Politik der Emotion - Olga Flor - E-Book

Politik der Emotion E-Book

Olga Flor

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Beschreibung

Ein engagiertes Plädoyer für eine Politik, die Fakten diskutiert und nicht Stimmungen instrumentalisiert Mit intellektueller Präzision und Radikalität bezieht Olga Flor Position gegen jene populistische Stimmungsmache, die sich derzeit so gerne als Vertretung der gefühlten Mehrheitsmeinung eines schwammig definierten Volkskörpers ausgibt. Diese "Politik der Emotion" benutzt berechtigte Ängste, anstatt ihre realen Ursachen zu analysieren. Die zunehmende Unüberschaubarkeit der Ökonomie und die wachsende Informationsdichte dienen ihr als Nährboden, vereinfachte Schuldzuweisungen und "Bauchgefühle" sind ihr ideologisches Kapital. Dagegen setzt Olga Flor die Notwendigkeit eines öffentlichen Diskurses, der Widerspruch zulässt und vor der Komplexität der Fakten nicht zurückschreckt, der Aufklärung will und nicht Vernebelung von Tatsachen.

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Olga Flor

Politik der Emotion

Aus der Reihe »UNRUHE BEWAHREN«

Unruhe bewahren – Frühlingsvorlesung & Herbstvorlesung.

Eine Veranstaltung der Akademie Graz in Kooperation mit dem

Literaturhaus Graz und DIE PRESSE.

literatur h aus graz

Die Frühjahrsvorlesung zum Thema »Politik der Emotion« fand von 6. bis 8. März 2017 im Literaturhaus Graz statt.

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

www.residenzverlag.at

© 2018 Residenz Verlag GmbHWien – Salzburg

Alle Rechte, insbesondere das des auszugsweisen Abdrucks und das der fotomechanischen Wiedergabe, vorbehalten.

Redaktion: Harald Klauhs, Astrid Kury

Wissenschaftliche Beratung: Thomas Macho, Peter Strasser

Umschlaggestaltung: Kurt Dornig

Lektorat: Jessica Beer

ISBN e-Book 978-3-7017-4559-3

ISBN Print 978-3-7017-3423-8

Inhalt

1. Irrwitz

In Twittergewittern

Die unterdrückte Wahrheit

Angst

Neid

Rationalität?

Biedermeierei!

In-/out-Time

Das befreite Gefühl

Kanalisation

Market Demands

2. Witz

Außenwelt

Heimwerk

Sprache

Was nun?

Dank

»Lügen erscheinen dem Verstand häufig viel einleuchtender und anziehender als die Wahrheit, weil der Lügner den großen Vorteil hat, im Voraus zu wissen, was das Publikum zu hören wünscht.

[…]

Unter normalen Umständen kommt der Lügner gegen die Wirklichkeit, für die es keinen Ersatz gibt, nicht auf; so groß das Gewebe aus Unwahrheiten eines Lügners auch sein mag, es wird doch, selbst wenn er Computer zu Hilfe nimmt, niemals groß genug sein, um die Unendlichkeit des Wirklichen zuzudecken. Der Lügner kann zwar mit beliebig vielen einzelnen Unwahrheiten Erfolg haben, aber er wird die Erfahrung machen, dass er damit nicht durchkommt, wenn er aus Prinzip lügt. Das ist eine der Lehren, die man aus den totalitären Experimenten und aus dem erschreckenden Vertrauen totalitärer Herrscher in die Macht des Lügens ziehen konnte: so z. B. in ihre Fähigkeit, die Geschichte immer wieder umzuschreiben, um die Vergangenheit der ›politischen Linie‹ des Augenblicks anzupassen; oder in ihre Möglichkeit, Fakten auszumerzen, die […] nicht zu ihrer Ideologie passen, indem sie einfach deren Vorhandensein leugnen […]«

Hannah Arendt: Die Lüge in der Politik, in: Wahrheit und Lüge in der Politik. Zwei Essays, Piper, München 1972

1. Irrwitz

In Twittergewittern

In den Jahren 2017 und 2018 fällt es schwer, Hannah Arendts Ausführungen zu lesen und sie nicht auf das »sehr stabile Genie«1 im Weißen Haus zu beziehen, das das Lügen, die permanente Selbstbespiegelung zum Selbstzweck erhoben hat. Doch das ist natürlich bei Weitem keine Einzelposition in einer Welt, in der die politischen Machtverhältnisse die monetären widerspiegeln, und zwar ausschließlich diese, eine finanzielle Potenz, die sich in ungeahntem Ausmaß in den Händen einer kleinen Gruppe Superreicher konzentriert. Diese haben längst damit begonnen, die Politik nach ihren Vorstellungen zu formen, ob direkt wie in den USA unter Donald Trump oder indirekt durch Steuerumgehungen globalen Ausmaßes, deren Konsequenzen – die Aushöhlung von sozialen Umverteilungsstrukturen und der für ein demokratisches Staatswesen wesentlichen Verwaltungs- und Gestaltungsinstanzen – fatal sind. Fatal auch für Institutionen zur Umsetzung einer Umweltpolitik, die das Ziel hätte, die Klimaveränderung zumindest einzubremsen und die Erde für die Nachkommen bewohnbar zu halten. Den entsprechenden Folgen – flächendeckende Verarmung der Unterschichten, von Alleinerziehenden, von alleinstehenden, älteren Menschen, insbesondere von Frauen, Wegbröseln der Mittelschicht, Aufgehen der sozialen Schere, Umweltzerstörung und Klimakatastrophen ungeahnten Ausmaßes, Flucht und Vertreibung – soll dann mit scheinbar großzügigen privaten Sozialfonds entgegengewirkt werden, eine Großzügigkeit, die aber angesichts des weltweit eingesparten Steuervolumens nur noch lachhaft erscheint. Wobei sich die Vergabe der durch Privatstiftungen solcherart mit feudalem Gestus verteilten Mittel jeder Kontrolle durch demokratische Instanzen entzieht. Das scheint nur konsequent, denn das Rezept heißt – wie immer, seit ich als Kind und Jugendliche der 80er begriffen habe, dass so etwas wie Wirtschaftsund Sozialpolitik überhaupt existiert – Entsolidarisierung, natürlich immer unter dem Titel »Reform«: Verschlankung, Privatisierung, Deregulierung. Jetzt haben wir den Salat, wir Erdlinge. Überraschend ist eigentlich nur, dass mit immer demselben Rezept immer noch Neuerung behauptet werden kann.

Eine solche Welt setzt Gefühle frei, vor allem natürlich das der Machtlosigkeit, der Marginalisierung. Da kann der Konsum von Kurznachrichten durchaus ein Ventil bieten, eine schnelle, rauschhafte Bestätigung der eigenen instinktgesteuerten Impulse auf dem grellbunten Meinungsstraßenstrich kann momentan Erleichterung verschaffen, selbst wenn der Nachgeschmack schal bleibt, auch weil die Meinungswelle ständig anschwillt, weil die Kammlinie unentwegt abbricht, die Empfangseinheiten verstopft und donnernd überrollt.

Zeugnisse alltäglichen Irrwitzes sind allgegenwärtig – ob das die berüchtigte Pressekonferenz des amerikanischen Präsidenten vom 16. Februar 2017 mit ihrem massiven Angriff auf die Medien war, in der er den fake news-Begriff prägte, oder das Erstarken von etwas so hybridem wie einer nationalistischen Internationale, die auf den zweiten Blick doch eine erstaunlich ähnliche Fratze zeigt wie die alten nationalen Ismen, ob es der immer wiederkehrende Vorstoß ist, Bürgerrechte wie das Demonstrationsrecht einzuschränken (hier scheint es sich um ein Herzensthema des bis Dezember 2017 amtierenden österreichischen Innenministers Wolfgang Sobotka gehandelt zu haben, auch wenn die Aushöhlung der Demokratie in Polen und Ungarn eigentlich ein mahnendes Beispiel für einen sogenannten Bürgerlichen sein müsste), oder die Tendenz diverser europäischer Regierungen, die sattsam bekannte Anti-EU-Karte zu spielen, und das in Zeiten der bisher größten EU-Krise. Munter wird weitergezündelt, als hätte die Erfahrung der letzten Jahrzehnte nicht hinreichend klargemacht, dass man mit dem Versuch, das Schlimme zu tun, um das Schlimmere zu verhindern, immer nur wieder dem Schlimmsten Vorschub leistet, den niedrigsten Instinkten, an die eine solche Politik der billigen Lösungen eben appelliert. Als hätte man nicht begriffen, dass die Früchte dieser rechtspopulistischen Anstrengungen mittelfristig immer nur den rechtspopulistischen Parteien in den Schoß fallen, nicht denen der sogenannten politischen Mitte, selbst wenn sich daraus kurzfristig Kapital schlagen lässt, wie das der höchst medienkompatible neue ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz schon in seiner Funktion als Außenminister sattsam demonstriert hatte und dafür in der Presse, nicht nur in der österreichischen, weithin akklamiert wurde. Die Sexiness des Erfolgs generiert Erfolg, was für ein verführerischer Selbstläufer. Die Forderungen der extremen Rechten zu übernehmen, macht nur ebendiese salonfähig und nützt mittelfristig immer nur der Rechten, nicht der sogenannten Mitte. Politische Vorteile auf Kosten von Geflüchteten zu lukrieren, sprengt durchaus einen Konsens europäischer Volksparteien (einschränkend muss vielleicht hinzugefügt werden: wenigstens dann, wenn es auf so offenkundige Weise geschieht). Man darf gespannt sein, wie der neue österreichische Bundeskanzler Kurz mit dieser Hypothek umgeht. Darüber hinaus hat er zu verantworten, bei der Regierungsbildung auch stramm rechts agierenden Freiheitlichen zu Regierungs- und vor allem auch Verwaltungsämtern verholfen zu haben. Jedenfalls hat die FPÖ das Innen- und das Verteidigungsministerium für sich beanspruchen können, was ihr ganz nebenbei die Kontrolle über sämtliche Geheimdienste Österreichs verschafft.

Rechts ist die neue Mitte: Die politische Mitte bewegt sich mit dem Anbiedern an rechte Positionen aus der Mitte hinaus und macht sich damit letztlich selbst obsolet (wo war noch mal die Position?), und ganz nebenbei adelt sie die Forderungen der extremen Rechten und höhlt den demokratischen Grundkonsens aus.

Angesichts der Überfülle an Abstrusitäten hatte das Gefühl der Überforderung beim Schreiben dieses Essays solche Ausmaße erreicht, dass die Autorin sich wünschte, sie könnte die Auseinandersetzung mit der Gegenwart einfach absagen. Doch seit wann würde jemand freiwillig das eigene Unvermögen eingestehen? (Schlechtes Argument, und so gibt man es eben trotzdem zu, wagt sich ins Unbekannte, nach dem Motto »schöner scheitern« zieht man sich zurück in die zeitgenössische Hobbithöhle, solange die noch nicht unter Wasser steht.)

Ist ein Präsidentenamt etwa schon einmal aus Einsicht in die eigene Unfähigkeit durch den Mandatsträger oder die Mandatsträgerin zurückgegeben worden? Wohl eher selten. Betrachtet man exemplarisch die Lage der Vereinigten Staaten, lässt sich sagen: Stattdessen wird die Arbeit kritischer Medien tunlichst hintertrieben, ihr Zugang zu den Selbstdarstellungstrips des betreffenden Politikers radikal eingeschränkt, um sie daran zu hindern, kritische Berichterstattung zu betreiben. Ein Versuch, der wohl zu einem klassischen Eigentor führen wird, wenn die demokratische, also eigentlich die republikanische Verfasstheit der USA tatsächlich hält, was ihre Intentionen zu versprechen scheinen: Gewaltenteilung, die Verhinderung von Machtakkumulation, die Garantie des sprichwörtlichen Systems der checks and balances. Dieser irrlichternde Auftritt des Donald Trump vom 16. Februar 2017 – wie sich sehr schnell zeigte, bloß der erste in einer langen Reihe – würde dem Format der Satire ernste Konkurrenz machen, wenn der Zivilisationsbruch, der darin steckt, Argumente nicht mehr als solche wahrnehmen zu wollen und stattdessen den Überbringer oder die Überbringerin zu diskreditieren, nicht so bitterernst wäre: Wie könnte die Satire diesen Höhepunkt an Realitätsverweigerung, Rundumschlag und zweifelsfreier Lüge noch witztechnisch toppen?

Nicht nur in Twittergewittern herrscht derzeit ein System unter Hochdruck hochfrequent versandter Sprachfetzen vor; wobei es sich bei derzeit sicherlich um eine zu optimistische Einschränkung handelt, ein Ende des Trends zu verbalen Schnellschüssen ist nicht abzusehen. Ein engmaschiges Netz von Behauptungen wird da gesponnen, die oft nicht nur keiner Überprüfung auf ihren eventuellen Wahrheitsgehalt standhalten, die nicht einfach nur zufällig unwahr sind, sondern den bewussten Versuch darstellen, ein Mem oder Meme, eine Bild-Text-Inhaltseinheit, in die Welt zu setzen, um diese Welt nach eigenem Wunsch zu gestalten. Der Reiz der Kurznachrichten liegt ja unter anderem bekanntermaßen darin, dass jeder und jede zu jedem beliebigen Thema unabhängig von seinem oder ihrem diesbezüglichen Wissensstand Nachrichten in den Cyberraum schicken kann, und – sofern das gewählte Hashtag gängig und der Inhalt halbwegs eingängig ist – mit sofortiger Wahrnehmung rechnen darf: Auf den ersten Blick scheint das der Inbegriff einer Plattform für die direkteste aller Demokratien zu sein, wäre da nicht der Umstand, dass es zum Erzeugen eines demokratischen Diskurses mehr bedarf als schriller Äußerungen, die nur auf Effekt aus sind, sein müssen, denn sie wollen ja vervielfältigt und zitiert (retweeted) werden … Zudem sind sie mit Minimalaufwand aus der Laune eines Moments heraus generierbar: Kurznachrichten sind DAS Affektmedium des Augenblicks, in dem statt politischem Diskurs affektgesteuertes Taumeln von einem Aufreger zum nächsten alle Aufmerksamkeit fordert und sämtliche Ressourcen zu binden droht, auch abseits der Plattformwelt. Nicht selten lösen Tweetlawinen ein unmittelbares Aufgreifen des jeweiligen Themas in »herkömmlichen« Medien und in der politischen Öffentlichkeit aus.

Die Inhaltseinheit Tweet