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Gerade dachten Liara und Prinzessin Viola, dass der Fluch von Tante Rosamund ein für alle Mal gebannt ist, da werden sie auf der königlichen Fuchsjagd eines Besseren belehrt. Nur mithilfe von Magie ist es Liara möglich, Violas Familie vor Schlimmerem zu bewahren. Aufatmen? Fehlanzeige! Denn auch in Liebesangelegenheiten geht es bei den beiden Mädchen drunter und drüber: Der langersehnte Schulball auf Kelpie Castle steht an, aber Liara ist sich nicht sicher, wem ihr Herz gehört: dem liebevollen Tom oder doch Liam, dem geheimnisvollen Bodyguard? Auch Viola ist frisch verliebt – ob der Fluch ihr einen Strich durch die Rechnung macht? Das Gefühlschaos ist perfekt und Liara und Prinzessin Viola sind mittendrin.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Für meine tollen Enkelsöhne Magnus und Henrik!
Prolog
Ein Ferienplan voller Nervenkitzel
Lügen haben prinzessinnenhafte Beine
Ein schlechtes Gewissen ist kein sanftes Ruhekissen
Das rätselhafte alte Notizbuch
Nimmt das Unheil seinen Lauf?
Vorsicht mit Magie!
Eine unerwartete Nachricht
Ein Date, ein Kleid und viel Magie
Tom auf dem Prüfstand
Ankunft auf Schloss Malboral
Auf dem Rücken der Pferde liegt das Glück der Erde
Eine verflucht gefährliche Fuchsjagd
Der Schulball
Königshaus in freudiger Erwartung! Prinzessin Sybilla mit 47 schwanger!
Einige Leute hatten es ja schon vermutet, aber jetzt gibt das Königshaus offiziell die gute Nachricht bekannt: Prinzessin Sybilla, Ehefrau von Kronprinz Richard, ist wieder schwanger! Die ärztliche Untersuchung ergab, dass es ein Junge wird. Der kleine Prinz wird im Januar zur Welt kommen.
Queen Agatha freut sich sehr auf ihren Neffen, der an dritter Stelle in der Thronfolge stehen wird. Auch die dreizehnjährige Prinzessin Victoria ist entzückt, einen kleinen Bruder zu bekommen. Damit hatte wohl niemand mehr gerechnet.
Offen bleibt, ob die schwangere Prinzessin Sybilla an den Feierlichkeiten zum 20-jährigen Thronjubiläum der Queen teilnehmen kann. Es handelt sich um eine Risikoschwangerschaft, da die werdende Mutter bereits 47 Jahre alt ist. Doch das Könighaus betont, dass die Ärzte mit ihrem Zustand sehr zufrieden sind. Prinzessin Sybilla und ihr ungeborenes Baby sind auf alle Fälle in den besten Händen. Niemand muss sich wegen des Fluchs Sorgen machen, der angeblich seit 50 Jahren auf der Königsfamilie lastet. »Purer Aberglaube«, teilt uns Kronprinz Richard, der werdende Vater, mit. »Wir lassen uns durch so ein Gerücht nicht unsere Freude verderben!«
Die Familie des Kronprinzen hat bereits ihre erste Tochter im Alter von knapp einem Jahr verloren. Das habe jedoch nicht an dem Fluch gelegen, betont der Pressesprecher der Royals. Das Baby habe an einer schweren Lungenentzündung gelitten, bei der jede ärztliche Hilfe versagt habe.
Daily Mirror, Montag, 2. September
»Warum muss ich es aus den Nachrichten erfahren?« Meine Mitbewohnerin Viola schleuderte erbost ihr Handy aufs Bett. »Wieso hat Mum mir nichts gesagt?« Sie starrte finster vor sich hin, die Unterlippe trotzig vorgeschoben.
Mir fiel nichts ein, wie ich sie trösten konnte. Ich setzte mich neben sie und wollte den Arm um sie legen, aber sie stieß mich weg. Ich nahm es ihr nicht übel.
»Deine Mum hätte es dir sicher noch gesagt«, meinte ich. »Bei deinem nächsten Besuch. Wahrscheinlich wollte sie es dir nicht am Telefon oder per Mail mitteilen.«
Viola brummte nur unwirsch. »Und warum schreibt diese dämliche Zeitung, ich wäre entzückt, einen Bruder zu bekommen? Woher wollen die das wissen? Mich hat niemand gefragt! Niemand weiß, ob ich mich freue oder nicht!«
»Und?«, hakte ich nach. »Du freust dich natürlich, oder?«
Viola schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung! Ich bin … einfach völlig überrascht. Und auch ein bisschen schockiert. Früher habe ich meine Eltern dauernd wegen eines Geschwisterchens angebettelt. Ich hätte so gerne eine kleine Schwester oder einen kleinen Bruder gehabt. Aber jetzt?« Sie blickte mir direkt ins Gesicht. »Mum ist 47! Andere Frauen sind da schon längst Oma!«
»Jetzt übertreibst du aber«, erwiderte ich. »Also – ich wäre an deiner Stelle ganz aus dem Häuschen!« Ich versuchte, mir vorzustellen, wie es wäre, wenn meine Eltern noch ein Baby bekommen würden. Es gelang mir nicht. Ich war mein Leben lang ein Einzelkind gewesen, und jetzt gingen meine Eltern auch schon auf die fünfzig zu, sodass mit weiterem Nachwuchs nicht mehr zu rechnen war. In unserer Wohnung in München war auch gar kein Platz für ein zweites Kinderzimmer – außer Mama würde ihr Arbeitszimmer opfern. Sie arbeitete freiberuflich als Übersetzerin, während mein Vater in einem großen Automobilkonzern angestellt war und half, Elektroautos zu entwickeln. Beide waren immer sehr beschäftig, deswegen besuchte ich auch ein Internat in Schottland: Kelpie Castle. Die Schule sah aus wie ein altes Schloss und lag auf einer kleinen Insel an der Westküste. Seit diesem Term teilte ich mein Zimmer mit Viola Smith, die sich als Prinzessin Victoria entpuppt hatte. Niemand sollte wissen, dass sie inkognito auf dieses Internat ging. Nur unsere Schulleiterin Mrs Colleen Harper und deren Assistentin Miss Anastasia waren eingeweiht. Und ich.
In den ersten Tagen hatte ich schrecklich unter meiner neuen Mitbewohnerin gelitten. Sie hatte mich sehr arrogant behandelt. Doch dann hatte ich herausgefunden, wer sie wirklich war. Inzwischen waren wir Freundinnen. Denn Viola hatte mir anvertraut, dass der Alltag als Prinzessin alles andere als super war. Ständig war die Presse hinter den Royals her, sie konnten kaum einen Schritt machen, ohne von Fotoapparaten und Mikrofonen belästigt zu werden. Was genauso schlimm war – oder vielleicht noch schlimmer –, war ein Fluch, der vor fünfzig Jahren über das Königshaus ausgesprochen worden war.
Ich hatte erst nicht daran geglaubt, aber dann hatte mich der Fluch selbst getroffen, weil ich mit Viola befreundet war. Ich hatte seine Macht kennengelernt. Zum Glück hatten wir inzwischen das Schlimmste abwenden können – zumindest, was mich betraf. Viola musste weiterhin mit ihrem Schicksal leben, aber wir hofften, eine Lösung zu finden, wie wir den Fluch, der auf der Königsfamilie lastete, brechen konnten.
Auf alle Fälle war mein Leben in den letzten Wochen unerwartet aufregend geworden. Viola und ich hatten Kontakt zu einem modernen Hexenzirkel bekommen. Ich hätte mir nie träumen lassen, Menschen zu begegnen, die echte Magie betrieben. Magie hatte ich immer für etwas gehalten, das nur in Büchern oder Filmen vorkam. Oder in Spielen. Doch inzwischen hatte ich erfahren müssen, dass auf dieser kleinen schottischen Insel Magie tatsächlich existierte. Es war faszinierend, gleichzeitig beängstigend …
Eine Falte hatte sich zwischen Violas Augenbrauen eingegraben. Mit ihren perfekten Zähnen nagte sie an ihrer Unterlippe. Ich kannte den Ausdruck. Wenn Viola so ein Gesicht machte, dann grübelte sie angestrengt über etwas nach.
»Lass mich raten«, sagte ich. »Du überlegst, ob dein winziger Bruder in Gefahr ist.«
Sie schüttelte den Kopf und seufzte. »Ich habe gerade an die Fuchsjagd gedacht, die in ein paar Wochen stattfindet. Mum ist immer so gerne mitgeritten. Das wird dieses Jahr wohl nichts. Ich weiß genau, wie schwer es ihr fallen wird, nur zuschauen zu können.«
Ich zuckte mit den Schultern. Das konnte ich schlecht nachvollziehen. Ein Baby war doch wohl wichtiger als eine Jagd hoch zu Ross!
»Mir tut der arme Fuchs leid, der gejagt wird«, murmelte ich.
Viola sah mich an, als käme ich geradewegs vom Mars. »Du hast echt keine Ahnung, oder?«
»Weder von Pferden noch von Fuchsjagden«, gab ich zu.
»Bei einer traditionellen Fuchsjagd wird seit Ewigkeiten kein echter Fuchs mehr gejagt«, klärte mich Viola auf. »Das ist schon lange verboten. Stattdessen bekommt ein Reiter oder eine Reiterin einen Fuchsschwanz angeheftet – aus Kunstfell, wenn es dich beruhigt. Der ist mit einer Flüssigkeit getränkt, die die Hundemeute wittern soll. Bei der Jagd geht es um Spaß und ums reiterliche Können, und wer den Fuchs als Erstes erwischt, ist letztlich nicht so wichtig.« Viola sah wohl an meiner Miene, dass sich meine Begeisterung für eine solche Jagd in Grenzen hielt.
»Eigentlich wollte ich dich fragen, ob du diesmal mitkommst, Liara. Schließlich bist du meine beste Freundin.«
Ich verschluckte mich vor Schreck. »Wie – ich soll reiten?«
Viola nickte. »Nicht nur das. Ich will, dass du meine Familie kennenlernst.«
Mein Kopf begann zu schwirren. Ich sollte der Königsfamilie begegnen? Vielleicht sogar Queen Agatha persönlich? Wow! Das war toll – und zugleich überfiel mich die nackte Panik.
»Ich kann doch gar nicht reiten«, presste ich hervor. »Jedenfalls nicht gut.« Vor zwei Jahren hatte ich an einem einwöchigen Kurs auf einem Ponyhof teilgenommen. Ich wusste, wie man eine Box ausmistete, ein Pferd putzte und auch sattelte. Ich konnte mich auch einigermaßen auf dem Pferderücken halten. Aber so ein braves Pony, das an ungeübte Reiterinnen gewöhnt war, konnte man nicht mit den edlen Pferden vergleichen, auf die Viola kletterte. In meiner Fantasie sah ich mich schon vor den Augen der versammelten Royals wie ein Sandsack in den Schlamm plumpsen. Ich konnte das Gelächter bereits hören …
»Sei kein Feigling, Li! Du würdest mir wirklich einen großen Gefallen tun. Ohne dich langweile ich mich schrecklich! Du bist der einzige Lichtblick in meinem Leben!«
Nahm Viola mich auf den Arm? Doch ihre leuchtend blauen Augen ruhten voller Ernsthaftigkeit auf mir. Sie meinte wirklich, was sie sagte. Mir wurde heiß vor Stolz. Was für ein Lob! Gleichzeitig wurde mir bewusst, wie schwer es für Viola sein musste, als Prinzessin aufzuwachsen. Ein Leben im goldenen Käfig, an jeder Ecke belauert von den Paparazzi. Und wenn Viola ihnen keine Sensation lieferte, dann scheute die Boulevardpresse auch nicht davor zurück, dreiste Lügen über sie zu verbreiten.
Jetzt ließ Viola es doch zu, dass ich ihr meinen Arm um die Schultern legte. Sie sah mich an und lachte. Mein Herz machte einen Hüpfer. Warum sollte ich ihre Einladung nicht annehmen? Meine Neugier, die Königsfamilie kennenzulernen, war riesig. Ich wollte mit eigenen Augen sehen, wie Viola lebte, wenn sie nicht hier in Kelpie Castle war.
»Okay«, sagte ich. »Überredet! Natürlich muss ich noch meine Eltern fragen, aber die haben bestimmt nichts dagegen, wenn ich für ein paar Tage eine Freundin besuche.«
»Aber du sagst ihnen auf keinen Fall, wer ich in Wirklichkeit bin!«
»Natürlich nicht!«
Meine Oma Elfriede wäre entzückt, wüsste sie von meinen Plänen. Sie inhalierte alle Informationen über die Königshäuser und kannte sich genau aus, wer mit wem verwandt war. Sie würde ausflippen, würde ich ihr erzählen, dass ich vor Queen Agatha einen Hofknicks gemacht hatte … Aber meine Lippen würden versiegelt bleiben, das hatte ich Viola versprochen.
Violas Smartphone piepste. Sie machte sich von mir frei und angelte nach dem Handy, das sie vorhin quer übers Bett geschleudert hatte.
»Liam«, teilte sie mir mit. »Er hat gerade geschrieben, dass er den Bericht an meine Eltern abgeschickt hat.«
Liam war Violas Leibwächter, der ebenfalls unsere Schule besuchte. Er war zwei Stufen über uns und galt offiziell als Violas Cousin. Viola hatte erzählt, dass er mehrere Kampfsportarten beherrschte. Manchmal war sie genervt von ihm, weil er sich als ihr Aufpasser aufspielte und ab und zu auch versuchte, Macht über sie auszuüben, damit sie nach seiner Pfeife tanzte. Aber Viola wusste, sich zu wehren. Und wir hatten unsere Tricks, damit Liam nicht alles erfuhr, was Viola und ich zusammen unternahmen – ohne dass uns ständig ein Bewacher an den Fersen klebte.
Wir zuckten zusammen, als ohne Vorwarnung die Zimmertür aufgerissen wurde und Miss Anastasia ihren Kopf hereinsteckte.
»In einer halben Stunde geht das Licht aus«, zischte sie in gewohnter Strenge. »Ihr könnt schon mal anfangen, euch bettfertig zu machen! Zähneputzen nicht vergessen!«
Und schon war die Tür wieder zu, aber ich hatte genau gesehen, dass uns Miss Anastasia zuvor zugezwinkert hatte. Seit der Nacht vor ein paar Tagen teilten wir ein Geheimnis. Miss Anastasia führte ein Doppelleben. Sie war nicht nur die Aufpasserin hier im Mädchenflügel und die Assistentin der Schulleitung, sondern auch die Großmeisterin eines geheimen Hexenzirkels. In dieser Rolle nannte sie sich Aurelia. Viola und ich hatten gelernt, dass sich hinter ihrer rauen Schale nicht nur ein weiches Herz, sondern auch jede Menge magische Kenntnisse verbargen.
»Na gut, dann wollen wir mal, bevor wir Ärger bekommen.« Viola seufzte, erhob sich und steuerte auf das Ungetüm von einem Schrank zu, um sich einen frischen Schafanzug herauszuholen. Dabei stolperte sie, und ein empörtes Maunzen ertönte.
»Wie kommt dieses Viech denn hier herein!«, schimpfte sie.
Unser Schulkater Sam hatte die Chance genutzt und war zwischen Miss Anastasias Beinen hindurchgeschlüpft, um sich für die Nacht einen warmen Schlafplatz in einem Mädchenbett zu sichern. Offiziell war es ihm nicht erlaubt, aber es gab kaum eine Schülerin, die es schaffte, ihn erbarmungslos vor die Tür zu setzen. Selbst Viola, die anfangs behauptet hatte, allergisch gegen Katzenhaare zu sein, hatte sich inzwischen mit Sam angefreundet. Genau wie ich hatte sie um sein Leben gebangt, nachdem man in der Schulküche nicht aufgepasst und sich der verfressene Sam an einem Stück Zwiebel vergiftet hatte. Zwiebeln sind absolut nichts für Katzen, auch nicht für einen solch stattlichen rostroten Kater wie Sam, der sich als Herr von Kelpie Castle fühlte.
Ich bückte mich und hob Sam hoch. Er fing sofort an, in meinen Armen zu schnurren. Der Blick aus seinen neongrünen Augen war unwiderstehlich. Er wusste genau, wie man jemanden um den Finger wickelte.
»Er ist ein Weltmeister im Flirten«, stellte Viola fest. »Wetten, dass alle Katzenladys der Umgebung schwach werden?«
»Flirten kann er schon, aber leider kein Papa werden«, sagte ich. »Dafür hat unser Tierarzt gesorgt – auf Anweisung der Schulleitung.«
Viola grinste. »Oh! Eigentlich schade, dass es keine kleinen Sams gibt.«
Ich wusste doch, dass sie in Wahrheit ein Herz für Katzen hatte! Sam wusste es offenbar auch, denn er strampelte auf meinen Armen, bis ich ihn losließ. Mit einem Satz sprang er dann in Violas Bett und kuschelte sich neben dem Kopfkissen zu einer roten Rolle zusammen.
»Lord Byron ist übrigens auch gelegt«, murmelte Viola.
Wovon redete sie? Wie, zur Hölle, kam sie auf einmal auf den Dichter Lord Byron?
»Mein Pferd«, klärte mich Viola auf. »Es heißt Lord Byron«
Ich erinnerte mich dunkel, dass sie das schon einmal erwähnt hatte.
»Der Tierarzt hat mit ihm das Gleiche gemacht wie mit Sam«, redete sie weiter. »Es gibt nur wenige Hengste im Reitsport. Wallache sind nicht so temperamentvoll, und man kann sie ohne Probleme mit Stuten auf die Weide stellen. Ein Hengst dagegen wittert in einem anderen Hengst gleich einen Konkurrenten, und oft fangen sie an zu kämpfen. Da kann es zu bösen Verletzungen kommen.«
»Aha«, machte ich.
»Du wirst Lord Byron ja bald kennenlernen«, meinte Viola. »Er ist mein Lieblingspferd. Ich reite ihn, seit ich zu groß für ein Pony bin. Er ist ein englisches Vollblut.«
Lieblingspferd? »Wie viele Pferde hast du denn?«, wollte ich wissen.
»Drei«, sagte Viola. »Mein Pony Gwendolyn, genannt Gwenny, die Schimmelstute Brianna, die eine richtige Diva ist, und dann eben meinen Lord.«
Meinen Lord. Wie sie das sagte! Na gut, sie war eben auch eine Prinzessin.
Viola hatte sich inzwischen für einen pinkfarbenen Schlafanzug entschieden. Das Oberteil war mit Rosen bedruckt, und um die Blüten tanzten aufgestickte Schmetterlinge aus glänzenden Goldfäden. Ein Traum von einem Pyjama, aber Viola verzog nur das Gesicht. »Wenn es nach meiner Mum ginge, würde ich lauter solche Sachen tragen«, murrte sie. »Zum Glück ist das hier nur ein Schlafanzug, und du bist die Einzige, die mich darin sieht.«
»Ich finde ihn schön«, sagte ich.
Sie grinste. »Na ja, du bist ja auch in Tom verknallt. Damit will ich nicht sagen, dass du an Geschmacksverirrung leidest, aber …« Weiter kam sie nicht, denn ich war schon auf sie losgegangen, um sie so lange durchzukitzeln, bis sie ihre freche Bemerkung zurücknahm. Was nach zwei Minuten der Fall war.
»Gnade!«, japste sie unter Lachen. »Tom ist … ganz in …Ordnung! Lass mich … los!«
Ich ließ die Hände sinken.
Viola musste noch ein bisschen schnaufen, bis sie wieder normal reden konnte.
»Wie ist es denn jetzt eigentlich?«, fragte sie. »Kannst du ihn küssen, ohne dass du einen Lachanfall bekommst?«
Mir schoss das Blut in die Wangen. Nur ungern erinnerte ich mich an die Auswirkungen des Fluchs, der verhindert hatte, dass Tom und ich uns nähergekommen waren. Ich hatte Tom nicht richtig küssen können, denn kaum hatten sich unsere Lippen berührt, war ich von einem Lachzwang überfallen worden. Das hatte Tom ziemlich irritiert, und zuletzt war er beleidigt gewesen, weil er gedacht hatte, ich würde mich über ihn lustig machen. Jetzt war der Fluch zum Glück gebannt – zumindest, was mich anging. Aber leider hatte ich noch nicht ausprobieren können, ob es nun mit dem Küssen klappte. Ich hatte mich zwar inzwischen ein paarmal mit Tom getroffen, und wir hatten geredet, aber eine romantische Situation hatte sich leider nicht ergeben.
»Ich habe es noch nicht wieder versucht«, gab ich wahrheitsgemäß zu.
»Oh, Li! Das solltest du aber, sonst weißt du nicht, ob der Fluch wirklich keine Macht mehr über dich hat«, sagte Viola. »Morgen wirst du Tom küssen, versprich mir das!«
Ich schüttelte den Kopf. »Das lässt sich nicht erzwingen, Viola. So ein Kuss muss sich ergeben.«
»Quatsch!«, meinte sie. »Du gehst einfach zu ihm hin, stellst dich auf die Zehenspitzen und drückst ihm ohne große Worte einen dicken Schmatz auf die Lippen. Ganz easy! Dann weißt du wenigstens Bescheid!«
»So geht das nicht«, widersprach ich. »Wenn ich ihn küsse, dann muss ich allein mit ihm sein. Ich will nicht, dass die halbe Schule Bescheid weiß, dass ich auf Tom stehe.«
Viola legte den Kopf schief und grinste. »Nur die halbe Schule? Ich glaube, du unterschätzt alle in Sachen Gossip! Manche schließen schon Wetten ab, ob ihr an Halloween zusammen auf den Schulball geht.«
»O nein!«, stöhnte ich. War das so offensichtlich? Aber als Viola über mein bestürztes Gesicht in Lachen ausbrach, merkte ich, dass sie mich nur auf den Arm genommen hatte.
Sie verdiente eine zweite Kitzelrunde!
Als wir eine halbe Stunde später in unseren Betten lagen und das Licht gelöscht war, kreisten meine Gedanken um die Fuchsjagd und den geplanten Besuch bei Viola. Ich konnte nicht verhindern, dass mein Herz schneller schlug. Wenn ich ehrlich zu mir war, wollte ich unbedingt alles mit eigenen Augen sehen, auch wenn ich niemandem davon erzählen durfte. Nicht einmal meiner Freundin Julia, mit der ich vor Viola mein Zimmer geteilt hatte. Leider befand sie sich jetzt auf der anderen Seite der Welt, nämlich in Australien. Genauer gesagt in Sydney. Wir hatten uns geschworen, regelmäßig Kontakt zu halten und unsere Freundschaft trotz der Entfernung fortzusetzen, aber leider musste ich mir eingestehen, dass wir uns längst nicht mehr so nahe waren wie früher. Und das lag nicht nur daran, dass Viola Julias Platz eingenommen hatte. Oder doch? In erster Linie waren die Geheimnisse daran schuld, die ich wahren musste. Violas Identität. Die Bedrohung durch den Fluch. Die Entdeckung, dass Magie auch in Wirklichkeit existierte. Selbst wenn ich nicht zum Stillschweigen verpflichtet gewesen wäre – man konnte über solche Themen nicht mit jedem reden. Es war etwas anderes, wenn man über neue Klamotten diskutierte oder über die Lehrkräfte der Schule ablästerte. Wenn man sagte, dass man an einen Fluch glaubte, riskierte man, für verrückt gehalten zu werden. Ebenso, wenn man behauptete, echte Hexen zu kennen. Ich konnte Julia unmöglich von unserem nächtlichen Abenteuer erzählen – und das bedeutete, dass ich ihr nicht wirklich sagen konnte, was mich beschäftigte. Die Sache mit Tom hatte ich zwar angedeutet, aber wie konnte ich ihr meinen Lachflash beim Küssen erklären? So erzählte ich ihr nur von Sams Vergiftung und dem Unterricht, und wenn sie sich nach meiner neuen Mitbewohnerin erkundigte, antwortete ich oberflächlich und wich ihren detaillierteren Fragen aus. Dabei wäre Julia bestimmt begeistert gewesen, wüsste sie, dass ich mit einer echten Prinzessin zusammenwohnte! Aber ich musste nun einmal darüber schweigen, ich hatte es versprochen.
Ich seufzte tief, was Sam zum Anlass nahm, Violas Bett zu verlassen und zu mir herüberzukommen. Meine Mitbewohnerin schlief schon tief und fest, während ich das Gefühl hatte, immer wacher zu werden. Sam kuschelte sich in meine rechte Achselbeuge, was ich als sehr angenehm empfand. Er war ein so lieber Kater, auch wenn er sein Herz leicht verschenkte und nicht sonderlich treu war. Aber in diesem Augenblick gehörte er mir, und ihm konnte ich von meinen Sorgen erzählen, ohne Angst zu haben, dass er mich verriet.
»Was meinst du, Sam? Ist so eine Fuchsjagd gefährlich? Glaubst du, dass der Fluch wieder zuschlagen wird? Ist Viola in Gefahr? Oder ihre Mum?«
Sam störte sich nicht an meinem Geflüster. Er hörte mir geduldig zu – oder schlief er schon? Ab und zu zuckte eines seiner Ohren. Mit der linken Hand kraulte ich sein Fell, in der Hoffnung, dass er zu schnurren anfing und mir dadurch zu verstehen gab, dass meine Ängste grundlos waren.
»Zum Glück ist Violas Mum so vernünftig, dass sie in ihrem Zustand nicht aufs Pferd steigt.« Ich überlegte und rechnete in Gedanken. Prinzessin Sybilla hatte noch etwas mehr als vier Monate Schwangerschaft vor sich, wenn das Baby im Januar zur Welt kommen sollte. Ob sie schon einen großen Bauch hatte? War Reiten in der Schwangerschaft grundsätzlich verboten? Ich wusste so wenig über solche Dinge! Wieder einmal bedauerte ich es, dass ich ein Einzelkind war und nie erlebt hatte, wie es war, einen kleinen Bruder oder eine kleine Schwester zu bekommen.
Dann dachte ich an Violas Pferde. Lord Byron, was für ein klangvoller Name für ein Pferd! Würde sie erlauben, dass ich einmal in seinen Sattel stieg, zumindest kurz? Wenn ich die Fuchsjagd mitmachen musste, dann würde man mir sicher das bravste und harmloseste Pferd zuteilen, vielleicht sogar Violas ehemaliges Reitpony Gwenny. Ich war einen Kopf größer als Viola, und wenn ihr das Pony zu klein war, dann würde es für mich erst recht zu klein sein. Ich stellte mir vor, wie meine Beine links und rechts herabhängen und fast auf dem Boden schleifen würden. Vielleicht zur Freude der Paparazzi!
Sams Gegenwart schien mich zu beruhigen, ohne dass ich es richtig bemerkte. Denn ratzfatz befand ich mich im Reich der Träume.
Vor mir stand eine riesige Schimmelstute und schaute arrogant auf mich herunter. Ich wusste, dass ich auf dieses Pferd steigen sollte, und mir schlotterten die Knie.
»Nun mach schon!«, drängte mich Traum-Viola. Meine Wangen fingen an zu brennen, als ein weiß behandschuhter Butler einen mehrstufigen Hocker herbeitrug und mir elegant die Hand reichte, damit ich aufsteigen konnte. Ich gab mir alle Mühe und kletterte in den Sattel. Kaum saß ich und angelte mit meinen Füßen nach den Steigbügeln, die viel zu lang eingestellt waren, als ringsum dröhnender Beifall ertönte. Ich hob den Kopf und erblickte sämtliche Schüler und Schülerinnen von Kelpie Castle. Die Schulleiterin Mrs Harper zeigte mit dem Daumen nach oben. Dann ertönte ein Pfiff, und die Schimmelstute setzte sich in Bewegung, ohne dass ich ihr den Befehl dazu gegeben hatte. Ihre langen Beine griffen immer weiter aus, und ich hopste hilflos im Sattel auf und ab, weil ich keinen Halt fand. Vor mir bewegte sich ein orangefarbener Schatten, und als ich die Augen zusammenkniff, erkannte ich Miss Anastasia, die rittlings auf einem gigantischen Fuchs saß.
»Beeil dich, Liara!«, rief sie mir zu. »Sonst kommst du zu spät zum Schulball!«
Mir brach der Schweiß aus. Die Stute machte einen großen Satz, und ich rutschte aus dem Sattel und klammerte mich mühsam an ihrer Mähne fest, um nicht zu fallen und unter ihre Hufe zu geraten. Der Fluch!, hämmerte es in meinem Kopf, als ein Mönch in dunkler Kutte und mit Kapuze plötzlich über mir schwebte und mit einer Art Schürhaken auf meine Finger zielte. Mit einem Angstschrei ließ ich die Mähne los, flog ein Stück durch die Luft – und landete in den ausgestreckten Armen von Tom, der bereits einen festlichen Anzug trug.
»Danke, du hast mich gerettet!«, hauchte ich, aber als er mir sein Gesicht zuwandte, war es nicht Tom, sondern Liam.
»Du bist mir noch einen Kuss schuldig«, knurrte er, und als sich seine Lippen meinem Mund näherten, wurde ich zum Glück wach.
O Hölle!
Ich war am ganzen Körper nass geschwitzt. Mein Herz raste. Vorsichtig schob ich Sam beiseite, setzte mich auf und ging dann mit wackeligen Beinen ins Badezimmer, um mich zu beruhigen und einen Schluck Wasser zu trinken. Was für ein wirrer Traum! Aber kein Wunder bei all meinen chaotischen Gedanken! Liam passte jedoch überhaupt nicht ins Bild. Warum war er in meinem Traum aufgetaucht? Und warum, verflixt noch eins, forderte er einen Kuss von mir?
