater koppelte gerade den geräumigen Pferdeanhänger an den Wagen.

Mila warf den Ordner unachtsam auf den Rücksitz. „Ich komme gleich wieder!“, rief sie und verschwand hinter dem Pferdestall.

„Tief durchatmen“, ermahnte sie sich. „Schön tief durchatmen.“ Sie war den Abschied in Gedanken schon Hunderte Male durchgegangen. Doch jetzt fühlte sie sich einfach nur mies und traurig. Und sie war so zornig auf ihre Eltern … genau wie an dem Tag, als sie von ihren Plänen erfahren hatte. Mila ballte die Fäuste und trommelte gegen die Bretterwand des Stalls. Erst als sie einen Blick auf ihre Hände warf, sah sie, dass die Knöchel an der rechten Hand aufgeschürft waren und zu bluten begonnen hatten. Verdammt.

Sie starrte auf das rote Rinnsal, das ihren Handrücken entlanglief. Merkwürdigerweise fühlte sie sich nun viel ruhiger.

Sie kramte ein zerknülltes Taschentuch aus ihrer Jackentasche und wickelte es um ihre blutende Hand.

„Mila, kannst du mal bitte kommen?“, rief ihr Vater in diesem Moment.

Danach rumpelte es laut und Adesso wieherte.

„Bin sofort da!“, rief Mila zurück.

Sie kämpfte sich durch die hohen Brennnesseln, die hinter dem Reitstall wuchsen. Eigentlich hatte sie noch einmal schnell nach Renate schauen wollen. Von ihrem kleinen Mini-Pony hatte sie sich zwar schon gestern ausgiebig verabschiedet – aber trotzdem. Ohne Renate wenigstens noch ein paarmal übers Fell zu streicheln, wollte sie nicht fahren.

„Mila, wir brauchen dich. Jetzt!“, hörte sie nun ihre Mutter genervt rufen.

Für Renate würde sie schon noch fünf Minuten Zeit haben. Jetzt musste sie erst einmal nachsehen, was auf dem Hof los war.

Als Mila um die Ecke bog, war Aurelie schon zur Stelle.

„Ich bin mit meinem Latein am Ende“, sagte sie, als sie Mila sanft am Ellbogen aus dem Gestrüpp zog. „Adesso will einfach nicht in den Anhänger. Obwohl er sonst nie Angst hatte. Vielleicht hast du ja eine Idee? Schließlich kennst du dein Pferd am besten.“

Mila ging zu Adesso, der auf der Rampe des Anhängers stand und sich offensichtlich weder vor noch zurück bewegte. Dabei wirkte er aber überhaupt nicht ängstlich, sondern schaute Mila mit herausforderndem Blick ruhig an. Mila stieg zu ihm auf die Rampe und strich ihm über den Stern an seiner Stirn.

„Was ist los, mein Großer?“, fragte Mila sanft. „Wir hatten doch alles besprochen. Es passiert dir doch nichts. Schau, wir machen es wie immer!“ Mila ging ein paar Schritte in den Anhänger hinein und wartete darauf, dass Adesso folgen würde. Doch der blieb einfach stehen und dachte überhaupt nicht daran, sich auch nur einen Huf nach vorne zu bewegen.

Mila klapste ihm freundlich auf den Po. Sie versuchte es mit Leckerli. Sie führte ihn noch einmal ganz von der Rampe hinunter und lief mit ihm eine Runde über den Hof. Es half alles nichts. Adesso weigerte sich, den Pferdeanhänger zu betreten.

„Tja, die Anreise nach Marum dauert wohl länger, als wir angenommen haben“, seufzte Bella und setzte sich auf die blaue Holzbank, die vor dem Pferdestall stand. Chris und Aurelie gingen in die Reiterstube, um allen etwas zu trinken zu holen. Mila brauchte auch eine Pause. Erschöpft ließ sie sich neben ihre Mutter plumpsen und zog die dicke Steppjacke aus. Es war ein schöner, sonniger Tag. Fast ein wenig zu warm für März. Am großen Ahornbaum, der neben Aurelies Wohnhaus stand, konnte man schon die ersten grünen Knospen erkennen. Mila blinzelte gegen die Sonne, die genau hinter dem Baum stand und ihn so in ein magisches Licht tauchte. Eigentlich ein perfekter Tag für einen Neuanfang, schoss es Mila durch den Kopf. Wenn es nur nicht so traurig wäre, Renate, Aurelie und ihre Eltern für ein ganzes Jahr nicht wiedersehen zu können. Sie beobachtete Adesso, der an der langen Holzstange im Hof angebunden war. Er schien überhaupt nicht aufgeregt zu sein. Nur irgendwie nicht bereit. So, als würde er auf etwas warten. Auf etwas ganz Selbstverständliches. Aber was konnte das sein? Was war anders als sonst?

Plötzlich war es Mila klar. Sie schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn. „Ich hab’s“, sagte sie. „Jetzt weiß ich, warum Adesso nicht in den Anhänger geht.“

„Na, dann schieß mal los“, erwiderte Bella neugierig.

„Renate. Er wartet auf Renate. Er war noch nie ohne sie im Anhänger. Deswegen weigert er sich.“

„Vielleicht hast du recht“, meinte Bella nachdenklich. „Einen Versuch ist es wert. Und was soll’s. Dann fahren wir eben mit zwei Pferden nach Marum und nehmen Renate anschließend wieder mit. Geh sie doch mal holen!“

Mila stand auf und lief in den Pferdestall. Renate wirkte ohne Adesso an ihrer Seite ganz klein und verloren. Und die Doppelpferdebox riesig und leer.

Mila entriegelte das Schloss und schob die schwere Tür zur Seite. Sie nahm das Stallhalfter vom Haken, trat in die Box und stülpte es Renate über den Kopf. „Du musst uns helfen. Dein großer Kumpel schafft das nicht allein.“

Renate wieherte leise.

„Du hast mich verstanden, nicht wahr?“, fragte Mila. „Du bist so ein kluges Pony! Komm.“

Mila führte Renate auf den Hof. Sie gab ihr zur Belohnung eine große Möhre. Obwohl Renate so klein war, knabberte sie sie mit zwei Bissen weg.

„Im Futtern warst du schon immer größer, als du aussiehst“, lachte Mila.

Renate steuerte auf Adesso zu und Mila ließ sie gewähren. Sie war gespannt, ob ihr Plan aufgehen würde.

Renates Maul reichte Adesso gerade mal an sein Kniegelenk. Doch genau an dieser Stelle stupste sie ihn nun an und wandte den Kopf in Richtung Anhänger. Adesso beugte den langen geschmeidigen Hals zu ihr herunter, beschnupperte sie zärtlich und hatte plötzlich einen höchst zufriedenen Gesichtsausdruck.

„Was habt ihr denn vor?“, fragte Aurelie, die in diesem Augenblick mit einem Tablett voller Wassergläser im Türrahmen stand.

„Pst, leise“, flüsterte Bella und legte den Zeigefinger auf die Lippen. „Ich glaube, Mila hat einen Weg gefunden, sodass Adesso freiwillig in den Anhänger steigt.“

Aurelie stellte das Tablett ab. Chris war hinter sie getreten und beobachtete nun ebenfalls staunend, was passierte.

Bella ging mit Renate voraus zum Anhänger. Mila band Adesso von der Stange los und der trottete, als ob er nie etwas anderes vorgehabt hätte, hinter Renate her, die Rampe hoch ins Innere des Anhängers.

Aurelie klatschte. „Bravo, Mila!“, rief sie begeistert. „Du hast die Situation durch Adessos Augen gesehen und ihm nicht einfach deinen Willen aufgezwungen. Und du hast es wunderbar gelöst. Ich bin so stolz auf dich!“ Sie rannte auf Mila zu und umarmte sie stürmisch. „Das ist genau das, was ich dir beibringen wollte. Die Pferde zu verstehen und dich in sie hineinzuversetzen. Das Reiten, das kommt dann ganz von alleine. Wichtig ist, dass du und dein Pferd ein Team seid. Nimm das mit nach Marum und bewahre dir das, Mila!“ Aurelie löste die Umarmung und wischte sich eine Rührungsträne aus dem Augenwinkel. „Und jetzt, da alle verpackt und verstaut sind, ab mit euch! Aber schnell. Sonst kann ich euch leider nicht mehr gehen lassen!“, schniefte sie und bemühte sich zu lächeln.

Mila schluckte. Sie spürte, dass sie auf Aurelies Reiterhof immer zu Hause sein würde und sie Aurelie und ihre gemütlichen gemeinsamen Nachmittage schrecklich vermissen würde.

Als Chris den schwarzen Kombi mit dem unerwarteten Zusatzgepäck durch das Tor des Reiterhofs lenkte, kurbelte Mila das hintere Fenster nach unten, lehnte sich, so weit es ging, nach draußen und winkte Aurelie zu, bis die nur noch als kleiner Punkt zu sehen war. Ihr Abenteuerjahr auf Marum konnte beginnen!

Gemischte Gefühle

Der Wagen rumpelte und hoppelte langsam über die Insellandstraße.

Mila schloss die Augen. Jetzt erst merkte sie, wie müde sie war. Die Überfahrt mit der Fähre hatte gut geklappt. Sie hatte zweimal nach Adesso und Renate gesehen, aber die beiden waren trotz des Geschaukels ruhig geblieben.

Ganz anders als sie. Sie hatte immer wieder beunruhigt daran denken müssen, dass Adesso und sie sich schon bald von dem kleinen Pony würden verabschieden müssen.

„Wann sind wir da?“, fragte sie und gähnte.

„Bald“, antwortete ihr Vater. „Vielleicht zehn Minuten. Die Insel ist winzig. Schau, da vorne sind die ersten Häuser von Ritteck.“

Mila streckte sich und gähnte noch einmal. „Hoffentlich ist diese Stadt nicht so verschlafen wie ich gerade.“

Ihre Mutter lachte. „Na ja, sagen wir mal so: In Berlin ist sicher ein wenig mehr los. Aber immerhin gibt es einen super Reit-Shop. Da kriegst du vom selbst gebackenen Leckerli bis zur Bandage alles, was du dir vorstellen kannst. Den Rest wirst du schnell selbst herausfinden, denke ich.“

Sie fuhren weiter. An den Salzwiesen entlang, auf denen die Schafe weideten.

„Sieht aus, als hätte jemand eine Packung Wattebällchen auf der Wiese verteilt“, meinte Mila. „Niedlich, wie die da so puschelig herumstehen und fressen.“ Der Himmel schien irgendwie tiefer zu hängen. Aber das konnte ja gar nicht sein. Vielleicht lag das an der flachen Landschaft? Sie kurbelte das Fenster einen Spaltbreit herunter. Der Geruch von Salzwasser, Algen und Tang schwappte herein. Mila atmete tief ein. Ob Adesso diesen Geruch wohl auch mochte? Bestimmt. Ein kleiner Glücksfunken zischte durch ihren Bauch, als sie sich vorstellte, wie sie mit ihm über den Strand galoppierte.

„Und hier sind wir auch schon“, sagte Chris und deutete auf eine Tafel am Wegesrand. „Willkommen im Pferdeinternat Inselglück“ stand in verschnörkelter Schrift darauf.Chris bog auf den schmalen Weg ein. Der führte sie erst durch ein kleines dichtes Wäldchen. Als die Bäume sich lichteten, sah Mila, dass sie direkt auf ein riesiges Gebäude zufuhren. Sie staunte. So etwas hatte sie noch nie gesehen.

Der mittlere Teil schien schon recht alt zu sein. Er war aus roten Backsteinen gebaut und erinnerte Mila an ein Landschlösschen. In einem Halbkreis um das Schlösschen herum befanden sich die geräumigen Stallungen. Das Ungewöhnliche an dem Gebäude war jedoch, dass das Hauptgebäude und die Stallungen durch einen modernen Bau aus Holz und viel Glas verbunden waren.

Bella sah Milas verwunderten Blick. „In dem alten Gebäude befinden sich die Schule und die Wohnungen der Lehrer. Die Schüler haben ihre Zimmer im Neubau. Ich glaube, es wird dir gefallen.“

Mila nickte. „Im Internet sieht das Internat total unscheinbar aus. Komisch. Dabei könnte es sicher den ersten Preis bei Schöner Wohnen gewinnen.“

„Das Internat soll nicht protzig wirken“, sagte Bella. „Darauf ist Frau Steinbach, die Direktorin, sehr bedacht. Sie möchte, dass die Schüler wegen des Reitens hierherkommen und nicht, weil es gerade chic ist.“