Professor Zamorra 1017 - Simon Borner - E-Book

Professor Zamorra 1017 E-Book

Simon Borner

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Beschreibung

"Lassen Sie uns einen Pakt schließen, Cranston." Nicole Duval sah Zamorra an, als habe er den Verstand verloren. Doch der Dämonenjäger sprach unbeirrt weiter. "Sie und ich - gemeinsam gegen das Unbekannte." Finn Cranston, der Vampir, der sich zum Herrscher über New York aufgeschwungen hatte, lachte abfällig. "Sie träumen wohl, Zamorra! Wir stehen auf verschiedenen Seiten. Ihnen verdanke ich meine größte Niederlage! Warum sollte ich mich mit Ihnen verbünden?" "Weil Sie sonst untergehen. Genau wie Nicole und ich. Nur gemeinsam können wir noch überleben." Cranston schnaubte. Seine Mundwinkel zuckten. "Sie täuschen sich, Professor. Einer von uns dreien wird den Central Park morgen früh lebend verlassen - das versichere ich Ihnen. Aber Sie werden es nicht sein ..."

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Inhalt

Cover

Impressum

Der Feind meines Feindes

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Michael Lingg

Datenkonvertierung E-Book: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam

ISBN 978-3-8387-4907-5

www.bastei-entertainment.de

Der Feind meines Feindes

von Simon Borner

»Lassen Sie uns einen Pakt schließen, Cranston.«

Nicole Duval sah Zamorra an, als habe er den Verstand verloren. Doch der Dämonenjäger sprach unbeirrt weiter.

»Sie und ich – gemeinsam gegen das Unbekannte.«

Finn Cranston, der Vampir, der sich zum Herrscher über New York aufgeschwungen hatte, lachte abfällig. »Sie träumen wohl, Zamorra! Wir stehen auf verschiedenen Seiten. Ihnen verdanke ich meine größte Niederlage! Warum sollte ich mich mit Ihnen verbünden?«

»Weil Sie sonst untergehen. Genau wie Nicole und ich. Nur gemeinsam können wir noch überleben.«

Cranston schnaubte. Seine Mundwinkel zuckten. »Sie täuschen sich, Professor. Einer von uns dreien wird den Central Park morgen früh lebend verlassen – das versichere ich Ihnen.

Aber Sie werden es nicht sein …«

»Kein Bündnis ist sicher, wenn es mit einer Person von Macht geschlossen wird.«

- Phaedrus

»Eine Allianz bedeutet genauso wenig Liebe wie ein Krieg Hass bedeuten muss.«

Francis Parker Yockey

Kapitel 1

Neue Zeiten

Der Drache war groß, lang wie ein Häuserblock, und hatte riesige Augen. Heiß fauchte das Feuer aus seinem weit aufgerissenen Maul. Gierig reckte er den schuppigen, monströsen Kopf in alle Richtungen und glotzte. Die Leute jubelten und schubsten ihre Kinder vor sich, damit sie ihn besser sahen – und er sie.

Das chinesische Fest war in vollem Gange. Dicht an dicht standen die Menschen an den Straßen Chinatowns und wohnten dem tollen Treiben bei. Papierne Lampions hingen von den Straßenlampen, von Feuertreppen und Hauseingängen und schenkten gelbliches Licht. Traditionelle Musik erfüllte die Luft, ausgestoßen von zahlreichen, in den Häuserwinkeln und auf den Paradewagen positionierten Lautsprechern. Die Nacht roch nach Feuerwerkskörpern, Hoffnung und Leben.

Finn Cranston würdigte die Menge und ihr törichtes Ritual kaum eines Blickes. Er war nicht zum Feiern gekommen.

Chinatown, dieses pulsierende Viertel zwischen Broome, Allen, Worth und Lafayette Street, war ein faszinierender Ort, auch ohne Paraden und Drachen aus Pappmaché. Knapp hunderttausend Menschen asiatischer Abstammung hatten sich hier versammelt und lebten Tür an Tür – mitten in Manhattan. Es hieß, nirgendwo sonst in der westlichen Hemisphäre befänden sich mehr Chinesen an einem Platz. Und tatsächlich: Überquerte man die Lafayette und betrat die Straßen des Viertels – diese Welt aus gelbweißen Leuchtreklamen, Bürgersteigen voller Obst- und Gemüseständen, fernöstlichen Düften und Ansichten – war es, als verließe man New York City und betrete einen ganz anderen Ort. Finn kannte alle Viertel der Stadt, die er regierte, aber bei keinem anderen kam ihm der Bruch mit dem Rest so vollkommen und komplett vor.

Genau das brauchte er in dieser Nacht.

Er wich einer Gruppe Feiernder aus, und sein Blick fiel ins Schaufenster eines Imbisses. Dort sah er sich gespiegelt. Einen durchaus attraktiven Mann; vielleicht ein wenig blass, doch das glichen der durchtrainierte junge Körper und die rebellisch wild in die Stirn hängenden schwarzen Haare aus. Er hatte den Kragen seiner dünnen schwarzen Lederjacke hochgeschlagen. In seinen Augen brannte gieriges Feuer, wie es selbst der Drache nicht kennen dürfte.

An der nächsten Ecke bog Finn ein und ließ die Strecke, die der Festzug nahm, hinter sich. Schon wurde es ruhiger. Schweigend ging er weiter, vorbei an Geschäften und Hauseingängen. Er kannte den Weg, auch wenn er ihn eine gefühlte Ewigkeit nicht gegangen war. Er hielt den Blick gesenkt und den Kragen oben – nur für den Fall, dass ihn wider Erwarten doch jemand erkannte. Ihm stand nicht der Sinn nach Diskussionen. Erst recht nicht nach denen der Sorte, die er sonst so führte.

Als er den Laden fand, hob er den Kopf. Also doch.

Linh Haos Asia Empire war im Erdgeschoss eines ebenso schmalen wie hohen Baus aus roten Backsteinen untergebracht. Die breiten Fenster und die Ladentür machten nahezu die gesamte Front des Gebäudes aus. Licht fiel aus den Scheiben nach draußen und schuf eine Insel der Helligkeit auf dem ansonsten nachtschwarzen Bürgersteig. Diverse Plakate klebten an dem Glas, priesen Sonderangebote und frische Lieferungen aus der alten Heimat ebenso an wie die Attraktionen eines in der Nähe gastierenden Wanderzirkus und die Wäscherei gegenüber. Linh Hao war gut vernetzt, wie es schien. Die Erkenntnis war so albern, dass Finn schmunzelte.

Ein Glöckchen über der Tür kündete von seinem Eintreten.

»Momen’ bittah«, drang eine laute, freundliche Männerstimme aus den Untiefen des geordneten Durcheinanders jenseits der Schwelle. »Kommeh glai’.«

Finns Blick glitt über die Regale. Bis zur Decke stapelten sich die Waren. Überwiegend handelte es sich um importierte Lebensmittel, aber es gab auch allerhand anderen Kram, den man im Haushalt brauchen konnte. An der linken Wand des gut fünfzig Quadratmeter messenden, vollgestopften Raumes brummte eine klobige Kühltheke das Lügenlied ewiger Frische.

Finn atmete tief ein. Niemand war im Raum, das spürte er. Niemand außer ihm und Linh Hao. Sehr gut. Mit einer flinken Bewegung verschloss er die Tür hinter sich und drehte das kleine Pappschild von Open auf Closed.

»Soo, bittah.« Ein kleines Männlein erschien hinter einem der überfüllten Regale. Es trug braune traditionell anmutende Kleidung und hatte kurzes graues Haar. Die Falten in seinem Gesicht schienen zahlreicher als die Sterne am Firmament. »Was kanni tun fü’ Sie, ha?«

Es war der Standardspruch, wertlos wie der Monolog eines Provinzschauspielers im ersten Akt. Die eigentliche Show begann erst, als Linh Hao den Kopf hob und den Blick auf seinen späten Kunden richtete.

»Guten Abend«, grüßte Finn und grinste so breit, dass der Chinese gar nicht anders konnte, als die Reißzähne zu sehen.

Linh Hao reagierte sofort. Die Alter-Mann-Routine, die er hier für die Touristen gab, fiel von ihm ab. Er wirbelte herum, Panik auf seinen Zügen, und floh zurück ins Hinterland seines Ladens.

Finn war schneller. Gegen vampirische Sinne und vampirische Muskeln war selbst den Chinesen noch kein Kraut gewachsen. Linh Hao erreichte die Ladentheke, hinter der eine Stahltür auf die schmale Gasse und zu den Mülltonnen hinaus führte, mehrere Sekundenbruchteile nach Finn. »Nein!«, schrie der Asiat, wirbelte abermals um die eigene Achse und trat die Flucht gen Fensterfront an. »Nein! Nicht!«

Finn sprang von der Theke. Mehrere Regale stürzten polternd um, als er über sie hinweg setzte. Pappschachteln voller Nudeln, Zucker und anderem Unfug knirschten bei seiner Landung unter seinen Schuhsolen. Er hatte gut gezielt. Er brauchte nur die Hand auszustrecken, schon hatte er den Fliehenden am Kragen gepackt.

Linh Hao zerrte, schlug um sich, aber er kam nicht frei. Sein altes Gesicht war hasserfüllt, sein Atem ging stoßweise. Finn hörte das Blut, das Linh Haos wild pochendes Herz durch seinen Körper jagte, und für einen kurzen Moment stand er kurz davor, sich zu vergessen.

Doch die Beherrschung kam schnell wieder. »Schön, dass du mich noch kennst, alter Mann«, sagte Finn leise.

»Nein!«, keuchte der Chinese und schlug ihm gegen den Arm. Der lächerliche Akzent war längst Geschichte. »Nein! Nicht du! So nicht!«

Finn seufzte, blinzelte – und rammte seinen Gefangenen rücklings gegen ein Regal, das krachend zur Seite kippte. Dann war endlich Ruhe. Sichtlich benommen stellte Linh Hao seinen panischen Widerstand ein, zumindest vorübergehend. Jetzt konnten sie reden.

»Ich sagte: Schön, dass du mich noch kennst!«, wiederholte Finn ungehalten.

Linh Hao stöhnte. Ein dünner Blutfaden lief ihm aus dem Mund und brachte Finn fast um den Verstand. »Wie … sollte ich dich vergessen?«

»Ja, das höre ich oft.« Finn schmunzelte wieder. »Sehr oft.«

»Was willst du?«, fragte der Asiat gepresst. Wie jemand, der die Antwort auf die Frage längst kennt und fürchtet.

Aber er irrte sich. »Ich will Antworten«, sagte Finn zu Linh Haos sichtlicher Überraschung.

»Auf welche Fragen?«

Finn Cranston trat einen Schritt näher an sein Opfer und sah ihm lächelnd in die tiefblauen Augen. »Na, auf alle.«

***

Das Neonlicht der Deckenlampen flackerte. Der PVC-glatte Fußboden war mit Produkten übersät. Die Regale standen so schief, dass sie Turmbauern aus Pisa zur Ehre gereicht hätten. Linh Hao hatte einen weiteren Fluchtversuch unternommen und Finn ihm ein wenig rabiater deutlich gemacht, wie wenig er davon hielt. Nun schien er es begriffen zu haben: Der alte Asiat kauerte am Boden, rücklings zur Theke seines Ladens, und hatte den Kopf auf die angewinkelten Knie gelegt. Er sah Finn, der ihm gegenüberstand und Krabbenchips aus einer silbernen Tüte aß, halb resigniert, halb wütend an. »Was willst du?«

Finn schüttelte tadelnd den Kopf. »Wenn du nur einmal zuhören würdest. Das war schon früher dein größtes Problem, falls du dich erinnerst. Ich will Antworten.«

»Von mir?«

Finn sah sich um. »Ist hier sonst noch jemand?«

»Ich weiß nichts, Cranston. Ich bin raus, seit Jahrzehnten schon. Die ganze alte Sache – damit habe ich nichts mehr zu tun, verstehst du? Was immer du zu finden hoffst, hier bist du falsch.«

Ein weiterer Chip verschwand in Finns Mund. »Niemand ist je wirklich raus, Linh Hao«, sagte der Vampir geduldig. »Das muss ich dir ja wohl nicht sagen. Du kannst diese … Sache genauso wenig verlassen wie ich. Also spar dir die Ausflüchte. Es tut weh, dich so zu sehen, alter Freund – ganz ehrlich. Du schienst mir nie jemand zu sein, der sich selbst belügt. Und doch: Hier hockst du und beteuerst, alles hinter dir gelassen zu haben.«

»Weil es die Wahrheit ist!«, begehrte der Asiat auf. »Weißt du, wie lange ich nicht mehr draußen war – auf Ellis Island, in irgendeinem anderen Viertel als diesem? Du warst eine ganze Weile lang weg, Cranston. In der Zeit hat sich hier einiges verändert. Ich habe mich verändert! Du kannst nicht einfach hier reinplatzen und erwarten, die Uhr würde zurückgedreht.«

Finn warf ihm die Chipstüte ins Gesicht. Prasselnd ergoss sich ihr weißer Inhalt auf den Fußboden. Als Linh Hao die Augen wieder öffnete, hockte der Vampir direkt vor ihm. Kaltes Feuer brannte in seinen Augen, und sein Blick schien sich direkt in das bisschen Seele zu bohren, das das unbarmherzige Monster namens Leben Linh Hao gelassen hatte.

»Ich kann«, knurrte Finn. »Wenn, dann ich – ist das klar? Mir scheint, das Leben zwischen Instant-Nudeln und Sojasaucen hat dich ein paar Grundregeln unserer Beziehung vergessen lasen, alter Mann. Ich bin der Meister, du bist der Knecht. Wenn ich ‚Spring’ sage, fragst du ‚Wie hoch?’ Wenn ich ‚Schieß’ sage, fragst du ‚Wie oft?’ Und wenn ich dich um Antworten ersuche, dann sagst du ‚Fragt, Herr’ und nicht ‚Nein’ – ist das klar?«

Linh Hao schluckte trocken. Schweiß benetzte seine Stirn. In seinen Ohren hörte er das Blut rauschen und fühlte sich vom eigenen Körper verraten und verkauft. Doch Finn schien wirklich nicht des Blutes wegen gekommen zu sein. Nicht wegen alter Rechnungen.

Irgendetwas ist passiert, begriff Linh Hao. Etwas hat sich verändert, und Cranston weiß nicht damit umzugehen. Deshalb ist er hier. Kam er vielleicht doch lebend durch diese Nacht? »Fragt, Herr«, sagte er leise und senkte demütig den Blick.

Der Vampir stand wieder auf. »Sagt dir der Name Elektra etwas?«

Linh Hao runzelte die Stirn. »Die Figur aus der griechischen Antike?«

Finns Blick bewies, wie dumm diese Frage gewesen war. Und, dass er besser keine zweite dieser Preisklasse stellte.

»Nein, Herr. Wer ist das?«

Der Vampir seufzte. »Es wäre wohl auch zu einfach gewesen. Elektra ist … ein neues Gesicht in der Stadt. Sagen wir es so. Und ich möchte mehr über es erfahren.«

»Von mir?« Linh Hao sah sich hilfesuchend um. »Herr, hier leben Millionen von Wesen – selbst in den Schatten. Ich kann unmöglich jedes Einzelne …«

»Schweig!«, fuhr Finn ihn an. Dann sprach er deutlich gefasster weiter. »Hör einfach zu. Vor einigen Wochen ist etwas geschehen. Ich verstehe die Details selbst nicht, erinnere mich auch nicht daran – aber das macht es nicht unwahr.«

Linh Hao runzelte die Stirn. Dieses schwammige Gerede passte nicht zu Cranston. Doch er war klug genug, nicht nachzuhaken. Der Vampir würde schon von selbst konkreter werden.

»Die Welt … wurde zurückgedreht«, sagte Cranston. »Und fast niemand weiß mehr etwas davon.«

»Thorgal wird es wissen«, sagte Linh Hao, einer plötzlichen Eingebung folgend. Was immer Cranston auch beschäftigte, es gab deutlich patentere Wissensquellen als ihn. Warum zog er durch Chinatown, wenn sein eigener Mentor die deutlich bessere Wahl war? Linh Hao mochte das Ohr nicht länger am Puls des Geschehens haben, aber selbst ihm war nicht entgangen, dass Cranston seinen alten Lehrmeister in die Stadt hatte befördern lassen.

Cranston zuckte kurz mit den Schultern. Dann sah er Linh Hao an. »Thorgal existiert nicht mehr.«

Was? Linh Hao ließ die Arme, mit denen er seine Beine umklammert gehalten hatte, sinken. Grenzenlos scheinende Verblüffung breitete sich in ihm aus – und Angst. »Wie, Herr? Wie … wie kann das sein?«

Thorgal war Geschichte? Wie konnte man den Wind auslöschen, wie das Meer?

»Bei dieser Sache«, sagte Cranston leise, »dieser Rückführung der Welt aus der Apokalypse … Irgendeine Macht wurde freigesetzt, als das geschah. Irgendetwas, das schon sehr, sehr lange schlief. Die Macht verbündete sich mit zwei anderen Wesenheiten, die sie durch Zufall traf. Sie verleibte sie sich ein, ohne vorher zu fragen, und verschmolz mit ihnen zu einer ganz neuen Wesenheit. Zu Elektra.« Er ballte die Hände zu Fäusten. »Eine dieser einverleibten Mächte war Thorgal.«

Unfassbar. Linh Haos Mund stand offen. Er glotzte Finn an, als wären dem schlanken Blutsauger plötzlich Hörner gewachsen. Linh Hao kannte Cranston und ahnte, dass der Vampir seinen Lehrmeister mit allem geschützt und gesichert hatte, was in seiner Macht stand. Tief in Manhattans dunklem Herzen – dort würde er ihn versteckt gehalten haben, ohne Zweifel. Umgeben von Cranstons engsten Vertrauten und mächtigsten Handlangern. Hinter Türen aus reiner Magie. Und doch … Es hatte nicht genügt.

Was muss diese Elektra für eine Macht sein, dass sie einen von Finn Cranston beschützten Thorgal verschlingen kann, als wäre er nicht mehr als ein Krabbenchip?

Der Gedanke ließ Linh Hao bis ins Mark erschaudern. »Was war die zweite Macht?«, fragte er schwach. Hauptsächlich, um überhaupt etwas zu sagen.

»Ein kleines Mädchen«, antwortete Finn mit ungläubigem Lachen. »Der Geist eines Kindes, das vor Jahrzehnten perversen Experimenten unterzogen worden war und sich seitdem nicht von jenen lösen konnte, die es damals quälten. Die Details sind unwichtig – oder findest du den Namen Ella Leeks irgendwie relevant, hm?«

Die Frage war anklagend und spöttisch gemeint. Dennoch machte irgendwo hinter Linh Haos schweißnasser Stirn etwas Klick. »Ella Leeks … Elektra«, murmelte er. »Es mag ein Zufall sein, aber die beiden Namen haben durchaus Ähnlichkeiten.«

Finns Augen funkelten zornig. Der Vampir hatte diesen Zusammenhang, wenn es überhaupt einer war, sichtlich nicht hergestellt und ärgerte sich nun darüber.

»Also gut«, sagte Linh Hao schnell. »Fassen wir zusammen: Drei Wesenheiten – Ella Leeks, Thorgal und die noch unbekannte, unglaublich starke dritte Macht, die durch die Negierung der Apokalypse entstand, von der Ihr spracht, Herr – verschmolzen zu einer neuen Existenz. Einem Wesen, das sich Elektra nennt. Was will es?«

»Eigentlich wollte ich hier die Fragen stellen.« Cranston seufzte. Dennoch sprach er weiter. »Bislang gefällt es sich in der Rolle, die Thorgal zustand.«

Linh Hao hob die Brauen. »Soll … Herr, soll das heißen, diese unbekannte Macht berät Euch?«

»Sie besitzt Thorgals Wissen und Thorgals Talente. Jedes Einzelne von ihnen. Sie sieht. Sie weiß. Sie ahnt. Ich suchte Thorgal auf, doch ich fand sie an seiner Stelle – und sie sagte mir, er sei nun ein Teil von ihr. Was immer er mir gegeben habe, könne auch sie mir geben. Ich stellte sie auf die Probe – und wie sich herausstellte, hatte sie nicht gelogen.«

Und trotzdem bist du hier. Linh Hao begriff. Cranston war kein ängstlicher Mann, ganz im Gegenteil. Er war auch niemand, der Konflikten mit aller Gewalt aus dem Weg ging oder geschenkten Gäulen allzu gründlich in die Mäuler blickte. Wenn diese Elektra ihm zu geben verstand, was Thorgal ihm gegeben hatte, und er trotzdem – noch dazu nach all der Zeit – zu ihm nach Chinatown kam, dann war er mit der Situation mehr als unzufrieden. Dann machte sie ihm Sorgen.

»Du bereitest dich auf einen Kampf vor«, schlussfolgerte Linh Hao leise und vergaß die ehrenvolle Anrede, auf die Cranston bestand. »Deshalb bist du hier, oder? Du rechnest damit, dass du dich früher oder später gegen diese Elektra stellen musst – und bis dahin willst du so viele Informationen über sie sammeln, wie du nur kannst.«

Abermals loderte es in Cranstons Augen. Sein Unterkiefer zuckte, und seine Schultern bebten vor Zorn. »Sie hat Thorgal getötet!«, knurrte er, als wäre das eine Rechtfertigung. »Thorgal!«

Und sie wird bald auch dir zum Problem werden, begriff Linh Hao. Das ahnst du. Denn sie ist zu groß für dich. Du kannst sie weder kontrollieren, noch wirklich verstehen. Und wie immer, wenn du dich unterlegen fühlst, reagierst du auf die einzige Art und Weise, die du kennst. Indem du angreifst. Den ersten Stein wirfst. Nicht bis zur Eskalation wartest, sondern die Eskalation selbst herbeiführst – nach deinen Mitteln.

»Eine alte Macht, ja?«, fragte er leise.