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Das neue Buch der Platz-1-SPIEGEL-Bestsellerautorin endlich auf Deutsch!
Seit ihrer Kindheit sind Adena und Paedyn ein unzertrennliches Gespann. Gemeinsam trotzen sie dem rauen Alltag auf den Straßen Ilyas – bis Paedyn zur Kandidatin für die Säuberungsspiele wird. Adena bleibt allein in den Slums zurück und muss um das Leben ihrer Freundin bangen. Doch dann trifft sie auf Mak. Der geheimnisvolle Mann besitzt eine dunkle Gabe, die Adena helfen könnte, Paedyn zu retten. Auch Mak hat Interesse daran, Zugang zu den Säuberungsspielen zu erhalten, und so schließen die beiden einen Pakt – nichts ahnend, dass dieser ihre Schicksale untrennbar miteinander verbinden wird …
Die Romane aus dem Powerless-Universum:
Band 1: Powerless – Das Spiel
Band 2: Powerless – Die Flucht
Band 3: Powerless – Der Thron
Novelle: Powerful – Adenas Schicksal
Novelle: Fearful – Kitts Schicksal
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 229
Veröffentlichungsjahr: 2025
Seit ihrer Kindheit sind Adena und Paedyn ein unzertrennliches Gespann. Gemeinsam trotzen sie dem rauen Alltag auf den Straßen Ilyas – bis Paedyn zur Kandidatin für die Säuberungsspiele wird. Adena bleibt allein in den Slums zurück und muss um das Leben ihrer Freundin bangen. Doch dann trifft sie auf Mak. Der geheimnisvolle Mann besitzt eine dunkle Gabe, die Adena helfen könnte, Paedyn zu retten. Auch Mak hat Interesse daran, Zugang zu den Säuberungsspielen zu erhalten, und so schließen die beiden einen Pakt – nichts ahnend, dass dieser ihre Schicksale untrennbar miteinander verbinden wird …
Lauren Roberts hat ihr ganzes Leben in Michigan, USA, verbracht. Wenn sie nicht gerade über fantastische Welten und liebenswerte Charaktere schreibt, findet man sie eingekuschelt im Bett und mit einem Fantasy-Roman in der Hand – oder auf TikTok, wo sie als @laurenrobertslibrary ihre Liebe zu Büchern mit ihren Hunderttausenden Follower*innen teilt. »Powerless – Das Spiel« ist Lauren Roberts’ Debüt und stellt den Auftakt einer mitreißenden Romantasy-Trilogie dar. Der Roman eroberte Platz 1 der »New York Times«- und SPIEGEL-Bestsellerliste und traf mitten ins Herz der Leser*innen.
Weitere Informationen unter:
www.laurenrobertslibrary.com
www.instagram.com/laurenrobertslibrary/
www.tiktok.com/@laurenrobertslibrary
Powerless – Das Spiel · Powerless – Die Flucht
Lauren Roberts
ROMAN
Deutsch von Ulrike Gerstner
Die Originalausgabe erschien 2024 unter dem Titel »Powerful« bei Simon & Schuster UK Ltd, London.
Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.
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Copyright der Originalausgabe © 2024 by Lauren Roberts
POWERLESS is a trademark of Lauren’s Library LLC
Published by arrangement with Simon & Schuster UK Ltd
1st Floor, 222 Gray’s Inn Road, London, WC1X 8HB
A Paramount Company
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2025 by Penhaligon in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München
(Vorstehende Angaben sind zugleich Pflichtinformationen nach GPSR)
Redaktion: Catherine Beck
Umschlaggestaltung: www.bürosüd.de
nach einer Vorlage von Simon & Schuster und unter Verwendung von Bildmaterial von Adobe Stock (Shootdiem, Dmitry, SM_studio9)
Karte: © Jojo Elliott
Stammbaum: © Jojo Elliott
DK · Herstellung: fe
Satz: KCFG – Medienagentur, Neuss
ISBN 978-3-641-33294-5V002
www.penhaligon-verlag.de
Für alle Mädchen mit sanfteren Träumen –
eure Berufung ist genauso mächtig.
Verzeichnete Eliten
Adena
Vor 5 Jahren
Der gewaltigste Mann, den ich je gesehen habe, stürmt mit polternden Schritten hinter mir her. Möglicherweise übertreibe ich aber auch. Mama hat immer zu mir gesagt, was für ein Fluch es ist, mit einer so lebhaften Fantasie gesegnet zu sein. Ich würde nur äußerst ungern verkünden, dass er der größte Mann ist, den ich je gesehen habe, wenn er diesen Titel gar nicht verdient hat. Also wage ich einen Blick über die Schulter, weiche den Karren und den vorspringenden Pflastersteinen aus, in den Stiefeln, die meine Füße verschlucken. Mama sagte, ich würde in die Stiefel hineinwachsen. Ich warte immer noch auf diesen Tag.
Nein, der Mann ist definitiv riesig. Die weiße Maske, die er trägt, entblößt die untere Hälfte seines Gesichts, und zwischen jedem keuchenden Atemzug offenbart er rote Wangen und eine verzerrte Grimasse.
Eine verknotete Haarsträhne peitscht mir ins Gesicht, als ich mich wieder der Straße zuwende, die sich vor mir erstreckt. Ein paar Locken verfangen sich in meinem Mund, als ein vereinzelter Windstoß beschließt, die Beuteallee entlangzurauschen, auf dem Weg zu etwas viel Wichtigerem. Gerade will ich mir die widerspenstigen Strähnen aus dem Gesicht streichen, da werde ich an den Grund erinnert, warum ich überhaupt vor einem Imperialen fliehe.
Honig quillt zwischen meinen Fingern hervor und tropft träge von dem klebrigen Brötchen, das ich zerdrücke. Vielleicht wäre ich sogar mit meinem ersten Diebstahlversuch durchgekommen, wäre ich nicht genau in den Stand gestürzt, den ich beklauen wollte.
Leider ging es von da an nur noch bergab.
Ich habe mich wortreich entschuldigt, ehe ich auf dem Absatz umgedreht und weggerannt bin. Das hat zuerst die Aufmerksamkeit des Händlers erregt, dann die des Imperialen, und jetzt wird jeder auf der Marktstraße Zeuge dieser Szene, die ich verursacht habe.
Es ist ja nicht so, dass sich der Imperiale – oder der König, dem er dient – für den verbrannten Teig interessiert, den ich so leichtsinnig gestohlen habe. Nein, es ist das Exempel, das er statuieren will. Das Spektakel, zu dem ich werde, wenn ich an den blutigen Pfahl im Herzen der Beuteallee angebunden bin. Imperiale mögen ihre Peitschen, und ich mag meine Honigbrötchen. Und aus irgendeinem Grund ist das hungernde Mädchen im Unrecht.
Männer, Frauen und umherstreifende Kinder springen mir aus dem Weg, doch die meisten scheinen von meinem Anblick unbeeindruckt zu sein, während ich vorbeirase. Plündereien auf der Beuteallee sind keine Seltenheit. Die Händler fluchen, als ich mich zwischen ihren Karren hindurchschlängele, doch ich rufe allen meine Entschuldigung zu.
Das ist vielleicht das Furchterregendste, was ich je getan habe.
Ich meine, der Versuch, einen Faltenrock zu nähen, war schon eine Furcht einflößende Aufgabe. Aber die Gefahren, die von spitzen Nadeln ausgehen, verblassen wahrscheinlich im Vergleich zu dem, was dieser Imperiale für mich auf Lager hat.
Ich werfe einen Blick auf das klebrig süße Gebäckstück, das sich tatsächlich so anfühlt, wie es sein Name vermuten lässt.
Was ist bloß in mich gefahren?
Ich rufe der Frau, die aus dem Weg huscht, eine Entschuldigung zu. Wahrscheinlich wird sie davon verschluckt, dass sie im selben Atemzug meinen Namen verflucht.
Hunger. Das ist in mich gefahren.
Aber ich mag es nicht besonders, wenn man mich verflucht. Würden mich die meisten der Leute, die mir hinterherschreien, tatsächlich kennen, dann würde ich unter anderen Umständen sicher einen ganz respektablen Eindruck machen.
Ich werfe mir das Haar über eine Schulter und spähe zu meinem riesigen Verfolger. Das Gesicht immer noch so rot, stürmt er unermüdlich weiter auf mich zu.
Okay, er ist definitiv kein Blitz, so viel steht fest.
Als ich den Kopf wieder zur Straße drehe, erregt ein silbernes Glitzern meine Aufmerksamkeit.
Das Mädchen steht im Weg und beäugt neugierig die Szene, die auf sie zurollt. Silbernes Haar ergießt sich von ihrem Scheitel über den Rücken, und wenn ich das hier unbeschadet überstehe, bin ich fest entschlossen, Stoff in dem gleichen schimmernden Farbton aufzutreiben.
Ich bewundere ihr Haar, bis es sich auf einmal genau vor mir befindet. Sie hat sich nicht bewegt, und ich habe nicht vor, langsamer zu werden. Also renne ich direkt in sie hinein.
Nun, vielmehr renne ich direkt durch sie hindurch.
Ich transiere, als sich unsere Körper berühren, und fühle nichts, während ich durch sie durchrausche und auf der anderen Seite der offenen Straße wieder heraustrete. Und ich wage es nicht, mich umzudrehen, bis ich einen schweren Aufprall auf dem Kopfsteinpflaster hinter mir höre. Ich sehe gerade noch, wie das Gesicht des Imperialen auf den Stein schlägt, bevor das Mädchen hinter mich springt.
»Nicht anhalten!«, ruft sie und macht sich nicht die Mühe, das Lächeln zu unterdrücken, das an ihren Mundwinkeln zupft. Alles, was ich daraufhin herausbringe, ist ein atemloses Lachen, während ich mich darauf konzentriere, meine müden Beine dazu zu zwingen, schneller zu laufen. Wir rennen, bis sie mich in eine enge Gasse zerrt, vorbei an den zusammengekauerten Obdachlosen. »Hier entlang«, befiehlt sie und zieht weiter an meinem Arm. Erst nachdem wir uns durch mehrere zwielichtige Gassen geschlichen haben, erlauben wir uns, an einer schmutzigen Backsteinmauer anzuhalten und die ebenso staubige Luft zu schlucken.
Sie schaut zu mir hinüber, und ich schaue zu ihr.
So etwas wie Verständnis scheint sich zwischen uns breitzumachen. Als hätte die Einsamkeit einen ebenbürtigen Partner gefunden.
Das Mädchen zieht die Augenbrauen hoch und betrachtet das Honigbrötchen, das ich immer noch in der Hand halte. »Dein erster Diebstahl?«
»So offensichtlich?« Ich lächle verlegen.
Sie zuckt mit den Schultern. »Man sollte meinen, eine Transiererin wäre besser im Entkommen.«
»Siehst du«, erwidere ich seufzend, »das dachte ich auch. Und sieh dir an, wo es mich hingebracht hat.« Eine Weile herrscht Schweigen zwischen uns, bevor ich herausplatze: »Oh, und ich bin mir zwar nicht sicher, was du da gemacht hast, aber danke für deine Hilfe.«
Sie schenkt mir ein Lächeln. »Das war nichts Kniffliges. Ich habe nur meinen Fuß ausgestreckt. Der Imperiale ist schuld, weil er da reingelaufen ist, ernsthaft.«
Wir lachen. Es ist schön, dieser kurze Moment der Kameradschaft. Wärme umfängt meine Brust, als ich zum ersten Mal seit langer Zeit wieder kichere. Zum ersten Mal seit Mama.
Ich halte das klebrige Gebäck zwischen uns hoch. »Sollen wir teilen?« Sie lacht erneut, als ich mit dem Teig unter ihrer Nase herumwedele.
»Mit deinem ganzen Schweiß da drauf?«
»Oh, das ist doch gar nichts«, sage ich, die Worte klingen gedämpft durch den Bissen, den ich gerade kaue. »Ich habe viel mehr geschwitzt, als ich versucht habe, ein Korsett zu nähen.«
Sie sieht verstört aus. »Wozu hast du denn je ein Korsett gebraucht?«
»Unglücklicherweise«, seufze ich wehmütig, »habe ich nie eins gebraucht. Aber reichere Leute schon.«
Sie blinzelt, etwas braut sich hinter ihren blauen Augen zusammen. »Du verkaufst Kleidung?«
Mein Blick gleitet über das schmutzige Hemd, das von ihrer Schulter herabhängt, und landet auf der Hose, die sich an ihren Stiefeln bauscht. »Ja, und es sieht so aus, als könntest du gut welche gebrauchen.« Ich fahre mit einer Hand über ihren Ärmel und spüre, wie der grobe Stoff über ihre Haut reibt. »Nein, so geht das ganz und gar nicht.«
»Bei mir steht Essen zu stehlen im Moment an erster Stelle«, brummt sie.
Aufregung sprudelt in meiner Kehle und löst sich als gedämpfter Ausruf. »Du stiehlst? So richtig gut?«
»Ob ich gut stehle?«, wiederholt sie skeptisch.
»Na ja, was ich gerade angestellt habe, war schlecht.« Sie pflichtet mir umgehend mit einem Nicken bei. »Kannst du denn das tun, was ich getan habe, aber in gut?«
»Alles geht besser als das«, sagt sie mit einem amüsierten Lächeln. »Darum: Ja, ich stehle gut.«
»Perfekt«, erwidere ich fröhlich und strecke die Hand aus, die gerade nicht mit meinem Diebesgut voll ist. »Ich bin Adena.«
Sie ergreift meine Hand und schüttelt sie offenbar nur, um mich aufzumuntern. »Ich bin Paedyn.«
»Nun, Paedyn …« Ich reiße das Honigbrötchen in zwei Teile und biete ihr eine der gequetschten Hälften an. »Ich glaube, wir wären ein gutes Team.«
Sie stopft sich ein Stück in den Mund. »Du nähst also, und ich klaue? Wir teilen uns das Geld und das Essen?«
»Ganz genau.« Ich zögere einen Moment. »Ich meine, es sei denn, du hast etwas Besseres als die Slums, wo du hinkannst …«
»Nicht mehr«, antwortet sie ein bisschen zu rasch. »Also, Partnerinnen?«
»Partnerinnen.« Ich lächle, bevor ich sie von oben bis unten betrachte. »Und meine erste Aufgabe ist es, dich in etwas weniger Schreckliches zu stecken.«
Sie stößt ein Lachen aus. »Ja, weil das am allerwichtigsten ist.«
Ich nehme noch einen Bissen von dem klebrigen Gebäck und genieße den süßen Honig, der auf meiner Zunge zerschmilzt. »Und deine erste Amtshandlung ist«, murmle ich zwischen zwei Bissen, »mir mehr hiervon zu besorgen.«
Makoto
Ihr Name steht auf einer Liste der Toten.
Ich blinzle gegen das gleißende Sonnenlicht und prüfe jeden Namen, der auf dem Banner prangt. Ihrer befindet sich unter den acht anderen, wahrscheinlich wird er übersehen unter dem Namen des Prinzen, den man ganz oben auf die Liste gesetzt hat. Aber obwohl er auf der Liste steht, wird unser zukünftiger Vollstrecker dem Tod, der die anderen Teilnehmenden erwartet, leicht entkommen können. Denn diese Prüfungen wurden für Eliten wie ihn gemacht. Nicht für Eliten wie sie.
Ich überfliege die Liste noch einmal und erkenne keine weiteren Namen. Ich war noch nie jemand, der mitbekommen hat, welche Eliten relevant genug werden konnten, um es in die Spiele zu schaffen.
Eine Schulter prallt gegen meine, gefolgt von mehreren anderen Gliedmaßen, die gegen mich drängen. Die Beuteallee quillt über von schmierigen Leibern und gellenden Jubelschreien – und die Liste der Gründe, warum ich lieber irgendwo anders wäre als in den Slums von Ilya, wird immer länger. Nur mit Mühe bahne ich mir einen Weg durch die überfüllte Straße, in der es nur so von Ignoranten wimmelt. Auf jedem Zentimeter wird den Kandidaten zugejubelt, die sie ausgewählt haben, um Beute zu repräsentieren.
Ich dränge mich durch die Menge und blende ihre Begeisterung aus.
Sie haben nichts weiter getan, als banale und defensive Eliten in den Tod zu schicken.
Und sie ist eine von ihnen.
Aber eigentlich sollte ich es sein. Der, der brutal stirbt. Der allein stirbt. Der überhaupt stirbt.
Die Sprechchöre zu Ehren der sechsten Säuberungsspiele dröhnen in meinen Ohren, jedes Wort erinnert mich daran, was ich getan habe – nichts.
Ich habe mein ganzes Leben in ihrem Schatten verbracht und mich vor dem Leben selbst versteckt. Und jetzt wurde sie auserwählt, nur weil sie nichts dergleichen getan hat. Die Leute kannten sie, liebten die Straßenmagie, die sie als Schleier vollführte. Und dennoch verurteilen sie sie unter dem Deckmantel der Ehre zum Tode.
Sie ist eine Defensive. Deshalb ist sie todgeweiht.
Und ich muss sie finden.
Meine Hände sind mit Kohlenstaub beschmiert, die Ledersachen kleben an meinem verschwitzten Körper, als würde ich immer noch Stahl über einem glühenden Feuer hämmern. Ich habe die ganze Nacht durchgearbeitet und war noch nicht fertig, als der Tumult mich aus dem Laden zog.
Ich hätte gestern Abend zu ihr gehen sollen. Ich hätte da sein sollen, als sie es erfuhr.
Und jetzt kämpfe ich mich durch ein Meer aus Leuten und versuche, sie zu finden, bevor es zu spät ist. Ich überblicke die überfüllte Allee und entdecke eine Kutsche, die auf das Ende der Straße zurollt. Sie kommt quietschend zum Stehen, die Pferde haben es fast so eilig, den Slums zu entkommen, wie die Lenker.
Dieses Gefühl kenne ich nur zu gut.
Ich werde nach vorne geschoben, als die Menschenmenge auf die Kutsche zuströmt und sich um sie schart, als ob sie eine kostenlose Mitfahrgelegenheit aus diesem Drecksloch anbieten würde. Widerwillig lasse ich mich vorwärtstreiben und kann einen Blick auf sie erhaschen, als sie einsteigt.
Ein Imperialer führt sie die Treppe hinauf, und in typischer Hera-Manier bedankt sie sich schüchtern bei ihm, als ob er sie nicht in ihr Verderben geleiten würde. Ihr glattes schwarzes Haar ist das Letzte, was ich sehe, bevor sie von den vier Wänden verschluckt wird und im Bauch der Kutsche verschwindet.
Die Welt scheint leiser zu werden und sich mit jedem meiner zittrigen Atemzüge langsamer zu drehen.
Ich hatte keine Gelegenheit, mich zu verabschieden.
Mit dem Daumen fahre ich die Narbe nach, die sich krumm durch meine Lippen zieht, so wie an jenem Tag, als mein Leben zu einem Geheimnis wurde. Eine vertraute Kälte durchströmt meinen Körper und tränkt jede Faser in mir mit Bitterkeit.
Ich bin kurz davor, mich abzuwenden, weil ich nicht mit ansehen kann, wie sie in den Tod geführt wird.
In diesem Moment bemerke ich, wie etwas silbern aufblitzt.
Ich spähe über die vielen Köpfe auf der Straße hinweg und beobachte, wie sie auf die Kutsche zugeht, mit Haaren, die mir alles verraten, was ich wissen muss.
Das ist also die berühmte Silberne Retterin.
Die Nachricht, dass sie Prinz Kai gerettet hat, ist sogar bis zu mir vorgedrungen – ein Beweis dafür, wie bedeutsam sie in den Slums geworden ist. Vielleicht bin ich ein Skeptiker oder einfach die einzig logisch denkende Person hier in der Gegend, aber ihr Kampf gegen einen Dämpfer hat mich nicht ganz überzeugt. Ein Kampf, den der zukünftige Vollstrecker selbst nicht gewinnen könnte.
Und ich weiß genau, wie es ist, in Kais Haut zu stecken.
Ich sehe ihr dabei zu, wie sie in die Kutsche steigt, da erregt eine auf und ab hüpfende Gestalt meine Aufmerksamkeit. Ihre dunklen Locken wippen bei jedem Versuch, über die Menge hinwegzusehen. Sie winkt der Silbernen Retterin unkontrolliert zu und ruft etwas, das ziemlich herzergreifend wirkt, wahrscheinlich ein vergeblicher Abschied, der nie mehr gehört werden wird.
Ich beuge mich über zwei junge Frauen, die im Vergleich zum Rest der Straße schrecklich schief singen. Mit schmalen Augen bemühe ich mich, das Gesicht des Mädchens auszumachen, das so beharrlich hopst. Irgendetwas an ihr kommt mir bekannt vor, als wäre es nicht das erste Mal, dass ich in den Genuss ihrer unermüdlichen Lebhaftigkeit komme.
Als mich die Erkenntnis mit voller Wucht rammt, verdrehe ich die Augen.
Oh, ich weiß genau, wer das ist. Ich glaube sogar, dass sie es auf meine immer länger werdende Liste von Gründen geschafft hat, weshalb ich meinen Laden nie verlassen sollte.
Ich war gerade dabei, Vorräte von einem Händler zu kaufen, der genauso begierig darauf war, mein Geld zu kassieren, wie ich darauf, mich in meinen glorreichen Schuppen zurückzuziehen. Mit einem Bündel Leder unter dem Arm und einem eklatanten Mangel an Begeisterung wurde ich Zeuge des absurdesten aller überschwänglichen Verkaufsgespräche.
Und da sah ich sie, mit lockigem Haar, das bei jedem energischen Nicken ihres Kopfes mitwippte. Um sie herum türmten sich Stapel an Kleidung, während sie das, was man gemeinhin als »blaues Hemd« bezeichnen würde, mit etwa einem Dutzend zusätzlicher Wörter beschrieb.
Vielleicht habe ich das eine oder andere gesagt, aber die Details unseres Gesprächs waren nicht so interessant, dass ich mich noch daran erinnern könnte.
Das ist jetzt einige Wochen her, doch es gibt keinen Zweifel daran, dass das Mädchen, das gerade wie wild die Straße hinunterfuchtelt, dieselbe Näherin ist, die an einer Straßenecke ihre Ware verkauft.
Und sie ist eine Transiererin. So viel weiß ich über sie. Nun, das und ihre erstaunliche Fähigkeit, ohne Pause zu plappern.
Sie wirft der Silbernen Retterin Luftküsse zu, so viele, dass ich mich darauf gefasst mache, sie wegen Atemnot in Ohnmacht fallen zu sehen. Aber nichts dergleichen geschieht, und so beobachte ich weiter, wie sie ihre Zuneigung zu dieser Frau auf reizende Art zum Ausdruck bringt.
Es ist nicht zu übersehen, wie aufrichtig jedes Winken und jeder Ausruf ist. Diese Näherin kennt die Silberne Retterin, und wie es aussieht, sogar ziemlich persönlich.
Augenscheinlich ist sie bereit, alles für sie zu tun.
Mein Verstand rast rücksichtslos vorwärts und heckt Ideen aus. Ein entsetzlich unbesonnener Plan entsteht, der wahrscheinlich nie die Grenzen meines Verstands verlassen, geschweige denn ausgeführt werden sollte.
Aber es könnte funktionieren.
Das ist normalerweise der letzte Gedanke, der einem durch den Kopf schießt, bevor alles den Bach runtergeht.
Doch andererseits könnte man auch behaupten, dass es gar nicht mehr schlimmer werden kann.
Adena
Nur die Stoffreste leisten mir noch Gesellschaft.
Das Ganze hört sich weitaus deprimierender an, als es ist. Dies ist nur ein vorübergehender Schub an Einsamkeit. Sobald Pae von den Spielen zurückkehrt – ich weigere mich zu glauben, dass es anders ausgehen könnte –, wird sie wieder friedlich zu meiner Linken schlummern.
Bei dem Gedanken rutsche ich zur Seite und sorge dafür, dass sie genug Platz hat, um ungestört zu schlafen. Ich weigere mich, ihre Seite zu besetzen, und reserviere sie stattdessen mit meinem Stoffbündel. Eine Gedenkstätte, wenn man so will. Aber nicht auf so eine tote, schwermütige Art. Vielmehr auf die »Ich vermisse dich, aber keine Sorge, ich halte deinen Platz frei«-Art.
Das Fort ist heute Abend ein bisschen zugig, aber das liegt möglicherweise daran, dass wir es damals als Dreizehnjährige aus Dutzenden verschiedenen Gegenständen zusammengeschustert haben. Der plötzliche Drang, unser kleines Zuhause zu verschönern, hält mich zu sehr auf Trab, um zu schlafen. Pae verdient ein fabelhafteres Fort, in das sie zurückkehren kann. Aber ich vermute, dass sie die Hälfte der Slums kaufen kann, wenn sie diese Spiele gewinnt.
Wie beeindruckend wäre es, wenn sie das schafft? Wenn sie es schafft, etwas zu gewinnen, das die Macht der Eliten demonstrieren soll, obwohl sie nichts dergleichen besitzt. Und wenn es eine Banale schafft, dann Pae. Sie wird alle mit ihren »Seherinnen«-Fähigkeiten täuschen. Hätte sie mir nicht die Wahrheit erzählt, würde ich wahrscheinlich immer noch ihrer vorgespielten Beobachtungsgabe glauben.
Ich vergrabe mich in unsere Decke, während mir all die Möglichkeiten durch den Kopf schwirren. Dann nicke ich und entscheide mich für meine Fort-Umdekorationsüberraschung. Das wird mein Geschenk für sie sein.
Ich habe gar nicht bemerkt, dass ich eingeschlafen bin, bis ein Sonnenstrahl meine Stirn kitzelt.
Ich rolle mich auf die Seite und befinde den Stoffhaufen für recht gemütlich, bevor mich die Streifen zum Niesen bringen. Sobald meine Nase mit dem Anfall fertig ist, setze ich mich auf und streiche den Pony zurück, der an meiner Stirn klebt. Meine verschlafenen Augen bekomme ich nur langsam auf, doch ich merke schnell, dass der Platz neben mir leer ist.
Ich zögere, während ich hinter dem Fort sitze und nicht weiß, was ich mit mir anfangen soll. In den letzten fünf Jahren ist Paedyn nur dank meiner Beharrlichkeit jeden Morgen aufgewacht. Und vielleicht hat ein Teil von mir die Routine genossen, die erste Person zu sein, die Pae dann sieht. Allerdings ist diese Aufgabe nichts für schwache Nerven. Sie ist dickköpfig, sogar im Schlaf.
Mit einer Entschlossenheit, die ich im Moment lieber nicht aufbringen möchte, schaffe ich es, mich aufzurappeln. Ich tausche ein übergroßes Hemd gegen ein anderes und versuche, mit den Fingern durch die verhedderten Locken zu fahren, die ich mir durch eine Nacht des Hin- und Herwälzens zugelegt habe. Es dauert nicht lange, und ich gebe auf, wie jeden Tag. Ich habe beschlossen, dass das jetzt zu meiner Routine gehört.
Nachdem ich mein Haar zu einem unordentlichen Knoten im Nacken gedreht habe, schnappe ich mir ein Bündel Kleidung und transiere durch die Barriere, die unser Fort darstellt.
Sonnenlicht umhüllt die Dächer der verfallenen Läden, als ich mich auf den Weg nach Beute mache, und die Strahlen rieseln an den Wänden hinunter und sprenkeln den Gehweg. Ich lächle bei diesem Anblick und sage dem glänzenden Stern leise guten Morgen. Wir waren uns schon immer nahe, auf eine Art verbunden, die ich nicht erklären kann.
Ich komme an mehreren Händlern vorbei, die ihre Karren für den Tag vorbereiten, und lächle den wenigen zu, die diese Geste zu schätzen wissen.
Routine. Schon wieder.
Ich habe es fast bis zu meiner Ecke geschafft, als mir der Duft von frischem Teig entgegenschlägt. Mein Magen beschwert sich lautstark über den Geruch und murrt, dass er nichts zu essen hat. Und anscheinend hören meine Füße darauf. Sie tragen mich zur Quelle des Geruchs, während ich den Stoff noch fester an mich drücke.
So finde ich mich vor dem Karren eines Händlers wieder, der mit Honigbrötchen voll beladen ist. Der Mann nickt knapp, während ich liebreizend lächle, als ob ich nichts Unrechtes im Sinn hätte. Aber es ist, als wäre die Versuchung nur für mich erschaffen worden. Mein Magen ist hartnäckig, meine Hände lechzen danach, ein glasiertes Stück Teig zu erhaschen.
Ich war noch nie besonders gut im Weghaschen, weshalb ich diese Spezialdisziplin immer Pae überlassen habe. Aber sie hat mich allein gelassen mit meinem Appetit und ohne eine Stimme der Vernunft. Was für eine gefährliche Kombination. Zumal mein Hunger momentan jede Vernunft erstickt.
Als der Händler mir den Rücken zudreht, sorge ich dafür, dass sich die Geschichte wiederholt.
Ich klaue ein süßes Brötchen. Der Honig, der zwischen meinen Fingern hervorquillt, fühlt sich an wie ein Déjà-vu. Ich starre auf die glänzende Masse in meiner Handfläche, während ich mich abmühe, mir das Kleiderbündel unter einen Arm zu klemmen. Langsam wende ich mich ab und flüstere dem augenscheinlich freundlichen Mann eine Entschuldigung zu, während ich von seinem Stand wegtrete.
In diesem Moment fällt der grüne Faltenrock, an dem ich stundenlang genäht habe, aus dem Bündel und landet hinter mir. Ich wirbele herum und will ihn aufheben, bevor der Händler etwas merkt und …
»Hey! Willst du das noch bezahlen, Mädchen?«
Stolpernd ergreife ich die Flucht. Ich bin eine furchtbare Person, die stiehlt und vor den Konsequenzen davonrennt. Nicht dass Pae furchtbar wäre. Nein, ich bin einfach nicht für so etwas geschaffen. Mein Gewissen kann so eine schreckliche Tat nicht dulden.
»Es tut mir leid!«, rufe ich, während ich die Straße hinunterstürme. »Es ist garantiert köstlich und das Geld, das ich nicht habe, mehr als wert!«
Ich flitze durch die anwachsende Menge und spüre, wie die Kleidungsstücke bei jedem schwungvollen Schritt immer mehr verrutschen. Verschwommene Gesichter schauen zu, wie ich an ihnen vorbeirase, eines davon ist zur Hälfte mit einer weißen Maske bedeckt.
Na großartig! Ich habe die Aufmerksamkeit eines Imperialen erregt.
Genau wie vor fünf Jahren, als ich genau das gleiche Verbrechen begangen habe. Ich könnte über meine wiederholte Dummheit lachen. Nur ist Paedyn dieses Mal nicht da, um mich zu retten, und so bleibt mir nichts anderes übrig, als allein zu fliehen und zu versuchen, meinem Verbrechen zu entkommen.
Der Imperiale verfolgt mich und schreit mir Befehle zu. Ich zwinge mich, seine Drohungen zu ignorieren, und laufe durch die vertraute Gasse, in der unser Fort liegt. Es bereitet mir körperliche Schmerzen, meine Kleider in die Sackgasse zu werfen, aber ich versichere ihnen: »Ich komme wieder und hole euch!« Und dann kneife ich die Augen zu, um nicht mitansehen zu müssen, wie meine geliebten Kleidungsstücke auf das schmutzige Kopfsteinpflaster prallen.
Ohne das Bündel renne ich die Straße hinunter, während ich mir im Geiste Vorwürfe mache, was ich getan habe. Das hält mich aber nicht davon ab, ein paar Bissen Teig zu verschlingen, um so die Beweislast zu verkleinern.
Ich biege in mehrere Straßen ein und kreuze Gassen, während ich versuche, mich nicht an meinem Diebesgut zu verschlucken. Der Imperiale ist mir immer noch auf den Fersen, gerade als ich um eine Ecke schlittere und …
Kräftige Arme schlingen sich um mich, und ich werde an jemand Fremdes gepresst. Mein Versuch, mich zu wehren, ist angesichts der Größe der Gestalt hinter mir zwecklos. Gerade will ich irgendwen um Hilfe anflehen, als eine Hand auf meinen Mund gedrückt wird. Sie riecht nach Ruß, der mir in die Nase sticht.
Ich werde rückwärts gezerrt, immer weiter und weiter, bis mein Häscher gegen die Wand prallt und …
Er transiert hindurch und zwingt mich, das Gleiche zu tun.
Auf der anderen Seite des Backsteins gerate ich ins Taumeln und stolpere über meine Füße. Ein muskulöser Arm hebt mich hoch, bevor ich ausrutschen und mit dem Gesicht voran auf den Boden knallen kann. Eine große Hand verschließt mir immer noch Nase und Mund, und verzweifelt versuche ich, mich zu befreien, um jedes Wort auszuspucken, das gerade erstickt wird.
In diesem Moment niese ich in seine Handfläche.
»Scheiße!«
Kaum berühren meine Füße wieder den Boden, werde ich von der Quelle der tiefen Stimme weggeschoben; meine Nase brennt noch immer von dem Staub, der seine Hand verkrustet hat. Ich atme tief durch, bevor ich mich ihm zuwende und dabei versuche, meine Gedanken zu sammeln und meine Emotionen zu bändigen.
Aber anscheinend gelingt mir beides nicht, denn ich wirbele herum und flüstere scharf: »Du bist auch ein Transierer?«
Falls ich noch einen einzigen rationalen Gedanken übrig hatte, dann hat er sich in der Sekunde in Luft aufgelöst, als mein Blick ihn traf.
Wenn es einen Gott gibt, dann ist dieser Mann der Beweis dafür, dass Er Seine Lieblinge hat.
Er ist so atemberaubend, auf eine Weise, wie ich mir eine Stichwunde vorstelle, so bestechend, dass es einen regelrecht durchbohrt. Wie eine Klinge ist alles an ihm scharf und kalt.
Und auf einmal beschleicht mich bei seinem Anblick das vage Gefühl der Vertrautheit.