Pong - Sibylle Lewitscharoff - E-Book

Pong E-Book

Sibylle Lewitscharoff

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Beschreibung

Ein abgründiger literarischer Spaß, der mit größter Präzision und Geschicklichkeit ein Feuerwerk des Absurden errichtetEin Urknall des Absurden hat Pong in die Welt geworfen: »Eine Stille, die allen Geschöpfen die Ohren lang macht, setzte sich wie leuchtender Rahm auf die Welt, und es begab sich der Große Ratsch. Pong war da.« Pong erkennt, analysiert und handelt konsequent und zielgerichtet. Seine »verrückte« Innenwelt wird der Maßstab aller Dinge und allen Lebens. »Selten hat der Ingeborg-Bachmann-Preis wohl einen ähnlich verdienten Sieger gefunden. Wo sich die anderen Autoren mit aller Anstrengung darum bemühten, das Alphabet zu erweitern, erfand es Sibylle Lewitscharoff mit leichter Hand noch einmal neu.« Süddeutsche Zeitung

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Inhalt

Cover & Impressum

Warum einem Verrückten die Welt gefällt wie sie ist und manchmal nicht

Worin der Mann seinen Namen bekommt und zugleich ein wenig Genealogie getrieben wird

Das Geldwunder

In der Pflicht, das Land zu entvölkern

Juchhe, es werden Tiere befreit!

Ob da wohl Frauen lachen?

Maßnahmen

Unter Glas

Zurück zu den Schriften

Ein Mädchen schmal und scheu

Perfekt, alle beide

Rebsam und Rebsal

Wenn er von hoch oben auf die Scheitel der Kinder und Kindeskinder schaut,

Worin der Mann seinen Namen bekommt und zugleich ein wenig Genealogie getrieben wird

Es ist an der Zeit, den Mann mit Namen vorzustellen. Er heißt Pong. Nur Pong. Die, wie man sagt, äußere Erscheinung von Pong? Mittelgroß, nicht alt, nicht jung. Blond! Gewiß ein nicht unschöner Mann. Zumal er Ohren hat, die durch die Spitzen seiner dünnen Haare brechen, Ohren, mit denen er ängstlich auf alles hört. Sein Gesicht ist kein Haufen, auf dem alles wild durcheinanderwächst, es ist ein von hoher Hand geordnetes Experiment, und die Augen darin sind vollkommen. Ins Graue, ins Grüne spielende Augen. Unter ihnen ein Polster aus Drüsenflüssigkeit, aber nicht zart, nicht vom Weinen, nicht von Kummer geschwollen, sondern eher hart wie Schwielen.

Ist etwas an dem Mann, was das Ballhafte oder Fausthafte im Namen Pong rechtfertigt? Auf den ersten Blick nicht. Wenn man aber die Sprungbereitschaft des ganzen Körpers nimmt – nie kommt es allerdings zum Sprung –, dann ja. Pong könnte sich, wenn er den Ehrgeiz dazu hätte, wie ein Vollgummiball durch die Straßen bewegen, vielleicht nicht ganz bis zum Fenster des zweiten Stocks hochschnellen, aber bei den Leuten im ersten Stock blitzartig im Fenster erscheinen, das schon. Was er aus Rücksicht auf seine Umgebung nie tut. Die herrlichen Federn in seinen Gelenken ließen es aber zu.

Wem verdankt er diese Befähigung, die ihn so leicht berühmt und zu einem Liebling der Frauen hätte werden lassen können? Es heißt, der Mutter. Von dieser Mutter, noch weniger vom Vater, ganz gewiß nicht von irgendwelchen Geschwistern, die ihm gern angedichtet werden, möchte er etwas wissen, noch mit Vergleichen zwischen ihm und den Eigenschaften dieser sogenannten Familie belästigt werden. Er steht hier vor einer unlösbaren Aufgabe, denn das Abschütteln der Verwandten verlangt Kraft, Spitzfindigkeit, verlangt, daß man die Beine setzt wie eine Gemse, aber auch, daß im rechten Moment nach der Peitsche gegriffen und nicht etwa davor zurückgeschreckt wird, die Rücken der Verwandten damit zu bestreichen. Erlahmen die Kräfte auch nur für einen Augenblick, ist man einmal zerstreut, kleben sich die Verwandten unbemerkt wieder an einen an und spielen sich als unentbehrliche Lebensbegleiter auf.

Will er zum Beispiel paar Schritte tun, tritt er gutgelaunt, ausgerüstet mit Regenhaut, Stock und Hut, vor die Schwelle seines Hauses, wird jeder weitere Schritt von einem Baum vereitelt, der sich ihm in den Weg stellt. Nicht schwer zu erraten, welcher Baum ihm diesen Tort antut. Es ist der vermaledeite Stammbaum, auf den sich die Verwandten geflüchtet haben, um ihn von hoch oben, wo sie anscheinend sicher in ihren selbstgebastelten Nestkörben hocken, auszuzanken. Natürlich wehrt er sich, hat aber nur eine Nagelschere zur Verfügung, mit der schneidet er Rindenstücke weg und vertieft die Ritze, die er dem Baum bei ihrer letzten Begegnung beigebracht hat. Während er unten mit unzulänglichem Werkzeug herumkratzt, treibt die Mutter im Wipfel ihr Unwesen und lacht.

Er übertreibt freilich, wenn er behauptet, daß ihm das Verwandten-Abschütteln so schwer falle. Im Grunde ist es ja im Gegenteil sehr leicht. Wenn man das Problem von Adam her durchdenkt, ergibt sich ein anderes Bild. Unter dem titanisch dicken, titanisch langen Arm des Erzvaters drängeln sich Millionen von immer kleiner immer dünner immer blasser werdenden Menschen, der Ausläufer des Arms ist ein schlanker, an seiner Spitze nurmehr fadendünner Zeigefinger, und das Ende dieses Fadens ist provisorisch mit einer Eiderdaune und etwas Hühnerdung auf dem Kopf von Pong festgeklebt, eine ruckhafte Bewegung mit diesem Kopf, und er ist den alten Adam mitsamt den Adamskindern und Adamskindeskindern los. Dann möchte er das Lachen der Mutter hören! Dann möchte er erleben, ob sie noch den Mut hat, ihm fünf Geschwister anzuhängen! Er kommt sich mit einem Mal gewitzt vor, ist gleichsam ein Senffaß voll mit überscharfem Senf, den sich mit Rücksicht auf den eigenen Anus keiner mehr so leicht auf die Wurst schmiert.

Der Stammbaum wird in Zukunft einfach umgangen und links stehengelassen, die Gespensterverwandten werden nicht mehr mit Gedanken dickgefüttert, ihnen wird keine Gelegenheit mehr gegeben, durch Kalkül und Kommentar auf ihn einzuwirken. Aus dem Morgendämmer will er eine Genealogie heben, in der er sich herleitet; man soll dieses Wunder an Selbstverzweigung nur aufmerksam studieren und daraus seine Lehren ziehen.

Zuerst wird er die falsche Ahnenliste zerstören, die überall in den Rathäusern ausliegt, in denen seine gesammelten Scheinverwandten auf ihre Existenz pochen, ansonsten aber ein Bummelleben führen. Stempel, Papier, Unterschriften, alles gefälscht. Die Akten schmutzig vom Schweiß der Betrüger. Er frißt einen Besen, wenn auch nur die kleinste Angabe der Wahrheit entspricht. Rein sei Pong, rein was er denkt, rein was er berührt. Eine erste Ahnung dieser Reinheit teilt sich seinen Fingerspitzen mit, die in prickelnder Selbstgärung beginnen, sich von all dem angehäuften Schmutz zu befreien. Alles lenkt sich ins Weite, rafft sich zu einem Hoffen Möchten Können auf, von dem er bisher nichts geahnt hat. Er wird jetzt eine Brücke zu Gott schlagen, was sich im Sturzgold früher Sonnenstrahlen jauchzend bestätigt. Wolken mit schräggekämmtem Haarflor, hinter denen ER sich verbirgt und auf seinen Scheitel schaut, sind in den Himmel gehängt. Schnüre langen von ihm bis dahin. Seine Trostbändel! Aus himmelseingeborenem Stoff, helle flüssige schlenkerige Fragen hinauf-, klare kurze wohlgeletterte Response hinabschreibend. Eine Schule des Glücks und kein Gesudel.

Zunächst die Frage, wie kam Pong in die Welt. Eine so bedeutende Singularperson, wie sie ja Pong unzweifelhaft ist, kommt nicht durch gewöhnliche Vermehrung in die Welt, sondern auf dem Wege der Vermehrung durch Entzweireißen. Für die Hervorbringung von Pong wurde eine andere, nicht besonders bedeutende Person, bedeutend allerdings im Hinblick auf Pong, zerrissen. Diese Ursprungsperson mag gut und freundlich oder windig und launisch gewesen sein, es interessiert nicht. Was aber interessiert, ist, daß diese im Grunde eher gewöhnliche Person den Entschluß faßte, einmal, und sei es nur für eine Sekunde, ganz der Wahrheit zu leben. In diesem unerhörten Moment legte sich aller Radau. Aus der bisherigen Person, nennen wir sie ruhig Hanna Faiß, wurde alles Unnütze, nicht auf die Wahrheit, nicht auf Pong hinarbeitende, mittels Ausblasen vertrieben. Eine Stille, die allen Geschöpfen die Ohren lang machte, setzte sich wie leuchtender Rahm auf die Welt, und es begab sich der Große Ratsch.

Pong war da. Schon groß. Mit allen Zähnen, allem Haar. Konnte laufen, konnte sprechen. War gescheit! Ob ein Mensch durch normale Geburt oder durch den Großen Ratsch in die Welt kommt, erkennt man an seiner Oberfläche. Der Normalbürtige hat die erst glatte, später faltige Schlüpfhaut der Blutgeburt. Pong aber hat die Spezialhaut des Ratschbürtigen, eine dünne, durchlässige Haut, die über andere Methoden der Abstoßung und Aufnahme verfügt als die Normalhaut. Mit der Luft geht zum Beispiel ganz leicht die Wahrheit durch sie hindurch, während Lügen ihr Filtersystem nicht passieren können. Im Kampf mit der Lüge wird die Haut aber sehr beansprucht. Daraus folgt, Pong lebt in einer Spezialhülle und muß aus Gefährlichkeitsgründen den Abschluß gegen die übrigen Menschen suchen. Und er hat seine Methoden, um sich die Menschen vom Leib zu halten.

Was aber folgt daraus in puncto Ahnen? Es folgt daraus, daß es Ahnen im üblichen Sinn gar nicht gibt. Was gemeinhin als Ahnen bezeichnet wird, ist im Gegenteil dazu verurteilt, durch hypnotisches Hinstarren auf Pong die unbequemste Lage in seinem Grab anzunehmen. Je nachdem, wohin Pong sich bewegt, ist dieses arme Gesterbs gezwungen, sich herumzuwerfen, herumzudrehen, damit seine Augenhöhlen noch einen letzten Schimmer von Pong auffangen. Das Gesindel labt sich an Pong, obwohl nicht zu ermitteln ist, worin diese Labsal genau besteht. Vielleicht weil Pong so brandjung ist, daß seine verhohlenen Strahlen selbst Aschen- und Knochenwesen in ihrer Schüchternheit erglimmen lassen. Das kann aber nicht bewiesen werden und wird vermutlich immer ein Geheimnis bleiben. Eines ist sicher: diese Art Ahnen zählt nicht, weil Pong an ihnen nichts hat, sie aber viel an ihm. Eine sehr einseitige Bedürftigkeit.

Anders liegt der Fall bei den übrigen Spezialpersonen des Großen Ratsch; über die gesamte Menschheit verstreut sind es noch nicht mal hundert. Ein Großer-Ratsch-Mensch geht nicht aus einem anderen Großen-Ratsch-Menschen hervor, sehr wohl kann man aber von einer Brüdergemeinde im Geiste sprechen. Zur Erläuterung sollen hier paar Brüder aufgezählt werden, von denen er mitunter Rat und Aufheiterung empfängt:

Da gibt es Wezel Commerius, die Phönixschwinge. 1612 in die Welt getreten zu Rotterdam. Ein kraftvoll in allen Sehnen und Muskeln modellierter Mann. In seinen Augen das Lackschwarz von Käferrücken. Ein großartiger Schlittschuhläufer, dessen Geist auch in versetzten Zügen über die Welt hinfuhr, manchmal in eine übermütige Kurve umbrechend. Von dessen Kraft ist etwas in seine Beine geflossen, wofür er Wezel Commerius dankt.

Ferner Reinhold Ephraim Anz. Verweltlichung 1709 zu Carlsta. Unbescholtenes Leben. Neun Eheanträge weggeschüttet, wie man saure Suppe wegschüttet. Dafür reger Elektrisier-Austausch mit Katzen. Von Anz zu Pong ist ein Funke übergesprungen, der bewirkt, daß ihn der Alltag nie zuschäumt, daß ihm Einblicke gestattet sind wie keinem Menschen sonst, daß er dünnen Boden gefahrlos überschleicht und Fühlung mit der Welt durch ein gedachtes Schnurrhaar aufnimmt.