Professor Zamorra 1140 - Andreas Balzer - E-Book

Professor Zamorra 1140 E-Book

Andreas Balzer

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Beschreibung

The Big C ist einer der versiertesten Computer-Hacker, die die Welt je gesehen hat. Nicht umsonst hat sich der Orden der Neun Drachen der Künste dieses Mannes versichert! Doch als er eines Tages umgebracht wird, ruft das nicht nur Chin-Li, die ehemalige Profi-Killerin der Neun Drachen auf den Plan ...

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Seitenzahl: 145

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Inhalt

Cover

Impressum

Operation Hongkong

Leserseite

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Pavel Vaschenkov / shutterstock

Datenkonvertierung eBook: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam

ISBN 978-3-7325-5862-9

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Operation Hongkong

von Andreas Balzer

The Big C blickte unwirsch auf, als es an der Tür klopfte.

Der junge chinesische Hacker saß seit Tagen ohne Unterlass am Computer. Um ihn herum stapelten sich Pizzakartons und leere Energydrink-Dosen. Er war einer wirklich großen Sache auf der Spur. Vor gut einem Jahr war der dämonische Milliardär Sebastian Bélanger beim Kampf gegen das Zamorra-Team ums Leben gekommen. Doch jetzt mehrten sich die Anzeichen, dass Bélangers Organisation wieder aktiv war. Und alles deutete auf einen bevorstehenden Großangriff hin.

Das Ziel war ausgerechnet die Heimatstadt des jungen Computergenies: Hongkong!

Das Klopfen steigerte sich, wurde zu einem regelrechten Hämmern. The Big C hatte sich gebratene Nudeln bestellt. Doch die Lieferung kam viel früher als erwartet, und er hasste es, bei der Arbeit gestört zu werden.

»Ja doch!«, schimpfte der Hacker und sprang auf. Wütend riss er die Tür auf – und prallte zurück.

Vor ihm stand kein Essenslieferant. Noch nicht einmal ein Mensch. Die riesige geschuppte Kreatur hatte Klauen scharf wie Rasierklingen. Und die stieß sie jetzt tief in den Bauch des Chinesen.

Hongkong, New Territories

»Was für eine gottverfluchte Sauerei!«

Angewidert zückte Rupert Jenkins ein Stofftaschentuch aus seinem zerknitterten Sakko und wischte sich über die Stirn. Es war ungewöhnlich heiß für den Januar, wo die Durchschnittstemperaturen in Hongkong in der Regel bei knapp 20 Grad lagen. Doch jetzt näherten sich die Werte fast dem Hochsommer an und kletterten regelmäßig auf über 30 Grad. Die Gluthitze hatte den anonymen Wohnkomplex in den mit billigen Hochhäusern zugekleisterten New Territories in einen Glutofen verwandelt. Eigentlich besaß das mit Computern und elektronischen Ersatzteilen vollgestopfte Apartment im vierten Stock eine leistungsstarke Klimaanlage, nur hatte sie tagelang niemand angestellt. Was vielleicht damit zu tun hatte, dass ihr Besitzer in blutigen Fetzen im ganzen Hauptraum verteilt war.

Die einst karge weiße Wand, die der schnurrbärtige Brite mit einer Mischung aus Faszination und Abscheu betrachtete, war blutrot getränkt. An vielen Stellen klebten schmutziggraue Gewebereste, bei denen Jenkins davon ausging, dass es sich um Gehirn handelte. Um das, was vom Gehirn des brillantesten Hackers dieses Teils der Welt übrig geblieben war.

Und jetzt bist du nur noch Haggis, dachte Jenkins, der plötzlich an das Lieblingsgericht seiner schottischen Großmutter dachte und ein leichtes Hungergefühl verspürte. Er hatte seit Stunden nichts mehr gegessen.

Der Mord musste sich nach den ersten Erkenntnissen vor gut zwei Tagen zugetragen haben. Und dass es sich um Mord handelte, stand außer Frage. Selbst in der sonderbaren Welt, in der sich Rupert Jenkins seit vielen Jahren bewegte, pflegten Menschen nicht spontan zu explodieren und sich in winzigen Einzelteilen über die ganze Wohnung zu verteilen. Genaueres würden die Forensikexperten der Neun Drachen herausfinden.

Zwei Tage. Das waren zwei Tage, in denen das Blut und Gewebe der brütenden Hitze ausgesetzt waren. Nur den geschlossenen Fenstern war es zu verdanken, dass sich nicht Heerscharen von Fliegen in der Wohnung niedergelassen hatten. Aber der Gestank war umso unerträglicher.

Etwas Gehirnmasse löste sich von der Wand und klatsche Rupert Jenkins vor die teuren, aber schon ziemlich ausgelatschten Schuhe. Der Brite hielt sich das Taschentuch vor den Mund und unterdrückte ein leichtes Würgen.

»Vielleicht sollten Sie draußen warten«, sagte Yen Mei, ein junger Chinese, der selbst mit blauem Overall und Schutzbrille adrett gekleidet aussah. Yen war der wissenschaftliche Leiter des Einsatzkommandos, das den Tatort untersuchte. Er hatte mehrere Jahre als Chefforensiker für die Hong Konk Police Force gearbeitet, bis die Neun Drachen ihn abgeworben hatten. Sein Team, ein halbes Dutzend bestens ausgebildeter Männer und Frauen, hatte sorgfältig alle Spuren gesichert und jeden Zentimeter des Apartments mit allen ekligen Details fotografiert. Jetzt waren sie dabei, die Überreste des toten Hackers in kleine Tüten zu packen, damit sie im Labor weiter untersucht werden konnten.

»Geht schon«, brummte Jenkins in perfektem Kantonesisch. »Hab nur ’ne Weile nichts gegessen. Mein Magen reagiert deshalb etwas empfindlicher.«

Yen Mei sah den groß gewachsenen, immer etwas ungelenk wirkenden Briten skeptisch an, sagte aber nichts.

»Wie lange brauchen Sie hier noch?«

»Eine knappe halbe Stunde«, erwiderte der Forensiker. »Sobald wir fertig sind, übernimmt das Clean-up-Team und wird die Wohnung komplett renovieren. Ab morgen wohnt hier eine vielköpfige Familie. Sollte die Polizei je auf dieses Apartment aufmerksam werden – was äußerst unwahrscheinlich ist – wird sie keine Spuren mehr finden.«

Jenkins nickte zufrieden. Der Mord an dem Mann, der in der asiatischen Hackerwelt unter dem Pseudonym The Big C zur Legende geworden war, war eine interne Angelegenheit der Neun Drachen. Und wer immer dafür verantwortlich war, würde die ganze Wut der Bruderschaft auf sich ziehen. Zwar hatte der Orden, der einst das komplette organisierte Verbrechen der ehemaligen Kronkolonie kontrolliert hatte, seine Geschäfte inzwischen weitgehend legalisiert. Das hieß aber nicht, dass er tatenlos zusah, wenn einer seiner Diener abgeschlachtet wurde.

Rupert Jenkins wirkte nach außen wie ein Trottel. Das war ein Image, das er mit großer Akribie pflegte. Von seiner Umwelt unterschätzt zu werden, war ein Vorteil, den der schlaksige Brite virtuos für sich zu nutzen wusste. Sein Image als leicht debiler Clown hatte er deshalb schon in seiner Zeit als britischer MI6-Agent mit viel Liebe zum Detail gepflegt. Nur wer genau hinsah, erkannte die scharfe Intelligenz, die in den trübe blickenden Augen aufblitzte.

Nichts hätte Rupert Jenkins mehr Erleichterung verschafft als ein tiefer Zug aus einer Zigarette. Doch die Gefahr, dass er Spuren kontaminierte und selbst welche hinterließ, war zu groß. Also klaubte er eine angebrochene Pfefferminzrolle aus der Hosentasche, fummelte ein Lutschbonbon heraus und zerknackte es lautstark zwischen den Zähnen.

Er schluckte die spitzen Reste auf einmal runter, nahm all seinen Mut zusammen und konzentrierte sich auf die härteste Herausforderung des Tages: Er musste mit Chin-Li reden!

Die attraktive Mittdreißigerin mit der knabenhaften Figur und der modischen Kurzhaarfrisur hockte vor den Überresten des völlig verwüsteten Arbeitsplatzes, von dem aus The Bic C jede noch so ausgefuchste Firewall geknackt und die bestgehüteten Geheimnisse seiner Opfer aufgespürt hatte. Die Computer waren in einem ähnlich bedauernswerten Zustand wie ihr Besitzer. Die IT-Spezialisten der Neun Drachen würden alles daransetzen, wenigstens ein paar Daten zu retten. Doch Rupert Jenkins bezweifelte, dass sie viel Erfolg haben würden.

»Was glauben Sie, was hier passiert ist?«

Chin-Li sah nicht auf, sondern konzentrierte sich weiter auf die Überreste eines Motherboards. Seit die Kriegerin vor vielen Jahren als Sicherheitschefin eines Unternehmens in Los Angeles gearbeitet hatte, kannte sie sich mit Computern einigermaßen aus.

»The Big C ist ermordet worden.«

»Was Sie nicht sagen.« Rupert Jenkins blickte sich skeptisch im Raum um. Es gab kein Möbelstück, das nicht mit Blut, zersplitterten Knochen und Geweberesten besudelt war. »Ich hatte auf einen Haushaltsunfall getippt.«

Chin-Li reagierte nicht. Zu reden hielt sie in den meisten Fällen für überflüssig. Jenkins kannte das zur Genüge. Aber diesmal ließ er nicht locker. Die Kriegerin würde zweifellos auf eigene Faust nach den Mördern suchen. Andere Menschen behinderten sie dabei nur. Seine Aufgabe würde es dagegen sein, die Drachen-Ermittler auf konventionelle Weise nach Spuren suchen zu lassen. Und das ging nur, wenn man zumindest einen Anhaltspunkt hatte.

»Haben Sie schon einen Verdacht, wer dahinterstecken könnte? Die Festland-Triaden?«

Schweigen.

»Immerhin war unser junger Hackerfreund nicht gerade zimperlich, wenn es darum ging, in die Datenbanken einiger der übelsten Gangsterorganisationen der Welt einzudringen. War wohl so ’ne Art Extremsport für ihn. Die einen hüpfen mit einem Fallschirm von Wolkenkratzern, die anderen schauen nach, was die Könige der chinesischen Unterwelt in ihren digitalen Tresoren liegen haben. Das geht in beiden Fällen oft nicht gut aus.«

Schweigen.

»Oder sehen Sie das anders, Verehrteste?«

Chin-Li hielt in ihrer Arbeit inne. Ihr Kopf ruckte hoch, und sie fixierte den vor ihr aufragenden Engländer mit einem eisigen Blick, durch den er sich plötzlich ein gutes Stück kleiner fühlte.

»Ich habe den Triaden deutlich gemacht, was passiert, wenn sie es wagen sollten, einem wichtigen Mitarbeiter der Neun Drachen etwas zuleide zu tun. Ich war sehr deutlich.«

»Sicher«, murmelte Jenkins. Er räusperte sich. »Nur, wie soll ich sagen … Sie sind, nun ja … vielleicht nicht mehr ganz so furchteinflößend, seit Sie sich gütigerweise entschlossen haben, Ihre Gegner nicht mehr zu durchsieben, ihnen die Kehle aufzuschlitzen, sie von hohen Gebäuden zu stoßen oder sonst wie zu Tode zu bringen – was ich natürlich sehr begrüße«, fügte er hastig hinzu. »Aber es dürfte sich inzwischen von Peking bis nach Chinatown in New York rumgesprochen haben, dass die Attentäterin der Neun Drachen in den letzten Jahren mit ungewöhnlicher Milde zu Werke gegangen ist. Mit Verlaub, vielleicht finden die Triaden Ihre Drohung deshalb nicht mehr ganz so … eindrücklich wie früher.«

Chin-Li stand auf. Die chinesische Kriegerin trug ihre übliche »Uniform«: schwarze Hose, schwarzes Jackett und weißes Hemd. Sie sah Rupert Jenkins erstaunt an.

»Sie finden mich nicht mehr furchteinflößend?«

»Doch, doch, natürlich.« Unwillkürlich wich Jenkins einen Schritt zurück »Fürchterlich furchteinflößend sogar – und ich sage das mit dem allergrößten Respekt. Aber machen wir uns nichts vor, ich bin auch ein ziemlicher Schisser, oder? Nicht gerade der Stoff, aus dem die Helden sind.«

Chin-Li kam einen Schritt vor. Rupert Jenkins zwang sich, stehen zu bleiben. Der Schweiß lief ihm in Strömen den Nacken hinunter, und das hatte nichts mit der Affenhitze zu tun. Chin-Lis schmaler Körper reichte dem riesigen Briten gerade mal bis zur Brust, doch das änderte an seinem Unwohlsein gar nichts.

»Sie werden mir doch jetzt nicht den Arm brechen oder so?«

Chin-Lis Mundwinkel zuckten. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass sie etwas zum Wegschreien komisch fand. Nach all den Jahren in Hongkong verzweifelte Rupert Jenkins immer noch am chinesischen Sinn für Humor.

»Sie haben recht, Rupert. Was meinen Sie, sollte ich gleich losgehen und ein paar Dutzend Unschuldige umlegen, um meinen Ruf wiederherzustellen?«

»Was, äh … nein. Das wäre vielleicht etwas übertrieben.«

»Dachte ich mir.«

Der Brite räusperte sich unbehaglich.

»Ich lasse Sie dann mal lieber weiterarbeiten.«

Chin-Li nickte und wandte sich wieder dem Motherboard zu.

***

Meditation gehörte zu Chin-Lis täglichen Übungen. Körper, Geist und Seele in der Balance zu halten, war für die Kriegerin genauso wichtig wie ihr tägliches Kung-Fu-Training. Doch diesmal gelang es ihr nicht. Etwas nagte an ihr und verhinderte, dass sie sich tief in ihrem Inneren versenkte und eins mit dem Universum wurde.

Die Chinesin saß im Lotossitz in ihrem kleinen Apartment im Stadtteil Causeway Bay und schaffte es einfach nicht, die Gedanken zur Ruhe zu bringen, die unaufhörlich in ihrem Kopf rotierten.

Chin-Li hatte The Big C nie sonderlich gemocht. Der junge Hacker war in seinem Bereich ein Genie gewesen, aber auch rücksichtslos, störrisch und egozentrisch. Jenkins hatte recht, er hatte sich viele Feinde gemacht. Aus reiner Lust an der Grenzüberschreitung hatte er sämtliche Triaden Hongkongs und der Volksrepublik mit immer neuen Attacken auf ihre Server provoziert, wohl wissend, dass ihm mit dem Schutz der Neun Drachen im Rücken kaum etwas passieren könnte. Aber vielleicht war er diesmal einfach zu weit gegangen und hatte jemanden so verärgert, dass der selbst vor einem Konflikt mit der übermächtigen Bruderschaft nicht zurückschreckte, wenn es darum ging, sich zu rächen.

Aber die Triaden setzten in der Regel auf sehr herkömmliche Methoden, um sich ihrer Gegner zu entledigen. Ihre bevorzugten Mittel waren Pistolen, Messer oder Beile. Gelegentlich warfen sie ihre Opfer auch den Haien zum Fraß vor. Dass die Todgeweihten ohne das Einwirken herkömmlicher Sprengstoffe so in Stücke gerissen wurden, war dagegen selbst für die nicht gerade zimperlichen chinesischen Gangster absolut außergewöhnlich. Auch wenn die zum Tatort gerufenen Drachenpriester keine magischen Spuren im Apartment gefunden hatten, sprach alles für eine übernatürliche Todesursache.

Das schloss die Triaden als Täter noch nicht aus. Auch wenn sie sich in der Regel auf bodenständigere Tötungsarten beschränkten, verfügten einige Mobster durchaus über Kontakte zu einigen der unzähligen Zauberer, die in der Stadt ihren Geschäften nachgingen. Die Konkurrenz war auch in diesem Bereich groß, und vermutlich war mancher Magier nur allzu bereit, seine Fähigkeiten gegen gute Bezahlung in den Dienst der Gangster zu stellen.

Doch allzu wahrscheinlich war das nicht. Denn es gab einen anderen möglichen Verdächtigen, von dem Rupert Jenkins nichts wusste.

Sebastian Bélanger! Der dämonische Milliardär, der mit Internet-Start-ups und der französischen Airline NewWorlds ein Vermögen gemacht und sich in der jüngeren Vergangenheit als einer der gefährlichsten Gegner des Teams um Professor Zamorra und Nicole Duval erwiesen hatte.

The Big C hatte geholfen, Bélanger daran zu hindern, die Kontrolle über die magischen Energien der sogenannten »Anomalien« zu übernehmen, mit denen es die Dämonenjäger schon zweimal zu tun gehabt hatten. Diese geheimnisvollen, räumlich und zeitlich höchst instabilen Zonen hatten sich zwischen Korea und China auf dem Gelben Meer gebildet, konnten jedoch theoretisch auch an jedem anderen Ort der Erde auftreten.

Was diese Anomalien genau waren, wusste niemand, vielleicht nicht einmal Bélanger selbst. Deshalb hatte der Airline-Chef eine Boeing 777 mit Professor Zamorra an Bord in eine dieser Zonen fliegen lassen. Der Milliardär wollte alle Passagiere und Besatzungsmitglieder von Flug 1402 opfern, um mehr über die in der Anomalie tobenden magischen Energien herauszufinden. Vor allem aber wollte er wissen, wie sie auf Merlins Stern reagierten. Denn Zamorras mächtiges Amulett ließ sich offenbar wie eine Fernsteuerung benutzen, mit der die Anomalie-Energien kontrolliert werden konnten.

Doch der Plan war schiefgegangen. Zusammen mit der ehemaligen Ödland-Kriegerin Izzy hatte Zamorra Bélangers Handlanger an Bord besiegen und das Flugzeug sicher landen können. Ein Sieg, der durch Izzys Tod einen bitteren Beigeschmack bekommen hatte.

Ein Jahr später hatte Bélanger einen erneuten Versuch unternommen, als er mit einer Armee schattenhafter Meereskreaturen das Kreuzfahrtschiff Asian Dream angegriffen hatte, das die durch Anomalie-Energie wiederbelebte Izzy unter ihre Kontrolle gebracht hatte. Es war eine furchtbare Schlacht gewesen, die das Zamorra-Team erst im letzten Moment für sich entscheiden konnte.

Und The Big C hatte daran großen Anteil gehabt. Und auch davor und danach hatte er sich immer wieder Zugang zu den geheimsten Datenbanken des Milliardärs verschafft und die Dämonenjäger mit wichtigen Informationen über die weitverzweigten Bélanger-Firmen versorgt.

Keine Frage, der NewWorlds-Chef war der perfekte Verdächtige, die Sache hatte nur einen Haken: Sebastian Bélanger war tot.

Mit einem leisen Seufzen erhob sich die Kriegerin aus dem Lotossitz. Sie hatte vor ihrem Hausaltar gesessen, der ihrer persönlichen Schutzgöttin Tin Hau gewidmet war. Abgesehen davon befanden sich nur eine schlichte Schlafmatte und ein kleiner Tisch in dem kargen Raum.

Chin-Li hatte das Apartment schon vor vielen Jahren gekauft. Selbst die Neun Drachen wussten nichts von dieser Wohnung, die sich als sehr nützlich erwiesen hatte, wenn Chin-Li eine Weile untertauchen wollte oder sich anonym in der Stadt bewegen musste.

Die Kriegerin besaß auch noch ihre alte Kammer im Kloster der Neun Drachen im Stadtteil Mong Kok. Dort war sie aufgewachsen und ausgebildet worden, nachdem ihre Eltern sie im Alter von drei Jahren an die Bruderschaft übergeben hatten. Schweren Herzens, aber ein Wahrsager hatte ihnen verkündet, dass ihre Tochter von den Mächten des Himmels auserkoren worden war, als Kriegerin dem Geheimorden zu dienen, der vor tausend Jahren gegründet worden war, um Hongkong vor den Kräften des Bösen zu schützen. Sie waren einfache Fischer. Wie hätten sie sich gegen den Willen der Götter stellen können?

Sie ahnten nicht, dass die Neun Drachen selbst im Laufe der Jahrhunderte ihren eigentlichen Auftrag völlig aus den Augen verloren und sich zu einer ebenso mächtigen wie skrupellosen Verbrecherorganisation entwickelt hatten. Und Chin-Li hatte erheblich dazu beigetragen, diese Machtposition zu stärken und zu sichern. In der festen Überzeugung, eine heilige Mission als Dienerin Tin Haus auf Erden zu erfüllen.

Es war ein schrecklicher Irrtum gewesen, der unzählige Männer und Frauen das Leben gekostet hatte. Doch das hatte Chin-Li erst realisiert, als der geheimnisvolle Fremde Hongkong angegriffen hatte und die Neun Drachen sich als völlig unfähig erwiesen hatten, die Stadt zu schützen. Ohne das Eingreifen des französischen Dämonenjägers Professor Zamorra und seiner Partnerin Nicole Duval wäre Hongkong verloren gewesen.

Das war lange her, und seither hatte sich viel getan. Die Neun Drachen hatten ihre Lektion verstanden und konzentrierten sich mit Chin-Lis Unterstützung wieder auf ihre ursprüngliche Aufgabe, die Stadt vor magischen Bedrohungen zu schützen.

Vor allem aber hatte sich Chin-Li selbst verändert. Ihr Leben lang war sie eine blinde Dienerin gewesen, der es nie in den Sinn gekommen wäre, die Anweisungen der Neun Drachen zu hinterfragen. Mitleidlos hatte sie alle Befehle ausgeführt, so grausam sie auch waren. Jetzt war sie ein wesentlicher Motor der Veränderung, die der Geheimorden durchmachte. Aus der Dienerin war eine Macherin geworden, vor der sogar die neun greisen Oberhäupter der Bruderschaft Respekt hatten.

Zugleich war sie aber auch weicher und menschlicher geworden. Und das gefiel ihr ebenso, wie es ihr Angst machte. Denn Chin-Li hatte nie gelernt, Schwäche zu zeigen und Gefühle zuzulassen wie normale Menschen.

Doch nun saß sie allein in ihrem Apartment, und ihre Emotionen drohten sie zu überwältigen. Rupert Jenkins hatte gesagt, dass die Triaden vielleicht den Respekt vor ihr verloren hatten, weil sie nicht mehr tötete. Doch tatsächlich hatte Chin-Li ihren Schwur vor Kurzem gebrochen. Schließlich war sie es gewesen, die Izzy mit dem Blaster getötet hatte, um zu verhindern, dass ihre gesamte Anomalie-Energie auf Sebastian Bélanger überging.