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#5 [prizən:tāpər]Prison: T.a.p.e.r.: Ein ganz gewöhnlicher Tag für die alleinstehende Kriminalkommissarin Zora Beckers: Mehrere nicht identifizierbare Leichen auf einem Schrottplatz, brutale Banküberfälle in der gesamten Stadt, die schon seit Wochen die Bevölkerung in Atem halten und es gibt keinerlei brauchbare Anhaltspunkte. Sie nimmt zu ihrer Ablenkung den 17-jährigen Anhalter Tim in ihrem Auto mit und sieht bald in ihm den perfekten Begleiter für eine Betriebsfeier, die gegen Abend stattfinden soll. Doch es kommt ganz anders als geplant. Zora und Tim werden in einen Banküberfall verwickelt und anschließend von den Bankräubern verfolgt. Diese kennen keine Gnade und ihnen ist jedes noch so brutale Mittel recht, um an ihr Ziel zu kommen: Tim! Im Hintergrund nimmt Zoras Kollege Benno die Ermittlungen auf, um den beiden zu helfen, doch die Ermittlungen erreichen eine neue Dimension entgegen der Vorstellungskraft und den Erwartungen aller Beteiligten. Sie lernen die neue ultimative Art des Terrors kennen. Dies ist das 5. Buch von Pascal Ringstahl: Nach dem reinen E-Book MeinHard, dem Horror-Thriller Scrunch über die Twin Dogs, dem pädagogisch wertvollen Jugendroman Calyx und der einmaligen Liebesgeschichte Severity über sinnlose, zeitraubende Schwärmerei begibt er sich nun mit Prison: T.a.p.e.r. in die Welt der Kriminalität. Treffen Sie auf alte Bekannte in diesem spannenden Werk und erleben Sie, wie sich eine neue Art der Ausweglosigkeit entwickelt, gespickt mit Humor und zahlreichen Anspielungen aus der Film - und Bücherwelt.
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Seitenzahl: 408
Veröffentlichungsjahr: 2021
Pascal Ringstahl
Prison: T.a.p.e.r.
© 2021 Pascal Ringstahl
Verlag und Druck:
tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg
ISBN
Paperback:
978-3-7469-1712-2
Hardcover:
978-3-7469-1713-9
e-Book:
978-3-7469-1714-6
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
2021 zu Köln Pascal Ringstahl
Für Jürgen Thaler
Ich hoffe mit dieser Geschichte Deinen Geschmack zu treffen! Wenn Du es noch lesen könntest, würdest Du bestimmt Deinen Spaß haben und jede noch so kleine Anspielung auf die Filmwelt verstehen. Ich trauere um die schöne Zeit, die wir alle zusammen verbracht haben und die nie wiederkommen wird. Am Schluss erkennen wir wohl alle: alles was bleibt, ist ein gutes Gefühl, eine schöne Erinnerung, sonst nichts. Keine Wiederkehr, kein Return oder Revenge. Wie hätte Mindy Macready es nicht besser formulieren können: "Die Show ist vorbei, ihr Motherfucker!"
R.I.P. 1969 – 2019
Prison: T.A.P.E.R.
1
»Tim! Aufstehen«, hauchte jemand freundlich und aufmunternd in sein Ohr. Tim zuckte leicht zusammen, reckte sich protestierend mit lauten Streckgeräuschen und konnte es einfach nicht fassen, dass das schöne sonnige Wochenende schon wieder vorüber war. Er öffnete leicht seine Augen zu einem schmalen Schlitz und sah seine Mutter lächelnd neben seinem Bett stehen. Er wollte nicht aufstehen, sondern lieber weiter in seinen schönen Träumen verweilen. Doch seine Mutter ging von seinem Bett nicht weg und schaute sich kurz in seinem Zimmer um. Sie schaute in der Zeit, wo Tim langsam aufwachte, rüber zu seinem Schreibtisch, der mit Schulbüchern und Zeitschriften unordentlich übersäht war. Sie atmete tief durch. Tim hatte nicht den Sinn für Ordnung und sie überlegte kurz, was sie bei seiner Erziehung wohl falsch gemacht hatte. Sie ging kurz zu den bodentiefen Fenstern und zog die weißen Schlaufenvorhänge beiseite, damit das Sonnenlicht des Morgens in das Zimmer und auf sein Bett schien, damit er endlich wach wurde. Sie stellte sich wieder neben sein Bett und schaute sich weiter um. Seine getragene Kleidung lag überall im Zimmer verstreut herum, die Kleiderschranktür stand offen und dort drin sah es genauso unordentlich aus wie in seinem gesamten Zimmer. Games für seine Spielkonsole, Blu-ray Discs ohne Schutzhülle, zerfledderte Booklets, CDs, DVDs und Zeitschriften lagen überall herum. Sie schaute von einem Star Wars Episode 5 Poster, was leicht schräg mit Klebestreifen befestigt an der Wand hing, weiter zu einem Terminator Judgment Day Poster, was die muskulöse und mit einer Pumpgun bewaffnete Sarah Connor zeigte. Wieso er diese Filmfigur mochte, konnte sie nicht verstehen. Dann rüttelte sie kurz an seinem Oberarm, denn er hatte seine Augen geschlossen und begann schwer zu atmen. Ein eindeutiges Zeichen dafür, dass er wieder in den Tiefschlaf fiel. Sie rüttelte etwas kräftiger. Jetzt musste er ungewollt aufstehen. Sie wurde zwar nicht ungemütlich, aber sie konnte sehr penetrant werden, wenn er sich nicht etwas beeilte. Denn Tim brauchte inzwischen lange bis er sich im Badezimmer fertig für den Tag und die Schule gemacht hatte. Seinen siebzehnten Geburtstag hatte er gerade hinter sich und wie es meistens für einen heranwachsenden jungen Mann in dem Alter üblich war, kam er nicht sehr schnell aus dem Badezimmer heraus und neben ihm wollten noch sein Stiefbruder und sein Stiefvater in das einzige Badezimmer. Tim schob die dunkelblaue Bettdecke beiseite und schaute genervt auf den Wecker neben seinem Bett der 6: 00 Uhr anzeigte. Er richtete seine fast 1,90 Meter Körperlange aus dem Jugendbett, was er seitdem er 13 Jahre alt war, besaß. Er schlief immer noch in seinem alten Schlafanzug. Zwar hatte der keine quietschgelbe Farbe oder Simpsons Figuren aufgedruckt, aber er sah doch sehr gewöhnungsbedürftig aus. Er war in einem lindgrün und die Hose war inzwischen durch einen Wachstumsschub etwas kurz geraten. Sie ging noch gerade so über seine Knie. Seine Mutter hatte ihn damals ausgesucht. Die hatte inzwischen das Zimmer verlassen, als er sich im Bett aufgesetzt hatte und war noch einmal schnell in das Badezimmer geeilt, bevor Tim es für eine lange Zeit blockieren würde. Denn für seine Frisur brauchte er lange, um sie mit sehr viel Haarspray und Gel in die für ihn richtige Form zu bringen. Außerdem musste er gründlich und lange duschen, denn er empfand im Moment seinen Körpergeruch als sehr unangenehm. Seinen Stimmbruch hatte er schon hinter sich und seine Stimme klang in manchen Momenten etwas zu dunkel und manchmal etwas quietschend. Tims große Figur wirkte ein bisschen schlaksig und noch nicht richtig ausgebildet. Er war sehr schlank, jedoch an den Hüften etwas breiter und an den Schultern dafür wieder etwas schmaler. Tim marschierte mit seinen riesigen Füßen barfuß über den dunklen Marmorboden in das Badezimmer. Er schaute an sich herunter und beschloss am Abend ein Fußbad zu nehmen. Er wusste nicht warum, aber in letzter Zeit schaute er vermehrt auf Füße und fand, dass die meisten Menschen sie nicht genug pflegten. Darum hatte er schon vor einiger Zeit begonnen mindestens ein- bis zweimal die Woche ein Fußbad zu nehmen, um seinen Füßen etwas Gutes zu tun. Denn, wenn er an der Spielkonsole zockte, hatte er genug Zeit seine Füße in eine kleine Wanne zu stellen und einweichen zu lassen. Seine Mutter, Petra, die auch nicht gerade klein war mit 1,85 Metern, kam aus dem Badezimmer wieder heraus und gab ihm schnell einen Kuss auf die Stirn. »Beeil dich bitte, sonst verpasst du noch deinen Schulbus«, sagte sie freundlich, aber bestimmend zu ihm. Tim nahm sie in den Arm und drückte sie ganz fest an sich. Ja, er war ein leichtes Mutter-Söhnchen. Nebenan in der Küche hörte er schon die Teller klappern. Das war sein Stiefvater. Seine Mutter hatte sich von ihrem ersten Mann, seinem leiblichen Vater, scheiden lassen, nachdem der sein Alkoholproblem nicht in den Griff bekam und immer öfters ausfallend wurde. Das war jetzt fast 8 Jahre her. Tim hatte in der Trennungsphase seinen Vater noch regelmäßig gesehen, doch irgendwann wollte Tim nicht mehr zu seinem Vater. Er machte ihm immer Vorwürfe, dass er nicht genug für die Schule tun würde, warum er noch keine Freundin hatte und lästerte natürlich jedes Mal über Tims Mutter, seine missratene Exfrau. Nach der Scheidung lernte Tims Mutter nach nicht langer Zeit ihren jetzigen Mann Matthias mit dessen Sohn Kay kennen. Matthias war ein Versicherungsvertreter und machte seine Arbeit sehr gut. Dadurch waren sie kurzfristig in eine luxuriöse Dachgeschosswohnung gezogen. Auf fast 140 Quadratmeter im 5. Stock gab es direkt nach der massiven und doppelt gesicherten Haustüre das große Wohnzimmer. Davon gingen jeweils die Türen zur Küche, zum Elternschlafzimmer, einem Büro, Kays Zimmer, einem großen Badezimmer, Tims Zimmer und einer Gästetoilette ab. Die komplette Wohnung war in dunklem Marmor gefliest und wirkte sehr edel. Überall gab es bodentiefe Fenster und die Räume waren lichtdurchflutet. Besonders durch die moderne, helle Einrichtung war es sehr gemütlich und wohnlich. Jedoch gab es einen kleinen Nachteil: Die Wohnung hatte keinen Balkon und keine Terrasse. Es gab nur die Möglichkeit auf die Plattform einer Feuerleiter zu klettern, die direkt vor den vier großen Wohnzimmerfenstern lag. Obwohl das Haus ein betretbares Flachdach hatte, gab es für die Bewohner keine Möglichkeit dort hinaufzukommen, da der Eingang durch das Fahrstuhlhaus führte. Aus Sicherheitsgründen durfte das niemand nutzen. Petras neuer Mann war ein wenig kleiner als sie und stämmig, mit einem kleinen Bauch, den er so gut es ging unter seinen edlen Hemden zu verstecken versuchte. Tim beeilte sich im Bad, obwohl er keine Lust auf Schule hatte. Seine Mutter hatte ihn auf einem Gymnasium angemeldet, obwohl er lieber nach der Mittelstufe abgegangen wäre, um zu arbeiten. Sie bestand darauf, da sie glaubte, ihr einziger Sohn hätte das Potenzial für etwas Großes und würde es verschenken. Nach einer gefühlten Ewigkeit im Bad und beim Ankleiden in seinem Zimmer kam er in die weiß lackierte Küche, hatte seine dunkelblonden Haare schön mit einer leichten Welle zur Seite gekämmt und mit viel Haarspray zum Halten gebracht. Seit Wochen zog er immer die gleiche graue Drop-Crotch Stoffhose an, darauf einen blauen Kapuzenpulli und seine geliebten weißen Nike Turnschuhe, die schon mehr schwarz waren, als weiß, wenn seine Mutter ihm die Schuhe nicht zwischendurch putzte. Die schaute ihn nur an, sagte nichts, als er sich wortlos an den Küchentisch setzte. Er schlug seinem tief in Gedanken versunkenden Stiefbruder Kay auf die Schulter. Der schaute zuerst erschrocken und wütend auf, dann lächelte er ihn an. Tim verstand sich mit seinem Stiefbruder sehr gut. Kay war der einzige Sohn von Matthias, Tims Stiefvater. Er war ein schweigsamer junger Mann, Mitte 20. Er wohnte noch zu Hause, bzw. er war wieder zu Hause eingezogen, nachdem er die gemeinsame Wohnung mit seiner Freundin aufgegeben hatte. Kay hatte seine Freundin betrogen und darauf hatte sie sofort einen Schlussstrich gezogen. Kay war kein Kostverächter und schaute jeder Frau hinterher, egal ob sie hübsch war oder nicht. Es war wohl ein leichtes Minderwertigkeitsgefühl, was er von seiner Kindheit aus hatte. Er sprach nie viel und darum wurde er meistens von anderen Menschen gemieden und suchten nicht seine Freundschaft. Vielleicht lag es auch an seinem starren Blick mit seinen blauen Augen, die seelenlos wirkten, als würde er Löcher in die Luft starren oder wäre gar nicht anwesend. Als seine Kurzsichtigkeit erkannt wurde, korrigierte er diese zuerst mit Kontaktlinsen. Jedoch hörte er auf die falschen Arbeitskollegen, die ihm sagten, er solle es mal mit einer Brille versuchen. Das tat er und glaubte den anderen, dass er damit intelligenter wirkte. In Wirklichkeit sah er damit aus wie ein Depp. Er versuchte sich immer modisch zu stylen, doch das bekam er einfach nicht hin. Entweder folgte er keinem Modetrend und wurde nur müde belächelt oder er jagte dem Modetrend hinterher. Irgendwann kam er auf die Idee, seine blonden Haare an den Seiten auf 1 Millimeter zu kürzen. Die Kopfform hatte er dafür, aber das Deckhaar ließ er lang und tönte es dunkel, um es mit Gel nach hinten zu kämmen. Er wirkte damit wie ein Proll, obwohl er keiner war. Sein Körper bereitete ihm auch Probleme, denn er war ein Pykniker, ein Specki. Er konnte noch so viel trainieren, aber die speckige Figur bekam er nicht in den Griff. Er aß zu gerne Grillfleisch, süße Sachen, überhaupt alles, was sich auf der Hüfte in Form von Speckrollen ansetzte. Irgendwann gewöhnte er sich einen komischen Gang an. "Entenarsch" nannte ihn Tim des Öfteren, da er seinen Po immer nach hinten rausdrückte, um sein Hohlkreuz zu kaschieren und seinen leichten Bauch zu verstecken. Dabei ging er immer sehr langsam und schwerfällig. Meist spielte er mit seinem Schlüsselbund herum, was mit einer Kette am Hosenbund befestigt war. Tim hatte ihn noch nie laufen sehen. Kay hatte die Ruhe weg. Oder doch nicht? In Wirklichkeit spielte er nur die innere Ruhe, denn Kay hatte Angst. Angst nicht akzeptiert zu werden, Fehler zu begehen. In der Schule hatte es begonnen und er hatte nie viele Freunde gehabt. Vielleicht lag es schon da an seinem Lachen, was einfach nicht echt auf seine Mitmenschen wirkte. Als er in den Stimmbruch kam, war es ganz aus. Seine Stimme passte nicht zu seinem Aussehen. Sie war kratzig, manchmal ein bisschen Böse und viel zu melodisch. Als er den höheren Schulabschluss geschafft hatte, studierte er nicht, sondern suchte sich eine Ausbildungsstelle. Er kam in eine völlig neue Welt und glaubte, dass die neu geschlossenen Freundschaften, von Dauer wären. Aber in Wirklichkeit waren sie nur von Dauer, solange er nach ihrer Pfeife tanzte. Er wurde gefördert und hatte schließlich eine nicht verdiente, leitende Position, denn er war wirklich sehr faul. Das wusste er selbst. Doch er konnte die Position nicht halten, denn dies stieg ihm direkt zu Kopf und als die angeblichen Freunde ihn fallen ließen, verlor er seine Arbeit und war wieder an dem Punkt, wo er begonnen hatte: am Anfang. Er hatte seine Familie, ja, aber ihm fehlte seine Mutter. Nach der Scheidung seiner Eltern hatte er sie noch einige Male kurz gesehen, man konnte es an einer Hand abzählen. Dann zog sie mit ihrem neuen Lebenspartner fort und der Kontakt brach komplett ab. Seine neue Stiefmutter mochte er, aber auch nicht mehr. Sie war für ihn da, mehr auch nicht. Sein Vater war sein Vater, aber viel zu sehr mit seiner Arbeit und mit seiner neuen schlanken Frau, seiner Stiefmutter, beschäftigt, als dass er da noch eine große Rolle gespielt hätte. Dann ließ er sich die Schultern und den Oberarm tätowieren, aus persönlichen Gründen wie er sagte. Jedoch war es mehr für Aufsehen in seiner Umwelt zu erregen, anstatt für sich selbst. So wirkte er wie ein Prolet, obwohl er keiner war. Nachdem er seine Arbeit verloren hatte, studierte er und ohne das Wissen seiner Eltern hatte er eine Nebentätigkeit angenommen, bei der er viel Geld verdiente und sich für das Wohl der Bevölkerung einsetzte. Aber darüber verlor er nie ein Wort. Er erzählte ihnen, dass er nebenbei an Autos und Motorrädern rumschraubte, obwohl er davon nicht wirklich eine Ahnung hatte. Aber man ließ ihn in Ruhe und es wurden keine unnötigen Fragen gestellt. Tim setzte sich an den gedeckten Küchentisch und schaute Kay an, der wieder in Gedanken versunken war. Er war heute komplett in Schwarz gekleidet, sehr elegant. Dadurch wirkte seine Haut noch heller, mit vielen kleinen Muttermalen. Er war nicht so groß wie Tim, sondern kleiner um die 1,75 groß. Auf Tim wirkte Kay manchmal sehr merkwürdig. Wenn Tim ihm etwas erzählte, schien es manchmal so, als würde er gar nicht verstehen oder zuhören, was man zu ihm sagte. Er erzählte auch nie viel von sich, oder was er machte. Irgendwie war er immer unnahbar, so sehr Tim sich auch bemühte. Natürlich hatten sie öfters mal etwas unternommen, aber richtig viel war es nicht. Auch ging er in letzter Zeit immer merkwürdiger. Die Arme ließ er von seinem Oberkörper leicht abstehen wie ein Bodybuilder. Denn Kay hatte in der letzten Zeit ordentlich Muskeln aufgebaut. Es war wohl eine Angewohnheit oder vielleicht auch eine Angeber-Pose. Aber man gewöhnte sich an alles, auch an die ewigen Verletzungen und blaue Flecken, die Kay mit nach Hause brachte. Tim vermutete, dass sie von seinem Hobby kamen, denn Kay bastelte mit Vorliebe an Autos und Motorrädern herum. Der Vater stand an der Kaffeemaschine und blätterte in der Tageszeitung, während er einen schwarzen Kaffee nach dem anderen trank. »Schatz, setz dich doch bitte«, sagte seine Frau, doch er winkte nur ab. »Mama, er sitzt doch gleich im Büro noch mehr als genug«, sagte Tim und schaute schadenfroh zu seinem Stiefvater. Doch der reagierte nicht, zu spannend war wohl der Artikel, den er in der Zeitung mit großem Interesse durchlas. »Kay, wie sieht es denn mit deinen Prüfungen aus«, fragte die Mutter. Kay wurde aus seinen Gedanken gerissen und schlang noch schnell seine Cornflakes in Milch getunkt herunter, nickte dann zustimmend. »Gut, sehr gut. Läuft praktisch von selbst.« »Brauchst du diese Woche nicht etwas Taschengeld«, fragte der Vater, ohne von der Zeitung aufzuschauen. Kay winkte ab. Er hatte anscheinend genug. Tim wunderte, dass Kay sich nicht direkt aufregte. Manchmal waren seine Launen unerträglich. Er hatte den Verdacht, dass Kay sich heimlich Steroide spritzte, die seine Launenhaftigkeit beeinflussten. Denn wenn er so zeitaufwendig studierte, wie konnte er dann so oft trainieren gehen, dass sich so schnell Muskeln aufbauten? Außerdem war seine Haut inzwischen sehr mit dicken Pickeln übersät. Im Gesicht weniger, aber über den Rücken und die Schultern verteilt. Tim hatte das einmal gesehen, als Kay nach der Dusche nur mit einem Handtuch um die Hüfte gewickelt aus dem Badezimmer kam. Um den linken Oberarm hatte er ein rundum verlaufendes Tattoo. Irgendwie erinnerte es Tim an das Barb Wire Tattoo von Pamela Anderson und hatte Kay mehr als einmal damit aufgezogen. Tim schaute in die Richtung seines Stiefvaters. »Ich könnte noch etwas gebrauchen. Ich wollte mir eine neue Hose kaufen, damit ich nicht immer die gleiche Hose anziehen muss.« Der Stiefvater winkte desinteressiert ab. Seine Mutter schaute ihn an. »Wenn du dir eine vernünftige Hose holst, ist das kein Problem. Aber die hängt ja im Schritt, als würdest du darunter eine Windel tragen. Mode hin, Mode her, dafür gebe ich dir nicht extra Geld« sagte seine Mutter und schüttelte verneinend den Kopf. »Außerdem hast du in deinem Kleiderschrank bestimmt noch genug Hosen. Oh, ich vergaß: auf dem Boden, nicht im Kleiderschrank.« Tim atmete schwer durch. Da war sie wieder, die Mode- und Aufräumpolizei, die ihm in den letzten Monaten sehr auf die Nerven ging. Dabei waren die Hosen angesagt und er wollte doch nur vor seinen Freunden damit angeben. Natürlich hoffe er auch, dass sich die Mädchen auch für seinen Modetrend interessierten und er damit auch das Interesse auf sich lenken konnte. Er hätte zu gerne eine Freundin, aber irgendwie schien es nicht zu funktionieren. Entweder war er zu schüchtern und wortkarg, wenn ihm eine gefiel, oder das Interesse beruhte nicht auf Gegenseitigkeit. Seine Mutter stand auf und ging um den Küchentisch zu ihrem Mann, nahm ihn in den Arm und schaute mit in die Zeitung, was er denn da so Interessantes las. Da sie beide ihren Kindern jetzt den Rücken zudrehten, ging Kay zu seinem Rucksack, der neben der Küchentür lag, beugte sich herunter, nahm etwas aus seiner Geldbörse, stellte sich wieder neben Tim und reichte ihm schnell einen Hunderter herüber. Tim schaute erstaunt, dann zu seinen Eltern und winkte ab. Kay akzeptierte das nicht, knüllte den Schein und steckte ihn Tim in den Kragen seines T-Shirts. Tim fragte sich immer, wo er nur so viel Geld herhatte. Er ging nebenbei nicht arbeiten, damit er sich voll auf sein Studium konzentrieren konnte. Er bekam aber, soweit er das wusste, auch nicht extra mehr Geld als er selbst. Vielleicht bekam er Geld, wenn er an fremden Autos oder Motorrädern herumschraubte? Er hob sein T-Shirt an und kramte von unten nach dem Geldschein und wollte ihm zuerst den Schein zurückgeben. Doch seine Mutter drehte sich wieder zu den beiden um und unbemerkt, wie ein Schatten verschwand Kay ganz schnell in seinem Zimmer. Tim steckte den Geldschein schnell in seine Hosentasche und schaute seine Mutter lächelnd an, die ihn misstrauisch beäugte. Kay kam wieder zurück, hatte seine leuchtend rote Kapuzenjacke von SuperDry angezogen und seinen schwarzen Lederrucksack auf der Schulter. »Ich bin jetzt weg, wir sehen uns heute Abend oder morgen früh«, sagte er noch schnell vom Türrahmen aus in die Küche. Bevor jemand etwas sagen konnte, war er auch schon durch die schwere weiße Haustüre verschwunden. »Sag mal Matthias, deinen Sohn sieht man auch nicht mehr so oft. Das ist schon seit Monaten so. Heute Abend wird er spät nach Hause kommen, wenn wir schon schlafen. Morgens sehen wir ihn die paar Minuten hier und am Wochenende schläft er nur noch oder ist nicht da. Findest du das nicht auch langsam merkwürdig« fragte Tims Mutter. Matthias schaute von seiner Zeitung auf, kratzte sich an seinem schwarzen Stoppelbart und überlegte kurz. Bevor er etwas sagen konnte, meldete sich Tim schon zu Wort. »Manchmal nach der Schule treffe ich mich noch mit ihm. Da ist alles in Ordnung. Er hat halt viel zu lernen« sagte er und wusste, dass es gelogen war. Jedoch mochte er seinen Stiefbruder sehr und würde nichts auf ihn kommen lassen. Petra, seine Mutter, schaute ihn an. »Na ja, Teenager. Vielleicht mache ich mir einfach zu viele Gedanken«, sagte sie und setzte sich wieder. Matthias legte seine Zeitung weg, schaute seiner Frau zu, wie sie sich wieder an den Küchentisch setzte, kam, beugte sich von hinten über sie und nahm sie in den Arm. Er gab ihr einen langen Kuss auf die Wange und atmete einmal schwer durch, ging dann zur Kaffeemaschine und ließ noch einen zusätzlichen Kaffee für sich durchlaufen. Petra schaute auf die Wanduhr, die über der Küchentür hing. Dann schaute sie zu Tim. »Du musst dich beeilen, sonst ist der Bus gleich weg.« Tim schaute auch auf die Uhr, stand schnell auf und ging in sein Zimmer. Er fand es jetzt im Sommer warm genug mit dem Kapuzenpulli das Haus zu verlassen. Er schnappte sich seinen Nike-Rucksack, ging noch schnell in die Küche und verabschiedete sich mit einer Umarmung und Küsschen von seinen Eltern, verließ die Wohnung, ging den Flur entlang, fuhr mit dem Aufzug nach unten, verließ eilig das Haus und als er um die Ecke war, zog er sich die Kapuze von seinem Pulli über den Kopf und verlangsamte seinen Gang in Richtung Bushaltestelle. Tim hörte im Hintergrund den Bus heranfahren und verlangsamte seinen Schritt noch ein weiteres Mal. Er lächelte, denn er wusste, heute Morgen würde er zu spät zum Unterricht erscheinen. Tim griff in seinen Rucksack, holte eine Packung Zigaretten hervor, die er immer vor seinen Eltern versteckte und zündete sich, während er gemütlich schlenderte, eine Zigarette an. Nur sein Stiefbruder wusste, dass er außerhalb des Elternhauses rauchte. Er schaute sich noch einmal kurz um, ob niemand von seinen Eltern ihm folgte, dann inhalierte er genüsslich den Qualm und ging lässig zur Bushaltestelle, wo er den Bus, seinen Schulbus, gerade wegfahren sah. Er lächelte wieder und ging an der Bushaltestelle vorbei weiter die Straße entlang in Richtung Hauptverkehrsstraße.
2
Zora schlug die Augen auf, als ihr Lichtwecker laut klingelte und sie aus ihrem Tiefschlaf riss. Sie drehte sich zur Seite und schaute auf die Uhr des Weckers. Er zeigte 6: 00 Uhr an. Zora reckte sich kurz unter ihrer Bettdecke in ihrem riesigen Doppelbett. War das Wochenende schon vorbei? Obwohl, so richtig hatte sie ja keins, sie war ja bis spät in die Nacht am Samstag arbeiten. Was sollte das? Sie hatte sich extra einen Lichtwecker gekauft, der den Sonnenaufgang simulieren und sie dadurch sanft wecken sollte. Aber doch nicht durch diesen schrecklichen Klingelton. »Und wieder Geld in den Sand gesetzt«, murmelte sie vor sich hin und schaute enttäuscht ihren Kopf schüttelnd den Lichtwecker an. Sie wohnte allein in einer 300 Quadratmeter großen Villa in der Mitte der Stadt. Sie war im April 38 Jahre alt geworden und bei der Polizei als Kriminalhauptkommissarin beschäftigt. Zora liebte ihre Arbeit und das Gefühl Gerechtigkeit auszuüben und dafür jeden Tag zu kämpfen. Sie war korrupt, sie war nicht gradlinig, sondern machte vieles, was sie nicht durfte, um einen Fall aufzuklären, aber das war ihr egal. Ihr Vater war alleinerziehend gewesen, nachdem ihre Mutter wenige Jahre nach ihrer Geburt durch Krebs gestorben war. Direkt nach Zoras Geburt hatte man bei ihrer Mutter Brustkrebs diagnostiziert. Durch eine Chemotherapie verlor sie ihre Haare und Energie. Anschließend kam die niederschmetternde Diagnose, dass der Krebs komplett ihren ganzen Körper befallen hatte. Das ließ sie kraftlos werden. Ihre Mutter lebte nach der Geburt noch sechs Jahre, nur um ihre Tochter aufwachsen zu sehen. Zora erinnerte sich noch schwach an einige Momente mit ihrer Mutter. An ihr volles Haar konnte sie sich nicht erinnern, eher nur daran, dass sie immer ein Kopftuch trug, um ihre Glatze zu verbergen. Ein Geburtstag war ihr immer in Erinnerung geblieben. Sie hatte aus Versehen Monate zuvor im Wohnzimmerschrank ein Geschenk gefunden. Darum musste sie an ihrem Geburtstag ganz überrascht sein, als sie ein Polizeiauto und eine Batterie betriebene Ampelanlage geschenkt bekam. Die Geburtstagskerze war in einem hellblauen Ton, nur an die Zahl konnte sie sich nicht erinnern. Unternommen hatten sie zu dritt nie viel. Am Tag bevor sie starb, war ihr Vater mit Zora in der Stadt unterwegs. In einer sündhaft teuren Bäckerei kaufte er Zora im Auftrag von ihrer Mutter einen kleinen auf den Hinterläufen sitzenden Marzipanlöwen, schön in einem Folienbeutel verpackt. Ihre Mutter wollte, dass sie so stark sein sollte wie der Löwe und da Zora Marzipan über alles liebte, sollte sie, wenn sie ihn irgendwann aß, Genuss dabei haben und an ihre Mutter erinnert werden. Jedoch aß Zora den Marzipan Löwen nie. Sie hatte ihn sogar heute noch in einer Schublade versteckt stehen. Ihr Vater war in der Zeit, wo ihre Mutter krank war, aufgelöst und weinte sehr oft. An dem Tag, wo ihre Mutter verstorben war, setzte er Zora auf seinen Schoß, zeigte auf eine Anzeige, die er für die Zeitung vorbereitet hatte und las sie ihr vor. Sie wusste noch, wie er herzergreifend dabei weinte, dass ihre Mama, seine geliebte Frau, eine Reise zum lieben Gott angetreten hatte. »Irgendwann werden wir sie wiedersehen«, sagte er unter Tränen zu ihr. Doch bei der Beerdigung und als sie den Sarg in der Erde verschwinden sah, wusste sie, dass sie ihre Mutter nie mehr wiedersehen würde. Sie weinte auch nicht bei der Beerdigung, sondern erst Tage danach. Da, wo sie allein war, und niemand sie sehen konnte. Ihr Vater weinte seit der Beerdigung nie mehr und konzentrierte sich nur noch auf seine Tochter und darauf, dass sie immer stark sein werde. Er hatte sie von Kind an trainiert, sie aber immer an der langen Leine gelassen. Er war kein Helikopter Vater. Er wollte nicht über ihr schweben und sie dann irgendwann allein lassen. Er wollte sie stärken und auf das vorbereiten, was das Leben noch alles zu bieten hatte, mit seinen guten und schlechten Seiten. Er brachte sie in die jetzige Position bei der Polizei und hatte ihr so viel gezeigt, dass sie ihn nie enttäuschen wollte. Vor ein paar Jahren war er an einem Herzinfarkt plötzlich verstorben und ließ sie völlig allein. Nun stand sie da, als Alleinerbin mit einer großen Villa, gebaut im Jahr 1890. An Geld fehlte es ihr nicht. Bei der Testament-Eröffnung schaute sie nicht schlecht, wo ihr Vater alles Geld angelegt hatte. Praktisch hätte sie den Polizeidienst sofort aufgeben können und eine sehr lange Zeit von dem Geld ihres Vaters leben. Doch das wollte sie nicht. An Männern ließ sie nichts anbrennen. Jedoch stand sie mehr auf Männer, die jünger waren als sie. Warum wusste sie nicht. Vielleicht wollte sie einfach keinen älteren Mann als Beziehungspartner, da sie wie ein Vaterersatz wirkten. Das brauchte sie nicht. Damals nach dem Tod ihres Vaters wollte sie nicht allein sein und als sie per Zufall mit einer Freundin bei Bully in Not war, fand sie eine französische Bulldogge in schwarz-weiß. Es war ein Weibchen und der süße Welpe kam ohne Angst und voller Stolz auf sie zugelaufen. Zora nannte sie Rita. Eigentlich hieß die Bulldogge Luna laut gefälschter Impfungspapiere, doch der Name erinnerte sie nur an eine Sängerin aus den 90er Jahren, die einen Sommerhit hatte. Rita fand sie viel passender. Außerdem konnte man den Namen wunderbar laut über die Wiese brüllen, wenn der Hund einmal weglief. Leider hatte man ihren eh schon kleinen Stummelschwanz kupiert, aber wenigstens so, dass der kümmerliche Rest schön auf ihrem Hinterteil lag und nicht abstand. Mit diesem kleinen Stummelschwänzchen wedelte sie voller Freude, als sie Zora das erste Mal sah. Sie erinnerte sich an die Heimfahrt mit diesem kleinen Welpen und wie Rita sofort das Autofahren liebte. Ihre beste Freundin saß auf dem Beifahrersitz und hielt die Kleine fest. Unterwegs mussten sie ohne Leine anhalten, da die kleine Rita quengelte und wohl Gassi gehen wollte. Auf einem großen Feld hielten sie an und was machte das kleine Drecksvieh? Anstatt einen Haufen zu legen, stolzierte sie mit ihren weiß behaarten kleinen Stummelbeinchen durch den Matsch des Feldes und versuchte langsam wegzulaufen. Die große weite Welt war wohl interessanter als die beiden Menschen, die sie gerade mitgenommen hatten. »Mensch, was war die damals noch klein und hilflos. Sie passte förmlich in zwei Hände« dachte sich Zora. Jetzt lag sie in ihrem Bastkörbchen, was in der Nähe von Zoras Bett stand und schnarchte vor sich hin. Ihre Zunge hing weit aus ihrer platten Schnauze heraus und war schon an der Luft ausgetrocknet. Sie fand es immer interessant zu beobachten, wenn Rita dann irgendwann aufwachte und versuchte, ihre getrocknete Zunge wieder zum Leben zu erwecken. Das war sehr witzig. Aber erstmal schnarchte sie weiter vor sich hin, denn es war dem Hund egal, ob sie aufstand oder nicht. Rita wurde meist viel später wach. Zora stand motiviert, als der erste Sonnenstrahl durch das Fenster auf ihr Bett und Gesicht fiel, auf und begab sich in ihr großes Badezimmer. Sie machte sich schnell fertig. Einmal die blonde lange Lockenpracht durchgekämmt und zu einem Zopf zusammengebunden, kurz unter die Dusche, ein bisschen Schminke um die Augen, fertig. Dann ging sie zurück ins Schlafzimmer, schaute zu Rita, die immer noch schlief, schlenderte zum Kleiderschrank und zog sich eine klassisch blaue Levis 501 Jeanshose, ein weißes, enges Top, schlichte schwarze NewRock Boots und darauf eine helle Jeansjacke an. Fertig war sie und ging runter in die Küche. Da ihr Schlafzimmer im ersten Stock lag, musste sie dafür zwei Holztreppen nach unten laufen. Jede Treppe hatte zehn Stufen. Auf dem Podest zur zweiten Treppe nach unten, gab es eine Sicherheitstüre neben einem riesigen bunten Bleiglasfenster. Von außen war die Sicherheitstür dezent mit Holz verkleidet, damit sie nicht sonderlich auffiel und passte sich an die hüfthohe Kirchholz-Wandvertäfelung entlang der Treppe perfekt an. Sie musste in das elektronische Zahlenfeld neben der Tür ihren siebenstelligen Sicherheitscode eingeben, dann sprang die schwere Sicherheitstür auf. Der Raum dahinter war nicht sehr groß. Groß genug, dass man sich darin aufhalten und um die eigene Achse drehen konnte. Sie hatte nur ihre Waffen dort verwahrt und ein Warnsystem für Einbrecher installiert. Es gab mehrere Überwachungskameras rund um das Haus. In dem Kämmerchen waren mehrere kleine Bildschirme installiert, worauf die Live-Bilder der Kameras angezeigt wurde. Früher, wo ihr Vater noch lebte, stand dort das schwarze Bakelit W48 Haustelefon mit Wählscheibe. War das nervend, immer die zehn Stufen der Holztreppe hochlaufen, wenn das Telefon in dem Raum klingelte und meistens hörte es genau dann auf, wenn man oben die letzte Stufe erreicht hatte. Das Haus besaß in der untersten Etage alte schwere Holzrolladen, die sich mindestens einmal im Jahr verklemmten oder der Rollladengurt riss einfach durch Materialermüdung. Das hatte aber auch etwas Gutes. Von außen konnte keiner eindringen, wenn die Rollläden geschlossen waren. Sie waren zu schwer, um sie hochzuschieben und würden sich garantiert verkeilen. Sie nahm ihre Dienstmarke, die dort auf einem Vorsprung lag und klemmte sie sich an ihren Gürtel. Ihre Dienstwaffe Heckler & Koch P30 mit Schutztasche schnallte sie sich direkt neben ihre Dienstmarke. Dann nahm sie noch das doppelte Schulterholster mit zwei modifizierten vollautomatischen Beretta 92FS Handfeuerwaffen mit je 20 Schuss pro Magazin aus dem Sicherheitsraum, warf es einseitig über ihre Schulter, verschloss die schwere Tür wieder und ging die letzte Treppe herunter und dann rechtsherum in die riesige Küche. Dort hing sie das Schulterholster erstmal über eine Stuhllehne der vier Stühle, die um den großen Küchentisch in der Mitte herumstanden. Die beiden Berettas waren nicht registriert. Niemand wusste, dass sie diese hatte. Sie gehörten mit zu den vielen Dingen, die ihr Vater besaß und sie liebte diese beiden Pistolen. Sie machte sich ein Nutella Brot mit einer Tasse Kakao. Es erinnerte sie jeden Morgen an früher, an ihre glückliche Kindheit. Auch wenn es für eine erwachsene Frau kindisch erschien, sie machte immer das, was ihr gefiel und nicht was andere gerne von ihr erwarteten. Darum hatte sie auch kaum Freunde. Von ihrem letzten Freund Alexander Ekkart hatte sie sich vor einigen Monaten getrennt. Na ja: eher hatte er sich von ihr getrennt. Alexander hatte die Chance auf eine sehr lukrative Arbeitsstelle im Ausland und so hatte er sie kurzerhand aus seinem Leben gestrichen. Sie konnte das nicht verstehen, wie schnell jemand zwei Jahre einfach so wegwerfen konnte, aber sie weinte ihm jetzt keine Träne mehr nach. Nach ihm kamen zahlreiche One-Night-Stands. Die Namen hatte sie schon alle vergessen. Dabei war niemand, der sie interessierte. Alle austauschbar. Aber für den Moment waren sie gut genug, um ihre Lust und ihre Sehnsucht nach Zweisamkeit zu befriedigen. Zora wusste, dass es kein Dauerzustand war, darum wollte sie sich erst einmal tiefer in die Arbeit stürzen. Ein bisschen mehr Geld verdienen wäre nicht schlecht. Das Haus war alt und es musste bald das Dach neu gedeckt werden und bei der Höhe konnte man es nicht ohne Gerüst machen. Besonders der Turm an der Seite, indem sich das Treppenhaus befand, musste mit einem Gerüst umbaut werden, um das Dach zu decken. Dabei könnte dann direkt die Fassade neu angestrichen werden, denn die hatte es auch langsam nötig. Das Weiß war nicht mehr so Weiß und hatte sich, da das Haus direkt an der Hauptverkehrsstraße lag, etwas verdunkelt. Durch den Nachlass von ihrem Vater hatte sie zwar genug Geld, wollte aber zur Sicherheit viel zur Seite legen, denn man wusste nie, was noch alles auf einen zukommen könnte. Die Küchentür wurde von einer kleinen Stupsnase aufgestoßen und mit einem lauten Schnauben kam Rita in die Küche getippelt. Ihre Krallen machten immer ein witziges Geräusch, wenn sie über den weißen, alten Fliesenboden der Küche dackelte. Darum wunderte es Zora, dass sie Rita nicht gehört hatte, als sie die Treppe herunterkam. Vielleicht war ihr Gehör doch schon etwas geschädigt, durch die lauten Schusswaffen. Sie blieb vor Zora stehen und schaute zu ihr hoch. Dann gähnte sie kräftig und spielte etwas mit ihrer Zunge, da diese immer noch völlig ausgetrocknet war. »Na du kleine Maus, gut geschlafen«, fragte Zora, beugte sich zu ihr herunter und streichelte ihren dicken in schwarz-weiß gemusterten Hundekopf. Ihr Fell war schön weich, da Zora sie regelmäßig abduschte. Dabei versuchte Rita immer das Wasser aus der Duschtasse wegzutrinken, warum auch immer. Überhaupt hatte Rita keine Probleme mit Wasser, was unter ihr war. Sie sprang sofort hinein und tauchte auch manchmal unter. Aber Wasser, das von oben kam, wie Regen, dass konnte sie nicht ausstehen. Rita gähne noch einmal sehr kräftig, schaute hinüber zu ihrem Wassernapf. Als Zora aufhörte sie zu streicheln, schüttelte sie sich kurz, stampfte zu ihrem Wassernapf und schlabberte etwas Wasser, um die eingeschlafene Zunge zu erfrischen. Dann schaute sie wieder zu Zora herüber, legte den Kopf etwas zur Seite und leckte sich die letzten Wassertropfen von den Lefzen. Zora lächelte. »Nein, es gibt immer noch nichts vom Tisch«, sagte sie und deutete auf den Fressnapf, der direkt neben dem Wassernapf stand. Rita schaute kurz zum Napf herüber, schüttelte sich, schnaubte kurz mit ihrer platten Nase und ging zur Küchentür, die hinaus in den Garten führte. Rita drückte sich durch die kleine Klappe, die gerade groß genug für ihren stämmigen Körper war und quetschte sich hinaus ins Freie. Zora schaute ihr hinterher und fand immer wieder ihre Lösung mit der Klappe für den Hund wahnsinnig praktisch. Sie war zu klein, als dass ein Mensch sich hätte durchquetschen können und vom Widerstand der Scharniere zu stark für eine Katze oder ein anderes Tier. Draußen hatte Rita einen herrlichen Auslauf. Das Grundstück um das große Haus war ca. 1200 Quadratmeter groß. Ein kleiner Wald war im hinteren Bereich auf dem Grundstück angelegt mit einer über drei Meter hohen Betonmauer dahinter. Das war der Versatz zu der Wohnsiedlung, die hinter dem Anwesen gebaut war. Zwei Meter hohe Zäune grenzten nach links und rechts zu den Nachbarn ab. Mitten in dem kleinen Wald stand ein aus Ziegelsteinen gebautes Gartenhaus. Vorne hin, zur sehr stark befahrenen Hauptverkehrsstraße, war eine hüfthohe Mauer mit einem Eisengeländer darüber, sodass sie nicht einfach auf die Straße laufen konnte. So war es auch nicht allzu schlimm, wenn Zora Rita einmal allein ließ. Zu fressen gab es genug und Auslauf hatte sie auch. Im Garten selbst gab es Igel, Vögel und Katzen von den Nachbarn. Rita hatte jederzeit genug Beschäftigung. Rita liebte Wasser und mitten auf dem Grundstück gab es einen bodennahen Springbrunnen, in den sie hineinspringen und sich austoben konnte. Zora trank ihren Kakao leer und ging wieder die zwei Holztreppen auf die erste Etage in das Badezimmer, um sich die Zähne zu putzen. Das Badezimmer lag direkt neben ihrem Schlafzimmer. Das alte Haus war im 18. Jahrhundert erbaut und eine Art Herrenhaus. In fast jedem Zimmer gab es einen Wasseranschluss für ein Waschbecken. Zwar wurden diese im Laufe der Jahre alle abgebaut, aber im Gästezimmer gab es immer noch eins mit einem Untertischgerät. Die erste Etage bestand aus ihrem Schlafzimmer was nach hinten zum ruhigen Garten hinauslag, direkt daran lag das große Badezimmer, was sowohl vom Flur als auch vom Schlafzimmer aus begangen werden konnte. Dann gab es noch zwei Gästezimmer. Eines davon war ihr ehemaliges Schlafzimmer als Jugendliche. Nach dem Tod ihres Vaters hatte sie die Zimmer gewechselt. An das Gästezimmer, was zur Straße hinauslag, grenzte direkt ihr Büro. Dort hatte sie viele Schränke mit Aktenordnern und sie spazierte mit ihrer elektrischen Zahnbürste im Mund durch ihr Büro zum großen Fenster, zog die Gardine etwas zur Seite und schaute auf die Hauptverkehrsstraße. Es war noch nicht sehr viel los, einige Passanten, die zur Bahn wollten, liefen auf dem Bürgersteig an ihrem Haus vorbei und mehrere Autos hielten in den Parktaschen an, um schnell in der Bäckerei gegenüber Brötchen zu kaufen. Es war alles normal, nichts Sonderbares. Zora ließ den Vorhang wieder zu fallen und ging zurück ins Bad, spuckte den Schaum aus, spülte den Mund mit einer Mundspülung durch und ging wieder die beiden Holztreppen nach unten in die Küche. Rita quetschte sich gerade nach Luft schnappend durch die Klappe und lief langsam und freudig auf sie zu. Zora lächelte sie an. »Na Dicke, bist du schon wieder zu viel gerannt? Du weißt doch, dass du keine Luft bekommst mit deiner überzüchteten platten Nase« sagte sie und beugte sich zu ihr herunter und kribbelte sie etwas hinter den Ohren. Das regte Rita an sich hinzusetzen und sich selbst mit ihren Hinterläufen an den Ohren zu kratzen. Zora lachte. Sie hatte irgendwann den Punkt bei Rita hinter den Ohren gefunden, der einen Reiz auslöste, dass sich der Hund immer und immer wieder von selbst hinter den Ohren kratzen musste, wenn man sie dort berührte. Sie machte das ein paar Mal und Rita schnaubte wütend, da sie nicht aufhören konnte sich zu kratzen und das war für die kleine stämmige französische Bulldogge sehr anstrengend. Kratzen und hecheln gleichzeitig, das ging einfach gar nicht. Dann hörte Zora endlich auf. Sie ging zu der alten Doppelspüle aus Keramik und wusch sich die Hände, schaute dabei zu Rita, die auf ihrem Allerwertesten saß und mit zur Seite gelegtem Kopf Zora fragen anschaute und weiter nach Luft hechelte. »So Süße, ich mache mich jetzt mal auf den Weg und du passt hier auf alles schön auf«, sagte sie zu Rita und trocknete ihre Hände dabei ab. Rita stand auf und wedelte mit ihrem kleinen Stummelschwänzchen. Ihre Ohren standen kerzengerade wie bei einer Fledermaus. Zora schaute sich um, ob alles in Ordnung war, griff nach ihrem Schulterholster. Dann ging sie aus der Küche, gefolgt von Rita in den mit beigen alten Marmorfliesen ausgelegten Flur. Rita hüpfte drei kleine Stufen herunter bis zur Haustür. Es war eine alte Haustüre mit zwei Schlössern, einem Sicherheitsbügel und einer Sicherheitskette von innen. In der Tür waren zwei Fenster, eins oben, eins unten, eingelassen in buntem Glas wie bei einem Kirchenfenster. Der Sicherheitsbügel wurde schon in ihren Kindertagen in die Tür eingebaut. Denn Zora hatte einmal aus Versehen einem Bettler spontan, ohne nachzuschauen, die Tür geöffnete, da sie eigentlich einen Spielkameraden hinter der Tür vermutete hatte. Zora hatte sich so erschrocken, obwohl der Bettler ihr nichts tun wollte, dass ihr Vater den Sicherheitsbügel sofort anbringen ließ. Die Sicherheitskette war eigentlich nur zur Zierde. Wenn man sich von außen mehrmals gegen die Haustür stemmte, dann würde die Sicherheitskette garantiert nachgeben. Zora schloss die Tür mit dem in der Nacht darauf steckenden Schlüssel auf und Rita stellte sich wartend hinter sie. »Nein, du kannst nicht mit, du weißt es doch«, sagte sie und Rita bellte kurz als Protest, hörte aber auf, als Zora den Türschlüssel abzog, hinausging und die Haustür hinter sich verschloss. Rita war ein ruhiger Hund. Das war nicht immer so. Deswegen war Zora froh, dass sie ein alleinstehendes Haus hatte und nach allen Seiten viel Platz zu den Nachbarn war. Dort konnte der Hund bellen, bis er heiser wurde. Es würde niemanden stören. Jedoch hatte Rita es irgendwann verstanden, dass Zora auf jeden Fall immer wieder nach Hause zurückkam und so musste sie sich keine Sorgen machen. Zora ging zu ihrem Wagen, der in der langen geplätteten Einfahrt stand und schon auf sie wartete. Ein Mazda Miata MX-5 1994 mit Klappscheinwerfern, in Diamantschwarz lackiert und vom Hersteller Flyin’ Miata getunt. Neben den 205, 45, 17 Zoll Chromfelgen, die schon Aufmerksamkeiten auf sich zogen, schlummerte unter der Haube ein legendärer V8-Motor aus einer Chevrolet Corvette. 532 PS machten diesen Miata zu einem gefährlichen Geschoss was man nur an dem tiefen und bösen Grollen heraushören konnte, wenn sie den Motor anließ und die beiden Chromauspuffrohre rechts und links unter der geballten Kraft vibrierten. Per Funkfernbedienung öffnete sie den Kofferraumdeckel. In ihrem Kofferraum klemmte unter dem Deckel eine Remington 870 Vorderschaftrepetierflinte, Kaliber 12, und jede Menge Munition für ihre Berettas. Zora hatte die Pumpgun schon sehr oft genutzt. Es war zwar nicht gern gesehen, aber manchmal war es Situationsbedingt und sie hatte keine andere Wahl. Wenn sie sich entscheiden müsste, zwischen ihrem Leben und dem eines anderen, würde sie immer ihres bevorzugen. Das hatte sie schon oft getan. Sie versuchte nie darüber nachzudenken, wenn sie im Dienst jemand erschoss, aber manchmal holte es sie in ihren Träumen ein. Sonst hatte sie immer ein Nachtsichtgerät und ein Fernglas im Kofferraum liegen. Sie legte ihr Schulterholster mit den zwei Berettas dazu, schloss den Kofferraumdeckel, öffnete die Fahrertür, wo ihr die Einstiegsblende mit einem dunkelblau beleuchteten MX-5 Logo entgegen leuchtete. Zora schwang sich auf den in schwarzem Leder gehaltenen Fahrersitz und passte mit ihrer Körpergröße von 1,78 Metern perfekt in das Auto. Sie hatte zwar am Ende der Einfahrt eine Garage, in der sie den Wagen ohne Probleme hätte, parken können, aber es war kein automatisches Tor, sondern ein doppeltes Holztor, so wie man es von einer Scheune her kannte. Das war ihr einfach zu viel Arbeit dieses ewige aussteigen, aufmachen, einsteigen, wieder schließen. Nein, so war es bequemer. Es gab zwar neben der Garage noch ein Carport, aber das hatte auch ein Gatter, was geschlossen werden musste. Damals stand ihr Mazda immer im Carport und in der Garage ein hochmotorisierter Audi AS 6 in knalligem Blau, den sie aber irgendwann verkaufte. Von dem Geld, was sie für den Audi bekam, ließ sie ihr Auto so umbauen, wie sie es immer haben wollte. Zora zog ihre verspiegelte silberne Sonnenbrille an, öffnete ihren Zopf, lockerte ihre Locken einmal mit der Hand durch, warf das Faltdach in nur zwei Sekunden zurück, startete den Motor mit Starterknopf, fuhr mit grollendem Geräusch aus der langen Einfahrt rückwärts heraus auf die Hauptstraße in Richtung Kommissariat. Es war ein warmer Sommermorgen, eine leichte Brise strich durch ihre offenen Haare, als sie mit überhöhter Geschwindigkeit die Straßen entlangfuhr. Aus dem eingeschalteten Radio hörte sie den Song von Ally Main "Remember us this way" in einer neu aufgelegten Version. Ally war der neue Mega-Star in der Musikwelt und sie erlangte Bekanntheit, nachdem ihr Ehemann sich mit einem Gürtel nach einer missglückten Alkoholkur erhängt hatte. Auf einer doppelspurigen Schnellstraße, die in einen weiteren Stadtteil führte, musste sie an einer roten Ampel anhalten. Neben sie drängte sich ein hoch getunter Golf, der immer wieder das Gaspedal betätigte, um auf seine hohe PS Zahl unter der Haube aufmerksam zu machen. Zora lächelte nur gelangweilt und als die Ampel auf Grün umsprang und sie mit einem Kickdown davon schoss, konnte sich der Fahrer des Golfs nur ungläubig die Augen reiben, denn er verstand die Welt nicht mehr. Zora lachte und drehte die Musik etwas lauter. Als sie in das nächste Wohnviertel einfuhr, verlangsamte sie ihr Tempo vorschriftsgemäß. Nach einer Kreuzung sah sie einen Jungen, sehr groß gewachsen, mit ausgestrecktem Daumen am Straßenrand stehen. Sie fuhr an ihm unbeachtet vorbei. Doch dann bremste sie abrupt ab, legte den Rückwärtsgang ein und fuhr wieder zurück »Eigentlich sah der doch recht süß aus« sagte sie zu sich selbst. Tim nahm seinen ausgestreckten Arm herunter und schaute sprachlos in den Sportwagen als er genau vor ihm zum Stehen kam. »Was für ein Motorsound« dachte er sich. Erst dann sah er zu der Fahrerin. Zora drehte das Autoradio leiser. »Na, sind wir nicht ein bisschen zu jung fürs Trampen«, fragte Zora vorwurfsvoll. Tim sagte nichts, schaute sie, ohne eine Miene zu verziehen an. Zora wartete einige Sekunden, doch es kam keine Antwort. »Darf ich den jungen Herrn denn mitnehmen, damit ihm nichts passiert«, fragte sie mit ironischer Stimme. Tim hörte auf sie anzustarren, nickte, öffnete die Beifahrertür und quetschte sich mit seinen 1,90 Metern Körpergröße in den kleinen Zweisitzer. Zora lachte, als sie sah, dass er doch ziemlich beengt in dem Auto saß. »Danke«, sagte er knapp. Zora fuhr gemütlich los, sie wollte jetzt nicht rasen, wenn sie einen Beifahrer dabeihatte. Verantwortung musste sein. »Wo darf ich dich denn hinbringen«, fragte sie. »Zur städtischen Schule. Ich bin doch etwas spät dran und habe den Zug verpasst.« »Trampst du oft«, fragte sie ihn. Tim wurde etwas gesprächiger. »Nein, nur wenn ich den Bus verpasse, dass passiert nicht oft.« Zora lächelte und beschleunigte leicht, denn sie wollte nicht das er zu spät zum Unterricht kam. Sie beobachtete ihn aus dem Augenwinkel heraus. Tim schaute schön auf die Straße. Sie vermutete, dass er noch nicht einmal 18 Jahre alt war. Er hatte einen leichten Bartwuchs, eine schöne, junge, helle Haut, einige kleine Pickel um den Mund herum und wunderschöne grüne Augen. Seine Haare hatte er mit so viel Gel gestylt, dass selbst der Fahrtwind, der durch die Fahrgastzelle wehte, seine Frisur nicht zerstörte. Sie hatte kein Windschott im Auto, denn nur so fühlte sie ein bisschen Freiheit. So wirbelten Zoras blonde Locken durch den Fahrtwind hin und her. »Ich heiße Zora«, sagte sie knapp und schaute kurz zu Tim herüber. Er schaute sie lächelnd an, reichte ihr seine rechte Hand herüber »Tim, angenehm« sagte er. Sie schüttelte ihm die Hand während der Fahrt und lachte. »Da hat aber einer sehr gute Manieren. Wie alt bist du denn« fragte sie neugierig. »17«, sagte er und schaute wieder auf die Straße. Zora nickte nur. Das war ihr doch zu jung. Sie fand ihn schon sehr attraktiv. Er war größer als sie, schlank und sah sehr hübsch aus. Aber das war in dem Alter bestimmt der Welpenschutz, da sahen alle Jungs noch hübsch aus. Sie ärgerte sich, dass sie ihn mitgenommen hatte und schämte sich ein bisschen ihrer Gedanken. Auch das sie nicht wusste, was sie jetzt zu ihm sagen sollte. Zora musste in seinen Augen bestimmt sehr alt rüberkommen. Tim schaute wieder vorsichtig zu ihr herüber. Er sah die Pistole an ihrem Gürtel und erschrak. Zora bemerkte es, lächelte nur und tippte auf ihre Dienstmarke am Gürtel. Tim schaute skeptisch, nickte dann nur. So richtig verstand er nicht, aber er wollte sie auch nicht weiter fragen. »Wir sind gleich da«, sagte sie, bog, ohne zu bremsen rechts ab, beschleunigte in der Kurve. Tim lächelte und hielt sich an der A-Säule fest. »Das Ding geht ja ab, meine Fresse«, lachte er. Zora erreichte die Schule, bremste vor einigen Schülern mit quietschenden Reifen ab. Die Schüler drehten sich um und schauten Tim an, der völlig fasziniert aus dem Auto ausstieg. »Danke sehr«, sagte er freudig. Zora nickte lächelnd, legte den ersten Gang ein. »Vielleicht sehen wir uns ja noch…«, sagte Tim, doch Zora brauste mit einem grollenden Motor davon und hob nur kurz die Hand zum Abschied. Tim schaute ihr nach und überlegte, was ihr Nummernschild "2GQI124" wohl zu bedeuten hatte. Er drehte sich zu seinen Mitschülern um, die ihn weiter erstaunt anschauten. Tim stellte sich zu ihnen, griff in seine Jackentasche und holte die Packung Zigaretten hervor. Er steckte sich eine Zigarette an und inhalierte genüsslich den blauen Qualm. »Was war das denn für eine Alte«, fragte einer seiner Mitschüler. »Na, so alt war sie jetzt auch nicht«, sagte Tim verteidigend. »Na, und zwanzig war sie bestimmt auch nicht« sagte der Mitschüler verachtend. Tim schaute zu ihm herüber und blies ihm den Qualm in das Gesicht. »Wie Ageism bist du denn« fragte Tim ihn und lächelte dabei. »Findest du sie wohl nett, was? Hey Leute, Tim steht auf eine MILF. Tim ist verliebt.« Alle drehten sich um und starrten ihn an. Der Mitschüler eröffnete einen Chor. »Tim ist verliebt, Tim ist verliebt, Tim ist verliebt.« Tim schaute ihn nur an und zog noch einmal an seiner Zigarette. »Ich fand sie nett.« Dann ging er zu seinem Unterrichtsraum und summte das Lied von Ally leise vor sich hin, was er gerade eben noch in Zoras Auto gehört hatte.
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Die Uhr in der Mittelkonsole des Miata