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Eduard von Hartmann

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Beschreibung

Dieses eBook: "Philosophie des Unbewußten" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Eduard von Hartmann (1842-1906) war ein deutscher Philosoph. Er gilt auch als "der Philosoph des Unbewussten". Von Hartmann versuchte in seinem Werk Philosophie des Unbewussten zwei verschiedene Denkweisen (Rationalismus und Irrationalismus) zusammenzuführen, indem er die zentrale Rolle des Unbewussten betonte. Sein Werk hatte Einfluss auf Tiefenpsychologen wie Sigmund Freud und Carl Gustav Jung.

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Eduard von Hartmann

Philosophie des Unbewußten

Speculative Resultate nach inductiv-naturwissenschaftlicher Methode
e-artnow, 2018 Kontakt [email protected]
ISBN 978-80-268-8397-5
Inhaltsverzeichnis
Vorwort zur zehnten Auflage
1. Mein Verhältniss zu früheren Philosophen
2. Der Zusammenhang meiner Schriften
Erster Theil Phänomenologie des Unbewussten
Einleitendes
A. Die Erscheinung des Unbewussten in der Leiblichkeit
B. Das Unbewusste im menschlichen Geist
Anhang Zur Physiologie der Nervencentra
Zweiter Theil Metaphysik des Unbewussten

Vorwort zur zehnten Auflage

Inhaltsverzeichnis

1. Mein Verhältniss zu früheren Philosophen

Inhaltsverzeichnis

Ueber den allgemeinen Standpunkt eines philosophischen Systems wird man am leichtesten, schnellsten und sichersten orientirt, wenn derselbe mit den Standpunkten anderer Systeme verglichen wird und seine Aehnlichkeiten und Unterschiede aufgezeigt werden. Es sei deshalb gestattet, ein solches Verfahren auch zur Kennzeichnung meines eigenen Standpunktes einzuschlagen, wobei ich mich schon aus räumlichen Rücksichten auf die neuere Philosophe beschränken will.

Mit Spinoza verbindet mich der streng monistische Charakter meines Systems, insofern Spinoza zum ersten Mal den metaphysischen Monismus in streng philosophischer Form durchführt. Aber ich unterscheide mich von ihm dadurch, dass ich im Gegensatz zu seinem abstrakten Monismus einen concreten anstrebe, welcher einem relativen Individualismus und real-phänomenalen Pluralismus Raum gönnt. Indem Leibniz diesem pluralistischen Individualismus zu seinem Rechte verhelfen wollte, überspannte er denselben in seiner Monadenlehre aus einem relativen, phänomenalen in einen absoluten, ontologischen, substantiellen Pluralismus und zerstörte damit den Monismus, zu dem er vergeblich den Rückweg suchte. Gegenüber der antiteleologischen Nothwendigkeitslehre Spinoza's setzte Leibniz die Teleologie wieder in ihre Rechte ein und suchte das zweite Attribut der Substanz neben dem Denken oder Vorstellen nicht in der todten Ausdehnung, sondern in der lebendigen Kraft, beziehungsweise im Willen. Die Aufgabe, den Monismus Spinoza's mit dem teleologischen Individualismus des Leibniz zur Einheit zu verschmelzen, wurde zwar von Lessing und Herder erfasst, aber nicht in systematischer Form gelöst, und erst in diesem Jahrhundert von Denkern wie Krause und Lotze verspätet wieder aufgenommen, nachdem dieselbe bereits eine neue Gestalt angenommen und sich mit neuen Problemen bereichert und vertieft hatte. Sowohl das vorige Jahrhundert als auch die anachronistischen Nachklänge desselben in diesem Jahrhundert hatten die Synthese von Spinoza und Leibniz auf dem Boden des jüdisch-christlichen Theismus, nicht auf demjenigen eines unbewussten und unpersönlichen absoluten Geistes, angestrebt und waren eben damit hinter die philosophischen Errungenschaften der speculativen Epoche des neunzehnten Jahrhunderts zurückgesunken.

Kant steht noch auf der Grenzscheide beider Jahrhunderte. Einerseits bleibt er mit seinem Herzen in der Ideentrias der Aufklärungszeit, Gott, Freiheit und Unsterblichkeit, stecken; andererseits schaut er mit seinem klaren Kopfe voraus in das gelobte Land einer von religiösen Ueberlieferungen unabhängigen Metaphysik, das er selbst noch nicht zu betreten wagt. Seine Bedeutung liegt deshalb nicht sowohl auf dem Gebiete der Metaphysik, als auf den bis dahin wenig angebauten der Erkenntnisstheorie, Naturphilosophie und Aesthetik, auf denen er gleichmässig bahnbrechend und grundlegend, wenn auch nirgends abschliessend, gewirkt hat. Ueberall streut er fruchtbare Körner aus, oft ohne sie zu beachten; aber überall verbirgt er sie unter scholastischem Gestrüpp, dem er seine Pflege mit Vorliebe zuwendet. Meistens sucht er den verschiedenen Seiten der Probleme gerecht zu werden, aber ohne die speculative Kraft, die scheinbaren Widersprüche in richtigen Synthesen zu überwinden, und so sind es grossentheils künstliche und werthlose Scheinlösungen, denen er selbst den grössten Werth beimisst.

In der Erkenntnisstheorie verschärft sich der schon bei Leibniz hervortretende Widerstreit einer realistischen und einer idealistischen Strömung bei Kant zu einem Gewebe von Widersprüchen, aus denen er vergeblich den Ausweg in idealistischer Richtung sucht, während er in seiner Naturphilosophie, Metaphysik und praktischen Philosophie unvermerkt die realistische Auffassung zu Grunde legt, die er in seinen erkenntnisstheoretischen Grundsätzen perhorrescirt. Dieses Schwanken zwischen erkenntnisstheoretischem Idealismus und Realismus dauert auch bei seinen Nachfolgern fort, in dem Sinne, dass der erkenntnisstheoretische Idealismus als durch Kant erwiesen vorausgesetzt wird, in der Ausführung der Systeme aber thatsächlich verleugnet wird. In der Literatur des Neukantianismus sind die in Kant's Erkenntnisstheorie liegenden Widersprüche offenbar geworden, insofern das Entgegengesetzteste als die echte Lehre Kant's dargeboten und vertheidigt wird. Aber schon im Anfang dieser neukantischen Literaturbewegung hatte ich die Aufgabe erfasst, die entgegengesetzten Strömungen in Kant's Erkenntnisstheorie bloss zu legen und jede derselben auf das Maass ihrer Bedeutung und ihrer Berechtigung als Hypothese zu prüfen; dies führte zu dem Ergebniss, dass die realistischen Instincte Kant's und der nachfolgenden Systematiker richtig, die idealistische Formulirung der erkenntnisstheoretischen Grundsätze aber einseitig und unhaltbar und nur als geschichtliche Uebergangsstufe zwischen naivem und transcendentalem Realismus berechtigt sei.

In der Ethik Kant's erkenne ich die Voranstellung der Vernunftmoral bereitwillig an, nicht aber die formalistische Fassung seiner Vernunftmoral, welche erst durch Hegel ihre inhaltliche Erfüllung erhielt, und nicht die gänzliche Missachtung der Gefühls- und Geschmacksmoral, welche durch Schopenhauer und Herbart in ebenso einseitiger Weise restituirt wurden. Von besonderer Wichtigkeit erscheint mir, dass Kant die Ethik grundsätzlich aller egoistischen Pseudomoral entgegensetzte und damit den Pessimismus, welchen er auch aus empirischen Gründen in weitem Umfang vertrat, als ein Postulat des sittlichen Bewusstseins hinstellte. Nicht in der besonderen Formulirung seines Moralprincips, sondern in der Bekämpfung alles Eudämonismus zu Gunsten der pflichtmässigen Sittlichkeit sehe ich den entscheidenden Punkt in der Kant'schen Reform der Moral und gerade in diesem bisher zu wenig beachteten Punkte habe ich unmittelbar an Kant angeknüpft. 1

Was mich mit Schelling's erstem System verbindet, ist wesentlich der hier am deutlichsten zu Tage tretende Begriff des Unbewussten, der den Angelpunkt sowohl seiner »Naturphilosophie« als auch seines »transcendentalen Idealismus« bildet, und zugleich das unvermerkte Band abgiebt, durch welches beide erst fähig werden, zur »Identitätsphilosophie« verschmolzen zu werden. In der Naturphilosophie ist es wesentlich die an Leibniz erinnernde Construction der Materie aus stofflosen Kraftpunkten, die ich von ihm übernommen und nach Anleitung der modernen mathematischen Mechanik näher durchgeführt habe; dagegen habe ich zu dem übrigen Inhalt seiner völlig veralteten Naturphilosophie gar keine Beziehung. In der Aesthetik habe ich die Bedeutung des Unbewussten, welche Jean Paul, Vischer und Carriere von Schelling übernommen und in die ästhetische Literatur eingeführt hatten, näher ausgebildet; im Uebrigen aber stehe ich der abstract-idealistischen Aesthetik, welche von Schelling begründet worden ist, als concreter Idealist gegenüber. Dass das Princip des all-einen Unbewussten einer inductiven Begründung fähig sei, hatte Schelling zwar anerkannt, aber selbst diese Begründung nicht unternommen; im Gegensatz zu der deductiven und dialectisch-constructiven Methode Schelling's habe ich mich deshalb in methodologischer Hinsicht an die Induction der modernen Natur- und Geschichtswissenschaften so eng angeschlossen, als der Inhalt der philosophischen Wissenschaften dies gestattet.

In seinem letzten Systemsucht Schelling die einseitigen Principien einer vernünftigen Idee und eines blinden Willens zu einer höheren Einheit zu verbinden und dadurch sowohl den aus der Identitätsphilosophie entwickelten Standpunkt Hegel's, als auch den aus seiner Freiheitslehre hervorgegangenen Standpunkt Schopenhauer's principiell zu überwinden und zu aufgehobenen Momenten herabzusetzen. Indem ich ihm hierin, nachfolge, schliesst die letzte Spitze meiner Metaphysik sich enger als an irgend ein anderes System an Schelling's positive Philosophie an. Aber ich lehne die theogonischen und mythologischen Künsteleien und Spielereien seines Alters ebenso entschieden ab, wie die naturphilosophischen Phantasien seiner Jugend und verharre auch seiner letzten Phase gegenüber in methodologischer Gegnerschaft. Der Geist, welcher in Schelling's positiver Philosophie weht, steht mir unendlich viel ferner als der Geist der Hegel'schen Philosophie und die Uebereinstimmung erstreckt sich nicht über jene metaphysische Spitze hinaus. 2

Im Anschluss an Schelling seien hier gleich noch meine Beziehungen zu drei Denkern erwähnt, die man wohl im weiteren Sinne zur Schelling'schen Schule rechnen kann, Oersted, Burdach und Carus. Der dänische Physiker Oersted, dessen metaphysische und ästhetische Ansichten ich anderwärts im Zusammenhange dargestellt habe, 3 ist ein philosophischer Autodidact, der mehr noch an Leibniz als an Schelling erinnert, aber von der speculativen Philosophie im Anfang dieses Jahrhunderts doch zweifellos beeinflusst ist. Sein Werk »Der Geist in der Natur« regte mich in meinem 17ten Lebensjahre sehr an, und es ist wohl möglich, dass einzelne Reminiscenzen aus dieser Lectüre auf meine Entwickelung von einem Einfluss geworden sind, der sich allerdings der Controle meines Bewusstseins entzog. Der Physiolog Burdach steht der Schelling'schen Naturphilosophie schon etwas näher; seine »Blicke in's Leben«, die heute noch eine empfehlenswerthe Lectüre sind, und seine »Physiologie« haben mir für die naturphilosophischen Abschnitte der Philosophie des Unbewussten einen grossen Theil der Beispiele geliefert. Der dritte der Genannten, der Dresdener Arzt Carus, steht Schelling von den Dreien entschieden am nächsten und seine »Psyche« wird mit Recht als ein Vorläufer der Philosophie des Unbewussten betrachtet. 4 Zufällig habe ich jedoch diesen Autor erst kennen gelernt, als der Abschnitt A der Philosophie des Unbewussten vollendet und die Disposition des ganzen Buches in der Hauptsache schon fest stand, so dass ich mehr Bestätigung als Anregung und Förderung aus seinen Schriften Schöpfen konnte.

Mein Verhältniss zu Schopenhauer ist im Beginn meiner literarischen Laufbahn als ein engeres aufgefasst worden, als es thatsächlich ist. Der Anlass dazu war der Umstand, dass das Urtheil über die Philosophie des Unbewussten mehr als durch ihren philosophischen Gehalt durch die beiden am meisten und nur zu oft ausschliesslich gelesenen Capitel über Pessimismus und Geschlechtsliebe bestimmt wurde, und dass diese Ansicht durch meine Polemik gegen die dialectische Methode Hegels bestärkt wurde. Dass diese Auffassung irrig war, und dass dieser Irrthum nicht von mir verschuldet war, ist heute wohl von allen Urtheilsfähigen eingesehen, was natürlich nicht hindert, dass die unphilosophische öffentliche Meinung, die wesentlich von den ersten Eindrücken abhängt, mich nach wie vor als Schopenhauerianer behandelt, und dass dieser Irrthum noch jetzt häufig genug in philosophische und theologische Schriften Eingang findet. Nun bin ich aber ein Gegner des von Schopenhauer vertretenen subjectiven Idealismus in der Erkenntnistheorie, seines abstracten Monismus in der Metaphysik, seines abstracten Idealismus in der Aesthetik, seiner ungeschichtlichen Weltanschauung, seiner schwankenden und widerspruchsvollen Stellungnahme zur Teleologie, seiner Lehren vom intelligiblen Charakter, von der transcendentalen Freiheit und von der Unveränderlichkeit des Charakters, seiner exoterischen Mitleidsmoral und seiner esoterischen Moral der individuellen Willensverneinung durch Quietismus und Askese, seiner einseitigen und ausschliesslichen Bestimmung des Weltwesens als Wille, und seiner Bevorzugung des quietistisch-asketischen Inderthums und Urchristenthums vor dem weltthätigen Protestantismus. Mein Pessimismus endlich, welcher zu der Vermengung so entgegengesetzter Standpunkte Anlass gegeben hat, ist dem Kant'schen Pessimismus viel näher verwandt als dem Schopenhauer'schen, weil er durch die Verschmelzung mit dem teleologischen Evolutionismus und durch eine Ethik der werkthätigen Hingabe an die objectiven Zwecke des Weltprocesses eine ganz entgegengesetzte Physiognomie bekommt wie der Schopenhauer'sche Pessimismus mit seinem weltflüchtigen Quietismus, seiner schmollenden Misanthropie und seinem in geistigen Genüssen schweigenden Epikureismus. 5 Am meisten Einfluss von allen Schopenhauer'schen Werken hat auf den naturphilosophischen Theil der Philosophie des Unbewussten die Schrift »Ueber den Willen in der Natur« gehabt, in welcher Schopenhauer sein eigenes System realistischer als in anderen Werken interpretirt, und der Leibniz'schen Naturphilosophie näher tritt.

Umgekehrt wie mit Schopenhauer ist es mir mit Hegel ergangen. Meine Trennung zwischen Form und Inhalt im Hegel'schen System war den meisten Hegelianern unverständlich, und meine Bekämpfung der dialectischen Form der Hegel'schen Philosophie genügte ihnen, um mich von vornherein als Gegner Hegel's schlechtweg zu kennzeichnen. Nach meiner Ueberzeugung hatte aber der Geist der Hegel'schen Philosophie nur deshalb seine Wirksamkeit eingebüsst, weil er in eine unhaltbare und nachgerade allgemein als unhaltbar verworfene Form eingezwängt und mit ihr verquickt war. Es bedurfte nur der Befreiung von dieser Form und der Wiedergeburt dieses Geistes in einer ihm sachlich angemessenen und zeitgemässen Form, um ihn von Neuem lebendig zu machen. Den bleibenden Werth der Hegel'schen Leistung sah ich in seiner Geistesphilosophie, d.h. in seiner Ethik, Religionsphilosophie, Aesthetik und Geschichtsphilosophie, die von den Fehlern der Methode nicht allzusehr entstellt sind, während die Logik als die abstracteste Disciplin dies im höchsten Maasse ist, und die Naturphilosophie nur einen werthlosen Lückenbüsser des Hegel'schen Systems darstellt. Die historische Weltanschauung Hegel's, die grossartige Anwendung, die er überall von dem Princip der Entwickelung im Sinne des teleologischen Evolutionismus macht, die unbewusste Immanenz der Weltvernunft als treibender Factor der Entwickelung und bestimmende Macht in Natur und Geschichte, die Anerkennung eines relativen Rechts in allen Parteistandpunkten und einer relativen Wahrheit in allen wissenschaftlichen Formulirungen der Wahrheit, die Forderung speculativer Synthesen zur Gewinnung der höheren umfassenderen Wahrheit aus den relativen einseitigen Wahrheiten, das alles waren ebensoviel Anziehungspunkte für mich, welche Leitsterne meines Denkens von Anfang an geworden und geblieben sind.

Den Grundfehler Hegel's, seinen einseitigen frostigen Intellectualismus, welcher sich auch in seiner einseitigen Fassung des Weltprincips als logischer Idee widerspiegelt, welcher seine Ethik schroff und hart, seine Aesthetik kalt und trocken und seine Religionsphilosophie verstandesmässig nüchtern macht, habe ich nach Kräften zu vermeiden gesucht. Wie ich Hegel's einseitige Bestimmung des Weltwesens als logischer Idee mit der ebenso einseitigen Schopenhauer'schen Bestimmung desselben als Willens nach Schelling's Vorgang vereinigt habe, so habe ich auch die höhere Einheit angestrebt zwischen der gemüthlosen Kälte Hegel's, welche das Individuum zum gleichgültigen Werkzeug der Idee herabsetzt, um dessen Wohl und Weh die Philosophie sich nicht zu kümmern habe, und der Schopenhauer'schen Interesselosigkeit am Process des Ganzen, welche keinen anderen Zweck als die Erlösung vom individuellen Daseinsschmerz gelten lässt. In ähnlicher Weise habe ich Hegel's Religionsphilosophie, welche das Christenthum in geschichtswidriger Weise zur absoluten Religion des Geistes speculativ umzudeuten sucht, berichtigt und mit Schopenhauer'schen Gedankenelementen ergänzt, d.h. mit einer Anerkennung der tiefen und eigenartigen Bedeutung der indischen Religionen, für welche Hegel das Verständniss fehlt. In der Ethik habe ich neben der Hegel'schen Vernunftmoral auch der Schopenhauer'schen Gefühlsmoral den ihr gebührenden Platz eingeräumt, und die von Hegel geforderte Hingabe des Individuums an die Teleologie der absoluten Idee mit Schopenhauer's Begründung der sittlichen Hingabe des Individuums aus der Wesenseinheit aller mit dem einen Weltwesen verbanden. Auf allen diesen Gebieten aber war es die Hegel'sche Philosophie, welche die wichtigeren und reichlicheren Bestandtheile lieferte, während die weniger ausgeführte Schopenhauer'sche Philosophie mir Ergänzungen darbot; in der Aesthetik konnte es sich sogar im Princip nur darum handeln, den Gegensatz des concreten ästhetischen Idealismus Hegel's gegen den abstracten Schelling's und Schopenhauer's schärfer herauszuarbeiten, als Hegel selbst gethan hat.

In meinen Schriften von 1868-1877, welche vorzugsweise der Methodologie, Naturphilosophie, Psychologie, Metaphysik und Erkenntisstheorie angehören, mussten nach dem Vorangeschickten mehr meine Abweichungen von Hegel als meine Verwandtschaft zu demselben hervortreten; in denjenigen von 1878-1889 dagegen, welche vorzugsweise Ethik, Religionsphilosophie und Aesthetik betreffen, traten meine positiven Beziehungen zu Hegel deutlicher hervor und würden noch allgemeinere Beachtung gefunden haben, wenn sich nicht im ersten Jahrzehnt ein theilweise irrthümliches Urtheil über meinen Standpunkt bereits herausgebildet und befestigt hätte. 6

Die nachhegel'sche Philosophie in Deutschland zerfällt, wenn man von den verschiedenen Schulen älterer Philosophen absieht, in zwei Hauptrichtungen, eine romantisch-reactionäre und eine radical-oppositionelle. Die erstere bemüht sich, die Errungenschaften der speculativen Epoche einer Restauration des christlichen Theismus dienstbar zu machen, der dadurch als speculativer Theismus eine mehr oder minder pantheistische Färbung bekommt; die letztere schüttet das Kind mit dem Bade aus und verwirft nicht nur die christliche Metaphysik, sondern jede idealistische und spiritualistische Metaphysik, wenn nicht gar jede Metaphysik überhaupt, ist also atheistisch, realistisch, naturalistisch, materialistisch, sensualistisch oder positivistisch. Die erstere stellt die Philosophie in den Dienst eines unphilosophischen Princips, die letztere verzichtet auf wahrhaft philosophische Principien, um nur nicht die Grenzen streng philosophischer Wissenschaftlichkeit zu überschreiten. Ich führe zur Vervollständigung an, welche Autoren beider Richtungen auf meine persönliche Entwickelung einen gewissen Einfluss ausgeübt haben; auf Seiten des speculativen Theismus war dies J. H. Fichte, Lotze und Fechner, auf der entgegengesetzten Seite Wiener, von Kirchmann und Stirner.

In der »Anthropologie« des jüngeren Fichte fesselten mich namentlich die Ausführungen über das unbewusste Wirken der Phantasie im Menschen, welche eine passende Ergänzung zu Schopenhauer's »Willen in der Natur« lieferten. 7Lotze's Standpunkt kannte ich in meiner Jugend nur aus seiner »medicinischen Psychologie«, deren Localzeichentheorie ich übernommen und verwerthet habe, und aus seinen Beiträgen zu Wagner's Handwörterbuch der Physiologie, die »Bekanntschaft seines Mikrokosmus« habe ich erst später gemacht, als ich nichts mehr aus ihm lernen konnte. 8 Von Fechner's Schriften wirkten auf mich besonders die »Psychophysik«, die »Atomenlehre« und »Nanna«, denen ich werthvolle Anregungen verdanke, während ich seinem phantastischen Hauptwerk »Zendavesta« nichts abzugewinnen wusste; mit seiner Aesthetik habe ich mich erst später beschäftigt und auseinandergesetzt. 9Wiener's »Grundzüge der Weltordnung« halte ich trotz mancher Sonderbarkeiten auch heute für das beste neuere Werk der materialistischen Schule und ich habe aus ihm als 21jähriger kräftige Impulse zur Beschäftigung mit philosophischen Problemen und zur innerlichen Ueberwindung des materialistischen Standpunkts geschöpft, der mir übrigens aus Holbach's »Système de la nature«, Helvetius' »Discours de l'esprit« und Büchner's »Kraft und Stoff« damals schon wohl vertraut war. Einen Auszug seiner Beweisführung für die Existenz einer uns afficirenden Aussenwelt im Sinne einer realistischen Erkenntnisstheorie habe ich in die Philosophie des Unbewussten herübergenommen. 10Kirchmann's »Philosophie des Wissens« verdanke ich ebenfalls reiche Anregung und Belehrung, und meine, dass dieses Werk in philosophischen Kreisen bei weitem nicht die Beachtung gefunden hat, die es verdient. Zu einer öffentlichen Auseinandersetzung mit demselben wurde ich erst später veranlasst, als Kirchmann sich kritisch mit meiner Erkenntnisstheorie und Metaphysik beschäftigte, und noch später war es, als ich auch seiner Ethik und Aesthetik meine Aufmerksamkeit zuwandte. 11 Im Gegensatz zu der nüchternen wissenschaftlichen Besonnenheit und Vorsicht Kirchmann's steht die phantastische Kühnheit und das blendende Feuer Stirner's in seinem Buch: »Der Einzige und sein Eigenthum«, dessen rücksichtslose Consequenzen noch heute geeignet sind, allen Eudämonismus und Egoismus ad absurdum zu führen und damit diejenige praktische Philosophie ironisch zu vernichten, welche der Naturalismus, Materialismus und Positivismus als einzig mögliche übrig lässt. Durch die Lectüre Stirner's war ich gleichsam gefeit gegen jede Velleïtät eines Rückfalls aus der speculativen idealistischen Metaphysik in die materialistische, sensualistische und positivistische Unphilosophie. 12

Wenn ich den älteren Fichte und Herbart in dieser Uebersicht unerwähnt gelassen habe, so ist dies geschehen, weil ich persönlich beiden nichts verdanke. In J. G. Fichte, vor dem ich übrigens die grösste Hochachtung hege, sehe ich eine blosse Uebergangsstufe zwischen Kant und Schelling ohne dauernde selbstständige Bedeutung. 13Herbart dagegen halte ich für einen durchaus unfruchtbaren Philosophen, der auf keinem Gebiete etwas Erspriessliches geleistet hat. Nur seiner Ethik, sofern dieselbe auf Geschmacksmoral abzielt, kann ich eine gewisse, allerdings recht untergeordnete Bedeutung zugestehen. Seine Aesthetik habe ich als eine völlig unfruchtbare und verkehrte Richtung bekämpft, weil dieselbe in den populären Ansichten über Kunst einen irreleitenden Einfluss gewonnen hat; die Unfruchtbarkeit seiner Metaphysik und Psychologie scheint mir nachgerade hinreichend anerkannt, so dass es vergebliche Mühe wäre, sich nochmals mit derselben zu beschäftigen, wie Lotze es leider in viel zu ausgedehntem Maasse und zum Schaden seiner eigenen Philosophie gethan hat. 14

Diejenigen hier nicht erwähnten Philosophen des neunzehnten Jahrhunderts, mit denen ich mich in meinen Schriften eingehender beschäftigt habe, sind mir erst zu einer Zeit bekannt geworden, als sie keinen nennenswerthen Einfluss auf meine Entwickelung mehr gewinnen konnten; dagegen verdanke ich so manchem älteren Philosophen werthvolle Anregungen, welche hier aufzuführen zu weitläufig wäre.

Soll die Stellung meines Systems in der Geschichte der Philosophie kurz charakterisirt werden, so wird man sagen können: Dasselbe ist eine Synthese Hegel's und Schopenhauer's unter entschiedenem Uebergewicht des ersteren, vollzogen nach Anleitung der Principienlehre aus Schelling's positiver Philosophie und des Begriffs des Unbewussten aus Schelling's erstem System; das vorläufig noch abstract-monistische Ergebniss dieser Synthese ist alsdann mit dem Leibniz'schen Individualismus und dem modernen naturwissenschaftlichen Realismus zu einem concreten Monismus verschmolzen, in welchem der real-phänomenale Pluralismus zum aufgehobenen Moment geworden ist, und das so sich ergebende System ist endlich von empirischer Basis aus mit der inductiven Methode der modernen Natur- und Geschichtswissenschaften aufgebaut und errichtet.

Der Versuch einer Versöhnung der philosophischen und naturwissenschaftlichen Weltanschauung ist vor mir von Fechner und Lotze, etwa gleichzeitig mit mir von Lange, kurz nach mir von Wundt unternommen worden. Fechner und Lotze sind an diese Aufgabe vom Standpunkt des speculativen Theismus, Lange von demjenigen eines neukantischen subjectiven Idealismus, Wundt von demjenigen eines herakliteïschen Hylozoismus herangetreten. Fechner bringt beide Seiten nicht zusammen, sondern lässt in seinem Denken phantastische Mystik und exacte Naturwissenschaft unvermittelt neben einander herlaufen. Lotze versucht aus Weisse'schen Gesichtspunkten eine Synthese Hegel's, und Herbart's zu Stande zu bringen und diese mit der Naturwissenschaft zu verschmelzen, scheitert aber theils an seiner unzulänglichen Kenntniss und Würdigung Hegel's, theils an der Unhaltbarkeit der von Herbart übernommenen metaphysischen Ansichten, theils an der Unhaltbarkeit des von Weisse übernommenen speculativen Theismus, theils endlich an vielfacher Verletzung der berechtigten Forderungen der naturwissenschaftlichen Weltanschauung. 15 Lange verflüchtigt durch seinen subjectiven Idealismus die Realität aller Gegenstände, mit denen die Naturwissenschaft sich beschäftigt, und aller hypothetischen Elemente, aus denen sie die reale Welt zu erklären versucht, in wirklichkeitslose Träume und Hirngespinnste. 16 Wundt allein von diesen vieren thut der Naturwissenschaft keine Gewalt an, ist aber bis jetzt auch noch nicht über einen hylozoistischen Naturalismus hinaus gelangt, und seine eigentliche Bedeutung beschränkt sich wesentlich auf das Gebiet der anorganischen und organischen Naturphilosophie.17 Man wird deshalb schwerlich behaupten können, dass einem dieser Viere die Synthese von Philosophie und Naturwissenschaft zu einem den Ansprüchen der Philosophie und den berechtigten Forderungen der Naturwissenschaft gleichmässig Rechnung tragenden philosophischen System gelungen sei. Dies ist nicht etwa bloss vom Standpunkt der Naturforschung zu behaupten, welche ja leicht geneigt ist, ihre Ansprüche in unberechtigter Weise zu überspannen, sondern es ist auch von einem philosophischen Standpunkt aus zu behaupten, welcher Werth darauf legt, den grossen Errungenschaften der modernen Naturwissenschaft in einer alle Seiten der Erfahrung umspannenden Weltanschauung ihr unverkürztes Recht widerfahren zu lassen. Ob es mir besser gelungen ist, diese Aufgabe zu lösen, steht mir nicht zu zu beurtheilen. Soll überhaupt die hohe Aufgabe, die Resultate der Naturforschung in eine philosophische Weltanschauung organisch einzufügen, lösbar sein, so muss zwischen den berechtigten Forderungen der Naturwissenschaft und den einseitigen Ueberspannungen derselben unterschieden werden, wie sie in dem heutigen Geschlecht der Naturforscher gang und gäbe sind; wer aber diese Unterscheidung versucht, wird sich darein finden müssen, von der überwiegenden Mehrzahl der heutigen Naturforscher einer Verletzung der naturwissenschaftlichen Weltanschauung geziehen zu werden, und sich einer Zukunft getrösten müssen, in welcher die heutige Einseitigkeit einer geisttödtenden mechanistischen Weltanschauung gemildert und durch den ureingeborenen Idealismus des deutschen Volksgeistes wieder überwunden sein wird.

Ein vielfach unrichtiges Urtheil hat sich über meine Stellung zur Religion und zum Christenthum festgesetzt. Vielen genügt das Pessimismuscapitel der Philosophie des Unbewussten und die Bekanntschaft mit dem Titel »Die Selbstzersetzung des Christenthums«, um mich als einen geschworenen Feind des Christenthums und aller Religion zu verdammen; andere halten mich für einen Narren, der eine selbst ausgeheckte »Zukunftsreligion« an Stelle des Christenthums einführen wolle. In der That habe ich aber die grösste Hochachtung vor der christlichen Religion, als einer der höchstentwickelten Stufen des religiösen Bewusstseins, und in der Religion überhaupt verehre ich den tiefsten Quell und höchsten Gipfel des Geisteslebens. Mein eigener religionsphilosophischer Standpunkt hat sein werthvollstes Rüstzeug aus der dogmatischen Durchbildung der christlichen Glaubenslehre entlehnt, und steht dem Wesen und Kern des Christenthums weit näher als viele sogenannte christliche Religionsphilosophien, welche von den christlichen Theologen mit Achtung und Wohlwollen geduldet und studirt werden. Ich bin nur zu historisch-exact, um mich über die Grösse der auch bei mir noch bestehenden Abweichungen vom geschichtlichen Christenthum zu verblenden oder dieselben mit Phrasen zu verschleiern, und zu ehrlich und offen, um mich oder andere über diese Abweichungen zu täuschen und mich in eine Gemeinschaft einzudrängen, in die ich von Rechts wegen nicht hineingehöre. Aber gerade diese Ehrlichkeit zieht mir die heftigste Gegnerschaft der Vertreter des Christenthums zu, welche die grössten sachlichen Abweichungen dulden, so lange nur am Namen nicht gerüttelt und der äussere Schein der Christlichkeit gewahrt wird. Eine bloss negative Gegnerschaft aus antireligiöser Gesinnung kann die Theologie mit Recht als ungefährlich gering schätzen; aber eine positive Gegnerschaft, welche aus vertieftem religiösen Interesse die überlieferte Christusreligion als nicht mehr religiös zulänglich proclamirt und neben dem Bedürfniss auch die Mittel und Wege ihrer geschichtlichen Ueberwindung aufzeigt, muss naturgemäss eine energische Bekämpfung hervorrufen. Dass ich aber nur theoretischer Religionsphilosoph und keineswegs praktischer Religionsgründer sein will, habe ich so oft nachdrücklich hervorgehoben, und die Verschiedenheit von Theorie und Praxis so deutlich dargelegt, dass nur der üble Wille oder die Unkenntniss meiner Schriften an einem solchen Missverständniss festhalten kann. Das Christenthum steht und fällt mit dem Glauben an die Gründung einer kosmopolitischen neuen Erlösungsreligion durch Jesus und an die Identität dieses historischen Jesus mit der später entwickelten Christusidee, d.h. dem gottgleichen Erlösungsprincip; wer beides als historische Fictionen ansieht, wie es gegenwärtig unter Gebildeten gewöhnlich ist, kann nur noch mit unrecht den Namen eines Christen weiter führen. Diese Auffassung hindert aber gar nicht die Anerkennung, dass das thatsächlich wirksame Erlösungsprincip, welches im Christenthum in unhaltbar gewordene Dogmen und historische Fictionen eingehüllt ist, auch befreit von diesen, nachgerade überflüssig gewordenen, Hüllen wirksam sein und bleiben könne, wobei nur zu beachten, dass dieser herausgeschälte Kern nichts specifisch Christliches mehr ist, sondern auch in den indischen Religionen unter anderartigen Verhüllungen und Entstellungen zu finden ist.

1 Vgl. »Ges. Stud. u. Aufsätze«, 3. Aufl. D. I 2: »Kant und seine Nachfolger« S. 553-559; »Philos. Fragen der Gegenwart« Nr. XI: »Kant und die heutige Erkenntnisstheorie«; »Kritische Grundlegung des transcendentalen Realismus«, 3. Aufl. (1. Aufl. 1871); »Das sittliche Bewusstsein«, 2. Aufl., siehe Namenregister; »Zur Geschichte und Begründung des Pessimismus« Nr. I: »Kant als Vater des Pessimismus«; »Philos. Fragen der Gegenwart« Nr. V, 4: »In welchem Sinne war Kant ein Pessimist?« S. 112-120; »Die deutsche Aesthetik seit Kant«, siehe Namenregister; »Ges. Stud. u. Aufs.« C. VII, S. 526-529.

2 Vgl. »Ges. Stud. u. Aufsätze«, 3. Aufl. D I, 7: »Schelling«, II: »Schelling's Identitätsphilosophie«, IV: »Schelling's positive Philosophie« und VI: »Schlusswort«; »Die deutsche Aesthetik seit Kant«, siehe Namenregister.

3 »Die deutsche Aesthetik seit Kant« S. 198-211.

4 Vgl. Volkelt: »Das Unbewusste und der Pessimismus« S. 78-86; Kapp: »Philosophie der Technik« S. 155-159; »Phil. d. Unb.« I, S. 32-33, III, 496-497.

5 Vgl. »Krit. Wanderungen durch die Phil. d. Geg.« No. II: »Zu Schopenhauer's hundertjährigem Geburtstag«; »Phil. Fragen der Gegenwart« Nr. II: »Mein Verhältniss zu Schopenhauer«; »Ges. Stud. u. Aufsätze« D IV: »Schopenhauer's Panthelismus«; »Das sittliche Bewusststein«, 2. Aufl., siehe Register; »Die deutsche Aesthetik seit Kant« desgl.; »Kritische Grundlegung des transcendentalen Realismus«, 3. Aufl. S. 35 – 36, 49 – 52, 84-90; »Phil. Fragen der Gegenwart« Nr. III; »Neukantianismus« etc. Abschn. B. »Schopenhauerianismus«.

6 Vgl. »Krit. Wanderungen durch die Philosophie der Gegenwart« No. III: »Mein Verhältniss zu Hegel«; »Ges. Stud. u. Aufs.«, 3. Aufl. D III: »Hegel's Pomlogismus« S. 604-635; »Das sittliche Bewusstsein«, 2. Aufl., siehe Namenregister; »Die deutsche Aesthetik seit Kant« desgl.; »Ueber die dialectische Methode« S. 35-124.

7 Vgl. »Lotze's Philosophie« S. 27-30.

8 »Phil. d. Unb.« 7. – 10. Aufl. Bd. I, S. 291-297; »Lotze's Philosophie«, 183 Seiten; »Die deutsche Aesthetik seit Kant«, siehe Namenregister.

9 »Phil. d. Unb.«, 7. – 10. Aufl. Bd. I, S. 29-32, Bd. II, S. 65 fg.; »Ges. Stud. u. Aufsätze«, 3. Aufl. S. 526-545; »Die deutsche Aesthetik seit Kant«, siehe Namenregister.

10 »Phil. d. Unb.«, 7. – 10. Aufl. Bd. I, S. 282 fg.; »Die deutsche Aesthetik seit Kant« S. 263.

11 Vgl »J. H. v. Kirchmann's erkenntnisstheoretischer Realismus«, 63 Seiten; »Phil. d. Unb.«, 7. bis 10. Aufl. Bd. II, Nachträge zu S. 177 Z. 2 und 439 Z. 13; »Das sittliche Bewusstsein«, 2. Aufl., siehe Namenregister; »Die deutsche Aesthetik seit Kant«, desgl.

12 Vgl. »Phil. d. Unb.«, 7. – 10. Aufl. Bd. II, S. 370-372; »Das sittliche Bewusstsein«, 2. Aufl. 8. 635 – 637, 610, 328.

13 »Ges. Stud. u. Aufs.«, 3. Aufl. S. 559 – 562.

14 Vgl. »Ges. Stud. u. Aufs.« S. 562-665; »Das sittliche Bewusstsein« 2 Aufl. S 100-108, 121-122, 140 – 142; »Die deutsche Aesthetik seit Kant«, S. 267-269, 317-318, 548-549; »Lotze's Philosophie« S. 31-35.

15 Vgl. »Lotze's Philosophie« S. 25 – 27. 31-42, 154-183.

16 Vgl. »Phil. d. Unb.«, Nachträge zu Theil I, Zusatz zu S. 43 Z. 9 v. u. und zu S. 287 Z 3; Nachträge zu Theil II, Zusatz zu S 111 Z. 21, Theil III, S. 31-33, 464-471. 510-511 Anm; »Krit. Grundlegung des transcendentalen Realismus«, 3. Aufl. S. 60 Anm., 81-84; »Neukantianismus etc.« S. 5-7, 22 – 29, 45-118.

17 Vgl. meinen Aufsatz: »Wundt's Ethik« in meinen »Kritischen Wanderungen durch die Phil. der Gegenwart« Nr. IV und die Abhandlung: »Wundt's System der Philosophie« in den »Preuss. Jahrbüchern« 1890.

2. Der Zusammenhang meiner Schriften

Inhaltsverzeichnis

Meine bisher erschienenen Schriften gliedern sich in zwei Hauptgruppen. Die erste Gruppe umfasst unter der Bezeichnung »Ausgewählte Werke« die systematisch wichtigeren unter meinen Werken, während die zweite Gruppe populäre Schriften, Sammlungen von Essais und Aufsätzen, philosophische Monographien, kritische und apologetische Erläuterungsschriften u.s.w. enthält.

Die »Ausgewählten Werke« zerfallen selbst wieder in zwei Unterabtheilungen, welche kurz als »Philosophie des Bewusstseins« und »Philosophie des Unbewussten« zu bezeichnen sind. Die erste behandelt in sechs Bänden das erkenntnisstheoretische, sittliche, ästhetische und religiöse Bewusstsein, die zweite in drei Bänden die Phänomenologie und Metaphysik des Unbewussten und das Verhältniss des »Unbewussten« zur modernen Physiologie und Descendenztheorie. Die erste Unterabtheilung beschäftigt sich also mit Erkenntnisstheorie, Ethik, Aesthetik und Religionsphilosophie, die zweite mit Naturphilosophie und Metaphysik, während die Psychologie in beiden gleichmässige Berücksichtigung findet. Der Umstand, dass ich meine Veröffentlichungen mit der »Philosophie des Unbewussten« begonnen habe, hat bei vielen das Missverständniss hervorgerufen, als ob ich die »Philosophie des Bewusstseins« geringschätzig bei Seite schieben oder durch eine Philosophie des Unbewussten nicht sowohl ergänzen als vielmehr ersetzen wollte. Dass dies nicht der Fall war, geht zur Genüge daraus hervor, dass meine »Philosophie des Bewusstseins« schon jetzt die doppelte Zahl von Bänden umfasst wie die »Philosophie des Unbewussten«. Während die »Philosophie des Unbewussten« ähnlich der Hegel'schen »Phänomenologie des Geistes« ein noch ausserhalb des Systems stehendes Programmwerk ist, bilden meine Werke über Ethik, Aesthetik und Religionsphilosophie organische Glieder meines Systems, die selbst schon mehr oder weniger systematisch durchgearbeitet sind, und deshalb muss ich auch den Schwerpunkt meiner bisherigen Wirksamkeit in diesen drei Werken sehen, deren Werth und geschichtliche Bedeutung von der Anerkennung oder Verwerfung meiner Philosophie des Unbewussten in der Hauptsache unabhängig sein dürfte. Dabei verkenne ich nicht, dass ich erst durch den in der Philosophie des Unbewussten mir errungenen Standpunkt persönlich befähigt worden bin, der Philosophie des Bewusstseins eine derartige systematische Durcharbeitung zu geben, ähnlich wie Hegel erst durch den in der »Phänomenologie des Geistes« errungenen Standpunkt befähigt wurde, seine übrigen Werke als Glieder seines Systems auszuarbeiten.

Für die Erkenntnisstheorie habe ich mich bisher mit einer systematischen Erörterung des »Grundproblems« begnügt und bin der Bearbeitung der in neuerer Zeit so reichlich behandelten Logik aus dem Wege gegangen, während ich der Sprachphilosophie und Methodologie besondere Studien 1 gewidmet habe, und die philosophische Verwendung der Wahrscheinlichkeitstheorie durch alle meine Werke sich hindurchzieht. Da die Auseinandersetzung mit der Kant'schen Erkenntnisstheorie noch immer als maassgebend für die Stellungnahme gilt, so habe ich dem »Grundproblem der Erkenntnisstheorie« und seiner phänomenologischen Behandlung die »kritische Grundlegung des transcendentalen Realismus« vorangestellt, welche meinen erkenntnisstheoretischen Standpunkt aus der Kritik des Kant'schen zu entwickeln sucht. Ausserdem habe ich aber in einer Reihe von Monographien und kritischen Analysen mich auch mit modernen Denkern der verschiedensten Richtungen auseinander gesetzt. 2 Wer meine erkenntnisstheoretische Stellungnahme gründlich beurtheilen will, wird nicht umhin können, alle diese Arbeiten in ihrem inneren Zusammenhange zu betrachten.

Der zweite Band der »Ausgewählten Werke« führt in der zweiten Auflage den Titel »Das sittliche Bewusstsein«, während derselbe in der ersten Auflage »Phänomenologie des sittlichen Bewusstseins« gelautet hatte. Das Werk bildet den ersten, einleitenden Theil eines Systems der Ethik und beansprucht nicht mehr zu sein als eine psychologisch entwickelte und historisch illustrirte »ethische Principienlehre«. Den zweiten und dritten Theil würden Socialethik und Individualethik ausmachen. Für die Ausführung, welche die Socialethik bei mir erhalten würde, finden sich bereits Fingerzeige in den Abschnitten über die Moralprincipien des Gesammtwohls und des Culturfortschritts, sowie in meinen socialen, politischen und pädagogischen Schriften. 3 Der Inhalt der Individualethik ist zum Theil in der »Religionsethik«, d.h. in dem dritten Abschnitt der »Religion des Geistes« vorweggenommen, auch habe ich einzelne Probleme derselben in gelegentlichen Aufsätzen behandelt, z.B. »Die Motivation des sittlichen Willens« in den »Krit. Wanderungen durch die Philosophie der Gegenwart«. In der »Phänomenologie des sittlichen Bewusstseins« handelt es sich um eine möglichst vollständige Aufnahme und Sichtung des Gesammtgebietes der Sittlichkeit nach allen ihren Erscheinungsformen im menschlichen Bewusstsein, welche von den unvollkommenen Vorstufen beginnt und schrittweise von den niederen und einseitigeren zu den höheren, vollkommeneren und umfassenderen Erscheinungsformen des sittlichen Bewusstseins aufsteigt. Dabei ergeben sich dann beiläufig gewisse Postulate des sittlichen Bewusstseins, d.h. Erfordernisse seiner Selbstbehauptung, ohne welche dasselbe zu einer widerspruchsvollen Illusion herabsinken würde; es sind dies erstens die Existenz unbewusster objectiver Zwecke, welche das Individuum zu subjectiven Zwecken seines Bewusstseins machen kann, zweitens die Wahrheit des empirischen Pessimismus, ohne welche die sittliche Kraft zur Selbstverleugnung und Ueberwindung des Egoismus nicht ausreichen würde, und drittens der metaphysische Monismus oder die Lehre von der Wesenseinheit aller Individuen mit dem absoluten Weltwesen, ohne welche es an einem logisch zwingenden Grunde zur positiven Hingabe des Eigenwillens an den teleologischen Weltprocess mangeln würde.

Da aus dem Gesichtspunkt eines inductiven Systems jedes Gebiet der »Philosophie des Bewusstseins« selbstständig aus den Erfahrungsthatsachen bearbeitet werden muss, so ruht auf diesen Postulaten die Beziehung, in welche die Geistesphilosophie sich selbst zur Metaphysik, die Philosophie des Bewusstseins sich zur Philosophie des Unbewussten setzt, und die Bedeutung, welche sie für die inductive Begründung dieser Metaphysik gewinnen kann. Deshalb seien hier einige Bemerkungen über den Sinn und die Tragweite solcher Postulate eingeschaltet. Die genannten Forderungen des sittlichen Bewusstseins haben zunächst nur praktische Gewissheit für das sittliche Bewusstsein, und auch diese nur insoweit, als dasselbe sich seiner selbst als eines realen, wahrhaften, nicht bloss illusorischen Bewusstseins sicher fühlt; aus theoretischem Gesichtspunkt sind es nur einseitige, vorläufig unerwiesene Hypothesen, welche allerdings unter Voraussetzung ihrer Richtigkeit den Vorzug haben würden, die praktische Selbstgewissheit des sittlichen Bewusstseins verständlich zu machen. Aber nur dann, wenn diese Hypothesen auch anderweitig eine theoretische Begründung finden, können sie auf theoretische Wahrscheinlichkeit Anspruch machen; wenn dies der Fall ist, so erhält ihre theoretische Wahrscheinlichkeit allerdings einen Zuwachs dadurch, dass sie im Stande sind, auch die empirische Thatsache des sittlichen Bewusstseins erklärlich zu machen, welche schlechthin unerklärlich bliebe, wenn sie sammt seinen praktischen Postulaten als psychologische Illusion gelten müsste. Das Gleiche gilt für die analogen Postulate des ästhetischen und religiösen Bewusstseins; alle drei können für sich allein ihren Postulaten keine ausreichende Stütze als metaphysische Hypothesen geben, wohl aber können sie die Wahrscheinlichkeit erhöhen, welche diesen. Hypothesen, aus theoretischen Gründen ohnehin schon zukommt, und können dieselbe der Gewissheit sehr viel näher rücken, als dies aus rein metaphysischen Erwägungen möglich ist. Wer die metaphysische Begründung jener Hypothesen nicht anerkennt, der wird auch in dem Zusammentreffen derselben mit sittlichen, ästhetischen und religiösen Postulaten seine Ansichten über die illusorische Natur des sittlichen, ästhetischen und religiösen Bewusstseins nicht erschüttern lassen; er wird aber nichtsdestoweniger zugeben müssen, dass die gründliche Untersuchung dieses sittlichen, ästhetischen und religiösen Bewusstseins trotz seiner illusorischen Beschaffenheit eine der interessantesten Aufgaben der Psychologie sein und bleiben würde. Aus diesem Gesichtspunkt wird ein solcher Leser meinen Untersuchungen über diese drei Gegenstände einen unverminderten Grad von Aufmerksamkeit widmen dürfen, da die Frage nach der reellen oder illusorischen Natur des sittlichen, ästhetischen und religiösen Bewusstseins und nach der Wahrheit oder Unwahrheit ihrer Postulate in denselben gar nicht erörtert wird. Wer dagegen die theoretische Begründung der betreffenden Hypothesen gelten lässt, der wird zugeben müssen, dass durch die Uebereinstimmung der sittlichen, ästhetischen und religiösen Postulate mit denselben die phänomenologischen Untersuchungen über das sittliche, ästhetische und religiöse Bewusstsein noch ein weit über das psychologische hinausgehendes Interesse erlangen, indem sie zu ebenso vielen unabhängigen Inductionsreihen werden, welche meiner Metaphysik immer neue inductive Stützen zuführen.

Meine »Religionsphilosophie« ist ebenfalls in genauerer Bezeichnung eine »Phänomenologie des religiösen Bewusstseins«, dessen Entwickelung sich nach meiner Ansicht in vier Hauptphasen gliedert. Die erste ist der religiöse Naturalismus oder die Naturreligion. Diese erhebt sich nach zwei verschiedenen Richtungen zum religiösen Supranaturalismus oder gabelt sich in zwei parallele, coordinirte Stufen: den abstracten Monismus der indischen Religionen und den jüdisch-christlichen Theismus. Beide zielen auf den Fortschritt zu der vierten Stufe, dem concreten Monismus, ab, welcher die religiös berechtigten, aber einseitig halbwahren und durch unhaltbare Beimischungen getrübten Bestandtheile beider in sich conservirt und vereinigt. Nun haben aber bis jetzt nur die drei ersten Stufen geschichtliche Realität, und deshalb sind diese drei, denen gegenüber die phänomenologische Behandlung sich als historisch-kritische Untersuchung zu verhalten hat, zu einem ersten Theil vereinigt unter dem Titel »Das religiöse Bewusstsein der Menschheit im Stufengang seiner Entwickelung«. Die vierte Stufe, welche sich einerseits als Postulat der weiteren Entwickelung aus der philosophischen Kritik der letzterreichten geschichtlichen Stufen ergiebt, muss sich andererseits aus einer voraussetzungslosen phänomenologischen Untersuchung des in seiner Reinheit gefassten religiösen Bewusstseins entfalten, wobei auch die metaphysischen Postulate und praktischen Consequenzen des vorgefundenen psychologischen Inhalts zur Entwickelung gelangen müssen. So wird die phänomenologische Betrachtung der vierten Stufe im zweiten Theil des Werks unvermerkt zu einer systematischen Darstellung der Religionsphilosophie im Gegensatz zu der historisch-kritischen des ersten Theils. Der Titel des zweiten Theils: »Religion des Geistes« bezieht sich darauf, dass die von der weiteren Entwickelung zu gewärtigende Zukunftsreligion des immanenten »Gott-Geistes« sich zum Christenthum oder der Religion des »Gott-Sohnes« verhalten müsse, wie diese zum Judenthum oder der Religion des »Gott-Vaters«. Dass die Religion des concreten Monismus aber auch zugleich die höhere Synthese des indischen abstracten Monismus und des jüdisch-christlichen Theismus sein würde, habe ich mich bemüht, in allen Hauptpunkten der »Religionsmetaphysik« nachzuweisen und durchzuführen.

Die Phänomenologie des sittlichen Bewusstseins weist auf die des religiösen als ihre Wurzel und höhere Ergänzung hinaus; die letztere weist auf die erstere als auf ihre Erfüllung zurück. So bilden beide ein zusammengehöriges Ganze, während die Phänomenologie des ästhetischen Bewusstseins ihnen gegenüber wie ein hors d'oeuvre erscheint. Aber wenn auch das Schöne am sinnlichen Schein haftet, so gewährt es doch in diesem Schein eine ahnungsvolle Vorwegnahme des Höchsten in einer anschaulichen Vollendung, welche weder dem sittlichen noch dem religiösen Bewusstsein erreichbar ist; in diesem Sinne gliedert sich auch die »Philosophie des Schönen« der Geistesphilosophie in der höchsten Bedeutung des Wortes als unentbehrlicher und unersetzlicher Bestandtheil des Systems ein. Auch meine Aesthetik besteht aus einem historisch-kritischen und einem systematischen Theil, aber die Phänomenologie des ästhetischen Bewusstseins beschränkt sich hier auf den zweiten Theil, während der erste eine historisch-kritische Geschichte der ästhetischen Standpunkte und Ansichten von Kant bis zur Gegenwart bietet. Wer weder mit geschichtlichen Interessen an den Gegenstand herantritt, noch auch die Absicht hat, meine Philosophie des Schönen zu kritisiren, der kann getrost die Lectüre der »deutschen Aesthetik seit Kant« sich ersparen und sich mit derjenigen des zweiten Theils begnügen. Ein haltbares Urtheil über meine Aesthetik dagegen wird nur derjenige fällen können, welcher die kritische Rechtfertigung meiner Stellungnahme sowohl im Allgemeinen wie in den Einzelfragen in der Auseinandersetzung mit der ästhetischen Wissenschaft des letzten Jahrhunderts verfolgt und prüft. Nur ein solcher Leser wird im Stande sein, deutlich zu erkennen, wie und warum ich im konkreten Idealismus eine Synthese der einseitigen entgegengesetzten Standpunkte des abstrakten Idealismus und des Formalismus suche, und warum grade der konkrete Idealismus im Stande ist, alle sonst noch aufgetauchten ästhetischen Lehren nach Maassgabe ihrer bleibenden Berechtigung in sich aufzunehmen und als Bestandtheil seiner selbst zu conserviren. Wie die verschiedenen Gebiete des geistigen Lebens sich zum Ganzen zusammenfügen, welche Bedeutung sie in ihrem Verhältniss zum Ganzen des menschlichen Geisteslebens, und welche Stellung sie zu einander einnehmen, das habe ich erst in der »Philosophie des Schönen«, als in dem zuletzt verfassten und abschliessenden Werke unter den der »Philosophie des Bewusstseins« gewidmeten, auseinandergesetzt.

Was nun die zweite Unterabtheilung der »Ausgewählten Werke«, die »Philosophie des Unbewussten«, betrifft, so erscheint dieselbe in der zehnten Auflage zum ersten Male in drei Theilen, indem die Schrift »das Unbewusste vom Standpunkt der Physiologie und Descendenztheorie«, welche von jeher einen Ergänzungsband der Philosophie des Unbewussten bildete, nunmehr in dritter Auflage auch äusserlich als Zubehör derselben kenntlich gemacht worden ist. Zu gleich ist die zweite Auflage der Broschüre »Wahrheit und Irrthum im Darwinismus« diesem dritten Theile eingefügt, so dass nun die Philosophie des Unbewussten alle meine naturphilosophischen Arbeiten in sich vereinigt mit Ausnahme der »Beiträge zur Naturphilosophie«, welche den Abschnitt C. der »Ges. Studien und Aufsätze« bilden, der Monographie über den »Spiritismus« und der Abhandlung über den »Somnambulismus« am Schluss der »Modernen Probleme«. Die erste Auflage der Philosophie des Unbewussten enthielt nur 42 Bogen, welche durch kleinere Zusätze bis zur fünften Auflage auf 53 Bogen, und durch Anhänge und Nachträge in der siebenten Auflage auf 60 Bogen anwuchsen. Dabei habe ich es mir zum Grundsatz gemacht, an dem Text der ersten Auflage nichts zu ändern oder zu streichen, und am Schluss jeder neuen Auflage die Hinzufügungen zu vermerken; dieses Verfahren ist von hervorragenden Philosophiehistorikern wie J. E. Erdmann gebilligt worden. Es wird auf diese Weise jeder Schwierigkeit posthumer Herausgabe vorgebeugt und dem Leser die genaueste Kontrole über die etwaige Entwickelung und Aenderung der Ansichten des Verfassers ermöglicht.

Die Abfassung der ersten Auflage fällt vom Ende meines 21ten bis zum Anfang meines 25ten Lebensjahres (Weihnachten 1864 bis Ostern 1867). Erwägt man, dass ich erst im Sommer 1865 meinen Abschied aus dem Militärdienst erhielt und in der Zeit bis 1864 mich in ausgedehntem Maasse mit Musik, Malerei und schöner Literatur beschäftigte, so wird man an ein solches Jugendwerk keine allzuhohen Ansprüche stellen dürfen. Am wenigsten dürfte es der Billigkeit entsprechen, die literarische und philosophiehistorische Stellung und Bedeutung eines Autors, der inzwischen Jahrzehnte lang im Dienste der Wissenschaft gearbeitet und gewirkt hat, ausschliesslich nach einer älteren Auflage seines Jugendwerkes abzuschätzen, zu kritisiren und zu bekämpfen, wie dies noch immer vielfach geschieht. Ich will mit dieser Bemerkung keineswegs die Philosophie des Unbewussten desavouiren, ich wünsche nur, sie jetzt als Glied in der Reihe meiner Schriften verstanden und beurtheilt zu wissen, anstatt, wie dies bei ihrem ersten Erscheinen nicht anders möglich war, in ihrer Isolirung. Das Capitel über die Metaphysik der Geschlechtsliebe z.B., in welchem dieses Phänomen nur von der natürlichen Seite betrachtet wild, hat zu anscheinend unausrottbaren Missverständnissen Anlass gegeben, welche durch eine Beachtung des Capitels über »das Moralprincip der Liebe« in der »Phänomenologie des sittlichen Bewusstseins« verhindert worden wären. Ebenso hat das Capitel über »die Thorheit des Wollens und das Elend des Daseins« die gröbsten Missverständnisse und Vorurtheile hervorgerufen, weil es von den meisten Lesern aus seinem untrennbaren Zusammenhange mit dem vorhergehenden und nachfolgenden Capitel herausgerissen wurde, weil die Andeutungen über die Gestaltung meiner künftigen Ethik (Bd. II S. 402-404) übersehen oder nicht für Ernst genommen, und die Ausführung derselben in der »Phänomenologie des sittlichen Bewusstseins« und »Religion des Geistes« nicht beachtet wurden. So wurde ferner der Abschnitt A über »die Erscheinung des Unbewussten in der Leiblichkeit«, welcher vor meiner Bekanntschaft mit dem Darwinismus in den Jahren 1864 und 1865 geschrieben ist, von den Naturforschern vielfach geringschätzig beurtheilt ohne Rücksicht darauf, dass ich in dem Cap. C X, das i. J. 1866 verfasst ist, dem Darwinismus bereits vollständig Rechnung getragen hatte, und dass ich in meinen nachfolgenden naturphilosophischen Schriften gerade die im Abschnitt A behandelten Probleme in ausführlichster Weise unter dem Gesichtspunkt der neuesten biologischen Arbeiten nochmals durchgearbeitet hatte. Die dreibändige zehnte Auflage würde den Naturforschern dieses Ignoriren der naturphilosophischen Ergänzungsschriften unmöglich machen, wenn ihnen nicht die Möglichkeit offen bliebe, nun einfach die neueste Auflage zu ignoriren, und nach wie vor nach älteren Auflagen allein über mich abzusprechen.

Bereits im Vorwort der französischen Ausgabe der Philosophie des Unbewussten Neujahr 1877 schrieb ich: »La philosophie de l'Inconscient n'est pas un système: elle se borne à tracer les linéaments principaux d'un système. Elle n'est pas la conclusion mais le programme d'une vie entière de travail: pour achever l'oeuvre, la santé et une longue vie seraient nécessaires«. Dass es mir mit dieser Auffassung Ernst war, habe ich durch die inzwischen geleisteten Abschlagszahlungen bewiesen, aber die Vollendung der gestellten Aufgabe liegt noch fern, während mein Leben seine Mittagshöhe längst überschritten hat.

Die »Ausgewählten Werke« repräsentirenden wesentlichen Kern meiner bisherigen schriftstellerischen Thätigkeit; wer von denselben Kenntniss genommen hat, der darf sagen, dass er meine Philosophie kennt. 4 Wer aber meine Philosophie beurtheilen will, d.h. nicht bloss einen subjektiven persönlichen Eindruck von derselben gewinnen, sondern ein objektiv maassgebendes Urtheil über dieselbe fällen, oder gar dasselbe durch mündliche Vorträge oder durch den Druck veröffentlichen will, der wird allerdings nicht umhin können, auch von meinen übrigen Werken Kenntniss zu nehmen, mindestens von denjenigen, welche bestimmte Fragen und Gegenstände betreffen, in deren Beurtheilung er eingetreten ist. Wer z.B. meine Erkenntnisstheorie und Naturphilosophie kritisiren will, wird nicht unterlassen dürfen, die bereits oben angeführten Abhandlungen zu beiden Gebieten zur Ergänzung heranzuziehen. Wer meine Stellung in der Geschichte der Philosophie richtig kennzeichnen will, der muss vor Allem den Abschnitt D der »Ges. Stud. u. Aufsätze« lesen, welcher den Titel führt: »Das philosophische Dreigestirn des 19. Jahrhunderts«, daneben aber auch meine Aufsätze über mein Verhältniss zu Schopenhauer und Hegel in den »Phil. Fragen« und »Krit. Wanderungen«. Wer meine Metaphysik zum Gegenstand seiner Kritik erwählt hat, wird an den apologetischen Erläuterungen nicht vorübergehen dürfen, welche ich zu derselben im »Neukantianismus, Schopenhauerianismus und Hegelianismus«, in »Lotze's Philosophie« und einem Theil der »Phil. Fragen« und »Krit. Wanderungen« beigebracht habe. Wer sich mit meiner Aesthetik näher beschäftigt, wird auch auf den Abschnitt B der »Ges. Stud. u. Aufsätze« zurückgreifen müssen, welcher die Ueberschrift trägt: »Aesthetische Studien«. Wer meinen Pessimismus bekämpfen will, darf meine Schrift »Zur Geschichte und Begründung des Pessimismus« nicht bei Seite liegen lassen. Wer allein in der dialektischen Methode das Heil der Philosophie erblickt, wird meine Schrift »Ueber die dialektische Methode« und meinen Aufsätzen über Bahnsen's Realdialektik und Haller's dialektische Mystik (in den »Phil. Fragen« und »Krit. Wanderungen« seine Beachtung schenken müssen. Wer meine Ethik vornimmt, möge auch auf meine Aufsätze über »Wundt's Ethik« und »die Motivation des sittlichen Willens« in den »Krit. Wanderungen durch die Phil. der Gegenwart« Nr. IV u. V) einen Blick werfen. Wer mein Verhältniss zur Religion und zum Christenthum genau übersehen will, darf sich die Mühe nicht verdriessen lassen, die Lectüre meiner Religionsphilosophie durch diejenigen meiner Schriften über die Selbstzersetzung und die Krisis des Christenthums und der religions-philosophischen Abhandlungen in den »Phil. Fragen der Gegenwart« Nr. VI – IX zu ergänzen. Wer endlich die Absicht hat, sich über meine Stellung zu socialen, politischen und pädagogischen Fragen zu äussern, der muss sich mit den »Modernen Problemen«, den Schriften »Zur Reform des höheren Schulwesens«, »Zwei Jahrzehnte deutscher Politik« und »Das Judenthum in Gegenwart und Zukunft« vertraut machen.

Die vier letzgenannten Schriften sind auch solchen Lesern zugänglich, welche weder philosophische Vorbildung, noch philosophische Interessen besitzen, aber doch mit meiner Feder Bekanntschaft zu machen wünschen; es treten zu ihnen in gleichem Sinne hinzu »Die Selbstzersetzung des Christenthums« und die »Ges. Stud. und Aufsätze« Abschnitt A »Vermischte Aufsätze« und Abschnitt B »Aesthetische Studien«, so wie die ersten drei des Abschnitts C. Auch von den übrigen Schriften sind einzelne Abhandlungen gemeinverständlich geschrieben, z.B. »Die Bedeutung des Leids« und »Ist der Pessimismus schädlich?« in »Zur Gesch. u. Begründ. des Pess.«, ferner »Die unheilbare Auflösung des christlichen Centraldogma's« in der »Krisis des Christenthums« Nr. I u.a.m. Vielleicht ist für Laien die vortheilhafteste Gelegenheit zur Anknüpfung einer ersten Bekanntschaft mit meinem Vorstellungskreise in den von Professor Schneidewin herausgegebenen »Lichtstrahlen« geboten, welche i. J. 1881 in Carl Duncker's Verlag in Berlin erschienen sind; freilich sind die in den achtziger Jahren herausgekommenen Werke, wie Religionsphilosophie und Aesthetik, darin noch nicht berücksichtigt. Dagegen ist E. Koeber's Werk: »Das philosophische System Ed. v. Hartmann's« (Breslau bei Köbner, 1884) mehr auf philosophisch gebildete Leser berechnet; dasselbe berücksichtigt bereits die Religionsphilosophie, aber noch nicht die Aesthetik und zieht auch meine Ethik nicht in den Kreis seiner Darstellung. Wer sich durch die Lectüre meiner populären Schriften und Abhandlungen mit meiner Denkweise vertraut gemacht hat, der wird auch ohne philosophische Vorbildung die »Ausgewählten Werke« mit Ausnahme von Bd. I 1. Abth. und III lesen können. Am populärsten unter denselben dürfte die »Phänomenologie des sittlichen Bewusstseins« geschrieben sein, demnächst »Das religiöse Bewusstsein der Menschheit« (mit Ausnahme einiger Stellen in der Erörterung des Brahmanismus und Buddhismus), das zweite Buch der »Philosophie des Schönen« und die »Religionspsychologie« in der »Religion des Geistes«. Die »Philosophie des Unbewussten« ist nicht ohne Absicht an den Schluss der »Ausgewählten Werke« gestellt.

Wer meine Philosophie kritisiren will, hat ohne Zweifel nicht nöthig, sich dabei um die vorhergegangenen Kritiken Anderer zu kümmern, wobei er dann allerdings Gefahr läuft, schon öfter Gesagtes zu wiederholen. Wohl aber hat er die literarische Pflicht, sich vorher um die Widerlegungen zu bekümmern, welche die Kritiken Anderer bereits erfahren haben, damit er nicht schon öfter Widerlegtes wie eine neue Offenbarung vorbringt, sondern vor Allem die bereits veröffentlichten Widerlegungen seiner Einwände zu entkräften versucht. Zu dem Zweck genügt es aber nicht, dass man meine Schriften und die in denselben enthaltenen Widerlegungen von Angriffen kennt, sondern man muss auch die meiner Gesinnungsgenossen kennen, welche mich literarisch unterstützt haben. Für philosophisch gebildete Leser stehen unter diesen in erster Reihe die trefflichen Schriften von O. Plümacher: »Der Kampf um's Unbewusste« und »Der Pessimismus in Vergangenheit und Gegenwart«, welche eine ziemlich vollständige, sachlich geordnete Uebersicht aller wichtigeren gegen meine Philosophie erhobenen Einwendungen geben, und dadurch nicht mir als Wegweiser in der betreffenden Literatur, sondern bis zu Einem gewissen Grade als Ersatz für eine ganze Bibliothek derselben dienen können. 5 Für Leser ohne philosophische Vorbildung wird die Schrift von A. Taubert: »Der Pessimismus und seine Gegner« mehr zu empfehlen sein, welche, obwohl aus der ersten Zeit des Pessimismusstreites stammend, doch auch noch für den gegenwärtigen Stand der Discussion viel Beherzigenswerthes enthält. Mehr veraltet sind »Naturwissenschaft und Philosophie« von A. Taubert, »Der gesunde Menschenverstand vor den Problemen der Wissenschaft« von Dr. Carl Freiherr du Prel und »Der Allgeist« von Dr. Moritz Venetianer. Die ersten beiden und zum Theil auch die dritte sind gegen naturwissenschaftliche Materialisten gerichtet und deshalb noch jetzt beachtenswerth für Kritiker, welche auf dem gleichen Standpunkt stehen.

Wer vor dem Eintritt in die Lectüre eines meiner Werke eine genauere Uebersicht über Inhalt und Ziele derselben wünscht, der wird am besten thun, die sämmtlichen Vorworte derselben im Zusammenhange zu lesen, wobei allerdings darauf zu achten ist, dass es wirklich auch immer die neuesten Auflagen sind, deren er sich bedient. Ausserdem findet man eine allgemeine Uebersicht und Charakteristik meiner Schriften in der Einleitung von Schneidewin's »Lichtstrahlen« (1881), im fünften Capitel von Köber's Darstellung meines Systems (1884), und in Oskar Linke's Essai über mich im Juniheft der »Gesellschaft« von 1887. Die geistvollste unter den neueren Beurtheilungen über meine Philosophie im Allgemeinen dürfte unstreitig in der Abhandlung des verstorbenen Professors August Krohn enthalten sein: »Streifzüge durch die Philosophie der Gegenwart« (in der von ihm herausgegebenen »Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik« 1885/86 Bd. 87 Heft 2 und Bd. 89 Heft 1 anonym veröffentlicht). Die neueste und vollständigste Uebersicht über meine Arbeiten und die Ziele meiner Bestrebungen in gedrängter Kürze und gemeinfasslicher Darstellung bietet die Brochüre von Dr. Arthur Drews »Eduard von Hartmann's Philosophie und der Materialismus in der modernen Cultur« (Leipzig, Wilhelm Friedrich 1890). Wer biographische Mittheilungen über mich wünscht, sei auf meine »Gesammelten Studien und Aufsätze« 3. Aufl. S. 11-41 und Vorwort S. 2-8 verwiesen, daneben auf die kleine Brochüre von G. Heymons »Eduard von Hartmann, Erinnerungen an denselben aus den Jahren 1868-1881«.

1 »Die Ergebnisse der modernen Sprachphilosophie« in den »Krit. Wanderungen durch die Phil. der Gegenwart« Nr. VIII; die Schrift »Ueber die dialectische Methode«; ferner die Essais: »Bahnsen's Realdialectik« und »Eine neue dialectische Form der Mystik« (»Phil. Frag. d. Geg.« Nr. XII und »Krit. Wanderungen durch die Phil. der Geg.« Nr. VI).

2 »Lotze's Erkenntnisstheorie und Metaphysik« (in »Lotze's Philosophie« Nr. II); J. H. v. Kirchmann's erkenntnisstheoretischer Realismus; Lange-Waihinger's subjektivistischer Skepticismus (in »Neukantianismus u.s.w.« S. 1-7, 17-29, 46-118); »Kant und die heutige Erkenntnisstheorie« (in den Phil. Fragen der Gegenwart Nr. XI, S. 244-260); Zum gegenwärtigen Stande der Erkenntnisstheorie (in den »Krit. Wanderungen durch die Philosophie der Gegenwart« Nr. VII); der theologische Neukantianismus (in der »Krisis des Christenthums« 2. Aufl. Nr. III).

3 Moderne Probleme, 2. Aufl. Das Judenthum in Gegenwart und Zukunft, 2. Aufl. Zwei Jahrzehnte deutscher Politik und die gegenwärtige Weltlage. Zur Reform des höheren Schulwesens.

4 Mit Rücksicht hierauf habe ich mich bemüht, meinen Herrn Verleger zu einer Preisfestsetzung für dieselben zu bewegen, welche etwa den dritten Theil des für wissenschaftliche Werke üblichen Preises nicht überschreitet, und darf mit Dank das hierbei gefundene Entgegenkommen anerkennen. Ich glaube damit bewiesen zu haben, dass mir das ideale Interesse für die Verbreitung dessen, was ich für Wahrheit halte, hoher steht, als der aus einem höheren Preise meiner Hauptwerke zu erzielende pecuniäre Gewinn.

5 Dem »Kampf um's Unbewusste« ist ein chronologisches Literaturverzeichniss beigegeben, das zwar nicht vollständig ist, aber doch alle wichtigeren Erscheinungen anführt. Auch die Uebersetzungen meiner Schriften in fremde Sprachen (Russisch, Schwedisch, Französisch, Englisch, Spanisch) sind darin aufgenommen.

Erster Theil Phänomenologie des Unbewussten

Einleitendes

Inhaltsverzeichnis
I. Allgemeine Vorbemerkungen
II. Wie kommen wir zur Annahme von Zwecken in der Natur?

I. Allgemeine Vorbemerkungen

Inhaltsverzeichnis
a. Aufgabe des Werks
b. Methode der Untersuchung und Art der Darstellung
c. Vorgänger in Bezug auf den Begriff des Unbewussten

a. Aufgabe des Werks

Inhaltsverzeichnis

»Vorstellungen zu haben, und sich ihrer doch nicht bewusst zu sein, darin scheint ein Widerspruch zu liegen, denn wie können wir wissen, dass wir sie haben, wenn wir uns ihrer nicht bewusst sind. – Allein wir können uns doch mittelbar bewusstsein, eine Vorstellung zu haben, ob wir gleich unmittelbar uns ihrer nicht bewusst sind.« (Kant, Anthropologie §. 5. »Von den Vorstellungen, die wir haben, ohne uns ihrer bewusst zu sein«) Diese klaren Worte des klaren grossen Königsberger Denkers enthalten den Ausgangspunct unserer Untersuchungen, wie das zur Aufnahme gegebene Feld.

Das Gebiet des Bewusstseins ist ein nach allen Richtungen so durchpflügter Weinberg, dass das Verfolgen dieser Arbeiten dem Publikum fast schon zum Ueberdruss geworden ist, und noch immer ist der gesuchte Schatz nicht gefunden, wenn auch unverhoffte reiche Ernten aus dem durcharbeiteten Boden hervorgesprosst sind. Dass man mit der philosophischen Betrachtung dessen begann, was das Bewusstsein unmittelbar in sich fand, war sehr natürlich; sollte es nun aber nicht verlockend um der Neuheit willen und hoffnungsreich in Bezug auf den Gewinn sein, den goldenen Schatz in den Tiefen des Berges, in den edlen Erzen seines Felsgesteins, statt auf der Oberfläche des fruchtbaren Erdbodens zu suchen? Freilich bedarf es dazu des Bohrers und Meissels und langer mühevoller Arbeit, bis man auf die goldenen Adern trifft, und endlich langer Bearbeitung der Erze, bis der Schatz gehoben ist – wer die Mühe nicht scheut, der folge mir, in der Arbeit selbst liegt ja der höchste Genuss!

Der Begriff »unbewusste Vorstellung« hat allerdings für den natürlichen Verstand etwas Paradoxes, indess ist der darin enthaltene Widerspruch, wie auch Kant sagt, nur scheinbar. Denn wenn wir nur von dem wissen können, was wir im Bewusstsein haben, also von dem nichts wissen können, was wir nicht im Bewusstsein haben, welches Recht haben wir dann zu der Behauptung, dass dasjenige, dessen Existenz in unserem Bewusstsein wir kennen, nicht auch ausserhalb unseres Bewusstseins sollte existiren können? Allerdings würden wir in diesem Falle weder die Existenz, noch die Nichtexistenz behaupten können, und aus diesem Grunde bei der Annahme der Nichtexistenz stehen bleiben müssen, bis wir zu der positiven Behauptung der Existenz anderswoher ein Recht bekommen. Dies war im Allgemeinen der bisherige Standpunct. Je mehr indess die Philosophie den dogmatischen Standpunct der instinctiven Sinnlichkeit und der instinctiven Verstandesüberzeugung verliess, und die nur höchst indirecte Erkennbarkeit alles bisher für unmittelbaren Bewusstseinsinhalt Gehaltenen einsah, desto mehr Werth musste natürlich ein indirecter Nachweis der Existenz einer Sache erhalten, und so konnte es nicht fehlen, dass hier und da in denkenden Köpfen sich das Bedürfniss zeigte, behufs der anderweitig unmöglichen Erklärung gewisser Erscheinungen im Gebiete des Geistes auf die Existenz unbewusster Vorstellungen als deren Ursache zurückzugehen. Alle diese Erscheinungen zusammen zu fassen, aus jeder einzelnen die Existenz unbewusster Vorstellungen und unbewussten Willens wahrscheinlich zu machen, und durch ihre Summe das in allen übereinstimmende Princip zur Höhe einer an Gewissheit grenzenden Wahrscheinlichkeit zu erheben, ist die Aufgabe der beiden ersten Abschnitte dieses Werks. Der erste derselben betrachtet Erscheinungen von physiologischer und zoopsychologischer Natur, der zweite bewegt sich auf dem Gebiete des menschlichen Geistes.

Durch dieses Princip des Unbewussten erhalten zugleich die betrachteten Erscheinungen ihre einzig richtige Erklärung, die zum Theil noch nicht ausgesprochen war, zum Theil aber bloss darum keine Anerkennung finden konnte, weil das Princip selbst erst durch die Zusammenstellung aller hierher gehörigen Erscheinungen constatirt werden kann. Ausserdem eröffnen sich aus der Anwendung dieses bisher im embryonalen Zustande befindlich gewesenen Princips die bedeutendsten Perspectiven auf neue Behandlungsweisen scheinbar bekannter Gegenstände, eine Menge Gegensätze und Widersprüche früherer Systeme und Ansichten finden ihre umfassende Lösung durch Herstellung des höheren, beide Seiten als unvollkommene Wahrheiten in sich befassenden Standpunctes. Mit einem Wort, das Princip erweist sich höchst fruchtbar für Specialfragen. Weit wichtiger als dies aber ist die Art, wie das Princip des Unbewussten unvermerkt aus dem physischen und psychischen Gebiet sich zu Ansichten und Lösungen von Aufgaben erweitert, die man nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch als dem metaphysischen Gebiet angehörig bezeichnen würde. An unserem Princip aber spinnen sich diese Resultate so einfach und natürlich aus naturwissenschaftlichen und psychologischen Betrachtungen heraus, dass man den Uebergang in ein anderes Gebiet gar nicht merken würde, wenn einem der Inhalt dieser Fragen nicht schon anderweitig bekannt wäre. Es drängt und zieht sich alles nach dem Einen hin, es krystallisirt gewissermassen in jedem neuen Capitel ein Stück mehr von der Welt um diesen Kern herum, bis es zur All-Einheit erwachsen das Weltall umfasst und sich zuletzt plötzlich als das darstellt, was den Kern aller grossen Philosophien gebildet hat, Spinoza's Substanz, Fichte's absolutes Ich, Schelling's absolutes Subject-Object, Plato's und Hegel's absolute Idee, Schopenhauer's Wille u.s.w.

Ich bitte deshalb, an dem Begriff der unbewussten Vorstellung vorläufig keinen Anstoss zu nehmen, wenn er auch zuerst wenig positive Bedeutung hat; der positive Inhalt des Begriffs kann sich erst im Laufe der Untersuchung bilden; vorerst genüge es, dass damit eine ausserhalb des Bewusstseins fallende und doch nicht wesensfremde unbekannte Ursache gewisser Vorgänge gemeint ist, welche den Namen Vorstellung deshalb erhalten hat, weil sie mit dem uns im Bewusstsein als Vorstellung Bekannten das gemein hat, dass sie wie jene einen idealen Inhalt besitzt, der selbst keine Realität hat, sondern höchstens einer äusseren Realität im idealen Bilde gleichen kann. Der Begriff des unbewussten Willens ist an sich schon klarer und erscheint minder paradox (vgl. Cap. A. I. Schluss). Da sich in Cap. B. III. zeigen wird, dass das Gefühl sich in Willen und Vorstellung auflösen lässt, also letztere beiden die alleinigen psychischen Grundfunctionen sind, welche nach Cap. A. IV. untrennbar Eins sind, insoweit sie unbewusst sind, so bezeichne ich den unbewussten Willen und die unbewusste Vorstellung in Eins gefasst mit dem Ausdruck »das Unbewusste«; da diese Einheit aber wieder nur in der Identität des unbewusst wollenden und unbewusst vorstellenden Subjects beruht (Cap. C. XV. 4), so bezeichnet der Ausdruck »das Unbewusste« auch dieses identische Subject der unbewusst-psychischen Functionen, – ein zwar zunächst Unbekanntes, von dem man aber schon hier wenigstens so viel sagen kann, dass ihm ausser den negativen Attributen »unbewusst sein und unbewusst functioniren« auch sehr wesentliche positive Attribute »wollen und vorstellen« zukommen. So lange die Betrachtung nicht über die Grenzen eines Individuums hinausgeht, möchte dies deutlich sein; fassen wir aber die Welt als Ganzes in's Auge, so nimmt der Ausdruck »das Unbewusste« nicht nur die Bedeutung einer Abstraction von allen unbewussten Individualfunctionen und Subjecten, sondern auch die Bedeutung eines Collectivums an, welches alle diese nicht nur unter sich, sondern in sich begreift. Endlich aber stellt sich in Cap. C. VII. heraus, dass alle unbewussten Functionen von Einem identischen Subjecte herrühren, welches in den vielen Individuen nur seine phänomenale Offenbarung hat, so dass alsdann »das Unbewusste« dieses Eine absolute Subject bedeutet. Soviel nur zur vorläufigen Orientirung. –

»Die Philosophie ist die Geschichte der Philosophie« – dieses Wort unterschreibe ich von ganzem Herzen. Wer aber das Wort so versteht, als ob nur hinter uns die Wahrheit läge, der möchte in tiefem Irrthum stecken, denn es giebt einen todten und einen lebenden Theil in der Geschichte der Philosophie, und das Leben ist nur in der Gegenwart. So wird an einem Baume der feste, den Stürmen trotzende Stamm von todtem Holze, von dem Zuwachs früherer Jahre gebildet, und nur eine dünne Schicht enthält das Leben des mächtigen Gewächses, bis auch sie im nächsten Jahre zu den Todten zählt. Nicht der Blätter- und Blüthenschmuck, der die Beschauer früherer Sommer am meisten bestach, war es, was dem Baume dauernde Stärkung verlieh, – sie halfen höchstens abgefallen und verfault seine Wurzeln düngen, – sondern der unbeachtete kleine Ringzuwachs am Stamm, und die unscheinbaren neuen Aestchen, das war es, was seine Ausdehnung, Höhe und Festigkeit mehrte. Und nicht bloss Festigkeit verdankt der lebensfrische Ring seinen todten Vorfahren, sondern indem er sie umfasst, auch die Grösse seines Umfangs; darum ist, wie am Baume, das erste Gesetz für einen neu anschiessenden Ring, dass er alle seine Vorgänger auch wirklich umfasse und in sich beschliesse, das zweite aber, dass er selbstständig aus den Wurzeln von unten auf erwachse. Die Aufgabe, dies beides in der Philosophie zu vereinigen, ist fast paradox, denn wer auf der Höhe der Situation steht, pflegt die Unbefangenheit verloren zu haben, von vorn