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Zufälle sind Phänomene, die mit der naturwissenschaftlichen Methodik nicht zu erklären sind. Denn keine Kraft ist bisher bekannt, die solche Ereignisse (aus der Ferne) auslösen könnte. Selbst Raum und Zeit scheinen für diese Begebenheiten keine Bedingungen zu sein. Zufälle sind nämlich ein Produkt unseres Bewusstseins. So sieht es auch der Autor Itzhak Bentov, den ich hier kurz zitiere: "Meine erste Behauptung ist, dass das allgemeine Prinzip, auf dem die erwähnten Phänomene beruhen, ein veränderter Bewusstseinszustand ist. Solche veränderten Zustände ermöglichen es uns, uns in Wirklichkeiten zu bewegen, die uns normalerweise nicht zugänglich sind." Auch ich suche immer noch nach Erklärungen für diese Phänomene. Auf einer Reise nach Italien hoffte ich mal einen solchen veränderten Bewusstseinszustand zu erleben. Was mir dort begegnete und was mir dabei so alles durch den Sinn ging, habe ich mal aufgeschrieben. Ein Tipp: "Es liegt in der Entscheidung des Lesers, ob meine angebotenen Erklärungen für ihn Sinn machen oder nicht." Zitat: Auf der Spur des wilden Pendels von Itzhak Bentov. Text &
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Seitenzahl: 567
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Eine chronologische Erzählung
von Hartmut-Hans Schmidt
Eine Einführung
Zufälle sind Phänomene, die mit der naturwissenschaftlichen Methodik nicht zu erklären sind. Denn keine Kraft ist bisher bekannt, die solche Ereignisse (aus der Ferne) auslösen könnte. Selbst Raum und Zeit scheinen für diese Begebenheiten keine Bedingungen zu sein.
Zufälle sind nämlich ein Produkt unseres Bewusstseins. So sieht es auch der Autor Itzhak Bentov, den ich hier kurz zitiere: „Meine erste Behauptung ist, dass das allgemeine Prinzip, auf dem die erwähnten Phänomene beruhen, ein veränderter Bewusstseinszustand ist. Solche veränderten Zustände ermöglichen es uns, uns in Wirklichkeiten zu bewegen, die uns normalerweise nicht zugänglich sind.“
Auch ich suche immer noch nach Erklärungen für diese Phänomene. Auf einer Reise nach Italien hoffte ich mal einen solchen veränderten Bewusstseinszustand zu erleben. Was mir dort begegnete und was mir dabei so alles durch den Sinn ging, habe ich mal aufgeschrieben.
Ein Tipp: „Es liegt in der Entscheidung des Lesers, ob meine angebotenen Erklärungen für ihn Sinn machen oder nicht.“ Zitat: Auf der Spur des wilden Pendels von Itzhak Bentov.
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Der Autor, 1940 in Essen geboren, hat in seinem ersten Buch „Leynau – eine lange Anreise –“ geschildert, wie die sinnliche Wahrnehmung sein Geschichtsbild verändert hat.
In diesem Buch geht er der Frage nach, ob ein verändertes Bewusstsein es ermöglicht, sich in Wirklichkeiten zu bewegen, die uns normalerweise nicht zugänglich sind. Dabei greift er auf Itzhak Bentov („Intuitiver Erfinder“) zurück, der wesentliche Überlegungen zur Erklärung außerkörperlicher Phänomene formuliert hat.
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Text & Copyright: Hartmut-Hans Schmidt
Umschlaggestaltung: Petra Zey
Satz: Petra Zey
Fotos: Adobe Stock
Verlag: Hartmut-Hans Schmidt
Heckenweg 6, 27404 Zeven
Herstellung: epubli – ein service der neopubli Gmbh Berlin
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Polenta und Schlüsselblumen
Bärbel sagt: „Zufälle gibt es nicht.“
Siebenschläfer
>Wenn Siebenschläfer Regen kochen, so regnet‘s sieben ganze Wochen.<
Bärbel sucht nach sommerlichen Alternativen. Am liebsten wäre ihr Italien, dort wo Licht und Luft allem Stofflichen die Schwere nehmen.
Eines Morgens steckt Post im Briefkasten. Anna Marconi, Bärbels Brieffreundin aus dem italienischen Valverde, teilt ihr mit: Sie könnte ihre möblierte Mietwohnung nutzen, und zwar auf unbefristete Zeit.
Daraufhin gibt es bei meiner Lieben kein Halten mehr.
Paese che vai usanza che trovi
Fremde Länder – fremde Sitten
Unterwegs machen wir Station bei Manni, meinem Jugendfreund. Er lebt in einem Dorf in Unterfranken und bewirtschaftet dort einen landwirtschaftlichen Hof. Seine Spezialität ist das große Bauernfrühstück. Auf Wunsch serviert er es jedoch auch zu jeder beliebigen Tageszeit. Während wir beim Frühstück neueste Familieninformationen austauschen, sitzt Bärbel bereits auf heißen Kohlen. Unvermittelt steht sie auf. »Ich geh‘ noch mal pullern.«
Als sie zurückkehrt, wirft sie mir die Wagenschlüssel zu.
»Allô, monsieur le chauffeur! Fahren Sie den Wagen vor! Wir brechen auf.«
»À vos ordre, madame la directrice,« wenn schon, denn schon!
Bei der Verabschiedung müssen wir Manni hoch und heilig versprechen, auf der Rückfahrt wieder vorbeizukommen. Dann will er uns nämlich seine neue Flamme vorstellen, die Dozentin in der Erwachsenenbildung ist.
*
An der Autobahnauffahrt warnt ein Polizeiauto mit Blaulicht. »Hat mein lieber Schatz mal wieder den Verkehrsfunk nicht abgehört?«
Was soll ihre Frage? Ich höre doch schon lange die Öffentlich-Rechtlichen nicht mehr. Setzen die denn eigentlich um, was der EU-Vertrag seinen Mitgliedsländern zusichert:
>Sie wahrt den Reichtum ihrer kulturellen und sprachlichen Vielfalt und sorgt für den Schutz und die Entwicklung des kulturellen Erbes Europas.<
»Still, Alter!«
>Breaking news: Überlandkabel gecrasht – Polizei und Feuerwehr im Einsatz – bitte Rettungsgasse bilden – Zeitverlust eine Stunde on top.<
»Hörst du, Zeitverlust eine Stunde! Dann dürfte es mit Italien am heutigen Tag wohl nichts mehr werden.«
»Selbst schuld! Wenn du nicht so lange mit Manni über politische Korrektheit palavert hättest, wären wir jetzt schon jenseits der Alpen.«
>Im Frühtau zu Berge!<
Ich weiß zwar nicht, warum mir das jetzt einfällt. Doch ich gehe der Sache auch nicht weiter nach, weil Bärbel überraschend summt: »Wir ziehn fallera.«
Sie hat sich mal wieder in meine Gedanken eingeklinkt. Wie sie das macht, ist ein Phänomen. Allerdings fehlt mir dafür immer noch jede Erklärung. Deshalb habe ich vor, wenn wir in Italien sind, solchen paranormalen Begebenheiten mal ernsthaft auf die Spur zu gehen.
Mittlerweile haben wir das Stauende erreicht. Ich schalte die Warnblinkleuchte an und bleibe stehen, wo wir stehen. As ich mich umsehe, springt mir ein blau-weißes Hinweisschild ins Auge: Freistaat Bayern
>Mit Gott dir, du Land der Bayern!<
Bärbel liebt Bayern, würde am liebsten in München leben. Sie kennt die bayrische Hymne, aus der sie momentan alle Strophen singt.
>Und erhalte dir die Farben seines Himmels – Weiß und Blau!<
Allerdings offenbart der Blick nach oben, dass von weiß und blau mal wieder nichts zu entdecken ist. Die Wolken hängen regenschwer über bayrischem Boden. Zu meiner Überraschung wünscht sich Bärbel soeben eine Kostprobe auf Bayrisch. »Du kannst das.« Ich lasse mich nicht lumpen.
»Mia Bayern mit da boarischen Landesregierung woilln net, dass ihr unsa schöns Land zwangsweis bloss von da Autobahn aus segts. Mir weisn aber darauf hi, dass mir auf etlane Ereignisse koan Einfluss nehma kenna, denn soweit mir wissen, is da meist da liabe Gott zuständig, der als de Höhere Gwalt desweng a an Kabelbruch mittragt. Ois Leitung dös Bayrischen Rundfunk möchtn mir des unfreiwillige Beiunssein in unserm göttlichen Bayern aoso doch versüßen. Mir wern sie vom Heimatsender aus aktuell mit am Strauß richtiger Volksmusi begleitn und dazu a alle Barbaras mit ihram urboarischen Namen extra griaßn.«
Dass ich aus dem Stegreif nun ein solch feines Beispiel liefern würde, lässt Bärbel für einen Augenblick verstummen. »Darf ich mal ehrlich sein, mein geliebter Schatz?«
»Ehrlich miteinander sein, das hatten wir doch schon vor unserer Hochzeit vereinbart.«
»Für mich bist du der liebevollste Saupreiß.«
»Der liebestollste«, erkühne ich mich hinzuzufügen, wohl wissend, dass meine Liebste bei diesem Thema gerne sofort das Kapitel wechselt.
»Wie fandst du eigentlich das Jerseykleid von Mika?«
Bärbels Frage bedarf an dieser Stelle unbedingt einer Erläuterung. Mika ist ihre Dessous-Beraterin. Zuletzt waren wir im Frühsommer bei ihr. Da Bärbel nach einem neuen Bikini Ausschau hielt. Als wir den Laden betraten, kam mir Mika in dem von Bärbel angesprochenen Jerseykleid entgegen. Naked dress trend! Es enthüllte also mehr als es verhüllte. Für Bärbel kam es deswegen nicht in Betracht. Angeblich war es ihr auch zu teuer. Ich bin dann tags darauf noch einmal zu Mika gefahren und hatte das Kleid heimlich gekauft. Bei Gelegenheit erwarb ich dann auch noch einen Lendenschurz, genannt Tanga, wie mich die geschäftstüchtige Mika aufklärte.
>Das immer weniger der letzten Jahre wird im nächsten Jahr wieder mehr.<
Mika, das aber jetzt nur nebenbei, hielt es übrigens für das ideale Geschenk zu unserem dreißigjährigen Hochzeitstag, den wir morgen in Italien feiern wollen.
*
Die Wolkendecke reißt auf. Auch wird es spürbar wärmer. Hier und da kommt schon die Sonne zum Vorschein. Bärbel fühlt sich mal wieder bestätigt, dass in Bayern immer schönes Wetter herrscht.
>Mir ist so komisch zumute – ich ahne und vermute – das ist so ein Tag – wo ein jeder gleich spürt – das noch was passiert – heut liegt was in der Luft – ein ganz besonderer Duft.<
»Was liegt denn heute in der Luft, meine Teure?«
»Italien!«
»Das schaffen wir heute garantiert nicht mehr. Was hältst du von einem Zwischenstopp im Allgäu?«
Mein Vorschlag gefällt ihr. Denn sie wollte schon immer an den Ort, wo ich als Jugendlicher mal meine Ferien verbracht hatte. »Wir könnten eigentlich aussteigen.«
Während ich den Sicherheitsgurt löse, meint sie, dass es da vorne schon wieder losgehen würde. »Es ist nicht so, Liebling. Luft und Licht haben soeben deine optischen Sinne getäuscht. Meine wissenschaftlichen Kollegen sprechen dabei übrigens von der Erwartungshaltung, die das Ereignis bestimmt.«
»Und was meinen sie damit?«
»Das heißt, wenn ich weiß, was ich will, fasse ich die optischen Reize schneller auf, als es sonst geschieht. Mir passiert das beispielsweise immer, wenn ich beim Einkaufen durch die Regale gehe.«
»Mein Mann geht einkaufen? Haha!«
Sie hat recht. Meist ist es ja sie, welche die Besorgungen erledigt. Lediglich für die schweren Getränkekisten bin ich noch zuständig. Um das Thema zu wechseln, zeige ich auf den Butterkeks auf der Ablage. Bärbel reißt die Verpackung auf und teilt mir drei Kekse zu. »Die nächsten drei gibt es später.«
»Du bist so fürsorglich, Liebling?«
»Weil ich auf deine Figur achte.«
Auf meine Figur!? Dabei bin ich doch rank und schlank, hatte in diesem Frühjahr ein Sonderangebot in einer Muckibude erfolgreich durchgearbeitet und fühle mich auch ansonsten total fit. Während ich mit mir ziemlich zufrieden bin, knattert es mit einem Mal nervtötend über uns. Ein Polizeihubschrauber fliegt vorüber und verschwindet hinter dem Horizont.
»Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir heute noch aus allen Wolken fallen werden, mein Schatz?«
»Die Frage lässt sich überhaupt nicht berechnen, Liebling. Schließlich sind die Wolken gerade dabei, sich vollständig aufzulösen.«
»Also Abrakadabra dreimal schwarzer Kater!«
Ein schöner Zauberspruch! Aber ich weiß nicht, was der mir in diesem Moment sagen soll, will daher sehen, wenn ich mal dagegenhalte.
»Katzendreck und Eulenschrei, was verschwunden ist, komm jetzt herbei!«
»Du nimmst mich nicht ernst.«
»Weil mich deine Ängste mal wieder irritieren.«
»Dann frag mich doch mal, warum ich bei Manni wie auf heißen Kohlen saß?«
»Also, ich frage dich, warum…?«
»Du bist doof.«
»Ja, watt denn nu?«
»Bei Manni hatte ich nämlich so ein unbestimmtes Gefühl, als könnte an diesem Tag noch etwas absolut Ungewöhnliches passieren.«
»Also ein Wunder! Die gibt es natürlich immer wieder. Nur muss man sie dann auch erkennen.«
»Wunder gibt es nur bei Menschen, die sich lieben.«
»Also zwischen uns. Aber vielleicht brütest du ja auch gerade ein PSI-Phänomen aus.«
Ich nenne es auch Vorwissen. Mir fehlt dazu die Gabe. Dass es Ereignisse geben soll, bei denen Zeit und Ort keine Bedingungen wären, ist mir noch nie passiert.
»Was sagt eigentlich dein Itzhak Bentov dazu?«
Bärbel spielt auf das kleine Büchlein an, das ich eingepackt habe, um mich mit seinen Thesen einmal in einer veränderten Wirklichkeit auseinanderzusetzen. Während ich überlege, in welcher Tasche ich es gelassen haben könnte, werde ich ziemlich rabiat von einer Polizeisirene gewarnt. Kurz darauf schalten die Polizisten auch noch einen Lautsprecher ein und bitten uns Autofahrer um eine ausreichende Rettungsgasse.
»Bentov würde hier und jetzt zu weit führen.«
»Hat er denn den Nobel-Preis bekommen?«
»Er hat sich kritisch über die Flut der Modelle geäußert, mit denen Naturwissenschaftler uns die Welt erklären. Ich zitiere mal.«
>Auf jeden Fall aber ist ein Modell nur ein Modell und nicht die absolute Wahrheit, und darum wird es durch jede neue Erkenntnis, die sich am Horizont zeigt, geändert werden müssen. Kann ein Modell nicht alle Phänomene zufriedenstellend erklären, dann muss ein neues her.<
»Unsere Welt ist das von Gott gewollte, Schatz. Alles andere ist nicht vorstellbar. Kann es sein, dass die Frage nach dem Zufall dich mal wieder nicht loslässt.«
»Nein! Es ist mal wieder die Avaritia, die mich verfolgt.«
»Gut, dass wir nicht mehr im Mittelalter leben. Sonst hätten dich meine Richterkollegen längst als Hexe verurteilen müssen.«
Und zwar als männliche Hexe, denke ich mir. Denn weibliche Hexen traten ja erst viel später auf der Bühne der Geschichte auf. Immerhin galt aber für beide Geschlechter, dass sie sich der Todsünde schuldig gemacht hatten. Heute sind diese seltsamen Verfehlungen die Antriebskräfte unserer Wirtschaftsordnung.
»Wieso reißt eigentlich ein vom TÜV geprüftes Hochspannungskabel, Schatz?«
>Alles, was schiefgehen kann, geht schief.<
»Und wenn mich diese Starkstrom-Leitung getroffen hätte?«
»Dann wäre jetzt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass von meinem hübschen Frauchen nur noch ein verkohlter Fleischklumpen übrig geblieben wäre.«
»Dein schwarzer Humor ist reichlich fehl am Platz.«
»Nun gut! Hätte es zuvor jedoch einen Kurzschluss gegeben, gäbe es für die Hinterbliebenen noch eine Option für einen massiven Eichensarg.«
»Über den Tod macht man keine Witze. Merk dir das!«
*
Bärbel und ich sind jetzt fast auf den Tag genau dreißig Jahre verheiratet. Immer wenn sich dieser Tag nähert, frage ich mich: Was hat uns eigentlich damals zusammengeführt? In meinem Fall ist die Antwort unstrittig. Es war der Zufall, nämlich Liebe auf den ersten Blick. Für meine Bärbel war es der Wille Gottes.
Für meine Sicht der Dinge spricht allerdings, dass unser Tête-à-Tête genau auf den Zeitpunkt fiel, als ihre Eltern für Studienzwecke in Rom weilten. Mein Freund Manni sieht es ähnlich, nur dass er die Abwesenheit der Schwiegereltern in spe als saugünstig für meinen Antrittsbesuch einschätzte. Denn dieser folgte nur wenig später. Damals brachte ich Bärbels Mutter Eglantinen mit. Die hatte ich am Bahndamm gepflückt, da die Blumengeschäfte schon geschlossen waren. Es waren ihre Lieblingsblumen. Der Zufall hatte da mal wieder mitgespielt.
Wir sprachen dabei über Édouard Manet. Sie freute sich, dass ich sein Bild kannte. Mein künftiger Schwiegervater hingegen war von meiner Pünktlichkeit angetan.
>L‘ exactitude est la politesse des roi!<
*
Gedankensplitter:
- Eines Tages interessierte Bärbel die Farbe meiner Gedanken. Diese glaubte sie dann, auf meinem Seelengrund zu finden. Ihre Suche indessen war nicht erfolgreich. Dabei hätte sie bloß Gesine, die Schwester meiner Mutter, fragen sollen. Die wusste nämlich, dass ich eine schwarze Hundeseele besaß.
- Bärbel vertraut ihren Schutzengeln. Sie sind für sie Gottes Boten. Als einmal eine Teetasse zu Boden fiel und nicht zerbrach, kannte sie sogar den Namen dieses Schutzengels. Es war Luzifer!
- Manni kannte Luzifer. Er wusste allerdings über den auch wenig Schmeichelhaftes.
>Lieber der Kopf der Ärsche, als der Arsch der Köpfe.<
*
Noch immer bewegt sich nichts. Vor mir stehen Autos in drei Reihen. Bei einer Staulänge von zehn Kilometern dürften es mindestens 2500 Autos pro Fahrspur sein. Ich gehe also von einer längeren Wartezeit aus.
Bärbel ist inzwischen ausgestiegen und absolviert vor dem Cabrio ihr morgendliches Fitness-Programm. Was sie mich sehen lässt, sind Beine, Beine, Beine! Übrigens entspricht ihr Beinlängenverhältnis der Ziffer von 0,5.
»Mein Mann spielt Voyeur?«
»Weiß meine Frau eigentlich, was ein toter Spanner ist?«
»Lenk nicht ab, Mann!«
»Weg vom Fenster!«
»So! Und jetzt meint er wohl, dass das witzig sein soll?«
Allmählich hat Bärbel ihr persönliches Workout-Program beendet. Jetzt hockt sie sich hin. Sie nennt es die Saigon-Hocke.
>Hocken ist das neue Dehnen.<
Ich kann mit dem Begriff nur wenig anfangen. Angeblich soll diese spezielle Hocke die Muskeln geschmeidig halten. Als sie sich wieder aufrichtet, will sie plötzlich wissen, ob ich mir schon ein Konzept für die Chronik ausgedacht hätte. Der Vorschlag von einer Chronik stammt nämlich von ihr. Demnach soll ich alles aufschreiben, was uns in Italien begegnet. Das war ganz in meinem Sinn. Schließlich plane ich ja auch, mich in Italien mit der Existenz übersinnlicher Phänomene zu beschäftigen. Damit rücken, wie Bentov schreibt, vermutlich veränderte Bewusstseinszustände und Wirklichkeiten in mein Blickfeld.
»Ich werde chronologisch vorgehen.«
Das deckt sich mit meiner wissenschaftlichen Vorgehensweise. Eins nach dem anderen! These und Antithese! Verifizieren und falsifizieren! Während mir die wissenschaftlichen Standards durch den Kopf gehen, fallen mir Bärbels Waden ins Auge.
>Da kann man Waden sehen, rund und schön.<
Anstatt auf ihre Frage weiter einzugehen, deute ich auf ihre Waden. »Liebling, die Zauberkraft deiner Waden ist ungebrochen.«
Daraufhin schickt sie mir einen Kuss herüber. »Du bist das Beste, was mir in meinem Leben passieren konnte.«
Mit einem Augenzwinkern gebe ich das Kompliment zurück. Nur nebenbei, ich bin übrigens für ehrliche Komplimente zu haben, anders als Manni, der Komplimente neuerdings als diskriminierend ansieht. Vermutlich hat seine neue Freundin zu diesem Meinungsumschwung beigetragen. Auf der Rückreise werde ich sie mir mal genauer ansehen. Bärbel hat sich inzwischen umgesehen. Über einer Hügelkette sind Strommasten zu erkennen. »Der Kabelbruch lässt mich nicht los.«
»Mach dir keinen Kopf, Mädel! Auch bei Stromkabeln gibt es gewisse Sicherheitsreserven.«
»Gilt das auch für Italien?«
»Selbstverständlich!«
»Auch für Valverde?
»Im grünen Tal, bei Anna, kann überhaupt kein Hochspannungskabel reißen. Dort gibt es nämlich keine.«
Mir fällt das nicht schwer zu behaupten, weil auf allen Ansichtskarten, die uns Anna vom Grünen Tal gesendet hat, ein strahlend blauer Himmel zu sehen ist.
»Vielleicht wurden die Kabel ja auch wegretouchiert, Schatz.«
»Nun mach mal halblang, Liebling! Unser Leben wird doch weniger durch unsere Unfälle bedroht, als vielmehr durch unsere Lebensweise.«
»Aber trotzdem, die Angst bleibt.«
»Weil wir Deutsche sind.«
>Paura tedesca!<
Ich bin echt gespannt auf Italien, vor allem auch darauf, wie Italiener wohl auf solche Bedrohungen wie Waldsterben und Ozonlöcher reagieren. Bevor ich den Gedanken weiterspinnen kann, bleibt eine Motorradstreife bei Bärbel stehen. Sie ist beeindruckt von der Montur des Polizisten. »Weiß mein Mann zufällig, welche Farbe die italienischen Polizei- uniformen haben?«
»Blau! Ist doch klar! Italien hält sich in dieser Frage nämlich an den Europäischen Standard.«
Der Polizist fährt kurz darauf weiter. Drei Autos weiter vorne hält er erneut an. Er lässt den Fahrer aussteigen. Sein Vorgehen erregt umgehend Bärbels Aufmerksamkeit. »Hoffentlich ist der Typ kein Mafioso!«
»Ich vermute, dass es Al Capone höchstpersönlich ist, und die Ballerei gleich losgeht.«
»Für Blödmänner wie dich kennen meine Freundinnen einen guten Gehirnchirurgen.«
»Und ich dazu einen passenden Ostfriesenwitz!«
»Aber mal im Ernst, glaubst du, dass Annas Mann etwas mit der Mafia zu tun haben könnte?«
»Nein! Aber vielleicht ist er ja ein guter Liebhaber. Italienische Männer sollen sehr sinnenfroh sein.«
Bei diesen Worten greife ich nach dem Schalter, mit denen man das Verdeck schließen kann. »Was soll das?«
»Auch deutsche Männer können manchmal sehr sinnenfroh sein.«
»Doch nicht hier auf der Autobahn!« Zwar liebt Bärbel Überraschungseffekte, sie weiß aber auch, was sich gehört. Damals am Strand von Hooksiel hatte sie die Leute um uns herum vergessen. Seitdem ist sie davon überzeugt, dass davon nur die Engel wissen.
*
Die Fahrzeugkolonne setzt sich allmählich in Bewegung. Doch es geht nur um ein paar Meter. Dann steigen wir wieder aus. Bärbel kramt im Kofferraum herum. »Als ich die Koffer packte, stand im Schrank eine Einkaufstüte von Mika. Später war sie nicht mehr da. Wo ist die eigentlich geblieben?«
»Es war nur Plastik. Ich habe die Tüte entsorgt.«
>Die Seele hat immer Lust auf einen schönen Körper!<
So heißt es bei Mika! Allerdings hat der Anspruch natürlich auch seinen Preis. Da ich aber unbedingt dafür bin, dass sich Bärbels Seele wohlfühlen soll, habe ich alle Ausgaben bisher klaglos akzeptiert.
»Als wir bei Manni waren, sprach er spontan davon, dass für ihn Kleider wie ein Bilderbuch seien. Wer oder was brachte ihn eigentlich darauf?«
»Keine Ahnung! Vielleicht dein weißes Spitzenkleid!«
»Ach geh!«
Sie trug es nämlich auf ihrer Geburtstagsfeier, zu der auch Manni eingeladen war. Damals konnte er sich an ihr nicht sattsehen. »Warum ist Manni eigentlich nicht verheiratet?«
»Seitdem er dich nicht mehr kriegen kann. Aber das weißt du ja.«
Während sie nach einer Antwort sucht, schaue ich an ihr herunter. Bluse und Mini sind mal wieder optimal aufeinander abgestimmt, und zwar überaus seelenfreundlich. Manchmal frage ich mich schon, woher sie diese Gabe hat.
»Was meinst du, wenn wir mal ein paar Schritte auf und ab gehen?«
»Viel!«
Auf unserem Weg über den Asphalt passieren wir verschiedene Gruppen. Hier und da hören wir zu. Das vorherrschende Gesprächsthema ist die Sanierung der Autobahnbrücken. Den Verkehrsminister halten die Leute unisono für einen Versager. Bei diesen Themen können wir nicht mithalten. Eine Geschäftsfrau im dunkelblauen Kostüm wendet sich überraschend an Bärbel. Sie beklagt, dass sie ihre Geschäftstermine jetzt nicht mehr würde einhalten können.
»Wollen Sie Ihre Kostümjacke nicht ablegen, gnädige Frau?«, frage ich sie, ohne mir dabei groß etwas zu denken.
Sie lächelt mich an, geht dann zu ihrem Wagen und legte dort ihre Jacke ab, so dass ihre dünne Bluse zum Vorschein kommt. In diesem Zusammenhang muss ich aber doch an unsere Bürokraft Lily denken. Die war während einer Hitzeperiode mal mit einem tiefausgeschnittenen Männerunterhemd im Büro erschienen, was sofort den ganzen Betrieb durcheinandergebracht hatte. Erfreulicherweise konnte unsere resolute Betriebsrätin das dann von Frau zu Frau regeln.
Bärbel trägt in ihrer Kanzlei in der Regel Kostüm. Zu Hause bevorzugt sie jedoch Jeans. Auf den Reisen liebt sie es leger. Deshalb auch der Strickmini und die luftige Bluse! Übrigens ein Modell Medusa! »Ziemlich ausgefallen, mein Liebling. Hoffentlich erstarre ich nicht gleich zu Stein!«
»Nur dann, wenn du weiterhin so geil auf meine Brust glotzt, mein Schatz.«
»Aber die Sachen von Versace sind doch wahnsinnig teuer?«
»Dafür ist mir Mika preislich entgegengekommen. Sie kennt ja meinen Knauser.«
Diese Zuschreibung finde ich als unfair. Schließlich habe ich ihr bisher noch nie einen Wunsch abschlagen können.
»Still!« Bärbel dreht die Lautstärke höher. Der bayrische Rundfunk meldet sich erneut. Diesmal sendet er einen Beitrag zur Klimakatastrophe:
>Der Juli war der wärmste Monat seit Beginn der Wetteraufzeichnungen.<
Bärbel dreht die Lautstärke wieder runter. »Sag jetzt nichts!«
»Doch! Manchmal frage ich mich schon, warum die Wetterfrösche nicht aus dem Fenster schauen, bevor sie das Wetter kommentieren.«
Unsere Schwägerin, die Angelika, die in München wohnt, kann Bärbels ständige Nörgelei über das norddeutsche Schietwetter nicht ertragen. Erst kürzlich wies sie uns darauf hin, dass in ihrer Stadt sogar schon den Klimanotstand ausgerufen worden wäre.
»Am dreißigsten …«, stimme ich kurz an, wobei Bärbel gleich mitsummt: »Wir leben nicht mehr lang. Doch keiner weiß, in welchem Jahr. Ist das nicht wunderbar, mein Schatz?«
»Na gottlob! So besteht Hoffnung, dass uns der menschengemachte Weltuntergang den Sturz in das schwarze Loch erspart.«
Dass ich dermaßen lax mit der drohenden Klimakatastrophe umgehe, können Bärbels Freundinnen nicht nachvollziehen. Die wissen ja auch nichts von meiner skeptischen Grundhaltung gegenüber wissenschaftlichen Erkenntnissen, die von der Politik verwurstet werden. Neulich haben diese Frauen sich sogar mit unseren Klimaaktivistinnen zusammengetan und den Stadtrat aufgefordert, in unserer Stadt endlich die Klimakrise auszurufen.
»Was meint eigentlich deine Kollegin zu den aktuellen Weltuntergangsszenarien?«
»Du meinst Frau Doktor? Unsere kluge Meta, die hat sogar schon Angst, dass der Flügelschlag eines Schmetterlings, der in Mecklenburg-Vorpommern herumflattert, einen ausgewachsenen Hurrikan in Baden-Württemberg auslösen könnte.«
»Bitte, schalte jetzt sofort das Radio aus!«
»Warte noch, Schatz! Der bayrische Rundfunk spielt gerade einen italienischen Schlager.«
>Buon giorno Italia gli spaghetti al dente e un partigiano come presidente!<
*
Svea, eine Freundin, die in Stockholm wohnt, leidet an Depressionen. Ihr fehlt die Sonne. Sie muss sich deshalb regelmäßig einer Lichttherapie unterziehen. Daher reist sie jeden Herbst nach Heraklion. Andererseits hat Arvid, ihr neuer Lebensgefährte, für den Hausgebrauch neuerdings spezielle Strahler angeschafft. Er wäre der Triumph der Hoffnung über die Erfahrung, schrieb Svea, als sie ihr Kommen für den Winter ankündigte.
»Svea will uns im Winter besuchen.«
»Ich weiß, Liebling. Offenkundig geht es ihr darum, sich mal wieder für einige Zeit der skandinavischen Dunkelheit zu entziehen. »Irgendwie komisch, dass der Mensch so wetterfühlig ist. Hat dein Freund Itzhak Bentov dafür zufällig auch eine Meinung?«
>Unsere Realität ist eine schwingende Realität, angefüllt von „Klängen“ verschiedener Art.<
»Er behauptet, dass Schwingungen unsere körperlichen Aktivitäten beeinflussen. In diesem Zusammenhang bezeichnet er unseren Körper auch als Oszillator.«
»Vielleicht sollten wir den Urlaub dafür nutzen, um auch dieses Thema zu vertiefen.«
»D‘accordo, mio caro!«
»War Bentov eigentlich Christ?«
Keine Ahnung! Bärbel kann manchmal aber auch fragen. Am besten, ich zitiere ihn mal, wie er sich persönlich vorkommt:
>Bei meinen weiblichen Lesern muss ich mich dafür entschuldigen, dass ich den Schöpfer mit „Er“ bezeichne. Ein Schöpfer ist weder Er noch Sie, sondern beides, doch irgendwie konnte ich mich dazu durchdringen, ihn als die »vorsitzende Person des Universums« zu bezeichnen.<
*
Die Verkehrsredaktion sendet ein neues appdäät:
>Der verkehrliche hotspot liegt bei Giengen…noch shutdown in den nächsten 57 Minuten…wir unterhalten dich jetzt mit Bayerns greatest hits ever...unser forerunner ist Eric Clapton mit Tears in Heaven.<
Als Bärbel Eric Clapton hört, stellt sie das Radio auf volle Lautstärke. Sie mag Mr. Slowhand. Kaum erklingen die ersten Takte, tritt eine Frau auf uns zu und bekennt ungefragt. »Eric Clapton is god.«
Von Bärbel weiß ich, dass er nur ein begnadeter Blues- und Rockgitarrist und in der Blueshall of Fame verewigt ist. Aber dass er Gott ist, das überrascht mich nun doch. »Darf ich mal fragen, wer Sie sind?«
»Ich bin die Barbara!«
»Welch‘ ein Zufall! Sie heißen wie meine Frau.«
»Zufälle gibt es ja wirklich. Haben Sie zufällig irgendwo meinen Yorkshire-Terrier gesehen?«
»Falls Sie ihren Harry suchen, der lässt sich gerade von den Leutchen da hinten verwöhnen.«
»Woher wissen Sie denn, wie mein Hund heißt?«
»Alle Yorkshire-Hunde heißen Harry. So will es jedenfalls ihre Namenspatronin, meine Frau.«
Als die fremde Barbara ihren Hund sieht, rennt sie gleich los. Kurz darauf ist sie wieder zurück. Sie trägt trotz der Hitze Harry auf dem Arm, wobei der ihr heftig das Gesicht leckt. Sie lässt es geschehen. Mir ist so was zuwider. »Haben Hunde eigentlich Schweißdrüsen?« Ich denke, die Frage bringt mich auf weniger eklige Gedanken.
Aber Hundemutter Barbara weiß Bescheid. »Hunde haben sogar Schweißfüße.«
Nachdem der Hund seinen Willen hatte, setzt die Hundemutter ihn ab und leitet ihn danach in das bisschen Schatten, den die Leitplanke wirft. Irgendwo dudelt plötzlich ein Radio.
>Brennend heißer Wüstensand<
»Kein Kuss, Schatz? Kein Scherz?« Trotzdem himmelt mich Bärbel an.
*
Ein SUV steht schräg vor uns in der Überholspur. Er ist mir schon die ganze Zeit aufgefallen, denn sein Motor läuft und läuft. Der Fahrersitz ist zurückgelehnt. Vermutlich schläft sein Fahrer. »Warum läuft eigentlich der Motor noch?«, will Bärbel wissen.
»Wegen der Klimaanlage!«, gebe ich zu bedenken.
»Und wieso heißen diese Fahrzeuge ESjUWIE?«
Bevor ich ihr antworte, mache ich mal eben einen Gedankensprung zu Manni. Der fährt nämlich auch einen Geländewagen, allerdings einen richtigen Jeep. Den braucht er nämlich bei der Feld- und Forstarbeit. »Warum sollten die denn nicht ESJUWIE heißen, Liebling?«
»Weil Feld-Arbeits-Gerät dafür auch ein schöner Begriff ist. Außerdem ließe sich der auch gefällig abkürzen. Zum Beispiel: FAG!«
Als sie FAG sagt, muss ich laut auflachen. »Wie willst du denn einen FAG in den USA verkaufen?«
»Wenn aber Mannis FAG ein SUV ist, dann ist der Karren da drüben ein Edel-SUV.«
»Bärbel, sä sänd albern.«
»Also gut, Schnauz! Das Thema ist abgesponnen!«
Barbara, die Hundemutter, gesellt sich wieder zu uns. Offensichtlich sucht sie Kontakt mit uns. Ihr steht nämlich der Schweiß auf der Stirn. »Kann ich helfen?«
»Haben Sie ein Tempotaschentuch? Ich ertrinke bereits in meinem eigenen Saft.« Ihr Hilferuf kommt mir gerade recht. »Ich habe das DLRG-Abzeichen in Gold«.
Doch das bringt meine Bärbel auf den Plan. »Deine verehrte Barbara will das aber gar nicht hören.« Mein Gott Bärbel! Sie reagiert mal wieder zickig. Aber so ist sie nun mal, immer wenn fremde Frauen im Spiel sind, muss ich mir dreimal überlegen, was ich sage oder was ich meine. Dabei geht es mir schon so wie dem Sohn eines Freundes, der es an einer amerikanischen Universität mit culture sanctions zu tun bekam.
»Himmel, schmeiß Hirn runter! Warum bin ich nicht gleich nach Zinnowitz gefahren?«
Aber darüber kann sich Bärbel überhaupt nicht aufregen. Kühl deutet sie darauf hin, dass wir unterwegs sind, um Annas möblierte Wohnung zu mieten.
Unsere neue Bekanntschaft geht auf und ab. Mir scheint, als ob jetzt jeder lieber mit sich selbst beschäftigt sein möchte.
»Hat meine Juristin schon italienische Mustermietverträge gewälzt?«
»Vertragsrecht, mein Schatz, ist universell. Das bisschen Rest regelt der gesunde Menschenverstand.«
»Und wenn uns deine Anna Schwierigkeiten macht?«
»Dann kaufen wir eben eine Burg.«
OK! Warum auch nicht? Die werden in Italien ja auch wie Sand am Meer angeboten. Vielleicht ist sogar auch noch diejenige Burg zu haben, die auf Annas Postkarten abgebildet ist. Alles Mögliche schießt mir bei diesem Thema durch den Kopf, und ich fange langsam an, mich zu wundern, warum meine Hellseherin davon nichts Konkretes weiß.
»Weil ich meine Kristallkugel zu Hause gelassen habe.«
Während ich mit mir hadere, ruft überraschend Bärbels Physiologin an. Wir sollten uns mal ihr neues Pilates-Programm ansehen. Bärbel stellt ihr Smartphone auf die Motorhaube und beginnt gleich mit den Übungen, die sich ihre sportliche Helferin für sie mal wieder ausgedacht hat. »Komm mach mit!« Als ich dann meine Arme nur rauf und runter schwenke, ist Bärbel unzufrieden mit mir.
>Zappelphilipp!<
Mitten in unsere Übungen platzt die Hunde-Barbara. Sie winkt mit dem Taschentuch. »Bärbel, die muss mal. Du auch?«
»Ich muss nicht.«
Meine Frage kommt nicht von ungefähr. Wenn Bibi, die ehemalige Freundin von Bärbel, musste, musste immer auch Bärbel. Eines Tages machte Bibi damit ein Ende. Angeblich hatte Bärbel ihr den Freund ausgespannt.
Während ich meine Übungen mache, gerate ich dummerweise an den Außenspiegel. Was ich nicht sehe, bemerkt Bärbel. »Du blutest ja. Sofort aufhören!«
»Das wird schon von selbst aufhören. Das regelt allein mein Körper.«
>Denn die Seele des Fleisches ist im Blut.<
Das fällt mir ein. Onkel Eduard pflegte das gelegentlich zu zitieren, wenn seine Söhne sich verletzt hatten. Mein Vater hingegen hielt den Spruch für Mumpitz. Als Manni und ich Blutsbrüderschaft miteinander geschlossen hatten und ihm unsere Wunden zeigten, gab er uns eine schmerzhafte Kopfnuss. Indes wurde meine Mutter damals mehr von der Sorge geplagt, dass wir uns bei der Selbstverletzung infiziert haben könnten.
>Ritze, ratze!<
»Kann es sein, mein Schatz, dass ich es noch nie erlebt habe, dass du mal mit mir über deine Probleme geredet hättest.«
»Das Leben besteht ja auch nicht darin, über Probleme zu reden. Probleme lösen, meine liebe Bärbel, darauf kommt es an.«
Inzwischen war Harrys Mutter mit ihrem Taschentuch tiefer ins Feld hineingelaufen. »Mein Gott! Guck weg!«
»Und was ist mit dir, Liebling?«
»Ich kann noch aushalten.«
*
Endlich rollen wir wieder. Schneller, schneller, schneller. Der große SUV gerät uns aus den Augen. Ich versuche, ihm zu folgen. Aber er rast nur so dahin.
>Fahren mit Freude<
»Vorsicht, mein flotter Hirsch! Er überholt mal wieder gerade rechts. Das ist nicht erlaubt.«
»Bei uns gilt Rechtsfahrgebot, und ich werde mich daranhalten. Die Richtersprüche dazu sollte meine Frau eigentlich kennen.«
»Vielleicht solltest du mal Rücksicht auf mich nehmen. Mir ist schon richtig schlecht.«
»Ich finde meine Fahrweise ja auch doof.«
»Warum beteiligst du dich dann nicht an der allgemeinen Nötigung? Achtung links! Harrys Mutter naht mit ihrem Cordoba.«
*
Der Cordoba! Wir hatten diesen Wagentypen mit den Flugkarten bestellt, als wir an der Costa de la Luz eine Woche Urlaub machen wollten. Die Reise verlief allerdings nicht ohne Überraschungen. Nicht nur, dass der stürmische Südwind, genannt Levante, blies, so dass wir kaum vor die Türe kamen, sondern auch das von uns bestellte Cordoba-Modell erwies sich als fehlerhaft. Übrigens auch die drei anderen Fahrzeuge dieses Modells, die man uns nach und nach zur Verfügung stellte, waren frei von Mängeln. Azar? Zufall? Aber davon wollte Bärbel nichts wissen.
>Eviva España!<
»Hallo Bärbel! Costa de la Luz?«
»Mein Mann denkt an Veronika?«
»Nein, an Cordoba!«
»Bist du dir auch ganz sicher?«
»Und wofür brauchst du die Pillen?«
»Was für Pillen?«
»Diese blauen Dinger! Ich fand sie in deinem Kulturbeutel.«
»Du spionierst hinter mir her?«
»Das ist doch Viagra, oder?«
»Es ist so, wie du denkst. Aber ich brauche die nicht, eher ein Gegenmittel.«
»Geh Vater! Das wüsste ich besser. Trotzdem verstehe ich nicht…«
»Als ich mit Manni wegen unserer Übernachtung telefonierte, fragte er mich, ob ich ihm das Zeug aus unserer Stadtapotheke besorgen könne.«
»Und nun weiß unsere Apothekerin, dass mein Mann Erektionsprobleme hat.«
»Mitnichten! Aber sie wird sich denken können, dass ich eine Karriere als Pornostar anstrebe.«
»Himmel hilf! Und sowas habe ich geheiratet.«
*
>Doce cuentos peregrinos!<
Zwölf Geschichten aus der Fremde! Auch wir können dazu einiges beitragen. Ungeachtet des Starkwindes gingen wir zum Faro de Trafalgar und verbrachten dort den Tag. Abends schaute Bärbel dann in den Spiegel, wollte unbedingt sehen, ob sie durch den Wind auch schon irgendwie gealtert wäre.
*
>Cuando calienta el sol aquí en la playa, siento tu cuerpo vibrar, cerca de mi!<
Aus der Sandburg nebenan erklang eine ungeübte Stimme. Eine deutsche Urlauberin sang ständig cuando calienta. Dann ging sie zum Wasser runter. Plötzlich war sie nicht mehr zu sehen. Als ich nachschauen ging, wusste ich, dass die fremde Frau in großer Gefahr war. Als ich sie aus dem Wasser zog, musste Bärbel mitanfassen. Im Gegenzug lud die Fremde uns zu einem Abendessen unter Palmen ein. Sie hieß übrigens Veronika.
»Der Levante, muy querida Barbara! Weißt du noch?«
»Gracias a Dios! Ihr hattet Gott sei Dank einen Schutzengel.«
»Vergiss nicht, dass ich examinierter Rettungsschwimmer bin.«
»Aber ich habe für euch gebetet.«
*
Die Fahrt verläuft alleweil zügig dahin. Wir wollen in Wangen Station machen. Dort sind jedoch alle Hotels ausgebucht. Ein Dienstmann gibt uns einen Geheimtipp. Deuchelried! Das Nachbardorf! Tatsächlich finden wir dort ein freies Zimmer. Nachdem wir uns umgezogen haben, gehen wir runter in den Biergarten.
»Liebling! Dein Smartphone klingelt. Geh doch bitte mal dran!«
»Beim Essen möchte ich meine Ruhe haben.«
»Dann schau doch wenigstens nach, wer der Anrufer ist! Schließlich könnte es ja auch Angelika sein.» Angelika ist die Frau meines Bruders.
»Aber nur der Angelika zuliebe! Aha! Die Nummer ist unterdrückt. Mal sehen, wer dran ist? Veronika! Du? – natürlich erinnere ich mich noch – nicht schlimm – wir sind gerade auf dem Weg nach Italien – für zwei, drei Wochen – du hast recht – wir müssen uns unbedingt treffen – wenn wir wieder zurück sind, rufen wir an – nein – wird nicht vergessen – du auch – ciao!«
*
Autobahnen – Gebühren – Tunnel – Passstraßen – der Alpenhauptkamm – Italien; oben auf der Passhöhe noch 10 Grad – dabei leicht bewölkt – unten im Tal dagegen schon 25 Grad im Schatten.
Wir nehmen die Autostrada. Der Angestellte in der Mautstation trällert uns seinen speziellen Willkommensgruß entgegen.
>Buon giorno, signora! Buon giorno, signore! Il biglietto, per favore!<
Bärbel drückt ihm den passenden Betrag in die Hand. Allerdings rutscht ihr dabei eine 10-Cent-Münze durch die Finger. Sie steigt aus und sucht unter dem Wagen nach dem Geldstück. Währenddessen hupt es hinter uns, einmal zweimal.
»Ein Italiener?« Ich weiß nicht, warum sie gerade auf ihn kommt. Mir war bisher nichts aufgefallen, was auf einen Italiener hindeutete. »Falls es Sie interessiert, Signora? Ihr ungeduldiger Italiener fährt übrigens ein Auto mit dem Kennzeichen Li.« Unerwartet fängt er an, die Tonleiter rauf und runter zu singen.
«Do re mi fa so la li do« La ti do!«, trällert Bärbel zurück.
»La li do!« Er korrigiert sie auf seine Weise.
Als der Drängler erneut hupt, verlässt meine Bärbel, wie ich meine, ziemlich umständlich den Recarositz. »Aha, ein Lindauer! Ja, Herrgottzeiten, Sappralott noch a mol! Schleich di du Depp! Du Damischer!«
Als sie sich ausgeschimpft hat, fühle ich mal wieder bestätigt, was mein Bruder immer über die bayrischen Dialekte sagt: Damit ließe sich mancher beschimpfen, ohne dass es gleich zu einer Anzeige führen würde.
Nachdem meine Bärbel wieder Platz genommen hat, öffnet der Angestellte die Schranke. »Buon viaggio!«
Wir fahren bis zum nächsten Autogrill. Unterwegs will ich von Bärbel wissen, ob ein Auto eigentlich eine Waffe sei.
»Das Bundesverfassungsgericht hat diese Frage verneint, mein Schatz. Willst du wissen mit welcher Begründung?«
»Nur zu gerne!«
»Für die obersten Richter reicht allein die Möglichkeit, einen Gegenstand in zweckentfremdender Benutzung zur Bekämpfung von Zielen zu verwenden, zur Begründung der Waffeneigenschaft nicht aus. Warum fragst du?«
»Nur so!«
Auf dem Rastplatz wechseln wir die Plätze. Als wir die Autobahn verlassen und ins Grüne Tal einbiegen, kramt Bärbel eine Ansichtskarte hervor, die ihr Anna geschickt hatte.
»Willst du mal einen flüchtigen Blick riskieren?«
Das würde ich natürlich gerne, aber eine Kolonne niederländischer Wohnwagengespanne erfordert gerade meine ungeteilte Aufmerksamkeit. Bärbel nimmt mir die Arbeit ab:
>Valverde: Il borgo piu bello d´Italia. Benvenuti all´incantata atmosfera di nostra terra montosa, dove il colore che vi circonda è il verde.<
Ihr Italienisch klingt perfekt. Das hat ihr übrigens Dr. Weiß, unser Italienischlehrer, beigebracht. Mit mir war er eher unzufrieden, vor allem wenn ich dann und wann Denglisch redete.
>Warum Deutsch oder Italienisch sprechen, wenn es auf Englisch auch geht.<
Nur nebenbei bemerkt: Dr. Weiß hält Sprachen für ein Kulturgut, das gepflegt und geschützt werden will.
>Dillo in italiano!<
Es auf Italienisch sagen, wissen wir von Dr. Weiß. Und der hat es von Frau Annamaria Testa. Sie ist übrigens esperta di communicazione und lebt in Mailand. Für beide gilt: Nur die Muttersprache ist diejenige Form, in der sich Gedanken und Kreativität ausprägen.
>Wer spricht, wie er isst, spricht schlecht!<
Das sagte mein Freund Manni einem Denglisch daherredenden Lehrling ins Gesicht, als er ihm beim Essen zusah. Damit traf er den Nagel auf den Kopf. Als der mal wieder von scapegoaten redete, brachte er ihn kurzerhand mit einem amerikanischen Soldaten zusammen. Doch dabei stellte sich heraus, dass sein Lehrling den GI gar nicht verstand. Manni: Der Lehrling konnte ja nicht einmal richtig Deutsch.
An dieser Stelle würde ich für Dr. Weiß gerne mal eine Lanze brechen. Er hat ja nichts gegen Denglisch. Allerdings fordert er insbesondere von den Schulen, dass sie den Sprachgebrauch mit viel Sorgfalt einüben.
>Was sich sprachlich bewährt, bleibt!<
Das sagte schon Goethe! Bärbel sieht das genauso. Allerdings ist für sie, nach einem BGH-Urteil, Deutsch auch die Gerichtssprache. Dass auch in Italien Italienisch die Amtssprache bleibt, dazu drückt meine Bärbel der Frau Testa kräftig die Daumen. Schließlich sei Italienisch ja auch die Muttersprache der Engel.
>O sole mio!<
»Sta’ nfronte a te! Avanti, bella Barbara!«
»Und du glaubst, das versteht jeder?«
»Nein! Aber Denglisch kann ja auch nicht jeder.«
*
>Falleri, fallera, fröhlich singt stets mein Mund.<
»Schau mal, Liebling, da vorne liegt unser Dorf! Wir sind da.«
»Du sprichst schon von unserem Dorf?«
»Tue ich das? Seltsam! Dabei kenne ich das Dorf doch noch gar nicht.«
Das Dorf, das sie meint, erstreckt sich quer über den Südhang des Grünen Tales. Gleich in der Zufahrt ist noch ein freier Parkplatz. Wir öffnen schon mal die Türen, bleiben aber noch einen Moment sitzen. Bärbel muss erst noch den Zwischenfall auf der Serpentine verdauen. Eine Radlerin war vor uns gestürzt. Nur durch Bärbels rasche Bremsreaktion konnte Schlimmeres verhindert werden. Supi! Sie hätte den Sturz kommen sehen, meinte sie.
Mit einem Mal fangen Kirchenglocken an zu läuten. Schaurig schön klingt es. Offenkundig fehlt es bei ihnen an Abstimmung. Wir steigen aus und dehnen und recken uns.
>Nur wo du zu Fuß gewesen bist, bist du wirklich gewesen.<
Auch das ist eine unserer Lebensweisheiten. Daher lassen wir zunächst alles stehen und liegen. »Soll ich abschließen?« Bärbel schüttelt den Kopf. »Ich habe Vertrauen in die Italiener.«
Nachdem sie Haare und Rock geordnet hat, treten wir unseren ersten Gang durch die Gemeinde an. Es geht bergauf. Zikaden begleiten uns. Kein Lüftchen regt sich. Ein Banner quer über der Straße erregt unsere Aufmerksamkeit.
>Das Grüne Tal ist bereit zur Globalisierung!<
Wir müssen an die Seite treten. Ein dunkelgrüner Panda will vorbei. Auf seiner linken Tür ist Polizia munizipale zu lesen. Bärbel zeigt sich alarmiert. »Haben wir auch korrekt geparkt, Schatz?«
»Unser Cabrio steht auf einem Platz, der mit einem großen P gekennzeichnet ist. Alles korrekt, Liebling?«
»Aber das Schild entspricht nicht unserer DIN-Norm.«
Sie hat Recht, aber das müssen wir bei der Hitze hier oben auch nicht weiter thematisieren, zumal ich Obacht geben muss, dass ich nicht ein Opfer von Rennradlern werde, die aus einer oberen Serpentine heranschießen.
>Vaffanculo<
Arschloch? Offensichtlich meint er mich. Aber der hätte ja auch Rücksicht nehmen können. Mit diesen Gedanken schreite ich weiter, dieweil Bärbel jedes Haus fotografiert, das an unserem Weg liegt.
>Pittoresco!<
Wir gehen der Straße nach, aus der die Rennsportler gekommen waren. Sie bildet vor uns ein großes S. Im unteren Abschnitt liegt ein Friedhof. Er ist offenkundig stillgelegt. Dafür ist die nahe Kapelle noch in Betrieb. Für den Fall näherer Auskünfte sollte man sich an Monsignore Fratelli von der Brunnenkirche wenden, steht auf einem Plakat. Ich werde es mir merken. Wir gehen weiter und passieren eine Baustelle, auf der aber niemand arbeitet.
Nach der nächsten Biegung stehen wir mitten im Dorf. Danach führt die Straße auf einen Torbogen zu, wo uns zwei verwitterte Holzschilder auf mögliche Ausflugziele aufmerksam machen.
>←Al lago!<
>Al castello!→<
Da wir an Ort und Stelle weder einen See noch eine Burg ausmachen können, gehen wir durch den Torbogen. Er ist eng und schmal. Ein Hinweisschild verbietet die Durchfahrt von Bussen.
Kurz vorher entdeckt Bärbel eine Treppe. Sie führt steil den Hang hoch. »Schau mal, Schatz! Eine Himmelsleiter!«
Ich schau mir kurz die Himmelsleiter an. Sie ist in den massiven Kalkfelsen gehauen. Keine Stufe gleicht der anderen. Über der oberen Stufe zeigt sich ein Hausdach. Rauch steigt auf. Ein Trecker wurde soeben angeworfen. »Schau mal, Schatz! Der Berghof!«
Wir lassen die Himmelsleiter links lieben und schlendern durch den Torbogen. Auf einem kurzen Abschnitt dahinter erweitert sich die Straße. Danach kommt eine Biegung, die zum Berghof führt. Für Bärbel steht dort erfreulicherweise eine Bank. Da wir vom Pflastertreten genug haben, setzen wir uns. »Was sagst du nun, Liebling?«
>Bella vista!<
Bärbel meint den Ausblick auf das Tal und die Berge. Ich kann mich dem nur anschließen. Aber auch das Dort bietet Interessantes. Soweit sich sehen lässt, besteht es hauptsächlich aus einer Häuserkette, die sich hangmäßig über mehrere Terrassen erstreckt.
Die Lage des Dorfes scheint Bärbels Vorstellungskraft fördern. »Das sieht alles aus wie ein überdimensionales Kreuz.«
Auf dem Rückweg nehmen wir den fußläufigen Pfad, der die Terrassen kreuzt und ins Dorfzentrum hinunterführt. Er ist steil und unbefestigt. Mir fällt plötzlich auf, dass wir hier noch keine Menschenseele getroffen haben.
»Die feiern gerade siesta«, vermutet Bärbel, die sich mal wieder in meine Gedanken eingeklinkt hat.
»Aber siesta ist doch spanisch, Gnädigste!«
»Spanischen Ursprungs, señor!«
»Caramba, caracho, verflucht sacramento, Dolores!«
»Jedenfalls so ähnlich!«
Wir müssen für einen Moment stehen bleiben, denn eine Katze lässt uns nicht vorbei. Mir kommen ein paar Erinnerungen an einen ehemaligen Spanischkurs.
>Con algo hay che empezar.<
Mir irgendetwas muss man anfangen, denke ich mir und scheuche die Katze weg. Die Situation erinnert mich an Playa fanals, dann Strand an der Costa Brava, wo ich unserem Hausmeister dabei geholfen hatte, die Katzen aus unserem Ferienhaus zu entfernen. »Bitte, keine Gewalt!« Bärbel weiß, dass ich Katzen nicht mag. Aber die hier trollt sich überraschend von alleine. »Kennst du noch diesen Juan, der von uns plötzlich Deutsch lernen wollte?«
Juan hatte uns seine Ferienwohnung zum Kauf angeboten. Nur wenig später machte er einen Rückzieher. Er hätte es sich halt anders überlegt. Wir beendeten unseren Spanischkurs und lernten Italienisch, was mit Bärbels Freundin zu tun hat, denn deren Brieffreundin war mal Anna Marconi, die uns jetzt eingeladen hat. Als Frau Marconi eines Tages plötzlich keine Post mehr beantwortete, übernahm Bärbel die Kontakte, eine Verbindung, die bisher hielt. Die Anfänge liegen nun ziemlich genau ein Jahr zurück.
»Buongiorno!« »Buongiorno!« Ich werde daran erinnert, dass wir ja in Italien sind. Es ist eine junge Mutter, die uns freundlich grüßt. Bärbel schaut ihr noch eine Weile nach. »Die ist schwanger.«
Ich sah es ihr nicht an. Allerdings hat Bärbel dafür ein Sensorium. Wie das funktioniert, weiß ich nicht. Jedenfalls hat mein naturwissenschaftlich geschulter Geist auch dafür bisher noch keine Erklärung gefunden.
»Ich freue mich schon auf Anna«, meint Bärbel.
Dieweil bin ich mit all meinen Sinnen bei einem Geplätscher. Noch wenige Schritte und wir stehen am Dorfbrunnen. Er begrenzt den kleinen Marktplatz, der frisch gepflastert scheint. Ringsum die Häuser sind aufs Feinste renoviert. Dachrinnen und Fallrohre, alles aus glänzendem Kupfer.
»Eine Quizfrage gefällig?«
Bärbel schaut misstrauisch drein. Das tut sie immer, wenn ich so frage. »Falls du die Frage nach dem kleinsten Dom stellen solltest, dann kannst du dir das ersparen. Den Witz kenne ich nämlich schon, Schatzilein.«
»Aber diesmal geht es um etwas ganz anderes.«
»Dann schieß mal los! Ausnahmsweise!«
»Was meinen Italiener, wenn Mönche ihre Zapfen in Nonnen stecken?«
Ich wusste es. Bärbel empört sich. »Keine Sauereien bitte!«
Dabei kennt sie die Antwort, weil sie uns Dr. Weiß verraten hatte. Deshalb lasse ich diese Frage jetzt auch mal unbeantwortet. Stattdessen gehe ich weiter. Dabei fällt mir auf, dass weder Straßen noch Gassen Namen tragen. »Ich schlage vor, Liebling, dass wir die Straße, die ins Tal hinunterführt, ab sofort Dorfstraße nennen.«
»Und ich, mein Schatz, bin dafür, dass wir die Straße, die von hier aus in Richtung Burg verläuft, ab sofort Burgstraße nennen.«
Wir nicken uns zu. Damit ist schon mal Einvernehmen hergestellt. Nun geht es nur noch darum, unser Haus zu finden. Doch vorher nehmen wir noch einen Schluck Wasser. Plötzlich donnert ein Trecker dicht an uns vorbei, was meine Bärbel gar nicht lustig findet. Auch wenn der Fahrer lustig seinen Hut schwenkt.
>Acqua minerale!<
»Was ist man eigentlich, wenn man viel getrunken hat?«, will Bärbel überraschend wissen.
»Ubriaco!«
»Besoffen, meine ich nicht.«
»Dann hat man sich satt getrunken.«
Bärbel begleitet meine Äußerung mit Skepsis, erwidert aber nichts, weil Himbeeren plötzlich ihre Aufmerksamkeit fesseln. »Lamponi!« Ihre Lieblingsbeeren!
Mein Blick richtet sich auf einen Gemüsegarten, der sich dem Brunnen anschließt. Als ich nähertrete, krakeelen Hühner, die dort in Apfelsinenkisten untergebracht sind.
»Tenute in cattività«, entfährt es mir in einer spontanen Reaktion.
»Was will mein Mann damit ausdrücken?«
»Nichts weiter als artgerechte Tierhaltung, Liebling!«
»Bongiorno!«
Wie, was, wo? Doch dann entdecke ich eine ältere Dame, die in dem kleinen Gärtchen auf den Knien liegt und Unkraut jätet. Als wir zurückgrüßen, mutmaßt sie in einem uns unverständlichen Dialekt, dass wir die neuen Mieter von Anna sein müssten. Während wir angestrengt nach passenden Worten suchen, schleicht sich ein zotteliger Schäferhund von hinten heran. Bärbel sucht sofort Deckung. Ich kann sie verstehen, denn sie wurde mal von einem Dobermann gebissen.
»Basta!«, brülle ich mehrmals, in der stillen Hoffnung, dass ein italienischer Hund auch italienische Kommandos versteht.
Dieser Hund gehorcht doch tatsächlich. Er setzt sich vor mich hin und hebt sein Pfötchen. »Der hat dich als Leithund akzeptiert, Schatz.«
»Hoffentlich hat er auf das Wiedersehen mit mir jetzt nicht zwanzig Jahre warten müssen!«
»Dann kann ich nur hoffen, dass er nicht gleich zu deinen Füßen verenden wird.«
Der Hund leckt mir die Füße. Ich frage die Gärtnerin nach dem Namen des Hundes. Was sie antwortet, ist mir unverständlich. Auch gut, ich wollte ihn ohnehin Basta nennen. Als sich der Hund davonmacht, weist die fremde Frau auf ein Haus, dessen Balkon über und über mit Geranien geschmückt ist.
»Tredici!«
Dreizehn! Das ist das Haus, das wir suchen. Zwei Etagen, graue Steinmauern! Eine flache Rampe führt zu einer Tür im Untergeschoss. Sie ist verschlossen. Seitlich geht eine Steintreppe nach oben. Auf ihr sitzt die Katze, die wir schon kennen. Ich jage sie weg.
»Kater Karlo,« meint Bärbel.
»Arrivo subito!« Wir schauen hoch zum Balkon. »Buongiorno! Siete i benvenuti!«
Ja, wir sind angekommen. Eine Frau stürmt die Treppe herunter. Es ist Anna. Sie nimmt Bärbel gleich in den Arm. Mich übersieht sie. Wenig später schießt ein Lancia Granturismo auf uns zu. Es ist Annas Mann, der aussteigt.
»Ich habe nur wenig Zeit. Am besten, wir gehen gleich nach oben.«
Oben begrüßt uns laut kläffend ein Rauhhaardackel. Ich streichele ihm übers Fell und beruhige ihn. Danach schickt ihn Arturo in sein Körbchen. Doch er frisst erst seinen Napf leer. Inzwischen hatte Anna Gläser besorgt und vollgeschüttet. »Alla salute!« Zum Wohle! Ohne Umschweife bieten uns beide das Du an.
Es ist wie verhext. Mir fehlen plötzlich die Wörter. Ich weiß nicht, was ich daraufhin sagen soll. Dafür nehme ich einen erneuten Schluck. Dabei fällt mein Blick zufällig auf einen Stapel Zeitschriften:
>Il Mondo del Golf – La più importante rivista del golf al mondo.<
»Spielt einer von euch Golf?« Überraschend hatte ich meine Sprache wiedergefunden.
Anna schüttelt den Kopf. Arturo zögert mit der Antwort. »Ich nehme derzeit ein paar Übungsstunden. Und du? Spielst du auch Golf? Welches Handicap hast du?«
»Ich spiele kein Golf. Ich bevorzuge die Sportarten, bei denen es hauptsächlich um Mann gegen Mann geht.« Während ich dabei nach Fachwörtern suche, bekomme ich mit, wie Anna mit Bärbel über Küchenrezepte spricht. Dabei ist meine Frau in ihrem Element. Wortreich berichtet sie davon, wie sehr sie die italienische Küche bevorzuge. Unterdessen zeigt Anna auf den Garten hinter ihrem Haus. »Der steht euch ab sofort zur Verfügung.«
Derweil will uns Arturo seinen Keller zeigen. »Wollt ihr mal unseren neuen Bio-Laden sehen?«
Er öffnet eine Tapetentür und geht voraus. Eine Treppe führt nach unten. Sie ist unbeleuchtet. Plötzlich verspüre ich einen Stromschlag. »Attenzione, Armuto! Das Kabel!«
Auf einer Zwischendecke treffen wir wieder zusammen. Vor uns breitet sich ein Loch aus. Eine Leiter ragt empor. Arturo zeigt an, dass wir dort hinabsteigen müssten. Er geht voraus. Bärbel in ihrem kurzen Rock schüttelt den Kopf. Ich aber folge ihm. Tritt für Tritt geht es hinab ins Dunkle. Unten schaltet Arturo eine Stablampe ein. Der Lichtkegel wandert hin und her, rauf und runter. »Das hier wird mal unser Dorfladen.«
»Mir scheint, der liegt direkt unter unserem Appartement.«
»Keine Angst! Die Kunden werden euch nicht belästigen.«
»Und dann steht Arturo hinter dem Tresen und bedient sie?«
»Nein! Arturo bleibt Bürgermeister. Das hier wird Annas Revier. Sie ist ja auch schon in Rente.«
Ich schaue mir alles flüchtig an. Allerdings ist auch nicht viel zu erkennen. Dann steigen wir wieder nach oben. »Glück auf, der Steiger kommt! Genug gesehen, mein Schatz?«, ruft sie ziemlich gut gelaunt.
»Wir waren in Annas neuem Bio-Laden.«
»Dann weiß ich ja, wo ich demnächst einkaufen werde.«
»Die Eröffnung ist allerdings erst für den Herbst vorgesehen, Liebling.«
Woher ich das weiß? Reine Intuition! Aber Bärbel fragt auch nicht weiter nach. Stattdessen erfahre ich wahrhaft nützliche Dinge, wie beispielsweise, dass die Italiener slow-food erfunden haben.
Arturo wartet solange, bis Bärbel mit dem, was sie über Bio weiß, durch ist. Dann bricht er auf. In einem Nebengelass bleibt er stehen. »Hilf mal!«
Wir entfernen gemeinsam eine verschlissene Wolldecke. Ein graubrauner Vogel wird sichtbar. Er zeigt Anzeichen von Unruhe. Im selben Moment wird mir bewusst, dass in den Mittelmeerländern ja immer noch Vögel mit Ködern gefangen werden. Bärbel ekelt sich. »Das arme Tier!« Sie kann nicht hinsehen. Stattdessen fragt sie mich, was Tierquälerei auf Italienisch heißt. Seltsamerweise fällt es mir sofort ein:
>Maltrattamento degli animali!<
Daraufhin nimmt Arturo die Decke und wirft sie über das Eisengestell. Ohne auf uns Rücksicht zu nehmen, verschwindet er nach oben. In der Küche wartet Anna auf uns. »Arturo musste weg. Er hat den Dackel mitgenommen. Ich soll euch sagen, dass er heute Abend um 21 Uhr über den Mietvertrag sprechen möchte.« Mit diesen Worten übergibt sie Bärbel den Schlüssel für unsere Wohnung.
*
Wir stehen vor unserer Wohnung! Die Tür lässt sich nur schwer bewegen. Ich muss mit dem Fuß nachhelfen. Bärbel geht als erste hinein. Sofort öffnet sie Fenster und Türen. Auch Wasser lässt sie laufen. »Wegen der Legionellen!«
*
Hier eine Kurzbeschreibung der Wohnung: Auf der linken Flurseite befinden sich der Reihe nach und Bad. Gegenüber auf der rechten Seite liegen Küche, Arbeitsraum und das Kinderzimmer.
Die Einrichtung, wie Bärbel sie sieht: »Alles muss raus und neu!«
Plötzlich fällt ihr ein, dass sie noch einkaufen muss. Sie hatte Glück. Der Laden hatte noch auf. Zurück kommt sie mit vollen Tüten. »Ich habe für die nächsten Tage gleich mit eingekauft.«
Während sie die Lebensmittel einräumt, hole ich schon mal die Koffer. Nachdem alles gerichtet ist, fallen wir beide hundemüde auf das Bett.Während sie schläft, höre ich sie murmeln:
>Aber den Winter, den möchte ich hier auf gar keinen Fall verbringen.<
O Bevi o affoghi.
Friß Vogel oder stirb.
Im Urlaub legt Bärbel immer die Beine hoch. Dann soll ich mal für sie wirtschaften. Das hat sich bisher gut eingespielt und bedarf eigentlich keiner besonderen Abreden mehr. Als sie den Emailleherd sieht, erinnert sie sich an ihre Großeltern. »Den will ich gleich mal ausprobieren.«
»Was darf dein Schatz denn Lukullisches heute Abend erwarten?«
»Spaghetti Bolognese! Diverse grüne Beilagen! Nachtisch! Du kannst schon mal in Annas Garten laufen, Lauch und Gemüse holen. Die hat es uns nämlich erlaubt.«
Das mache ich doch umgehend, zumal sie mir beim Gemüse freie Auswahl gewährt hat. Annas Garten liegt direkt hinter dem Haus. Als ich die rückwärtige Tür öffne, falle ich fast in eine Grube.
»Buongiorno!« Eine Frau in Arbeitskleidung fängt mich noch rechtzeitig auf. »Herzlich willkommen in Valverde! Ihre Lebensretterin ist übrigens Giulia Bondone. Und der emsige Malocher da unten in der Grube, das ist mein Mann. Paolo komm mal rauf!«
Ich deute an, dass er bloß unten bleiben soll. Doch Paolo lässt es sich nicht nehmen, mich persönlich zu begrüßen. »Salve! Wir sind noch beim Ausbau. Im Lauf der nächsten Woche wird aber alles fertig sein. Dann wird ordentlich gefeiert. Sie und Ihre Frau sind natürlich eingeladen.«
»Was gibt das hier unten, wenn es fertig ist?« Damit zeige ich in die Tiefe.
»Einen Kühlraum für die Lebensmittel! Aber sagen Sie, wollen Sie heute Abend nicht mit uns mal probeessen?«
»Ein andermal gerne! Heute sind wir schon bei unserem Vermieter eingeladen.«
»Zum Abendessen?«
»Es geht um den Mietvertrag.«
Für einen Moment entsteht eine Pause, die ich nutze, um meine Italienischkenntnisse aufzufrischen. »Dove il giardino?«
»Dahinten, wo der Gemeindebagger und ein paar Landmaschinen stehen! Sollten Sie etwas brauchen, wir helfen ihnen gerne.« Mit diesen Worten steigt Paolo in die Grube zurück.
Annas Garten! Nie zuvor habe ich eine solche Fülle mediterraner Pflanzen gesehen. Zunächst versuche ich mir einen Überblick zu verschaffen. Danach pflücke ich, was mir gerade in den Sinn kommt, allerdings in Maßen. Bärbels Auftrag ist schnell abgehakt. Zuletzt suche ich noch das Beet mit den Beerensträuchern auf.
>Frauen sind wie Himbeeren.<
Die Idee, die mir dabei kommt, passt gut zu Bärbel. Darum greife ich auch reichlich zu. Auf dem Rückweg nehme ich dann noch einen Strauß Schopflavendeln mit.
»Mein Schatz ist aber lieb. Sogar Blumen bringt er mit. Ist es mal wieder das schlechte Gewissen?« Ich wüsste eigentlich nicht warum, denke aber fix über ihre Frage nach. Finde aber nichts, also gibt es dafür auch keinen Grund.
»Du kommst aber reichlich spät. Warst du noch bei Anna?«
Ich weiß nicht, was ihre Frage soll. Aber ich beschließe ehrlich zu sein und antworte. »Das liegt hauptsächlich an Paolo und Giulia Bondone, unseren Nachbarn. Wir sprachen etwas miteinander. Sie laden uns übrigens zur Eröffnungsfeier ihrer Agritur ein.«
Bärbel ist seltsam abgelenkt. Auch sucht sie etwas. »Schatz, wir brauchen eine Vase.«
So was heißt für mich immer. Schreib mal auf! Welch ein Glück, dass ich einen Spiralblock mitgenommen habe. Während ich mir „Vase“ notiere, fällt mir ein, dass in dem Arbeitszimmer ja ein Wassereimer steht, der als Ersatz dienen könnte.
»Fehlt noch was, Schatz? Ich meine, wenn wir schon einmal dabei sind.«
»Landwein!«
»Arturo hat uns seinen Wein geschenkt.«
»Den heben wir uns für zu Hause auf.«
»Ok! Dein Mann ist schon unterwegs.«
»Wohin?«
»Zu dem Bergbauern da oben!«
»Pack Geld ein! Mir wäre es peinlich, wenn du ihn anpumpen würdest.«
»Hast du zufällig mein Portemonnaie gesehen?«
»Es liegt auf der Mittelkonsole im Auto! Aber vielleicht wurde es inzwischen ja auch schon stibitzt.«
»Ach was, Liebling! Italiener hingegen sind grundehrliche Menschen.«
»Das war nicht immer deine Überzeugung.«
»Man muss eben auch mal seine Meinung ändern können.«
Da Bärbels Wunsch immer auch ein Auftrag ist, mache ich mich sogleich auf den Weg. Ich nehme die Himmelsleiter als Abkürzung. Ihre Stufen sind ungleichförmig. Sie versprechen ein mentales Aktivierungstraining, das ich von Bärbels Physiologin gelernt habe. Sie hat mir nämlich empfohlen, bei Treppen immer die eine Hälfte vorwärts und dann die andere Hälfte rückwärts hinauf zu steigen. Ob es mental was bringt, scheint ungewiss. Aber sieht mich Bärbel so verfahren, hält sie mich ohnehin für verrückt. Immerhin!
Als ich oben ankomme, laufe ich auf einen roten Trecker zu. Da weit und breit niemand zu sehen ist, verschaffe mir vom Hof erst einmal einen Überblick. Ich glaube, mich in einem Museum für Landwirtschaft zu befinden. Überall befinden sich historische Gerätschaften! Mit einem Mal klingt eine Stimme an mein Ohr.
»Vengo subito!«
Es ist der Bergbauer. Er kommt gerade aus dem Haus. »Benvenuto! Cosa voi? Mi chiamo Gianfranco. Ich heißen Gianfranco, jawoll!«
»Sie sprechen ja ganz passabel Deutsch.«
»Nur noch ein paar Brocken!«
»Wieso, woher?«
»Als ich noch jung war, ging ich in der Schweiz mal auf die Walz.«
»Also Tippelbruder! Meine Anerkennung!«
»Sie wollen Wein?«
»Woher wollen Sie das wissen?«
»Sie sind doch der, der Annas Wohnung mieten will?«
Ich bin verblüfft. »Woher wissen Sie das denn nun schon wieder?«
»Das sagt mir il tuo linguaggio.«
»Körpersprache?«
Bevor ich nachfragen kann, verschwindet er im Kellereingang. Über der Kellertür hängt eine beschriftete Schiefertafel:
>Buon vino fa buon sangue!<
Während ich den Spruch übersetze, reizt mich eine kleine Provokation. »Sagen Sie, Signore, eine Frage! Was richtet dann eigentlich schlechter Wein an?«
»Kopfschmerzen! Aber wollen wir uns nicht duzen?«
Dabei reicht er mir die Hand. Ich denke mir, dass dies hier wohl so üblich sein wird, und biete ihm im Gegenzug ebenfalls das Du an. »Grazie Armuto!«
Er führt mich in seinen Weinkeller. Zwei Edelstahlfässer blinken mir entgegen. Sie sehen aus wie polierte U-Boote. Als Gianfranco meinen Blicken folgt, erfahre ich: »Metallfässer sind geschmacksneutraler als Eichenfässer. Wie viel Flaschen soll ich abfüllen?«
»Nur eine!«
Stattdessen füllt er gleich vier Flaschen ab. Mit einer altertümlichen Maschine versieht er sie mit Kronkorken.
»Und was ist da drin?«
»Lugana und Merlot! Falls du über diese Weine mehr wissen willst, kannst du mir ja im Herbst bei der Weinlese helfen.«
Keine schlechte Idee, denke ich mir. Wie man Wein macht, wollte ich schon immer mal wissen. Als ich aufschaue, hat er zwei Probiergläser abgefüllt:
>O bere o affogare.<
Friss Vogel oder stirb! Das habe ich zwar nicht vor, lasse es aber widerstandslos geschehen, als er mir das Glas vollschüttet. »Das nächste Mal bringst du bitte la Bionda mit!«
Die indessen kräuselt streng die Stirn, als ich die Wohnung betrete. »Mein Mann hat ja eine Fahne.«
»Nur ein Fähnchen. Und das ist ausnahmsweise mal den besonderen Umständen geschuldet.«
»Ach nee! Und warum gleich vier Flaschen? Ich denke, wir wollten mal Urlaub vom Alkohol machen.«
»Der Urlaub beginnt erst morgen. Heute ist noch Anreisetag.«
»Was wollte er denn für den Wein haben?«
»Nichts! Gianfranco schenkt ihn uns zum Einzug.«
»Gianfranco heißt er also.«
»Du bist ihm aber auch schon aufgefallen.«
»Dann kennt er gewiss deine Vorliebe für Blondinenwitze?«
»Warum man über Blondinen lacht, dafür hatte er überhaupt kein Verständnis.«
*
Die Glocken läuten die neunte Abendstunde. Wir stehen vor Marconis Haustür. »Hast du die Geschenke dabei?« Sie meint den Bildband von Norddeutschland, den wir bei Einladungen immer gerne verschenken.
»Was ist?«, fragt Bärbel, als ich mich für einen Moment unschlüssig zeige. »Eigentlich wollte ich dir noch etwas sagen. Aber jetzt ist es mir entfallen. Zu dumm aber auch!«
»Dann war es gewiss auch nicht wichtig.«
»Es ist soweit. Betätige jetzt mal die Türschelle!« Ein aufsteigender Jagdhornklang erklingt. Licht geht an. Als sich die Wohnungstür öffnet, stehen vor uns die Marconis und strahlen uns an, zwischen ihnen der Dackel, der uns ankläfft. »Ihr seid ja so was von pünktlich!«
»Sind wir etwa zu früh?«
»Himmel nein! Kommt rein!«
Wir überreichen unser Geschenk. Damit hatten sie nicht gerechnet. Trotzdem, sie freuen sich. Nach ein paar nichtssagenden Komplimenten dürfen wir auf der Küchenbank Platz nehmen. Eine Karaffe mit Rotwein steht schon geöffnet auf dem Tisch. Anna schüttet die Gläser randvoll.
»Soll ich das Fernsehen ausstellen?«, fragt Arturo, als ich einen flüchtigen Blick in Richtung Glotze riskiere. Es ist noch ein alter Röhrenapparat. Der befindet sich in Sichtweite direkt vor mir, und zwar mittenmang auf der Anrichte. Momentan läuft eine Unterhaltungssendung vom Piazza del campo in Siena.
»Nein! Von uns aus jedenfalls nicht!«
>In diretta e all‘aria aperta.<
»Life! Open Air!«, höre ich Bärbel sagen. Eine Einblendung zeigt an, dass wir es dabei mit Moderatoren zu tun haben, die beim italienischen Publikum sehr bekannt sind:
>Gina Mantova e il suo compagno Giacomo Moretti; Gina è di Napoli e Romano è di Milano. Lei è una velina, chi sono ragazze che portano ai conduttori le veline – le notizie in gergo giornalistico.<
Annas Mund bewegt sich dabei derart flink, dass ich Mühe habe, ihr zu folgen. Die Wahrheit ist aber auch, dass ich abgelenkt bin von Gina. Offensichtlich betreibt sie mit ihrer Unterwäsche Produktplatzierung.
»Die große Blondine ist dein Typ, nicht wahr?«
Ich kann es nicht bestreiten, gleichwohl bin ich schon mal froh darüber, dass Bärbel meine Schwäche für wohlgeformte Brüste nicht preisgibt.
*
Arturo reicht Zigaretten herum. Bärbel schüttelt den Kopf. »Mein Mann raucht nicht.«
»Prost!« Das sagt Anna auf deutsch, was mich verwundert, war ich doch bisher davon ausgegangen, dass unsere beiden Gastgeber nur Italienisch können. Während ich den Wein probiere, schaue ich Bärbel, wie es unter uns Sitte ist, für einen Augenblick tief in die Augen. Anders als Arturo, der seine Frau beim Schluck keines Blickes würdigt.
>Sieben Jahre schlechter Sex sind echt die Hölle für eine Frau.<
Dies ließ mich Kalle mal bei einem Gartenfest diskret wissen. Er war übrigens mal unser ehemaliger Nachbar. Ich hielt das für einen seiner üblichen Sprüche. So erfuhr ich, dass er unter einer erektilen Dysfunktion leiden würde. Nachdem sein Urologe ihm mediterranes Klima zur Heilung empfohlen hatte, zogen er und seine Frau nach Mallorca.
»Wie es denen wohl geht?«, fragt Bärbel unerwartet dazwischen.
Meine Frau denkt an Mallorca und Kalle. Obwohl ich gar nichts gesagt hatte, scheint sie mal wieder meine Gedanken abgehört zu haben, was nach meinem bisherigen Wissen bedeutet, dass sie in ihrem Gehirn vermutlich spezielle Algorithmen besitzen muss, die in der Lage sind, gewisse Grundmechanismen des Bewusstseins auszuüben.