Planet der Algorithmen - Sebastian Stiller - E-Book

Planet der Algorithmen E-Book

Sebastian Stiller

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Beschreibung

Algorithmen: Die wichtigste Denkweise unserer Zeit unterhaltsam erklärt.

Ob Suchmaschine, Navigationssystem, Datensicherheit, Online-Dating oder Studienplatzvergabe – Algorithmen sind überall. Sie zu verstehen, ist wichtiger denn je. Mit diesem Buch kann das sogar Spaß machen. Denn Sebastian Stiller zeigt den Planeten der Algorithmen, wie wir ihn noch nie gesehen haben: jenseits von Hype und Panik, überraschend und glasklar.

Das Buch versteht sich als Reiseführer, vom Experten für die Allgemeinheit geschrieben. Schließlich gehört der Autor, ein angewandter Mathematiker, zu den Einheimischen auf dem Planeten der Algorithmen. Am Anreisetag der 7-tägigen Tour erleben wir, wie nahe uns der Planet der Algorithmen liegt, ganz egal, ob wir ein Smartphone benutzen oder noch Telefonbücher wälzen. Am 2.Tag nehmen wir uns Zeit für eine schlichte Frage: Was ist ein Algorithmus? Am 3. Tag erleben wir, wie real Komplexität auf unserem Planeten ist. Am 4.Tag erlernen wir ein paar einfache Techniken, um auf die Jagd nach Informationen zu gehen. Für den 5. Tag ist klassisches Touristenprogramm vorgesehen, unter anderem die berühmten kalifornischen Suchmaschinen. Am 6.Tag erkunden wir, wie Algorithmen menschliches Zusammenleben gestalten, und am Abreisetag machen wir die Bekanntschaft von vier alten Meistern des algorithmischen Denkens. Los geht’s !

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Seitenzahl: 268

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Das Buch

Ob Suchmaschine, Navigationssystem, Datensicherheit, Online-Dating oder Studienplatzvergabe – Algorithmen sind überall. Sie zu verstehen, ist wichtiger denn je. Mit diesem Buch kann das sogar Spaß machen. Denn Sebastian Stiller zeigt den Planeten der Algorithmen, wie wir ihn noch nie gesehen haben: jenseits von Hype und Panik, überraschend und glasklar.

Der Autor

Sebastian Stiller, 1974 in Erlangen geboren, ist angewandter Mathematiker. Er entwirft und analysiert Algorithmen. In Erlangen und Leuven studierte er Mathematik und Philosophie. Später forschte er an der TU Berlin und am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Seit 2015 ist er Professor für Mathematik an der TU Braunschweig.

Weitere Informationen zu unserem Programm unter www.knaus-verlag.de

Sebastian Stiller

Planet derAlgorithmen

Ein Reiseführer

Knaus

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1. Auflage

Copyright © der Originalausgabe 2015

beim Albrecht Knaus Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Redaktion und Illustrationen:

Meiken Endruweit, www.stapel-lauf.de

Umschlaggestaltung: Favoritbuero, München

Umschlagillustration: © Nadja Schaetz

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-16793-6

www.knaus-verlag.de

Für Gabi

Inhalt

Ein Reiseführer

1. Der Planet

Ganz in unserer Nähe, ob mit Smartphone oder Telefonbuch

2. Was ist das überhaupt: Ein Algorithmus?

Kleine Schritte, große Vielfalt

3. Wissenswertes über die algorithmische Schwerkraft

Komplexität als Grenze des Schlussfolgerns

4. Westlich der Gravitation

Auf der Jagd nach Informationen

5. Das Wunderland

Kalifornische Suchmaschinen muss man gesehen haben

6. Wege ins Gleichgewicht

Über die Vielfalt des Zusammenlebens

7. Das neue Sehen

Die alten Meister des algorithmischen Denkens

Wieder zu Hause

Wo es am schönsten ist

Danke!

Private Touren

Literaturangaben

Ein Reiseführer

Algorithmen sind Kunstwerke der Faulheit. Sie kommen in den verschiedensten Formen vor: kleine geniale oder aufwendige von imposanter Größe. Leise, die von einem auf den ersten Blick nicht sichtbaren Geistesblitz belebt sind, oder bahnbrechende, revolutionär anders gedachte. Methodisch überwältigend anspruchsvolle, die auf den Schultern von Giganten stehen, oder schlichte, die derart wohlgefügt sind, dass man sich nicht vorstellen kann, jemals wieder anders zu denken. Es gibt Auftragskunst und Algorithmen um ihrer selbst willen. Es gibt Schulen und Stile, Geschmack und Kriterien. Es gibt epochale Meisterwerke und brauchbare Produkte fleißigen Epigonentums.

Sie alle werden von Menschen geschaffen – von Menschen, die Kreativität, Bildung und unzählige Nächte auf ihre Vervollkommnung verwenden. Gerade jene Algorithmen, die kurz, schlicht und mit entwaffnender Selbstverständlichkeit auftreten, sind wie Gedichte: konsequent und kunstfertig reduziert, um perfekt zu sein.

Die Verbreitung von Rechnern hat diese Kunst der Faulheit zum Leuchten gebracht und sie eine respektable volkswirtschaftliche Wirkung entfalten lassen. Aber Algorithmen brauchen keine Computer. Der Mensch kennt Algorithmen spätestens, seit er rechnen kann. Algorithmisch zu denken heißt, darüber nachzudenken, wie man denkt. Ein Algorithmus ist ein Teil unseres Denkens, den wir so gut verstanden haben, dass wir ihn getrost auslagern können. Wir lassen denken. Dafür sind dann die Computer gut.

Unser Bild vom Planeten der Algorithmen ist ein anderes. Algorithmen haben einen schlechten Ruf. Man nennt sie in einem Atemzug mit Gleichmacherei, Großkonzernen, Bespitzelung und Bedrohung. Erschreckender als die Vorwürfe der einen ist nur das Lob der anderen, als sei Algorithmik eine Alchimie unserer Zeit, die Wissen aus dem Nichts erschafft. Und überall geht man stillschweigend davon aus, dass jeder weiß, was das eigentlich ist, ein Algorithmus. Die öffentliche Diskussion über den Planeten der Algorithmen ist verstörend. Vor allem für jene, die den Planeten mit eigenen Augen gesehen haben.

Irgendwann ist es Zeit, zu verstehen, dass Mallorquiner keine Sangria aus Eimern trinken. Dann faltet man das Strandhandtuch fein säuberlich zusammen, greift zum Reiseführer und macht sich auf ins Hinterland. Dieses Buch ist so ein Reiseführer. Er richtet sich an alle, die etwas mehr über den Planeten der Algorithmen erfahren möchten, ohne dort für immer leben zu wollen. Es ist eine Einladung, den Planeten aus der Perspektive eines Einheimischen zu erkunden. Diese Perspektive ist weder unparteiisch noch unkritisch – und auch nicht unumstritten.

Wer auf dem Planeten zu Hause ist, sorgt und streitet sich wie andere auch um Datensicherheit und das Verhältnis zwischen uns Menschen und unseren Algorithmen. Die Meinung dazu ist unter den Einheimischen keinesfalls einhellig. Aber die Diskussionen sind erhellender, wenn man ein bisschen Hinterland gesehen hat. Dafür braucht es nicht viel. Die mathematischen Klettertouren in diesem Buch lassen sich allesamt in Strandlatschen bewältigen. Das reicht, um mit einer Menge Klischees aufzuräumen und zu den Quellen der Ströme und Ideen vorzustoßen, die heute Schlagzeilen machen.

Unsere Tour

Dieses Buch beschreibt eine siebentägige Reise über den Planeten. Es geht um ein paar Dinge, die auf dem Planeten wirklich wichtig sind, die zu Hause aber niemand kennt. Es geht auch um die großen Sehenswürdigkeiten, von denen zu Hause alle fabulieren. Und es wird ein paar Dinge zu sehen geben, die man weder im Hochglanzkatalog noch in den Horrormeldungen liest.

Die meisten Touristen sind schon am Anreisetag überrascht, wie nahe uns der Planet der Algorithmen liegt – ganz egal, ob man ein Smartphone benutzt oder noch Telefonbücher wälzt.

Am zweiten Tag nehmen wir uns Zeit für eine schlichte Frage: Was ist ein Algorithmus? Es besteht nämlich Grund zur Annahme, dass manche dieses Wort verwenden, ohne seine Bedeutung zu kennen. {Ich will nichts unterstellen, aber die Definition ist auch für Einheimische nicht ohne.}

Alle reden von Algorithmen, wenige von Komplexität. Dabei ist Komplexität für Algorithmen wie die Schwerkraft. Wer sich auf dem Planeten der Algorithmen bewegen will, muss lernen, sie zu respektieren. Am dritten Reisetag erleben wir, wie real Komplexität jeden Tag auf unserem Planeten ist.

Der vierte Tag gehört der unbekannten Schönheit des Planeten abseits der großen Sehenswürdigkeiten. Wir tauchen ein in das alltägliche Leben mit Algorithmen. Wir erlernen ein paar einfache, traditionelle Techniken, um auf die Jagd nach Information zu gehen. Und wir sehen, wie die Einheimischen der Schwerkraft trotzen – bei alltäglichen Dingen wie dem Packen eines Rucksacks.

Am fünften Tag machen wir klassisches Touristenprogramm, unter anderem die berühmten kalifornischen Suchmaschinen. Wir gehen aber nicht über den Touristenpfad, sondern nehmen die alte, fast vergessene Route, auf der diese Region zuerst entdeckt wurde. Als Belohnung für die Wanderung steht das Wunder der Suchmaschinen dann kristallklar vor uns.

Aus der Ferne erscheint der Planet für viele als eine Welt der Technik. Seit Langem eröffnen Algorithmen auch Möglichkeiten, um unser menschliches Zusammenleben gleichberechtigt zu gestalten. Am sechsten und vorletzten Tag unserer Reise erkunden wir solche Wege ins Gleichgewicht.

Am Abreisetag treffen wir uns noch schnell mit vier alten Meistern des algorithmischen Denkens. In ihren Augen sind Algorithmen in der Natur und unserer Gesellschaft am Werk. Daraus gewinnen sie eine neue Sicht auf unsere Welt – vom Zeichnen eines Baums bis zur Evolutionstheorie.

Wer noch ein paar Tage mehr Urlaub hat, findet am Ende dieses Reiseführers Tipps, um noch ein wenig allein über den Planeten zu streifen.

1. Der Planet

Ganz in unserer Nähe, ob mit Smartphone oder Telefonbuch

Anreise über die Luftbrücke

Er hatte noch keinen Nobelpreis. Die Bundesregierung lehnte es noch ab, ihn am Brandenburger Tor sprechen zu lassen. Dennoch kamen am 24. Juni 2008 über 200 000 Berliner auf die Straße des 17. Juni. Sie blickten nach Westen zum Rednerpult unter der Siegessäule. Die Bühne war leicht aus der Ost-West-Achse herausgedreht, so dass der warme Glanz der Abendsonne Barack Obamas linke Gesichtshälfte ausleuchtete. Hollywood hätte es nicht besser inszenieren können.

Obamas Rhetorik glänzte ebenfalls. Er hatte Zeit und Ort der einzigen Auslandsrede seiner Kandidatur bewusst gewählt. 60 Jahre nach dem Beginn der Berliner Luftbrücke berief sich Obama in seiner Rede auf ihren Geist. Auf ein Denken, durch das im Sommer 1948 Hilfsflugzeuge am Himmel über dieser Stadt erschienen und die Bevölkerung mit dem Nötigsten versorgten. Es sei an der Zeit, so Obama, dieses Denken wieder zu beleben und neue Brücken zu bauen. Brücken über den Atlantik und Brücken, die den ganzen Planeten umspannen. Das Berliner Publikum hörte es gern, aber bewahrte eine erfahrungsgesättigte Zurückhaltung, einem Politiker nicht auf offener Straße zuzujubeln.

Warum sind so viele Menschen zu Obamas Rede gekommen? {Einen perfekten Sommerabend kann man in Berlin anders verbringen.} In den Worten der Nobelpreiskomitees: Obama schaffte es, »den Menschen die Hoffnung auf eine bessere Zukunft zu geben«. Die wenigsten kamen wegen des hoffnungsvollen Präsidentschaftskandidaten. Die Menschen kamen um die Hoffnung eines ganzen Planeten zu hören:

Now is the time to build new bridges across the globe […]. Now is the time to join together, through constant cooperation, strong institutions, shared sacrifice, and a global commitment to progress, to meet the challenges of the 21st century. It was this spirit that led airlift planes to appear in the sky above our heads, and people to assemble where we stand today.

Für einen kurzen Moment erschien dieses Denken nicht als Naivität, sondern als unsere Verantwortung. Vielleicht wird es einen Planeten mit solchen Brücken, mit dieser Zusammenarbeit, mit derartigen Institutionen und gemeinsamen Anstrengungen oder auch nur gemeinsamen Zielen niemals geben. Aber wenn ein solcher Planet jemals auch nur in Teilen Realität sein wird, dann wird es ein Planet der Algorithmen sein.

Die Luftbrücke entsprang politischer Entschlossenheit und strategischem Augenmaß. Beides Dinge, für die Algorithmen herzlich ungeeignet sind. Aber schon nach wenigen Wochen stieß die Entschlossenheit auf Probleme. Es galt, mehr als zwei Millionen Menschen über mehr als 400 Tage hinweg mit insgesamt über zwei Millionen Tonnen Gütern zu versorgen, ein Großteil davon war Kohle. Der Wille war groß, aber die Mittel knapp. Keinen Tag durfte die Brücke zusammenbrechen. Hunderte von Flugzeugen brauchten Wartung, die Crews Auszeiten. Neue Piloten mussten geschult, die Mengen der Hilfsgüter bestimmt und diese Güter zu den Flughäfen gebracht werden. Die Aufgabe war nur zu bewältigen, indem man den Einsatz der vorhandenen Ressourcen hervorragend plante. Es ging nicht nur um mehr Flugzeuge oder mehr Personal. Es ging darum, bessere Entscheidungen zu treffen. Die Alliierten erkannten, dass ihre Planungsfähigkeit an eine Grenze kam. {Erst gut 20 Jahre später würde man einen klaren Begriff davon haben, dass dies eine der mächtigsten Grenzen des menschlichen Denkens ist.}

Der Mathematiker George Dantzig arbeitete damals für die US-Luftwaffe. Dort entwickelte er ein Verfahren namens Simplex-Algorithmus. Unter Freunden einfach: Simplex. In einem Artikel der Fachzeitschrift Econometrica von 1949 zeigte Dantzig, dass Planungsprobleme wie die der Luftbrücke in vereinfachter Form durch den Simplex gelöst werden können.

Heute gehört der Simplex-Algorithmus weltweit zum Standardstoff für Studenten der Mathematik und Informatik. {Wenn man Glück hat, auch der Wirtschafts- und mancher Ingenieurswissenschaften.} Der Simplex löst sogenannte lineare Programme. Darüber hinaus ist er der wichtigste Baustein für die Lösung der schwierigeren, sogenannten ganzzahligen linearen Programme. Der Ausdruck »Programm« ist dabei irreführend. Es handelt sich nicht um Computerprogramme, sondern um Typen mathematischer Probleme – ähnlich wie Gleichungssysteme. Lineare Programme und ganzzahlige lineare Programme haben sehr vielfältige Anwendungen. Mit dem Simplex und seinen Abkömmlingen kann man Logistiknetze koordinieren, Schweißroboter von Umwegen abbringen, Fahr- und Flugpläne verbessern, Energienetze planen, Bauteile optimieren, Kofferräume packen, Genomsequenzierung beschleunigen, Arbitrage erkennen … die Liste aller Anwendungen würde ein ganzes Buch füllen. Aber all diese Anwendungen zusammen machen nur einen kleinen Teil dessen aus, was heute algorithmisch geplant, konstruiert, entschieden oder gesteuert wird.

Algorithmen und Computer

Algorithmen gab es lange, bevor es Computer gab. Noch der Simplex wurde in seinen ersten Anwendungen nicht von Computern ausgeführt, sondern verschlang Hunderte stumpfsinnige Arbeitsstunden von Buchhaltern. Das große Aufblühen der Algorithmen und die Entwicklung von Rechnern fanden dennoch nicht zufällig gleichzeitig statt. Ein Algorithmus besteht aus einfachen Schritten. Seine Kraft entfaltet er, wenn viele, sehr viele davon nacheinander ausgeführt werden. Viele einfache Schritte auszuführen ist das Handwerk eines Rechners. Dantzig gehörte zu den Pionieren des Zusammenspiels von Rechner und Algorithmus. Anfang der 1950er Jahre arbeitete er bei RAND. Diese Denkfabrik hatte einen der unglaublich teuren ersten Lochkartenrechner. Als Dantzigs Arzt ihm riet, Diät zu halten, fütterte er den Dienstrechner mit Hunderten Lochkarten über Nahrungsmittel und den Empfehlungen des Arztes und ließ den Simplex seine persönliche Diät berechnen. Geldwerter Vorteil, wird man sagen, bis man das Ergebnis hört: 200 Brühwürfel am Tag – mit Beilage. {Auf Rückfrage räumte Dantzigs Arzt ein, keine Schranke für Salz angegeben zu haben, weil Menschen für gewöhnlich davon nicht zu viel äßen.}

Von den Tagen der Lochkartenrechner bis heute hat sich die Leistung von Rechnern beeindruckend entwickelt. Etwa alle ein bis zwei Jahre verdoppelt sich die Leistungsfähigkeit eines Prozessors. Diese grobe Beobachtung nennt man das Mooresche Gesetz. Es kann nicht immer so weitergehen. Ganz gleich, wie der Rechner gebaut ist, wenn eine Rechenoperation durchgeführt wird, muss sich irgendetwas in dem Rechner verändern. Was sich verändert, kann kleiner und kleiner werden, aber nicht kleiner als die kleinsten Bauteile der Materie. Spätestens dann ist Schluss. De facto sind wir schon heute vor allem aus thermischen Gründen an der Grenze der Verdopplung angelangt.

Zwei Teams: Algorithmischer Fortschritt.

Der Fortschritt der Leistung von Rechnern lässt sich greifen. Gibt es auch einen Fortschritt der Algorithmen? Oder gibt es nur immer neue Anwendungen? Das Simplex-Verfahren und seine Ableger werden stetig weiterentwickelt. Nehmen wir sie für einen Vergleich. Im Jahr 1990 sollen zwei Teams ein und dasselbe ganzzahlige lineare Programm lösen. Beide Teams dürfen kurz in das Jahr 2014 reisen. Team 1 bringt einen aktuellen Laptop von 2014 mit nach Hause und führt darauf das beste Lösungsverfahren von 1990 aus. Team 2 hat sich das beste Lösungsverfahren aus 2014 mitgebracht und führt es auf seinem alten Rechner von 1990 aus. Team 1 löst das Problem 6500-mal schneller, als man es 1990 ohne Zeitreise hätte lösen können – ungefähr Mooresches Gesetz. Team 2, also das Team mit dem alten Rechner und dem neuen Algorithmus, löst das Problem 870 000-mal schneller. Der algorithmische Fortschritt übertrumpft hier den der Rechenleistung um mehr als das Hundertfache. Anders gesagt, während man mit dem Lösungsverfahren von 2014 nach einer Minute einen Plan für die Luftbrücke bekommt, wird das alte Verfahren erst fertig, wenn die Transitstraßen nach Berlin schon wieder offen sind: Das Computerzeitalter ist ein Zeitalter der Algorithmen.

Die Leistungssteigerung eines besseren Algorithmus kommt buchstäblich aus dem Nichts. Sie verbraucht keine zusätzlichen Ressourcen wie mehr Energie oder ausgefallene Werkstoffe. Sie entsteht einfach, weil wir weniger umständlich nach der Lösung suchen, weil wir sehen, wie es einfacher geht.

Es ist die Kunst der Faulheit. Faul sein möchten viele. Aber Gelegenheitsfaulheit erzeugt am Ende oft mehr Aufwand. Im großen Stil faul zu sein erfordert Wissen, Geistesschärfe und die Entschlossenheit, im entscheidenden Moment keine Mühen zu scheuen. Ein Algorithmus glänzt, weil er die ihm gestellte Aufgabe mit makelloser Faulheit erfüllt.

Die Blütezeit des Planeten

Algorithmisches Denken genießt im Augenblick besondere Aufmerksamkeit, weil Möglichkeiten und Herausforderungen unserer Tage ihm entgegenkommen. Die Verbreitung von Rechnern, der Zugang zum Internet und nicht zuletzt die Verfügbarkeit guter und einfach zu nutzender Programmiersprachen verleihen algorithmischen Ideen einen großen Hebel. Gleichzeitig wächst der Bedarf für algorithmische Lösungen. Die Planungsprobleme der Luftbrücke waren ein Vorgeschmack. Heute gilt es, Ressourcen sinnvoll zu nutzen, Metropolen vor dem Verkehrsinfarkt zu retten, globale Kommunikation und weltweites Reisen zu organisieren, Wissen zugänglich zu machen, Epidemien einzudämmen, Medikamente schneller zu entwickeln, wunschgerechte und immer komplexere Technologien zu beherrschen. Gleichzeitig muss es uns trotz der Größe unserer Gemeinschaft gelingen, auch in heiklen Fragen wie der zuverlässigen Auswahl von Informationen oder der Verteilung knapper Ressourcen wie Wasser oder Spenderorganen fair zusammenzuarbeiten. All das wird uns in der Größenordnung unseres Planeten nur gelingen, wenn wir konsequent die Hilfe von Algorithmen in Anspruch nehmen.

Der wachsende Bedarf an algorithmischen Lösungen hat vor allem zwei Gründe: Vernetzung und Perfektionierung. Die Systeme, mit denen wir leben, werden größer und stärker vernetzt. Das gilt für soziale und wirtschaftliche Systeme genauso wie für technische. Aber gerade von großen Institutionen erwarten wir, dass wichtige Entscheidungen zu Ende gedacht und alle verfügbaren Informationen genutzt werden. Größe kann unmöglich machen, was im Kleinen selbstverständlich erscheint. Ein Chefredakteur kann aus einer kleinen Menge von Beiträgen auswählen. Für eine Themensuche im Internet muss man sich mit Algorithmen behelfen.

Hinzu kommt ein wachsendes Bedürfnis nach Perfektion. Es reicht nicht, dass ein System irgendwie funktioniert, dass ein Auto irgendwie fährt oder eine Handvoll Gewürze irgendwie von einem Kontinent zum anderen gelangen. Die für ein System aufgewandten Ressourcen müssen bestmöglich genutzt werden, die Belastungen sollen weitestgehend reduziert werden und das System selbst soll sich perfekt unseren Erwartungen anpassen. Um diesen Fortschritt zu ermöglichen, wachsen viele Planungs-, Entwicklungs- und Steuerungsproblem zu einer Größe an, die der Mensch im Prinzip versteht, aber nicht mehr im Einzelnen durchgehen kann. Algorithmische Optimierung ist in vielen dieser Fälle der Schlüssel, um die Grundidee zu perfektionieren.

Die Mehrzahl der Gründe für den gesteigerten Bedarf an Algorithmen läuft auf eines hinaus: große Strukturen. Ein Algorithmus kann seine Vorteile ausspielen, wenn das Problem groß wird. Algorithmen sind Expertenwerkzeuge, um der Größe technischer oder wirtschaftlicher Systeme Herr zu werden. Gerade deswegen eignen sie sich auch für Allmachtsfantasien, für Technokraten und für im planetarischen Maßstab denkende Unternehmen. Dazu passt, dass George Dantzig – bevor ihm seine Forschung Professuren in Berkeley und Stanford einbrachte – für das Bureau of Labor Statistics, die Luftwaffe und für RAND, einen Think Tank für das US-Militär, arbeitete. Das ist kein Zufall. Die Vogelperspektive militärischer und staatlicher Planung ist aus der Geistesgeschichte der Algorithmen nicht wegzudenken.

Der Einfluss von Algorithmen beschränkt sich nicht auf technische Details. Algorithmen verändern die Möglichkeiten für Autodesigner, Karosserien, und für Architekten, Gebäude zu entwerfen. Sie prägen Formen, in denen wir leben und durch die unser Geschmack entwickelt wird. Algorithmen definieren das Erscheinungsbild der Trickfilme, die unsere Kinder sehen. Manchmal zeichnen sie damit die Handlung vor. Algorithmen reden mit bei der Organisation unseres Wirtschaftens und der Art, wie wir Musik oder die Meinung anderer wahrnehmen. Wir vertrauen ihnen die Vorauswahl der Familienfotos oder des Films für heute Abend an. Algorithmen verändern die Wissenschaften – eine nach der anderen. Sie entscheiden, gegen wen ein Staat Verdacht schöpft und ein Kaufhaus Hausverbot erlässt. Sehr bald fahren sie unsere Autos. {Und sie haben noch nicht einmal Spaß dabei.}

Hype und Hysterie

Parallel zu ihrer Bedeutung wächst das öffentliche Bild der Algorithmen. Algorithmen scheinen allgegenwärtig, nahezu allmächtig und für normale Menschen nicht zu verstehen zu sein. In der Folge pendelt unsere Wahrnehmung von Algorithmen zwischen Hype und Hysterie.

Algorithmiker tragen mit Wissenschafts- und Technologiemarketing das ihre zu Hype und Hysterie bei. »Künstliche Intelligenz« ist ein unnötig anmaßender Name für eine bestimmte Art von Algorithmen. Am sogenannten autonomen Fahren ist rein gar nichts autonom.{Und das ist auch gut so. Gesetze werden einzig und allein von Menschen gemacht. }

Unsere Haushaltsgeräte: Wir kennen ihre Grenzen.

Die Rede vom »Planeten der Algorithmen« ist Teil des publizistischen Hypes. Wir werden unseren Planeten außerhalb dieses Buches niemals so nennen. So wie wir ihn auch nie »Planet der Chemie« oder »Planet der Maschinen« genannt haben. Dabei wäre er ohne die beiden in wesentlichen Teilen nicht so, wie er heute ist. Er wäre weniger lebenswert. Das Gleiche gilt für den »Planeten der Algorithmen«. Unser Verständnis von Maschinen oder Chemie scheint ein gutes Stück weiter als das von Algorithmen. Die wenigsten von uns gehen mit der Angst schlafen, Staubsauger und Kühlschrank könnten sich über Nacht zusammenrotten, um die Wohnung in die Luft zu jagen.{Kommen Algorithmen ins Spiel, ist man sich nicht mehr so sicher.}

Ein Grund für unseren sorglosen Schlaf in nächster Nähe zu Haushaltsgeräten ist, dass wir so ungefähr wissen, was drin ist. Wir verstehen genug von Naturwissenschaften, um zu wissen, dass Staubsauger weder Pläne schmieden können noch eine nennenswerte Explosionskraft besitzen. Wir kennen ihre Grenzen.

Algorithmen sind besser als wir im Schach und auch im Kickern. {In Paderborn steht ein Roboterkicker, gegen den in der höchsten Stufe noch kein Mensch ein Tor geschossen hat.} Auf der anderen Seite tun sie sich schwer, Zahlen auf Fotos zu lesen oder aus dem Kontext zu schließen. {Und Roboterfußball ist wirklich jämmerlich.} Auch Algorithmen haben Grenzen. Sogar eine ganze Menge.

Die Grenzen der Algorithmen

Die erste Grenze verdeutlicht das Beispiel der 200 Brühwürfel: Algorithmen brauchen ein Bindeglied zur Realität, sie brauchen Eingabedaten und ein Modell oder zumindest ein Verständnis der Realität. Die Qualität jedes Algorithmus ist durch die Qualität dieses Bindeglieds beschränkt. Nur wer diese Grenzen kennt, kann einen Algorithmus sinnvoll verwenden. {Dantzig verbesserte mehrmals die Eingabedaten für seine Diät. Am Ende erstellte er aus den verschiedenen algorithmisch gefundenen Lösungen seinen eigenen Diätplan– und nahm ab.} Auch Algorithmen mit schwachem Bindeglied können einen Experten unterstützen. In der medizinischen Forschung können sie beispielsweise Anhaltspunkte geben, um eine große Zahl möglicher Laborversuche auf wenige aussichtsreiche zu reduzieren. Das Bindeglied dieser Algorithmen zur chemischen Realität ist aber zu schwach, um die Laborarbeit zu ersetzen.

Die fehlende Genauigkeit des Modells ist oft keine Nachlässigkeit, sondern notwendig. Algorithmen sind ein Werkzeug, um große Mengen zu durchforsten. Ihre Stärke ist, dass sie trotz der Größe noch funktionieren. Mit anderen Worten, sie sind ein Behelf, wenn es so groß wird, dass man nicht genauer hinschauen kann.

Eine weitere Grenze liegt in der Art algorithmischer Entscheidungen. Es sind keine Entscheidungen, wie sie aus einem gesellschaftlichen Diskurs erwachsen. Sie können es nicht sein, denn für eine gesellschaftliche Entscheidung kommt es nicht allein auf das Ergebnis an, sondern darauf, wie und dass die Gesellschaft sich für dieses Ergebnis entschieden hat. Algorithmen wie der Simplex können Detailentscheidungen treffen, um die Richtungsentscheidungen der Gesellschaft Wirklichkeit werden zu lassen. Sie sind Werkzeuge, um die Ziele umzusetzen, die von der Gesellschaft vorgegeben werden.

Die wichtigste Grenze der Algorithmen ist selbst ein zentraler Bestandteil des algorithmischen Denkens. Davon war schon mal die Rede. Das Wachstum der Rechnerleistung, das Mooresche Gesetz, stößt an physikalische Grenzen. Wie ist das mit dem algorithmischen Fortschritt? Kann der Simplex immer noch schneller werden? Ist es nur eine Frage der Zeit, bis Algorithmen alles berechnen können? Seit Beginn des 20. Jahrhunderts ist die algorithmische Forschung genau daran interessiert: zu verstehen, was nicht berechnet werden kann. Seit Mitte des Jahrhunderts hat sie sogar einen Begriff davon, was in keiner praktisch brauchbaren Zeitspanne berechnet werden kann. Moderne Algorithmik ist nicht denkbar ohne die Komplexitätstheorie. Diese Theorie handelt nicht primär von Algorithmen, sondern von den Problemen, die durch Algorithmen gelöst werden sollen. Sie fragt, wie viele Umstände es jedem Algorithmus macht, ein bestimmtes Problem zu lösen. {Man will sagen können: Einfacher geht es nicht.} Aber dazu später mehr.

Wir verlassen uns alltäglich auf diese Grenze, wenn wir zum Kauf einer Fahrkarte unsere Zahlungsdaten durch das Internet schicken. Wildfremde Menschen können die Nachricht mitlesen. Deshalb sind die Daten so verschlüsselt, dass es unmöglich ist, sie in der Nachricht zu erkennen – unmöglich, weil es jenseits einer algorithmischen Grenze liegt. Wir nutzen diese Grenze, und zugleich übersehen wir sie, wenn wir glauben, die wachsende Größe eines Systems sei mit genügend Fleiß und Sorgfalt beherrschbar. Für viele Systeme gilt: Schon eine kleine Vergrößerung katapultiert sie aus dem Bereich des praktisch Berechenbaren heraus. {Manches, was man für das Schweizer Bahnnetz exakt planen kann, ist für das deutsche schon unerreichbar.} Zu verstehen, dass unser Planet zu einem Planeten der Algorithmen angewachsen ist, heißt auch zu verstehen, dass die Komplexität eine greifbare Grenze im Alltag darstellt. Wer sich auf algorithmisches Denken einlässt, gewinnt ein neues Verständnis unseres Planeten. Zu diesem Denken gehört das Bewusstsein für Komplexität anstelle des Glaubens, alles exakt herausfinden und perfekt planen zu können.

Natürlich ist jede Disziplin, in der Algorithmen bisher schlechter abschneiden als wir, eine Herausforderung, bessere Algorithmen zu entwickeln. Natürlich liegt in jeder Schwachstelle eines Modells die Aufgabe, ein besseres zu entwickeln. Und die Grenze der Komplexitätstheorie ist weniger eine Mauer als eine Schwerkraft. Man kann hüpfen, und wer trainiert, kann etwas höher hüpfen. Aber runter kommen sie alle. Die Grenzen der Algorithmen verschieben sich. Aber sie verschwinden nicht.

Biodiversität unter Algorithmen

Zurück zu den Haushaltsgeräten. Ein weiterer Grund für unsere Sorglosigkeit bei Haushaltsgeräten ist unsere Fähigkeit zu differenzieren. Ein Kühlschrank, wie er in den 1930er Jahren gebaut wurde, konnte sehr gefährlich werden. Das hat man geändert. Man hat gelernt, dass nicht alles, was irgendwie funktioniert, auch gleich in die Küche gestellt werden kann. {Man ging sogar so weit, die Idee atomgetriebener Staubsauger gänzlich zu verwerfen.} Nicht nur Experten haben gelernt zu unterscheiden. Die öffentliche Diskussion hat gelernt – und lernt immer noch – zu differenzieren. Salz ist eine Chemikalie, trotzdem darf sie – in Maßen – ins Essen. Bei Brom ist man strenger. Auch Algorithmus ist nicht gleich Algorithmus.

Zwischen Algorithmen gibt es himmelweite Unterschiede. Manche Algorithmen sind verlässlicher als Brückenpfeiler. Andere gehören in die Kategorie von Haarwuchsshampoo. Beide haben ihre Berechtigung, aber den mehr oder weniger wirkungslosen Haarwuchsmitteln wird man nicht das Steuer seines Autos überlassen wollen. {Für Experten keine Neuigkeit.}

In einem Auto laufen schon heute eine Vielzahl von Algorithmen ab, und noch mehr sind an der Entwicklung und der Produktion eines Fahrzeugs beteiligt. Damit zum Beispiel ein Antiblockiersystem für die Bremsen funktioniert, müssen ein paar Berechnungen ausgeführt werden. Das machen Algorithmen auf dafür vorgesehenen Prozessoren. Andere Algorithmen steuern, welche Berechnungen zuerst durchgeführt werden, damit alle rechtzeitig fertig sind und das Auto planmäßig bremst. Man könnte sagen: Personalführung unter Algorithmen. Wieder andere Algorithmen berechnen schon während der Konstruktion des ABS, ob die verbauten Prozessoren und die benutzten Personalführungsalgorithmen in jedem Fall in der Lage sein werden, alle Berechnungen rechtzeitig abzuschließen.

So eine Personalführung gibt es auch auf den Computern, die wir alltäglich benutzen. Der sogenannte Multilevel-Feedback-Algorithmus verteilt die Arbeitszeit eines einzelnen Prozessors, so dass wir den Eindruck haben, unser Computer könne mehrere Anwendungen gleichzeitig ausführen. In Wahrheit hat er nur einen Prozessor, der abwechselnd mal dies und mal das tut. Für das Arbeiten auf einem Laptop ist der Multilevel-Feedback-Algorithmus hervorragend geeignet und wird deswegen von den gängigen Betriebssystemen verwendet. Für eine sicherheitskritische Anwendung wie ein ABS ist er viel zu kompliziert zu analysieren. Man kann sich einfach nicht sicher sein, dass immer alles rechtzeitig fertig wird. Stattdessen kommen dort sehr einfache Algorithmen zum Einsatz. Zum Beispiel eine Arbeitseinteilung, die jeder kennt: Tue immer zuerst das, was zuerst fertig sein muss.

Vor Kurzem gab es eine wesentliche Veränderung für die Personaleinsatzplaner der Algorithmen. Sie bekamen mehr als einen Mitarbeiter. Multicore-Chips ersetzten die Chips mit nur einem Rechenkern. Der Personalplanungsalgorithmus muss fortan nicht nur entscheiden, wann an welcher Aufgabe gearbeitet wird, sondern auch noch von wem. Das ist schon schwieriger. Vor allem ist es schwierig, während der Konstruktion zu entscheiden, ob in jedem Fall alle Berechnungen rechtzeitig fertig werden. Eine Zeit lang gab es dafür keinen geeigneten Algorithmus.

Für unsere Laptops mit Multicore-Chips ist das nicht schlimm. Schlimmstenfalls überlebt ein Moorhuhn, weil meine Eingabe zu langsam verarbeitet wurde. Aber in sicherheitskritischen Anwendungen verhinderte der Mangel an Analysealgorithmen den Einsatz von Multicore-Chips. In manchen Autos sind Multicore-Chips verbaut, bei denen alle Kerne bis auf einen abgeklemmt wurden – weil die Multicore-Chips billiger zu haben waren als Chips mit nur einem Rechenkern, aber man sich nicht sicher sein konnte, wie sich die Multicores verhalten. Je nachdem für welchen Zweck sie eingesetzt werden, verwendet man Personalführungsalgorithmen mit unterschiedlicher Verlässlichkeit, unterschiedlicher Kompliziertheit und unterschiedlichen Eigenschaften im Ergebnis. {In großen Rechenzentren, wie Amazon oder Google sie betreiben, gibt es auch solche Personalführungsalgorithmen, um die Rechenarbeit auf die Server zu verteilen. Dabei geht es vor allem um einen möglichst geringen Energieverbrauch. Kostet sonst zu viel.}

Experten kennen die Unterschiede zwischen Algorithmen. Für sicherheitskritische Anwendungen gibt es Auflagen, die nur Algorithmen vom Typ Brückenpfeiler zulassen. Auch wir sollten diese Unterschiede kennen, denn es wird nicht an jeder Stelle Auflagen geben können, welche Algorithmen man verwenden darf. Wer anstatt den Hausarzt zu fragen lieber googelt oder bingt, sollte wissen, wie eine Suchmaschine eigentlich arbeitet. Das ist kein Brückenpfeiler. Wir sollten die Unterschiede kennen, um Hype und Hysterie gegen einen verantwortungsvollen Umgang zu tauschen.

Symbiosen von Algorithmen und Kriterien

Es ist auch hilfreich zu differenzieren, welche Fragen tatsächlich algorithmisch sind und welche Fragen unabhängig von algorithmischer Detailkenntnis diskutiert werden können. Ein Beispiel dafür findet sich in der Archäologie. Ende des 19. Jahrhunderts entdeckte Sir William Flinders Petrie in Ägypten die Totenstadt von Naqada. Der Archäologe wollte mehrere Hundert Gräber anhand ihrer unterschiedlichen Artefakte in eine zeitliche Ordnung bringen. Jede Art von Grabbeigaben, so seine Annahme, war zu einer bestimmten Zeit in Mode gekommen und zu einer bestimmten Zeit wieder verschwunden. Er stellte sich eine große Tabelle vor, in der jedes Grab eine Spalte und jedes Merkmal der Beigaben eine Zeile hatte. Kam ein Merkmal in einem Grab vor, setzte man einen Stern an die entsprechende Stelle der Tabelle. Wenn die Gräber chronologisch von links nach rechts und die Merkmale nach der Mode von oben nach unten sortiert sind, sind alle Sterne in der Tabelle in einem schmalen Schlauch zu finden, der diagonal von links oben nach rechts unten verläuft. Um die richtige Chronologie der Moden und Gräber zu finden, musste er nur die Gräber und die Merkmale, also die Zeilen und Spalten der Tabelle, so lange umsortieren, bis alle Sterne in so einem schmalen Schlauch waren. {Und das für 900 Gräber.}

Das Umsortieren ist eine klar definierte algorithmische Aufgabe. Der erste exakte Algorithmus dafür wurde erst 1984 veröffentlicht. {Wie Flinders Petrie es geschafft hat? Ich denke, er hat sich viel Mühe gegeben.}Eine ganze andere und keinesfalls mathematische Frage ist, ob diese Sortierung zur korrekten Chronologie führt. Das zu beurteilen ist Sache der Archäologen, nicht der Algorithmiker.

Man nennt dieses Kriterium für die relative Chronologie Seriation. Es ist fester Bestandteil der Archäologie, auch wenn seit Mitte des 20. Jahrhunderts die Radiokarbonmethode für eine exakte Datierung zur Verfügung steht. Ob die Ergebnisse der Seriation verlässlich sind, hängt unter anderem davon ab, wie gut die Merkmale klassifiziert werden oder ob äußere Einflüsse die Chronologie durcheinanderbringen. Die Algorithmen zum Sortieren sind für den Wahrheitsgehalt der Chronologie technisches Detail – freilich ein Detail, das die Methode bei großen Datenmengen erheblich brauchbarer macht. Die entscheidende Diskussion geht also nicht um den mathematisch zu diskutierenden Algorithmus, sondern um das nicht-mathematische archäologische Kriterium.

Letztlich ist das Wort Algorithmus für die öffentliche Diskussion ungeeignet. Es bezeichnet eine zu breite Spanne an Verfahren. So wie das Verständnis für Algorithmen wächst, werden differenziertere Begriffe an seine Stelle treten. {Denkschriften über Maschinen so ganz im Allgemeinen sind auch irgendwann aus der Mode gekommen.}

Differenzieren zu können und Grenzen zu kennen, befreit von einer Menge Hype und Hysterie. Was bleibt, ist der Einfluss von Algorithmen auf Wissenschaft, Technik, Wirtschaft, Politik und Privatleben. Manche Algorithmen haben eine Bedeutung erreicht, die mit der von Gesetzen, Verwaltungsvorschriften, Verträgen und Institutionen verglichen werden kann. Diese Rolle werden sie nicht verlieren. Wie sie ihre Rolle ausfüllen, hängt davon ab, wer sie versteht und gestaltet. So können Algorithmen eine Gefahr für die Privatsphäre sein – oder sie können Privatheit gewährleisten, ohne dass wir einen Totalverzicht auf die Vorteile des Informationszeitalters leisten müssen.

Algorithmen und das menschliche Denken oder: Die Gefahren der Reise

Algorithmen scheinen derzeit ein wichtiges Phänomen zu sein. In Ordnung. Reicht es nicht, dass Experten ein paar gute Ratschläge verteilen? Musst du dich deshalb selbst auf das Denken dahinter einlassen? Auf ein Denken, das auf hoch entwickelte Gleichmacherei abzielt, auf Unterordnung des Einzelnen in einem System und auf Entäußerung menschlichen Denkens an abgekartete Prozesse? Willst du dir das wirklich antun?

Mit allem, was man lernt, verlernt man auch etwas. Mit jedem Wissen, das man gewinnt, verliert man zumindest Naivität. Genetik und moderne Physik sind Beispiele, wie der Kontakt mit wissenschaftlichen Denkweisen – und ihren populärwissenschaftlichen Ablegern – unser Weltbild herausfordern kann. Beim algorithmischen Denken ist es noch schlimmer. Es verändert nicht nur, was wir denken, sondern wie wir denken. Plötzlich sehen wir nicht nur anderes in der Welt. Wir denken mit anderen Methoden und Kriterien über diese Welt nach. Sich auf Denkweisen einzulassen, verändert uns. Es verändert den Einzelnen und die Gesellschaft im Ganzen. Schon die Produkte des algorithmischen Denkens lassen unsere alltägliche Klugheit verkümmern. Bei einer Umfrage in Großbritannien gab ein Drittel der Befragten an, den Weg mithilfe einer Karte nicht finden zu können. {Zugegeben, selbst zu kochen trauten sich in einer anderen Umfrage noch weniger Menschen zu.}