Politische Psychoanalyse - Erich Fromm - E-Book

Politische Psychoanalyse E-Book

Erich Fromm

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Beschreibung

Erich Fromm war nie ein Psychoanalytiker nur „hinter der Couch“. Er spürte einen inneren Drang und ethischen Impuls, als Psychoanalytiker politisch Einfluss nehmen zu müssen, weil er viele Dinge anders wahrnahm als die Medien und das öffentliche Bewusstsein. Fromms Interesse galt den meist unbewussten irrationalen Antriebskräften, die politisches Handeln mitbestimmen. Die vorliegende Auswahl von Beiträgen zur ‚Politischen Psychoanalyse‘ aus dem Nachlass Erich Fromms geben Einblick, wie und zu welchen Themen Fromm Verantwortung auf politischer Ebene wahrnahm. Dabei reichen die Themen von der Gefahr eines mit Atomwaffen geführten Krieges, dem Vietnamkrieg und der Zuspitzung des Nahostkonflikts durch die Staatengründung Israels auf Kosten der Palästinenser über eine paranoide und von Projektionen bestimmte amerikanischen Außenpolitik bis hin zur Radikalisierung der Politik durch terroristische Entwicklungen. Die Beiträge im Einzelnen - Für eine Kooperation zwischen Israelis und Palästinensern - Citizens for Reason - Geistig gesundes Denken und Außenpolitik - Alternativen zum Atomkrieg - Sind wir geistig noch gesund? - Der Vietnamkrieg und die Brutalisierung des Menschen - Märtyrer und Helden - Warum ich für McCarthy bin - Der Terrorismus von Baader und Meinhof - Der geistige Zustand Amerikas - Der politische Radikalismus in den Vereinigten Staaten und seine Kritik

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EPUB

Seitenzahl: 166

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Politische Psychoanalyse

Erich Fromm(2016g)

Als E-Book herausgegeben und kommentiert von Rainer Funk[1]

Erstveröffentlichung als E-Book 2016 unter dem Titel Politische Psychoanalyse in der Edition Erich Fromm bei Open Publishing, München. Die einzelnen Beiträge dieses E-Book-Sammelbandes sind alle in Printform in der 1999 veröffentlichten Erich Fromm Gesamtausgabe in zwölf Bänden, München (Deutsche Verlags-Anstalt und Deutscher Taschenbuch Verlag), in Band I enthalten.

Die E-Book-Ausgabe der einzelnen Beiträge dieses Sammelbandes orientiert sich an den von Rainer Funk herausgegebenen und kommentierten Textfassungen in der Erich Fromm Gesamtausgabe in zwölf Bänden, München (Deutsche Verlags-Anstalt und Deutscher Taschenbuch Verlag) 1999.

Die Zahlen in [eckigen Klammern] geben die Seitenwechsel in der Erich Fromm Gesamtausgabe in zwölf Bänden wieder.

Copyright © als E-Book 2016 by The Estate of Erich Fromm. Copyright © Edition Erich Fromm 2016 by Rainer Funk.

Inhalt

Politische Psychoanalyse

Für eine Kooperation zwischen Israelis und Palästinensern

Citizens for Reason

Geistig gesundes Denken und Außenpolitik

Alternativen zum Atomkrieg

Sind wir geistig noch gesund?

Der Vietnamkrieg und die Brutalisierung des Menschen

Märtyrer und Helden

Warum ich für McCarthy bin

Der Terrorismus von Baader und Meinhof

Der geistige Zustand Amerikas

Der politische Radikalismus in den Vereinigten Staaten und seine Kritik

Literaturverzeichnis

Der Autor

Der Herausgeber

Impressum

Für eine Kooperation zwischen Israelis und Palästinensern

(Palestine Cooperation)

(1990t [1948])[2]

Der erste Entwurf

Die Unterzeichner[3] fühlen sich auf Grund ihres Gewissens genötigt, das Schweigen zu brechen, das schon viel zu lange dauert angesichts der lauten Propaganda pro-terroristischer jüdischer Gruppen im ganzen Land. In einer Situation des Gruppenkonflikts, wie er heute zwischen den Juden und den Arabern besteht, vertreten wir den Grundsatz, dass Gruppen und insbesondere ihre Führer sich nicht darauf beschränken dürfen, die Handlungen der gegnerischen Gruppe zu verurteilen, sondern dass sie auch offen die Gewalttaten kritisieren sollen, die von den eigenen Leuten begangen wurden. Wir hoffen, dass sich auch die arabischen und englischen Führer, also die wahren Repräsentanten der Araber, an ihre jeweiligen Gruppen wenden, wie wir uns an die Juden wenden. Aus diesem Geist möchten wir die amerikanische Öffentlichkeit mit wesentlichen Passagen einer Erklärung bekannt machen, die kürzlich in Jerusalem publiziert wurde:

Mit erschreckender Geschwindigkeit haben sich über das ganze Land barbarische Handlungen ausgebreitet. Alte, Frauen, Kinder wurden dabei nicht geschont (...) Glücklicherweise gab es auch Beispiele, bei denen Araber ihr Leben riskiert haben, um Juden zu retten, und Juden Arabern das Leben gerettet haben. Doch Männer, Frauen und Kinder, frei von jeder Straftat, werden immer häufiger vor den Augen der Öffentlichkeit, ja selbst in Gegenwart der Sicherheitskräfte umgebracht (...). Wir wenden uns an die Menschen von Jerusalem. Wir appellieren insbesondere an unsere jüdischen Brüder: Entweiht nicht unseren Namen und unsere Ehre! Wenn auch wir dem Pöbel und den aufgebrachten Verbrecherbanden folgen, werden wir nicht nur nichts Positives erreichen; wir werden vielmehr nur zur Verschlechterung der Situation beitragen, zu einem Anwachsen des Hasses, zu immer noch mehr Vergeltungsmaßnahmen, unterschiedslos und gnadenlos. Wir wenden uns an die öffentliche Meinung und an die jüdischen Führer, jede Möglichkeit wahrzunehmen, um diese verwerflichen Angriffe der Verbrecherbanden zu verhindern (...). Die jüngsten bedauerlichen Unglücke sollten uns zur Warnung dienen, diese Verbrecher nicht über uns regieren zu lassen und nicht mit unseren Händen die moralischen Grundlagen unseres Lebens und unserer Zukunft zu zerstören.M. Buber – D. W. Senator – J. L. Magnes

[XI-524] Diese Erklärung wird von den Unterzeichnern als so wichtig erachtet, weil sie die folgenden drei wesentlichen Grundsätze enthält:

Die jüdische Ansiedlung in Palästina, um die wir uns aktiv und verantwortlich in Sorge fühlen, muss darauf ausgerichtet sein, die wesentlichen spirituellen und moralischen Grundsätze der jüdischen Überlieferung zu realisieren.

Der Schutz des jüdischen Lebens und Eigentums, den wir für ein unhinterfragbares Recht und eine Aufgabe der jüdischen Gemeinschaft in Palästina halten, darf nicht mit Methoden erreicht werden, die diesen moralischen Grundsätzen zuwiderlaufen und deshalb auf lange Sicht eine Bedrohung für die moralische und physische Existenz der jüdischen Siedlungen darstellen.

Diese Methoden des Terrorismus und des ungezügelten Nationalismus bewirken zugleich, dass man sich die Mehrheit der arabischen Bevölkerung Palästinas, die sich bisher nur in einem geringen Ausmaß an feindseligen Handlungen gegen die Juden beteiligt hat, zum Feind macht. Nur Methoden, die sich von moralischen Grundsätzen her rechtfertigen lassen, können die friedlichen Strömungen in der arabischen Bevölkerung wieder erstarken lassen. Nur so lässt sich eine Kooperation der jüdischen und arabischen Gruppen in Palästina vorbereiten, die für jede produktive Entwicklung und für weitere Einwanderungen in das Heilige Land unabdingbare Voraussetzung ist.

Der überarbeitete Entwurf

Arabische und jüdische Extremisten, die wie fanatische Militaristen den Krieg herbeisehnen, treiben derzeit Palästina rücksichtslos in einen sinnlosen Krieg, der dieses Land verwüsten und möglicherweise die ganze Welt in einen Krieg verwickeln wird. Die arabischen Extremisten dulden keine Juden in Palästina. Die jüdischen Extremisten sind auf die jüdische Vorherrschaft in Palästina versessen, ohne ein Interesse an Demokratie. Mit terroristischen Aktionen spielt jede Seite dieser Extremisten der anderen in die Hand. Dabei ignoriert diese Herrschaft des Terrors die Bedürfnisse und Wünsche der gewöhnlichen Menschen in Palästina.

Auf Grund der natürlichen Gegebenheiten Palästinas muss jede vernünftige Lösung auf einer Kooperation zwischen Juden und Arabern aufbauen. Auch wenn es Krieg gäbe, wäre es für den Frieden notwendig, dass beide Völker zusammenarbeiten, wenn nicht das eine oder das andere ausgelöscht oder zu Sklaven gemacht werden soll. Die Katastrophe wäre nur wenig geringer, wenn eine der beiden Seiten einen deutlichen Sieg erringen würde, denn ein solcher würde zu einer ätzenden Bitterkeit führen, die alle notwendigen gemeinsamen Maßnahmen äußerst schwierig gestalten würde. Der gesunde Menschenverstand nötigt uns zu gemeinsamen Anstrengungen, um einen Krieg zu verhindern und um die Zusammenarbeit zum jetzigen Zeitpunkt zu fördern.

In Palästina gibt es jüdische Gruppen, die in Amerika kaum bekannt sind und die darauf bestehen, dass eine derartige Kooperation wesentlich und auch jetzt praktizierbar ist. Am 28. März 1948 veröffentlichten einige bedeutende Repräsentanten dieser Gruppen eine Erklärung, deren Kernpunkt lautete:

Eine Verständigung zwischen den beiden Völkern ist trotz der ständig wiederholten Behauptung, dass die jüdische [XI-525] und arabische Bestrebung unversöhnlich seien, möglich. Der gewöhnliche Jude und der gewöhnliche Araber sind nämlich keine Extremisten. Sie sehnen sich nach der Möglichkeit, durch Arbeit und Kooperation ihr gemeinsames Land aufzubauen, das Heilige Land.

Die Unterzeichner dieser Erklärung vertreten verschiedene Gruppierungen des palästinensischen Judentums. Außer Dr. Juda L. Magnes, dem Präsidenten der Hebräischen Universität, und zwei seiner Kollegen, Dr. Martin Buber und Dr. David Senator, sind es noch Dr. Kurt Wilhelm, der Rabbiner von Emet ve’Emuna, einer liberalen Jerusalemer Kongregation, Simon Schereschewski, ein Chirurg, der den Misrach-Zionisten angehört, sowie Isaak Molho von der spanischen jüdischen Gemeinschaft in Palästina.

Tausende friedliebende Palästinenser, Juden wie Araber, teilen diese Ansichten im Stillen, trauen sich aber aus Todesangst vor den Machenschaften der Terroristen nicht, sich öffentlich zu ihnen zu bekennen. Diese menschlichen Ansichten, gegen die die Terroristen zu Felde ziehen, spiegeln die wesentlichen Grundsätze der Zivilisation wider, zu denen die Juden ihren Beitrag geleistet haben: die Anerkenntnis des Grundsatzes der Gerechtigkeit und des Sittengesetzes, die Achtung vor dem Individuum und die Bejahung des Lebens. Es wäre äußerst tragisch, wenn sich die Juden in diesen Tagen der Wirrnis einem fanatischen Militarismus unterwerfen und von diesen Prinzipien abwenden würden.

Wir wenden uns an die Juden in diesem Land und in Palästina, sich nicht in eine Stimmung der Verzweiflung und des falschen Heldentums hineinreißen zu lassen, weil eine solche schließlich in selbstmörderischen Schritten endet. Zweifellos lässt sich eine solche Stimmung als Reaktion auf die brutale Vernichtung von sechs Millionen Juden in den letzten zehn Jahren verstehen, sie ist aber dennoch sowohl moralisch wie faktisch destruktiv.

Wir sind davon überzeugt,

dass eine konstruktive Lösung nur dann möglich ist, wenn sie auf Wohlstand und Kooperation für Juden und für Araber in Palästina gründet;

dass die jüdische Gemeinschaft in Palästina ein unhinterfragbares Recht hat, ihr Leben und ihre Arbeit zu schützen und

dass es für die nächste Zukunft für mindestens... einwanderungswillige Juden in Palästina eine Garantie geben muss; danach hängt die Zahl der Einwanderer von den wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen im Land ab.

Die Unterzeichner bitten alle Juden inbrünstig, auf die Stimme der Vernunft zu hören, den Geist des Fanatismus und eines falsch verstandenen Heldentums aufzugeben und sich auf das einzig wichtige Ziel zu besinnen. Dies ist das Überleben und die Entwicklung der jüdischen Siedlungen in Palästina auf einer friedlichen und demokratischen Basis und in Übereinstimmung mit den wesentlichen spirituellen und moralischen Grundsätzen, die der jüdischen Überlieferung zueigen sind. Mit Einsicht kann dieses Ziel erreicht werden, ohne dass zu einem Krieg Zuflucht genommen werden muss.

Der in der New York Times vom 18. April 1948 veröffentlichte Text

[XI-526] An den Herausgeber der New York Times:

Arabische und jüdische Extremisten treiben derzeit Palästina rücksichtslos in einen nutzlosen Krieg. Sie glauben zwar, legitime Interessen zu vertreten, doch diese Extremisten spielen nur der jeweils anderen Seite in die Hand. Dabei ignoriert diese Herrschaft des Terrors die Bedürfnisse und Wünsche der gewöhnlichen Menschen in Palästina.

Wir glauben, dass in einer Situation nationaler Konflikte es lebensnotwendig ist, dass Gruppen und insbesondere ihre Führer die Gebote von Moralität und Vernunft in ihren eigenen Reihen aufrecht erhalten, statt sich darauf zu beschränken, ihre Gegner der Verletzung dieser Gebote anzuklagen. Deshalb spüren wir es als unsere Pflicht, mit Nachdruck zu erklären, dass wir keinerlei Nachsicht für Methoden des Terrorismus oder des fanatischen Nationalismus haben, wenn sie von Juden praktiziert werden, noch weniger als von Arabern. Wir hoffen, dass verantwortungsbewusste Araber an ihr Volk in ähnlicher Weise appellieren, wie wir dies für die Juden tun.

Auch wenn es Krieg gäbe, wäre es für den Frieden notwendig, dass beide Völker zusammenarbeiten, wenn nicht das eine oder das andere ausgelöscht oder zu Sklaven gemacht werden soll. Die Katastrophe wäre nur wenig geringer, wenn eine der beiden Seiten einen deutlichen Sieg erringen würde, denn ein solcher würde zu einer ätzenden Bitterkeit führen. Der gesunde Menschenverstand nötigt uns zu gemeinsamen Anstrengungen, um einen Krieg zu verhindern und um die Zusammenarbeit zum jetzigen Zeitpunkt zu fördern.

Eine jüdisch-arabische Kooperation war schon seit vielen Jahren das Ziel weitsichtiger jüdischer Gruppen, die sich gegen jede Art Terrorismus wandten. Kürzlich wurde eine Erklärung einer solchen Gruppe in der amerikanischen Presse unter dem Datum „Jerusalem, 28. März 1948“ veröffentlicht, auf die wir aufmerksam machen möchten. Wir zitieren hieraus einen der Schlüsselsätze:

Eine Verständigung zwischen den beiden Völkern ist trotz der ständig wiederholten Behauptung, dass die jüdischen und die arabischen Bestrebungen unversöhnlich seien, möglich. Die Forderungen der Extremisten sind tatsächlich unversöhnlich. Der gewöhnliche Jude und der gewöhnliche Araber sind jedoch keine Extremisten. Sie sehnen sich nach der Möglichkeit, durch Arbeit und Kooperation ihr gemeinsames Land aufzubauen, das Heilige Land.

Die Unterzeichner der Erklärung vertreten verschiedene Gruppierungen des palästinensischen Judentums. Außer Dr. Magnes, dem Vorsitzenden, unterschrieben Dr. Martin Buber, Professor für jüdische Philosophie an der Hebräischen Universität, Dr. David Senator, der Verwalter der Universität, Dr. Kurt Wilhelm, der Rabbiner von Emet ve’Emuna, einer liberalen Jerusalemer Kongregation, Simon Schereschewski, ein Chirurg, der den Misrach-Zionisten angehört, sowie Isaak Molho von der spanischen jüdischen Gemeinschaft.

Die Unterzeichner dieser Erklärung repräsentieren derzeit nur eine Minderheit. Abgesehen davon, dass sie für einen weitaus größeren Kreis von Menschen sprechen, die sich nicht äußern, sprechen sie auch im Namen jener Prinzipien, die der bedeutendste Beitrag des jüdischen Volkes zur Menschlichkeit waren. [XI-527]

Wir wenden uns an die Juden in diesem Land und in Palästina, sich nicht in eine Stimmung der Verzweiflung oder eines falschen Heldentums hineinreißen zu lassen, weil eine solche schließlich in selbstmörderischen Schritten endet. Zweifellos lässt sich eine solche Stimmung als Reaktion auf die brutale Vernichtung von sechs Millionen Juden in den letzten zehn Jahren verstehen, sie ist aber dennoch sowohl moralisch wie faktisch destruktiv.

Wir sind davon überzeugt, dass eine konstruktive Lösung nur dann möglich ist, wenn sie auf Wohlstand und Kooperation für Juden und für Araber in Palästina ausgerichtet ist. Wir glauben, dass die jüdische Gemeinschaft in Palästina ein unhinterfragbares Recht hat, ihr Leben und ihre Arbeit zu schützen, und dass die Einwanderung der Juden nach Palästina, so gut es geht, erlaubt sein muss.

Die Unterzeichner bitten alle Juden inbrünstig, sich auf das einzig wichtige Ziel zu besinnen: auf das Überleben und die Weiterentwicklung der jüdischen Siedlungen in Palästina auf einer friedlichen und demokratischen Basis. Dies ist der einzige Weg, der die Zukunft in Übereinstimmung mit den wesentlichen spirituellen und moralischen Grundsätzen, die der jüdischen Überlieferung zueigen sind und das Wesen der jüdischen Hoffnung ausmachen, sichert.

New York, 12. April 1948.Leo Baeck – Albert Einstein

Citizens for Reason

(Citizens for Reason)

(1990u [1955])[4]

Der erste Entwurf (Februar 1955)

Im Interesse der Vernunft und des Überlebens der Menschheitsfamilie

Mehr als ein Jahr schon steht die Welt nahe am Abgrund der Vernichtung der menschlichen Rasse.[5] Bis jetzt konnten der Präsident der Vereinigten Staaten, die Administration und die verantwortlichen Führer im Kongress diese Gefahr abwenden, doch wir leben noch immer im Schatten der Zerstörung unserer selbst, unserer Kinder, der Menschheitsfamilie und der spirituellen und materiellen Errungenschaften. Es ist kaum zu glauben, aber die meisten unserer Mitbürger wissen von dieser Situation, doch dieses Wissen dringt über eine dünne Schicht oberflächlichen Bewusstseins nicht tiefer in sie ein. Sie denken noch immer in Begriffen der Nachkriegszeit; sie glauben noch immer, dass die Kugel den anderen treffen wird, und sie wähnen sich noch immer in der Tradition eines Amerikas, das nicht berührt, geschweige denn zerstört werden kann.

Mitbürger, wir appellieren an Ihre Vernunft, an Ihr Gewissen, an Ihren Überlebenswillen. Hören Sie auf, die Augen vor den Tatsachen zu verschließen. Bricht erst einmal ein Krieg aus, ist es zu spät, den Lauf der Ereignisse noch zu ändern. Die neuen Waffensysteme sind, sobald sie zum Einsatz kommen, unkontrollierbar, und ihre zerstörerischen Auswirkungen lassen keine Wiederherstellung zu. Wenn einmal die Nahrungsversorgung, die Vegetation, das Wasser und die Luft dieses Planeten verstrahlt sein werden, gibt es kein Entkommen mehr. Die Menschheit lässt sich nicht von diesem Planeten evakuieren.

Die größte Gefährdung ergibt sich aus der chinesischen Situation. Amerika ist sich einig in seinem Abscheu gegen das kommunistische System von Unterdrückung und Terror, sei es in Russland, in China oder sonstwo auf der Welt. Aber diese Abneigung darf unser gesundes Urteilsvermögen nicht beeinträchtigen. Wir haben die Existenz des Regimes in Peking als Faktum anzuerkennen, das von außen durch nichts als durch einen Weltkrieg geändert werden könnte. Wir müssen der Tatsache ins Auge sehen, dass ein solcher Krieg nicht nur das kommunistische Regime, sondern mit ihm auch alle anderen Regierungen auslöschen würde. Wir sind zwar davon überzeugt, dass unsere politischen Führer dies wissen, doch wir befürchten, dass sie statt einer [XI-529]mutigen Politik, die die Konsequenzen aus einem solchen Wissen ziehen würde, einer Politik des „Zu-wenig-und-Zu-spät“ folgen und uns in das Hasardspiel eines Krieges verwickeln. Frühere Kriege lehren uns, dass die gute Absicht, einen Krieg zu vermeiden, nicht ausreicht, um dieses Ziel auch tatsächlich zu erreichen. Regierungen nehmen starre Positionen ein, haben Angst, diese in letzter Minute noch zu ändern, etwas Unvorhergesehenes ereignet sich – und der Krieg bricht gegen jedermanns Absicht aus.

Dies ist in der heutigen Situation die große Gefahr. Wir sind auf unsere Positionen eingefahren und auf Gedeih und Verderb Zufällen oder unverantwortlichen Elementen ausgeliefert, die das Pulverfass anzünden können. Man spricht davon, dass man mit einem „zumutbaren Risiko“ leben müsse. Aber das Risiko eines Atomkrieges ist unter gar keinen Umständen zumutbar. Es ist ein Risiko, das nur ein Verrückter eingehen kann.

Wir sind davon überzeugt, dass abgesehen von einer kleinen Gruppe von Abenteurern die große Mehrheit unserer politischen Führer weder unverantwortlich noch verrückt ist. Wir fürchten aber sehr, dass sich ihr Handeln auf ein tief reichendes Missverständnis zwischen ihnen und dem amerikanischen Volk gründet. Sie scheinen noch immer davon überzeugt zu sein, dass die Mehrheit unserer Landsleute noch immer unter dem Einfluss von hysterischen und selbstsüchtigen Demagogen steht und dass sie, die verantwortlichen Führer, deshalb keine mutige Politik wagen können, weil sie sofort einer weichen Politik bezichtigt würden. Sie glauben, mit aller behutsamen Vorsicht vorgehen zu müssen, weil sie sonst die Zustimmung des Volkes nicht hätten.

Wäre dies wirklich so, dann wäre dies die schlimmste Tatsache in der Geschichte dieser Republik. Die Unterzeichner weigern sich jedoch, daran zu glauben. Wir glauben, dass es ein schreckliches Missverständnis zwischen der Administration und dem Kongress auf der einen und der Mehrheit unserer Bürger auf der anderen Seite gibt. Wir sind davon überzeugt, dass die Mehrheit der Amerikaner genügend Vernunft, genügend gesunden Menschenverstand und genügend Liebe zu ihren Kindern und zum Leben hat, um ein Glücksspiel mit dem Krieg nicht zu wollen. Wir glauben, dass diese Menschen auch genügend Gespür für Selbstvertrauen und Verantwortung haben, um in Krisenzeiten sich zu Wort zu melden und unserer Regierung und unseren Politikern zu sagen, was sie denken. Wir wissen, dass es schon zu Kriegsausbrüchen kam, nur weil es zwischen zwei feindlichen Regierungen zu Missverständnissen kam. Wäre es nicht ein äußerst tragisches Missverständnis, wenn ein Krieg ausbräche, weil das amerikanische Volk und unsere Regierung sich gegenseitig missverstanden?

Wir Unterzeichner stimmen nicht in allen Fragen der Außenpolitik ganz überein. Einige von uns sind für eine sofortige Anerkennung von Rotchina [Volksrepublik China], andere für eine Neutralisierung von Formosa [Taiwan], wieder andere bevorzugen einen langsameren Kurs. Gemeinsam ist uns allen aber die Überzeugung, dass unsere Außenpolitik mutiger sein muss und nicht so zäh, und dass sie von Vernunft geleitet und an den Tatsachen orientiert sein muss, statt dass sie durch die Angst vor einer angeblich unvernünftigen Bürgerschaft entstellt wird.

Wäre die Gefahr nicht so direkt und bedrohlich, könnten wir uns der Hoffnung hingeben, dass sich alles mit der Zeit regeln wird. Da wir aber von der Unmittelbarkeit [XI-530] der Gefahr überzeugt sind, wenden wir uns an alle unsere Mitbürger, unserer Regierung und unseren Politikern deutlich zu machen, dass wir keinerlei Glücksspiel mit dem Krieg und auch kein „zumutbares Risiko“ wollen. Unsere Politiker sollen für den Frieden arbeiten, ohne Angst vor gegnerischen Regimen, unerschrocken aber auch gegenüber den Demagogen in unserer Mitte und ganz bestimmt ohne Furcht vor dem amerikanischen Volk. Wir möchten ihnen sagen, dass die amerikanische Politik aufhören muss, sich vor allem von der Angst vor den aggressiven Absichten Russlands und Chinas beherrschen zu lassen. Sie muss vielmehr geleitet sein von einem tief reichenden Interesse am Überleben und Wohlergehen der menschlichen Rasse. Wird ein solches Interesse in unserer Politik erst einmal bestimmend, dann wird die ganze Menschheit – nicht zuletzt auch jene Menschen, die in Russland und China leben – auf unserer Seite sein.

Wir wenden uns an unsere Mitbürger mit der ernsten Bitte, ihr Gewissen zu fragen, ob sie nicht die Pflicht haben, jetzt laut und deutlich zu sprechen. Wir bitten jeden Leser dieser Erklärung, der uns zustimmt, dem Präsidenten der Vereinigten Staaten, ihren Senatoren und Kongressabgeordneten zu schreiben oder zu telegraphieren und ihre Übereinstimmung mit der Erklärung der Gruppe Citizens for Reason mitzuteilen. Ferner soll jeder nach Art eines Kettenbriefes zehn Freunden schreiben oder telefonieren und sie bitten, das Gleiche zu tun. Bringen Sie in dieser Zeit ernsthafter Gefahr die Stimme des amerikanischen Volkes zu Gehör! Lasst uns der Welt zeigen, dass Demokratie kein leeres Ritual ist, bei dem man nur alle paar Jahre seine Stimme abgibt, sondern eine Wirklichkeit freier Bürger, die sich verantwortlich fühlen und es wagen, ihre Stimme zu erheben.

Nachbarn und Mitbürger, Ihr Leben und Ihre wertvollsten Hoffnungen stehen auf des Messers Schneide. Sie würden niemals schweigen und untätig bleiben, wenn auch nur ein Kind vor Ihren Augen in Todesgefahr käme und gerettet werden könnte. Wollen Sie die Verantwortung auf andere schieben, jetzt, wo die ganze Menschheitsfamilie in Gefahr ist? Wenn Sie laut und vernehmlich sprechen, werden Sie gehört werden, und rationale Entschlüsse werden den Sieg davontragen. Sprechen Sie es aus, bevor es zu spät ist!

Der zweite Entwurf (28. März 1955)

An unsere Mitbürger

Ein neues Faktum bestimmt das Leben des Menschen und die Beziehungen der Völker: die Möglichkeit der totalen Vernichtung. Sollte ein dritter Weltkrieg ausbrechen, wird er das Ende unseres zivilisierten Lebens, wenn nicht das Ende des Lebens überhaupt bedeuten.