Plötzlich wach! 4: Mit Schneewittchen Zwerge zähmen - Maja von Vogel - E-Book

Plötzlich wach! 4: Mit Schneewittchen Zwerge zähmen E-Book

Maja von Vogel

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Beschreibung

Das Geheimnis der Familie Wunderlich? Sie erwecken Wachsfiguren zum Leben! BAND 4: Verwachst und zugenäht! Crazy Caro, Annemies Vorfahrin und Gründerin von »Wunderlichs Wachsfigurenkabinett«, wurde entführt. Und als wäre das nicht schon schlimm genug, machen auch noch Oma Fritz' magisch-giftige Pflanzen schlapp. Doch ohne die können die Wachsfiguren nicht mehr lebendig werden! Klarer Fall: Jetzt muss Gift-Expertin Schneewittchen helfen. Annemie, Leo und die Prinzessin versuchen die Lage zu retten. Gar nicht so einfach mit zwei zankenden Zwergen im Schlepptau ...  Liebenswürdige Figuren, witzige Dialoge, schnelle und aufregende Handlung: Diese Buchreihe ist für Fans von "Bitte nicht öffnen", "Im Zeichen der Zauberkugel" oder "Die Unlangweiligste Schule der Welt"!

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Maja von Vogel

Plötzlich wach! – Mit Schneewittchen Zwerge zähmen

Mit Bildern von Anne-Kathrin Behl

Das Geheimnis der Familie Wunderlich?

Sie erwecken Wachsfiguren zum Leben!

Verwachst und zugenäht! Crazy Caro, Annemies Vorfahrin und Gründerin von „Wunderlichs Wachsfigurenkabinett“, wurde entführt. Und als wäre das nicht schon schlimm genug, machen auch noch Oma Fritz’ magisch-giftige Pflanzen schlapp. Doch ohne die können die Wachsfiguren nicht mehr lebendig werden! Klarer Fall: Jetzt muss Gift-Expertin Schneewittchen helfen. Annemie, Leo und die Prinzessin versuchen die Lage zu retten. Gar nicht so einfach mit zwei zankenden Zwergen im Schlepptau …

Wohin soll es gehen?

Personenvorstellung

Buch lesen

Viten

Die Sonne war schon lange untergegangen. Im Gewächshaus war es dunkel. Nur wenn der Mond hinter einer Wolke hervorkam, sickerte etwas silbriges Licht durch die beschlagenen Scheiben.

Sie konnte nicht schlafen. Die Gedanken rotierten in ihrem Kopf und ließen ihr keine Ruhe. Schließlich erhob sie sich seufzend von ihrem Lager, strich ihr seidenes Kleid glatt und trat auf die Pflanzen zu, die in großen Kübeln im hinteren Teil des Gewächshauses standen. Die Blüten verströmten einen eigentümlichen Duft, den sie tief einsog.

Etwas stimmte nicht. Sie konnte spüren, dass es den Pflanzen nicht gut ging.

„Was fehlt euch?“, flüsterte sie.

Sie lauschte in die Stille der Nacht, aber die Pflanzen antworteten nicht. Das taten sie nie.

„Ich finde heraus, was mit euch los ist“, versprach sie. „Bald seid ihr wieder gesund.“

Aber würde sie dieses Versprechen auch halten können? Sie musste es versuchen! Denn eins wusste sie genau: Ohne ihre Hilfe würden die Pflanzen sterben. Und das durfte nicht geschehen.

Sie griff nach der Sprühflasche, die neben den Kübeln auf dem Boden stand, und bestäubte die schlaff herabhängenden Blätter mit einem Nebel aus glitzernden Wassertropfen. Dabei achtete sie darauf, die Pflanzen nicht zu berühren. Dass sie hochgiftig waren, hielt sie nicht ab. Mit Gift kannte sie sich aus.

Denn sie war Schneewittchen.

Märchenprinzessin, Giftexpertin, Apfelhasserin.

Und sie würde diese Pflanzen retten.

Koste es, was es wolle.

„Willkommen im Märchenreich!“ Ich machte eine einladende Handbewegung.

„Voll cool, dass wir heute im Museum übernachten dürfen.“ Leo stapfte an mir vorbei in den Märchensaal, ließ seinen Rucksack, den Schlafsack und eine zusammengefaltete Luftmatratze auf den Boden plumpsen und sah sich um. „Und deine Mutter und Oma Fritz haben wirklich nichts dagegen?“

Ich schüttelte den Kopf. „Solange wir nichts kaputt machen und hinterher aufräumen, ist alles okay. Allerdings müssen wir morgen bis neun Uhr verschwunden sein, sonst werden wir von den ersten Gästen geweckt.“

Leo grinste. „Wäre doch lustig.“

Tatsächlich war ich schon mal in Dornröschens Himmelbett eingeschlafen – ausgerechnet am Abend vor dem ersten Schultag nach den Sommerferien. Fast wäre ich zu spät gekommen, aber zum Glück hatte meine Mutter mich gerade noch rechtzeitig aufgeweckt.

So was passierte eben, wenn man in einem Wachsfigurenmuseum lebte. Wunderlichs Wachsfigurenkabinett gehörte meiner Oma Fritz, einer begnadeten Wachskünstlerin, die alle Figuren selbst herstellte. Genauso wie ihre Mutter, Großmutter und Urgroßmutter vor ihr, denn das Museum befand sich seit über hundertfünfzig Jahren in Familienbesitz. Und das war nicht das einzig Besondere an unserem Wachsfigurenkabinett …

„Willst du lieber neben Dornröschens Bett oder an Rumpelstilzchens Lagerfeuer liegen?“, fragte ich. „Bei Aschenbrödel und dem Prinzen wäre auch noch Platz.“

Aschenbrödel war meine absolute Lieblingsfigur. Ich liebte das Märchen und den Film, den ich so oft gesehen hatte, dass ich die meisten Szenen auswendig mitsprechen konnte.

Leo sah sich um. „Wir könnten doch auch im Knusperhäuschen schlafen. Da gibt es immer was zu knabbern.“

„Sorry, aber die Lebkuchen, Bonbons und Zuckerstangen sind leider nicht echt“, klärte ich ihn auf.

„Schade. Zum Glück hab ich vorgesorgt.“ Er griff in seinen Rucksack und zog eine XXL-Tüte Chips und eine Tafel Schokolade heraus. „Tada!“

„Super! Ich hab Orangenlimonade und Gummibärchen dabei. Außerdem hab ich uns ein paar Brote geschmiert. Verhungern werden wir also nicht.“

Leo warf einen Blick zu der buckeligen Hexe, die hinter dem Häuschen lauerte und versuchte, Hänsel und Gretel mit einem gekrümmten Finger zu sich zu locken. Sie hatte eine Warze auf der Nase und lächelte hinterhältig. „Puh, der will man echt nicht im Dunkeln begegnen.“

Ich grinste. „Keine Sorge, solange du nicht versuchst, ihr Haus anzuknabbern, tut sie dir nichts.“

Was kaum jemand wusste, weil es Teil unseres Familiengeheimnisses war: Genau wie alle anderen Wachsfiguren in unserem Museum sah die Knusperhexe nicht nur absolut lebensecht aus, sondern sie konnte mithilfe eines streng geheimen magischen Rituals auch tatsächlich lebendig werden!

Das hatte ich zufällig herausgefunden, nachdem ich vor einigen Wochen mit meinen Eltern in die Wohnung unter dem Dach gezogen war. Meine Mutter, die die Buchhaltung des Museums übernommen hatte, durfte nichts von den lebendigen Wachsfiguren wissen, genauso wenig wie mein Vater, der als Kapitän viel unterwegs war. Gerade schipperte er mit seinem Containerschiff mal wieder über die Weltmeere.

Oma Fritz hielt sich leider ziemlich bedeckt, was das Geheimnis der Wachsfiguren anging, aber Leo und ich hatten trotzdem das eine oder andere herausgefunden. Die Figuren wurden aus einer speziellen (und streng geheimen) Wachsmischung hergestellt, sodass man sie mithilfe eines magischen Glasauges und eines besonderen Rituals aufwecken konnte. Oma Fritz wachte als Hüterin über die Wachsfiguren und ihr Geheimnis.

Nach kurzem Hin und Her beschlossen Leo und ich, unser Lager neben Dornröschens Himmelbett aufzuschlagen, und pusteten unsere Luftmatratzen auf. Ich hatte das Bettzeug aus meinem Zimmer mitgenommen und legte es auf die Matratze, während Leo neben mir seinen Schlafsack ausrollte. Ich trug bereits bequeme Schlabberklamotten und meine Lieblings-Monsterpuschen. Die Übernachtungsparty konnte beginnen!

„Was machen wir zuerst?“, fragte Leo. „Uns den Bauch vollschlagen, Dornröschen wach küssen oder mit Rumpelstilzchen ums Feuer tanzen?“

„Nichts von alledem.“ Ich grinste teuflisch. „Erst mal musst du beweisen, dass du würdig bist, eine Nacht im Märchenland zu verbringen. Wie wär’s mit einem kleinen Quiz?“

Leo verzog das Gesicht. „Echt jetzt? Du weißt doch, dass ich eher auf Vampire und Monster stehe als auf schlafende Prinzessinnen und verzauberte Frösche.“

Natürlich wusste ich das. Was einer der Gründe war, warum ich die Übernachtung im Märchensaal vorgeschlagen hatte. Ich wollte, dass Leo meine geliebten Märchenfiguren besser kennenlernte, und ihm beweisen, wie cool sie waren.

Heute war Samstag und vor uns lag ein verlängertes Wochenende, weil der Montag wegen einer Lehrerfortbildung frei war. Die perfekte Gelegenheit für einen Ausflug ins Märchenland!

In den ersten Wochen nach unserem Umzug hatte ich furchtbares Heimweh gehabt, aber inzwischen fühlte ich mich pudelwohl. Was nicht nur an den 163 Wachsfiguren lag, die mir Gesellschaft leisteten, sondern vor allem an Leo. Er war mittlerweile ein wirklich guter Freund – auch wenn er mich mit seinen schlechten Witzen regelmäßig in den Wahnsinn trieb.

Gemeinsam hatten wir bereits einige Abenteuer erlebt: Wir mussten die ausgebüxte Queen wieder einfangen, Dracula das Gruseln lehren und wir hatten sogar mit Käpt’n Schwarzbart, dem Schrecken der Karibik, Schiffe gekapert. Was wohl als Nächstes kam?

„Genau, deshalb ja das Quiz. Jetzt testen wir erst mal dein Märchenwissen. Aus welchem Märchen stammen folgende Zitate?“ Ich überlegte kurz. „‚Knusper, knusper Knäuschen, wer knabbert an meinem Häuschenʻ?“

„Hänsel und Gretel“, antwortete Leo wie aus der Pistole geschossen.

Ich nickte. „‚Ruckediku, ruckediku, Blut ist im Schuh.ʻ“

„Äh – Aschenputtel?“

„Richtig. ‚Heute back ich, morgen brau ich, übermorgen hol ich der Königin ihr Kind.‘“

„Puh.“ Leo runzelte die Stirn. „Keine Ahnung … Rapunzel? Ach nee, das ist die mit den langen Haaren, oder?“

„Ich geb dir einen Tipp“, sagte ich. „In dem Märchen tanzt jemand ums Feuer.“

„Rumpelstilzchen!“, rief Leo.

„Sehr gut.“ Ich grinste. „Test bestanden. Du hast dir eine Führung durchs Märchenland verdient.“ Ich deutete auf ein kleines Männchen mit verfilzten Haaren, stechendem Blick und einem fusseligen Ziegenbart am Kinn, das um ein künstliches Lagerfeuer tanzte. „Rumpelstilzchen kennst du ja schon.“

Vor einer Weile hatte ich einen Anti-Angst-Crashkurs mit Leo gemacht, damit er seine Bartphobie überwand, und dabei hatten das Männchen und sein fusseliger Bart eine wichtige Rolle gespielt.

„Allerdings.“ Zum Glück war Leos Bartphobie inzwischen beinahe Vergangenheit, sodass er Rumpelstilzchen fast völlig unbeeindruckt in die Augen (und auf das ungepflegte Ziegenbärtchen) blicken konnte.

„Rumpelstilzchen wollte das Kind der Königin. Als das nicht geklappt hat, hat er sich selbst in der Luft zerrissen.“ Ich ging weiter zur nächsten Figur. „Die Königstochter Rapunzel wurde von einer Zauberin jahrelang in einen hohen Turm gesperrt und durfte keinen Kontakt zur Außenwelt haben.“ Ich zeigte auf Hänsel und Gretel. „Noch mehr Pech hatten diese beiden. Sie wurden von ihren Eltern im Wald ausgesetzt und gerieten an die böse Knusperhexe, die Hänsel mästen, braten und aufessen wollte. Aber Gretel stieß die Hexe in den Ofen, wo sie bei lebendigem Leib verbrannte.“

Leo verzog das Gesicht. „Ist ja ekelhaft.“

„Warte, ich bin noch nicht fertig.“ Ich zeigte auf Aschenbrödel, die weiter hinten mit ihrem Prinzen tanzte. „In Grimms Märchen schneiden sich Aschenputtels böse Stiefschwestern Ferse und Zehen ab, damit ihre Füße in den zu kleinen Schuh passen. Zum Glück ist Drei Haselnüsse für Aschenbrödel nicht so heftig, darum ist es mein Lieblingsfilm. Dornröschen stach sich an einer Spindel und fiel in einen hundertjährigen Schlaf. Und Schneewittchen überlebte mehrere Mordversuche ihrer Stiefmutter, bevor ihr ein vergifteter Apfel im Hals stecken blieb und sie für tot erklärt wurde.“

Neben der Schneewittchen-Figur blieb ich stehen. Sie war wunderschön mit ihren glänzenden schwarzen Haaren, in denen eine kleine rote Schleife steckte, dem langen Kleid und der weißen Bluse mit Puffärmeln. In der Hand hielt sie einen appetitlich aussehenden Wachsapfel mit einer roten und einer gelben Seite. Hinter ihr saßen die sieben Zwerge an einem Holztisch und ließen sich ihr Abendessen schmecken.

„Was ist mit den Zwergen hinter den sieben Bergen?“, wollte Leo wissen. „Die waren doch nett, oder?“

„Ja, die Zwerge haben Schneewittchen bei sich aufgenommen und ihr nach der Apfel-Attacke einen gläsernen Sarg gebaut. Am Schluss erwachte sie wieder zum Leben und heiratete den Königssohn.“

„Puh!“ Leo seufzte erleichtert. „Immerhin ein Happy End.“

„Aber nicht für die böse Stiefmutter. Die musste auf der Hochzeitsfeier so lange in glühend heißen Eisenpantoffeln tanzen, bis sie tot umfiel.“

„Die Märchen sind ja alle voll brutal“, stellte Leo fest.

„Dagegen sind Vampirfilme pillepalle.“ Ich kicherte. Draußen wurde es allmählich dunkel und mein Magen knurrte. „Lust auf was zu essen?“

Leo nickte. „Immer.“

Ich holte die Getränke und das Essen und wir ließen uns an Rumpelstilzchens Lagerfeuer nieder. Obwohl es nicht echt war, hörte ich fast die Flammen knistern, roch beinahe den würzigen Duft nach Rauch und meinte, rot leuchtende Funken in den Abendhimmel fliegen zu sehen.

Wenn das nicht wie im Märchen war!

Mitten in der Nacht schreckte ich hoch. Dunkelheit umfing mich und im ersten Moment wusste ich nicht, wo ich war. Der Boden unter mir war kalt und hart und neben mir atmete jemand. Bevor ich in Panik ausbrechen konnte, fiel mir alles wieder ein.

Die Nacht im Märchensaal neben Dornröschens Himmelbett.

Leo, der leise schnarchte.

Und meine Luftmatratze, die offenbar ein Loch hatte.

Leise stöhnend setzte ich mich auf und schlug die Decke zurück. So ein Mist! Was sollte ich jetzt machen? Ich konnte unmöglich die restliche Nacht auf der völlig platten Matratze schlafen. Außerdem hatte ich noch ein anderes Problem: Meine Blase meldete sich. Was wahrscheinlich kein Wunder war, nachdem ich am Abend zwei Flaschen Orangenlimonade weggeschlürft hatte. Ich musste dringend aufs Klo.

Wie spät es wohl war? Ich lauschte, aber alles war still. Kein Auto fuhr auf der Straße vor dem Museum vorbei, keine Schritte klackerten über den Bürgersteig. Nur das Wasser in den alten Heizungsrohren gluckerte.

Mit steifen Gliedern stand ich auf. Leo schmatzte im Schlaf. Warum musste er eigentlich nicht aufs Klo? Immerhin hatte er die anderen beiden Flaschen Limo getrunken. Außerdem hatten wir im Rekordtempo die Chipstüte geleert und reichlich Schokolade und Gummibärchen gefuttert. Es war richtig gemütlich an Rumpelstilzchens Lagerfeuer gewesen. Ich hatte Leo noch ein paar Fun-Facts zu meinen Lieblingsmärchenfiguren verraten und er hatte sich bereit erklärt, nächstes Wochenende Drei Haselnüsse für Aschenbrödel mit mir zu gucken. Was nur gerecht war, nachdem ich mir letztens seinen Lieblingsvampirfilm hatte anschauen müssen, der so gruselig gewesen war, dass ich mehrere Nächte schlecht geträumt hatte.

Die Notbeleuchtung über der Tür verbreitete grünliches Licht. Ich schlüpfte in meine Monsterpuschen und glitt beinahe lautlos über das Parkett. Dornröschen schlief tief und fest in ihrem Himmelbett, Hänsel und Gretel verschmolzen mit dem Schatten des Hexenhauses und Aschenbrödel und der Prinz tanzten zu lautloser Musik im Mondschein. Kurz meinte ich, Aschenbrödels Ballkleid rascheln zu hören, aber es war nur Leo, der sich in seinem Schlafsack umdrehte und dabei etwas Unverständliches murmelte. Vielleicht träumte er von der Knusperhexe. Grinsend sauste ich zur Tür hinaus.

Zum Glück kannte ich das Museum wie meine Westentasche. Den Weg zu den Toiletten hätte ich auch mit geschlossenen Augen gefunden. Ich glitt durch den Korridor, rechts und links standen reglose Wachsfiguren Spalier. Auch wenn ich sie in der Dunkelheit nicht richtig sehen konnte, wusste ich genau, wer wo stand. Ich nickte Martin Luther und Papst Benedikt zu, ließ den Thronsaal, in dem die englische Königsfamilie Hof hielt, links liegen und bog zu den Besuchertoiletten ab. Schnell schlüpfte ich in eine Kabine. Als ich wieder herauskam, fühlte ich mich erleichtert.

Während ich mir die Hände wusch, warf ich einen Blick aus dem kleinen Fenster in den Garten, der sich hinter dem Museum befand. Er war nicht besonders groß und von einer Mauer umgeben, die mit Wildem Wein, Kletterrosen, Hortensien und Duft-Jasmin bewachsen war. Der Garten war privat und für Besucher nicht zugänglich. Oma Fritz’ altersschwache Gartenmöbel unter dem Fliederbaum konnte ich nur erahnen, weil der Mond gerade hinter einer Wolke verschwunden war. Dafür fiel mir umso deutlicher ein Lichtschein ins Auge, der in der hintersten Ecke des Gartens sanft zwischen den Zweigen der Hortensienbüsche hindurchschien.

Was war das?

Rasch trocknete ich mir die Hände mit einem Papiertuch ab, trat ans Fenster und spähte mit zusammengekniffenen Augen hinaus. Erst dachte ich, ich hätte mich getäuscht, aber Pustekuchen. In Oma Fritz’ altem, etwas windschiefem Gewächshaus, das sich ganz hinten im Garten befand, brannte Licht.

Warum?

Wer trieb sich mitten in der Nacht dort herum?

Sofort musste ich an Juliane Jäger denken, die Frau, die vor genau einer Woche versucht hatte, das magische Glasauge zu stehlen. Zum Glück hatten Leo, Käpt’n Schwarzbart und ich es im letzten Moment geschafft, sie aufzuhalten. Aber Juliane hatte Rache geschworen, und auch wenn sie nach dem missglückten Diebstahl erst mal abgetaucht war, war ich mir sicher, dass sie schon den nächsten Angriff plante. War sie heute Nacht zurückgekehrt?

Mein Herz klopfte schneller. Es gab nur eine Möglichkeit, das herauszufinden: Wir mussten raus in den Garten und nachsehen, was los war. Ich huschte aus der Toilette und eilte zurück in den Märchensaal, wo Leo immer noch friedlich schlummerte. Vorsichtig stupste ich ihn an, aber er reagierte nicht. Auch das Rütteln an seiner Schulter half wenig. Er schreckte erst hoch, als ich ihm die Nase zuhielt.

„Wie … wo … was?“, stammelte Leo und sah sich verwirrt um.

„Pst!“ Ich legte einen Finger an meine Lippen. „Nicht so laut.“

Eigentlich war es völlig egal, wie viel Lärm wir machten, weil außer uns und den Wachsfiguren niemand im Museum war. Trotzdem hatte ich das unbestimmte Gefühl, leise sein zu müssen.

„Was ist los?“ Leo fuhr sich durch seine zerzausten Haare. „Ich hoffe, du hast einen guten Grund, mir die Luftzufuhr abzuschneiden und mich aus meinem wohlverdienten Dornröschenschlaf zu reißen. Ist mal wieder eine Wachsfigur ausgebüxt?“

„Keine Ahnung. Aber ich war gerade auf dem Klo und hab Licht im Gewächshaus gesehen.“

„Mitten in der Nacht?“ Leo gähnte. „Was hat das zu bedeuten?“

„Das habe ich mich auch gefragt. Ich finde, wir sollten nachsehen.“

„Glaubst du, es ist …“ Leo zögerte. „Juliane Jäger?“

Ich schluckte. Zwar hatte ich den gleichen Gedanken gehabt, aber den Namen von Oma Fritz’ Erzfeindin zu hören, machte die Gefahr irgendwie realer. „Möglich wäre es, oder?“

„Okay.“ Leo schälte sich aus seinem Schlafsack. „Lass uns nachsehen.“ Er unterdrückte ein weiteres Gähnen. „Aber wenn ich morgen mit Augenringen rumlaufe, bist du schuld.“

Ich grinste. „Damit kann ich leben.“

Auf Zehenspitzen schlichen wir aus dem Saal und durch den dunklen Korridor. Auch wenn ich mich im Museum normalerweise vollkommen sicher fühlte und selbst nachts keine Angst hatte, war ich froh, nicht allein zu sein. Auf Leo war Verlass, selbst wenn man ihn um seinen Dornröschenschlaf brachte, und das war einer der Gründe, warum ich ihn so mochte.

Vorsichtig öffnete ich die Tür mit der Aufschrift ‚Privat‘. Dahinter befand sich ein schmaler Flur, der zu Oma Fritz’ Wohnung führte. Und zur Hintertür, durch die man in den Garten gelangte. Im Flur war alles still und wir schlüpften ins Freie.

Draußen war es nicht so dunkel wie im Museum. Der Mond kam gerade hinter einer Wolke hervor und tauchte den Garten in silbriges Licht. Die kühle Nachtluft strich über meine Arme und ich fröstelte. Beinahe lautlos huschten wir an der Kräuterspirale vorbei. Der Duft nach Zitronenmelisse, Thymian und Pfefferminze stieg mir in die Nase. Das lange Gras auf der kleinen Wiese, die im Sommer voller üppig blühender Wildblumen war, raschelte geheimnisvoll.

„Tatsächlich!“, flüsterte Leo, den Blick auf das erleuchtete Gewächshaus gerichtet. „Da brennt ja wirklich Licht!“

„Was hast du denn gedacht?“, fragte ich etwas beleidigt. „Dass ich das erfunden habe, um dich nachts in den Garten zu locken?“

Leo zuckte mit den Schultern. „Würde ich dir zutrauen.“

Ich schnaubte, bevor ich mich wieder in Bewegung setzte. So leise wie möglich schlichen wir zum Gewächshaus. Es lag in der hintersten Ecke des Gartens, versteckt hinter ein paar struppigen Büschen. Oma Fritz züchtete dort, abgesehen von ein bisschen Gemüse, irgendwelche seltsamen Pflanzen, die keine Zugluft vertrugen. Darum durfte eigentlich niemand außer ihr hinein. (Dass Leo und ich uns vor einer Weile über dieses Verbot hinweggesetzt hatten, weil wir einen ruhigen Ort brauchten, um heimlich Graf Dracula aufzuwecken, tut hier nichts zur Sache.)



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