Phönixherz - Marina Nortmeier - E-Book

Phönixherz E-Book

Marina Nortmeier

4,8

Beschreibung

Sexueller Missbrauch muss nicht das Verharren im Opferdasein bedeuten. Es gibt einen Heilungsweg, den es sich zu gehen lohnt. Dieser bedeutet, sich den Schmerz noch einmal anzusehen, den nur durch ihn hindurch führt der Weg in die innere Freiheit von der Vergangenheit. Ich bin ihn gegangen. Und wenn ich das kann, dann kannst DU das auch!

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INHALTSVERZEICHNIS

EINLADUNG

HORIZONT IN SICHT

WEHENSCHMERZ

NEUE WEGE

WAHR-NEHMEN

GEBROCHENE HERZEN

CHRIS

MUMMILEIN

HERZRAUMÖFFNUNG

TIGER IN SICHT

WEICHHEIT,

WEIBLICHKEIT&WÜRDE

REGENBOGENDENKEN

LIEBE(S)SUCHT

MAN ERNTET, WAS MAN SÄT!

HERZSCHLAG INS NICHTS

LIEBE AUF DEN ERSTEN SCHRITT

FRAU SEIN

VOM SIGNALHORN UND DER NACHTIGALL TEIL I

QUANTENSPRUNG IN DIE QUELLE

VOM SIGNALHORN UND DER NACHTIGALL TEIL II

DER HIMMEL AUF KORFU

SEELENFAMILIEN

VERSCHLUNGENE PFADE

HAND AUF HERZ UND HAUT

SEINE WEGE

DAS LEBEN KOMMT IN WELLEN

CHRISTUS BEWUSST SEIN

DIE SPRACHE GOTTES

DEINE SEELE WARTETAUF DICH!

ZWISCHEN DEN WELTEN

EIN UNVERHOFFTER WUNDVERBAND

EIN KIANG

SEELENBEBEN

SPINNENNETZE

HERZSCHRUMPFEN

DER ROTE DRACHE

NIMM DEIN HERZ IN DIE HAND

NACHWORT

ANHANG

ICH SAGE DANKE

ÜBER DIE AUTORIN

EINLADUNG

„Ich lehre euch nicht zu geben, sondern zu empfangen,

nicht Verzicht, sondern Erfüllung,

nicht nachgeben, sondern Verstehen,

mit einem Lächeln auf den Lippen!“

(Khalil Gibran)

Ja, ich habe bewusst das Wort Einladung statt Einleitung gewählt. Weil ich euch nicht leiten möchte, sondern einladen. Einladen auf eine Reise mit mir, meine eigene.

Der Weg, der hinter mir liegt, schien anfangs unbegehbar. Im Grunde konnte ich ihn nicht einmal sehen, sondern verbrachte viele Jahre mit der Suche danach. Bis ich beschloss, einfach den ersten Schritt zu tun. Einmal in Bewegung, tat sich alles, was notwendig war, vor mir auf. Es hatte nur den Mut zu diesem ersten Schritt gebraucht!

Was ich erlebt habe, hat sich lange Zeit wie die Hölle auf Erden angefühlt. Bis ich wirklich JA zu meinem Leben sagte und zwar auch zu den Dingen, die ich hatte verdrängen und vergessen wollen. Mir ist klar, dass das Folgende für viele Leser ungeheuerlich klingen mag, so war es auch lange Zeit für mich. Doch um wahrhaftig heil zu werden, brauchte es auch mein JA zu dem Missbrauch (ich verwende dieses Wort nur der Einfachheit halber hier, da man Kinder im Umkehrschluss ja auch nicht GEbraucht!), zu der Gewalt und der Lieblosigkeit, die ich erfahren hatte. Es ist sehr heikel, dies so hier zu schreiben, doch gerade deshalb lade ich euch ein, euch die Bedeutung und den Zusammenhang dieser Worte näher bringen zu lassen.

Mein Anliegen, als ich dieses Buch schrieb, war es, anderen Menschen Mut zu machen, etwas von mir zu teilen. Den Weg aus dem Opferdasein zurück in unser Schöpferbewusstsein. Und diesen Weg können wir nur gehen, wenn wir aufhören, anderen Menschen und Umständen die Schuld an dem zu geben, was wir durchlebt haben. Stattdessen müssen wir uns der Verantwortung für diese Ereignisse stellen. Dies bedeutet nicht und in keinster Weise, dass es auch nur annähernd in Ordnung wäre, anderen Menschen Gewalt in jeglicher Form anzutun. Auch diese Menschen müssen sich natürlich ihrer Verantwortung stellen, was sie aber in den meisten Fällen nicht wollen oder können. Denn wären sie „bei Bewusstsein“, hätten sie schließlich einen anderen Weg gewählt als den, ihre eigenen Verletzungen gewalttätig an ihre Mitmenschen weiterzugeben.

Der Weg in die Heilung gelingt dann, wenn wir uns selbst an die Hand nehmen und darum kümmern, dass unsere verletzten Anteile versorgt werden. Wir sind von der Schöpfung dazu mit allen Fähigkeiten, die es braucht, ausgestattet worden. Finden wir diese Quelle, die tief in uns darauf wartet, wiederentdeckt zu werden, beginnen wir zu verstehen, dass wir mehr sind als der Körper, den wir bewohnen. Wir dürfen dann erfahren, dass wir diese Quelle sind und damit nie zerstört werden können. Verletzt, ja. Gekränkt, ja. Doch das sind nur Anteile aus unserer Vergangenheit, die uns nicht wirklich ausmachen. In Wahrheit sind wir Teil einer göttlichen Liebe und Präsenz, die uns unerschütterlich in die Heilung führen will. Im Verlauf dieses Buches werde ich aufzeigen, warum diese Aussage weder esoterisch noch religiös ist. Sondern reine Physik! Wir alle sind aus Sternenstaub und die göttliche Energie liebt uns! Wir müssen nicht einmal daran glauben….

Dazu lade ich euch ein. Von ganzem Herzen!

Marina

PHÖNIXHERZ

HORIZONT IN SICHT

„Eine Reise ist ein Trunk aus der Quelle des Lebens.“

(Christian Friedrich Hebbel)

Meine Reise begann im Morgengrauen eines regnerischen und kalten Sommertages in Deutschland!

Im Grunde jedoch war dies eher der Höhepunkt einer vor vielen Jahren begonnenen Reise zum Kern meines Seins, in das Zentrum meiner Existenz. Nur war ich mir dessen nicht bewusst gewesen, sondern hatte eher das Gefühl, in einem Sumpf einem Irrlicht zu folgen. Ich suchte das erlösende, heilbringende Licht bereits so lange und vergeblich, dass ich fast aufgegeben hatte. Der Sumpf, in dem ich steckte, war meine Vergangenheit. Meine schmerzhafte und traumatisierende Kindheit, die ich erst verleugnet, dann akzeptiert und verdammt hatte. Ich wollte kein Opfer sein und auf der Suche nach dem Weg ins Schöpferdasein nahm ich scheinbar jede Gelegenheit wahr, um mir einmal mehr zu beweisen, dass ich für immer das Lamm bleiben würde.

Ein langer Weg durch den Therapiedschungel lag bereits hinter mir, als ich den letzten Anlauf nahm und eine Traumatherapie begann. Diese sollte die Grundlage zu einer kompletten Kehrtwende in meinem Leben mit der Diagnose „komplexe posttraumatische Belastungsstörung“ werden. Doch bis zu meinem wirklich offiziellen Aufbruch an diesem Morgen brauchte es einen weiteren Schicksalsschlag, der mir endgültig die Augen und am Ende sogar das Herz öffnete.

Mit einem lachenden und einem weinenden Auge mache ich mich in meinem kleinen Auto auf den knapp 1800 km langen Weg auf eine Insel, die mein Herz einige Wochen zuvor im Sturm erobert hat: Korfu!

Etwas mulmig war mir schon, als sich mein Wagen in Richtung Autobahn in Bewegung setzte. Die Ereignisse in meinem Leben haben sich in den letzten Wochen nahezu überschlagen. Längst fällige Entscheidungen hatte ich endlich getroffen, Entscheidungen, die mir sehr schwer gefallen sind und die ich deshalb viel zu lange vor mir her getragen hatte. In diesem Augenblick allerdings, ergab alles einen Sinn und mir wurde einmal mehr bewusst, dass alles seine Zeit und sein eigenes Tempo hatte. Meine Gedanken schweiften um einen Monat zurück zu dem Tag, an dem ich intuitiv spürte, dass die Veränderung, die so lange angestanden hatte, nicht mehr aufzuhalten war.

WEHENSCHMERZ

„Die zwei wichtigsten Tage in unserem Leben sind der, an dem wir geboren werden und der, an dem wir herausfinden, wofür!“

(Mark Twain)

Schon lange fühlte ich diesen inneren Aufbruch, die bevorstehende Veränderung. Sie lag in meiner Magengegend, in Herzenshöhe. Ganz so, als wären die zwei Verbündete im Prozess meiner Heilung.

Wann immer ich dort ein Ziehen verspürte, war ich mir bewusst, dass ein Aufbruch anstand, ein Neubeginn. Der innere Geburtsprozess, der so lange stagniert hatte, stand kurz bevor. Doch hatte ich nicht die leiseste Ahnung, wie ich diesen unterstützen konnte. Ich trat auf der Stelle, fühlte mich leer, Mut-und kraftlos. Das Gefühl, einfach alles falsch gemacht und wertvolle Jahre verschwendet zu haben, begleitete mich Tag und Nacht. Zu oft hatte ich von vorn begonnen, in der Hoffnung, dass nun alles besser würde, ich meine Vergangenheit endlich hinter mir lassen könnte.

Meine derzeitige Lebenssituation schien nach außen einfach traumhaft zu sein. Ich lebte seit einigen Jahren mit meinem damaligen Lebensgefährten in dessen Haus. Wir fuhren im Sommer fast jedes Wochenende an die See zum Segeln, machten einmal im Jahr Urlaub in der Ferne. Viele beneideten mich.

Doch da gab es nichts zu beneiden. Nichts davon war ich. Die Wahrheit war, ich wusste nicht, wer oder was ich bin.

Ich wusste nur, dass ich mich verraten hatte. Dass ich nicht in meinem Leben war. Ich wusste nicht, was genau mein Leben war, was ich eigentlich wollte. Doch mir war klar, es hatte Augenblicke gegeben, in denen ich ganz bei mir war. Ich versuchte, gedanklich in diese zurück zu gehen. Und plötzlich fühlte ich mich. Nur kurz und sehr zart. Doch sehr deutlich!

Es war meine spirituelle Natur, mein Glaube, mein Interesse an den Dingen, die wir nicht sehen, die wir nur fühlen können. Rückblickend war der Aufruf zu diesem Weg immer wieder da. Durch Lebensumstände, Menschen, Ereignisse. Und wann immer ich mich kurz damit beschäftigte, blühte ich auf, war ich ganz bei mir. Doch ich hatte einfach nicht genug Selbst-VERTRAUEN, um diesem Aufruf zu folgen. Bis jetzt hatte ich jedes Buch über die geistige Welt, über unsere Seele, den Kern unseres Seins, dass mir in die Hände fiel, gelesen. Und damit einiges in mir bewegt. Doch mit meinem Interesse, mit meinen spirituellen Erfahrungen mein Leben in die Hand zu nehmen, dazu hatte mir bisher der Mut gefehlt.

Ich befand mich zu der Zeit in einer Therapie, um meine vielfältigen Traumata aus der Kindheit aufzulösen, mit einer für mich grandiosen Psychologin. Ihre Arbeit war fantastisch und sehr spirituell. In einer unserer Sitzungen sagte sie mir, dass irgendwann der Tag käme, an dem ich mich entscheiden müsste, ein Lichtarbeiter zu sein oder mein Leben wie bisher weiterzuführen. Und dass, wenn ich mich für den Lichtarbeiterweg entschied, es keine Umkehr geben würde.

Mir wurde schlagartig klar, dass dies der Grund für mein Leiden war. Ich war diesem Weg bisher nicht gefolgt, weil ich Angst hatte. Angst vor dem Blick auf mich selbst, meiner Vergangenheit, die transformiert werden musste und meinem inneren Licht, vor meiner eigenen Größe, vor meinen Fähigkeiten. Und auch Angst vor dem Verlust meines sozialen Umfeldes. Denn niemand außer meinen Kindern würde verstehen, wovon ich sprach oder was ich fühlte. Es wäre ein Abschied aus meinem bisherigen Leben, von vielen meiner Freunde und vom Rest meiner Familie.

So ging ich einige Tage schwanger mit der bevorstehenden Entscheidung und versuchte, alles zu durchdenken, genau abzuwägen. Erfolglos. Ich war nur noch verwirrter.

Eines Abends lag ich in meinem Bett und fing in meiner Verzweiflung einfach an, mit Jesus zu sprechen. Ich hatte das als Kind oft getan, wenn ich Angst hatte. Und so plapperte ich einfach ebenso kindlich wieder drauf los, flehte ihn an, mir zu zeigen, was ich zu tun hätte, mir zu helfen. Nichts geschah. Erschöpft und einsam schlief ich ein.

Am nächsten Tag stieß ich auf die Ankündigung einer Praxiseröffnung für Körper- und Energiearbeit in unserer Stadt. Ich kannte die Frau, da ich Jahre zuvor einmal eine Lomimassage bei ihr gebucht hatte. Kurzerhand beschloss ich, einfach dort hinzugehen und sie auf mein Problem anzusprechen.

Bei dem Gedanken daran konnte ich wieder deutlich „meine Wehen“ in der Magen-und Herzgegend spüren und vertraute einfach darauf, dass es ein sicheres Zeichen für den richtigen Weg war!

NEUE WEGE

„Man erwirbt keine Freunde, man erkennt sie.“

(Wilhelm Busch)

Ich traf Sarah bei ihrer Praxiseröffnung zum ersten Mal nach fast 7 Jahren wieder. Damals hatte ich unter Angststörungen gelitten und sie war eine meiner Anlaufstellen auf der Suche nach Heilung. Als ich nun ihre neue Praxis betrat fiel mir diese Behandlung wieder ein. Bei unserer ersten Begegnung hatte sie mir abschließend gesagt, dass meine Angst unter anderem aus einer schweren Verletzung durch meine Mutter heraus entstanden sei. Heute weiß ich, dass sie damit vollkommen richtig lag. Zu dem damaligen Zeitpunkt jedoch wollte mein Unterbewusstsein diese Ereignisse noch nicht freigeben.

Als ich in die Praxis kam, wuselten viele Menschen umher, es wurde gelacht und angeregt diskutiert. Ich kam mir etwas verloren vor, so alleine. Alle schienen sich zu kennen. Was wollte ich eigentlich hier? Vielleicht konnte Sarah sich nicht einmal mehr an mich erinnern und fände mein Anliegen völlig unangebracht? Mein innerer Kritiker quasselte ununterbrochen vor sich hin. Fast wäre ich wieder gegangen.

Doch dann traf ich auf sie und wir sahen uns erstaunt in die Augen. Und erkannten uns. Nicht aus diesem Leben, sondern aus vielen davor. Es war so offensichtlich, so klar, dass selbst mein innerer Kritiker plötzlich schwieg. Sarah nahm sich ein paar Minuten, obgleich sie wirklich sehr eingespannt war und ich schilderte ihr kurz, dass ich das Gefühl hätte, im Aufbruch zu sein und mein Talent endlich leben zu wollen. Ich erzählte ihr von den verschiedenen Momenten in meinem Leben, in denen ich hellgefühlt oder –gesehen und dass ich dies aus Angst immer wieder verdrängt oder verleugnet hatte. Sarah konnte mich sehr gut verstehen, denn auch ihr Weg hatte mit diesen „Symptomen“ begonnen.

Nach wenigen Minuten war mir bewusst, was ich als nächstes tun würde. Sarah hatte gerade eine neue Behandlungsform entwickelt, in der man sich morphogenetisch mit der heilenden Energie der Delfine verbinden konnte. Sie fragte mich, ob ich eine Verbindung zu Delfinen hätte.

Ich erzählte ihr von meiner Begegnung mit Delfinen ein halbes Jahr zuvor während einer Bootstour vor den kanarischen Inseln. Es war an meinem Geburtstag und ich hatte nur einen Wunsch an diesem Tag: einmal einen freilebenden Delfin sehen! Also buchten wir die Fahrt und es verging über eine Stunde, in der kein einziger Delfin zu sehen war. Ich war etwas enttäuscht und ging in den hinteren Bereich des Bootes, weg von der Menschentraube. Gerade, als ich akzeptierte, dass man Tiere in Freiheit nun mal nicht zwingen konnte, zu erscheinen, sprang ein prächtiger Delfin einige Meter vor mir aus dem Meer, drehte eine Schraube und war wieder verschwunden, bevor ich meine Tochter, die im vorderen Teil mit den restlichen Passagieren in die andere Richtung Ausschau hielt, herbeirufen konnte. Nur der Kapitän hatte ihn ebenfalls gesehen und nach seiner Ansage, wo nun einer aufgetaucht war, umringten mich die Mitreisenden in Sekunden. Doch er ließ sich nicht wieder blicken. Er hatte mir ein Geschenk gemacht. In seiner ganzen Schönheit.

Der Kapitän steuerte das Boot zum Hafen zurück und jeder bekam ein Freiticket für einen erneuten Versuch am nächsten Tag. Ich freute mich, denn ich hatte noch einmal die Möglichkeit, die Engel der Meere zu sehen, obgleich ich mich schon heute gesegnet fühlte.

Tags darauf stießen wir nach kurzer Fahrt in eine Heerschar von Delfinen. In allen Größen umschwammen sie das Boot, sprangen unermüdlich umher. Ich setzte mich an die Reling und sah ihnen glücklich zu. Es waren auch kleine Junge dabei, die fürsorglich von den älteren in die Mitte genommen wurden. Ich dachte, meine Freude könnte nicht größer sein. Bis sich einer dieser Engel, der direkt am Bug schwamm, auf die Seite drehte und mir direkt in die Augen blickte. Und ich ihm. Für nur ein paar Sekunden, die sich wie eine Ewigkeit anfühlten, konnte ich in eine Tiefe sehen, die neu und doch vertraut war. Ich hatte das Gefühl, er tauche mit seinem Blick direkt in meine Seele, direkt auf den Grund meines Herzens. Nie werde ich diesen Augenblick vergessen! Mein Körper bebte und dicke Tränen rannen mir übers Gesicht. Er hatte die Dunkelkammer in meinem Herzensraum geöffnet und ich konnte einen Teil meines Schmerzes loslassen. Ich fühlte wahrhaftig, wie er aus mir herausfuhr und mein Herz von Leichtigkeit erfüllt wurde.

Nichts um mich herum nahm ich wahr, nur ihn und mich. Dann drehte er sich wieder um und schwamm mit seiner Familie weiter.

Meine Tochter sagte leise: “Mama, die Leute gucken schon, warum weinst du denn so?“ Ich erklärte ihr diesen Augenblick und ebenso, dass es mir gleich sei, was die anderen Passagiere dachten.

Tatsächlich weinte niemand außer mir. Als ich mich umsah, hatten alle ihre Kameras in der Hand und ich hörte viele AHs und OHs. Ich lächelte still vor mich hin und bedankte mich innerlich bei „meinem“ Delfin für dieses wunderbare Geschenk der Heilung.

Während ich Sarah von diesem Erlebnis, dass ich lange nicht mehr erinnert hatte, erzählte, fielen mir zwei Träume ein, die ich wenige Wochen zuvor hatte:

In einem dieser Träume stand ich weinend an einem Strand, mit den Füßen im Wasser und sah hinaus aufs Meer, als plötzlich ein Delfin vor mir auftauchte und mich telepathisch aufforderte, mit ihm zu spielen. Ich sagte ihm, dass ich nicht könne, weil ich doch ein Mensch sei und im Meer ertrinken würde. Doch dieses wunderschöne Lebewesen versicherte mir, dass mir nichts geschehen könne und er mich wohlbehalten wieder an den Strand zurückbringen würde. So schwamm ich mit ihm und er trug mich in die Tiefe des Meeres hinab, während ich mich an ihm festhielt. Wir spielten mit Fischen, durchschwammen Pflanzen und drehten uns um die eigene Achse. Es war einfach wunderbar!

Als er mich zurück zum Strand brachte, übermittelte er mir zum Abschied, dass nun alles gut sei und ich mich sicher in der Welt bewegen könne. Meine Traurigkeit hätte bald ein Ende.

Ich weiß noch, dass ich nach diesem Traum erfrischt, getröstet und mit einem tiefen Geborgenheitsgefühl aufgewacht bin. Gleich in der nächsten Nacht folgte ein ähnlicher Traum:

Diesmal fand ich mich an einem Hafen stehend, wieder nah am Wasser. Und wieder kam „mein“ Delfin, um mich zum Spielen aufzufordern. Ich schwamm ich bereitwillig mit und genoss einfach seine Gegenwart. Plötzlich tauchte neben uns ein riesiger Orca auf. Er war gewaltig in seiner Größe, die Schiffe im Hafen wurden zu kleinenNussschalen neben ihm. Ich bekam Angst und klammerte mich verzweifelt an der Rückenflosse meines Freundes fest, als dieser mir übermittelte, dass der Orca ein Freund sei und es nichts zu fürchten gäbe. Wir schwammen sehr nah heran und mein Herz schien still zu stehen. Und dann sah mir dieser Meeresriese in die Augen. Ich hörte meinen dumpfen Herzschlag unter Wasser und fühlte…Liebe! Alle Angst löste sich in dieser Sekunde auf und ich empfand pure Freude über diese Begegnung.

Mein Meeresengel brachte mich zurück ans Ufer und übermittelte mir, dass auch die größten Ungeheuer bei näherem Hinsehen reine Liebe seien.

Sarah nickte wissend und sagte, die Verbindung sei bereits da. Bereits in der übernächsten Woche bot sie eine Ausbildung in der Dolphin-Connection an und ich sagte spontan meine Teilnahme zu. Ich befand mich im Fluss meines Lebens.

WAHR-NEHMEN

„Damit ein Stern geboren wird, muss zunächst eine Sache geschehen:

Ein Nebel muss kollabieren. Also kollabiere! Zerbröckele!

Dies ist nicht Deine Zerstörung,

Dies ist Deine Geburt!“

Seit etwa einem Jahr stagnierte mein Leben, ich trat auf der Stelle, drehte mich im Kreis. Ich fühlte mich wie kurz vor einem großen inneren Schritt, einer Weiterentwicklung. Allerdings wusste ich nicht, in welche Richtung es gehen sollte oder was ich mit meinem Leben zukünftig überhaupt anfangen wollte. Im letzten Jahr war mein Vater gestorben und ich hatte mich nicht wirklich davon erholt. Eher kam es mir vor, als würde sich der Sumpf meiner traumatischen und jahrelang therapierten Kindheit erneut vor mir auftun. Mein Herz war mehr als gebrochen, es war zersplittert.

Allerdings wusste ich nicht, in welche Richtung es gehen sollte oder was ich mit meinem Leben zukünftig überhaupt anfangen wollte. Im letzten Jahr war mein Vater gestorben und ich hatte mich nicht wirklich davon erholt. Eher kam es mir vor, als würde sich der Sumpf meiner traumatischen und jahrelang therapierten Kindheit erneut vor mir auftun. Mein Herz war mehr als gebrochen, es war zersplittert.

Und doch konnte ich hin und wieder diese kleine Flamme in mir wahrnehmen, die mich schließlich auch durch meine Kindheit gerettet hatte und so buchte ich kurzentschlossen die Fortbildung bei Sarah.

An dem besagten Wochenende stand ich noch einmal kurz zögernd vor der Eingangstür, mit meinem inneren Saboteur kämpfend, der mir weismachen wollte, dass ich doch eh nichts könne und besser wieder gehen sollte. Zum Glück habe ich nicht auf ihn gehört.

Ich traf auf lauter liebe gleichgesinnte Frauen und das Wochenende war eine Transformation. Ganz ohne Dogmen kommt diese tiefgreifende, leicht zu erlernende und hochfrequente Methode daher und zeigt, dass Heilung und Ganzwerdung keine Magie sondern eine Wissenschaft ist. Praktisch sofort setzte nach kurzer Arbeit am Kronenchakra die Herzöffnung ein. Ich hatte während der ca. 80minütigen Behandlung das Gefühl, dass viele meiner zerbrochenen Anteile sich narbenfrei in mir zusammensetzten. Die meiste Zeit befand ich mich dabei in einem Zustand des Nichts, was nach jahrelangem Üben mit dieser Methode einfach ohne mein Zutun geschah. Ohne jegliche Anstrengung! Ich ließ mich in dieses Nichts fallen, treiben, schwebte in einer Raum- und Zeitlosigkeit. Bilder, die aufkamen, nahm ich zwar wahr, sie zogen jedoch ohne Anhaftung vorüber.

Alles, was ich fühlen konnte, waren reine Liebe und reines Gewahrsein! Selbst die lunare Atmung, die mir am Anfang schwer erschienen war, floss ohne mein Zutun durch meinen Körper, ganz so, als hätte ich nie anders geatmet.

Auch, als ich die „Gebende“ war, erfuhr ich selbst noch viel Heilung. Bewertungsfreie Tränen liefen mir dabei über das Gesicht und ich hatte ein absolutes Gefühl dafür, dass nun alles gut sei. Die Verbindung beim Arbeiten am Klienten mit „meinem“ Delphin war kinderleicht und er ist seither immer an meiner Seite. Zu jeder Zeit habe ich die Möglichkeit, mich mit ihm zu verbinden und hin und wieder taucht er spontan auf, während ich im Gespräch mit anderen Menschen bin, um mir zu zeigen, wo dieser in seinem Feld „Flecken“ aufweist und Energie gebrauchen könnte.

Nach diesem Wochenende veränderte sich mein Leben auf radikale, heilsame Weise, ohne dass ich irgendetwas tun oder weiterhin grübeln musste. Dazu kam ich auch gar nicht mehr, denn ich war absolut damit beschäftigt, auf diesen rasenden Zug aufzuspringen und mich festzuhalten. Ich beobachtete nur noch, wie sich die Dinge fügten.

Angespornt von so viel positiver Energie und mit meiner neuen Lebensfreude im Herzen beschloss ich, zum ersten Mal in meinem Leben alleine Urlaub zu machen und mich selbst zu genießen. Denn auch das war neu: ich hatte plötzlich große Freude daran, mit mir allein zu sein. Wissend, dass ich nie alleine gewesen war oder sein werde. Denn wir alle haben diesen Zugang zu unserer inneren Quelle. Nur sind wir uns dessen oftmals nicht bewusst.

Von nun an fiel mir alles nur noch zu. „Zufällig“ gab es im Reisebüro keinen Platz mehr in Kroatien, wo ich eigentlich hinwollte, sondern nur noch Korfu. Zögernd nahm ich an, denn in Griechenland war ich zuvor noch nie gewesen. Die atemberaubenden „Kleinigkeiten“, die einfach so passierten, muss ich hier aus Platzmangel auslassen. Es war ein einziges riesiges Uhrwerk, das perfekt zusamme spielte. Wie ein Orchester kommt mir mein Leben seither vor, in dem jeder einzelne auf seinen Einsatz wartet und dann einen glänzenden Auftritt darbietet.

Am zweiten Tag auf Korfu, dieser wunderschönen, heilbringenden Insel, war mir absolut klar, dass ich Zuhause war. Ich stand in den Wellen des Meeres, mit “meinem“ Delphin an meiner Seite und nahm unter all meinen Zwiebelschichten mein eigentliches Wesen wahr, meinen Kern. „Das bin ich? Wenn alles von mir abfällt, dann ist dies mein wahres Sein?“ Und ich staunte. Und lachte. Und weinte. Weder konnte ich es mir selbst erklären, noch irgendjemandem sonst. Aber das schöne war, ich hatte auch überhaupt nicht mehr das Gefühl, es erklären zu müssen. Ich war im totalen Vertrauen ins Leben angekommen und dieses hält bis jetzt an! In jener Nacht hatte ich einen Traum von Jesus, den ich hier nicht näher erläutern möchte, da er vielleicht befremdlich anmutet. Dieser Traum machte mir jedoch klar, dass ich mit meiner Quelle rückverbunden war durch die Herzensöffnung der Dolphin-Connection. Ich spürte unglaubliche Dankbarkeit in mir aufsteigen!

An meinem Abreisetag traf ich einen Mann, der mich mit dem folgenden Satz ansprach:“ Du bist die schönste Frau, die ich in meinem Leben bisher gesehen habe, denn Du hast ein inneres Licht, das weit über Dich hinaus strahlt.“ Es war kein Anbändeln, denn wir hatten gar keine Zeit dazu. Ich war am Abreisen und er musste arbeiten. Darum ging es auch nicht. Dieser Satz über mein inneres Licht war das schönste Kompliment, das ich bisher gehört hatte.

Ich flog schweren Herzens nach Hause zurück, wo ich eigentlich noch in einer Beziehung feststeckte, die mir schon lange nicht mehr gut tat. Ich sah mich dort um und wusste, dass auch das zu meiner Vergangenheit gehörte. Allerdings zum ersten Mal ohne großen Schmerz sondern mit einer Dankbarkeit über meine Lernerfolge während dieser Verbindung.

Meine zwei Töchter wären nun noch ein Grund gewesen, dem Ruf nach Korfu nicht zu folgen. Doch auch hier fügte sich alles von selbst, denn meine beiden sehr taffen Nachkommen fragten mich von sich aus, ob ich nicht für längere Zeit nach Korfu wolle, denn sie hatten mich noch nie so glücklich und entspannt erlebt. Sie lebten ohnehin bereits ihr eigenes Leben.

So packte ich innerhalb von zwei Wochen meine Habseligkeiten zusammen, löste meinen Anteil des Haushaltes auf und war schneller als geplant unterwegs mit meinem kleinen Auto nach Italien, um die Fähre nach Korfu zu nehmen. Mein klares Ziel war es, eine Reise zu mir selbst zu machen, Vertrauen in den Fluss des Lebens zu haben. Denn aufgrund meiner Gewalterfahrungen hatte ich nie ein Urvertrauen erworben und ich wusste, dass dies der Stolperstein in meinem Leben war. Je misstrauischer ich war, desto mehr spiegelte mir das Leben genau diese Einstellung. Ich wollte diesen Stolperstein endgültig aus dem Weg räumen und wusste, dass ich das nur ganz mit mir alleine schaffen würde.

Nicht ein einziges Mal gab es Schwierigkeiten. Mit jedem Tag wurde mir gezeigt, dass ich genau auf dem richtigen Weg war und mit jedem Tag war ich glücklicher. Ich hatte absolut keine Ahnung von dieser Insel, sprach die Sprache nicht und kannte niemanden. Und doch wusste ich, ich fuhr nach Hause! Zu mir!

Ich denke gerne an das Wochenende bei Sarah zurück, das mein Leben in den Fluss und mich in die tiefe Liebe des Gewahrseins gebracht hat!! Das alles ist nur wenige Monate her und kommt mir vor wie ein anderes, fernes Leben!

Danke, Sarah! Ich liebe Dich von Herz zu Herz, von Delphin zu Delphin!!!

-Mittlerweile fuhr ich seit gute einer Stunde auf der Autobahn und es wurde langsam hell. Ich fragte mich, ob ich wirklich wusste, was ich hier tat, denn ich war noch nie so weit alleine gefahren. Viele hatten mich dafür bewundert, fanden es mutig, diesen Schritt zu gehen und mir meinen Traum zu erfüllen. Doch ich selbst konnte nicht wirklich sagen, ob es Mut oder all die tiefen Verletzungen waren, was mich antrieb. Denn mit der Hingabe an meine Fähigkeiten hatte ich etwas anderes aufgeben müssen: meine langjährige Partnerschaft und ein materiell sorgenfreies Leben. Nach außen schien mein Leben perfekt zu sein, doch innerlich fühlte ich mich leer. Und so sehr ich auch wusste, dass es richtig gewesen und lange überfällig war, zu gehen, so sehr schmerzte doch der Gedanke, diese Verbindung aufgegeben zu haben. Wie so oft zuvor war ich mir absolut sicher gewesen, den richtigen Partner an meiner Seite zu haben. Doch am Ende waren unsere Träume nicht die gleichen und ein Jahr zuvor, als mein geliebter Vater dieses Leben verlassen musste und ich wahrhaftig dachte, ich würde es nicht überstehen, war mir klar geworden, dass dieser Mann an meiner Seite nicht durch die dunklen Tage des Lebens mit mir gehen würde. Wieder einmal war ich auf mich allein gestellt. Doch gerade diese Tatsache führte letztendlich auf dem direkten Weg zur Heilung.

GEBROCHENE HERZEN

„Nicht, was wir erleben, sondern wie wir empfinden, was wir erleben, macht unser Schicksal aus.“

(Marie von Ebner-Eschenbach)

Es gab viele dunkle Tage in meinem Leben, doch der, an dem mein Vater starb, riss mich in einen schwarzen Abgrund, aus dem ich lange kein Entkommen sah. Ich habe viele Therapien gemacht, um die Erlebnisse meiner Kindheit besser zu verstehen und ein einigermaßen normales Leben führen zu können. (Obgleich ich heute weiß, dass der Begriff „normal“ so dehnbar wie ein Gummiband ist.) Nun war ich jedoch der festen Überzeugung, mich emotional von meinem Vater abgelöst zu haben, da er seine Rolle niemals wirklich hatte einnehmen können. Wie weit ich hiermit danebenlag, erfuhr ich in den letzten Tagen seines Lebens.

Seine Odyssee dauerte, Gott sei Dank, nur einige Wochen und begann mit einer vermeintlichen Bauchspeicheldrüsenentzündung, die sich per Zufallsbefund als Krebserkrankung herausstellte, die bereits viele seiner Organe befallen hatte. Nach außen jedoch schien mein Vater kerngesund und stark wie immer. Es fiel mir und auch den Ärzten schwer zu glauben, dass er derart krank und dem Tode geweiht war. Denn eine Operation kam nicht infrage, da er ein Jahr zuvor nach einem Herzstillstand einen Defillibrator eingesetzt bekommen hatte, der sein Herz per Stromschlag wieder in Gang setzte, wenn es noch einmal stehen blieb.

Als ich ihn nun zu Ärzten, Untersuchungen und Krankenhausaufenthalten begleitete, beobachtete ich ihn oft still, wenn er schlief oder tagträumte. Er schien so unendlich traurig und diese Traurigkeit ergriff auch mein Herz. Er war 65 Jahre alt und einfach zu jung zum Sterben. Und ich wollte ihn nicht verlieren. Nie hatte ich die Hoffnung aufgegeben, noch irgendwann die Beziehung zu ihm aufbauen zu können, nach dem ich mich mein Leben lang gesehnt hatte. Ich liebte meinen Vater so sehr, dass es immer wehgetan hatte. Heute weiß ich, dass ich eine Mutterrolle eingenommen und immer versucht hatte, ihn zu beschützen. Dabei war ich es gewesen, die so dringend Schutz gebraucht hätte. Doch auch jetzt in seinem Sterbeprozess konnte ich diese Rolle nicht aufgeben, wissend, dass ich mir damit abermals großen Schaden zufügte und meine letzten Energiereserven aufbrauchte. Doch es kam für mich nicht infrage, diesen großen, starken Mann, der im Grund immer ein kleiner Junge geblieben war, allein zu lassen.

Die letzten Wochen meines Vaters waren mit erneuten Streitigkeiten innerhalb der Familie erfüllt. Die Verstrickungen, in denen alle seit Jahrzehnten lebten, kamen einmal mehr mit aller Gewalt an die Oberfläche. Ich versuchte, alles mit dem Abstand zu betrachten, den ich mir Jahre zuvor durch einen Wohnortwechsel verschafft hatte. Jedoch merkte ich sehr deutlich, dass all meine Mauern zusammenbrachen. Eingerissen von den Schmerzen, die ich noch in mir trug und die wie Feuer in mir brannten unter dem drohenden Verlust. So vieles hätte noch geklärt werden müssen zwischen uns. Millionen Fragen brannten in meiner Seele und suchten nach Antworten, die mir nun nie wieder jemand würde geben können.

In den letzten Tagen vor dem Abschied war ich allein. Mein Lebensgefährte machte sich zu einem Urlaub mit Freunden auf, den er nicht absagen wollte, um in meiner Nähe zu sein. Es brach mir beinahe das Herz. Alpträume plagten mich, alte Bilder aus meiner Kindheit, die ich längst vergessen hatte, tauchten Nacht für Nacht auf und ich spürte einen Sog, der mich um Jahre zurück riss. Zurück in die Hilflosigkeit eines Kindes, in das Ausgeliefert sein, in die unerträgliche Angst und Einsamkeit. Ausgerechnet dieser Mann, dem ich mich völlig geöffnet hatte, der all die unaussprechlichen Dinge, die ich erlebt hatte, aus meinem Mund gehört hatte, dieser Mann ließ mich in meinen dunklen Stunden für einen Erlebnisurlaub zurück.

Ich wusste, dies war das Ende unserer Liebe. Und ich wusste auch, dass ich einmal mehr einen Mann gewählt hatte, der mir meine unerlösten Anteile spiegelte. Obgleich ich bei Beginn dieser Beziehung wie ein Luchs darauf geachtet hatte, ob er Ähnlichkeiten zu meinem Vater aufwies, war ich erneut an diesem Punkt angekommen. Denn auch mein Vater hatte mich immer wieder im Stich gelassen. Er hatte weggesehen, war in den Alkohol geflüchtet, als ich täglich unbeschreiblichen Dingen ausgeliefert gewesen war.

Heute weiß ich, dass er nicht anders hatte handeln können. Er war selbst ein Gefangener seiner Kindheit so, wie all die anderen Mitglieder meiner Familie, die bis heute in der Verdrängung leben. Und ebenso verhielt es sich mit meinem Partner. Er war kein Unmensch. Er konnte nur nicht bei mir bleiben. Denn mein Schmerz, den ich erlebte, kratzte an seinem eigenen, den er nicht ansehen wollte. All diese Erkenntnisse waren zwar hilfreich, trösteten mich jedoch in keinster Weise darüber hinweg, dass ich wieder allein war. Im Gegenteil, ich verfluchte in diesen Tagen das Verständnis, dass ich allem und jedem versuchte entgegenzubringen. Ich verspürte den starken Wunsch, einfach blind zu sein und meine Emotionen wild ausleben zu können, zu toben und zu schreien. Doch etwas in mir hielt mich noch davon ab.

Stattdessen kam ich auch noch den Pflichten der Patientenverfügungen nach, die mein Vater auf mich übertragen hatte. Ich war vollkommen überfordert. Dann, an einem Sonntagmorgen, kam der Anruf. Mein Vater war im Krankenhaus mit einem erneuten Herzstillstand nach einer Chemotherapie. Der Arzt versicherte mir, dass mein Vater die Nacht nicht überleben würde und riet dazu, die Familie zum Abschied nehmen herzubestellen. Ich war wie betäubt, als ich ihn am Beatmungsgerät erblickte. Ich war noch nicht so weit. Und doch wusste ich, dass ich ihn gehen lassen musste. Nach und nach versammelte sich die Familie an seinem Bett. Da saßen sie nun. Opfer und Täter, ging es mir durch den Kopf. Heuchlerisch kamen sie mir vor, jedoch mahnte mich eine innere Stimme zur Vernunft. Ihre Trauer war echt! Mit vielen von ihnen hatte ich lange nicht gesprochen und die Situation war irreal. Meine Großmutter weinte laut und wiederholte stets den einen Satz:“Verlass mich nicht, du darfst mich nicht verlassen. Was soll ich ohne dich denn machen?“ Mein Vater war ihr Liebling gewesen und mit einer Mischung aus Liebe und Abscheu sah ich sie an. Dass er hier lag, so jung und mit gebrochenem Herzen, daran hatte auch sie ihren Anteil!

-Tränen rannen mir über das Gesicht bei der Erinnerung an das langsame Sterben meines Vaters. Er fehlte mir so sehr. Oft hatte ich das Gefühl, diese Trauer würde niemals enden. Mittlerweile bewegte ich mich seit mehreren hundert Kilometern Richtung Süden. Ich weinte laut und hemmungslos all meine Trauer heraus, die sich hier gerade so unverhofft zeigte. Ich wollte sie nicht mehr in mir haben, wollte mich an den wenigen schönen Erinnerungen mit meinem Vater festhalten. Doch das Ventil war geöffnet und ich steuerte die nächste Raststätte an, außerstande, umsichtig weiterzufahren. Dort suchte ich mir einen ruhigen Platz und ließ die Bilder hochkommen, die von innen so sehr drückten! Ich war bereit, noch einmal all den Schmerz zu fühlen, ihn anzunehmen und hoffte, ihn dann gehen lassen zu können!-

Eigentlich liebte ich meine Großmutter. Als ich klein war, hatte sie manchmal tolle Buden mit mir gebaut, in den wir dann lagen, während sie mir vorlas und ich selbstgebackene Plätzchen vertilgte. In diesen Stunden gab es einen Hauch von Normalität in einer Familientragödie, deren ganzes Ausmaß ich erst vor wenigen Jahren begriff.

Von klein auf hörte und sah ich Dinge, die ich nicht weder verstehen noch glauben konnte. Wie eine wabernde dunkle Wolke lag ein Geheimnis über der Familie, das jeder mit ganzer Kraft zu wahren versuchte. Ich kann mich gut an merkwürdige Verhaltensweisen meines Vaters und seiner Schwestern und meiner Großeltern erinnern, die ich feinfühlig aufnahm, als ich noch nicht einmal über den Tisch sehen konnte. Sie machten mir bereits damals das Herz schwer und die einzige, die hin und wieder darüber sprach, war meine Mutter. Doch für die Dinge, die sie mir erzählte, war ich noch viel zu jung und mit den Jahren wurde es paradox, da sie ähnliche Dinge tat wie die, die sie meinen Großeltern vorwarf.

Ebenso schizophren erschien es mir lange Zeit, dass mich meine Eltern überhaupt zu diesen Menschen ließen. Alle wussten, dass mein Großvater ein Monster mit abnormen Neigungen war. Jeder hasste ihn. Nach seinem Tod hörte ich von meinem Vater und seinen beiden Schwestern dieselben Worte: „Endlich ist das Schwein tot“! Und mich ließen sie in aller Regelmäßigkeit allein dorthin. Eine Erklärung habe ich dafür nicht bekommen. Die erhielt ich Jahre später in einer meiner Therapiesitzungen: Verdrängung! Und tatsächlich habe ich nicht anders gehandelt, nachdem ich mich in der Reihe der Opfer dieses Mannes wiederfand: die Flüster-und Verdrängungsmethode meiner Familie griff auch bei mir. Ich tat, als wäre nichts geschehen. Wem aber hätte ich mich auch anvertrauen können? Schon damals fühlte ich mich meinem Vater gegenüber in der Beschützerrolle und wusste, es hätte ihn zu sehr verletzt, wenn ich mit der Wahrheit herausgerückt wäre. Jahre später fragte ich ihn einmal, ob er gewusst hätte, dass auch ich meinem Großvater in die Hände gefallen war. Denn in meiner Erinnerung hatte ich mitten in der Nacht meine Eltern aus einer Telefonzelle angerufen, nachdem ich aus der Wohnung meiner Großeltern geflüchtet war und diese kamen, um mich abzuholen. Doch er sagte, er könne sich daran nicht erinnern.

Eine lange Zeit war ich wütend auf meine Familie, weil sie mich nicht beschützt hatte. Heute weiß ich, wie sehr sie selbst gelitten haben und kann verstehen, dass sie ihre eigenen Wunden nicht wieder aufreißen lassen wollten. Doch zu diesem Verständnis war es ein langer und beschwerlicher Weg.

Auch meinem Großvater habe ich heute vergeben. Seine Wunden hat er aus dem Krieg mitgebracht, innen ebenso wie außen. Nie hat er darüber gesprochen, war er erlebt und gesehen hat. Nur einmal berichtete er meiner Großmutter über die Vergewaltigungen an Frauen im Gefangenenlager nach Kriegsende. Als sie mir dies nach dem Tod meines Vaters erzählte, schlug mir der nächste Widerspruch ins Gesicht. Denn mein Großvater hatte sich seit seiner Rückkehr aus dem Krieg einen Namen als Zuhälter gemacht. Zum Verkauf stand meine Großmutter!

Über die Jahre hatte ich meine Puzzleteile zusammengesucht. Immer wieder hörte man hier und da Hinweise auf die traurige Wahrheit. So hatten meine Großeltern auch ihr Heimatdorf aufgrund dieser Tatsache verlassen. Denn mein Vater hatte irgendwann in größter Not angefangen, Brände zu legen. Und war dafür in Jugendhaft gegangen. Natürlich war jedem im Dorf damals klar, warum mein Vater sich nicht mehr anders zu helfen gewusst hatte. Und gelinde gesagt waren sie dort einfach nicht mehr erwünscht. Meine Großmutter erzählte mir nach dem Tod meines Vaters, dass sie gewusst habe, wenn er fortging, um Brände zu legen. Verzweifelt hatte sie mich angesehen und mich gefragt, was sie denn hätte machen sollen und immerhin habe sie ihm zu seinem 18. Geburtstag in der Haftanstalt einen Kuchen gebracht. Mein Herz zersprang dabei in tausend Splitter. Sie hatte es gewusst und nichts getan. Mir war vollkommen klar, dass sie in einer Opferrolle gefangen war, so wie alle anderen in dieser Familie auch. Doch ich fühlte so sehr mit meinem Vater, der nicht nur den Gewalttaten seines Vaters hilflos ausgeliefert gewesen, sondern von seiner Mutter immer wieder im Stich gelassen worden war. Denn noch viele Jahre später half er ihr, wenn sie blutüberströmt vor seiner Tür stand oder anrief, weil sie zusammengeschlagen worden war. Und immer wieder ging sie zu diesem Mann zurück. Wie sehr muss mein Vater daran zerbrochen sein!

Leider beendete mein Großvater seine Greueltaten in der neuen Heimat nicht und so bekam ich auch im Außen immer wieder Hiebe bezüglich meiner Herkunft. Der schmerzhafteste davon war ein Satz meiner damaligen Schwiegermutter direkt nach der Trauung vor dem Standesamt: “Na, hoffentlich machst du die Beine nicht so breit wie deine Oma!“ Es traf mich damals wie ein Faustschlag und mein Hochzeitstag, der einer der schönsten Tage meines Lebens werden sollte, fand für mich ein abruptes Ende. Ich schämte mich so sehr und wollte einfach nur, dass all das endlich ein Ende hatte.

-Da saß ich nun auf diesem Rastplatz und all das schien so lange her, so weit weg. Und doch zeigten mir meine Tränen, dass ich diesen Erinnerungen unbewusst einen Platz in meinem Inneren eingeräumt hatte, von wo aus sie konstant meinen Versuch, aus der Opferrolle herauszukommen, boykottiert hatten. Zum ersten Mal war ich nicht mehr wütend darüber, gab mir nicht mehr selbst die Schuld an allem, was vermeintlich in meinem Leben schief gelaufen war. Denn mir wurde klar, dass ich noch weitere Jahre irgendeine Therapie hätte machen können, ohne auch nur einen Zentimeter meinen Kopf aus diesem Sumpf zu bekommen! Ich hatte völlig außer Acht gelassen, dass ich diese Schmerzen einfach nie zugelassen hatte. Nie hatte ich mir erlaubt, diese Bilder anzusehen und wirklich zu beweinen. In mir schrie mein inneres Kind seit Jahren um Erlösung und alles, was ich tat, war, es auf sein Zimmer zu schicken. So, wie meine Familie es mir beigebracht hatte!

Doch jetzt sah ich dieses Kind deutlich vor mir. So klein und dünn. Und so zerbrechlich! Ich nahm es an die Hand und sprach beruhigende Worte. Ich sagte, dass ich es jetzt sehen könnte und es sich ausruhen darf! Die Zeit der Angst war vorbei, die Zeit der Monster ebenso. Jetzt war ich Erwachsen und dieses Kind musste nichts weiter tun, als endlich Kind zu sein!

Erneut kamen mir die Tränen und ich beweinte das kleine Mädchen, das ich einmal gewesen war! Diese Arbeit hatte ich während des letzten Jahres bei einer Psychologin kennengelernt und war so unglaublich wertvoll für mich! Anfangs war ich noch etwas beschämt, mit meinem imaginären Kind zu sprechen. Doch ich merkte schnell, was für eine wunderbare Technik ich hier an die Hand bekommen hatte und so unwirklich kam mir die Kleine gar nicht mehr vor. Im Gegenteil. Immer wieder stellte ich fest, wie lebendig sie in meinem Inneren geblieben war. Mit all ihrer Angst, ihrer Hilflosigkeit und auch ihrer Wut!

Die Emotionen, die ich bei all diesen schrecklichen Erlebnissen vor Jahren empfunden hatte, waren all die Jahre eingesperrt gewesen in meinem Inneren. Zusammen mit dem Kind von damals, das keine Gelegenheit gehabt hatte, diese feststeckende, zerstörerische Energie in Kraft umzuwandeln. Im Gegenteil, durch das Eingesperrt sein hatte ich all die Jahre nur einen Bruchteil meiner Lebensenergie zur Verfügung gehabt. Denn in mir tobte ein Orkan, den ich weder bewusst wahr nahm, noch dauerhaft besänftigen konnte. Er wütete in mir, verschloss mir das Herz, ließ meinen Körper ständig auf Hochtouren laufen und bescherte mir psychische sowie physische Symptome, die mich viele Krankenhausaufenthalte und ärztliche Untersuchungen gekostet hatten, bis irgendwann jemand erkannte, dass ich an den Folgen der traumatischen Ereignisse litt. Ich war überhaupt nicht körperlich krank, mein System versuchte nur, mich auf das Toben in meinem Unterbewusstsein aufmerksam zu machen, damit ich die Tore öffnen und diesen Wirbelsturm freisetzen konnte. Doch bis ich dazu die richtigen Techniken an die Hand bekam, lief ich abermals im Kreis. Diesmal auf der Suche nach einer geeigneten Therapieform. Als ich auch hier bereits kurz vorm Aufgeben war, stellte mir der Himmel diese wundervolle Frau zur Verfügung, die mir half, sehr sorgsam mein Herz zu öffnen und in den Wirbelsturm einzutauchen, um ihm von innen heraus die brachiale Gewalt zu nehmen, mit der er tobte.

Mit ihr machte ich die ersten unbeholfenen, kindlichen Schritte aus dem Dilemma heraus. Sie war die beste Kindergärtnerin für mein inneres Kind, die ich mir hätte wünschen können!

Ich trocknete mir das Gesicht und legte meine Lieblingsmusik ein, bevor ich meinen Wagen wieder auf die Straße brachte. Chris de Burgh-eigentlich hörte ich nie etwas Anderes. Erinnerungen an einen besonderen Abend mit ihm legten sich wie Balsam auf die Bilder der Vergangenheit. Ein Lächeln huschte über mein Gesicht und ich dachte daran, wie oft im Leben mir die richtigen Menschen zur richtigen Zeit begegnet waren! –

CHRIS

„So come with me,

And you will see

The light that shines for eternity,

Be strong and learn to say

The words "I love you!”

(Chris de Burgh: Road to freedom)

Von jeher liebte ich die heilsame Musik dieses irischen Barden und oft genug lag ich verwundet an Leib und Seele auf meinem Bett und lauschte seinen einfühlsamen Texten, die immer eine Botschaft für mich zu enthalten schienen.

Es war ein halbes Jahr bevor mein Vater starb, als Chris in meiner Heimatstadt ein Konzert gab. Damals war ich noch Alleinerziehend und eine Eintrittskarte unerschwinglich. Ich beschloss, außen vor dem Gebäude zumindest leise ein wenig mitzuhören. Auf dem Weg in die Stadt traf ich eine Bekannte, die ein Restaurant besitzt und wir unterhielten uns ein wenig. Ich erzählte ihr von meinem Plan und sie sagte, dass Chris für gewöhnlich nach den Konzerten bei ihnen einkehrte. Diesmal jedoch habe er keinen Tisch reserviert. Ich sagte mir, dass es dann wohl nicht sein sollte und verbrachte noch einige Stunden bis zum Konzert bei einem Kaffee. Nicht lange darauf kam meine Bekannte erneut die kleine Gasse entlang und strahlte freudig. „Schätzchen, rate, wer gerade einen Tisch reserviert hat. Sei um 22.30h dort und setz dich ein wenig entfernt ins Restaurant. Dann hast du zumindest die Gelegenheit, ihn zu sehen.“, sagte sie fröhlich. Ich war aufgeregt wie ein kleines Kind! Ein einziges Mal hatte ich ihn aus der Nähe gesehen und damals kein Wort herausgebracht. Vor Freude hüpfte mein Herz mir fast aus der Brust. Ich schalt mich, nicht zu albern zu sein und fragte mich, was ich mir eigentlich davon versprach, ihn beim Essen zu beobachten? Ich wollte nicht zu den fanatischen Stalkern gehören, dafür war mir dass, was seine Musik mir über die Jahre gegeben hatte, zu wertvoll. Also beschloss ich, ihm einen Brief zu schreiben. Ein Dankeschön für die Heilung, die ich durch seine vertonten Worte immer wieder erhalten hatte. Auch wenn ich nur eine von vielen war und dieser Brief wahrscheinlich im Papierkorb seines Hotelzimmers landete, mir war es ein Anliegen und diesem Bauchgefühl folgte ich.

Von meinem wenigen Geld kaufte ich besonderes Papier und ließ mir viel Zeit, all meine Gefühle auszudrücken. Allein das Niederschreiben dieser vergangenen Momente verlieh mir Flügel. Dann setzte ich mich in das Restaurant meiner Freundin, nachdem ich enttäuscht festgestellt hatte, dass man außerhalb der Konzerthalle nicht einen Ton vernehmen konnte und wartete. Noch immer kam ich mir etwas dämlich vor, wie ein Teenager auf mein Idol zu warten. Doch als ich tatsächlich ein Teenager war, hatte ich dazu schließlich keine Gelegenheit gehabt. Konzerte waren verboten.

„Was soll`s“, dachte ich bei mir, „zu verlieren habe ich schließlich nichts und es wird mich nicht töten, wenn ich mich blamiere.“ Außerdem waren neben mir nur zwei Kellner im gesamten Restaurant, was an der Uhrzeit und dem Wochentag lag. Und die hatten sich bereits über mich kaputtgelacht, weil sie ihn für einen irischen Roland Kaiser hielten.

Dann kam der ersehnte Moment. Zwei große Männer betraten den Raum, musterten mich streng und dann sah ich hinter ihnen Chris. Er sah mich an und lächelte. Das liebevollste Lächeln, dass ich seit langem gesehen hatte. Ich musste mein Glas abstellen, denn meine Hände gehörten plötzlich nicht mehr zu mir. Da saß er nun, wenige Meter entfernt. Der Mann, der Worte für meine Seele geschrieben hatte. Und was tat ich? Na, natürlich blamieren. Wie ein Teenager fing ich unkontrolliert an zu kichern. Ich nahm die Hände vor mein Gesicht, da ich zehnmal mehr Sauerstoff aufnahm, als mir in diesem Moment gut tat.

Bodyguard und Manager traten sogleich in Aktion und forderten mich barsch auf, ruhig zu sein, da Mr. De Burgh privat hier sei und Ruhe wollte. Ich nickte und-kicherte enthemmt weiter. Kontrollverlust de Luxe! Ich entschuldigte mich mehrfach und dies nahm Chris anscheinend zum Anlass, aufzustehen und mit ausgebreiteten Armen auf mich zuzukommen! „Come into my arms“, sagte er und ich hörte nur ein helles Klingeln in meinen Ohren. Das waren entweder die Engel, da sich für mich gerade der Himmel öffnete oder ein Alarmton, der das Ausschalten meines Verstandes ankündigte. Egal. Ich tat, wie mir geheißen und ließ mich auf den blauen Kashmirpullover dieses wunderbaren Mannes sinken. Mein Puls raste wie ein Kolibri und als er mich fragte, was ich denn hier machte, stammelte ich japsend, dass ich ihm nur einen Brief überreichen wollte und dann sofort verschwinden würde. Ich entschuldigte mich für mein Geplapper und Gekicher und schaffte es tatsächlich, den Brief aus meiner Handtasche zu ziehen. Er nahm ihn dankend entgegen und versprach, ihn später zu lesen. Es war mir eigentlich völlig egal. Ich hatte bereits mehr, als ich mir je zu träumen gewagt hätte. Einmal in der Aura dieses Mannes baden hatte mir bereits genug gegeben!

Ich zog mich zurück in den Nebenraum und nahm an der Bar einen Sekt zur Feier des Tages. Die Kellner schmunzelten, weil ich kaum in der Lage war, das Glas zu halten. Es muss ein Bild für die Götter gewesen sein.

Kurz darauf kam eine Frau mit Konzerttickets herein und ließ sich hemmungslos ein Autogramm geben. Ich beschloss daraufhin, dass ich, einmal so nah an der Quelle ja auch eins mitnehmen könnte. Als Erinnerung an meinen Beinahe-Infarkt! So wartete ich ab, bis das Essen vorüber war und lugte vorsichtig um die Ecke, nach einem Autogramm fragend.

„Oh Marina, come over here, I want to talk to you“, antwortete Chris mit einer einladenden Geste. Seine Begleiter erhoben sich und gingen zur Bar. Ich stand da, wie vom Donner gerührt. Ich? Er wollte mit mir sprechen? Er rückte auf der gemütlichen Eckbank ein wenig zur Seite und klopfte auf den freien Platz neben sich. Sprachlos setzte ich mich.

„I want to talk to you about your letter”, sprach er und ich klappte den Mund auf und wieder zu. „My letter“, fragte ich ungläubig, „you read it?“ „Yes, I said I would read it later and now was later!“, antwortete er amüsiert. “Please tell me, what happened in you childhood?”

Ich verstand erst nicht, auf was er hinauswollte und mir war nach Feiern zumute und nicht nach traurigen Geschichten. Doch er ließ sich nicht beirren und ich erzählte ein paar unwesentliche Geschehnisse. Er hielt meine Hand und sah mir fest in die Augen, als er direkt mit einigen Mutmaßungen ins Schwarze traf. Er war wirklich an meiner Geschichte interessiert und plötzlich veränderte sich etwas an diesem Tisch. Ich wurde vollkommen ruhig, war kein Fan mehr, der mit seinem Star hier saß.

Hier waren zwei Seelen, mit ähnlicher Biografie, die sich vielleicht genau für diesen Moment verabredet hatten, um einander zu erkennen und in diesem Fall mir eine Kraft zu geben, die eine entscheidende Wende in der Beziehung zu meinem Vater darstellen sollte. Aus Respekt vor Chris und auch, um mir den Kern des Gesprächs heilig zu halten, verzichte ich bewusst auf Details, die heischend wirken würden. Mir offenbarte sich hier ein Mensch, der deshalb mit seiner Musik so sehr mein Herz berührt und geheilt hatte, weil wir in Resonanz waren.

Als mir dies bewusst wurde, erfüllte eine Ruhe mein Inneres, die ich lange nicht erlebt hatte und ich dankte dem Himmel für dieses Wunder, das mir heute zuteil geworden war. Die Umstände und Fügungen ließen keine andere Sicht zu als die auf ein großes Ganzes, das uns lenkt und führt.

Chris riet mir, alles aufzuschreiben, um es aus mir herauszubekommen und erzählte mir von den Hintergründen einiger seiner biographischen Lieder. Und er berichtete mir von einem Erlebnis, das ich mir als Beispiel für etwas nahm, dass ich schon seit Jahren hatte tun wollen und kurz darauf in die Tat umsetzte: meinem Vater sagen, dass ich ihn liebte. Und zwar, ohne etwas zurück zu erwarten oder ohne mir dumm vorzukommen, weil Gefühle in unserer Familie nie erwünscht waren.

Nachdem wir eine Weile gesprochen hatten umarmte mich Chris noch einmal und dann kamen seine Begleiter und die Kellner zum Tisch. Zusammen tranken wir noch etwas, bevor ich mich herzlich bedankte und verabschiedete. Ich hatte so viel gewonnen an diesem Abend, es erfüllte jede meiner Zellen mit purer Liebe zum Schöpfer und dem gesamten Universum! Was für eine wundervolle Seele war dieser Mann und wie dankbar war ich dafür, dass er mir einen Einblick darin gewährt hatte!

Als wir uns zum Abschied umarmten, flüsterte er mir auch seinen Dank für meine Geschichte zu und bat mich, auf mich Acht zu geben! Ich spürte, dass er jedes Wort genau so meinte!

Zwei Wochen darauf besuchte ich meinen Vater und wir hatten ausnahmsweise einige Stunden für uns alleine. Ich dachte an Chris` Worte und das, was ich mir vorgenommen hatte. Es kostete mich noch einige Überwindung, doch ich wollte diesen wertvollen Wink des Himmels nicht ungenutzt verstreichen lassen.

Wir plauderten über die üblichen Dinge und dann fragte ich meinen Vater, ob er mir über einige Familiengeheimnisse Auskunft geben würde. Zum Beispiel seine Brandstiftung und den Aufenthalt in der Jugendhaftanstalt. Ich hatte schon früher danach gefragt, doch er war immer ausgewichen. Ich wusste, er erlaubte sich nicht, emotional zu werden. Doch ich hatte diese dringende Bitte, einmal seine Seite der Geschehnisse zu hören. Mit ihm über mein eigenes Erleben zu sprechen. Diesmal wich er nicht aus. Ich sah, wie schwer es ihm fiel, doch er berichtete über all das Schreckliche, dass ich bisher nur ansatzweise von Fremden gehört hatte.

Wie sehr er gelitten hatte unter seinem Vater und den Dingen, die dieser der gesamten Familie angetan hatte. Von der Brutalität und Gefühlskälte, in der er aufgewachsen war. Und von der Hilflosigkeit, der er sich ausgesetzt fühlte. Wir sprachen, wie niemals zuvor und ich stellte mit Erstaunen fest, dass mein Vater viele Zusammenhänge ganz klar erkannte. Die Ignoranz, die ich immer empfunden hatte, war nur ein Schutz gewesen. Er konnte sich nicht damit auseinandersetzen, sagte er mir, da er keinen Weg zur Heilung gesehen hatte. Traurig und beschämt sagte er mir, dass er die Jahre bereute, in denen er seine Angst im Alkohol ertränkt und mich im Stich gelassen hatte. Dass er sich von meiner Mutter hätte trennen müssen, er aber einfach nicht die Kraft dazu hatte aufbringen können. Er habe in einer Art Nebel gelebt, erklärte er, und erst sein schwerer Herzinfarkt nach dem gewaltsamen Tod meiner Mutter, habe ihm die Augen geöffnet.

„Es ist für mich zu spät, ich weiß, dass ich nicht alt werde“, war der Satz von ihm, der mich bis ins Mark erschütterte. Er hatte zu diesem Zeitpunkt bereits einen eingesetzten Defilibrator, doch die Ärzte versicherten ihm immer wieder, dass er damit noch sehr lange leben könnte. Heute weiß ich, dass er zu diesem Zeitpunkt, ein halbes Jahr vor seinem Tod, bereits sehr genau spürte, was auf ihn zukam. Doch in dem Moment tat ich es ab und bat ihn, bei mir zu bleiben.

„Papa, du kannst mit dem Gerät hundert werden. Bitte gib dich nicht auf“, antwortete ich bereits mit Tränen in den Augen. Er sah mich traurig an. Ich begann zu weinen und wagte endlich die Frage zu stellen, die mir seit meiner Kindheit auf der Seele lag: “Wenn du wirklich einmal gehen musst, dann bitte, sag mir, ob du mich liebst. Lass mich nicht so zurück wie Mama, mit all den unbeantworteten Fragen und all dem Hass.“ Ich brachte die Worte nur stockend heraus. Mein Vater sagte nichts, sondern saß mit zusammengefalteten Händen neben mir und starrte in die Ferne. Dann, sehr leise, kam die Antwort: “Du weißt doch, dass ich das nicht sagen kann. Ich hab es nie gelernt. Es geht einfach nicht.“ Ich schluckte schwer, doch ich fühlte auch genau, dass es für ihn ebenso schwierig war, dieses Gespräch zu führen. „Glaubst du, dass Mama mich geliebt hat“, fragte ich immer noch weinend. Er sah mir fest in die Augen als er traurig antwortete: “Ich weiß es nicht. Vielleicht hat sie dich nie wirklich geliebt. Aber es lag nicht an dir. Sie hat niemanden wirklich geliebt und ich hätte dich vor ihr beschützen müssen. Doch was geschehen ist, ist geschehen.“